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Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

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Sonne, Mond und Sternenstaub

Ein gezackter Blitz zerriss die sternenschluckende Dunkelheit und tauchte die drei Statuen am Fuße des Blackrocks in flackerndes Licht. Donner folgte ihm nach und rollte über den nachtschwarzen Himmel wie das Grollen eines zornigen Gottes. Als würde der gewaltigen Berg antworten, lief ein Zittern durch das Grundgestein und eine Lava-Fontäne schleuderte ihre feurige Glut in Richtung der sich auftürmenden Wolkenfront. Die erkaltenden Tropfen fielen zurück in die Bäche flüssigen Gesteins, die sich wie dicke, orangegelbe Schlangen um die Ränder der Plattform wanden, auf der die drei steinernen Wächter den wütenden Stürmen trotzten.

Ein neuer Blitz erhellte für einen Augenblick die Nacht und offenbarte die Risse im Stein, die zerfallenen Runen und verwischten Beschwörungskreise. Gewaltige Energien waren durch diesen Ort geflossen und die Reste dieser Beschwörungen lockten immer noch Aasgeier an. Elementare, abtrünnige Magier und – nicht zu vergessen – Hexenmeister mit ihren dämonischen Dienern. Sie alle lechzten nach der Macht, die diesem Ort einst innegewohnt hatte, als er im zweiten Krieg errichtet worden war, um gewöhnliche Oger in magiebegabte zu verwandeln.
 

„Bloodbringer!“, gellte eine weibliche Stimme durch den Sturm. „Mor’zul Bloodbringer!“

Der Wind riss die Worte mit sich fort, so dass sie nicht an die Ohren der grauhäutigen Orks drangen, die dabei waren, auf dem Altar in der Mitte der Plattform ein Ritual vorzubereiten. Das war gut, denn der Gesuchte war nicht unter ihnen und die Orks, die dem Blackrock-Clan angehörten, wären sicherlich nicht erfreut gewesen über den Besuch der menschlichen Hexenmeisterin, die jetzt die Hände an den Mund hob, um erneut zu rufen.
 

„Wenn ich du wäre, würde ich das nicht tun.“, schnarrte jemand ganz in Magentas Nähe. Suchend sah sie sich um und erblickte einen Goblin in einer unscheinbaren, grauen Robe, der mit seinem Stab in der Asche zu seinen Füßen herumstocherte. Er bleckte die gelblichen Zähne. „Wenn du möchtest, kann ich dich zu ihm bringen. Kostet nur eine Kleinigkeit.“

„Ich habe Gold.“, erwiderte Magenta hochnäsig. „Ich wüsste allerdings nicht, warum ich es an dich verschwenden sollte.“

„Nun, wenn das so ist…“, gab der Goblin zurück und stocherte weiter auf dem Boden herum.
 

Magenta musterte den unverschämten, kleinen Kerl und entschied sich, ihn nicht zu töten. Seine Seele würde einen erbärmlichen Seelensplitter abgeben und sie hatte nicht vor ihre Zeit zu verschwenden. Sie war hier, um Mor’zul Bloodbringer zu finden und nichts und niemand würde sie davon abhalten. Am allerwenigstens die Tatsache, dass er sich weigerte, sich ihr zu offenbaren.

Sie winkte ihrem Leerwandler Zogoth, der pflichtschuldig die Kiste mit den wertvollen Materialien schulterte, und ihr lautlos nachwaberte. Die gierigen Augen des Goblins folgten ihr, während sie den Pfad zum Altar der Stürme weiter entlang schritt, glitten über den formlosen Körper des blauen Dämons und blieben dann an der Kiste hängen. Neugierig spitzte der Goblin die großen, grünen Ohren.

„Mhm, Arkanit, Drachenschuppen, Dunkeleisenerz und sind das…“ Er schnüffelte wie ein Hund in der Luft. „Elixiere der Schattenmacht und noch einiges anderes. Ein wahres Vermögen, das die Kleine da mit sich herumschleppt. Und vor allem die Zusammenstellung ist interessant. Sehr interessant. Ich glaube, Gorzeeki, da gibt es Arbeit für dich. Vor allem aber viiiel Gold zu verdienen.“

Der Goblin lachte meckernd und eilte dann der jungen Hexenmeisterin nach, die inzwischen das Lager seines Meisters erreicht hatte.
 

„Seid Ihr Mor’zul Bloodbringer? Spackle Thornberry schickt mich zu Euch. Ich bin hier, weil er sagte, Ihr könntet mich lehren, ein Xorothianisches Schreckensross zu beschwören.“
 

Der Mann, der Magenta den Rücken zuwandte, legte das Amulett, an dem er gerade gearbeitet hatte, beiseite und drehte sich zu ihr herum. Sein Gesicht war aschfahl und von dunklen Linien durchzogen. Schwarze Haare hingen ihm in wirren Strähnen am Kopf herab. Über seiner ausnehmend schwarzen Kleidung trug er eine Art Rüstung, die Magenta an das versilberte Gerippe eines Toten erinnerte. Eine Aura von Macht ging von der dunklen Gestalt aus, die sie ein wenig schwindeln ließ. Aber nur kurz. Sie war auf Tricks dieser Art vorbereitet. Ein einfacher Zauber, der unkundige Fremde einschüchtern mochte, doch Magenta hatte ihre Lektion in Bezug darauf gut gelernt. Angst, so wusste sie, war ein mächtiges Werkzeug. Doch man musste es vorsichtig einsetzen. Nur zu leicht konnte ein ängstlicher Mensch auf einmal etwas Unvorhergesehenes, vor allem aber etwas sehr Dummes tun.
 

„Ein Schreckensross wollt Ihr meistern?“, antwortete der Mann. Obwohl er nur leise sprach, hatte Magenta das Gefühl, dass seine Worte in ihren Ohren wiederhallten. „Keine einfache Aufgabe, die Euch eine nicht unerhebliche Menge an Blut, Schweiß und…nun ja, Gold kosten wird. Seid Ihr bereit, all dies zu opfern?“

„Wozu hätte sie es wohl sonst mitgebracht.“, unterbrach ihn eine quäkende Stimme und Magenta bemerkte irritiert, dass der Goblin in der grauen Robe ihr gefolgt war.

„Wildeyes!“ Das Wort war eine Peitschenschnur durch das Gesicht des Goblins. Die grüne Gestalt zuckte zusammen und verbeugte sich unterwürfig.

„Ja Meister, ich werde auf meinen Moment warten.“
 

Der ältere Hexenmeister wandte sich wieder an Magenta und sie sah das Feuer, das tief in seinen Augen schlummerte. Sie kannte dieses Feuer. Es trieb einen an, heizte das Blut auf und vernichtete, im richtigen Augenblick eingesetzt, alle seine Feinde. Und es konnte einen nur zu leicht selbst verbrennen.

„Ein Schreckensross ist ein wilder Dämon, der auf den feurigen Ebenen von Xoroth lebt. Um es in diese Welt zu bringen, muss man mächtige Glyphen aktivieren. Ich kann Euch diese Glyphen auf ein Pergament zeichnen, doch es bedarf dafür einer speziellen Tinte. Einer Tinte aus Blut. Aber nicht irgendein Blut, denn wenn die Beschwörung gelingen soll, muss es wahrhaft mächtiges Blut sein. Blut voller Magie und dunkler Kraft.“

„Und Ihr wisst, wo man solches Blut bekommt?“, fragte Magenta.

„Im fernen Winterspring gibt es einen Stamm von Eulenbestien. Einst waren sie reine Kreaturen, gesegnet von ihrer bleichen Göttin selbst. Doch die dämonischen Ausstrahlungen der Flüsternden Schlucht haben sie wahnsinnig werden lassen. Jetzt töten sie jeden, der sich in ihre Nähe wagt. Ihr Blut jedoch vereint jetzt göttliche und dämonische Macht. Ich brauche es, um Euch die Runen für das Ritual anzufertigen. Bringt es mir. Bringt mir viel davon!“

Magenta nickte verständig. Was bedeuteten schon ein paar wilde Kreaturen mehr oder weniger, wenn es sie ihrem Ziel näher brachte. „Benötige ich noch mehr, Meister Bloodbringer?“

Der Mann wedelte ungeduldig mit der Hand. „Wende dich an meinen Diener, Gorzeeki Wildeyes. Er wird dir erklären, was du sonst noch benötigst. Mich interessiert allein das Blut.“

Magenta verbeugte sich vor dem dunklen Mann, der sie schon wieder vergessen zu haben schien und sich wieder seiner Arbeit zugewandt hatte.

Dann also auf zu dieser Ratte von einem Goblin.
 

Gorzeeki Wildeyes schüttete gerade den Inhalt einer bauchigen Phiole in eine Reibschale, aus der es beunruhigend dampfte. Mit dem Inhalt der Flasche färbte sich der Rauch zunächst violett, dann grün und schließlich wurde er schwarz wie die Nacht. Die fledermausohrige Gestalt nickte eifrig mit dem übergroßen Kopf und füllte den Inhalt der Schale vorsichtig in eine kleinere Phiole. Erst dann widmete er Magenta seine Aufmerksamkeit.
 

„Ah, da bist du ja.“, begrüßte er sie. „Du hast auf dem Weg hierher nicht zufällig eine schöne, fette Spinne gesehen, nein? Oder eine Kakerlake. Ich liebe Kakerlaken. Sie krabbeln so herrlich herum und ihre Panzer knacken so knusprig, wenn man darauf beißt.“

Magenta bemühte sich, das Gesicht nicht vor Ekel zu verziehen. Dieser widerliche, schleimige Diener würde sie bestimmt nicht aus der Fassung bringen.

„Ein Xorothianisches Schreckensross.“, schnappte sie barsch. „Was außer dem Eulenbestien-Blut brauche ich noch dafür?“

„Ah, hat dich der Gute losgeschickt, um ihm ein bisschen Blut zu bringen.“, kicherte der Goblin. „Sieht dem alten Bloodbringer ähnlich. Hat ein echtes Faible für das Zeug. Liebt es, wenn es zu seinen Füßen vergossen wird. Ich persönliche mag es ja lieber in den Adern eines kleinen Nagetiers. Dort bleibt es schön warm, bis man es braucht.“

Er bleckte die kleinen, spitzen Zähne. „Aber du siehst nicht aus, als würdest du solche Delikatessen zu schätzen wissen. Also gut, lass mich sehen. Mor’zul braucht das Blut für die Runen, doch er braucht auch das passende Pergament. Normales würde unter der Magie des Blutes verbrennen. Daher müssen wir es verzaubern und zwar mit Xorothianischem Sternenstaub. Aber den gibt es nur an einem Ort. Warst du schon mal in Felwood?“
 

Magenta nickte. Sie hatte sich für eine Weile in den von dämonischer Magie durchdrungenen Wäldern aufgehalten, um zu lernen, wie man eine Höllenbestie beschwor. Ein schwachköpfiger Gnom und sein vorlauter Wichtel hatten ihr Aufgaben gestellt, die sie mit Bravour gemeistert hatte. Nach ihrer Rückkehr von dort, hatten ihre Lehrmeister beschlossen, dass es Zeit wurde, dass sie sich größeren Herausforderungen stellte. Aber wie es aussah, war sie wieder nur ein einen alternden Hexenmeister mit einem aufmüpfigen Diener geraten, der zudem auch noch goldgierig zu sein schien. Aber was hatte sie erwartet. Immerhin war er ein Goblin!
 

„In Felwood musst du dich nach Jaedenar begeben zum Sitz des Schattenrats. In den Tiefen ihrer Gefilde treibt sich ein Schreckenslord namens Banehollow herum. Allerdings haben die Brüder vom Schattenrat es nicht so gern, wenn man seine Nase in ihre Angelegenheiten steckt. Du hast sicherlich schon von ihnen gehört.“
 

Magenta schnaubte abfällig. Natürlich hatte sie schon von diesem Zusammenschluss von Hexenmeistern gehört. Meist kam man sich einfach nicht in die Quere, wenn man von dem einen Mal absah, wo Magenta mit den Mitgliedern des Dunklen Strangs, einer Abspaltung des Schattenrats, aneinander geraten war. Auf der Suche nach Herzholz für die Beschwörung ihrer Sukkubus war sie in ein Lager des Dunklen Strangs gestolpert und gefangen genommen worden. Doch nicht für lange. Da die anderen Hexenmeister nicht hatten verhandeln wollen, hatte Magenta auf eine günstige Gelegenheit gewartet und dann ihren Anführer, einen Ork namens Ilkrud Magthrull, getötet und sein Zauberbuch an sich genommen. Aus ihm hatte sie das Wissen um die Erschaffung von Seelensteinen erhalten. Ein nützlicher Zauber, der es einem erlaubte, die Seele eines Geschöpfes einzufangen und seine Macht zu nutzen. Dass das Ziel des Zaubers in den meisten Fällen starb, war dabei nur eine unwesentliche Nebenerscheinung.
 

„Nun, ich habe hier einen Trank, der dich mit genau der dämonischen Note umgibt, die den Mitgliedern des Schattenrates anhaftet. Mit ihm wirst du dich frei in Jaedenar bewegen können und…“

„Wie viel?“, schnitt Magenta dem Goblin das Wort ab. Ihr war nicht entgangen, das seine Augen an der Stelle klebten, wo sich ihr Geldbeutel in den Falten ihres Gewands verbarg.

Gorzeeki Wildeyes blinzelte überrascht. „Wie bitte?“

„Wie viel kostet mich der Trank?“, stellte Magenta ihre Frage präziser.

„Oh, nicht viel.“, lächelte der Goblin breit. „Nur sechs lumpige Goldstücke. Dafür bekommst du sogar drei Fläschchen davon und ich verrate dir nicht, dass ich ihn aus verseuchten Kakerlaken gebraut habe.“
 

Tatsächlich ein wenig erstaunt über den geringen Preis, händigte Magenta dem grünhäutigen Gesellen die gefragten Goldstücke aus und erhielt dafür genau die Fläschchen, die Gorzeeki Wildeyes bei ihrer Ankunft vorbereitet hatte. Als sie den Rest ihres gut gefüllten Beutels wieder verstauen wollte, schnalzte der Goblin tadelnd mit der Zunge.

„Nicht so schnell, wir sind noch nicht fertig. Du wirst mehr brauchen als ein bisschen Blut und Sternenstaub, wenn das Ritual gelingen soll. Doch wenn mich nicht alles täuscht, hast du, was ich benötige, bereits mitgebracht.“

Der Goblin wies auf die Kiste in den Händen von Magentas Leerwandler. „Zwei Schattenmachtelixiere, sechs große, glänzende Splitter, drei schwarze Drachenschuppen, einen Arkanitbarren und fünfundzwanzig Einheiten Dunkeleisenerz.“, ratterte er hinunter. „Die perfekten Materialien, um die restlichen Gegenstände für das Ritual zusammenzubauen. Ich frage mich allerdings, woher du das wusstest. Du bist doch wohl nicht etwa ein Spion?“
 

Magenta fühlten den stechenden Blick des Goblins auf sich ruhen. Gerade noch hatte sie zu einer geharnischten Antwort ausholen wollen, doch jetzt, da sie darüber nachdachte, musste sie zugeben, dass die kleine Ratte Recht hatte. Es war tatsächlich eigenartig, dass sie diese Dinge dabei hatte. Zwar waren ihr während des gesamten Weges hierher nicht einmal Zweifel gekommen, dass sie diese Dinge bei sich haben sollte, doch jetzt, da sie es erklären wollte, fehlten ihr die Worte. Sie wusste schlichtweg nicht, warum sie ausgerechnet diese Kiste bei sich trug, ja sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, die einzelnen Komponenten erstanden oder erbeutet zu haben. Das Wissen darüber war einfach verschwunden und das fand sie sehr beunruhigend.
 

Der Goblin kicherte. „Du siehst aus wie ein Fisch, der nach Luft schnappt. Aber keine Sorge, Schnuckelchen, ich verrate dich nicht. Im Gegenteil, ich werde die Sachen sogar für dich aufbewahren und dir daraus die fehlenden Materialien herstellen. Was meinst du dazu?“

Magenta war nicht zu sehr viel mehr als zu einem Nicken fähig. Wortlos bedeutete sie Zogoth, die Kiste neben dem Goblin abzustellen, der sofort das Siegel an ihrem Deckel erbrach und sich kopfüber in Magentas Schätze stürzte. Kurz darauf tauchte er mit einem Stück Pergament in der Hand wieder auf.

„Alles Gute für die Zukunft, C.“, las er vor und sah erwartungsvoll zu Magenta auf. „Ein Freund von dir?“

Die Hexenmeisterin schüttelte erneut den Kopf. Sie wusste nicht, von wem der Brief stammte. Sie wusste überhaupt nichts mehr. Aber sie würde sich lieber die rechte Hand abhacken, als dem kleinen, grünen Teufel etwas davon zu verraten. So straffte sie sich, strich sich die im Wind flatternden Haare aus dem Gesicht und sagte förmlich: „Also Blut und Sternenstaub? Noch etwas?“

Der Goblin winkte ab. „Nein, das wäre erst mal alles. Den Rest bereden wir, wenn du aus Kalimdor wieder zurück bist. Hast du schon einen Reiseplan?“

Magenta verneinte.

„Nun, dann will ich mal nicht so sein und dir noch einen guten Rat mit auf den Weg geben. Und der ist dieses Mal sogar kostenlos.“ Der Goblin zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Begib dich nach Stormwind ins Parkviertel. Die Nachtelfen veranstalten dort ihr alljährliches Mondfest. Diese gutgläubigen Spinner ermöglichen eine Woche lang jedem Dahergelaufenen Zugang zu ihrem geheiligten Moonglade und das liegt, wie es der Zufall will, ganz in der Nähe von Winterspring und Felwood. Also wenn ich du wäre, würde ich ein bisschen gute Miene zum bösen Spiel machen und mich von den Langohren nach Kalimdor bringen lassen. Spart dir eine Menge Zeit und Gold, denn das wirst du an anderer Stelle sehr viel besser gebrauchen können.“

Gorzeeki Wildeyes zwinkerte erneut und grinste dreckig. Magenta hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Stattdessen nickte sie dem kleinen, grünen Kerl nur knapp zu und machte dann auf dem Absatz kehrt. Sie wusste, dass ihr Abgang vermutlich genau nach der Flucht aussah, die er auch tatsächlich war, doch das kümmerte sie in diesem Moment wenig. Nur weg von diesem neugieren Goblin und seinen unangenehmen Fragen, auf die sie keine Antworten hatte.
 

Hinter ihr zerrissen immer noch Blitze die Nacht und für einen Augenblick sah es aus, als würden die leuchtenden Linien den Umriss eines großen, geflügelten Tiers bilden. Ein Donnerschlag ließ die Berge erzittern und kurz darauf klatschten die ersten, dicken Regentropen auf die ausgedörrte Erde nieder. Sie wuschen den Staub auf den Felsen hinfort und tilgten Magentas Fußspuren in der Asche, als hätte es sie nie gegeben.
 


 

Etwas Weiches strich über Schakals Gesicht, gefolgt von einem warmen, feuchten Luftstrom, der irgendwie eigenartig nach ungewaschenem Pullover roch. Der Zwerg brummte unwirsch und öffnete die Augen. Direkt vor ihm schwebte ein braunes, haariges Gesicht mit einer dicken Nase, schiefen Zähnen und einer riesigen Unterlippe. Entsetzt schrie der Zwerg auf und erntete ein erschrockenes Blöken von seinem Gegenüber. Sekunden später traf ihn eine feuchte, grüne Masse mitten im Gesicht.
 

„Hey, weg da! Weg da!“, giftete eine quietschende Stimme. „Geh aus dem Weg, du dummes Vieh!“

Die verschwommenen Umrisse eines grünen Kopf mit spitzen Fledermausohren schoben sich in Schakals Gesichtsfeld, während er sich die stinkende Flüssigkeit aus den Augen wischte.

„Sieh mal an, was wir da haben.“, schnarrte die Stimme weiter, von der Schakal annahm, dass sie einem Goblin gehörte. Nur ein Goblin vermochte es, so viel schlecht verborgene Gier in so wenige Worte zu hüllen. „Ein Zwerg ganz allein in der Wüste.“

„Ein bewaffneter Zwerg.“, grollte Schakal und richtete sich so plötzlich auf, dass der Goblin erschrocken einen Schritt zurücksprang. Auf dem Kopf der grünen Kreatur saß ein riesiger, violetter Turban, während sein magerer Körper in einer schreiend orangefarbenden, viel zu großen Robe steckte. Diverse goldene Amulette, die Schakal mit Kennerblick als falsch einstufte, klimperten leise vor sich hin, als der Goblin den Kopf schief legte und so seinen Turban merklich ins Schwanken brachte.

Um Schakal herum erstreckte sich, soweit er sehen konnte, nichts als weißer Sand und über ihm stach eine brennend heiße Sonne vom Himmel. Seine Zunge fühlte sich klebrig und trocken an und sein Schädel brummte wie nach einer durchzechten Nacht. Allerdings fehlte die wunderbare Erinnerung an all das kühle Bier, das augenscheinlich seine Kehle hinunter geflossen sein musste. Es fehlte sowieso eine ganze Menge an Erinnerung, wie er nach einigem Überlegen feststellte. Zum Beispiel hatte er keine Ahnung wo er war oder wie bei Magnis Bart er hierhergekommen war.
 

„Wo…“, krächzte Schakal und räusperte sich vernehmlich. „Wo bin ich?“

Der Goblin legte den Kopf auf die andere Seite. „Wo du bist?“, wiederholte er ungläubig. Dann begann sich ein zähnestarrendes Lächeln aus seinem Gesicht auszubreiten. „Aber werter Herr? Erinnert Ihr Euch denn nicht? Ihr hattet einen Trip mit meiner Karawane gebucht. Zehn Goldstücke habt Ihr mir versprochen, damit ich Euch auf dem schnellsten Weg zum Dampfdruckpier bringe. Aber dann seid Ihr gerade von Eurem Kamel gefallen und habt Euch ganz offensichtlich den Kopf aufgeschlagen. Aber keine Sorge, wir sind bald da und dann…“

„Du lügst.“, brummte Schakal und stand auf, wobei er versuchte, nicht allzu sehr zu schwanken. „Du hast mich gerade erst gefunden und versuchst jetzt Profit aus der Sache zu schlagen.“

Der Goblin lächelte noch breiter. „Aber nein, wie kommt Ihr denn darauf?“

„Hör zu, wir machen es kurz.“, knurrte Schakal, der nicht zu Späßen aufgelegt war. „Wie der Zufall es will, bin ich tatsächlich auf dem Weg zum Dampfdruckpier. Wenn du mich dorthin bringst, bekommst du ein Goldstück von mir.“

Hinter der grünen Stirn des Goblin arbeitete es. „Zwei.“, sagte er. „Dafür bekommt ihr auch etwas zu trinken? Ich habe wunderbaren Whiskey dabei. Außerdem auch noch ein Fass feinstes Dunkeleisenbräu. Nun, was sagt Ihr?“

„Gemacht.“, sagte Schakal. „Aber ich will nur Wasser. Und etwas zu essen. Ich habe das Gefühl, ich hätte eine Reise von mehreren Tagen hinter mir.“
 

Der Goblin verbeugte sich pflichtschuldig und wuselte davon, um Essen und etwas zu trinken für Schakal zu holen. In Windeseile hatte er auch seine Waren neu auf die restlichen Tiere verteilt, so dass Schakal auf den Rücken des freigewordenen Kamels steigen konnte. Es musste dasjenige sein, das ihn vorhin geweckt hatte, denn es mustere ihn ebenso argwöhnisch wie umgekehrt.

„Nichts für ungut, altes Mädchen.“, brummte Schakal, während er auf einem Stück trockenen Brot herum kaute. Schwankend erhob sich das Tier und kurz darauf schaukelte das Wüstenschiff mit dem Zwerg auf dem Rücken in Richtung Küste.

Ich frage mich nur, was das alles zu bedeuten hat, dachte Schakal bei sich und griff unter sein Hemd. Das Rascheln von trockenem Pergament versicherte ihm, dass seine geheime Fracht noch an Ort und Stelle war. Er wusste zwar, worum es sich handelte, hatte aber keine Ahnung, wie er daran gekommen war oder wer ihn am Dampfdruckpier erwartete. Er wusste nur, dass er sich beeilen musste. Sehr beeilen musste.
 


 


 

„Komm schon, Abbe, beeil dich ein bisschen.“ Navala wippte ungeduldig auf den Zehenspitzen auf und ab. „Wir kommen noch zu spät.“

„Zu spät? Wie kann man zu einem Fest zu spät kommen, das eine Woche dauert?“, lachte der Druide. Trotzdem trottete er gehorsam hinter seiner Schwester her, die wie ein wildgewordener Mondweidenbock auf dem Weg herumsprang und versuchte ihn anzutreiben.

„Jahaaa, das Fest dauert so lange.“, maulte Navala. „Aber wir wollen doch noch zu Geenia Sunshadow. Ich will unbedingt so einen roten Hanbok haben und wenn wir uns nicht beeilen, sind sie ausverkauft. Oh nun komm doch endlich!“
 

Immer noch schmunzelnd folgte Abbefaria seiner Schwester nun schneller durch die mit Laternen und Wimpeln geschmückten Bäume von Moonglade, die dem sonst so düster wirkenden Wald etwas Magisches und Verwunschenes gaben. Vor ihnen auf dem Weg pilgerten noch andere Wanderer nach Nighthaven. Abbefaria war nicht erstaunt, viele Nachtelfen und Tauen unter ihnen zu sehen, aber es gab auch Menschen und sogar einige Zwerge, die der Nachtelf jedoch lieber nur aus der Ferne beäugte. Gänzlich fern hielt er sich von einer Gruppe von Orks, die in voller Rüstung aufmarschiert waren, unter den wachsamen Augen der Wächter von Moonglade jedoch nicht wagten, sich daneben zu benehmen. Zumindest hoffte Abbefaria das. Die Besucher des Mondfestes standen alle unter dem Schutz des Zirkels des Cenarius. Allerdings gab es immer wieder welche, die die gemeinsamen Feierlichkeiten von Horde und Allianz dazu nutzten, einen Streit anzufangen.
 

Navala und Abbefaria erreichten kurz darauf Nighthaven, in dessen Straßen ein ungewöhnlich geschäftiges Treiben herrschte. Unter dem roten Schein der Glückslaternen wandelten die Besucher des Mondfestes lachend und schwatzend dahin und Musik erklang aus den verschiedensten Ecken der Stadt. Immer wieder schossen leuchtende Feuerwerksraketen in den dunklen Nachthimmel und tauchten die Gesichter der Feiernden abwechselnd in rotes, blaues und grünes Leuchten. Der Duft gegarter Festtagsklöße zog durch die Luft, zusammen mit dem Geruch andere gebratener und gesottener Spezialitäten, die die nachtelfische Küche zu bieten hatte. Abbefaria musste lächeln, als sich ein Zwerg mit einem dichten, buschigen Bart bei einer Händlerin darüber beschwerte, dass es weder Bier noch Wildschweinbraten zu essen gab.

„Kimchi?“, knurrte er die unergründlich lächelnde Nachtelfe an. „Was soll das sein? Sieht mir aus wie ganz gewöhnlicher Weißkohl. Dann gib mir in Magni Bronzebeards Namen halt etwas davon und einen von diesen Kirschkuchen. Daran werdet ihr Langohren ja wohl nicht allzu viel falsch machen können.“
 

Der Druide hätte zu gerne noch das Gesicht des Zwergs gesehen, wenn er den für fremde Geschmäcker recht pikanten Kimchi probierte. Aber seine ungeduldige Schwester hatte den Druiden bereits weitergezogen, so dass sich Abbefaria mit dem gedämpften Aufschrei nach etwas zu Trinken in seinem Rücken zufrieden geben musste. Navala hingegen steuerte jetzt mit zielstrebiger Miene ein Geschäft in einer stillen Seitenstraße an und bevor sich der junge Druide versah, hatte sie ihn über die Schwelle ins Innere gezogen.
 

„Siehst du. Das ist Genia Sunshadow. So einen Hanbok wie sie trägt, will ich auch.“, flüstere Navala ihm ins Ohr und deutete auf eine elegante Nachtelfe mit langen, dunkelblauen Haaren, die ein menschliches Paar als Kundschaft hatte. Sie zeigte den beiden gerade ein reich besticktes Kleidungsstück in dunklem Grün, das die Frau in kleine Entzückensschreie ausbrechen ließ. Der Mann nickte und die Frau verschwand mit dem raschelnden Kleid hinter einem Paravent.

Die Nachtelfe sagte noch ein paar leise Worte zu dem Mann, der sichtlich nervös lächelte, und kam dann mit einem freundlichen Gesichtsausdruck auf Abbefaria und seine Schwester zu. Sie trug ein Kleid mit einem engen, roten Oberteil, das im unteren Bereich in einen weiten, rußfarbenden Rock überging, der ihr bis zu den Fußspitzen reichte.
 

„Elune’adore, meine Freunde. Seht Euch ruhig um. Oder seid Ihr auf der Suche nach etwas Bestimmten?“

Navala warf Abbefaria einen auffordernden Blick zu. Er seufzte innerlich und antwortete: „Wir sind auf der Suche nach einem traditionellen, roten Hanbok.“

Genias Gesicht verzog sich zu einem mitleidigen Lächeln. Sie deutete eine Verbeugung an. „Ich bin untröstlich, aber es hat heute bereits jemand den letzten gekauft. Es ist ein sehr beliebtes Kleidungsstück zum Fest. Gefertigt aus dunkelroter Seide und edelstem Nachtschattenramie, der nur hier auf der Mondlichtung gedeiht. Da meine Vorräte erschöpft sind, wird es etwa ein oder zwei Monate dauern, bis ich wieder einen fertigen kann.“

Navala ließ ein enttäuschtes Schnauben hören. „Ich wusste, dass wir zu spät sind.“

Die Verkäuferin verbeugte sich noch einmal. „Vielleicht wollt Ihr Euch einen der weißen Hanboks aussuchen. Sie würden Euch sicherlich wunderbar stehen und die Farbe ist auch eher Eurem Alter entsprechend.“

Genia Sunshadow ließ die beiden Geschwister allein, um sich wieder ihren menschlichen Kunden zu widmen. Zunächst mit Erstaunen und dann voll dunkler Vorahnungen sah Abbefaria, wie ein ganzer Haufen Goldmünzen den Besitzer wechselte, während die Frau das grüne Kleid an ihre Brust drückte.

„Ich werde sie alle ausstechen.“, jubilierte sie glücklich. „Ein nachtelfisches Hochzeitskleid hatte keine meiner Freundinnen.“
 

Navala hatte sich inzwischen mit einem schicksalsergebenen Seufzen für einen weißen Hanbok entschieden, der durch seinen roten Rockteil viel mehr Rot beinhaltete als der „rote Hanbok“, den Genia trug. Eine Tatsache, die Abbefaria, als er sie Navala gegenüber zur Sprache brachte, nur ein Kopfschütteln und ein Hochziehen ihrer Augenbrauen einbrachte und außerdem eine Bemerkung darüber, dass er eben keine Ahnung von Mode habe. Zu Abbefarias großer Erleichterung kostete der weiße Hanbok nur einen Bruchteil dessen, was die Menschen in Genia Sunshadows Geschäft gelassen hatten. Er bezahlte den genannten Preis und war froh, als er mit Navala an seiner Seite wieder auf die Straße trat.

Seine Schwester zupfte an seinem Ärmel. „Komm, lass uns was essen gehen. Ich sterbe vor Hunger.“

„Eine gute Idee.“
 

Die beiden Nachtelfen wollten sich gerade wieder in Richtung der belebteren Straßen machen, als die Gruppe von Orks, die Abbefaria schon zuvor bemerkt hatte, ihnen den Weg vertrat. Die breiten Gestalten stießen sich gegenseitig in die Seiten und einer der Vier sagte etwas, woraufhin die anderen in boshaftes Gelächter ausbrachen. Der junge Druide fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.

Auf dem Gesicht des Anführers, eines dunkelgrünen Orks mit einem abgebrochenen Stoßzahn und einer riesigen Streitaxt auf dem Rücken, erschien ein hämisches Grinsen. Er deutete auf Abbefaria und Navala und grunzte etwas in seiner eigenen Sprache. Obwohl Abbefaria ihn nicht verstand, war die Herausforderung in seinem Tonfall nicht zu überhören.
 

„Komm, Schwesterchen, wir gehen.“, sagte Abbefaria leise und schob Navala gleichzeitig in die entgegengesetzte Richtung der Orks. Kaum hatten sie ein paar Schritte getan, setzten sich die finsteren Gestalten ebenfalls in Bewegung und folgten ihnen.

Abbefarias Gedanken überschlugen sich. Er konnte unmöglich einen Kampf mit den Orks riskieren, schon gar nicht, wenn Navala dabei war. Ihnen blieb nur, sich am nahen Stadtrand in die Büsche zu schlagen und auf überlegene Tarnung seiner Rasse zu setzen. Mit Glück würden die Orks schnell die Lust an der Sucherei verlieren und wieder in die Stadt zurückkehren.
 

Abbefaria erkannte den entscheidenden Fehler in seinem Plan, als eine weitere, breit gebaute, grüne Gestalt auf ihren Fluchtweg trat, kurz bevor sie den Wald erreichten. Verdammt, es waren fünf Orks gewesen, nicht vier. Einer von ihnen hatte sich um die Nachtelfen herumgeschlichen und ihnen den Weg abgeschnitten. Hastig wechselte der Druide die Richtung und führte seine Schwester auf einen schmalen Pfad, von dem er hoffte, dass er sie ebenfalls aus der Stadt bringen würde. Feuchtes Gras raschelte unter ihren Füßen und in der Nähe konnte man das Rauschen des nahen Wasserfalls hören. An dieser Stelle vereinigten sich die Flussläufe, die ganz Nighthaven durchzogen, und stürzten gemeinsam in das Wasserbecken des Elune’ara Sees. Hinter ihnen grölten die Orks weitere Beschimpfungen.
 

Eine steile Treppe wand sich vor ihnen in die Höhe und an ihrem oberen Ende angekommen überlief es Abbefaria eiskalt. Sie waren auf der Aussichtsplattform gelandet, deren hölzerne Konstruktion sich weit über den Rand des großen Wasserfalls erstreckte. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick über den See und konnte sogar die Ausläufer des Grabhügels erkennen, in denen der große Erzdruide Malfurion Stormrage den Smaragdgrünen Traum träumte. Die Terrasse hatte nur einen entscheidenden Fehler: Sie hatte keinen zweiten Ausgang.
 

Der Druide wirbelte herum, doch es war bereits zu spät. Unter höhnischem Gelächter betraten die Orks ebenfalls die Plattform. Abbefaria schob Navala hinter sich und trat einen Schritt zurück.

Der Ork mit dem abgebrochenen Stoßzahn zischte böse und zeigte auf den Druiden. Er ballte die rechte Hand zur Faust und hieb damit in seine andere Pranke. Eine Geste, die Abbefaria nur zu gut verstand. Verzweifelt versuchte er aus den Augenwinkeln irgendwelche Wachen zu erspähen, denn er wagte es nicht, den Ork aus seinem Blick zu lassen. Trotzdem traf ihn der erste Schlag völlig unvorbereitet.
 

Der Ork sprang mit unglaublicher Geschwindigkeit auf ihn zu und schlug ihm die flache Hand mit der Kraft eines stählernen Hammers gegen die Brust. Der Schlag trieb die Luft aus Abbefarias Lungen. Um Atem ringend taumelte er rückwärts und stieß Navala dabei zur Seite. Seine Schwester schrie auf und wollte sich auf den Ork stürzen, doch Abbefaria vertrat ihr den Weg.

„Misch dich nicht ein!“, keuchte er und spuckte ein wenig Blut aus. „Ich schaffe das schon.“

„Bist du verrückt, die zermalmen dich!“, rief seine Schwester mit schriller Stimme.
 

Abbefaria achtete nicht mehr auf sie, sondern wich dem nächsten Hieb des Anführers aus, so dass dieser von seinem eigenen Schwung ein Stück nach vorn und gegen die Brüstung getragen wurde. Das Holz ächzte protestierend, als der Ork mit seinem vollen Gewicht dagegen krachte. Knurrend warf sich die grüne Gestalt herum und griff nach seiner Waffe. Mit einem scharrenden Geräusch glitt die Kriegsaxt aus ihrer Scheide und die gekerbte Schneide funkelte gefährlich im Mondlicht.

Der Ork grunzte etwas, das Abbefaria nicht verstand. Allerdings sprach die Mordlust in seinen Augen Bände. Zischend sauste die Axt durch die Luft und zertrümmerte die Bodenbalken dort, wo Abbefaria gerade noch gestanden hatte. Der Druide hatte sich mit einem Sprung in Sicherheit gebracht und balancierte jetzt auf der Einzäunung der Aussichtsterrasse. Hinter ihm schossen tosend die gewaltigen Wassermassen in die Tiefe. Der Ork brüllte wütend und reckte die geballte Faust empor. Leichter, als Abbefaria lieb war, zog er die Axt wieder aus den gesplitterten Balken und ließ die Schneide über dem Kopf kreisen.
 

Abbefaria, der die Arme ausgestreckt hatte, um auf dem glitschigen Untergrund das Gleichgewicht zu halten, raunte seiner Schwester zu: „Wenn er sich in Bewegung setzt, rennst du auch los. Seine Kameraden achten nicht auf dich. Nutze ihre Abgelenktheit, um zu entkommen und hol Hilfe. Ich halte sie hier so lange auf.“

Navala wollte etwas erwidern, doch ihre Antwort ging im Kriegsgebrüll des Orks unter. Mit wutverzerrtem Gesicht und hoch erhobener Axt stürmt der Krieger auf Abbefaria zu um ihn und das Geländer gleichermaßen in Stücke zu hacken.

Abbefaria spannte die Muskeln zum Sprung und wartete auf den richtigen Augenblick. Der Ork mochte stark sein, doch Abbefaria hatte bemerkt, dass die Balustrade aus Eisenholz gefertigt war, dem härtesten Holz, das es in den Wäldern zu finden gab. Man konnte es nicht mit herkömmlichen Werkzeugen bearbeiten und eine normale Axt zerbrach eher, als dass sie einen Eisenholzbaum fällte. Und genau darauf setzte Abbefaria jetzt.
 

Der Ork war bereits heran und seine Axt raste auf die Balustrade zu. Kurz bevor er Abbefarias Zehen durchtrennte, sprang der Druide in die Luft, vollführte einen Rückwärtssalto und landete ein Stück weit von dem Ork wieder auf der Umzäunung. Mit einem knirschenden Geräusch grub sich die Axt ein Stück weit in das eisenharte Holz, bevor die Schneide mit einem gequälten Geräusch stecken blieb. Der Ork heulte auf vor Wut.
 

Abbefaria hingegen hatte keine Zeit, sich an dem entsetzten Gesicht des Orks zu erfreuen. Das Holz unter seinen Füßen hatte unter der Wucht des Schlags zu zittern begonnen und die Feuchtigkeit tat ihr Übriges. Als der Ork seine Waffe mit einem Ruck wieder befreite, kippte die Welt des Druiden aus den Fugen. Unten wurde oben und er sah vor sich nur noch die schäumende, weiße Gischt des Wasserfalls, die kurz darauf über ihm zusammenschlug.

Die Strömung war so gewaltig, dass er sofort weiter unter Wasser gedrückt wurde. Der Strom riss ihn mit sich und die wenige Luft, die ihm geblieben war, entwich in schimmernden Blasen in Richtung Oberfläche, als er mit dem Rücken gegen einen Felsen prallte. Halb besinnungslos zogen ihn die Wassermassen weiter nach unten, bis der Sog langsam geringer wurde und die Strömung sich in der Tiefe des Sees verlor.
 

Ich muss wieder nach oben, dachte Abbefaria angestrengt.

Entschieden begann er Richtung eines hellen Flecks vor ihm zu paddeln, bis er merkte, dass der Druck auf seinen Ohren immer stärker wurde. Verwirrt wendete er sich um, nur um unendlich weiter über seinem Kopf die Wasseroberfläche zu erblicken. Schon begannen bunte Sterne vor seinen Augen zu tanzen und der Drang, Luft zu holen, wurde unerträglich. Der helle Fleck hingegen bewegte sich jetzt von unten auf ihn zu.

Nein. NEIN!
 

Der Druide begann panisch zu paddeln, als ihm klar wurde, was dort durch die Fluten herannahte. Unter den Wassern des Elune’Ara Sees, das wusste jeder Nachtelf, schlummerte eine uralte Kreatur, Omen, der weiße Dämonenwolf. Einst hatte Omen mit Elunes Segen an der Seite der Ältesten gegen die Brennende Legion gekämpft. Doch die dämonische Verderbnis hatte den Halbgott geschwächt und ihn schließlich in einen tiefen Schlaf versetzt, aus dem er Jahrzehnte später als das dämonische Ungeheuer erwachte, das er jetzt war. Da sie den durch Elunes Segen unsterblich gewordenen Omen nicht hatten töten können, hatten die Ältesten ihn auf den Grund des Elune‘ara Sees verbannt. Dort schlief er das Jahr über und regte sich nur zur Zeit des Mondfestes in seinem Schlummer.
 

Irgendetwas muss ihn geweckt haben, schoss es Abbefaria durch den Kopf, während seine Lungen zunehmend nach Luft schrien und die bunten Sterne durch schwarze Punkte abgelöst wurden. Ich muss schneller schwimmen, ich muss schneller schwimmen.

Plötzlich begann sich seine Gestalt zu wandeln. Seine Arme und Beine wurden kürzer, sein Gesicht länger, sein Körper stromlinienförmig. Der Druck auf seinem Brustkorb ließ nach und statt mühevoll gegen die Wassermassen anzupaddeln, schoss er plötzlich wie ein Pfeil durch das Wasser. Das Ufer sprang ihm förmlich entgegen, während er den großen, weißen Schatten weit hinter sich ließ. Mit einem kräftigen Satz und einem Schlag seiner Schwanzflossen – Flosse? – durchbrach er die Wasseroberfläche und segelte ein Stück weit durch die Luft, bis er höchst unsanft auf dem Bauch im harten Sand landete. Ein blökender Schmerzensschrei entwich ihm, bevor sein Körper sich von selbst wieder zu verändern begann. Fell, Schnurrhaare und Flossen verschwanden wieder und zurück blieb nur ein völlig durchnässter, atemloser, junger Druide, um den sich in diesem Moment ein gutes, halbes Dutzend Personen am Seeufer versammelte.
 

„Was ist hier los? Was geht hier vor?“

Ein Nachtelf drängte sich zwischen den Feiernden und den gut gerüsteten Wachen hindurch, die ihm bereitwillig Platz machten. Am Ufer angekommen fasste er Abbefaria scharf ins Auge.

„Gibt es ein Problem?“

Abbefaria schüttelte stumm den Kopf. Er kannte den anderen Nachtelfen. Dendrite Starblaze war einer seiner Lehrer und verantwortlich für das Lehren der Tierformen. Sein strenges Äußeres bildete ein wunderbares Abbild seines Charakters.

„Abbefaria, nicht wahr?“, fragte Dendrite Starblaze jetzt. „Wie oft soll ich Euch jungen Druiden eigentlich noch einbläuen, dass der Eulune’ara See während des Mondfestes kein geeigneter Ort ist, um dort Mutproben auszutragen.“

„Lass es gut sein, Dendrite.“, tönte ein tiefer Bass aus dem Hintergrund. „Ich habe gesehen, wie der Bursche sich mehr als meisterhaft seiner Wasserform bedient hat, um Omen zu entkommen. Und es ist doch niemand verletzt worden.“

„Loganaar.“, begrüßte Dendrite Starblaze den Neuankömmling. Abbefaria erkannte in dem großen Nachtelfen mit den grünen Haaren und den breiten Schultern einen weiteren Druidenlehrer. Er selbst hatte bei ihm jedoch noch keinen Unterricht gehabt, da Loganaar zumeist die Druiden der höheren Stufen unterrichtete. Er lächelte und hielt Abbefaria seine Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

„Du solltest ihn lieber loben, dass er deine Lektion so gut verstanden hat.“

„Das Problem daran ist, dass ich ihm diese Tierform noch überhaupt nicht beigebracht habe.“, antwortete Dendrite Starblaze säuerlich. „Es war also ein unbestreitbarer Leichtsinn, zu dieser Zeit hier schwimmen zu gehen.“
 

„Abbe?“ Navalas Stimme schlüpfte durch die Menge zu dem erschöpften Druiden hindurch und kurz darauf schloss seine Schwester ihn ungeachtet der Tatsache, dass er immer noch pitschnass war, in die Arme. „Ich hab mir solche Sorgen gemacht. Ich dachte, du wärst tot.“

„Das hätte auch gut passieren können.“, unterbrach Dendrite Starblaze sie. „Was tut ihr beide hier?“

„Verzeiht, Meister Starblaze, aber es war nicht unsere Schuld.“, erwiderte Navala und verbeugte sich eilig. „Die Orks. Sie haben uns verfolgt und angegriffen. Im Verlauf des Kampfes wurde mein Bruder in den See geworfen.“

„Orks?“ Die beiden älteren Druiden tauschten fragende Blicke.

„Ich glaube, ich weiß, von wem sie sprechen.“, mischte sich einer der Wächter ein. „Die Burschen waren auf Streit aus. Nyleana und ich haben sie beobachtet und dann aber aus den Augen verloren.“

„Ich verstehe.“, nickte Dendrite Starblaze. „Geht und findet diese Orks. Und ihr zwei wartet auf mich in meinem Haus auf dem Hügel. Ich brauche Euch vielleicht noch, um die Missetäter zu identifizieren.“
 

Während die Wachen ausschwärmten, um die Orks zu suchen, machten sich die beiden jungen Nachtelfen auf den Weg zu Dendrite Starblazes Domizil. Abbefaria spürte, dass ihn jemand beobachtete und als er zurückblickte, sah er Loganaar am Ufer des Sees stehen. Der ältere Druide sah ihm mit unverhohlener Neugier nach und Abbefaria wandte schnell den Blick ab, damit er ihnen nicht folgte. Er hatte Angst, dass der Ausbilder ihm Fragen stellen würde, die er nicht beantworten konnte. Zum Beispiel wo diese wundersame Verwandlung hergekommen war, von der sich Abbefaria immer noch nicht erklären konnte, wie sie ihm gelungen war.

Er wusste, dass nur wenige Druiden seiner Ausbildungsstufe, unter ihnen ein gewisser Easygoing, diese Verwandlung beherrschten. Er selbst hatte sich jedoch nie besonders für das nasse Element interessiert und andere Studien dem Erlangen weiterer Tierformen vorgezogen. Er wusste, dass er damit ein Außenseiter war, denn die meisten seiner Mitschüler sahen es als höchste Kunst an, sich der Natur in einer Tierform vollkommen anzupassen. Er selbst hingegen verließ sich normalerweise lieber auf seinen Verstand als auf seine Instinkte. Eben darum war ihm diese intuitive Verwandlung ein wahres Rätsel. Beunruhigt ergriff er Navalas Hand und betrat mit ihr Dendrite Starblazes Haus auf dem Hügel, von dem aus man ganz Nighthaven überblicken konnte. Dort ließen sich die beiden schweigend auf eine Bank sinken und warteten.
 


 


 

Als die Sonne sich schon wieder ihrem Zenit näherte, kamen endlich die rundlichen Dächer des Dampfdruckpiers in Sicht. Schakal seufzte erleichtert, stellte ihm das doch in Aussicht, endlich von diesem schaukelnden Wüstenschiff herunterzukommen, auf dem er sich mittlerweile schon blaue und grüne Flecken in den Po geritten hatte. Nicht zu vergleichen mit der angenehmen Reise auf einem anständigen, zwergischen Reitwidder.

„Wir sind da.“, quakte der Goblin unnötigerweise, als sie die Stadt erreichten. Der Bursche fing so langsam an, Schakal mächtig auf den Zeiger zu gehen.

„Das sehe ich selbst.“, knurrte der Zwerg zurück und rupfte an den Zügeln seines Kamels, damit das elendige Vieh endlich anhielt und ihn absteigen ließ. Auf dem Boden angekommen hatte er das Gefühl, der Sand unter ihm würde immer noch schwanken. Er ließ den Hals nach rechts und links kippen und kreiselte ein paar Mal mit den Armen, um wieder Blut in die leblosen Glieder zu bekommen. Er bezahlte den Goblin, der ihm überschwänglich für den vermutlich vollkommen überzogenen Lohn dankte, und setzte sich dann in eine ganz bestimmte Richtung in Bewegung, von der er den Eindruck hatte, dass es die richtige war.
 

Als seine Füße ihn bis vor ein heruntergekommenes Wirtshaus getragen hatten, blieb Schakal stehen und äugte vorsichtig in das Innere des schäbigen Hauses. Es war niemand zu sehen, wenn man mal von einem mageren, sandfarbenden Hund absah, der in einer Ecke unter der Theke sein Mittagsschläfchen hielt. Kurzentschlossen stieß Schakal die Tür auf und betrat den kühlen Wirtsraum.

„Hallo?“

Schakal lauschte, doch niemand antwortete ihm. Stattdessen polterte etwas unter seinen Füßen und gedämpfte Stimmen drangen durch die Bodendielen zu ihm empor. Wer immer dieses Gasthaus betrieb, schien sich gerade im Keller aufzuhalten.

„Nun gut, dann sehen wir doch mal nach, wen wir da unten haben.“, brummte Schakal und suchte nach einer Tür, die ihm Zugang zu den Gewölben verschaffen konnte. Leise schlich er daraufhin die Treppe hinunter und warf einen verstohlenen Blick um die Ecke in einen hellerleuchteten Kellerraum, in dem wirklich Seltsames vor sich ging.
 

„Ihr müsst Geduld haben.“, versicherte ein weißhaariger Nachtelf in einer blauweißen Robe gerade einer höchst eigenartigen Ansammlung von Gestalten. Da gab es einen weiteren Nachtelfen, der finster dreinblickte und mit einem Dolch Verzierungen in die Tischplatte schnitzte. Beobachtet wurde er dabei von einem ebenfalls missmutig aussehenden, leicht ungepflegten Mann, an dessen Gürtel Schakal ein Schlüsselbund erspähte. Die Schlüssel mussten Schakals fachmännischer Einschätzung nach in ein gutes Dutzend Türen des Gasthauses passen. Es handelte sich somit vermutlich um den Besitzer desselben. Der Vierte im Bunde war zu Schakals Verwunderung ein Zwerg, wenngleich auch einer vom geächteten Clan der Dunkeleisenzwerge. Allesamt finstere Gesellen, denen man nicht über den Weg trauen konnte. Und doch hatte Schakal das Gefühl, dass genau dieser Zwerg das Ziel seiner Reise darstellte, auch wenn er sich nicht erklären konnte, warum das so sein sollte. Die letzten beiden Vertreter der Runde erstaunten Schakal jedoch am allermeisten, kannte er die beiden doch von einigen, gemeinsamen Abenteuern, wenngleich auch auf einem völlig anderen Kontinent. Vor lauter Verwunderung vergaß er alle Vorsicht.
 

„Emanuelle? Risingsun?“, platzte es aus ihm heraus. Sofort fuhren alle Anwesenden zu ihm herum und er sah sich im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.

„Schakal!“ Emanuelles Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln. „Ich hatte doch gleich so ein Gefühl, dass du es bist, auf den wir warten. Gib zu, Rising, ich hab’s euch gesagt.“

Die blonde Paladina nickte und stemmte die Hand in die Hüfte. „Wenn ich gewusst hätte, dass du der zweite im Bunde bist, den Ironband beauftragt hat, hätten wir die Steintafeln auch zusammen besorgen können. Ich dachte, du wolltest Ironforge nach unseren Abenteuern in Uldaman vorerst nicht mehr verlassen.“

„Äh, ja wollte ich auch nicht.“, stotterte Schakal etwas verwirrt. Er erinnerte sich daran, mit Risingsun, einem Magier namens Abumoaham und dem tapferen Krieger Bladewarrior in die Tiefen der alten Zwergenstadt Uldaman vorgedrungen zu sein. Zunächst hatte sie auch noch eine Hexenmeisterin namens Magenta begleitet, die Schakal im Grunde gut leiden konnte. Doch die junge Frau hatte sich eines Nachts klammheimlich abgesetzt und niemand aus der Gruppe hatte sie großartig vermisst. Danach war die Paladina mit den beiden Männern weiter zum Kral der Klingenheuer ins südliche Brachland gereist, während Schakal es vorgezogen hatte, sich wieder der warmen Umarmung seiner Heimatstadt Ironforge hinzugeben. Ein guter Vorsatz, der nur so lange gehalten hatte, bis ihn sein König, Magni Bronzebeard, zusammen mit einer Gruppe andere Zwerge in die Tiefen des Blackrocks geschickt hatte, um dort seine verschwundene Tochter zu suchen. Irgendwie war er dabei auch in den Besitz der Abschrift zweier Trolltafeln gelangt, die sich jetzt gut versteckt an seiner Brust befanden. Allerdings war die Erinnerung an dieses Abenteuer eher schwammig. Vermutlich war das der Gesellschaft der andere Zwerge geschuldet. Sein Volk hatte die Angewohnheit, einige Dinge unter dem hilfreichen Einfluss von Bier in die Hand zu nehmen. Eben jene erwähnten Trolltafeln waren es, die ihn schließlich hier nach Tanaris gebracht hatten, wo er sie einem gewissen Ausgrabungsleiter Ironboot anvertrauen sollte und das konnte in diesem Raum eigentlich nur einer sein.
 

„Seid Ihr Ironboot?“, fragte er den Dunkeleisenzwerg.

„Seid Ihr Schakal?“, fragte der zurück und grinste. „Ich glaube, Ihr habt da etwas für mich. Kommt her und lasst mich sehen.“

Schakal händigte dem Dunkeleisen die Pergamente aus, die dieser sogleich gierig zu lesen begann. Während seine Augen nur so über die Buchstaben flogen, verdunkelte sich seine Miene von Zeile zu Zeile. Am Ende des Textes stieß er einen zwergischen Fluch aus, der jeden von zarterem Gemüt sofort hätte in Ohnmacht fallen lassen. Schakal hingegen war da nicht so.

„So ernst?“, wollte er wissen und starrte ebenfalls auf die ihm unverständlichen Schriftzeichen.

„Noch schlimmer.“, grollte Ironboot. „Der Troll Yeh’kinya hat Euch…hat uns alle belogen! Das Ei, das Ihr ihm geliefert habt, dient nicht dazu, Hakkars Essenz zu bändigen und das Böse für immer einzuschließen, sondern ihm erst wieder zu seiner wahren Form zurück zu verhelfen.“

„Was?“, riefen Emanuelle und Schakal gleichzeitig. Doch während der Zwerg gar nicht wusste, um was es eigentlich ging, schien die kleine Gnomin nur zu gut zu verstehen. Sie wurde ganz blass um die Nase.

„Wir müssen ihn aufhalten!“, ließ sich jetzt der grimmige Nachtelf vernehmen. „Komm Cere, den verlogenen Troll kaufen wir uns.“

„Wartet, ich komme mit Euch.“, rief jetzt auch Risingsun und ergriff ihren Streitkolben.

„Ich komme auch mit.“, piepste Emanuelle. „Dieser hundsgemeine Lump. Mein Vertrauen so zu missbrauchen.“

Schakal, der immer noch nicht verstand, worum es eigentlich ging, zuckte schicksalsergeben mit den Achseln. „Mir erklärt ja hier sowieso keiner was. Also los, schnappen wir uns diesen Yenki-Dingensda.“
 

Mit Ironboots Warnung, vorsichtig zu sein, in den Ohren überschlug sich die Truppe förmlich dabei, die Treppe zum Gasthaus hinauf zu eilen und hinaus in die gleißende Sonne zu strömen. Schakal ließ sich von der allgemeinen Aufregung mitreißen. Sie spülte ihn zu einer baufälligen Hütte trug, vor der ein Troll mit einer roten Haarmähne im Begriff war, die Stadt zu verlassen. Zumindest ließen die diversen Gepäckstücke und der neben ihm angebundene Raptor diesen Schluss durchaus wahrscheinlich erscheinen.

Als er sie kommen sah, sprang der Troll hastig auf, warf seine Habseligkeiten von sich und hangelte sich auf das Dach seines Hauses. Oben angekommen blickte er mit einem breiten Grinsen zu ihnen hinunter.
 

„Yeh’kinyah!“, rief Emanuelle mit überschnappender Stimme. „Gib uns sofort das Ei zurück. Du hast uns belogen! Du bist gar kein netter Kerl!“

Das Grinsen des Trolls wurde breiter. „Ich sehe, ihr habt mit diesem alten Narren Ironboot geredet. Wie es scheint, hat er die fehlenden Schrifttafeln von Mosh’aru wiedergefunden und entziffert. Dieser Ausgrabungsleiter muss seine Nase aber auch überall hineinstecken. Aber das ist jetzt nicht mehr von Belang. Es ist ohnehin zu spät, um diese Welt zu retten. Das Ei ist bereits auf dem Weg nach Zul’Gurub und dort wird Hakkar wieder geboren werden. Er wird kommen und diese Welt regieren mit Blut und Terror!“
 

Yeh’kinya zischte wie eine Schlange, als der Nachtelf mit dem Dolch plötzlich hinter ihm auf dem Hausdach erschien. Rückwärts bewegte der Troll sich auf den Rand des Daches zu, wo er stehenblieb und die Arme ausbreitete. Fast ein wenig mitleidig sah er über die Schulter zu der wutschäumenden Gnomin hinab.

„ Es ist wahr, kleine Emanuelle. Der Stamm der Hakkari ist dir zu großem Dank verpflichtet. Allein deine Gutgläubigkeit hat die Rückkehr des Seelenschänders erst möglich gemacht. Die Räder des Schicksals haben begonnen sich zu drehen. Unaufhaltbar bringen sie die Wiedergeburt von Hakkar näher und ihr könnte nichts mehr dagegen tun. Gar nichtssss.“
 

Er warf den Kopf zurück und lachte aus vollem Hals. „BLUT UND SEELEN FÜR HAKKAR! AHAHAHAHAHAHA!“

Mit einem Aufschrei stürzte sich der Nachtelf mit dem Dolch auf den hohnlachen Troll, doch dieser wich ihm fast spielerisch aus und lachte nur noch mehr. Immer noch grinsend winkte er dem Nachtelfen zum Abschied und stürzte sich ohne weitere Vorwarnung vom Dach.
 

Der Körper des Trolls hätte wie ein Stein zu Boden fallen müssen. Stattdessen ging eine unheimliche Verwandlung mit ihm vor. Sein Leib wurde lang und dünn, während sich seine ausbreiteten Arme zu gefiederten Schwingen umformten und sein Kopf zu einem aufgerissenen Maul voller spitzer Zähne wurde.

„In Deckung!“, rief Risingsun und riss Emanuelle zu Boden. Über ihre Köpfe sauste mit einem wütenden Zischen eine rote, gefiederte Schlange hinweg. Ihr langer, dünner Schwanz erwischte die Paladina noch im Gesicht, bevor das Reptil sich endgültig in die Lüfte schwang und unter höhnischem Gezischel in den blauen Wüstenhimmel verschwand.

Zurück blieb eine ratlos dreinblickende Truppe von Abenteurern. Risingsun war die Erste, die wieder zur Besinnung kam. Sie wischte sich das Blut von der Wange und ließ den Schnitt mit einem schnellen Heilzauber verschwinden. Dann sah sie sich in der Runde um.

„Nicht ganz das Ende, das wir geplant hatten. Wir sollten Ausgrabungsleiter Ironboot davon berichten. Er wird wissen, was jetzt zu tun ist.“
 

Der Dunkeleisenzwerg war ebenso wenig erfreut über die Nachricht von der Wiederbelebung Hakkars – einer alten, grausamen Trollgottheit, wie Schakal inzwischen erfahren hatte – wie sie es erwartet hatten. Er starrte eine Weile lang ins Leere, bis er schließlich seufzte und seinen Hut abnahm, um sich mit einem großen Taschentuch die Stirn abzuwischen. Dann setzte er den Hut wieder auf und sagte:

„Wir hatten das Schlimmste erwartet und es kam noch schlimmer. Die alten Legenden berichten von Hakkars Herrschaft voller Gewalt, Terror und Menschenopfer. Seine Macht war grenzenlos. Wenn er tatsächlich wieder geboren wurde, steht Azeroth eine schwere Zeit bevor, meine Freunde, denn er wird sich nicht damit zufrieden geben, nur innerhalb der alten Ruinen die Herrschaft zu übernehmen. Er wird danach streben, die ganze Welt ins Chaos zu stürzen. Doch vielleicht gibt es noch Hoffnung. Es gibt eine Stamm Trolle auf der Insel Yoyomba.“

„Die Zandalari.“, brummte Schakal. Als Ausgrabungsleiter Ironboot ihn fragend ansah, wies Schakal auf Risingsun und Emanuelle und sich selbst. „Wir drei waren schon mal da. Waren nette Leute. So für Trolle, meine ich.“

Der Dunkeleisenzwerg nickte. „Sie sind uns freundlich gesinnt und verfügen vielleicht über das Wissen, wie diese Katastrophe noch zu verhindern ist. Jemand muss zu ihnen reisen, sie warnen und um Hilfe bitten.“

„Das übernehme ich.“, sagte Emanuelle sofort. Die Gnomin war immer noch blass, aber in ihren Augen funkelte die grimmige Entschlossenheit einer hinters Licht geführten Frau. Für einen kurzen Augenblick bedauerte Schakal Yeh’kinyah, denn wenn Emanuelle den Troll erst einmal aufgespürt hatte, dann wollte er lieber nicht in dessen Haut stecken.

Unternehmungslustig wandte die Gnomin sich an die beiden Nachtelfen. „Was ist mit euch, Ceredrian? Deadlyone? Begleitet ihr mich?“

Der Nachtelf mit dem weißen Pferdeschwanz verneigte sich respektvoll. „Dies ist sicher eine ehrenvolle Aufgabe und ich spüre ebenfalls den Drang, mich dieser Unternehmung anzuschließen. Zunächst jedoch sollten wir nach Darnassus zurückkehren. Unsere Anführer sollten Kunde von dieser Entwicklung haben und nicht zuletzt würde ich gerne meinen Cousin Easygoing davon in Kenntnis setzen. Zusammen werden wir dann beraten, ob es angelegen ist, dass wir uns Eurer Sache anschließen.“

Während der finster blickende Nachtelf dazu nur nickte, überlegte Schakal, was er selbst tun sollte. Zwar war ihm nicht wohl bei der Sache, aber immerhin war die Insel Yoyomba ein ganzes Stück näher an Ironforge dran als Tanaris. Da meldete sich Risingsun zu Wort.

„Ich werde nicht mitkommen.“, verkündete die Paladina. „Zwar sehe ich ein, dass dies ein wichtiges Unterfangen ist, aber die Argentumdämmerung erwartet mich, sobald ich kann, wieder zurück in den Westlichen Pestländern. Uns steht ein großer Schlag gegen die Geißel bevor und ich würde dem gerne beiwohnen. Wäre es wohl möglich, Emanuelle, dass Ihr mich zuerst nach Ironforge bringt, bevor Ihr zu den Trollen aufbrecht?“

Emanuelle versicherte ihr, dass das absolut kein Problem sei. Schakal rang noch einen Augenblick mit sich, dann überwog etwas, von dem er sich weigerte, es seinen inneren Schweinehund zu nennen und es lieber als Vernunft betitelte.

„Ich werde ebenfalls in Ironforge bleiben.“, sagte er mit fester Stimme. „Ich habe genug vom Herumreisen und den ganzen Abenteuern. Wenn´s Recht ist, würde ich gerne einfach nur nach Hause zurückkehren.“
 

„Also… nachdem das jetzt geklärt wäre, heißt es dann wohl Abschied nehmen.“, sagte Emanuelle ein wenig bedrückt. Sie hüpfte von ihrem Stuhl und wollte sich wohl gerade von den beiden Nachhelfen verabschieden, als über ihren Köpfen etwas mit einem Scheppern zu Bruch ging. Ein Klappern und Krachen war zu hören und ein Brausen fuhr durch die gesamte Schankstube und bis zu ihnen in den Keller hinein. Die Besucher des Gasthauses sahen sich ratlos an, während Stoley, der Besitzer des Gasthauses, entsetzt die Arme in die Luft warf.

„Himmel, ein Sandsturm.“, rief er und eilte, so schnell er konnte, die Treppe hinauf.
 

Oben herrschte das reinste Chaos. Die Tür des Gasthauses wurde von den Windböen fast aus den Angeln gerissen und der heulende Sturm blies Unmengen feinen, weißen Sandes durch die offenstehenden Fenster hinein. Sogleich fassten alle mit an und mit vereinten Kräften gelang es ihnen, Fenster und Türen zu verriegeln und den Sturm auszusperren. Wie ein ganzes Rudel jaulender Wölfe tobten die Elemente daraufhin mit unverminderter Macht um die Hausecken und rüttelten an den verschlossenen Luken und Toren. Es klang zum Fürchten.

„Teufel noch eins.“, schimpfte Stoley und spuckte aus. „So einen Sandsturm habe ich ja noch nie erlebt. Und noch dazu zu dieser Jahreszeit. Das ist doch nicht normal.“

„Nicht normal?“ Ausgrabungsleiter Ironboot legte die Stirn in Falten. „Ja, so scheint es wohl.“

Er bückte sich und ließ den feinen Sand, der an der Theke zu einem kleinen Haufen zusammen geweht worden war, durch die Finger rieseln. Dann steckte er etwas von dem Sand in den Mund und kaute darauf herum.

„Ungewöhnlich.“, brummte er. „Quarz, wenig Sediment, kaum Kalk, dafür ein ausgeprägter Anteil von Basalt. Dies ist kein Sand von der Küste. Der Sturm muss ihn weit aus dem Süden zu uns getragen haben. Vielleicht sogar von den fernen Bergketten. Und irgendetwas ist noch darin, dass ich nicht zu deuten vermag. Schakal, könntet Ihr vielleicht…?“

Der Schurke zog die Augenbrauen nach oben. Er war gewisse kein Fachmann, wenn es um Bergbau ging, auch wenn ihm die Beziehung zum Stein als Zwerg natürlich in die Wiege gelegt war. Trotzdem glaubte er nicht, dass er irgendetwas aus dem Sand herauslesen konnte, dass Ironboot entgangen war. Aber der Miene des Dunkeleisenzwergs nach zu urteilen, war an seinem Wunsch nicht zu rütteln. So befeuchtet Schakal einen Finger und steckte ihn zunächst in den Sandhaufen und dann in den Mund. Es schmeckte nach Dreck, mehr Dreck, noch mehr Dreck und…

„Gold!“, stieß Schakal hervor. Wenn er einen Geschmack kannte, dann war es dieser. Als Verbreiter so mancher falschen Münze hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, selbst jede Münze, die er bekam, sorgfältig zu prüfen, indem er darauf biss. Der Geschmack hatte sich daher irgendwann eingeprägt.

„Dachte ich es mir doch.“, murmelte Ironboot. „Dieser Sand stammt nicht von der Oberfläche. Er muss aus den Tiefen einer Höhle stammen. Ich kann mir nur absolut keinen Reim darauf machen, wie er an die Oberfläche gelangt sein könnte. Dieser Sturm ist mir nicht geheuer.“

„Mir auch nicht.“, ließ Emanuelle verlauten. Die Gnomin hatte die Stirn in Falten gelegt und zog eine Schnute. „Ich habe gerade versucht ein Portal zu erschaffen, doch es hat nicht funktioniert.“

„Und nach draußen könnt Ihr bei dem Sturm auch nicht.“, ergänzte Stoley.

„Soll das etwa heißen, wir sitzen hier fest?“, wollte der übellaunige Nachtelf wissen. Er hatte die Zähne gefletscht und wirkte wie ein Raubtier bereit zum Sprung.

„So sieht es wohl aus.“, antwortete Ausgrabungsleiter Ironboot. „Würde mich nicht wundern, wenn Yeh‘kinjah da noch seine Finger im Spiel hat, damit ihr ihm nicht folgen könnt. Ihr werdet abwarten müssen, bis der Sturm abgeflaut ist und Ihr wieder nach draußen könnt.“
 

Während der Nachtelf in einen vokalreichen Fluch ausbrach und Risingsun versuchte, die aufgelöste Emanuelle zu trösten, sah Schakal gedankenverloren zum Fenster. Der hölzerne Laden klapperte im Wind und drohte jederzeit aufzufliegen. Doch plötzlich vernahm der Zwerg noch etwas anderes. Ein leises Geräusch, das im Heulen und Jaulen des Sturms fast unterging. Es klang wie das Kratzen harter Klauen auf tönernen Ziegeln. Unwillkürlich sah Schakal nach oben und fragte sich, ob es wohl einen Zugang zum Dach gab.
 


 


 

Magenta hätte fast laut aufgelacht, als die freundliche Nachtelfe ihr eine Schriftrolle überreichte, die ihr für einen Tag Zugang zum Mondfest ermöglichte. Alles, was die Hexenmeisterin dafür hatte tun müssen, war ein wenig Interesse an ihrer Kultur zu heucheln, ein wenig zu klatschen und zu lachen und etwas Feuerwerk abzubrennen, das am Nachthimmel in tausenden von bunten Funken zerplatzt war. Überzeugt davon, dass Magenta somit würdig war, an dem Fest teilzunehmen, hatte die Aufseherin im Park von Stormwind ihr jetzt dieses magische Pergament gegeben, mit dem sie aus einem Kreis aus strahlendem Mondlicht zum anderen reisen konnte.

„Wenn Ihr in Moonglade ankommt, folgt einfach den Laternen.“, erklärte die Nachtelfe. „Euch erwarten Geschichten und Getränke und natürlich unsere glücksbrigenden Festtagsklößchen. Ihr müsst sie unbedingt probieren. Wenn Ihr Euch beeilt, könnt Ihr noch heute das große Feuerwerk miterleben, das jeden Abend über dem Elune’ara See abgehalten wird.“

„Ich werde es mir ansehen.“, entgegnete Magenta, die in diesem Moment alles gesagt hätte, um die aufdringliche Nachtelfe loszuwerden. In Wirklichkeit hatte sie nicht die Absicht, in irgendeiner Weise an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Das Einzige, was sie interessierte, war ein schneller Weg nach Felwood und Winterspring.

„Ande‘thoras-ethil.“, sagte die Nachtelfe und lächelte. „Möge Elune Euch auf Euren Wegen begleiten.“

Das will ich doch nicht hoffen, dachte Magenta und begab sich ohne eine weitere Erwiderung zu dem Kreis aus weißem Licht.
 

Ein wenig mulmig war ihr ja schon, als sie zwischen zwei lächelnden Nachtelfen hindurch in den Kreis aus Mondlicht trat. Dort drinnen war alles hell und weiß und Magenta schloss geblendet die Augen, bevor sie das Siegel an ihrer Schriftrolle erbrach und somit den Zauber auslöste, der sie nach Kalimdor bringen sollte.

Mit angehaltenem Atem erwartete sie das ziehende Gefühl, das sie immer bekam, wenn sie durch ein Magierportal reiste, doch es blieb aus. Stattdessen hörte sie ein sanftes Klingen und fühlte sich leicht angehoben, so als würde sie schweben. Durch einen Spalt zwischen ihren Augenlidern versuchte sie, etwas von ihrer Umgebung zu erkennen, doch da war nichts außer reinem Weiß. Eingesponnen in Mondlicht und silberne Sternenlieder wurde sie so behutsam auf die andere Seite gebracht, dass sie nicht einmal merkte, dass ihre Füße bereits wieder den Boden berührten.

Ein lautes Knallen in ihrer Nähe ließ Magenta hochschrecken und die Augen aufreißen, bereit sich dem Angreifer mit Schatten und Flamme entgegen zu werfen. Den Zauber bereits auf den Lippen starrte sie in die weit aufgerissenen Augen eines Zwergenpärchens, die gerade einen glimmenden Span an ein weiteres Bündel Knallfrösche halten wollten.

„Ich…äh…Verzeihung.“, murmelte Magenta verwirrt und trat aus dem Lichtkreis ins kühle Dunkel ihrer neuen Umgebung. Sie befand sich auf einer Lichtung, die von dunklen, uralten Bäumen umstanden war. Die Äste der Bäume waren mit roten Laternen geschmückt und um den Lichtkegel hatte man einen Kreis aus bunten Wimpeln gezogen. Im Schatten der Bäume sah Magenta die Silhouetten von mehreren Wächtern – sowohl die massigen Umrisse von Tauren sowie auch die im Gegensatz zu den gewaltigen Tiermenschen schmaler wirkenden Gestalten von Nachtelfen - und sie war sich sicher, dass es noch mehr gab, die man mit bloßem Auge nicht erkennen konnte. Sie musste grinsen bei der Erinnerung an einen Witz, in dem es um einen Tauren ging, der sich in einem Kirschbaum verstecken wollte.
 

Die Zwerge munkelten etwas in ihre vorhandenen und nicht vorhandenen Bärte und machten sich dann mit einem scheelen Seitenblick auf Magenta daran, ihr Feuerwerk woanders weiter abzubrennen. Der Hexenmeisterin war das Recht. Sie hatte Wichtigeres zu tun, als dieses alberne Fest zu feiern. Mit entschlossener Miene packte sie ihr Bündel und wollte geradewegs in Blaue losmarschieren, als zwei Nachtelfen die Lichtung betraten. Auch bei ihnen handelte es sich um ein Pärchen und Magenta begann sich zu fragen, ob es wohl üblich war, hier in Begleitung aufzutauchen.

Die beiden Neuankömmlinge musterten die Hexenmeisterin ein wenig argwöhnisch. Die weibliche Nachtelfe, die einen guten Kopf kleiner war als ihr Begleiter und blattgrünes Haar hatte, hatten ihre Hand auf den Arm des männlichen Nachtelfen gelegt und nutzte dies jetzt, um ihn sanft aber entschlossen um Magenta herum zu dirigieren. Er hatte den Kopf gesenkt und schien in Gedanken versunken. Und täuschte sie sich oder waren seine Kleider und Haare nass?
 

Als die beiden Magenta passierten, hob der Nachtelf für einen Moment den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Ein eigenartiges Kribbeln lief über Magentas Nacken und sie fühlte sich einen Augenblick lang schwindelig. Anscheinend war ihr die Reise im Mondlicht doch nicht so gut bekommen, wie sie gedacht hatte. Schnell griff sie nach der rauen Rinde eines nahen Baums, um sich daran festzuhalten. Dann wandte sie den Kopf und sah den beiden Nachtelfen nach, die jetzt in den Kreis aus Mondlicht traten und kurz darauf verschwunden waren.

Seltsam, dachte sie bei sich und wusste nicht, warum sie das dachte.
 


 


 

„Komm Abbe, wir bringen dich nach Hause.“

Navala nahm ihren Bruder bei der Hand und wollte ihn führen, doch er entzog sich ihr.

„Ich bin kein kleines Kind, Navala.“

„Du führst dich aber wie eines auf.“, stellte sie fest. „Dein trotziges Schweigen Dendrite Starblaze gegenüber hatte zur Folge, dass er uns vom Fest ausgeschlossen hat. AUSGESCHLOSSEN! Ist dir eigentlich klar, was das heißt?“

Die Augen der jungen Druidin sprühten jetzt Feuer und auf ihrer Stirn stand eine steile Zornesfalte. „Das hier hätte der schönste Tag meines Lebens werden sollen und du hast ihn total ruiniert.“

„Aber die Orks…“, begann er sich zu verteidigen, doch Navala fuhr ihm rigoros über den Mund.

„Ist mir egal, was du für Entschuldigungen vorzubringen hast.“, fauchte sie. „Warum hast du nicht einfach zugegeben, dass du dir den Verwandlungszauber von jemandem hast beibringen lassen.“

„Aber so war es doch nicht.“, begehrte Abbefaria auf. „Ich weiß nicht, woher ich das kann. Und ich glaube auch nicht, dass ich diesen Trick wiederholen könnte. Es ist einfach passiert. Mehr weiß ich nicht.“

„Du bist ein verdammter Lügner.“, keifte Navala jetzt außer sich. „Aber weißt du was? Das ist mir egal. Ich werde jetzt nach Hause gehen und mir dort einen Tricherwindentau nach dem andere genehmigen. Und komm bloß nicht auf die Idee, mir zu folgen. Ich will dich für die nächste Woche nicht mehr sehen!“
 

Mit diesen Worten rauschte Navala in Richtung der Terrassen der Handwerker davon und ließ Abbefaria allein im Schatten der Enklave des Cenarius zurück. Dort blieb er eine Weile mit hängendem Kopf stehen und wusste nicht, was er machen sollte. Navala zu folgen wäre sicherlich die schlechteste aller Ideen. Zurückgehen und alles erklären konnte er ebenfalls nicht, denn er hatte Navala die volle Wahrheit gesagt. Er wusste nicht, was in dem See mit ihm geschehen war. So blieb er einfach im dichten Gras stehen und lauschte dem Nachtwind, der ein Lied in den Blättern der Bäume sang. Aber sein Frieden währte nur kurz, dann andere Besucher, die den Kreis aus Mondlicht nutzen wollten, um das Fest zu besuchen, näherten sich ihm. So zog der Druide sich weiter in die Schatten zurück und machte sich schließlich auf in Richtung des südlichen Stadtteils, wo die Tempelgärten lagen. Vielleicht konnte er dort ein wenig Ruhe und Frieden in seine Gedanken bringen.
 

Sein Weg führte ihn an dem magischen Tor vorbei, das Darnassus mit dem kleinen Dorf Rut’theran am Fuß des Weltenbaums Teldrassil verband. Von dort aus fuhren die Schiffe auf die andere Seite des Ozeans. Es gab jedoch auch ein kleineres Boot, das einen über das verhüllte Meer nach Darkshore brachte.

Vielleicht ist das jetzt die richtige Ablenkung.

Kurzentschlossen wandte sich Abbefaria an die Wachen, die den Eingang kontrollierten, und auf ihr Nicken hin trat er in den amethystfarbenden Schein, der ihn auf magischem Weg nach unten brachte. Dort angekommen sog er tief die kühle Meeresluft ein und fühlte sich, als würde eine Last von ihm abfallen. Ein wenig ruhiger und hoffnungsvoller als zuvor machte er sich auf dem Weg zum Anlegesteg, um zu sehen, wann sich das nächste Boot zur Küste aufmachen würde.
 


 

„Es tut mir leid.“, sagte die Dockmeisterin. „Heute Nacht werdet Ihr kein Schiff mehr bekommen. Das nächste wird erst Morgen gegen die Mittagszeit auslaufen. Heute Nacht sind alle beim Mondfest.“

Abbefaria gab sich Mühe, nicht allzu enttäuscht auszusehen.

Die Nachtelfe lächelte nachsichtig. „Versucht es doch bei den Hippogreifen. Vesprystus lässt seine Tiere nicht einmal in solch einer Nacht allein. Vielleicht kann einer von ihnen Euch nach drüben bringen.“

Abbefaria dankte der Dockmeisterin und machte sich dann auf den Weg zum Hippogreifenhort, der auf einem Steg im Norden des Dorfes untergebracht war. Er fand dort den Hippogreifenmeister vertieft in ein Gespräch mit einem weiteren Nachtelfen. Die beiden schienen in eine kontroverse Debatte verstrickt zu sein.

„Ich verstehe ja Eure Sorge, Vesprystus. Aber Ihr müsst zugeben, dass das andere Problem doch sehr viel…nun faszinierender ist.“, sagte der Nachtelf, den Abbefaria nicht kannte. Er hatte kurze, grüne Haare und war in ein braungrünes Gewand mit einem Blattmuster gekleidet. Möglicherweise ein anderer Druide.

„Ihr könnt nicht die Aufzucht der Jungen vernachlässigen, um irgendwelchen Gerüchten nachzujagen, Eralas.“, erwiderte der Hippogreifenmeister. „Die Wildekin mögen faszinierend sein, doch die Hippogreife brauchen Euch. Oh, wie es scheint, haben wir Besuch bekommen.“
 

Die beiden älteren Nachtelfen wandten sich Abbefaria zu und er verbeugte sich höflich, während die beiden ihm zunickten. Jetzt erst sah Abbefaria, dass der Nachtelf mit Namen Eralas etwas in der Hand hielt. Es war eine lange, blauweiße Feder, die von innen heraus zu leuchten schien.

„Siehst du, er findet es auch faszinierend.“, lachte der fremde Nachtelf. „Wie heißt du, mein Freund?“

Abbefaria nannte seinen Namen.

„Freut mich, dich kennenzulernen.“, sagte der Nachtelf. „Mein Name ist Eralas Ambersky. Ich beaufsichtige die Nachzucht der Hippogreife hier in Rut’theran.“

„Ist das denn eine Hippogreifenfeder?“, fragte Abbefaria. Der Schein, der von der Feder ausging, schien immer stärker zu werden.

„Dies hier? Nein. Das ist eine Wildekinfeder aus Wintersping. Ich studiere die Geschichte der Wildekin jetzt schon sehr lange und bin ihrem Geheimnis auf der Spur. Es heißt, Elune selbst habe sie erschaffen als Wächter für besondere Heiligtümer. Viele von ihnen sind heute wild geworden und werden nur noch als bessere Bestien angesehen. Ich bin hingegen kurz davor zu beweisen, dass sie nicht nur intelligent sind, sondern auch noch über eine eigene, von Elune gegebene Magie verfügen. Sie…“

„Schluss jetzt, Eralas.“, knurrte Vesprystus. „Du verwirrst den armen Jungen ja ganz. Was wolltest du hier, Abbefaria? Warum bist du nicht auf dem Fest wie alle anderen?“
 

Abbefaria schwieg. Was hätte er auch antworten sollen? Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er das Fest nie verlassen. Wer weiß, vielleicht wäre er der jungen Frau noch einmal begegnet, die er und Navala kurz vor ihrer Abreise getroffen hatten. Als er sie angesehen hatte, hatte er für einen kurzen Augenblick das Gefühl gehabt, dass sie sich kannten, obwohl das natürlich unmöglich war. Er hätte sie trotzdem gerne wieder gesehen. Es musste interessant sein, sich mit einem Menschen zu unterhalten, der von der anderen Seite des Meeres kam.
 

„Wie es scheint, langweilen wir unseren jungen Freund tatsächlich.“, lachte Eralas Ambersky. „Er schläft und träumt mit offenen Augen.

„Was? Nein! Verzeiht!“, stammelte Abbefaria und verfluchte sich im Stillen für seine abschweifenden Gedanken. „Ich finde die Sache mit den Wildekin wirklich sehr faszinierend. Ich wünschte, Ihr würdet mir mehr davon erzählen.“

Mit einem triumphierenden Grinsen wandte sich Eralas Ambersky zunächst an den Hippogreifenmeister, der nur die Augen verdrehte und sagte dann zu Abbefaria: „Mein junger Freund, ich denke, ich kenne einen Weg, wie uns beiden geholfen wird. Ihr wünscht mehr über die Wildekin zu erfahren und mir ergeht es nicht anders. Ich werde Euch gern in meine Forschungsergebnisse einweihen, aber dafür erbitte ich einen Gefallen von Euch. Eine Kollegin von mir ist bereits nach Wintersping aufgebrochen, um weitere Erkenntnisse über die Wildekin zu sammeln. Sie wird Hilfe benötigen und, so ungerne ich das auch eingestehe, ich kann nicht selbst gehen, denn die Aufzucht der jungen Hippogreifen bindet mich hier. Ihr könntet an meiner Stelle nach Wintersping reisen und Ranshalla unterstützen. Was sagt Ihr dazu?“

Abbefaria zögerte. Er hatte Teldrassil noch nie verlassen, wenn man von seiner Ausbildung in Moonglade absah. „Wie lange würde ich weg sein?“

Eralas Ambersky überlegte „Die Reise würde alles in allem vielleicht eine Woche in Anspruch nehmen. Ihr würdet das Mondfest verpassen und...“

„Ich mache es.“

Die beiden älteren Nachtelfen sahen sich ein wenig erstaunt an, doch während auf Vesprystus‘ Gesicht der Unglaube vorherrschte, zeigten Eralas Amberskys Züge offene Freude.

„Das sind gute Neuigkeiten, Freund. Ich werde Euch sogleich einen Beutel mit einigen Gegenständen zurechtmachen, die Ihr Ranshalla mitbringen sollt. Außerdem Vorräte und vor allem wärmere Kleidung. In Wintersping ist es selbst für einen von unserer Art oft empfindlich kühl. Und Ihr werdet eine Karte brauchen.“
 

Während Eralas Ambersky weiter vor sich hin plapperte, schenkte der Hippogreifenmeister Abbefaria einen ernsten Blick. „Dies ist eine gefährliche Reise für einen einzelnen Nachtelfen. Habt Ihr Freunde, die Euch begleiten können?“

Abbefaria schüttelte den Kopf.

Der Hippogreifenmeister nickte gedankenvoll. „Nun gut, dann werde ich Euch einen meiner stärksten Hippogreife mitgeben. Solltet Ihr in Schwierigkeiten geraten, wird Sturmfeder Euch zur Seite stehen. Er ist ein erfahrener Flieger und Kämpfer.“

Abbefaria stammelte einen Dank und verbeugte sich rasch vor dem grimmigen Hippogreifenmeister, bevor er Eralas Ambersky folgte, der bereits vorausgegangen war. In seinem Kopf brummte es wie in einem Bienenstock und er fühlte die Aufregung über die bevorstehende Reise wie ein Kribbeln am ganzen Körper. Was würde er zu sehen bekommen? Würde er kämpfen müssen? Und vor allem: Was würde Navala sagen, wenn sie es herausfand?
 

Als er Eralas Amberskys Haus erreichte, blieb er für einen Augenblick stehen. Winterspring, das wusste er, lag im Norden Moonglades. Man konnte es durch ein Tunnelsystem betreten, in dem eine Stamm grimmiger Furbolgs hauste. Er hatte schon einige Male mit den Wachen des Timbermaw-Stamms geplaudert und war sich sicher, dass sie ihm Zugang gewähren würden, wenn er sie darum bat. Es hätte seine Reise um einen guten Teil verkürzt und es hätte ihn noch einmal auf die Mondlichtung geführt.

Nein, das darf ich nicht.

Dendrite Starlaze war sehr deutlich gewesen, was Abbefarias Anwesenheit in Moonglade während des Mondfestes anbelangte. Außerdem hätte es Vesprystus sicherlich gekränkt, wenn er sein Angebot ablehnte. Er konnte nicht riskieren, die älteren Nachtelfen zu verärgern nur um…ja, um was eigentlich?

Abbefaria schüttelte den Kopf, wie um einen unangenehmen Gedanken fortzuscheuchen. Er hatte jetzt eine Aufgabe und seine Tagträumereien, wie Navala es immer nannte, hatten hier keinen Platz. Er würde sich anstrengen müssen, um die Reise und die damit verbundene Aufgabe zu meistern.

Und ich werde es schaffen, sagte er zu sich selbst, bevor er sich erneut in Bewegung setzte und Eralas Ambersky folgte, der ihn bereits ungeduldig erwartete.
 


 


 

Magenta atmete unbewusste auf, als sie die dunkle Erdhöhle hinter sich ließ, die sie von dem nachtelfischen Festplatz nach Felwood gebracht hatte. Im Nachhinein betrachtet erschien es ihr fast wie ein Wunder, dass sie diesen Weg überhaupt hatte nehmen können, denn zunächst hatte es nicht so ausgesehen, als wenn diese eigenartigen Bärenmenschen sie überhaupt durchlassen würden.
 

Als sie versucht hatte, den unterirdischen Durchgang zu betreten, hatten ihr zwei bepelzte Wachen den Eintritt zu ihrem Reich verwehrt. Sie hatten die Zähne gefletscht und mit ihren Klauen und Speeren gedroht, bis auf einmal ein weiterer Bärenmensch mit zotteligem, grauem Fell hinzugetreten war. Seine Augen, so schien es Magenta, waren blind, und so hatte er nur in eine ganze Weile ihre Richtung geschnüffelt, bevor er schließlich verkündete:

„Ich kenne deinen Geruch. Du bist kein Feind. Lasst die Menschentochter eintreten.“
 

Drinnen hatte der Graufellige einen jungen Vertreter seines Volkes heran gewunken und ihm aufgetragen, Magenta zu führen. Der Junge hatte geknurrt und gemurrt und sich schließlich doch in sein Schicksal ergeben. Unsicher und vorsichtig war Magenta ihm durch das Halbdunkel der Erdfestung gefolgt, immer darauf bedacht, sich nicht den Kopf an einer herabhängenden Wurzel zu stoßen und vor allem aber den vielen Wachen aus dem Weg zu gehen, die die unterirdischen Gänge patrouillierten. An einer Wegkreuzung hatte ihr Begleiter Halt gemacht, sie aus runden Knopfaugen angesehen und gebrummt:

„Felwood oder Wintersping?“

Magenta hatte kurz überlegt und sich dann einer Eingebung folgend entschieden, zunächst den Dämonenlord aufzusuchen. Zudem war Felwood für sie bekannteres Terrain, während sie von Wintersping nur wusste, dass dort Schnee lag. So hatte ihr Begleiter den Weg gewählt, der sie zunächst tiefer unter die Erde geführt hatte, bis sich der enge, irdene Tunnel, endlich zu einem weiteren Eingang geöffnet hatte, der Magenta kurz darauf in die Freiheit entließ.
 

Jetzt stand sie am Rand des verseuchten Waldes und atmete tief den Duft der von Dämonenmagie durchdrungenen Vegetation ein. Vieles davon war Auswirkung des Krieges zwischen den sterblichen Völkern und der Brennenden Legion. Der Erhalt und die Ausbreitung dieses Zustands gingen jedoch zu großen Teilen auf die Bemühungen des Schattenrats zurück, zu deren Hauptsitz Magenta im Begriff war sich aufzumachen. Es würde…interessant werden, die Anführer diese mächtigen Organisation zu treffen; einen uralten Orks namens Fel’dan und schließlich den Schreckenslord Banehollow persönlich. Sie wusste all dies bereits von ihrem ersten Besuch in Felwood, hatte sie sich dort doch unter falschen Voraussetzungen für einige Zeit bei den hier ansässigen Druiden untergeschlichen. Leider, leider waren ihre Versuche, die dämonischen Mächte zu bekämpfen stets gescheitert, so dass sie die Druiden schließlich mit dem Versprechen, ihr magisches Können zu verbessern und dann noch einmal wiederzukommen, verlassen hatte. Magentas Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, als sie daran dachte, den Leichtgläubigen erneut einen Besuch abzustatten, doch dann entschied sie sich dafür, lieber auf dem direkten Weg nach Jaedenar zu reisen. Man würde ihr dort Unterkunft gewähren, dessen war sie sich sicher. Immerhin hatte sie immer noch den Trank von Gorzeeki Wildeyes im Gepäck.
 

Sie wanderte den Waldweg entlang, bis sie außer Sichtweite des Bärenmenschen war, und beschwor dann ihr Teufelsross.

„Bald hast du ausgedient, meine Liebe.“, säuselte sie dem besessenen Pferd in die Ohren, das diese daraufhin anlegte und nach ihr schnappte. Sie quittierte diesen Ungehorsam mit einem Schlag auf die Schnauze, schwang sich dann auf den Rücken des Tieres und bohrte ihm die Hacken in die empfindlichen Flanken. Mit einem schrillen Schmerzensschrei preschte es los in Richtung Süden.
 


 

Magenta erreichte Jaedenar um die Mittagszeit des nächsten Tages. Die unterirdische Schattenfestung, die in einem alten Druidenbau errichtet worden war, zeigte noch Spuren der ehemaligen Besitzer. Verfallene Ruinen mit eindeutigen Kennzeichen der nachtelfischen Bauweise lagen zerborsten und halb verborgen unter der stetig wuchernden, verdorbenen Pflanzenwelt. Teufelsjäger streiften durch die Mauerreste und in der Mitte eines Platzes schimmerten die grünlich leuchtenden Wasser eines verdorbenen Mondbrunnens. Dieser einstige Quell nachtelfischer Macht war durch dämonische Magie vergiftet worden und seine Wasser wurden genutzt, um die teuflische Verderbtheit weiterzutragen und zu potenzieren. Magenta hätte nur zu gern ein Fläschchen mit der vor Energie strotzenden Flüssigkeit gehabt, doch ihr Kommen war bereits bemerkt worden und so nahm sie davon Abstand, zuerst noch in ihrem Gepäck nach einem passenden Behältnis zu kramen. Vielleicht würde sich später noch die Gelegenheit ergeben. Jetzt musste sich zunächst einmal erweisen, ob Gorzeeki Wildeyes‘ Trank Wirkung zeigte. Geschmeckt hatte er zumindest erstaunlich mild, als sie ihn am Rand der Ruinen mit einem Schluck hinunter gestürzt hatte. Vielleicht ein wenig nach Nachtschatten und Feuerblüte.
 

„Hey, wer seid Ihr und was wollt Ihr hier?“, blaffte sie eine der vermummten Gestalten an, die offensichtlich den Eingang zu dem unterirdischen Tunnelsystem Jaedenars bewachten. Magenta nahm den Mann nicht besonders ernst. Seine magische Aura war schwach und er war offensichtlich bestrebt, mangelndes Talent durch Körpergröße auszugleichen. Die zweite Wache war dem Geruch nach zu urteilen ein Untoter. Ebenfalls unangenehm aber nicht unüberwindbar. Viel eher noch machte Magenta der Teufelsjäger von der Größe eines ausgewachsenen Ponys Sorgen, der seine geifernden Lefzen hochgezogen hatte und dessen Rückenstacheln abstanden wie bei einem angriffslustigen Stachelschwein. Ein Dämon seiner Art und von dieser Statur stand kurz davor, sich in zwei dieser teuflischen Bestien zu teilen und das wollte Magenta vermeiden, wenn es sich einrichten ließ. Sie hatte nicht sehr viel übrig für diese ewig hungrigen Magieschmarotzer.

„Ich wünsche, mit Lord Banehollow zu reden.“, verlangte Magenta und gab ihrer Stimme einen Hauch von eisiger Kälte. „Und ich habe es eilig.“

„Was wollt Ihr von ihm?“, fragte der Mann weiter.

„Das geht dich nichts an.“, blaffte Magenta. „Ich diskutiere mein Anliegen nicht mit einer einfachen Wache der zweiten Stufe. Und jetzt tritt beiseite.“

Sie verstärkte die Wirkung ihres Rüstungszaubers und ließ einige Schattenflammen über ihre Hand tanzen. Eine unausgesprochene Drohung, die bei einem erfahreneren Hexenmeister vermutlich keinerlei Wirkung gezeigt hätte. Aber Magenta hatte ihr Gegenüber richtig eingeschätzt. Er ließ sich leicht beeindrucken.
 

„Verzeiht!“, murmelte der Wächter. Er neigte ehrfürchtig den Kopf, trat beiseite und zog den knurrenden Teufelsjäger mit sich, dessen magiesaugende Tentakel sich begierig in Magentas Richtung ausgestreckt hatten. Die Hexenmeisterin tat, als würde sie es nicht bemerken und ging an den Wachen vorbei in die dunklen Gefilde der Schattenfestung. Sie schauderte etwas, als sie den Schutzzauber durchquerte, der auf der Festung lag. Er verhinderte, dass allzu neugierige Augen einen Blick auf das erhaschten, was sich im Inneren abspielte. Magenta hatte solche Tricks nicht nötig. Sie würde selbst bis in das Herz des Schattenrats vordringen.
 

Erneut umfing sie ein unterirdischer, modriger Gang, doch gegen diesen wirkte die Festung der Bärenmenschen fast anheimelnd. Statt Wurzeln und Würmern hingen hier Totenschädel und bleiche Knochen von den Decken. Schwefelgestank lag in der Luft, der vermutlich von den Satyren herrührte, die sich dem Schattenrat in Scharen angeschlossen hatten. Ratten und Kakerlaken huschten durch die spärlichen Lichtkreise der rauchenden Fackeln und mehr als einmal sah Magenta, wie sich das Ungeziefer an Vorräten und anderen Dingen, die sie lieber nicht genauer betrachtete, gütlich tat.
 

Kurz darauf öffnete sich der Gang zu einer größeren, besser beleuchteten Halle. Gehörnte Teufelswachen waren rechts und links der Eingänge postiert. Ihre blaue Haut glänzte im Fackellicht wie eingeölt und die massiven Streitäxte waren nicht weniger beeindruckend. Beherrscht wurde die Szene jedoch von einem Satyr mit blutrotem Fell, der Magenta den Rücken zuwandte und mit leiser, eidringlicher Stimme auf jemanden einredete, der in einem hölzernen Käfig in einer Ecke der Höhle saß. Magenta verstand nicht alles, was der Dämon sagte, doch die gezischten Drohungen und maliziösen Versprechungen waren auch ohne den genauen Wortlaut eindrucksvoll genug.

Magenta schlich sich ohne eine Begrüßung an dem Satyr vorbei und erhaschte dabei einen Blick auf sein unglückseliges Opfer. Es war eine Nachtelfe, die auf dem Boden des Käfigs zusammen gesunken war. Die Haare hingen ihr ins Gesicht und die Striemen und verkrusteten Wunden auf ihrer Haut sprachen eine deutliche Sprache. Man hatte sie gefoltert und aber das Ziel sie zu brechen noch nicht erreicht. Lange würde es allerdings nicht mehr dauern.

Böse lachend schwenkte der Satyr einen kleinen, blutroten Schlüssel vor dem Gesicht der unglücklichen Gefangenen hin und her. Vermutlich der Schlüssel zu ihrer Freiheit.

Magenta zuckte innerlich mit den Achseln. Sie war kein Freund von Folter, wenn es sich vermeiden ließ, doch was hätte sie in dieser Situation schon tun sollen? In diesem Moment waren die Inhaber Jaedenars ihre Verbündeten und sie würde dieses Bündnis bestimmt nicht aufs Spiel setzen, um irgendeine ihr unbekannte Person zu retten. So ließ sie die Halle des Satyrs hinter sich und drang tiefer in das Höhlensystem vor.
 

Kurz darauf gelangte sie in eine weitere Höhle, die in zwei Ebenen verlief. Auf der oberen war ein Kreis aus tropfenden Talgkerzen aufgestellt worden. Vermutlich plante man hier gerade irgendeine Art von Ritual. Magenta kümmerte sich nicht weiter darum und folgte ihrem Pfad in eine niedrige, halb unter Wasser liegende Halle. Durch Dämonenmagie schwarz gefärbte Brühschlammer krochen durch die dunklen Pfützen und Magenta machte lieber einen großen Bogen um diese formlosen Kreaturen, die in der Lage waren, einen ganzen Menschen auf einmal zu verschlingen und nicht einmal die Knochen übrig zu lassen.
 

Am Ende der Halle wich Magenta einem frei herum streifenden Teufelsjäger aus und fand sich kurz darauf mit einer Sukkubus konfrontiert, die ihre Aufmerksamkeit auf einen mit dunklen Runen und blasphemischen Formeln versehenen Altar gesichtet hatte. Auf dem Altar lagen die kläglichen Überreste dessen, was einmal ein Mensch gewesen sein mochte. Als die Dämonin Magenta bemerkte, zischte sie böse.

„Was tust du hier, Mensch? Du gehörst nicht hierher.“

Magenta streckte trotzig das Kinn vor. „Ich habe jedes Recht hier zu sein.“

Die Sukkubus ließ ein schrilles Kichern hören. Schon konnte Magenta das süßlich benebelnde Gefühl spüren, das mit der Magie einer Sukkubus einherging.

„Du magst die anderen täuschen.“, säuselte die Dämonin. „Doch ich erkenne, was du wirklich bist. Du hast diesen ekelhaften Duft von Rechtschaffenheit an dir. Dieser hier hatte ihn ebenfalls.“ Sie wies auf die Gebeine auf dem Altar. „Doch auch er hat schlussendlich seinen Göttern abgeschworen und nach Erlösung verlangt, die nur ich ihm geben konnte. Er verlor erst sein kostbares Schwert, dann sein Herz und dann seinen Verstand. Ein sabbernder Köter, bereit mir die Stiefel zu lecken. Er starb, mit einem Lächeln auf seinem zerstörten Gesicht.“

Die Sukkubus grinste und die Wirkung der Verführungsmagie ließ ebenso schnell nach, wie sie gekommen war. „Aber geh nur. Was kann eine wie du schon ausrichten. Zumal dein Geruch schwächer wird. Du gleitest ab ins Dunkel, Schätzchen, und niemand wird dich retten können.“
 

Unter dem kreischenden Gelächter der Sukkubus eilte Magenta in die nächste Halle. Sie hatte diesen Typus von Dämon schon immer als verstörend empfunden und setzte ihre eigene Sukkubus nur selten ein. Nach dieser Begegnung wusste sie auch wieder, warum das so war.

„Duft von Rechtschaffenheit.“, murmelte die Hexenmeisterin. „Dass ich nicht lache. Ich wüsste nicht, wo ich so etwas herhaben sollte.“

Sie verstummte, als sie am Ende eines in die Tiefe gewundenen Ganges ankam und eine neue Halle betrat. So langsam begann sie sich zu fragen, wie groß die Schattenfestung wohl wirklich sein mochte. Sie hatte das Gefühl, hier schon seit Stunden umherzuirren. Umso angenehmer war sie überrascht, als sie vor sich auf einem von Totenschädeln und Fledermausschwingen geschmückten Thron einen alten, glatzköpfigen Ork sitzen sah. Sein Gesicht war faltig und eingefallen und weiße Haare, die in wirren Strähnen von einem spärlichen Haarkranz herabhingen gaben ihm das Aussehen eines schwächlichen Greises.
 

Doch das äußere Erscheinungsbild täuschte Magenta nicht. Sie hatte die zwei Sukkubi bemerkt, die sich rechts und links vom Altar räkelten und ihre Hände kaum von dem Orks lassen konnten. Ein Hexenmeister, der gleich zwei dieser tückischen Geschöpfe befehligte, musste sehr mächtig sein. Sie war überzeugt, dass sie Fel’dan, den Anführer des Schattenrats gefunden hatte. Eilig ließ sie sich auf ein Knie sinken.

„Meister.“, hauchte sie so ergeben, wie sie konnte.

Der Ork ließ sie eine Weile schmoren. Nur zu gut konnte Magenta sich vorstellen, wie er sich über ihr Gekrieche im Staub amüsierte. Aber damit aufzuhören oder auch nur den Kopf zu heben, bevor er es befahl, konnte schneller zu ihrem Ende führen, als ihr lieb sein konnte. Da halfen auch alle magischen Tränke nicht. Schließlich kam doch noch ein Krächzen von dem finsteren Thron.

„Steh auf!“
 

Magenta erhob sich und lugte verstohlen zu dem Ork. Die Sukkubi an seiner Seite hatten sich erhoben und hielten ihre Peitschen in Händen. Sollte ihrem Meister irgendein Unbill drohen, würden sie nicht zögern, dem Angreifer die Haut bei lebendigem Leib in kleinen Fetzen abzuziehen.

„Moora, Salia, seid so gut und bringt mir diese… Frau hierher.“

Magenta konnte nicht einmal mehr protestieren, da hatten sich die Krallenfinger der Dämoninnen bereits um ihre Arme geschlossen und sie vor den Thron geschleift. Der Ork, dessen Augen rot leuchteten, betrachtete Magenta wie einen mehr oder minder interessanten Käfer. Sein Atem roch faulig.

„Warum störst du meine Kreise, Unwürdige?“, verlangte er zu wissen und seine gelben, gesplitterten Fingernägel kratzen mit einem unangenehmen Geräusch über sein von weißen Stoppeln bedecktes Kinn.

„Ich…Ich bitte untertänigst um Verzeihung, Lor Fel’dan.“, stotterte Magenta. „Ich bin hier um Lord Banehollow um eine Audienz zu bitten. Ich…ich habe ihm ein Geschäft anzubieten.“

„Biete es mir an, Kind. Vielleicht bin ich gewillt deiner Bitte Folge zu leisten.“

Eine der Sukkubi kicherte.

„Ich fürchte, das ist unmöglich.“, antwortete Magenta jetzt fester. „Ich benötige etwas, das nur er mir geben kann.“

„Ist das so?“ Der Ork schien nicht überzeugt. Jetzt kicherte die andere Sukkubus und zwinkerte ihrer Schwester zu. Die beiden schienen sich köstlich über irgendetwas zu amüsieren.

„Nun gut, lasst sie gehen.“, blaffte der Ork. „Sie langweilt mich und Lord Banehollow wird sicherlich wissen, was er mit ihr zu tun hat. Und jetzt hinaus mit dir.“
 

Die beiden Sukkubi ließen Magenta so plötzlich los, dass sie beinahe gestürzt wäre. Nur mit Mühe hielt sie das Gleichgewicht und vergaß darüber sogar, sich zu verbeugen, bevor sie den Raum eilig verließ. Das spöttische Gekicher der beiden Dämoninnen hallte noch lange hinter ihr her, während sie immer noch tiefer hinab unter die Erde lief.
 

Es war inzwischen merklich wärmer geworden und die Luftfeuchtigkeit war auf ein fast nicht mehr erträgliches Maß angestiegen. Die erdigen Wände waren glitschig und feucht. Schweißtropfen liefen Magentas Rücken herunter. Dazu kam ein undefinierbares Aroma, das sie noch nie wahrgenommen hatte. Es war nicht vergleichbar mit dem Schwefelgestank von Wichteln und Satyren und hatte auch nichts von dem klebrig süßen Geruch einer Sukkubus. Von dem fauligen Gestank der Teufelsjäger mal abgesehen. Trotzdem war Magenta sich sicher, dass es sich nur um den Gestank eines Dämons handeln konnte; eines sehr mächtigen Dämons.
 

Der Hexenmeisterin stockte fast der Atem, als sie die bislang größte aller Hallen der Schattenfestung betrat. Die Decke spannte sich weit über ihrem Kopf und Teile davon waren von einer dornigen, dickfleischigen Ranke überwuchert, aus der eine widerliche, klebrige Flüssigkeit herunter tropfte. Die Arme der Pflanze pulsierten in einem gleichmäßigen, an einen Herzschlag erinnernden Rhythmus und von irgendwo drangen schmatzende Geräusche an Magentas Ohr. Auch wenn sie so etwas noch nie gesehen hatte, war sie sich sicher, dass dies eine fleischfressende Gattung sein musste.

Unter großem Staunen und noch größerer Vorsicht betrat Magenta die Halle. Sie wagte es nicht, den Blick von den fleischigen Ranken zu nehmen und wäre so fast in eine Gestalt hinein gerannt, die urplötzlich vor ihr auftauchte. Erschrocken stolperte Magenta rückwärts und starrte zu der finsteren Erscheinung empor.
 

„Gefällt sie dir?“, fragte eine erstaunlich angenehme Stimme, die in einem gewaltigen Gegensatz zu ihrem Träger stand.

Eine krallenbewehrte Hand wies auf die Ranken, von denen sie eine von den Wänden löste und wie ein zahmes Haustier ihre Fühler ausstreckte. „Eine Teufelsranke. Sehr selten hier auf Azeroth.“

Magenta konnte nicht antworten, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie konnte den Dämon, der vor ihr stand, lediglich anstarren. Er war mindestens vier Meter hoch und seine gewaltige, ebenholzfarbende Rüstung ließ ihn noch massiver wirken. Seine Füße waren wie bei Satyren gespaltene Hufe und er ging aufrecht auf zwei Beinen. Doch im Gegensatz zu ihnen hatte er keinen Schweif, sondern trug krallenbewehrte Flügel wie die einer Fledermaus auf seinem Rücken. Seine Haut war bleich, der Mund eingefallen und unter dem Schatten gewaltiger Hörner lagen seine durchdringenden Augen in tiefen Höhlen. Sie waren von einer derartigen Schwärze, dass sie vielmehr an dunkle Löcher erinnerten, in denen die unruhige Flamme zweier heller Pupillen flackerte. Unter seinem Blick fühlte Magenta, wie ihr Herzschlag langsamer wurde. Eine seltsame, saugende Finsternis umgab sie und drohte, ihr Lebenslicht vollständig auszulöschen. Sie wusste, wenn er gewollt hätte, hätte er sie mit einer kleinen Geste töten können. Doch offensichtlich lag dies nicht in seiner Abicht.
 

Lord Banehollows blutleeren Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Steh auf!“

Magenta gehorchte ganz automatisch und fühlte sich jetzt, da sie vor ihm stand, nicht um das geringste größer als noch vor wenigen Augenblicken.

„Ich hörte, dass du mich suchst.“, sagte der Dämon und wandte seine Aufmerksamkeit wieder der schauerlichen Pflanze zu. „Doch ich warne dich, sprich rasch oder geh. Denn meine Geduld mag die Jahrhunderte umspanne. Das heißt jedoch nicht, dass ich dir mehr als einen Augenblick meiner kostbaren Zeit zu opfern gedenke.“

„Ich...“, krächzte Magenta und räusperte sich. „Ich bin auf der Suche nach Xorothianischem Sternenstaub. Man sagte mir, ich könnte ihn bei Euch erwerben.“

Zum ersten Mal verrieten die Züge des Schreckenslords eine wirkliche Regung. Er fasste Magenta erneut ins Auge. „Du hast mein Interesse geweckt. Xorothianischer Sternenstaub ist in der Tat selten und ich kann mir nur einen Zweck vorstellen, zu dem du ihn brauchen könntest. Du willst ein Portal nach Xoroth öffnen, das Refugium meines größten Widersachers Hel’nurath. Vielleicht willst du sogar eines seiner kostbaren Schreckensrösser rauben. Nun, habe ich nicht Recht?“

Magenta konnte nicht anders, als zu nicken.

Lord Banehollow lächelte wieder. Ein Anblick, der Magenta erschauern ließ. „Du bist in der Tat an der richtigen Stelle, denn ich besitze Xorothianischen Sternenstaub. Allerdings pflege ich ihn nicht zu verteilen wie Bonbons auf einem Jahrmarkt. Nur die treuesten meiner Diener bekommen Zugang dazu. Wenn es dich also nach den Vorzügen meiner Gefolgschaft gelüstet, so lässt sich das leicht einrichten. Töte für mich!“
 

Magenta zuckte zusammen, als der Schreckenslord bei den letzten Worten plötzlich seine Flügel ausbreitete. Er lachte unheilvoll und trat einen Schritt näher an die Hexenmeisterin heran.

„Mein Diener Ulathek, ein kriecherischer Wurm, hat sich einem neuen Meister verschrieben. Eben jenem Hel’nurath, den du zu bestehlen wünschst, kleine Hexenmeisterin. Er plant, sich meine Macht einzuverleiben und Ulathek ist sein Spion. Der närrische Ork ahnt nicht, dass ich längst von seinem Verrat weiß. Geh zu ihm und konfrontiere ihn mit diesen Neuigkeiten. Weide dich zuerst an seiner Furcht und dann… reiß ihm sein verräterisches Herz heraus und bring es mir, damit ich es verschlingen kann!“
 

Lord Banehollow lachte erneut und sein Gelächter rollte wie Donnergrollen durch die Höhle. Ein Haufen Fledermäuse löste sich von der Decke und stürzte mit schrillen, quietschenden Schreien ins Dunkel. Magenta sah, wie die Ranken der Pflanze blitzschnell zugriffen und einige der zappelnden Insektenfresser umschlagen, bevor sie sie unter fiependem Protest ins Innere der fleischigen Windungen zogen. Sie fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.

„Nun, nimmst du mein Angebot an, kleine Hexenmeisterin?“

„J-ja.“, stotterte Magenta.

„Gut. Ich erwarte dich in einer Stunde wieder hier. Bring mir das Herz des Verräters und der Sternenstaub soll dir gehören.“
 


 

Magenta wischte sich den Schweiß von der Stirn und merkte nicht, dass sie dabei Schlieren von roter Flüssigkeit auf ihrer Haut hinterließ. Sie ließ das blutbedeckte Messer fallen und schob ihre Beute in einen kleinen Leinensack. Den Ork zu besiegen war nicht sonderlich schwer gewesen. Die Eröffnung, dass sein Verrat entdeckt worden war, hatte ihn leichtsinnig werden lassen, so dass ihn im Endeffekt ein falscher Schritt und ein unglücklicher Sturz das Leben gekostete hatten. Weitaus schwieriger war es gewesen, das gewünschte Organ zu entnehmen. Aber jetzt hatte sie alles, was sie brauchte und war bereit, sich dem Schreckenslord erneut zu stellen.
 

Lord Banehollow erwartete sie diesmal auf einer höher gelegenen Plattform, die von den Windungen der Teufelsranke fast vollkommen umschlungen war. Am Ende der Plattform standen drei steinerne Torbögen, in denen grüne und schwarze Schlieren umeinander wirbelten. Magenta hatte das Gefühl, in die geöffneten Mäuler eines dreiköpfigen Ungeheuers zu blicken. Magenta ahnte, um was es sich handeln musste. Immerhin hatte sie schon einmal Bilder vom Dunklen Portal gesehen, durch das einst die Orks nach Azeroth gekommen waren. Diese Torbögen sahen aus wie Miniatur-Ausgaben des Portals.
 

„Ah, die kleine Hexenmeisterin.“, bemerkte der Schreckenslord. „Sehr schön. Hast du gebracht, worum ich dich gebeten habe?“

Magenta ließ den Beutel mit Ulatheks Herz auf den Boden fallen. Es gab ein unangenehmes, nasses Geräusch.

„Vortrefflich. Mir scheint, du hast dir tatsächlich eine Belohnung verdient. Noch dazu, wenn diese Belohnung dazu dient, Hel’nurath noch weiter zu demütigen. Er wird außer sich sein, wenn er feststellt, dass ihm erneut eines seiner Rösser abhanden gekommen ist.“

Lord Banehollow lachte wieder das Lachen, das die Haare in Magentas Nacken dazu brachte, sich aufzurichten.

„Es hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen, kleine Hexenmeisterin. Mein Diener Ur’dan wird dir deinen Xorothianischen Sternenstaub geben. Gegen den angemessenen Preis versteht sich. 150 Goldstücke.“

„Wie viel?“ Magenta schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Mit einem solch unverschämten Preis hatte sie nicht gerechnet.

„Gefällt dir die Bedingung unseres Handels nicht?“ Die Stimme des Schreckenslords nahm einen lauernden Unterton an. „Ich könnte mir vorstellen, dass…“

„Nein, nein!“, wehrte Magenta eilig ab. „Der Preis ist mehr als angemessen. Ich danke euch für Eure Großzügigkeit.“
 

Auf den Wink des Schreckenslords trat ein weiterer Orks herbei, der Magenta im Tausch gegen einen prall gefüllten Sack mit Münzen ein kleines Säckchen reichte. Als sie hinein sah, fand sie ein schwärzliches, geruchsloses Pulver, auf dem ein metallischer Glanz lag. Sie dankte Lord Banehollow noch einmal und beeilte sich dann, die Plattform zu verlassen. Irgendwo im Dunkel trank sie das letzte Fläschchen des schattenhaften Tranks des Goblins, der ihr einen sicheren Rückweg ermöglichen sollte. Und dann, wenn sie wieder an der Oberfläche war, würde sie sich einen Greifen suchen, der sie auf dem schnellsten Weg nach Winterspring brachte. Es wurde Zeit, ein paar Eulenbestien zu schlachten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  darkfiredragon
2012-03-31T14:53:02+00:00 31.03.2012 16:53
Hey, sehr cooles Kapi, hat mir super gefallen ;)
Ich frage mich ob unsere lieben Helden jemals zumindest einen Teil ihrer "verlorenen" Erinnerungen zurückbekommen werden, wäre sicherlich interessant^^
Aber auch so scheinen sie sich ja nicht aus sämtlichen Abenteuern heraushalten zu können :D

Ich freu mich schon aufs nächste Kapi, auch wenns wohl noch ein wenig dauern wird!

lg, darkfiredragon


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