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Magenta III

Im Bann der Aspekte
von

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Gelüftete Geheimnisse

Gewaltige Dornenranken glitten unter Easygoing hinweg und reckten sich wie

ein undurchdringliches Bollwerk dem Himmel entgegen. Der gesamte, südliche

Teil des Brachlandes erstickte förmlich in diesen Ranken. Schuld daran waren die Stacheleber, die von hier oben wie winzige Punkte zwischen den dicken Dornen wirkten. Unendlich weit entfernte, winzige Punkte!

Easygoing schloss die Augen und lauschte dem Schlagen der Hippogreifenflügel. Dabei atmete er gleichmäßig ein und aus und versuchte, seinen hämmernden Herzschlag zu beruhigen. Als ihm das gelungen war, öffnete er die Augen wieder, vermied es aber, noch einmal nach unten zu sehen. Es erinnerte ihn nur daran, wie hoch über dem Erdboden er sich befand. Eine äußerst unangenehme Vorstellung, an die er sich trotz der hinter ihm liegenden Reise immer noch nicht gewöhnt hatte.
 

Das Tier unter ihm wurde plötzlich unruhig und Easygoing fragte sich, ob es erneut Zeit für eine Ruhepause war. Die erste Rast hatten sie auf einem hohen Gipfel des Steinkrallengebirges eingelegt, auf dem sie bis auf ein paar emsige Bergziegen und einige Greifvögel allein gewesen waren. Eine zweite war gefolgt, als sie die Grasebene von Mulgore hinter sich gelassen hatten und er auf einem Felsenplateau einen kleinen See und die Überreste einer verlassenen Siedlung der Tauren entdeckt hatte. Allerdings lag diese Landung kaum zwei Stunden hinter ihnen und der Hippogreif hätte ausgeruht sein müssen. Easygoing ignorierte die Proteste daher und bedeutete Eisenschnabel nach Süden abzudrehen. Es wurde Zeit sich den Aufwinden von Tausend Nadeln zu stellen.
 

Sie hatten die Schlucht mit den gigantischen Felsentürmen kaum zur Hälfte überquert, als der Hippogreif zu kreischen begann. Seine Flügelschläge wurden kürzer und abgehackter, während sein Rabenkopf mit dem spitzen Geweih hin und her ruckte, als suche er etwas.

„Ruhig, mein Junge, ruhig.“, versuchte der Druide das aufgewühlte Tier unter Kontrolle zu kriegen. Der sandige Erdboden lag für solche Sperenzchen entschieden zu weit unter ihm. Doch der Hippogreif kreischte nur noch lauter und versuchte, umzukehren und zurück in die Richtung zu fliegen, aus der sie gekommen waren. Easygoing hatte seine liebe Mühe damit, sich auf dem Rücken des unbändigen Tiers zu halten. Er fluchte lauthals und riss an den Zügeln, als er mit einem Mal eines Schattens am Horizont gewahr wurde.
 

Grau und drohend türmten sich Wolkenmassen über der leeren Ebene auf, die

vor ihnen lag. In der Ferne konnte man zwischen den Luftspiegelungen schemenhaft die Umrisse der Illusionen-Rennbahn ausmachen, doch Easygoing wusste mit unerschütterlicher Sicherheit, dass sie es nicht schaffen würden, sie rechtzeitig zu erreichen. Schon fegte die Wolkenwand über die windschiefen Gebäude hinweg und hüllte sie ein.

„Ein Sandsturm.“, knurrte der Druide. „Das hat mir gerade noch gefehlt.“
 

Der Hippogreif unter ihm war indes vollkommen in Panik geraten. Er stieß einen trompetenden Schrei aus und begann, auf die Felsenwand vor ihm zuzufliegen, als wäre ein ganzes Rudel wilde Wyvern hinter ihm her. Easygoing rief auf seinem Rücken Befehle und zerrte an dem Lenkgeschirr, aber der Hippogreif beachtete ihn nicht. Er warf lediglich den Kopf zurück, so dass die Enden seines Geweihs den Druiden nur um Haaresbreite verfehlten.
 

Easygoing ließ die Zügel sinken. Er hatte die Warnung verstanden. Das Tier wusste vermutlich besser als er, was jetzt zu tun war und würde ihn abwerfen, wenn er weiter versuchte, die Führung zu übernehmen. So duckte er sich tief in die Nackenfedern des immer schneller ausgreifenden Hippogreifs und warf nur ab und an einen besorgten Blick zurück auf den drohenden Sandsturm.
 

Das Tier kämpfte sich über die Berggipfel und Easygoing verstand, dass es so hoffte, der Macht des Sturms zu entkommen. Die Felswände würden die Windmassen brechen, so dass sie ihnen entfliehen konnten, wenn nicht…

„Das kann nicht sein.“, murmelte Easygoing. „Das darf einfach nicht sein!“
 

Zwischen den Gipfeln war ein zweiter Sandsturm erschienen. Eine in rasendem Tempo umeinander kreisende Windhose, die von Osten her direkt auf sie zuhielt. Es war im Grunde genommen unmöglich, dass sie existierte. Trotzdem sie tat es und kam in unglaublichem Tempo näher.

„Schneller, Eisenschnabel, schneller!“, rief Easygoing. Er erhaschte in der Ferne einen kurzen Blick auf die weißen Sandwüsten von Tanaris. Dorthin hatte er reisen wollen und genau von dort wehte ihm jetzt eine Windhose entgegen. Es schien, als habe sich die Natur gegen ihn verschworen.
 

Schroffe Felsen und messerscharfe Grate sprangen ihnen wie aus dem Nichts entgegen und nur den schnellen Reflexen und der unglaublichen Kraft des Hippogreifen war es zu verdanken, dass sie nicht schon längst an einem der Berge zerschellt waren. Ausläufer des stetig näherkommenden Sturms beutelten sie hin und her und heulten ihnen um die Ohren. Easygoing sah längst nicht mehr, wohin sie flogen und verließ sich blind auf die Instinkte seines Reittiers.
 

Der Hippogreif schraubte sich über einen letzten Felsgrat und sackte dann in einem steilen Sturzflug nach unten. Hilflos kreischend trudelte das mächtige Tier dem Erdboden entgegen, der jetzt nicht mehr sandig und steinig war, sondern von dichter, grüner Vegetation überwuchert wurde. Gigantische Baumriesen überspannten den Himmel, bunte Blüten verströmten betörende Düfte und alles erstickende Ranken wanden sich um Stämme und Stiele. Augenblicke später krachte der Hippogreif in einen gewaltigen Farnbusch.
 

Easygoing verlor den Halt und stürzte getrennt von Eisenschnabel mitten in das saftige Grün. Wie betäubt blieb der Druide einen Augenblick lang liegen. Sein Magen rebellierte gegen den plötzlichen Höhenabfall und vor seinen Augen tanzten bunte Punkte. In seinen Ohren rauschte das Blut und vermischte sich mit schrillen Vogelschreien und aufdringlich zirpenden Insekten zu einem sinnesbetäubenden Crescendo. Süß lockte die dunkle Umarmung einer

Ohnmacht, aber der Druide widerstand der Versuchung. Er musste nach dem Hippogreif sehen. Er musste aufstehen. Er musste die Augen öffnen. Wenigstens irgendetwas davon musste ihm gelingen.

„Ich hasse fliegen.“, stöhnte er schließlich, rollte sich vom Rücken auf den Bauch und stemmte sich in die Höhe. Noch ein wenig schwankend nahm er seine Umgebung in Augenschein.

„Das ist der Krater von Un’goro.“, bemerkte er ein wenig überrascht, als er das üppige Tal wieder erkannte. Die Windhosen mussten ihn weiter abgedrängt haben, als er befürchtet hatte. Er ließ seinen Blick an den steilen Felswänden nach oben wandern. Dort hinauf, daran bestand kein Zweifel, würden sie nicht noch einmal fliegen.
 

Ein krächzender Laut aus einem nahen Gebüsch ließ Easygoing aus seiner Lethargie erwachen. Eisenschnabel war mit Sicherheit verletzt und benötigte seine Hilfe. Der Druide fand das mächtige Tier inmitten eines Moosfeldes. Er hatte eines seiner Hinterbeine angezogen und einer der metallfarbenden Flügel hing schlaff herab. Vorsichtig betastete Easygoing ihn und stellte fest, dass er nicht gebrochen war. Der Kratzer auf dem Hinterlauf hingegen sah böse aus und würde sich entzünden, wenn er nicht bald behandelt wurde.

„Das haben wir bald wieder.“, murmelte er und begann, einen Heilzauber zu sprechen. Er war kaum bis zur Hälfte der Formel gekommen, als Eisenschnabel ein warnendes Kreischen ausstieß. Voller böser Vorahnung wirbelte der Druide herum und fand sich einer massigen Gestalt gegenüber, die eine Speerspitze direkt auf seine Kehle gerichtet hatte.
 

„Ich habe schon Leute sagen hören, dass es Hunde und Katzen regnet. Von Nachtelfen war jedoch nie die Rede.“, brummte die Gestalt, von der Easygoing nur erkennen konnte, dass es ein Taure war, da die Sonne in seinem Rücken stand. Verärgert stellte der Druide fest, dass er den Schatten des Angreifers schon viel früher hätte bemerken müssen. Er hatte sich durch die Sorge um Eisenschnabel ablenken lassen.

Der Taure legte den Kopf schief und schnaubte. „Und vor allem hätte ich nicht damit gerechnet, dass es ausgerechnet dieser Nachtelf sein würde. Ihr seid nicht zufällig zurückgekehrt, um mir meine Fäulnisranke zu bringen?“

Easygoings Augen weiteten sich. „Torwa Pathfinder?“

Der Taure schnaubte erneut und senkte den Speer. „Ebendieser. Aber jetzt lasst uns erst einmal sehen, was wir für Euren gefiederten Freund tun können.“
 

Der Hippogreif sperrte warnend den Schnabel auf, als der Taure auf ihn zu trat. Easygoing bedeutete dem Tier, still zu halten, und so ließ Eisenschnabel die Untersuchung unter leisem Protest über sich ergehen.

„Kein Bruch, aber die Sehnen sind überdehnt und die Wunde muss gereinigt und verbunden werden.“, erklärte Torwa Pathfinder. „Am besten bringe ich Euch beide zu meinem Lager. Dort könnt Ihr mir dann auch erzählen, was im Namen der Erdenmutter Euch dazu getrieben hat, eine derartige Bruchlandung hinzulegen. Ich kenne Hippogreife und ihre nachtelfischen Gefährten sonst nur als äußerst geschickte Flieger.“

„Wir wurden verfolgt.“, knirschte Easygoing. „Von zwei Sandstürmen.“

Der Taure zog die buschigen Brauen nach oben. „Das klingt allerdings nach einer interessanten Geschichte. Wenn Ihr mir jetzt noch erzählt, dass Ihr es tatsächlich zum Versunkenen Tempel geschafft habt, haben wir ein paar sehr interessante Stunden vor uns.“

„Ich…wir waren im Tempel und ich habe Euch mitgebracht, wonach Ihr verlangt habt.“, antwortete Easygoing. „Aber ich habe keine Zeit, mich lange hier aufzuhalten. Ich muss nach Tanaris, um meinen Bruder und meinen Cousin ausfindig zu machen. Danach werden wir zusammen nach Silithus reisen.“

Torwa Pathfinder wiegte den breiten Kopf hin und her. „Meine Großmutter hat immer gesagt: Der, der sein Zeltdach flickt, wird weniger nass, als derjenige, der versucht vor dem Regen davon zu laufen. Euer Reittier kann in diesem Zustand nicht weiter reisen und der Weg, den Ihr einschlagen wollt, ist wirrer als das Geplapper der Papageien. Mir scheint es vernünftiger, wenn Ihr ein paar Tage abwartet, bis Euer Hippogreif genesen ist, und dann von hier aus nach Silithus weiterreist.“

„Aber…“, begann Easygoing, doch der Taure ließ ihn mit einer Geste verstummen.

„Euch fehlt die Tugend der Geduld, Nachtelf. Habt Ihr schon einmal darüber nachgedacht, dass es vielleicht nicht Eure Bestimmung ist, Euch wieder mit Eurer Familie zu vereinen? Dass Ihr diesen Weg vielleicht allein beschreiten müsst?"
 

Easygoing wollte noch etwas erwidern, doch Torwa Pathfinder hatte ihm bereits den Rücken zugewandt und begonnen, den Flügel des Hippogreifen mit Hilfe von Ästen und Lianen zu schienen. Der Druide ballte die Faust und entspannte sie wieder. Er wollte nicht an so etwas wie Schicksal glauben. Der Gedanke, sein Weg würde von jemand anderem als ihm selbst bestimmt, behagte ihm nicht. Andererseits hatte der Taure Recht und eine Weiterreise zu diesem Zeitpunkt war einfach nicht ratsam. Er würde warten müssen, so schwer ihm das auch fiel.

Mit einem Seufzen machte er sich daran, Torwa Pathfinder bei der Versorgung des Hippogreifen zu helfen. Hinter ihm grollte der Donners eines herannahenden Gewitters und die letzten Sonnenstrahlen ließen etwas in den grauen Felsformationen für einen Moment lang golden aufblitzen. Kurz darauf setzte ein Regenschauer ein, dessen schwere Tropfen auf dem Blätterdach des Kraters ein gleichmäßiges, prasselndes Rauschen erzeugten, während düstere Wolkenmassen den Himmel bedeckten.
 


 

Die Kälte, die Abbefaria entgegenschlug, war schlichtweg atemberaubend. Nie hätte er gedacht, dass eine Landschaft ohne blätterbewandetete Bäume und samtenen Grasteppich so ehrfurchterregend hätte sein können. Die eisigen Weiten Wintersprings hatten den Druiden schon beim ersten Anblick der schneeverhangenen Bergketten in ihren Bann geschlagen. Ein rauer und ungezähmter Landstrich, der alles, was in ihm existieren wollte, seinem strengen Regiment unterwarf. Wer hier überleben wollte, musste sich anpassen. Entweder er wurde groß und wild wie die weißen Bären, die ab und an einsam über die Hügel streiften, oder klein und unsichtbar, wie die flinken Schneehasen, die man nur anhand ihrer Spuren erkennen konnte. Abbefaria fand, dass es hier ausnehmend viel Leben gab für ein Gebiet, dessen Vegetation fast vollkommen im Winterschlaf versunken war.
 

„Wollt Ihr nun endlich weitergehen?“, schnarrte einen Stimme zu seinen Füßen.

Der begeisterte Nachtelf sah hinab und blickte in das angesäuerte Gesicht eines Goblin, der die Aufgabe hatte, am Tor von Everlook Wache zu halten.

„Die Tore werden jetzt geschlossen.“, setzte der Goblin hinzu und blickte noch finsterer.

"Warum?", wollte Abbefaria wissen. Ihm erschloss sich der Sinn dieser Maßnahme nicht. Immerhin war er gerade erst aufgestanden.

"Weil die Sonne jeden Augenblick untergeht, dämliches Langohr.", maulte der Goblin. "Und dann wird es hier ziemlich ungemütlich. Also komm entweder rein oder bleib draußen und lass dich meinetwegen von einer Chimäre fressen, aber verfatz dich aus meinem Torweg."

"Ich würde gern noch eine Mahlzeit im Gasthaus einnehmen, bevor ich die Stadt verlasse."

"Wenn das Tor zu ist, ist es zu und bleibt es auch bis morgen früh.", schnarrte der Goblin. "Also entscheide dich, Langohr. Aber ein bisschen zackig."

"Unter diesen Umständen werde ich sofort aufbrechen. Ich wünsche Euch..."

Der junge Druide konnte gerade noch nach seinem Bündel greifen, bevor ihm der Goblin das stählerne Tor direkt vor der Nase zuknallte. Er hörte das Geräusch mehrere schwerer Riegel, die auf der Innenseite vorgeschoben wurden.

"Angenehme Nachtruhe!", giftete der grünhäutige Gesellen von drinnen noch, dann umfing Abbefaria die frostige Stille der winterlichen Landschaft. Der Druide seufzte leise. Er schulterte seine Siebensachen und sah sich um. Während des Tages hatte die Sonne die obersten Schneeschichten verharschen lassen und seine vorsichtigen Schritte erzeugten ein seltsam kratzendes Geräusch auf der weißen Oberfläche. Er brauchte eine Weile, bevor er sein Tempo gefunden hatte, dann trabte er unerschütterlich gen Süden dem vermeintlichen Aufenthaltsort von Ranshalla entgegen.
 

Hätte er sich noch einmal umgedreht, hätte er die Silhouette der berittenen Gestalt bemerkt, die sich dunkel gegen den Schnee abzeichnete und zügig näherkam. Ein Stück vom Eingangstor entfernt, glitt der in eine schwarze Robe gehüllte Reiter von Rücken seines Pferdes, ließ dieses mit einer Geste verschwinden und hielt in langen Schritten auf das Stadttor zu.

"Aufmachen!", rief die Gestalt und hämmerte gegen die Torflügel.

Eine kleine Klappe auf Goblinaugenhöhe öffnete sich. "Kommt morgen früh wieder, wir haben geschlossen."

"Ich brauche..."

"Ist mir egal, das Tor bleibt zu."

Wie zur Bestätigung ließ der Goblin die kleine Klappe wieder zurattern und den späten Gast damit vor dem Tor stehen. Sekunden später trat ein Ball aus dunkler Energie die Stelle, an der sich gerade noch das grinsende, grüne Gesicht befunden hatte. Die Magie verpuffte ohne Wirkung.

"Elender Goblin.", fluchte die Gestalt sichtlich aufgebracht. "Wenn ich dich in die Finger kriege, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein."

Unter weiteren Verwünschungen und Drohungen, was sie mit dem Goblin anstellen würde, trat die Gestalt einen Schritt zurück und murmelte eine Formel. Eine Stichflamme versengte den umliegenden Schnee und mit einem Klagelaut erschien erneut ein braunes Ross, aus dessen Nüstern und Hufen Flammen schlugen. Dessen unbeirrt schwang sich die Gestalt auf den Rücken des teuflischen Reittiers. Grob riss sie an den Zügeln, so dass das Ross sich aufbäumte und die Vorderbeine durch die Luft wirbeln ließ. Es krachte und zischte und zwei feurige Abdrücke erschienen an der Außenseite des Tores. Beim Steigen des Pferdes war der Gestalt die Kapuze vom Kopf gerutscht und eine Flut roter Haare ergoss sich über die Schultern der Reiterin.
 

"Also gut, dann finden wir diese Eulenbestien eben heute Nacht.", knurrte Magenta und gab ihrem Teufelsross die Sporen. Augenblicklich ruckte der Kopf des Tiers herum und schnappte nach der Hexenmeisterin. Sie hieb ihm mit einer stachelbewehrten Gerte quer über die feurigen Nüstern.

"Das wird dich Mores lehren, dreckiges Biest.", fauchte die Hexenmeisterin und hieb noch einmal zu. Mit einem schrillen, schmerzerfüllten Wiehern fügte das Ross sich endlich und galoppierte in die Richtung an, in der sich bereits eine schmale Fußspur durch den Schnee wand.
 


 

"Der Sandsturm hat sich gelegt.", stellte Schakal fest, als er durch einen der halb geöffneten Fensterläden nach draußen spähte.

"Mir schien eher, er ist weiter gezogen.", bemerkte Ausgrabungsleiter Ironboot. "Wirklich sehr ungewöhnlich das Ganze. Ein Sturm von dieser Stärke, der so plötzlich auftritt und dann wieder verschwindet...so etwas ist mir bis jetzt noch nie untergekommen."

"Es kommt noch viel merkwürdiger.", brummte Stoley, der Taverneninhaber, der soeben zur Tür getreten war. Jetzt öffnete er diese weit, so dass alle Anwesenden nach draußen blicken konnten.

"Ich sehe nichts.", sagte Emanuelle und rieb sich die blauen Augen.

"Eben." Stoleys Augenbrauen zogen sich zu einem finsteren Strich zusammen. "Keinerlei Verwüstung, keine umgestürzten Palmen oder abgedeckten Dächer, keine Sandverwehungen. Nichts. Das geht nicht mit rechten Dingen zu."

"Was wollt Ihr damit sagen?", mischte sich der weißhaarige Nachtelf. Während des Sturms hatte er die ganze Zeit leise vor sich hin murmelnd in einer Ecke verbracht. Jetzt musterte er aufmerksam die Umgebung.

Der Barinhaber verschränkte die Arme vor der Brust und starrte finster in die anbrechende Nacht. "Dass etwas an diesem Sturm ganz gewaltig faul war. Das will ich damit sagen Da war Magie im Spiel."

"Das würde auch erklären, warum ich keinen Portalzauber wirken konnte.", nickte Emanuelle zustimmend. "Aber warum? Zu welchem Zweck sollte uns jemand hier festhalten wollen?"

"Könnte das mit dem Troll zusammenhängen?", fragte Risingsun.

Ausgrabungsleiter Ironboot schüttelte langsam den Kopf. "Das sieht mir nicht nach Trollmagie aus, auch wenn ihre Schamanen die Elemente teilweise meisterhaft befehligen. Das sieht mir nach überhaupt keiner Magie aus, die ich kenne."

"Ich werde diese Beobachtungen an die Forscherliga weitergeben.", versprach Emanuelle. „Aber jetzt sollten wir aufbrechen. Ich mache uns ein Portal."
 

Die kleine Magierin eilte vor die Tür und fischte etwas aus ihrer Tasche. Sie betrachtete, was sie herausgeholt hatte sehr lange und gründlich. So lange und so gründlich, dass Schakals Geduldsfaden schließlich riss.

"Was ist los?", brummte er. "Ich hatte nicht vor, noch eine Nacht länger in dieser Einöde zu verbringen."

Emanuelle drehte sich mit einem Gesicht zu ihnen herum, auf dem sich Erstaunen mit purer Ratlosigkeit mischte. Ein Ausdruck, den Schakal bei der pfiffigen Gnomin noch nie gesehen hatte. Es sah fast aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

"Ich kann nicht.", sagte sie mit belegter Stimme. "Jemand hat..."

Ihre Stimme stockte. Stattdessen streckte sie Schakal die Hände entgegen. Darauf lagen fünf stark verwitterte, kleine Gesteinsbrocken. Verständnislos sah er Emanuelle an.

"Was soll das sein?"

"Das sind...oder vielmehr das waren meine Portalrunen. Irgendetwas hat sie zerstört."

"Was?" Ausgrabungsleiter Ironboot drängte sich nach vorn. Er nahm Emanuelle einen der Steine aus der Hand, betrachtete ihn genau und biss schließlich darauf. Nachdenklich kaute er auf den Krümeln herum.

"Dieser Stein ist alt.", sagte er schließlich. "Sehr alt. Dem Verwitterungsgrad nach hat er mehrere hundert Jahre unter Sonne, Wind und Regen gelitten. Dass er überhaupt noch existiert ist nur der außergewöhnlichen Zusammensetzung und den Resten von arkaner Energie darin geschuldet. Wo habt Ihr ihn her?"

"Ich habe ihn vor wenigen Wochen von einem Reagenzienhändler in Ironforge gekauft.", antwortete Emanuelle.
 

Schweigen breitete sich aus, während die Anwesenden die kleinen Steine in der Hand der Magierin betrachteten. Schakal wusste nicht, wie es den anderen ging, aber die Haare in seinem Nacken hatten sich gesträubt. Dieser Hokuspokus ging jetzt deutlich zu weit.

"Mit Verlaub.", unterbrach der nachtelfische Priester schließlich die Stille. "Aber ich glaube, wir sollten aufbrechen. Vielleicht lässt sich in Gadgetzan ein Ersatz für Eure Arkanarien finden."

Emanuelles Augen begannen sofort wieder zu leuchten. "Ja genau. Alchemist Pestlezugg weiß bestimmt, wo ich welche bekomme. Und dann sind wir in Nullkommanichts zu Hause. Ich könnte Euch sogar ein Portal nach Darnassus machen, wenn Ihr wollt."

"Das wäre sehr freundlich von Euch.", gab der Priester mit einer Verbeugung zurück. "Also dann, machen wir uns auf den Weg?"

"Wenn Ihr mich fragt, solltet Ihr noch bis morgen früh warten.", brummte Ausgrabungsleiter Ironboot. "Stoley wird Euch sicherlich noch für eine Nacht Unterkunft gewähren. Und da draußen gibt es jede Menge Diebe, Räuber und Mörder, die nur darauf warten, einen unvorsichtigen Reisenden in der Nacht allein zu erwischen."

"Wir sind ja nicht allein.", ließ sich der zweite Nachtelf vernehmen. Er war im Schatten des Hauses zurückgeblieben und man sah lediglich seine Augen in den Schatten aufleuchten. "Je eher wir aufbrechen, desto besser. Easy wird langsam ungeduldig werden."

Der Priester warf einen Blick auf Schakal, Emanuelle und Risingsun und schüttelte dann den Kopf. "Der Zwerg hat Recht. Mag sein, dass du und ich genug sehen können, Cousin, doch es ziehen bereits dunkle Wolken auf. Wir würden in Begleitung dreier völlig Blinder reisen und ein Überfall oder ein unglücklicher Sturz könnten uns im Endeffekt mehr Zeit kosten, als wenn wir bis morgen warten. Wir haben alle nicht viel Ruhe gehabt in den letzten Tagen. Gönnen wir uns also diese kleine Verschnaufpause."

"Wenn Ihr wollt, könne ich Euch einen Platz in einer der Handelskarawanen besorgen.", bot Stoley an. "Gizwrick ist meines Wissens gestern hier eingetroffen. Für ein paar Münzen ist er sicherlich bereit, Euch nach Gadgetzan zu bringen."

Schakal kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. "Gizwrick? Kleiner, grüner Bursche mit einem Turban? Ständig hinter dem Gold anderer Leute her?"

Die Mundwinkel des Barinhabers wanderten in die Breite. "Wie ich sehe, hattet Ihr bereits das Vergnügen."

Schakal stöhnte und rollte mit den Augen. "Eure Definition von Vergnügen scheint von meiner ziemlich verschieden zu sein. Aber gut, fragt ihn. Aber sagt ihm, dass ich auf keinen Fall noch einmal auf den Rücken eines dieser stinkenden Kamele steige. Wenn ich seekrank werden will, nehme ich ein Schiff."

Stoley grinste breit. "Ich werde mein Bestes versuchen."
 


 


 

Abbefarias Atem malte weiße Wolken in die Nacht. Der junge Druide musste zugeben, dass die Temperaturen ein Ausmaß erreicht hatten, das einigermaßen unangenehm gewesen wäre, hätte er den Weg von Everlook zu der Lichtung, die vor ihm lag, nicht im Laufschritt zurückgelegt. Jetzt stand er vor einer Ansammlung tief verschneiter Bäume und wusste nicht recht, was er tun sollte. Einfach nach Ranshalla zu rufen, erschien ihm frevelhaft, denn dem Ort haftete eine eigenartig ehrfurchtgebietende Ausstrahlung an. Vorsichtig und ohne einen Laut zu verursachen schlich er näher heran.

Vor ihm öffnete sich ein Einschnitt im Gebirge, durch den ein dicht mit Bäumen bestandener Pfad aufwärts führte. Schnee wehte mit einem eisigen Hauch durch die Wipfel der Bäume, die auf Abbefaria wie grimmigeWächter wirkten. Sie versperrten jedoch nicht den Weg, sondern schienen im Gegenteil vor ihm zurückzuweichen. Fast so, als hätten sie ihn erwartet. Tausende von Sternen funkelten mit einem Mal über seinem Haupt, so dachte er zunächst, bis er sah, dass die leuchtenden Punkte frei zwischen den schneeverhangenen Ästen der Bäume schwebten. Diese Bäume waren lebendiger, als sie es bei diesen Temperaturen sein sollten.
 

Unwillkürlich zog Abbefaria den Kopf ein. Ihm war eingefallen, dass irgendwo in seinem Rücken die Überreste des gewaltigen Nordrassil, des ersten Weltenbaums liegen mussten. Mit seinem Opfer hatten die Nachtelfen und ihre Verbündeten den Sieg am Ende des Dritten Kriegs erkauft. Es war der Tag, an dem die Nachtelfen ihre Unsterblichkeit verloren. Obwohl er den Lockruf der Bäume vor ihm fast körperlich fühlen konnte, drehte er sich mit Gewalt herum und erstarre. Der Weg hinter ihm war nicht mehr leer.
 

"Wer bist du?", fragte die Nachtelfe. Sie trug eine lange, dunkelblaue Robe mit goldenen Verzierungen und einen Stab mit einer leuchtenden Kugel an der Spitze in ihrer Hand. Lange, dunkelblaue Haare waren auf ihrem Rücken zusammengebunden und ihre Augen, die Abbefaria aufmerksam musterten, waren vollständig von dunklen Tätowierungen umrahmt.

"Ich...mein Name ist Abbefaria. Eralas Ambersky sandte mich hier her."

Die abweisende Miene der Nachtelfe erhellte sich bei der Nennung des Namens von Abbefarias Auftraggeber.

"So ist das also. Eralas schickt mir einen jungen, unerfahrenen Druiden, um mir zu helfen." Sie lachte leise.

Abbefarias Wangen wurden dunkel. Er hatte mit vielem gerechnet aber nicht damit, ausgelacht zu werden.

"Oh, Ihr missversteht mich, Abbefaria.", beeilte die Nachtelfe sich zu versichern, als sie seine Reaktion bemerkte. "Ich wollte Euch nicht kränken. Ich bin, wie Ihr Euch sicherlich bereits gedacht habt, Ranshalla. Ich wollte gerade zu den Höhlen der Wildekins weiter oben im Berg aufbrechen und ich würde mich dabei über Eure Gesellschaft freuen. Ihr fürchtet Euch doch nicht vor den Wildekin?"

"Ich...? Nein. Natürlich nicht. "Abbefaria kam sich jetzt noch dümmer vor. Natürlich, hier gab es eine Population wilder Bestien und er hatte sich vor den Bäumen gefürchtet. Es war wohl das Beste, wenn er seine Beobachtungen einfach für sich behielt und tat, was Ranshalla ihm auftrug. Mit einem mulmigen Gefühl ging er hinter ihr den Weg hinauf.
 

"Auf der Spitze dieses Bergkamms liegt eine Stätte, von der ich denke, dass sie einst ein Altar für Elune war.", erklärte sie, während die winterlichen Bäume vor ihnen langsam zurückwichen und den Blick auf einen schneebedeckten Weg freigaben. "Der Altar an sich ist jedoch verschwunden und die Stelle, an der er vermutlich stand, ist leer. Ich habe in den Ruinen von Kel'Theril einige Aufzeichnungen in den Stein gemeißelt gefunden, die darauf hindeuten, dass der Altar versteckt wurde. Es gibt insgesamt fünf magische Fackeln, die wir finden und entzünden müssen, um den Altar freizulegen. Das Problem dabei ist, dass die Fackeln sich in den Höhlen befinden, in denen sich die Wildekin niedergelassen haben. Eure Aufgabe wird es sein, sie abzulenken, während ich die magischen Lichter entzünde."

"Und wie soll ich das anstellen?", entfuhr es Abbefaria.

Ranshallas Züge zeigten Bedauern. "Ich fürchte, es wird Euch nicht viel anderes übrig bleiben, als sie zu bekämpfen. Wir müssen dieses Opfer bringen, wenn wir das Geheimnis ihrer Herkunft entschlüsseln wollen. Vielleicht finden wir so ja auch einen Anhaltspunkt, warum so viele dieser Kreaturen, die in den alten Geschichten noch unsere Verbündeten waren, so wild und angriffslustig geworden sind. Eralas erwartet meinen Bericht sicherlich schon sehnsüchtig."
 

Abbefaria gefiel das nicht, doch er hatte sich vorgenommen, Ranshalla zu gehorchen, und so folgte er ihr weiter, wenn auch mit schwerem Herzen. Er wollte diese Kreaturen nicht verletzten oder gar töten. Andererseits wollte er auch Eralas Ambersky nicht enttäuschen, der ihm trotz seiner Jungend und Unerfahrenheit, wie Ranshalla so richtig bemerkt hatte, diese wichtige Aufgabe übertragen hatte. Er hatte die älteren Druiden in diesen Tagen schon genug enttäuscht.
 

Der Weg vor ihnen wurde breiter und endete schließlich in einem weiß bepuderten Plateau, an dessen Rand dunkle Öffnungen im Fels zu erkennen waren. Das mussten die Höhlen sein, von denen Ranshalla gesprochen hatte.

"Seltsam", murmelte Ranshalla, als sie vor einer der Höhlen stehenblieb. "Ich sehe keines der Wildekins. Und habt Ihr dieses blaue Licht bemerkt? Ich frage mich, was es wohl zu bedeuten hat."

Abbefaria war froh, dass Ranshalla sich in diesem Moment nicht umdrehte, denn er fürchtete, dass er ein sehr dummes Gesicht machte. Sie hatte das blaue Leuchten also auch bemerkt.

Ranshalla schüttelte noch einmal den Kopf und ließ den Gedanken dann wohl fallen."Ich werde jetzt in die erste Höhle vordringen, Abbefaria. Seid so gut und sorgt für meine Sicherheit, während ich die erste Fackel entzünde."
 

Der junge Druide blieb am Eingang der Höhle zurück, während Ranshalla allein ins das dämmrige Halbdunkel ging. Er konnte sehen, dass die Höhle nicht sehr tief war. Nicht viel mehr als eine großzügige Nische im Fels. Auf dem Boden lagen einige große, weißblau schimmernde Federn, ähnlich denen, die Eralas Ambersky in Händen gehalten hatte. Abbefaria kniete nieder, um eine von ihnen aufzuheben. In diesem Moment erklang hinter ihm ein schauerliches Geräusch, das wie eine Mischung aus dem Kreischen eines Raubvogels und dem Brüllen eines angriffslustigen Bären klang.

Er fuhr herum und starrte direkt in den aufgerissenen Schnabel eines wütenden Wildekins.

Die Kreatur überragte ihn um mehr als Haupteslänge und war mehr als doppelt so breit wie er. Der Körper war mit weißen, seltsam haarig wirkenden Federn bedeckt und das pelzige Gesicht wurde von einem riesigen Schnabel dominiert. Darüber funkelten zwei scharfe, blau leuchtende Raubvogelaugen und ein vielfältig verästeltes Geweih schmückte den Kopf. Das Wesen hatte die Arme ausgebreitet, an dem neben an Flügel erinnernde Federn vor allem die breiten Pranken mit den messerscharfen Krallen Abbefarias Aufmerksamkeit fesselten. Ein zweites Paar dieser Pranken wühlte den Schnee zu Füßen des Wildekins auf. Es kreischte erneut und klapperte erbost mit dem breiten Schnabel.
 

Abbefaria wusste, dass er sich in eine denkbar schlechte Position begeben hatte. Er kauerte vor der Kreatur, so dass er ihr weder ausweichen, noch sie angreifen konnte, ohne in die Reichweite ihrer Klauen zu kommen. Was er brauchte, war ein Wunder.

Elune steh mir bei, dachte er bei sich. Ich kann unmöglich gewinnen. Ich habe versagt.
 

In seiner Not begann er zu dem rasenden Wildekin zu sprechen. "Bitte, wir wollen Euch nicht Böses. Versteht doch! Wir sind hier, um Euch zu helfen."

Er hob die Hände, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Das weiße Wildekin quittierte das mit einem erneuten Schrei. Schnell ließ der junge Druide die Hände wieder sinken. Noch immer hatte das Wildekin ihn nicht angegriffen. Warum nicht?

"Wir sind eure Freunde.", versuchte er es erneut. "Wir sind nur auf der Suche nach dem Altar. Bitte, lasst uns die Fackeln entzünden."

Abbefaria wusste nicht, ob seine Worte zu dem Biest durchgedrungen waren. In diesem Moment erklang eine Folge magischer Worte aus dem Inneren der Höhle. Ranshalla hatte begonnen, die Fackeln zu entzünden. Das Wildekin brüllte auf und stürzte sich in die Höhle.
 

Irgendetwas geschah und Abbefaria reagierte ohne nachzudenken. Wie schon im See von Elune'ara schien sein Körper von selbst zu wissen, was er zu tun hatte. Er sprang dem Biest entgegen und streckte die Hände vor. Eine unbekannte Formel verließ seine Lippen und das angreifende Wildekin wurde von einer gewaltigen Windböe aus der Höhle geschleudert. Der Druide setzte ihm nach und beschwor im selben Augenblick unzählige Ranken aus dem gefrorenen Boden, die die gewaltigen Kreatur banden und festhielten. Erst dann wurde er sich der anderen Wildekin bewusst, die jetzt ebenfalls auf dem Schneeplateau erschienen waren. Die meisten von ihnen teilten das weiße Gefieder ihres Bruders, doch es waren auch welche unter ihnen, deren Gefieder grau und braun war. Ihre Augen leuchteten golden wie die der alten Druiden. Sie alle hatten sich Abbefaria zugewandt und ihr gemeinsames Gebrüll ließ den Berg um ihn herum erzittern.
 

"Kommt nicht näher.", rief er, obwohl es in seinen Ohren ebenso lächerlich klang wie die Schnattern eines Eichhörnchens in den Klauen eines Nachtsäblers. Noch einmal rief er Elune um Hilfe an und sandte ein Stoßgebet in die Nacht. Wieder erschien etwas die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Einer Antwort gleich stieß kaltes Mondfeuer vom Himmel herab und zerstäubte den Schnee. Wieder und wieder wirkte er den Spruch, als könnte er aus den Strahlen aus festgewordenem Mondlicht einen schützenden Käfig um sich und Ranshalla bauen. Er hatte die Augen geschlossen und erwartete jeden Moment, von den Klauen und Schnäbeln der Wildekin zerrissen zu werden.
 

Erst als eine Hand ihn grob an der Schulter schüttelte und jemand seinen Namen in sein Ohr brüllte, brach er die unablässige Zauberfolge ab. Seine Knie wurden weich und wie bei einer Marionette, der man die Fäden gekappt hatte, fiel er hinab in den Schnee.

"Abbefaria, was habt Ihr getan?", fragte Ranshalla. Ihre Stimme bebte. Ob vor Wut oder vor Fassungslosigkeit, konnte er nicht feststellen. "Die Wildekin, sie..."

Mühsam öffnete Abbefaria die Augen. Er fühlte sich fiebrig und ausgehöhlt. Trotzdem war ihm sein geschwächter Zustand unerträglich. Er wollte aufstehen, weiterkämpfen. Das Feuer der Göttin brannte in ihm.

Sein Blick fiel auf die Wildekin, die sich um sie versammelt hatten. Die Wesen sahen ihn aus blauen und goldenen Augen an. Es war, als würde eine Prüfung stattfinden, von der er nicht wusste, wie er sie bestehen sollte. Doch wenn er schon sterben sollte, so wollte er es zumindest auf seinen Füßen tun. Er kämpfte sich hoch und blieb schwankend im Schnee stehen. Gleich würde es vorbei sein.
 

Das erste der Wildekin rührte sich. Es war dasjenige, das Abbefaria als erstes angegriffen hatte. Es machte einen Schritt nach vorn und krächzte leise. Dann trat es beiseite und gab den Weg frei. Nach und nach folgten ihm seine Kameraden, bis schließlich alle Eingängen zu den Höhlen im Fels frei zugänglich waren. Die Wildekin standen da und schienen auf etwas zu warten.

"Mir scheint, sie wollen, dass wir die restlichen Fackeln entzünden.", flüsterte Ranshalla. "Könnt Ihr gehen?"

Abbefaria nickte schwach.

"Dann folgt mir. Ich bin nicht sicher, was hier gerade passiert, aber es scheint bedeutsam zu sein."
 

Die Nachtelfe schritt vor ihm den Pfad entlang, der sich zwischen den Wildekin gebildet hatte. Die Kreaturen bewegten sich nicht, sondern sahen ihnen nur aus großen, runden Augen nach. Es war, als würde man durch einen Wald von runden, federbedeckten Bäumen wandeln.

Nacheinander entzündete Ranshalla auch die restlichen vier Fackeln. Als die letzte mit einem magischen Zischen zum Leben erwachte, kam wieder Leben in die Wildekin. Eines nach dem anderen drehte sich um und watschelte eine Anhöhe hinauf, bis zuletzt nur noch die erste der eigenartigen Kreaturen übrig geblieben war. Sie schenkte Abbefaria einen langen Blick und wandte sich dann ab, um seinen Kameraden zu folgen. Ohne zu zögern gingen auch Abbefaria und Ranshalla den schmalen Pfad entlang. Er führte sie zu einer eingestürzten Ruine, von der nur noch einzelne Reste der marmornen Säulen aus dem Schnee ragten. In der Mitte eines kleinen Platzes jedoch ragte makellos und ohne auch nur einen Hauch von Frost darauf ein schneeweißer Altar auf. Die Wildekin hatten sich im Kreis darum verteilt und sahen den beiden Nachtelfen erwartungsvoll entgegen.

Abbefaria hörte, wie Ranshalla neben ihm den Atem anhielt.

"Das ist es.", flüsterte sie. "Das ist der Altar. Wir müssen jetzt den letzten Schritt vollziehen. Ich werde die Formel sprechen, die in seinen Sockel eingraviert ist, während Ihr den Altar entzündet."

Abbefaria hätte gerne gefragt, wie er das anstellen sollte, doch Ranshalla war bereits zu dem marmornen Tisch getreten und hatte begonnen zu lesen. Uralte Worte voller Macht entströmten ihrem Mund und mit einem Mal wusste Abbefaria, was er zu tun hatte. Er trat an den Altar und legte seine Hände darauf. Der Stein darunter war kühl, aber nicht so sehr, wie er es in dieser frostigen Winternacht hätte sein sollen.

Etwas in dem Stein erwachte. Ein ungesagtes Wort, eine gedachte Berührung strich an seiner Seele entlang und fand in seinem Inneren eine Antwort. Im gleichen Moment begann der Altar unter seinen Fingern zu leuchten.
 

"Wir haben es geschafft.", jubelte Ranshalla. Die Augen der Nachtelfe glühten im Widerschein des Altars. "Seht doch, Abbefaria. Dort!"

Der Druide blickte in die Richtung, in die Ranshalla wies. Zwei durchscheinende Nachtelfen in weißen Roben waren neben dem Altar erschienen. Unbezweifelbar handelte es sich bei ihnen um Priesterinnen. Priesterinnen von Elune.

"Es ist viele Jahre her.", sagte die rechte von ihnen und die linke fragte:

"Wer stört die Ruhe des Altars der Göttin?"

Ranshalla ließ sich auf ein Knie sinken. "Priesterinnen, vergebt uns unser Eindringen. Wir kamen hierher, weil wir auf der Suche nach Antworten sind. Bitte sagt uns, warum die Wildekin dieses Areal bewachen."

Die rechte Priesterin drehte ihr durchscheinendes Gesicht in ihre Richtung und ihr Blick schien sich direkt in Abbefarias Innerstes zu brennen.

"Enu thora'serador. Dies ist ein heiliger Ort. Wir werden es Euch zeigen."
 

Aus dem Nichts erschien ein gewaltiger, rechteckiger Kristall über dem Altar, der sich langsam um sich selbst drehte. Er leuchtete von innen heraus und tauchte den Altar und die gesamte Umgebung in ein intensives, blaues Leuchten. Abbefarias Augen tränten, doch er konnte den Blick nicht von dem Stein nehmen. Irgendetwas war darin, dass ihn in seinen Bann zog. In einem auf- und abschwellenden Singsang hörte er die Stimme der Priesterinnen abwechselnd sprechen.

"Seht nach oben. Thara dormil dorah..."

"Dieser Stein erlaubte einst einen direkten Kontakt mit Elune selbst. Durch ihn ließ Elune uns an ihrer unendlichen Weisheit teilhaben."

"Wir erkannten die große Gabe, doch wir sahen auch, dass wir den Stein beschützen mussten. So riefen wir Elune selbst um Hilfe an, auf dass sie ihr Geschenk für uns bewahren möge."

"Kurz darauf hatten wir die Vision eines Wesen...eines Wesen mit den Federn einer Eule, Elunes Liebling unter allen Nachtvögeln, und der Stärke und Kraft eines Bären, dem unermüdlichen Beschützer der Wälder."

"An diesem Tag wurden uns die Wildekin geschenkt. Unerschütterliche Wächter, die die Göttin mit dem Auftrag zu uns sandte, all ihre heiligen Stätten zu beschützen."
 

Abbefaria sah, wie ein durchscheinendes Abbild eines Wildekins unter den Stein trat. Es war groß, noch größer als seine lebendigen Kameraden und in seinem Blick lang eine Weisheit, die seine wilden Brüder vermissen ließen. Es wirkte auf eine vertrauenserweckende Weise stark und mächtig und gleichzeitig so sanft wie das Mondlicht selbst.

"Anu'dorini Talah, Ru shallora enudoril.", hörte Abbefaria eine Stimme direkt in seinem Kopf. Er fühlte mehr, als dass er begriff, dass dies die Stimme der Göttin selbst gewesen war. Sie hatte zu ihm gesprochen. Zu ihm und dem Wildekin.
 

Wie in weiter Ferne hörte er, dass die Priesterinnen weiter sprachen. Von den Wildekin, die ihre Bestimmung vergessen hatten, die wild und ungezügelt die Berge und Täler durchstreiften auf der Suche nach einer Aufgabe, an die sie sich nicht erinnern konnten. Von Wildekin, die zurückkehrten, und denen, die für immer verloren waren. Von der Magie, die diesen Wesen innewohnte und die durch Elunes Gaben noch verstärkt worden war. Von vergessenem Wissen und den Wildekin, die wussten, wo es zu finden war, weil Elune selbst sie einst als Wächter berufen hatte. All das verschwand, wurde ausgeblendet von dem blauen Schein des Edelsteins und dem Anblick des geisterhaften Wildekins.

"Nein, nicht Wildekin.", murmelte Abbefaria. "Moonkin."
 

In dem Moment, in dem er den Namen aussprach, glühte der Stein auf. Ein blauer Lichtstrahl traf den Druiden direkt in die Brust und hüllte ihn vollkommen ein. Eingeschlossen in eine Blase aus grellblauem Licht wurde Abbefaria in die Höhe gehoben, bis sich sein Gesicht in der glatten Struktur des Kristalls spiegelte. Auf der anderen Seite des Kristalls schwebt das geisterhafte Moonkin ebenfalls im Licht des Kristalls.

Ihre Blicke trafen sich durch den Kristall hinweg und ihre Züge legten sich übereinander, so dass Abbefaria nicht mehr unterscheiden konnte, wer von ihnen wer war. Er spürte ein heißes Kribbeln seinen Körper entlang jagen, konnte fühlen wie...irgendetwas geschah, wie sich seine Knochen verschoben und sein Blick für einen Moment trüb wurde. Im nächsten Augenblick erlosch der blauen Lichtstrahl und Abbefaria fiel mit einem kreischenden Schrei zurück in den Schnee.
 


 


 

Magenta zog ihren Dolch aus dem unförmigen Köper, der vor ihr lag. Rotes Blut ergoss sich in den Schnee und die Hexenmeisterin beeilte sich, ihre Phiolen in den dampfenden Strahl zu halten, bevor er versiegte, gerann oder gar in dieser bitterkalten Nacht gefror. Das Biest, das sie erlegt hatte, war eine groteske Mischung aus einer Eule und einem Bären und hatte noch dazu ein Geweih auf seinem Kopf. Es sah absolut lächerlich aus. Zudem war es nicht besonders schlau, denn wie auch schon seine Kammeraden vor ihm, hatte es einfach da gestanden und hatte ins Mondlicht hinauf geblickt. Magenta hatte selten eine einfachere Aufgabe gehabt.

Sie verkorkte die Phiolen, die sie mit dem Blut der Kreatur gefüllt hatte und sah sich um. Ihr fehlten noch ganze drei Phiolen und weit und breit war keine der Bestien mehr zu sehen.

"Wo haben die sich nur alle verkrochen?", murmelte sie ärgerliche vor sich hin und gab ihrem Wichtel ein Zeichen zu folgen. Der Kerl hatte sich als recht effektiv erwiesen, um das struppige Feder- und Pelzkleid der Viecher wegzubrennen, damit sie an die dicke Speckschwarte und somit an das darunter liegende Blut kam. Ansonsten hätte sie die übergroßen Brathühner womöglich auch noch rupfen müssen. Außerdem war der kleine Brandstifter durchaus nützlich, wenn es darum ging, die verräterischen Überreste ihrer Opfer zu beseitigen. Federn und Fett brannten erstaunlich gut.
 

Der Weg vor Magenta führte weiter in die Berge und die Hexenmeisterin zögerte. Sie hatte den Pfad ohnehin mehr durch Zufall entdeckt, als sie auf der Suche nach ihrem Teufelsjäger unter einigen schwer mit Schnee beladenen Bäumen hindurchgekrochen war, nachdem ein anderes Lager der Eulenbestien ein wenig weiter westlich sich als Fehlschlag erwiesen hatte. Die Idee, den magiefressenden Dämon als Sucher nach den magischen Kreaturen einzusetzen hatte sich somit bewehrt. Danach war der braunrote Jäger jedoch wie verrückt im Schnee herumgesprungen und hatte nach irgendwelchen imaginären Gegnern geschnappt, bis Magenta ihn schließlich entnervt entlassen hatte. Der Gedanke, jetzt nur mit dem schwächlichen Wichtel an ihrer Seite noch weiter in die unbekannte Wildnis vorzudringen, behagte ihr ganz und gar nicht. Irgendetwas an diesem Ort war mehr als merkwürdig.

Ach Unsinn, schalt sie sich. Was außer noch ein paar von diesen räudigen Bestien soll sich hier schon herumtreiben. Ein Drache vielleicht?

Die Hexenmeisterin lachte bei diesem dummen Gedanken auf. Sie wusste natürlich um die Existenz dieser feuerspeienden Echsen, doch es würde sich sicherlich keine von ihnen an diesen eiszapfenverhangenen Ort verschlagen. Die Drachen, die sie kannte, lebten irgendwo dort, wo es warm war, und in diesem Moment hätte Magenta durchaus gerne mit ihnen getauscht. Aber immerhin schien der Mond in dieser Nacht so hell, dass sie nicht im Dunkeln umher stolpern musste und ihren nächsten Gegner klar vor sich erkennen konnte.

Wieder stand das eigenartige Mischwesen wie verzaubert im Mondlicht. Es hatte das Gesicht dem bleichen Himmelskörper zugewandt und es sah fast so aus, als würde es etwas lauschen. Magenta hinterfragte dieses seltsame Gebaren nicht weiter, sondern nutzte die Gelegenheit, um auch diese Bestie kurz und schmerzvoll zur Strecke zu bringen. Mit einem wehleidigen Laut kippte die Kreatur nach hinten und blieb regungslos im Schnee liegen. Kurz darauf floss sein Blut in Magentas Phiolen, bis die Hexenmeisterin genug hatte und endlich das letzte Gefäß verkorken konnte. Sie ließ sie in ihrer Tasche verschwinden und sah sich um.
 

Vor ihr lag ein schneebedecktes Plateau umrandet von steil aufragenden Felswänden, die im Mondlicht frostig glitzerten. Dunkle Öffnungen am Saum der Berge führte tiefer in den Fels hinein. Womöglich lagen dort hinter die Schlafstätten der Eulenbestien. Da sie bereits hatte, was sie wollte, hatte Magenta nicht vor, es heraus zu finden. Das Einzige, was sie jetzt wollte, war auf dem schnellsten Weg zurückreisen. Trotz ihres Schutzzaubers und der zusätzlichen, dicken Kleidung, war der Hexenmeisterin inzwischen empfindlich kalt geworden.

Sie blies in ihre Hände und wollte sich schon zum Gehen wenden, als ihr Blick an einem dunklen Fleck im Schnee ein wenig oberhalb ihres Standortes hängen blieb. Irgendetwas Großes lag dort auf einem unordentlichen Haufen zwischen den Überresten weißer Marmorsäulen. Allem Anschein nach hatte es hier einmal eine Elfenstadt oder zumindest eine Kulststätte gegeben. Man fand Überreste der ursprünglichen Prachtbauten fast überall in Kalimdor. Manchmal ließ sich aus den Ruinen auch noch etwas Wertvolles bergen, wenn nicht entweder Zwerge oder Goblins sich bereits darüber hergemacht hatten. Allerdings bezweifelte Magenta, dass einer von ihnen je einen Fuß hierher gesetzt hatte. Dazu war die Ruine zu klein und zu unbedeutend. Trotzdem wollte Magenta wissen, was dort im Schnee lag und wagte sich an den Anstieg.
 

Ihre Enttäuschung war groß, als sie sah, dass es nur eine weiter Eulenbestie war. Das Tier lag auf dem Rücken und bewegte sich nicht. Magenta überlegte. Womöglich war es nicht verkehrt, noch ein paar weitere Phiolen des magischen Blutes einzustecken. Morzul Bloodbringer wäre vielleicht erfreut über das Mehr dieser kostbaren, roten Flüssigkeit und wenn nicht, ließ sich damit vielleicht doch noch irgendwie ein wenig Gold verdienen. Immerhin reiste nicht jeden Tag jemand in diesen abgelegenen Teil Wintersprings. Entschlossen kramte Magenta eine neue Phiole hervor und beugte sich über die Kreatur. Sie winkte Rulpep, ihr ein zweckdienliches Loch in den Pelz des Biestes zu brennen und hob ihren geschwungenen Dolch, um das Biest zur Ader zu lassen.
 


 

Schmerz. Glühender, sengender, alles verzehrender Schmerz raste durch Abbefarias Sinne. Mit einem Schlag risse er die Augen auf und wollte aufspringen. Aber seine Füße waren ungelenk, sein Gleichgewicht durcheinander und sein Kopf war eigenartig schwer. Statt mit einem eleganten, geschmeidigen Sprung auf den Füßen zu landen, stolperte über eben diese und fiel mit dem Gesicht voran in den Schnee. Schwerfällig wälzte er sich herum und das feuchtkühle Nass dämpfte die Agonie in seiner Seite. Er seufzte erleichtert auf und war erstaunt, ein vogelartiges Trillern zu hören. Es blieb ihm jedoch keine Zeit, sich darüber zu wundern, denn erneut flutete Schmerz seine Sinne. Jemand griff ihn an!
 

„Dir werd ich´s zeigen, mich so zu erschrecken.“, bellte eine schrille Stimme.

Der Geruch von Feuer und Schwefel lag in der Luft. Ein dunkles Licht hüllte Abbefaria ein und ließ ihn gequält aufheulen. Eine stetig ansteigende Pein raubte ihm den Atem und machte ihn blind. Verfluchte Magiestränge griffen nach seiner Luftröhre und schnürten sie ab, während höllisches Feuer seine Haut in Brand setzte. Durch einen Tränenschleier sah er eine dunkel Gestalt, die vor ihm aufragte. Gerade hob sie die Hand, um ihm mit einem erneuten Zauber zu Boden endgültig das Bewusstsein zu rauben. Das musste er in jedem Fall verhindern.

Mit neuer, ungeahnter Kraft rief er nach den Mächten der Natur und sie antworteten ihm klar wie nie zu vor. Eine Windböe fegte heran und warf die Gestalt zurück. Abbefaria rollte sich herum, wuchtete sich in die Höhe und einen halben Wimpernschlag später pulverisierte eine Salve von Mondstrahlen den Schnee um seinen Angreifer herum. Dornige Ranken schossen aus dem Boden, wanden sich um die Füße seines Gegners und brachten ihn zu Fall. Schon war Abbefaria über ihm. Er würde den Zorn der Natur auf denjenigen herab beschwören, der es gewagt hatte, sich ihm entgegenzustellen.

Der Druide streckte die Hände aus und erstarrte. Was war das?
 


 

Das schreckliche Biest ragte wie eine lebendige Wand aus Fell und Federn vor Magenta auf. Seine gelben Augen blitzten tückisch und es hatte den Schnabel in einer furchterregenden Grimasse weit aufgerissen. Statt eines wütenden Brüllens entfleuchte dem Biest jedoch nur ein dünner, klagender Laut. Statt sich auf Magenta zu konzentrieren, starrte es abwesend aus seine eigenen Pranken, als sähe es sie zum ersten Mal.

Die Hexenmeisterin, die noch das kalte, weiße Feuer, das das Biest vom Himmel beschworen hatte, in ihren Knochen spüren konnte, nutzte die Gelegenheit und sandte der Bestie einen Schattenblitz direkt zwischen die Augen. Getroffen schrie das Tier auf und taumelte mit wild rudernden Armen rückwärts. Die Ranken, die Magenta am Boden hielten, verloren augenblicklich ihre Festigkeit. Blitzschnell wühlte sie sich dazwischen hervor und wollte den Kampf mit einem finalen Schlag beenden, als plötzlich eine seltsame Veränderung mit dem Biest vor sich ging.

Es schrumpfte förmlich in sich zusammen, verlor beträchtlich an Breite und Masse. Das Geweih verschwand und wurde durch ein paar lange Ohren ersetzt. Der struppige Pelz wurde blau und kroch über den Rücken hinauf, bis nur noch ein kurzer Haarschopf übrig blieb. Die Federn wichen einer dunkelvioletten Haut. Am Ende des Prozesses, der nur wenigen Herzschläge dauerte, hockte ein keuchender Nachtelf vor Magenta im Schnee. Er murmelte unablässig vor sich hin, während grünes Licht unter seiner Hand hervor strahlte, die er gegen seinen Brustkorb gepresst hatte.
 

Magenta, die Hand noch erhoben, um ihren Zauber zu vollenden, starrte ungläubig auf die Stelle, auf der gerade noch eine wilde Eulenbestie gestanden hatte. Die breiten Fußspuren waren immer noch zu sehen, nur dass in ihrer Mitte jetzt ein verletzter Nachtelf hockte. Das Ganze konnte nur ein Trick sein. Eine Illusion, mit der die Bestie sie narren wollte. Aber so dumm war Magenta nicht. Sie öffnete den Mund, um den Zauber auszusprechen, als der Nachtelf zu sprechen begann.

„Bitte…“, stöhnte er zwischen zwei schweren Atemzügen. „Bitte…ich gebe auf. Ihr habt gewonnen.“

Verblüfft ließ Magenta den Arm wieder sinken. „Was meint Ihr damit. Wer seid Ihr? Wo ist die Eulenbestie hin?“

Der Nachtelf hob den Kopf und Magenta lief ein heißkalter Schauer über den Rücken. Sie kannte ihn! Wie schon beim letzten Mal hing ihm sein Haar in nassen Strähnen ins Gesicht, nur dass sich diesmal Wasser mit Blut aus einer Platzwunde an seiner Stirn vermischte. Der mitleiderregende Ausdruck in seinen leuchtenden Augen war jedoch derselbe. Es war der Nachtelf, den sie bereits in Moonglade getroffen hatte und der sie allem Anschein nach ebenfalls wiedererkannte.

„Ihr?“, kam es von dem am Boden kauernden Häufchen Elend und in dem einen Wort lag so viel Fassungslosigkeit, dass es etwas in Magenta berührte. Ein unbekanntes und unangenehmes Gefühl, wie ein bitterer, stacheliger Ball, kroch ihre Kehle hinauf und ließ sie schlucken. Was sollte denn diese Frage? Was glaubte er denn? Dass sie ihn nicht hatte bezwingen können? Dass er ihr überlegen war? Oder etwa, dass sie immer noch auf diesem albernen Fest saß und Elfenwein in sich hineinschüttete? Dass sie am Ende noch ein netter Mensch war? Ha!

„Ha!“, machte die Hexenmeisterin. „Ja, ich, wenn Ihr erlaubt. Würdet Ihr mir bitte erklären, was diese Scharade zu bedeuten hat? Was tut Ihr hier? Und wo ist die Eulenbestie hin?“

„Ranshalla“, murmelte er.

„Was? Sprecht deutlich und in einer Sprache, die ich auch verstehe.“, blaffte Magenta unfreundlich. Es half gegen das Gefühl in ihrem Hals, wie sie erfreut feststellte. Der Drang, ihm die Hand entgegenzustrecken und ihm aufzuhelfen, wurde kleiner.

„Ranshalla.“, wiederholte der Nachtelf. „Sie und ich wir kamen hierher, um die Wildekin zu beobachten und etwas über ihre Herkunft…und dann war da dieser Altar. Die Priesterinnen und das Licht. Das blaue Licht von Elune…und dann weiß ich nichts mehr.“
 

Der Nachtelf ließ den Kopf wieder sinken und atmete schwer. Magenta sah zu, wie er versuchte, sich in die Höhe zu kämpfen und kraftlos wieder im Schnee zusammensank. Nur mit Mühe widerstand sie erneut dem Wunsch, ihm aufzuhelfen. Was passiert war, war allein seine Schuld. Sollte er selbst sehen, wie er mit den Konsequenzen zurechtkam. Sie musterte ihn aus schmalen Augenschlitzen, während er erneut etwas vor sich hin sang, das ein Heilzauber sein musste. Die Brandwunde an seiner Seite schloss sich und nur noch violette Haut schimmerte durch das Brandloch in seiner Kleidung. Plötzlich verstand Magenta und schnaubte entrüstet.

„Was hat Euch nur auf die Idee gebracht, Euch in eine dieser Eulenbestien zu verwandeln?“

Der Kopf des Nachtelfen ruckte nach oben. Seine Züge spiegelten erst Unglauben und dann plötzliches Verstehen. Abwesend glitt sein Blick an Magenta vorbei.

„Elune hat ich erwählt.“, flüsterte er. „Sie hat mich zu einem ihrer Wächter gemacht. Das ist…“

„Das ist ja alles recht interessant.“, fiel Magenta ihm ungeduldig ins Wort. „Aber so langsam solltet Ihr Euch wirklich erheben. Ihr seht nicht aus, als wenn es Euren Zustand zuträglich wäre, wenn Ihr Euch noch lange im Schnee herumwälzt.“

Der Nachtelf sah sie weder an, noch schien er gehört zu haben, was sie gesagt hatte. Stattdessen hatte er begonnen, in seiner eigenen Sprache vor sich hin zu murmeln. Die Situation hatte etwas Surreales, das Magenta auflachen ließ. Erst dieses Geräusch schien den Nachtelfen daran zu erinnern, dass er nicht allein war.

„Ihr solltet nicht hier sein.“, sagte er plötzlich. Er klang gehetzt. „Ihr müsst gehen. Schnell. Das hier ist ein heiliger Ort.“

Magenta zog eine Augenbraue nach oben. Wollte dieser Kerl sie etwa auf den Arm nehmen? Andererseits hatte er vielleicht nicht Unrecht. Wenn diese Ranshalla wieder auftauchte und möglicherweise noch andere Nachtelfen hierher mitbrachte, war es vielleicht besser, wenn man sie nicht hier sah. Die Nachtelfen hätten aus den Schilderungen des Nachtelfen die falschen oder – noch viel schlimmer – die richtigen Schlüsse ziehen können. Sie warf einen Blick auf ihren Wichtel, der einen kleinen Kreis in den Schnee geschmolzen hatte und den der Nachtelf noch nicht bemerkt hatte. Schnell entließ sie den verräterischen Dämon mit einem Fingerschnippen. Es kam jetzt darauf an, möglichst unauffällig und harmlos zu wirken.
 

„Habt vielen Dank für den Rat.“, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. „Ihr hat Recht, ich sollte gehen. Wisst Ihr zufällig, wie ich von hier am schnellsten wieder nach Stormwind gelange?“

Er schüttelte den Kopf.

„Wie schade.“, seufzte Magenta. „Die Hinreise durch dieses entzückende Moonglade war wirklich ganz bezaubernd.“

Der Nachtelf zuckte wie vom Donner gerührt zusammen. „Natürlich, das Mondfest.“, murmelte er. „Ich kann nicht…aber vielleicht.“

Die Hexenmeisterin verdrehte innerlich die Augen. Wenn er nicht bald aufhörte, in Rätseln und unvollständigen Sätzen zu reden, würde sie ihn doch noch umbringen. Erwürgen schien ihr irgendwie passend.

„Was ist?“, fragte sie patzig, als er sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck musterte.

„Ihr sagt, Ihr müsst nach Stormwind?“, fragte er nach und sie bejahte das zögerlich. Worauf wollte er hinaus.

„Die magischen Mondlichtzirkel, die Euch hergebracht haben, funktionieren in beide Richtungen. Wenn Ich Euch dorthin zurückbringe, könnt Ihr schnell und bequem zurückreisen. Es würde Eurer Sicherheit dienen, nicht wahr?“

„Natürlich würde es das.“, antwortete Magenta zögernd. Ihr war die plötzliche Euphorie ihres Gegenübers nicht ganz geheuer.

„Dann ist es sozusagen meine Pflicht, Euch dorthin zu bringen. Immerhin seid Ihr Gast in diesem Land.“
 

Magenta erwog, an dieser Stelle Einspruch zu erheben, denn streng genommen gehörte Winterspring nicht zum Hoheitsgebiet der Nachtelfen. Doch dann fiel ihr ein, dass sie damit möglicherweise eine wunderbare Gelegenheit verpasste, schnell wieder nach Hause zu kommen. Wer wusste schon, wie lange die magische Wirkung des Eulenbestien-Bluts anhielt. Nein, je eher sie nach Stormwind kam, desto besser.

„Also schön.“, sagte sie und strahlte den Nachtelfen an. „Reisen wir zusammen nach Moonglade. Kommt Eure Freundin Ranshalla mit?“

Der Nachtelf wirkte ertappt. „Nein, sie…äh…sie hat zu tun. Kein Grund, sie zu belästigen. Ihr werde Ihr…äh…einen Brief schreiben. Sie wird das verstehen. Gastfreundschaft wird bei uns sehr groß geschrieben.“

Magenta konnte sich nicht erinnern, jemals eine schlechtere – oder offensichtlichere – Ausrede gehört zu haben. Aber was ging es sie an, wenn die Nachtelfen irgendwelche Querelen miteinander hatten. Wichtig war nur, dass sie dieser Tropf hier sicher und schnell wieder nach Stormwind bringen würde. Alles andere war unwichtig. Sie lächelte noch einmal, doch ihr neuer Begleiter wich ihrem Blick aus. Auch gut. So würde es leichter werden, ihn wieder loszuwerden.
 


 

„Ihr müsst dort hinauf.“, erklärte Torwa Pathfinder und wies einen überwucherten Bergpfad hinauf. Von unten kaum sichtbar wand er sich dicht an die steilen Felswände des Un’goro-Kraters entlang und verschwand zwischen zackigen Berggipfel. Der Druide fühlte sich unbehaglich bei dem Gedanken, dort oben hinauf zu müssen und diesmal hatte das Gefühl nicht nur etwas mit der Höhe zu tun oder mit den zwei onyxfarbenden Steinsäulen mit dem Käfersymbol, die den Aufgang säumten. Vielleicht war seine Entscheidung, den Weg allein fortzusetzen, doch nicht die klügste gewesen

„Was erwartet mich dort?“

Der Taure zuckte mit den breiten Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich war noch nie in Silithus. Man sagt, dass es eine große, unbewohnte Steinwüste sei. Mein Gefühl hingegen sagt mir, dass dort oben etwas ist. Etwas, dem ich lieber nicht begegnen möchte.“

Easygoing teilte dieses Gefühl. Der dichte Dschungel mit seinen lauernden Raubtieren und heimtückischen Schlingpflanzen schien auf einmal das reinste Paradies gegen die Vorstellung, den Weg in die Berge anzutreten. Doch half es alles nichts. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. So dankte er Torwa Pathfinder noch einmal für die Gastfreundschaft und dessen Bereitschaft, sich weiter um Eisenschnabel zu kümmern, bis dieser wieder genesen war, und betrat dann voller böser Vorahnungen den breiten Pfad nach Silithus.
 

Mit zunehmender Höhe wurde das Atmen zunächst leichter, da der Dunst des Kraters unter ihm zurückblieb. Mehr als einmal ließ er seinen Blick über das üppige, nebelverhangene Tal gleiten und fragte sich insgeheim, wer wohl wirklich für die Erschaffung dieses überbordenden Horts an Leben verantwortlich war. Doch je weiter der Druide stieg, desto dünner wurde die Luft und umso mehr musste er sich auf den Weg konzentrieren, um nicht etwa von einem losen Stein zu Fall gebracht und in die Tiefe gerissen zu werden.

Irgendwann blieb auch das letzte bisschen Grün am Wegesrand zurück und die Berge wurden omnipräsent. Wie lange er zwischen den felsigen Wänden umherwanderte, konnte Easygoing im Nachhinein nicht sagen. Er war aber froh, als die Umgebung wieder flacher wurde, selbst wenn das Bild, das sich ihm eröffnete, mehr als trostlos war. Ein weites, sandiges Ödland voller Steine und Felsen. Skorpione und Spinnen nahmen auf den warmen Felsen ein Sonnenbad und immer wiederkam er an kegelförmigen Aufbauten vorbei, die von Dutzenden von kleinen, schwarzen Insekten umschwirrt wurden. Das Summen, das aus diesen Bauten kam wirkte düster und feindselig. Easygoing war froh, als in der Ferne endlich die Aufbauten eines Lagers erkennbar wurden, bei dem es sich nur um Valor´s Rest handeln konnte.
 

Nachtelfische Ruinen ragten schief und schräg aus dem Sanden heraus. Dazwischen hatte man Zelte nach Art der Tauren errichtet. Eine ihrer Windmühlen holte Wasser tief aus der Erde. Es war unbezweifelbar, dass dies eine Stätte des Zirkels des Cenarius war. Es hätte dazu nicht mehr die violetten Banner mit dem silbernen Baum und der Mondsichel auf violettem Grund gebraucht, die den Eingang des Lagers zierten.

Zwei nachtelfische Wachen traten Easygoing entgegen, als er zwischen ihnen hindurchschritt. Er zeigte ihnen das Schreiben, das Rabine Saturna ihm mitgegebene hatte, und gemeinsam führten die zwei schwer gepanzerten Krieger ihn zu einem Zelt, vor dem ein einzelner Nachtelf stand, den die Wachen als „Kommandant Starstrike“ begrüßten. Er bedankte sich bei den Wachen und lud Easygoing ein, ihn in sein Zelt zu begleiten. Es war spärlich eingerichtet und beherbergte neben einem Bett und einer Waschgelegenheit vor allem einen Tisch, der vor Karten und Pergamentrollen nur so überquoll.

„Entschuldigt das Chaos.“, sagte der Nachtelf, nachdem er Easygoing eine Sitzgelegenheit und etwas zu essen und zu trinken angeboten hatte. „Ich hatte, wir Ihr Euch denken könnt, nicht mit Besuch gerechnet. Ich hoffe, ihr fühlt Euch dennoch willkommen, so denn dieses trostlose Land so etwas wie ein Willkommen überhaupt zulässt. Aber jetzt lasst mich sehen, weswegen Rabine Euch her beordert hat.“
 

Der Nachtelf dessen dunkelgrüne Haare von einem einfachen Lederreifen zusammen gehalten wurden und dessen Glieder in einer geschmeidigen, grünbraunen Lederrüstung steckte, ließ sich auf einen zweiten Stuhl sinken, erbrach das Siegel an Easygoings Pergament und begann zu lesen. Während seine Augen über die Buchstaben glitten, wurde seine Miene ernst und sein Blick irrte mehrmals zu dem großen Druiden, der sich unter dieser Beobachtung zunehmen unwohl fühlte. Als Layo Starstrike den Brief sinken ließ, sah Easygoing, dass er noch einen zweiten, kleineren Brief in Händen hielt, der immer noch sorgfältig verschlossen war.
 

„Rabine hält große Stücke auf Euch.“, begann er nach einigem Schweigen. „Umsonst hätte er Euch sicher nicht hierher gesandt, denn hier erwartet einen nur Leere und der Tod.“

Layo Starstrike lächelte, als er Easygoings Reaktion bemerkte.

„Ich spreche hier nicht nur davon, dass in diesem Landstrich nahezu alles, was sich bewegt, nach Eurem Leben trachten wird. Auch die Schatten dessen, was einst hier geschah, verdüstern nachhaltig alles Leben. Ich selbst war zwar noch nicht geboren, als das große Unheil hier einst seinen Lauf nahm, doch wenn ich mir einige Teile von Silithus ansehe, so lassen sie mehr als nur erahnen, welch finsteres Kapitel unserer Geschichte sich hier abgespielt hat. Ihr wisst doch, wovon ich spreche?“

Easygoing nickte langsam. „Der Krieg der Sandstürme, den unsere Vorfahren gegen die Quirai fochten. Es gab schreckliche Verluste, doch am Ende wurden unsere Gegner geschlagen und für immer von dieser Welt verbannt.“

„Geschlagen und verbannt, ja.“, sinnierte Layo Starstrike. „So schien es zumindest. Doch irgendetwas geht dort draußen vor, Easygoing. Irgendetwas rührt sich in Silithus und ich glaube nicht, dass es etwas Gutes ist. Aber was noch schlimmer ist, ist, das niemand die Gefahr wahrhaben will. Vor allem Fandral Staghelm wehrt sich dagegen zu glauben, dass die Quirai zurückkehren könnten. Er ist geradzu verbohrt, was das angeht.“

„Ich hörte, er hat damals seinen einzigen Sohn verloren. Ein großes Opfer.“

„Ja, das ist wahr. Vor allem die Art, auf die es geschah. General Rajaxx, der Anführer der Quirai-Armee, hat Valstann damals vor den Augen seines Vaters und der gesamten Armee in Stücke gerissen. Das alles geschah nicht weit von hier am Südwind-Posten. Es ist einer der Orte, wo die Schatten der Vergangenheit besonders unruhig sind. Und der Ort, an den Rabine Saturna Euch schicken will.“

„Was?“ Easygoing war nun ernsthaft überrascht. „Ich dachte, der Ort wurde geschliffen.“

„Das wurde er.“, bestätige Layo Starstrike. „Jetzt beherbergen die Ruinen nur noch die Geister der Gefallenen, die nicht in der Lage sind, Frieden zu finden. Ich möchte daher, dass Ihr dort hin geht und versucht, einige von Ihnen zur Ewigen Ruhe zu betten.“

Easygoing konnte nicht glauben, was er gehört hatte. „Das ist es weswegen Rabine Saturna mich hergesandtt hat? Ich meine, das ist eine wertvolle und ernste Aufgabe, doch was soll uns das im Kampf gegen die Silithiden bringen.“

„Oh, Ihr werdet auf Silithiden treffen, dessen bin ich mir ganz sicher.“, erwiderte Layo Starstrike mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck. „Darüber hinaus soll ich Euch noch das hier geben.“

Er händigte Easygoing den kleinen Brief aus und lehnte sich betont zurück. Kam es dem Druiden nur so vor, oder las er wirklich eine Spur von Sorge im Blick des älteren Nachtelfen? Er sah hinab auf die kleine Pergamentrolle und seine Augen weiteten sich. Das Siegel war mit einer Versiegelungsrune und seinem Namenszeichen versehen. Das bedeutete, dass nur er die Nachricht darin würde lesen können. Für alle anderen würden sich darin nur wirre Worte und unvollständige Sätze finden. Mit gerunzelter Stirn öffnete er die Rolle und begann zu lesen.
 

Werter Easygoing,

Es schmerzt mich, dass ich Euch unter falschen Voraussetzungen nach Silithus senden musste. Die Reihen des Zirkels sind im Aufruhr und die Aufgaben, die sich vor uns auftürmen, scheinen zu groß, um sie alle zu bewältigen. Allein, wir versuchen uns Möglichstes und das ist es auch, was ich von Euch verlange.

Ich habe Euch gesagt, Ihr würdet nach Silithus reisen, um etwas gegen die Silithiden zu unternehmen. In gewissem Maße stimmt das auch. Ich habe Layo Starstrike angewiesen, Euch mit einem Auftrag zu betrauen, der Euch nach Southwind bringt. Ihr werdet dort sicherlich Gelegenheit finden, Euch nützlich zu machen. Gleichzeitig wird es Eure vordergründige Aufgabe sein, etwas zu finden, dass sich Reliquiar der Reinheit nennt. Ich bin mir sicher, Ihr werdet es erkennen, wenn Ihr es sehen. Redet mit niemandem darüber, wonach Ihr sucht. Es ist wichtig, dass diese Information vertraulich bleibt. Sobald ihr das Reliquiar gefunden habt, kehrt unverzüglich zu mir nach Moonglade zurück.

Ana'doreini talah! Möge Elune über Euch wachen.
 

Easygoing ließ das Pergament sinken und sah Layo Starstrike an. Der ältere Nachtelf lächelte dünn.

„Ich mache mir keine Illusion darüber, dass Ihr nicht allein hier seid, um unsere Reihen zu vervollständigen. Doch ich bin nicht wählerisch. Jede Unterstützung, die ich bekommen kann, nehme ich dankend an. Geht nach Southwind. Tut, was Euch aufgetragen wurde, und wenn es Eure Zeit erlaubt, dann tut, worum ich Euch gebeten habe. Unsere Brüder und Schwestern haben lange genug gelitten. Erlöst sie von Ihren Qualen.“

Easygoing erhob sich und verbeugte sich vor Layo Starstrike. „Es ist mir eine Ehre.“, sagte er förmlich.

„Mit Ehre hat das hier draußen schon lange nichts mehr zu tun.“, antwortete Layo Startstrike und der nüchterne Ton in seiner Stimme, ließ Easygoings Nackenhaare kribbeln. „Geht einfach und tut Euer Bestes. Und wenn Ihr dabei ein paar dieser widerlichen Insekten töten könnt, so habt Ihr schon mehr getan, als ich zu hoffen wage. Passt auf Euch auf, Easygoing. Silithus ist kein Land, das Fehler verzeiht.“

Der junge Druide verbeugte sich erneut, bevor er das Zelt verließ. Draußen fand er einen gesattelten Nachtsäbler und Vorräte. Niemand hielt das Tier an Ort und Stelle und das Lager schien ebenso verwaist wie das umliegende Land.

Niemand verabschiedet gern jemanden in den Tod, dachte Easygoing bitter und stieg auf den Rücken des Nachtsäblers. Doch ich werde mich nicht so schnell ergeben. Ich habe mich durch Trolle und Silithiden gekämpft, wurde von Sandstürmen gejagt und habe Meere und Wüsten überquert, um hierher zu kommen. Ich werde mich jetzt bestimmt nicht von ein paar Geistern und der Aussicht auf noch ein paar dieser Käfer abschrecken lassen. Sollen sie nur kommen, dann zeige ich ihnen, wie hart meine Pranken zulangen können.

Er gab der großen Katze ein Zeichen und gemeinsam machten sie sich auf in Richtung Süden, wo sie die Ruinen von Southwind erwarteten. Um sie herum strich der warme Wind und flüsterte in den Steinen und Felsen eine Totenklage.
 


 

„Was? Das kann nicht Euer Ernst sein!“ Emanuelles große, blaue Augen sprühten erzürnt Funken. „Wie könnt Ihr Euch Reagenzienhändler nennen, wenn Ihr nur eine einzige Portalrune im Angebot habt? Das ist lächerlich! Ich verlange den Geschäftsführer zu sprechen.“

Der Goblin ihr gegenüber guckte gelangweilt. „Wenn Euch mein Angebot nicht passt, könnt Ihr es ja woanders versuchen.“, antwortete er und begann, einige seiner Waren neu anzuordnen. „Aber ich sagte Euch doch bereits, dass jemand alle Portalrunen in Gadgetzan aufgekauft hat. Alle bis auf diese. Es ist Eure Entscheidung, ob Ihr sie wollt.“

Emanuelle schnaubte empört. „Natürlich will ich sie. Hier habt ihr die zwanzig Silberstücke.“

Die Mundwinkel des Goblins wanderten in die Höhe. „Ihr meint sicher Goldstücke.“

„Wieso? Warum Goldstücke? Was meint Ihr?“, stotterte Emanuelle, als das Lächeln des Goblins breit und zähnestarrend wurde.

„Nun…“, sagte er und kostete seine überlegene Position sichtlich aus. „Ihr habt doch sicherlich schon von den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage gehört. Ihr habt, wie mir scheint, einen großen Bedarf und ich eben nur ein recht begrenztes Angebot. Oder sollte ich lieber sagen, das einzige Angebot? Zahlt den Preis oder lauft.“

In der kleinen Magierin kochte es. Ihre schwarzen Zöpfe sträubten sich in alle Richtungen und wenn man genau hinsah, konnte man Rauch aus ihren Ohren steigen sehen. Mit ziemlich großer Sicherheit würde in den nächsten Augenblicken hier etwas in die Luft gehen.
 

„Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor.“, mischte sich jetzt die sanfte Stimme des weißhaarigen Nachtelfenpriesters in das Gespräch ein. Er ließ wie zufällig seine Hand auf Emanuelles Kopf sinken, während er den Goblin mit einem freundlichen Lächeln bedachte. „Ihr scheint zu glauben, dass die ganz gewöhnliche Silbermünzen sind. Aber das stimmt nicht. Dies sind uralte Nachtelfenmünzen aus den Ruinen von Bashal’Aran. Sie stammen noch aus den Zeiten der Hochgeborenen. Seht Ihr nicht die ausgefallene Prägung?“

„Oh ja, ich sehe sie.“, sagte der Goblin mit träumerischer Stimme. Sein Blick klebte an den Münzen.

„Sie sind ungeheuer wertvoll.“, soufflierte der Priester weiter. „Wenn Ihr sie zu einem Antiquitätenhändler bringt, wird er Euch für jede dieser Münzen mindestens fünf Goldstücke geben müssen.“

„Fünf Goldstücke.“, murmelte der Goblin. „Ich werde reich werden.“

„Genau, das werdet Ihr.“, bestätigte der Priester milde. „Und Ihr müsst uns dafür nur diese kleine Rune überlassen. Niemand hat je ein besseres Geschäft gemacht.“

„Besseres Geschäft.“, flötete der Goblin. „Aber natürlich. Soll ich die Rune für Euch einwickeln?“

„Das wird nicht nötig sein.“, antwortete der Priester und nahm den runenverzierten Stein vom Ladentisch. „Ich glaube, nach diesem erfolgreichen Geschäft, solltet Ihr Euch erst einmal ein wenig ausruhen. Macht ein ausgiebiges Schläfchen und wenn Ihr aufwacht, werdet Ihr reich sein.“

„Reich sein.“, seufzte der Goblin glücklich, bevor er mit verdrehten Augen zu Boden sank. Kurz darauf erklang hinter dem Ladentisch ein leises Schnarchen.
 

Schakal bedachte den weißhaarigen Priester mit einem argwöhnischen Stirnrunzeln.

„Ich glaube, es ist keine gute Idee, Euch zum Feind zu haben.“, brummte er. „Mir scheint, es besteht die Gefahr, dass man auf einmal sein eigenes Messer zwischen seinen Rippen findet.“

„Ich habe ihm nur ein paar angenehme Träume bereitet.“, gab der Priester bescheiden zurück. Er bückte sich und reichte Emanuelle die Rune. „Hier, Euer Weg nach Hause.“

Die Gnomin nahm die Rune und sah noch einmal in Richtung des schlafenden Goblins. „Er hat´s nicht anders verdient.“, knurrte sie. „Uns so über´s Ohr zu hauen. Und vor allem: Wer bitte braucht alle diese Portalrunen?“

„Ich weiß nicht.“, antwortete der Priester. „Ich habe im Geist des Händlers ein flüchtiges Bild eines hochgewachsenen Mannes in einer sandfarbenden Robe gesehen. Sein Gesicht hat er jedoch nicht gezeigt. Unser Unbekannter wird also unerkannt bleiben.“

„Ist doch auch egal, wer er war.“, brummte Schakal. „Die Frage ist doch viel mehr, was machen wir jetzt mit nur einer Rune?“
 

Emanuelle zog die Nase kraus. „Nun, ich könnte uns ein Portal nach Ironforge machen, Euch dort absetzen, neue Portalrunen kaufen und dann nach Stormwind weiter reisen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass ich lieber zunächst Ceredrian und seinen Cousin nach Darnassus bringen sollte. Immerhin hätten wir ohne ihn gar keine Rune und mit ein wenig Glück, kann ich auch in Darnassus welche bekommen.“ Sie schaute ein wenig unglücklich zwischen den Anwesenden hin und her. „Sicher ist das aber nicht.“

„Dann solltet Ihr dieses Risiko nicht eingehen.“, antwortete der Priester. „Was ich tat, tat ich vor allem, um Euch nach Hause zu bringen, kleine Magierin. Ihr müsst immerhin einen Blutgott aufhalten. Deadlyone und ich werden schon einen Weg nach Hause finden.“

Der schlaksige Nachtelf im Hintergrund nickte zustimmend. Schakal hatte den Eindruck, dass es von Anfang an nicht hatte mit dem magischen Portal reisen wollen und jetzt erleichtert war über die Gelegenheit, das Angebot ausschlagen zu können.

„Also gut, dann eben nach Ironforge.“, sagte Emanuelle.

„Halt, wartet.“, rief Risingsun. „Soweit ich weiß, kostet die Erschaffung von Portalen sehr viel Kraft. Ihr werdet danach nicht nach Stranglethorn weiter reisen können. Das kann ich auf gar keinen Fall zulassen. Schakal und ich werden ebenfalls mit nach Stormwind reisen und von dort aus auf anderem Weg an unser Ziel gelangen. Wir können nicht verlangen, dass Ihr Eure Pläne für unsere Bequemlichkeit opfert.“

Schakal warf der Paladina einen finsteren Blick zu. Er wusste, dass sie Recht hatte. Das musste aber noch lange nicht heißen, dass ihm das gefiel. Trotzdem bejahte er natürlich die Emanuelles Frage, ob ihm dieses Vorgehen Recht sei. Was hätte er auch anderes sagen sollen?
 

„Mir scheint, es ist nun wirklich die Zeit des Abschiednehmens gekommen.“, sagte der Nachtelfen-Priester und ließ sich vor Emanuelle auf ein Knie sinken. „Es war mir eine Freude mit Euch zusammen Abenteuer zu erleben, kleine Magierin. Haltet stets an Eurem Glauben an das Gute fest. Er wird Euch in schweren Stunden den richtigen Weg weisen.“

Er erhob sich wieder und wandte sich an Risingsun. „Eure Rechtschaffenheit ziert Euch ebenso wie Eure ansehnliche Gestalt. Es war mir eine Ehre, an Eurer Seite zu kämpfen, auch wenn unsere gemeinsame Zeit nur kurz war. Ich wäre entzückt, wenn sich unsere Wege noch einmal unter günstigeren Umständen kreuzen würden.“

Als der Priester sich zu Schakal umdrehte, hob der abwehrend die Hände. „Erspart uns bitte weiteres Gesäusel. Ich bin nicht der Zwerg für sowas.“, knurrte er. Irgendwo hinter ihm erklang ein heiseres Husten, das sich sehr nach einem unterdrückten Lachen klang.

Der Priester lächelte. „Wisst Ihr, Freund Schakal, Ihr erinnert mich an eine Walnuss. Eine raue, unansehnliche Schale, doch darunter…“

„Ok, jetzt reicht´s aber.“, grollte Schakal. „Wir sollten wirklich aufbrechen. Ich habe da noch eine Verabredung mit einem kräftigen, kalten Bier im Goldenen Fass.“
 

In einer ruhigen Seitengasse traf Emanuelle die letzten Vorbereitungen. Schakal hatte ein wenig das Gefühl, dass sie sich dabei Zeit ließ, doch schließlich gab es keinen Aufschub mehr. Magische Ströme formten den Raum und schafften eine magische Verbindung über das Meer und die Kontinente. Die abendliche Kulisse von Stormwind erschien in einem leuchtenden Riss in der Luft. Ein kühler Windstoß fuhr durch das Portal und trug die Schläge der Kirchturmuhr und Vogelgezwitscher herüber. Eine verlockende Szene, vor allem, wenn man trotz der ebenfalls sinkenden Sonne noch in der Gluthitze der tanarischen Wüste stand und einem das Wasser den Rücken herunter lief. Schakal war sich sicher. Die nächsten drei Tage würde er in einem berauschten Zustand biergeformten Deliriums verbringen und nichts und niemand konnte ihn davon abhalten. Nicht einmal Magni Bronzebeard persönlich.
 

„Lebt wohl, Freunde.“, rief der Priester, der zusammen mit seinem schlaksigen Freund Aufstellung genommen hatte, um sie zu verabschieden. „Möge der Segen Elunes Euch auf Euren Wegen begleiten.“

Risingsun nahm Haltung an und grüßte noch einmal militärisch, bevor sie durch den leuchtenden Riss ging. Emanuelle winkte den beiden Nachtelfen zu und Schakal nickte nur noch einmal kurz in ihre Richtung, bevor er ebenfalls durch das Portal trat, das ihn endlich in heimatlich anmutende Gefilde zurückbrachte. Vor allem aber in die Nähe eines großen Humpen eiskalten Biers.
 

Als sich das Portal hinter den Fremden schloss, sah Deadlyone Ceredrian abwartend an. „Was nun, großer Denker? Wie lautet dein Plan?“

„Nach Darnassus reisen, würde ich sagen.“, erwiderte sein Cousin. „Wir sollten Bericht erstatten von dem, was sich zugetragen hat.“

„Was ist mit Easy?“

Der weißhaarige Priester hob den Kopf und ließ seine Augen über den rotglühenden Horizont streifen. „Ich weiß nicht, wo dein Bruder gerade steckt.“, gab er ehrlich zu. „Doch irgendetwas sagt mir, dass wir der Geschichte vielleicht einfach ihren Lauf lassen sollten. Lass uns nach Darnassus reisen. Dort wird es sicher Antworten auf unsere Fragen geben.“

Der Schurke zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst. Mit einem Greifen zu reisen wird zwar eine Weile dauern, aber wenigstens ist dabei keine verfluchte Magie im Spiel.“

Ceredrian lachte und legte seinem Cousin den Arm um die Schultern, während sie beide zum Greifenmeister gingen, um einen Flug nach Darnassus zu erstehen.
 


 

Abbefaria warf einen verstohlenen Blick auf die Frau, die an seiner Seite durch den Tunnel der Timbermaw-Furbolgs marschierte. Sie hatten nicht viel gesprochen, seit sie unterwegs waren. Abbefarias Gedanken kreisten immer noch um das eigenartige Erlebnis am Altar und die Fremde hing, wie es schien, ihren eigenen Gedanken nach. Jetzt, da ihre Ankunft in Moonglade in erreichbare Nähe rückte, richteten sich Abbefarias Sorgen wieder auf das, was vor ihm lag. Er war im Begriff, Moonglade zu betreten, obgleich ihm dies strengstens untersagt worden war. Noch dazu reiste er in Begleitung einer Menschenfrau, die ihm, gelinde gesagt, ein wenig unheimlich war. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was geschehen war, während er ohnmächtig am Boden gelegen hatte. Als er erwacht war, hatte sie ihn angegriffen, doch warum? Eine Frage, die er nicht zu stellen wagte.
 

Stattdessen dachte er wieder darüber nach, was ihm und Ranshalla widerfahren war. Sie hatten die Geschichte der Wildekin enthüllt. Die mächtigen Kreaturen waren direkt von Elune zu den Nachtelfen gesandt worden, waren ihre Wächter, berufen um ihre Heiligtümer zu schützen. Doch was war dann mit ihm geschehen? Er erinnerte sich an eine Stimme in seinem Kopf. Er hatte die Worte mehr gefühlt, als dass er sie gehört hatte. Zu gern hätte er gewusst, ob Ranshalla sie auch vernommen hatte. In Anbetracht seiner Begleitung hatte er sich dennoch entschlossen, der Nachtelfe, die ihn vermutlich verlassen hatte, um Hilfe zu holen, auszuweichen. Er fühlte sich, als würde er dabei einen Verrat begehen, aber irgendetwas ließ ihn wünschen, noch mehr Zeit in Gegenwart der unheimlichen Fremden zu verbringen. Wäre er Ranshalla begegnet, hätte diese im sicher geraten, die Frau allein ziehen zu lassen.

Unwillkürlich glitt sein Blick zu seiner Begleiterin herüber und er blickte direkt in ihr Gesicht. Schnell wandte er sich ab und sah aus den Augenwinkeln, dass sie das Gleiche tat. Nur fühlte sie dabei vermutlich nicht dieses unangenehme Brennen auf dem Gesicht. Abbefaria verfluchte sich selbst für dieses unangemessene Betragen. In wenigen Minuten würden sie Moonglade erreichen und ihre Wege sich trennen. Es ergab also überhaupt keinen Sinn, sich über die Fremde so viele Gedanken zu machen. Vor allem nicht, wenn man bedachte, dass er vermutlich kurz darauf vor einem Straftribunal Rede und Antwort stehen würde. Er sollte sich also lieber eine gute Erklärung für sein unberechtigtes Auftreten zu Recht legen, anstatt einer Menschenfrau schöne Augen zu machen.
 

Abbefaria wäre fast gestolpert, als er das dachte. Eine Wurzel auf dem Boden war wie aus dem Nichts erschienen und er konnte seinen Sturz gerade noch abfangen. Als er aufsah, funkelten über ihm zwei amüsierte, braune Augen.

„Kein Grund, gleich einen Kniefall zu machen.“, spottete seine Begleiterin. „Nebenbei bemerkt scheint es mir, als hätte ich da hinten Licht gesehen. Wir sind also gleich da.“

Der Druide murmelte etwas Unverständliches und trabte mit gesenktem Kopf hinter ihr her. Als sie die Höhle betreten hatten, hatte er ganz automatische die Führung übernommen. Beim Anblick der bewaffneten Furbolg-Krieger, die den Eingang bewachten, war er ohne zu zögern vor sie getreten und hatte ihrer beider Passage ausgehandelt. Sie hatte zu all dem nichts gesagt, doch er hatte sich eingebildet, dass sie dankbar für seine Hilfe war. Inzwischen war er sich dessen nicht mehr so sicher. Er hätte etwas sagen sollen. Sie fragen, wo sie herkam, was sie in Winterspring getan hatte, wo sie von Stormwind aus hinreisen wollte. Aber jetzt war es zu spät. Sie hatten Moonglade erreicht.
 

Zwischen den Bäumen leuchteten immer noch die fröhlichen Laternen des Mondfestes und im ersten Zwielicht der Nacht stiegen bereits die ersten Feuerwerkskörper auf. Wie gern wäre Abbefaria jetzt einfach einer der Feiernden gewesen. Nur zu gern hätte er seine Begleiterin an der Hand genommen und wäre mit ihr auf das Fest spaziert. Doch weder hatte er die Erlaubnis dazu, noch schien sie diesen Wunsch zu teilen.
 

„Die magischen Lichtkreise. Wo sind sie?“, fragte sie ungeduldig und sah sich suchend um. Die Schönheit des Ortes und die besondere Stimmung schienen sie nicht zu berühren.

„Dort drüben.“, antwortete er und wies auf die Lichtung, aus der immer wieder einzelne Gestalten oder kleinere Gruppen in Richtung Nighthaven aufbrachen.

„Dann trennen sich unsere Wege hier. Habt Dank für die Führung und lebt wohl.“

Mit diesen Worten drehte sich die Menschenfrau einfach herum und ging mit zügigen Schritten in die angewiesene Richtung. Mit jedem Schritt, den sie tat, wurde Abbefarias Herz ein wenig schwerer. Er konnte es nicht erklären, doch er hatte das Gefühl, gerade etwas Kostbares verloren zu haben. Nur mit Mühe widerstand er dem Drang, ihr nachzulaufen und sie zurückzuholen. Ein solches Verhalten stand außer Frage. Er kannte sie ja nicht, wusste nicht einmal ihren Namen.

„Wie…wie heißt Ihr?“, rief er ihr hinterher. Sie würde ihn nicht hören. Sie war schon viel zu weit fort. Sie würde einfach gehen. Ein Schritt und noch einer, dann blieb sie plötzlich stehen und drehte sich um.

„Magenta.“, wehte der Wind ein einzelnes Wort zu ihm herüber.

„Mein Name ist Abbefaria.“, antwortete er, doch sie hatte sich bereits wieder herumgedreht und war zwischen den Bäumen verschwunden. Der Druide sah ihr nach und stellte überrascht fest, dass er lächelte. Magenta.
 

„Es ist nicht sehr schlau, Euren Namen hier auch noch laut hinauszuposaunen, nachdem Dendrite Starblaze Euch der Stadt verwiesen hat.“

Abbefaria wirbelte herum. Eine große, dunkle Gestalt löste sich aus dem Schatten eines Baumes und ein Nachtelf mit langen, grünen Zöpfen und breiten Schultern trat ins Mondlicht. In seiner tiefen Bassstimme schwang gutmütige Zurechtweisung.

„Ihr solltet nicht hier sein, junger Druide. Ich hoffe, Ihr habt eine sehr gute Erklärung für Euer Verhalten.“

„Shan’do Loganaar.“, hauchte Abbefaria, der den andere Nachtelfen sofort erkannt hatte. Er machte eine tiefe Verbeugung. „Verzeiht mein ungebührliches Eindringen. Ich weiß, ich sollte dem Fest fernbleiben, aber es ist etwas passiert.“

Der ältere Druide musterte ihn mit stoischem Gesichtsausdruck. Abbefaria schluckte. Was genau sollte er erzählen, wo anfangen? Würde man ihn überhaupt ausreden lassen? Würde man ihm glauben? Er konnte ja selbst kaum fassen, was ihm passiert war. Siedendheiß fiel ihm ein, dass er durch das Zurücklassen von Ranshalla nicht den geringsten Beweis für seine Worte hatte. Es war töricht gewesen, ohne sie abzureisen und stattdessen die Begleitung einer völlig Fremden zu wählen. Und doch war es ihm in dieser Situation so richtig erschienen. Es ergab alles keinen Sinn.
 

„Mir scheint, Euch hat es hinreichend die Sprache verschlagen.“, brummte Loganaar. „Normalerweise würde ich daraus schließen, dass Ihr gerade nach einer dummen Ausrede sucht. Doch Irgendetwas sagt mir, dass das nicht der Fall ist. Kommt, Abbefaria, gehen wir ein Stück. Manchmal kommen die Worte durch die Bewegung der Füße leichter in Gang.“
 

Gehorsam folgte Abbefaria dem Druidenlehrer, der einen Weg abseits des breiten Pfades wählte, der sie tief in die uralten Wälder von Moonglade brachte. Abbefaria konnte spüren, wie die Bäume ihn beobachteten. Inmitten einer Ruine hielt Loganaar an. Neben den ringförmigen Säulenbauten, die hier langsam aber sicher zerfielen, beherbergte die Ruine einen Kreis aus sechs Steinen in verschiedenen Stadien des Zerfalls. Die beiden jüngsten beherbergten noch eine sogenannte Flamme von Elune, ein Licht, das traditionell auf den Grabstätten hochrangiger Mitglieder der Nachtelfengesellschaft aufgestellt worden war. Man hatte inzwischen von diesem Brauch Abstand genommen. Das beudeutete, die Gräber, vor denen sie standen, mussten sehr alt sein.

„Die Hohepriesterin hat diese Grabstätten anlegen lassen.“, sagte Loganaar. „Manchen der Druiden sind sie ein Dorn im Auge, so nah an der Stelle, an der unser geliebter Shan’do den Smaragdgrünen Traum träumt. Andere sagen, dass die vielen Gebete, die die Priesterin hier sprach, den Ort zu etwas Besonderem und Kostbaren gemacht haben, einem Platz, an dem jeder Ruhe und Trost finden kann.“

Der ältere Druide sah Abbefaria an. „Irgendetwas sagte mir, dass es eine gute Idee wäre, dich hierher zu bringen.“
 

Abbefaria wusste nicht, was er erwidern sollte. Er sah auf die Gräber und fühlte, wie tiefe Trauer sein Herz ergriff. Die, die hier lagen, waren gewiss eines großen und heldenhaften Todes gestorben. Er hatte kein Recht, hier zu sein. Er war kein Held. Er war nichts Besonderes.

„Wurde dir nicht ein besonderes Geschenk zuteil.“, sagte eine Stimme rechts neben ihm.

Abbefaria schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte in ein Paar große, runde Augen. Es war eine lebensgroße Statue einer Eule aus weißem Marmor, die am Rand der Ruine saß und ihn anblickte. Die Statue klapperte mit dem Schnabel.

„Vielleicht hat er die Botschaft nicht verstanden.“, sagte eine andere Stimme auf der linken Seite und Abbefaria sah, dass dort eine ähnliche Statue zum Leben erwacht war. Sie bestand ganz und gar aus grünem Stein.

„Er wird mit der Zeit wachsen.“, sagte die weiße Eule bestimmt.

„Doch der Weg ist neu für ihn. Wir müssen ihn leiten.“, erwiderte die grüne.

„Ihm wird Leitung zuteilwerden, wenn die Zeit dafür reif ist.“, sagte die weiße Eule wieder. „Er muss die nötige Balance finden oder er wird scheitern und fallen.“

„Wir werden ihn beobachten.“, schuhute die grüne Eule. Der Blick ihrer grünen Augen ruhte auf dem jungen Druiden.

„Du bist nicht allein.“, sagte sie noch, bevor die Statue wieder zu dem wurde, was sie vorher gewesen war. Auch ihre weiße Schwester auf der anderen Seite war wieder leblos und kalt. Abbefaria blinzelte und rieb sich die Augen. War das alles nur ein Traum gewesen?
 

Er schien die Frage laut ausgesprochen zu haben, denn Loganaar antwortete ihm:

„Wenn es nur ein Traum war, wird es dadurch weniger Wirklichkeit? Ein Druide wie du müsste es besser wissen.“

Abbefaria sah seinen Lehrmeister verlegen an. „Die Eulen, Sha’do. Habt Ihr sie gesehen?“

Der ältere Druide blickte kurz zu den beiden Statuen, die moosbedeckt und alt neben den Grabstätten saßen. „Du meinst diese Eulen?“

„Ja, aber sie haben…gesprochen.“

„Gesprochen?“ Loganaars Miene war unergründlich. „Was haben sie gesagt?“

„Dass ich die Balance finden müsste. Aber die Balance wozwischen?“

„Das solltest du selbst am besten wissen, Abbefaria.“, antwortete sein Lehrmeister. „Immerhin haben sie zu dir gesprochen. Aber vielleicht kann ich dir helfen, das Rätsel zu lösen, wenn du mir erzählst, warum du hergekommen bist. Komm, setzt dich zu mir und erleichtere dein Herz.“
 

Abbefaria ließ sich neben Loganaar zu Boden gleiten und atmete bewusst und gleichmäßig. Der Nachtwind strich leicht durch sein Haar und die einfallenden Mondstrahlen bildeten mit dem grünen Schein der Blätter ein vielfältiges Formenmuster auf dem Boden. Er heftete seinen Blick an das stetige Spiel aus Licht und Schatten, während er von seiner Reise nach Winterspring berichtete. Er erzählte von Eralas Amberskys Auftrag, von seinem Zusammentreffen mit Ranshalla und schließlich dem Erlebnis am Altar der Göttin. Den Rest ließ er wohlweislich aus. Er glaubte nicht, dass seine zwiespältigen Empfindungen für eine völlig Fremde in diesem Moment zur Sache taten.

Loganaar schwieg eine ganze Weile, so dass Abbefaria schon fürchtet, ihn verärgert zu haben. Er wollte gerade eine entsprechende Frage stellen, als Loganaar das Wort ergriff.

„Es gibt viele Tierformen, die ein Druide bis zur Perfektion erlenen kann, doch von einer Verwandlung in ein Moonkin habe ich noch nie gehört. Die meisten von uns sehen in ihnen das, was sie uns zeigen: große, kräftige Kämpfer mit scharfen Schnäbeln und Klauen. Ein Sinnbild für Kraft und Willenstärke.“

Abbefaria nickte. Er erinnerte sich plötzlich, dass er einst die Verwandlung in einen Bären von einem Moonkin-Geist namens Lunaclaw erlernt hatte. Dieses Erlebnis schien schon so lange her, dass er es fast vergessen hatte.

„Niemand hätte ein Moonkin mit einer besonderen Intelligenz oder magischen Begabung gleichgesetzt.“

„Eralas Ambersky hat das getan.“, warf Abbefaria ein.

Loganaar schmunzelte. „Ja und dafür halten ihn nicht wenige für einen verschrobenen Außenseiter. Natürlich besteht das Wissen um die Zuneigung Elunes zu diesen Wesen, doch niemand hätte sie je für wichtig erachtet. Man achtete eher auf das, was zu bewachen ihnen aufgetragen wurde, wenn überhaupt. Die Tatsache, dass ausgerechnet dieses Wesen… Komm, zeig es mir. Ich will es sehen.“
 

Loganaar war aufgesprungen und sah Abbefaria erwartungsvoll an. Die Gesichtsfarbe des jungen Druiden wurde eine Spur dunkler.

„Shan’do, ich…ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Es gibt keine Formel, keinen Zauber, auf den ich mich berufen kann.“

Der ältere Druide trat auf Abbefaria zu und legte die Hand auf seine Brust. „Ich denke, für diese Verwandlung ist es am wichtigsten, was du hier drin fühlst. Suche etwas in dir, das sich zu beschützen lohnt und dann lass die Magie ihre Arbeit tun.“
 

Abbefaria fühlte einen Moment lang Panik in sich aufsteigen. Er konnte das nicht, Unmöglich. Er würde das Kunststück der Verwandlung nicht wiederholen können. Es war…

Du bist nicht allein, wehte eine Stimme durch seinen Geist. Ihr Klang und das, was sie sagte, war Balsam für seine aufgewühlten Gefühle. Es war, was er sich wünschte. Er wollte nicht allein sein. Das zu beschützen, war jeden Kampf wert.

Er schloss die Augen und für einen winzigen Augenblick sah er das Gesicht der Fremden vor sich und wie ihre Schritte langsamer geworden waren, als sie die Furbolgs erblickt hatte. Er musste sie beschützen. Er musste stark sein, um sie zu retten, Er musste…

„Unfassbar!“

Loganaars Stimme riss Abbefaria aus seiner Mediation. Irrte er sich, oder war der ältere Nachtelf ein wenig kleiner geworden?“

„Ein Moonkin. Wahrhaftig, Abbefaria, du bist ein Moonkin“
 

Der junge Druide sah an sich hinab und erschrak. Tatsächlich ragte dort unter ihm ein mit Pelz und Federn bedeckter Leib auf. Große, krallenbewehrte Füße wühlten den Boden unter ihm auf und dort, wo sich zuvor seine Nase befinden hatte, ragte jetzt ein breiter, geschwungener Schnabel aus seinem Gesicht. Er streckte seinen Arm aus und erblickte starke, behaarte Pranken mit glänzenden, schwarzen Federn daran. Er erhob eine der Pfotenhände und ertastete das Geweih auf seinem Kopf. Ja, es bestand kein Zweifel, er war ein Moonkin.

„Wie fühlt es sich an?“, wollte Loganaar wissen.

Abbefaria überlegte. Es fühlte sich fremd an. Als hätte man ihn aus seinem Körper gerissen und in einen andere gesteckt. Aber dieses Gefühl war ihm von den anderen Tierformen bekannt. Er würde sich erst an die neuen Ausmaße dieses Körpers gewöhnen müssen. Er war kräftig und stark wie der eines Bären, eine Tierform, die Abbefaria noch nie besonders behagt hatte. Doch gleichzeitig fühlte er eine Klarheit des Geistes, die ihn beflügelte. Magie zu formen und seinem Willen entsprechend zu lenken war ihm noch nie so einfach vorgekommen. Er sah die ströme natürlicher Magie in seiner Umgebung, in den Bäumen, dem Wasser, dem Mondlicht…besonders im Mondlicht. Es zu bündeln und gegen seine Feinde zu schleudern erschien ihm nicht mehr wie eine große Willensanstrengung, sondern wie etwas, dass er tat wie Essen oder Atmen. Einen plötzlichen Gefühl folgend griff er hinauf und wob aus dem weißen Licht einen Pfeil, den er ohne große Anstrengung zur Erde schleuderte. Als das Mondfeuer versiegte, blieb auf dem Boden ein kleiner, kreisrunder Krater zurück.
 

„Oh, war ich das?“, fragte Abbefaria. Oder vielmehr wollte er fragen, denn aus seinem Mund, oder besser gesagt, Schnabel kam nur ein heiseres Krächzen. Ein wenig betreten sah er zu Loganaar hinüber. Der ältere Druide grinste.

„Die Macht, die dir gegeben wurde, bedarf offensichtlich noch ein wenig Feinschliff. Und sprechen kannst du offensichtlich in dieser Form auch nicht. Aber gut, auch dafür wird sich eine Lösung finden. Ich glaube nur, du solltest davon absehen, noch weiter Löcher in den Waldboden zu stanzen. Die Bäume würden darüber nicht gerade erfreut sein.“

Abbefaria sah schuldbewusst zu den grünen Riesen empor und schickte ihnen im Geist eine Entschuldigung.

„Wir sollten gehen.“, sagte Loganaar. „Die Botschaft, die du bekommen hast, liegt nun klar vor dir.“

Abbefaria stieß einen Laut aus, von dem er hoffte, dass er wie eine Frage klang.

„Du musst versuchen, eine Balance zwischen deinen Fähigkeiten als Druide und denen, die du von der Mondgöttin erhalten hast, finden. Erst so wirst du zu wahrer Größe finden.“

Abbefaria legte den Kopf schief und lauschte in sich hinein. Die weiße und die grüne Eule nickten im Gleichklang. Wie es schien, hatte er seine Aufgabe gefunden.

„Und wir sollten einen Weg finden, dich auch wieder zurück zu verwandeln.“, lachte Loganaar, „Denn ich bezweifele ernsthaft, dass du so durch allzu viele Türen passen wirst.“

Der junge Druide schaute grimmig, dann musste er ebenfalls lachen. Es klang ein bisschen wie das Trällern einer Schneeeule im Frühling, wenn sie einen Partner suchte. Für einen Moment drifteten Abbefarias Gedanken noch einmal ab zu einer kleinen, dunklen Gestalt, die zwischen zwei Bäumen verschwand, dann konzentrierte er sich wieder auf Loganaar und die Worte seines Lehrers, die für seine Zukunft entscheidend sein sollten.
 


 


 

Magenta trat aus dem Kreis aus Mondlicht hinaus in den nächtlichen Park von Stormwind. Einige Nachtelfen begrüßten sie freundlich, aber die Hexenmeisterin ignorierte sie. Sie wollte, so schnell es eben ging, weg von diesem komischen Nachtelfenpack. Dafür war es nicht gerade förderlich, wenn ihr ein bestimmter Vertreter dieser langohrigen Rasse ständig durch den Kopf spukte. Wie er sie angesehen hatte…

Die Hexenmeisterin stieß einen kleinen Wutschrei aus, der einige Vögel aus einem nahen Baum aufschreckte. Sie spürte die neugierigen Blicke in ihrem Rücken und lief, so schnell sie ihre Füße noch trugen, weiter. Allein die Tatsache, dass sie durch halb Winterspring gelaufen war. Zu Fuß! Und das nur, weil ihr dämlicher, nachtelfischer Führer kein Reittier hatte. In Anbetracht dieser Tatsache hatte sie sich nicht getraut, ihr eigenes Teufelsross zu beschwören.

Eine kleine, gehässige Stimme schien sie in diesem Moment zu fragen, wem sie eigentlich versuchte, etwas vorzumachen. Sie hatte es nicht getan, weil er ein Nachtelf war und vermutlich beim Anblick ihres dämonischen Reittiers schreiend die Flucht ergriffen hätte. Oder noch schlimmer, sie angegriffen hätte. Sie hatte um jeden Preis verhindern wollen, dass er herausfand, was sie war. Wer sie wirklich war. Er hätte es nicht verstanden. Nicht akzeptiert.
 

Magenta schnaubte, als sie um eine Ecke bog. Als wenn ihr die Meinung dieses Nachtelfen wichtig gewesen wäre. Er war ein Mittel zum Zweck und all der Lauferei zum Trotz war sie um ein Vielfaches schneller hierhergekommen, als wenn sie mit dem Schiff gereist wäre. Und sie hatte das Blut, das Morzul Bloodbringer verlangt hatte. Allein das zählte. Alles andere war unwichtig.
 

Sie blieb an einem der Kanäle stehen und überlegte. Der schnellste Weg von hier in die Brennende Steppe führte über Lakeshire. Ein Greif würde sie innerhalb weniger Stunden dorthin bringen können. Um einen Greifen zu mieten, musste sie in den Handelsdistrikt, der von hier aus gesehen genau auf der andere Seite des Kanals lag. Wenn sie also nicht schwimmen wollte oder die Kunst beherrschte, über das Wasser zu laufen, führte sie der kürzestes Weg über den Kathedralendistrkt zum Ziel. Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken, so nahe an der Ausbildungsstätte ihrer erbittertsten Widersacher vorbei zu müssen. Aber rechtschaffende und anständige Leute wie diese eingebildeten Paladine waren um diese Uhrzeit sicherlich ohnehin nicht mehr unterwegs , sondern kuschelten sich mit ihrem Streitkolben in der Hand unter warme Daunendecken.

Magenta grinste anzüglich, raffte die Röcke und eilte im Schutz der Dunkelheit durch die nächtlichen Straßen von Stormwind. Sie wollte gerade die Brücke betreten, die sie zum Handelsdistrikt bringen sollte, als sie den Schritt schwer gepanzerter Stiefel auf dem Kopfsteinpflaster hörte. Verdammt, eine Wach-Patrouille.

Die Hexenmeisterin sah an sich herab und stellte fest, dass die dunkle Robe, die sie als Reisegarderobe gewählt hatte, nicht eben vertrauenserweckend war. Im Gegenteil schrie sie für denjenigen, der sich ein wenig damit auskannte geradezu: Böser Hexenmeister. Eine Wirkung, die in Anbetracht ihres Besuchs bei den Kultisten des Schattenrats durchaus gewollt gewesen war. In Winterspring hatte sie dann alle nur erdenkliche Kleidung angelegt, die sie hatte finden können, um der Kälte zu entgehen. Doch nun stand sie hier und sah verdächtig aus. Zu verdächtig, um sich an den aufmerksamen Wachen von Stormwind vorbeizuschleichen. Ihr blieb daher nur eine Möglichkeit: Sie zog sich, so gut sie konnte, in die Schatten unter einem hell erleuchteten Fenster zurück und hoffte, dass man sie nicht entdecken würde. Langsam kamen die Schritte näher.
 

„Was werdet Ihr jetzt tun?“, fragte eine weibliche Stimme, die Magenta vage bekannt vorkam. Angesichts der Tatsache, dass sie niemanden aus der Wache mit Namen kannte, lugte sie hinter ihrem Versteck – einem Fass, indem sich dem Geruch nach einmal Fisch befunden haben musste – hervor und besah sich die beiden Gestalten, die am Ende der Brücke stehengeblieben waren, genauer.

Der eine von ihnen war, wie unschwer zu erkennen war, ein Zwerg. Die anderen hochgewachsene, blondgemähnte, in eine rot-goldene Rüstung gepresste und wie üblich auf Hochglanz polierte Figur dagegen konnte nur Magentas schlimmstem Alptraum entsprungen sein. Es war die Paladina Risingsun, eine unerträgliche Nervensäge und ein Sinnbild für Moral und Anstand der allerersten Güte. Bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte die heilige Kämpferin für das Gute versucht, Magentas Wichtel mit ihrem Hammer zu erschlagen.

„Oh, als erstes werde ich dem nächstgelegenen Zwergengasthaus einen langen Besuch abstatten. Und damit meine ich in etwa biszummorgengrauenfrühlang.“, erwiderte der Zwerg, den Magenta ebenfalls wieder erkannte. Es war Schakal, im Grunde genommen ein recht sympathischer Bursche aus Ironforge, der nur leider ein wenig zu viel Wert auf die Unversehrtheit seiner Opfer legte. Magenta hatte seine Gegenwart schließlich als Belastung und Hindernis für ihre Pläne empfunden und hatte die Gruppe, zu der die beiden gehörten, verlassen. Und waren da nicht auch noch ein Krieger und ein Magier gewesen? Nein halt, zwei Magier, aber von denen war zum Glück nichts zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie die ständigen Predigten der Paladina auch irgendwann satt gehabt. Die Hexenmeisterin lachte leise in sich hinein.

„Danach werde ich zurück nach Ironforge reisen. Ich habe da noch die eine oder andere Sache zu klären. Meinem König eine Aufwartung machen und so weiter.“

Risingsun lächelte. „Ich verstehe, Ihr wollt Es mir nicht verraten. Auch gut. Zumal Ihr ja schon zum Ausdruck gebrahct habt, dass ich Euch nicht überreden kann, mich in die Pestländer zu begleiten. Einen Zwerg mit Eurer Befähigung könnten wir gut gebrauchen.“

„Warum?“, feixte Schakal. „Habt Ihr eine Tür, die sich nicht öffnen lässt? Womöglich noch mit Schätzen dahinter?“

„Eher mit einer Horde Untoter.“, antwortete Risingsun finster. „Uns steht ein Sturm auf Scholomance bevor. Ihr habt davon gehört?“

„Wenig.“, gab Schakal offen zu. „Ich weiß nur, dass es auf der Insel Caer Darrow liegt. War da nicht das ehemalige Heim der Familie Barov?“

„Es war und es ist es noch.“, sagte Risingsun. „Die Barovs haben sich mit der Geißel verbündet.“

„Wer würde das freiwillig tun?“, fragte Schakal verblüfft. „Was versprachen sie sich davon?“

„Wer weiß das schon so genau. Sie waren bereits eine der reichsten Familien der östlichen Königreiche. Ihr Besitz erstreckte sich weiter über die Grenzen von Caer Darrow hinaus bis nach Brill im Osten und über Tarrens Mühle bis hin nach Southshore im Süden. Warum Lord Alexei sich damals auf einen Handel mit Kel’Thuzad und seinem Kult der Verdammten einließ, müssen wir ihn wohl selbst fragen, wenn wir ihn erwischen. Er, seine Frau Illucia, seine Tochter Jandice sowie sein erster Sohn Alexi fristen nun ihr Dasein als Geister und Untote irgendwo in den Katakomben. Es scheint allerdings nicht so, dass sie darüber sehr unglücklich wären. Im Gegenteil sind die Gewölbe unter den Ruinen ihres ehemaligen Herrschaftssitz immer noch eine rege Ausbildungsstätte für Totenbeschwörer und Anbeter dunkler Künste aller Art. Es heißt, es gäbe dort schreckliche Monster, die sich am Blut Unschuldiger laben, untote Monstrositäten, zusammengeflickt aus Leichenteilen, auferstandene Tote und den Gerüchten zufolge sogar einen Lich.“

„Ein Lich ist eine ernste Sache.“, brummte Schakal. „Ich frage mich, wer er wohl einmal war.“

„Wir werden es herausfinden, wenn wir seine untote Seele erlösen.“, antwortete Risingsun. „Auf jeden Fall wird es für mich kein Anreiz sein, dem einzigen, verbliebenden Spross der Barov-Familie, Weldon Barov, sein Erbe wieder zu beschaffen. Immer wieder hat er Männer aus meinem Zug angefleht, sie mögen doch in den Ruinen nach den Papieren suchen, die ihn als rechtmäßigen Eigentümer von allen ehemaligen Reichtümern der Familie ausweisen.“

„Was für ein Trottel.“, bestätigte Schakal. „Als wenn weltlicher Besitz in Anbetracht der Katastrophe, die seine Familie dahin gerafft hat, noch von Bedeutung wäre.“

Risingsun nickte. „Vor allem, da er sicher nicht bereit ist, das Land, wenn er es denn wiederhat, mit den Untoten, die jetzt darauf hausen, zu teilen. Aber einerlei. Die Katakomben zu stürmen und die darin hausenden Untoten auszurotten und ihre lebenden Diener und Helfershelfer in Gewahrsam zu nehmen, wird vermutlich Tage, wenn nicht Wochen in Anspruch nehmen. Wir könnten daher jeden fähigen Mann brauchen.“

Schakal winkte ab. „Ich kann es mir denken, aber das ist nichts für mich. Ich bin schon genug in untoten Katakomben herumgekrochen, das reicht für den Rest meines Lebens.“

„Ach ja.“, antwortete Risingsun interessiert. „Wo seid Ihr gewesen?“

Der Zwerg öffnete den Mund, um zu antworten, doch er blieb stumm. Er klappte den Mund wieder zu und runzelte die Stirn.

„Ich weiß es nicht mehr.“, knurrte er. „Ich dachte gerade noch, dass ich einmal in einem grünen Schleimfluss durch finstere Gewölbe voller Untoter geschwommen sei. Ich kann mich jedoch beim besten Willen nicht erinnern, wann und wo das gewesen sein soll.“

Risingsuns Miene wurde weicher. „Vielleicht solltet Ihr Euch wirklich ein wenig ausruhen.“

„Ja, das sollte ich wohl.“, murmelte Schakal. „Ich wünsche Euch viel Glück auf Eurem Weg, Paladin.“

„Ich Euch ebenfalls, Schakal. Und möge das Licht über Euch wachen.“
 

Magenta wartete ungeduldig darauf, dass die beiden ihre wortreiche Verabschiedung beendete, doch als sie sich endlich trennten, blieb sie in ihrem Versteck hocken und überlegte. Von dem intensiven Fischgeruch war ihr inwzsichen übel geworden, ihre Beine ächzten und klagten von der ungewohnten Anstrengung des zurückliegenden Marsches und wenn sie die letzten Ausführungen der Paladina richtig deutete, so würde diese nach einem kurzen Besuch der Kathedrale ebenfalls noch heute Nacht in Richtung Norden aufbrechen wollen. Beste Voraussetzungen also, um ihr beim Greifenmeister noch einmal über den Weg zu laufen. Eine Erfahrung, die Magenta nicht unbedingt machen wollte. Stattdessen stand ihr eher der Sinn danach, sich in ein bequemes Bett zu kuscheln und von angenehmen Dingen zu träumen.

Hör sofort auf, an ihn zu denken, schalt sie sich selbst in Gedanken und richtete sich entschlossen auf. Natürlich würde sie sich nicht irgendwelchen Tagträumen hingeben. Trotzdem erschien die Aussicht auf etwas Ruhe und eine warme Mahlzeit zu verlockend, um sie nicht wahrzunehmen. Immerhin war niemandem damit gedient, wenn sie vor lauter Müdigkeit vom Greifen fiel.

Ohne noch länger zu zögern, machte Magenta sich auf den Weg. Sie würde eine kleine Schenke in der Altstadt wählen, um dort unterzukommen. Im „Pfeifenden Schwein“ fragte man nicht so genau nach, woher ein Gast stammte und wohin er wollte, wenn er Essen und Unterkunft in klingender Münze bezahlen konnte. Ein guter Ort, um unsichtbar zu werden und zu vergessen, bevor sie morgen in die Brennende Steppe zu Morzul Bloodbringer aufbrach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  darkfiredragon
2012-06-07T10:52:38+00:00 07.06.2012 12:52
So, du bekommst natürlich auch wieder n Kommi von mir, auch wenn es später ist als gewohnt. Aber ich wollte mir einfach mal die Zeit nehmen das Kapi vernünftig zu lesen - zum bloßen Überfliegen ist es einfach zu gut ;)
Hach, jetzt hat Abbefaria seine Moonkin-Gestalt, das stell ich mir wirklich sehr lustig vor :D das wird sicherlich auch noch für einigen Wirbel sorgen. Aber derzeit scheint irgendwie fast jede deiner Hauptfiguren ihren eigenen Weg zu gehen. Ich bin mal gespannt ob und wenn ja wie du sie wieder zusammenführen wirst. Und nein, ich weiß noch nich wo das alles genau hinführen wird und werde fleißig weiterlesen^^

Bis dahin, darkfiredragon


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