Besichtigungen
Es freut mich, dass so viele mitraten wollen
2. Besichtigungen
Burgvogt Tatayuki führte den Hundeprinzen zu den Räumen der Kanzlei, in das Zimmer des Ermordeten.
Sesshoumaru betrachtete nachdenklich den Weg durch die Kanzlei. Um einen mittleren großen Raum, in dem mehrere Schreiber saßen, waren die Zimmer der Beamten des Fürsten gruppiert. Die ranghöchsten besaßen eigene Mitarbeiter und auch einen eigenen Vorraum zum Warten. Vor jeder dieser abgetrennten Fluchten mit je drei Zimmern kniete ein Samurai. Ein Besucher musste folglich an allen Schreibern sowie an diesem Samurai vorbei, um auch nur in das jeweilige Wartezimmer zu gelangen. Unmöglich, hier unbeobachtet mal eben hineinzugehen.
Aus dem Wartezimmer wieder hinaus führten zwei Türen. Die eine in das Arbeitszimmer des Beamten, das andere in das Zimmer seines Dieners, beide nur durch eine dünne Wand getrennt. Warum also hatte Mamoru nicht um Hilfe gerufen? Oder überhaupt aufgeschrieen? War der Angriff zu plötzlich gekommen?
Wie war dieser Mord passiert?
Er verspürte nicht die mindeste Lust sich unter den Augen seiner Mutter und vor Fürst Kuro zu blamieren. Wenn sie ihn wegen eines Fehlers tadelte, kam er sich immer wie der letzte Idiot vor, schlimmer, wie der letzte Mensch.
Tatayuki blieb in dem Arbeitszimmer stehen: „Wenn Ihr Euch umsehen wollt, Lord Sesshoumaru?“
Dieser tat es. Wie alle derartigen Räume war er sehr einfach und übersichtlich eingerichtet. Eine Matte befand sich in der Nähe des vergitterten Fensters. Vor dieser lagen noch Feder und Tintenstein, sowie Papiere, an denen der Tote offenbar gearbeitet hatte.
„Sind die Papiere durchsucht worden?“ erkundigte er sich.
„Ja, Lord Sesshoumaru.“ Der Burgvogt fand seinen Eindruck bestätigt, dass der Hundeprinz, gleich, wie jung er sein mochte, ein erfahrener Ermittler war: „Ich las alles durch und schrieb die Namen der Betreffenden auf. Genaueres zu ihnen kann Euch gewiss Fujita sagen, der persönliche Diener des Toten, da dieser ihm zuarbeitete. Es handelte sich um Fälle, die Mamoru in seiner Eigenschaft als Leiter der Justizverwaltung Fürst Kuro vorlegen sollte. Ich bin noch nicht zu weiteren Befragungen gekommen, ließ diese Dämonen aber unter Hausarrest stellen.“
Sesshoumaru nickte etwas, zufrieden, einen fähigen Burgvogt zu finden und betrachtete weiter den Raum. Auf rechten Seite der Matte zeugten rote Flecken von dem Mord. Der Tote war also seitwärts gestürzt. Ein Tuch, wohl ein Taschentuch, lag zwischen Matte und Fenster, ein Kerzenständer mit einer großen, kaum angebrannten Kerze befand sich umgekippt auf der linken Seite. Hatte Mamoru gesessen, als er angegriffen wurde?
Nur: wie war der Mörder in den Raum gekommen und wie wieder verschwunden? Das Holzgitter des Fensters war in der Tat zu eng, als dass jemand ein Messer von außen hätte werfen können. Ein Pfeil womöglich? Aber wie hätte der Attentäter zielen sollen? War es vielleicht ein Unfall gewesen und der übende Schütze hatte gar nicht bemerkt, wohin sein Geschoss ging? Nur, wo war dieses?
Er trat dennoch hin. Tatayuki hatte sich das Gitter bereits angeschaut, aber er wollte nichts übersehen. Den Kommentar seiner Mutter, wenn er sich als unfähig erwies dieses Rätsel zu lösen, mochte er sich nicht einmal vorstellen. Nun, auch nicht den seines verehrten Vaters.
Als er sich umwandte, entdeckte er neben der Tür einen leeren, flachen Weidenkorb: „Wozu ist dies, Tatayuki?“
Der Burgvogt drehte sich erstaunt um, erwiderte dann jedoch: „Das ist der Korb für die Boten, Lord Sesshoumaru. Wenn die Beamten Briefe schreiben oder Nachrichten, legen sie diese dort hinein. Vier Mal am Tag holt der jeweils zuständige Diener die Post ab und bringt sie hinaus in die Schreibstube, wo die Boten dann abgesandt werden.“ Gab es so etwas in der Kanzlei des Inu no Taishou nicht? Oder hatte sich der Prinz schlicht dafür nie interessiert, da seine eigenen Briefe stets unverzüglich mit Boten abgingen? Das war durchaus möglich. Hohe Herrschaften interessierten sich in der Regel nie dafür, wie was genau funktionierte, solange es dies tat. Wenn nicht, wurde eben ein passender Sündenwolf gesucht. Und so aufmerksam, wie dieses Menschenmädchen hinter ihnen stand, neigte Lord Sesshoumaru nicht dazu auch nur langsamen oder fehlerhaften Gehorsam zu verzeihen. Nun, er hatte da so einige Gerüchte aus dem Schloss der verehrten Nachbarin gehört, dieser trage seinen Namen, „Der, der perfekt tötet“, durchaus zu Recht.
„Post ist heute abgegangen?“
„Ihr meint, ob Briefe darin lagen, als der Richter ermordet wurde? Ja, drei. Da aber keinerlei Blutspuren daran waren, ließ ich sie auch abgehen.“
Das gab es doch gar nicht. Das war ein echtes Rätsel. Wie war das hier passiert. Wie? Sesshoumaru spürte eine ungewohnte Hitze in sich aufsteigen und zwang sich mühsam zur Ruhe: „Wo ist der Tote?“
„Beim Heiler, Akiyama, genauer gesagt, in einem Nebenraum. Ich vermutete, dass Ihr ihn Euch ansehen wollt.“ Und da der Hundeprinz einen Schritt auf ihn zu machte: „Wenn ich Euch den Weg zeigen dürfte?“ Tatayuki setzte sich unverzüglich in Bewegung.
In einer abseits gelegenen, durch die Sommerschwüle etwas stickigen, Kammer lag die zugedeckte Leiche. Der Burgvogt schlug die Decke zurück, nicht, ohne einen etwas neugierigen Blick auf das Menschenmädchen zu werfen, das allerdings mit schon fast dämonisch zu nennender Nüchternheit den Toten betrachtete.
„Sakura.“ Sesshoumaru wollte eine fachliche und sachliche Diagnose, auch, wenn kaum zu übersehen war, dass die klaffende Wunde an der linken Seite des Halses zum Tode des Richters geführt hatte.
Sie kniete ohne ein Wort neben dem schwarzhaarigen Toten nieder, der wie ein Mann Mitte der Vierzig wirkte, und untersuchte ihn auch unter seiner Kleidung, die noch immer seinen Status als hohen Beamten anzeigte, sorgfältig, wie sie es inzwischen nur zu geübt war. Allerdings konnte sie sich nicht entsinnen, schon einmal einen toten Dämon so genau unter den Fingern gehabt zu haben. Sie beeilte sich nicht mehr als notwendig, da sie annahm, Lord Sesshoumaru wäre eher an genauer denn an schneller Beurteilung interessiert. Wenn nicht, würde er es sagen. Erst, als sie fertig war, blickte sie rasch auf, um sofort den Kopf wieder zu senken.
„Sakura.“
„Ja, Lord Sesshoumaru. Todesursache scheint in der Tat die Halswunde zu sein. Keinerlei Anzeichen deuten auf eine Vergiftung hin.“ Sie bemerkte durchaus die überraschte Geste des Burgvogtes, fuhr jedoch in ihrem Bericht fort: „Die Wunde ist tief. Die spitze Tatwaffe, sei es ein Messer oder etwas anderes, drang von unten nach oben in den Hals ein und zerschnitt die Halsschlagader, ehe sie durch das Kinn in die Mundhöhle drang. Der Stich muss mit gewisser roher Gewalt geführt worden sein.“ Und von einem Dämon, aber das konnte sie sich sparen. Zum einen gab es außer ihr keine Menschen in diesem Schloss, zum zweiten wäre ein Mensch doch nie in der Lage gewesen, einen Dämon so zu verletzen.
„Ein Papiermesser?“ erkundigte sich der Hundeprinz.
„Nein, Lord Sesshoumaru. Der Stich ist zu tief und zu breit für ein derartiges Messer. Auch ein Messer, wie es bei Attentaten der Samurai verwendet wird, kommt nicht in Betracht. Wenn ich eine Vermutung äußern dürfte...?“ Da ihr das Schweigen Zustimmung signalisierte: „Trotz der tiefen Wunde – es muss eine verhältnismäßig breite Waffe gewesen sein, ungefähr so breit wie zwei meiner Finger, aber dennoch äußerst scharf an der Spitze.“ Scharf wie ein chirurgisches Messer oder die Waffe eines Attentäters und doch so breit…So etwas war ihr unbekannt.
Also relativ groß – was das Rätsel nur ebenfalls vergrößerte. Sesshoumaru sah zum Burgvogt: „Der Heiler wurde desgleichen durchsucht?“
„Ja, Lord Sesshoumaru“, erwiderte Tatayuki sachlich, ohne seine Überraschung zu erkennen zu geben. Immerhin wusste er nun, warum der Dämonenprinz ausgerechnet mit diesem Menschenmädchen im Schlepptau hergekommen war. Sie war wohl wirklich eine fähige und dazu sachliche Heilerin mit Erfahrung bei Morden. Das würde er seinem Herrn berichten, denn er war sicher, dass Fürst Kuro nachfragen würde, wie sich dieser junge Hund bei den Ermittlungen anstellte. „Er und seine gesamte Kleidung wurden gründlich durchsucht.“ Danach hatte er sich bei ihm entschuldigt, aber Akiyama hatte nur die Schultern gezuckt, dass er das schon verstehe. Der Mord an einem fürstlichen Richter war eben Aufsehen erregend und sollte bald gelöst werden.
„Ich will mit Fujita sprechen. Schick ihn zu mir.“
„Sehr wohl, Lord Sesshoumaru.“ Der Burgvogt wollte schon fragen, ob der Gast den Weg zu seinem Zimmer finden würde, ehe ihm einfiel, dass dieser das durchaus als Beleidigung auslegen könnte: „ Habt Ihr weitere Befehle?“ änderte er seine ursprüngliche Wortwahl daher ab.
„Nur eine Frage. Hat Akiyama einen Helfer?“
„Ja, seinen Schüler, Botan. Was…?“
„Sie sollen den Toten hier einstweilen liegen lassen.“
Das war sicher unangenehm für die beiden, aber sinnvoll. Womöglich musste sich diese menschliche Heilerin den armen Richter noch einmal ansehen. „Wie Ihr wünscht. Ihr leitet die Ermittlungen.“ Tatayuki ging.
Sakura neigte den Kopf, nicht sicher, ob sie ihre Bitte äußern dürfte, ob er sie überhaupt verstehen könnte.
Sesshoumaru wandte ihr den Blick zu: „Was ist?“
„Darf ich mir die Hände waschen?“
„Geh. Dann komm zu mir.“
Er ging und sie erhob sich erleichtert. Ob er wusste, dass es trotz aller Professionalität unangenehm war einen Toten zu berühren? Zumal bei dieser Schwüle?
Sakura wusch sich die Hände nicht am Brunnen sondern im Löschwasserteich. Neigi hatte ihr beigebracht, dass dies in einem solchen Fall unerwünscht sei. So sei eine Reinigungsregel unter Dämonen, Totes dürfe nicht mit Trinkwasser in Verbindung kommen, und sie gehorchte, auch, wenn sie nicht genau wusste, warum. Sie wäre auch gern in einen Schrein gegangen, um sich rituell von der mehr als intensiven Berührung eines toten Dämons zu reinigen, ehe sie wieder Menschen behandelte, aber so etwas gab es in Fürst Kuros Schloss verständlicherweise nicht. Und weder Lord Sesshoumaru noch seine Mutter hätten vermutlich Interesse an menschlichen Empfindlichkeiten zukünftiger Patienten. Auf den ersten Blick hatte sie die Hundefürstin als mindestens ebenso kühl wie ihren Sohn eingestuft. Ihr war klar, dass der Inu no Taishou ein sehr ungewöhnlicher Dämon in dieser Beziehung war.
Dieser Mord war ein echtes Rätsel. Keine Tatwaffe, keine Möglichkeit in das Mordzimmer zu gelangen, dafür Zeugen…Hoffentlich würde Lord Sesshoumaru den Fall lösen können. Aber eigentlich war sie davon überzeugt, schließlich würde er sich und diesmal beide Eltern in den Augen Fürst Kuros bloßstellen. Und das wollte er sicher nicht. Allerdings bedeutete das, dass wohl noch einiges an Arbeit auf sie zukam.
***
Da könnte Sakura Recht haben…und im nächsten Kapitel muss sie nicht nur einmal beichten…
bye
hotep