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Seelensplitter

von

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Ägypten IX: Kriegstrompeten

Atem fühlte nur noch Verachtung für den Mann, mit dem er eine Weile eine Affäre gehabt hatte. Wie war Samaya nur zu dieser Wahnsinnstat verleitet worden? Diese Frage würde wohl für alle Zeiten unbeantwortet bleiben, denn Samaya hatte beharrlich geschwiegen. Nur auf die Frage, ob der Anschlag ein Auftrag gewesen sei, hatte er geantwortet und sich allein für das Geschehene verantwortlich erklärt.

Einen Gegenbeweis dafür gab es nicht und nachdem die Erwählten Priester die Bestie aus Haß und Rachsucht in eine Steintafel gebannt hatten, blieb nur noch, das Urteil über Samaya zu sprechen.

Atem war das nur recht, denn er wollte schleunigst zu Heba und sehen, wie es diesem ging. Seine Ungeduld sah man ihm aber wie so oft nicht an. Zum Glück hatte er von Anfang an gewußt, welche Strafe er Samaya auferlegen würde.
 

„Majestät?“ Siamun sah zu Atem. „Was ist Euer Urteil?“
 

Atem richtete sich auf seinem Thron zu voller Größe auf und fixierte Samaya, der vor den Stufen zum Thron gefesselt kniete. „Der Angeklagte Samaya ist schuldig, den Prinzen Heba von Harda verletzt zu haben. Aufgrund der politischen Konsequenzen, die diese Tat unweigerlich haben wird, wird die ägyptische Krone mit voller Härte gegen den Angeklagten vorgehen.“ Atems Augen verengten sich und ein Gefühl von Befriedigung breitete sich in ihm aus. „Der Angeklagte wird morgen bei Sonnenaufgang in die Wüste gebracht und an einen Pfahl gefesselt werden. Er wird dort ohne Wasser und Essen zurückgelassen, um den Tieren der Wüste als Nahrung zu dienen.“
 

Samayas Augen weiteten sich vor Schreck und das steigerte Atems Genugtuung nur noch mehr. Das zu statuierende Exempel sollte allen eine Warnung sein, die Atem durch die verletzen wollten, die ihm am nächsten standen. Einem Krieg mit Harda würde diese Maßnahme hoffentlich auch vorbeugen, denn momentan würden sie genug damit zu tun haben, Bakura zu jagen. Atem wollte Antes keinen Grund geben, noch mehr Krieg und Zerstörung über Ägypten zu bringen.
 

„Schafft den Gefangenen fort“, befahl Atem.
 

Samaya wurde von zwei Wachen auf die Beine gezerrt und aus dem Thronsaal geführt. Er machte keinerlei Geräusch und versuchte auch nicht zu fliehen.
 

Atem stand auf. „Damit ist das Gericht aufgelöst“, erklärte er. Ohne ein weiteres Wort verließ Atem den Thronsaal mit langen Schritten. Es drängte ihn danach, sich Hebas Zustand zu versichern. Als er Heba in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer Isis und Mana überlassen hatte, war der noch immer bewußtlos, aber stabil gewesen.

Wenig später betrat Atem das Schlafzimmer. Heba lag allein in dem großen, massiven Bett mit den Löwenfüßen und den dünnen Vorhängen, die Mücken abhalten sollten. Die Wunde an Hebas Schulter war verschwunden und Atem konnte nur noch glatte, unverletzte Haut sehen. Erleichtert sah er zu Isis und Mana. „Wird es ihm gutgehen?“
 

„Bestimmt. Er hat Blut verloren, aber die Wunde war nicht groß oder verschmutzt. Wenn er sich jetzt ausruht und die nächsten Tage größere Anstrengung meidet, wird er bald wieder völlig genesen sein“, erklärte Isis leise. Mana neben ihr nickte mit starrem, leerem Blick.
 

„Gut, danke. Geht und ruht euch ebenfalls aus, ihr zwei.“ Atem sorgte sich um Mana, aber im Moment konnte er ihr nicht helfen. Er selbst fühlte sich ja schon mit allem, was heute geschehen war, überfordert.
 

Isis und Mana verneigten sich und murmelten zustimmend, dann verließen sie die Gemächer.

Atem warf achtlos Kleidung und Schmuck auf einen Haufen auf den Boden und legte sich dann selbst neben Heba. Er brauchte dessen Nähe jetzt einfach und war sich sicher, daß es Heba ähnlich gehen mußte. Er nahm Heba in die Arme, schloß die Augen und atmete tief den Duft seines Liebsten ein.
 

„Atem?“
 

Hebas leise schläfrige Stimme ließ Atem hochschrecken. Er sah sich orientierungslos um und entdeckte, daß es inzwischen tiefste Nacht war. Wann war er eingeschlafen? Der gestrige Tag mußte ihn mehr ermüdet haben, als er zuerst gedacht hatte. „Ich bin hier, mein Kleiner“, antwortete Atem ebenso leise und stöhnte. Er hatte das Gefühl von Wolle im Mund und sein Rücken schmerzte.
 

„Geht es dir gut?“ Hebas warme Hand strich über Atems Stirn und Nase.
 

„Das wichtigste ist, daß es dir gutgeht“, erwiderte Atem und fing Hebas Hand ein, um einen Kuß darauf zu hauchen. „Ich bin in Ordnung.“
 

„Wirklich?“ Heba richtete sich etwas auf. „Mahado ist... Es tut mir so leid, Atem. Er war doch dein bester Freund.“
 

Atem zwang sich zu einem Lächeln, als die Geschehnisse des gestrigen Tages wieder auf ihn einstürzten. Bakura, Mahado, der Schwarze Magier, Manas trauriges, verlorenes Gesicht und Samayas Anschlag. „Danke, Heba“, sagte er. „Ich schätze das sehr, daß du dich so um mich kümmerst.“ Er versuchte, seine Maske weiterhin aufrecht zu erhalten, versuchte weiterhin der Pharao zu sein, auch wenn ihm in tiefster Seele ganz elend zumute war.
 

Heba umarmte Atem wortlos, als ob er dessen wahre Gefühle spüren könne, und barg dessen Kopf in einer fürsorglichen Geste an seiner Schulter. Er war so warm, so nah, so wunderbar, daß Atem die Tränen, die ihm in den Augen brannten, nicht mehr zurückhalten konnte.

Atem zog Heba noch näher in eine schmerzhaft enge Umarmung und weinte. Seine Tränen der Trauer und Verzweiflung benetzten seine Wangen und Hebas Haut. Er murmelte Worte, an die er sich im Nachhinein nicht mehr erinnern konnte, und immer wieder Mahados Namen.

Heba weinte ebenfalls. Seine Hände streichelten tröstend über Atems Rücken und seine Worte, die Atems Erinnerung ebenfalls entglitten, gaben diesem einen gewissen Halt.

Es schien Atem Stunden zu dauern, bis sein Tränenstrom endlich versiegte. Ein leises Hicksen war für eine Weile das einzige Geräusch, das er machte. Er fühlte sich merkwürdig leer und ruhig.

Heba streichelte durch Atems wirre Haare und zog diesen so, daß dessen Kopf auf seiner Schulter zu ruhen kam. Dann schlang er erneut seine Arme um Atem.
 

„Du bist... Ich liebe dich, mein Heba“, wisperte Atem. „Niemand wird dich je wieder angreifen, das verspreche ich dir. Ich hätte dich schützen sollen, aber stattdessen habe ich dich der Gefahr ausgesetzt. Samaya war meine Verantwortung und ich habe sie vernachlässigt.“
 

„Du hast es nicht voraussehen können, mein Liebster. Er war ganz verrückt, weil seine Schwester gestorben ist.“
 

Atem hob den Kopf und sah, daß Hebas violette Augen in Tränen schwammen. „Seine Schwester? Davon... davon hat er während der Befragung nichts gesagt.“
 

„Be... Befragung?“
 

„Wir haben ihn gestern sofort befragt und verurteilt, während Mana und Isis dich geheilt haben.“ Atem streichelte zärtlich über Hebas Stirn. „Er war nicht sehr gesprächig.“
 

„Zu mir hat er gesagt, daß er sterben will“, erklärte Heba und fing Atems Hand, um seine Finger mit denen Atems zu verschränken. „Er sagte, er konnte keinen Arzt für sie bezahlen, weil du... weil du ihn gegen mich eingetauscht hast. Er war dein Liebhaber.“
 

Atem schwieg einen Moment, dann erwiderte er: „Das stimmt, das war er. Aber ich habe ihn nicht geliebt, genauso wenig wie er mich. Es war zwischen ihm und mir nicht so wie es zwischen dir und mir ist. Zu mir hat er nie etwas über seine Familie oder seine Schwester gesagt. Hätte er das... Nun, seinen Todeswunsch habe ich ihm jedenfalls erfüllt. Morgen früh wird seine Reise zu den Göttern und seinem endgültigen Urteil beginnen.“
 

Heba ließ Atem los und schüttelte den Kopf. „Du kannst ihn nicht töten lassen! Bitte nicht! Er war so verzweifelt...“ Seine Stimme war voller Entsetzen.
 

„Du hast ihm auch übel zugesetzt!“ Atem wußte in dem Moment, da er das aussprach, daß das keine Verteidigung seines Standpunktes war.
 

„Ja, ich habe mein Leben beschützt, aber ich hätte ihn nicht getötet.“ Heba rieb sich wütend über die Augen.
 

„Heba, ich habe keine Wahl! Wenn ich keinen Krieg mit Harda will, muß ich ihn hinrichten lassen. Ich darf Antes keine Entschuldigung geben, mein Volk abzuschlachten. Es gibt Zeiten für Gnade und Zeiten, wo sie einfach nicht angebracht ist.“ Atem behielt es wohlweißlich für sich, daß er Samaya auch dann zu dieser harten Strafe verurteilt hätte, wäre Heba keine Geisel am Königshof gewesen. Er wußte nur zu genau, daß Heba das nicht gefallen würde.
 

„Also muß er sterben, damit Tausende von Menschen leben können.“ Heba sah mutlos und verloren aus. „Das ist ein schreckliches Opfer.“
 

Von dieser Seite aus hatte Atem es gar nicht betrachtet, aber ja, Samaya war ein Opfer, das sterben mußte, um die Sicherheit der restlichen Ägypter zu sichern. „Da hast du recht.“ Plötzlich fand Atem keinerlei Befriedigung mehr daran, sich an Samaya rächen zu können. Ganz im Gegenteil gab es ihm das Gefühl, eins dieser abscheulichen Monster zu sein, die Erwählten Priester sonst aus den Seelen von Kriminellen zogen. „Ich wünschte, es wäre nicht notwendig, Heba.“ Er senkte den Kopf um seine Gefühle zu verbergen, auch wenn das in Hebas Gegenwart nicht nötig war.
 

„Ach, Atem! Wir leben in so furchtbaren Zeiten...“ Heba rutschte zu Atem und der ließ ohne Widerstand sein Haupt auf Hebas Schoß sinken.
 

„Ich weiß.“ Atem verschwieg, daß er das furchtbare Gefühl hatte, daß es noch schlimmer werden würde. Er streichelte über Hebas nackte Hüften. „Komm, ruhen wir uns aus. Deine Schulter ist zwar geheilt, aber Isis will nicht, daß du dich anstrengst.“
 

„Ich glaube eher, daß sie nicht wollte, daß du mich anstrengst“, gab Heba, vorerst abgelenkt, zurück und lächelte. Er wuschelte durch Atems Haare und ließ sich zurück in die Kissen sinken. „Also solltest du schön brav sein heute Nacht“, fuhr er fort und gähnte, daß Atem die Kiefergelenke knacken hören konnte.
 

Mit einem Grinsen rutschte Atem nach oben und schmiegte sich an Heba. „Ich bin immer brav, mein Kleiner. Ich kann nur nichts dafür, wenn du mich mit deinen schönen Augen und deinem süßen Verhalten verführst“, wisperte er zärtlich und küßte Heba auf die Stirn. „Gute Nacht, mein Liebling, schlafe gut.“
 

„Du auch, Atem. Gute Nacht.“ Bald schlummerte Heba in Atems Armen.
 

***
 

„Den nächsten Bewerber!“ verlangte Atem und widerstand nur mit Mühe dem Bedürfnis, sich über seine müden Augen zu reiben. Seit sicher drei Stunden war er, von notwendigen kleinen Pausen mal abgesehen, damit beschäftigt, Leibwächter für Heba anzusehen, aber keiner der bisherigen Kandidaten hatte ihm zugesagt.

Sie alle schienen Atem ungeeignet, um lange in Hebas Nähe zu bleiben. Zu grob, zu unverschämt, zu voreingenommen. Und das war nur ein Bruchteil dessen, was Atem an ihnen auszusetzen fand.

Es sah so aus als würde Heba seinen Willen bekommen, denn er hatte sich strikt gegen einen Leibwächter ausgesprochen, obwohl Atem geschworen hatte, daß der Leibwächter nicht ständig in Hebas Nähe sein würde, sondern nur, wenn Heba sonst allein an einer exponierten Stelle sei. Heba hatte verständlicherweise Angst, wieder wie ein Gefangener behandelt zu werden, aber Atem dachte, daß seine eigene Angst, daß Heba wieder angegriffen werden könnte, doch auch etwas gelten mußte.
 

Eine der Wachen kam mit einer Frau zurück in den Thronsaal, die ihr Haar unter einem braunen Lederhelm versteckte. „Die Bewerberin Mai“, verkündete die Wache und trat beiseite.
 

Atem hob eine Augenbraue. Weibliche Leibwächter waren selten. Aber vielleicht war diese Frau ja das, was er gesucht hatte. „Steh auf“, befahl er der Frau, die sich bei seinem Anblick sofort zu Boden geworfen hatte. Sie gehorchte.

Atem musterte die Frau eingehend. Sie mußte um die Dreißig sein und war von schöner, athletischer Figur. Sie hatte ein entschlossenes Kinn und violette Augen. Irgendetwas an ihr kam ihm bekannt vor, aber er konnte nicht den Finger darauf legen, was es war. „Du heißt also Mai. Wo lebst du?“
 

„Ich komme ursprünglich aus Griechenland, Majestät. Seit einer Weile suche ich Arbeit überall, wo eine kampferfahrene Frau gebraucht wird. So bin ich schließlich nach Ägypten gekommen“, erwiderte Mai.
 

„Mai ist aber kein griechischer Name, sondern ein ägyptischer.“
 

„Es ist einfacher für die einfachen Leute, wenn sie mich mit einem Namen anreden können, der ihnen vertraut ist.“
 

Atem beugte sich vor. „Ich habe nicht das geringste Problem mit Griechisch.“ Mühelos fuhr er in ebendieser Sprache fort: „Also sag mir deinen wahren Namen. Ich beschäftige nur ungern Leute, von denen ich nicht weiß, ob ich ihnen vertrauen kann.“
 

Mai verfiel ebenfalls ins Griechische, als sie antwortete: „Natürlich, Pharao. Das verstehe ich voll und ganz. Ich hatte eigentlich gehofft, Ihr würdet mich erkennen, aber seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, ist viel Zeit vergangen. Es ist also kein Wunder, daß Majestät mich nicht wiedererkennen.“ Sie lächelte spitzbübisch. „Ich bin Marilita.“
 

Atems Augen weiteten sich unmerklich. Das war es! Deshalb war ihm die Frau bekannt vorgekommen. „Dann kann ich davon ausgehen, daß Prinz Heba bei dir in besten Händen sein wird“, fuhr er nach außen ruhig wieder auf Ägyptisch fort. Er sah zu dem anwesenden Schreiber. „Mai wird hiermit eingestellt und erhält den Soll eines königlichen Leibwächters. Die anderen Bewerber sind entlassen. Richte ihnen meinen Dank für ihr Kommen aus und gib jedem einen Laib Brot.“ Die Männer sollten schließlich nicht das Gefühl haben, völlig umsonst gekommen zu sein. „Mai, du kommst mit mir.“
 

Atem stand auf und führte Marilita zu Hebas und seinen Gemächern. Sobald sie allein waren, drehte Atem sich um. „Es freut mich, dich hier zu sehen, Marilita. Heba wird dein Erscheinen sicher auch gefallen.“
 

„Das hoffe ich, Pharao. Aber zuerst muß ich mit Euch alleine sprechen.“ Marilita sah Atem drängend an. „Ich will die Wahrheit hören.“
 

„Welche Wahrheit?“ hakte Atem aus dem Konzept gebracht nach.
 

Marilita schwieg für einen Moment, dann antwortete sie: „Die Wahrheit darüber, was zwischen Euch und Prinz Heba vorgeht. Ich weiß, meine Frage ist unverschämt, aber ich muß es wissen.“
 

„Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, aber du würdest es sowieso erfahren. Der Klatsch im Palast verschont niemanden. Wir sind ein Paar.“
 

„Würde Heba das auch so sehen?“ Marilita klang auf einmal sehr angriffslustig.
 

Atem fragte sich plötzlich, ob es klug war, mit ihr allein zu sein.
 

„Würde ich was auch so sehen?“ Heba stand in der Tür zu seinen Gemächern. „Marilita? Bist du es wirklich?“
 

„Natürlich bin ich es, mein Prinz!“ rief Marilita und warf sich vor Heba zu Boden.
 

Heba ließ seinen Stock fallen und kniete sich neben sie, um sie zu umarmen. „Marilita! Ich bin ja so froh! Geht es dir gut? Ist etwas passiert?“
 

Sie erwiderte die Umarmung angespannt. „Mir geht es gut“, versicherte sie. „Aber es ist in der Tat etwas passiert. Deshalb bin ich hier. Der Pharao sagte, er und Ihr seid ein Paar. Ist das wahr?“
 

Heba lief knallrot an. „Marilita!“ protestierte er. „Das sind meine Privatangelegenheiten!“ Er seufzte als er merkte, daß er Marilitas Neugier so kaum stillen konnte. “Ja, wir sind ein Paar. Wir lieben uns. Willst du auch noch Details?“
 

Marilita lachte. „Nein, mein Prinz, ich mußte das nur wissen, denn...“ Sie sah auf und betrachtete Atem. „Antes läßt in Harda überall verbreiten, der Pharao hätte Euch geschändet und Euch Gewalt angetan.“
 

Heba wurde blaß. „Was?“ quiekte er entsetzt. „Das stimmt doch überhaupt nicht. Wie konntest du das glauben?“
 

Atem ballte beide Hände zu Fäusten. „Was fällt diesem Seth-Diener ein, daß er solche Lügen erzählt? Niemals würde ich Heba verletzen oder ihn zwingen.“
 

„Ich habe es nicht wirklich geglaubt, aber ich wußte ja nicht, wie es Euch hier ergangen ist, Prinz Heba. Ich mußte mich selbst überzeugen.“ Sie sah wieder zu Atem. „Vergebt mir, Pharao! Ich wollte Euch nicht beleidigen.“
 

„Nicht du hast mich beleidigt, Marilita, sondern Antes. Und er hat nicht nur mich, sondern auch Heba beleidigt, indem er völlig falsche Behauptungen über unsere Beziehung aufstellt und unsere Gefühle in den Dreck zieht. Was verspricht er sich davon?“ Atem fuhr sich durch die Haare. Mitten in der Bewegung hielt er inne. Entsetzen breitete sich in ihm aus. „Er will Krieg! Er braucht einen Grund, um Krieg gegen das ägyptische Reich zu führen.“
 

„Ist das wahr, Marilita?“ Hebas Stimme klang vor Aufregung ganz hoch.
 

„Ja, das ist es. Schließlich gibt es keine Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen. Selbst wenn Ihr, Heba, Antes’ Behauptungen öffentlich zurückweisen würdet, könnte Antes noch immer behaupten, die Zurückweisung sei durch Gewalt vom Pharao erzwungen worden.“ Marilita stand auf und zog Heba gleich mit auf die Beine.
 

„Deshalb bist du also hier.“ Heba hielt sich an ihr fest.
 

„Ja. Ich mußte euch beide warnen. Außerdem muß sich jemand um Eure Sicherheit kümmern, mein Prinz.“
 

Heba stöhnte. „Bitte, Marilita, ich brauche keinen Leibwächter.“
 

„Oh doch!“ erwiderten Marilita und Atem einstimmig und sahen sich danach verwirrt an.
 

„Zwei gegen einen ist nicht gerecht.“
 

„Bitte, Heba! Du kennst Marilita schon und sie wird dir sicherlich deinen Freiraum lassen.“
 

„So ist es“, pflichtete sie Atem bei. „Wie ich es sehe, seid Ihr ja sonst gut beim Pharao aufgehoben.“
 

„Ich komme aus der Sache wohl nicht mehr raus.“ Heba setzte sich auf einen Schemel und schüttelte schicksalsergeben den Kopf. „Was aber ist mit Antes? Wenn er wirklich den Krieg will, wird er zwei Völker aufeinanderhetzen, die in Wirklichkeit zueinander stehen sollten.“
 

„So ist es und ich fürchte, es wird sich nicht verhindern lassen“, antwortete Atem grimmig. „Wenn Antes den Krieg will, muß ich ihm entgegentreten und damit muß ganz Ägypten ihm entgegentreten.“
 

„Da gibt es nur noch ein kleines Problem“, schaltete Marilita sich ein.
 

„Und das wäre?“ Atem sah sie aufmerksam an.
 

„Antes hat einen Spion an Eurem Hofe, Pharao. Deshalb wollte ich Euch auch unbedingt allein sprechen. Irgendjemand hier wird mich erkennen oder herausfinden, wer ich bin. Wenn Antes das erfährt...“
 

„Wird er um so schneller zuschlagen, um uns jegliche Möglichkeit zu Planung und Verteidigung zu nehmen. Er wird sich denken können, wem deine Loyalität wirklich gilt.“ Atem setzte sich neben Heba.
 

„Dann müßten wir den Spion entlarven, bevor er Antes informieren kann. Aber wie? Marilita, weißt du, wer es sein könnte?“ wandte Heba sich hoffnungsvoll an sie.
 

„Tut mir leid, Hoheit, aber das weiß ich leider nicht. Ich nehme an, Antes’ Männer haben jemanden am Hofe gefunden, den sie bestechen oder erpressen können.“
 

„Also jemanden, der nicht auffällt und dem wir vertrauen. Ein Diener, ein Schreiber, ein Beamter, vielleicht sogar jemand, der noch höher steht. Ich muß mich sofort mit Siamun und Nefertiti beraten. Marilita, bleib bei Heba.“ Atem streichelte kurz über Hebas Hand. „Ich fürchte, das wird eine lange Nacht, mein Kleiner. Warte nicht auf mich.“ Er stand auf.
 

„Atem, warte. Ich habe eine Idee!“
 

„Wie man den Spion fangen könnte?“
 

Heba nickte.
 

„Raus damit!“
 

***
 

Es war schwül und stickig unter der alten Decke und als ob das nicht genug der Unannehmlichkeiten war, kitzelte etwas Atems Nase. Die Matratze war hart und roch streng. Die Zimmer der Dienstboten brauchten dringend eine neue Einrichtung, befand Atem. So langsam wurde es nämlich äußerst ungemütlich.

Atem bewegte sich vorsichtig und lugte durch einen dünnen Spalt zwischen Decke und Matratze, aber er sah nur Schwärze. Sein Griff um den Dolch verstärkte sich. Er wußte, Marilita, Heba, Set und Schada waren irgendwo im Zimmer.
 

Set hatte den Plan zur Spionergreifung mehrmals als Schwachsinn bezeichnet. Nicht, weil er ihn an sich schlecht hielt, sondern weil er Atem nicht als Marilitas Double eingesetzt sehen wollte. Aber Atem kam Marilitas Größe und Statur nun mal am nächsten und schließlich sollte nicht der ganze Palast wissen, daß man dem hardaischen Spion, von dem sie gerade erst vor wenigen Stunden selbst erfahren hatten, eine Falle stellen wollte.
 

Marilita hatte zwar angeboten, den Köder zu spielen, schließlich ging es um sie, aber das hatte Atem abgelehnt. Der Spion würde, wenn das Licht anging, vor Überraschung eher nicht mehr angreifen, wenn er sich einer Person gegenübersah, die er nicht erwartet hatte als wenn es sich um seine Zielperson handelte.
 

Marilita war seit ihrer Ankunft sehr offensichtlich und äußerst wichtigtuerisch um Atem herumgeschlichen und hatte ihm immer wieder bedeutungsschwangere Blicke zugeworfen. Zusätzlich hatte sie mehrmals lautstark erklärt, noch unbedingt mit dem Pharao in einer ruhigen Minute unter vier Augen reden zu müssen, aber Atem hatte sie jedes Mal ebenso lautstark auf den nächsten Morgen vertröstet. Wenn alles nach Hebas Plan ablief, würde der Spion denken, er könne seine Haut noch retten, bevor er aufflog, indem er Marilita in der Nacht umbrachte.

Oder der Feigling war bereits geflohen, was sie wohl aber erst morgen früh bemerken würden und was sehr ärgerlich wäre. Atem wollte der Person ins Gesicht sehen, die ihr eigenes Land an einen Feind verriet. Grimmig dachte er an Tenghe. Verrat hatte viele Gesichter.
 

Das leise Knarren der Tür schreckte Atem auf und er hatte Mühe, still liegenzubleiben. Er atmete gleichmäßig und langsam, für jeden Betrachter von außen nur ein ahnungsloser, unbewaffneter Schläfer. Jetzt galt es! In Gedanken bat Atem den Spion, näherzukommen und er wurde offenbar erhört. Durch den Spalt konnte Atem einen Schemen erkennen, ein bloßes Paar Füße nach den wenigen Geräuschen, die er hörte.

Ein leises Keuchen zeigte an, daß ihr Mann nervös war. Er war wohl kein Mörder. Um so besser! Dann sollte es ein Leichtes sein, ihn zu überwältigen. Der Schemen kam näher und kniete sich mit einem leisen Rascheln von Kleidung hin.
 

Atem leckte sich nervös über die Lippen. Eins, zwei, drei... Er kam nicht dazu, lautlos weiterzuzählen, denn das feine Sirren einer schnell geschwungenen Klinge drang an seine Ohren. Blitzschnell rollte Atem sich zur Seite und sprang auf. Die Decke fiel zu Boden und auf Sets Geheiß entzündeten sich die Fackeln an den Wänden und tauchten die kleine Kammer in ihr enthüllendes orangenes Licht.
 

Der Mann, der zu Atems Füßen kniete, starrte mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf sein vermeintliches Opfer, den Dolch noch immer halb erhoben.
 

Atem erkannte den verhinderten Mörder als einen der Schreiber, der regelmäßig Protokoll im Thronsaal führte. Der Mann, dem Atem noch vor wenigen Stunden aufgetragen hatte, Brot an die abgewiesenen Bewerber zu verteilen.
 

„Schreiber Ipu!“ Schada trat aus einer Nische. „Wie konntest du das tun? Du hast dein Land und deinen Pharao verraten!“
 

Marilita kletterte stöhnend aus der Kleidertruhe und rieb sich den Rücken, während Heba aus einem großen, bauchigen Krug lugte. Set hingegen trat einfach aus einem Schatten.
 

„Könnte mir hier mal jemand heraushelfen?“ Hebas Stimme hallte seltsam in dem alten Gefäß wider.
 

Set grummelte und trat neben den Krug. „Sicher, Prinz. Klettert in Zukunft besser in Verstecke, aus denen Ihr notfalls noch entkommen könntet.“ Er hob Heba mühelos aus dem Krug und setzte ihn ab. Dann sah er Ipu verächtlich an. „Ein Schreiber taugt nicht mehr viel, wenn man ihm die Hände abschneidet“, überlegte er laut.
 

„Nein!“ Heba wandte seinen Kopf zu Atem. „Das... das macht ihr doch nicht wirklich, oder?“
 

„Priester Set, wir sprechen keine Drohungen aus. Wir verhandeln den Fall, befragen den Beschuldigten und dann entscheiden wir uns für eine passende Strafe, sollten wir seine Schuld feststellen.“ Atems Blick war eisig, als er Set niederstarrte.
 

Set verneigte sich. „Nun, seine Schuld ist wohl bewiesen, mein Pharao. Oder was sonst sollte dieser Versuch eines feigen Meuchelmordes?“
 

Ipu ließ den Dolch fallen und warf sich vor Atem in den Staub. „Mein Pharao, bitte vergebt mir. Das alles ist ein Mißverständnis!“
 

„Das bezweifle ich“, erwiderte Atem trocken. „Du wolltest Marilita töten, weil du Angst hattest, sie könnte dich als den Spion für Antes entlarven.“
 

„Ich habe nicht um mich Angst, mein Pharao“, erwiderte Ipu. „Meine Familie ist es, um die ich fürchte. Mein Bruder lebt mit den Seinen in Harda. Männer aus Harda kamen heimlich zu mir. Sie drohten, meinem Bruder würde es schlecht ergehen, wenn ich nicht täte, was König Antes wünschte. Bitte vergebt mir, Großer Horus, nie wollte ich Euch oder mein Land verraten!“
 

Atem nickte Schada zu und trat zurück.

Schada hob den Millenniumsschlüssel und schloß die Augen. Alle waren mucksmäuschenstill, während Schada sich auf die Magie konzentrierte. Schließlich öffnete er die Augen. „Ipu sagt die Wahrheit. Er hat nur aus Zwang gehandelt. In seiner Seele lebt keine böse Kreatur.“
 

Ipu begann vor Erleichterung zu weinen.
 

Heba sah auch aus, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. „Was wird jetzt geschehen?“
 

„Ipu wird uns alles erzählen, was er über Harda weiß. Als Gegenleistung gewähre ich ihm und der Familie seines Bruders meinen Schutz“, erwiderte Atem. Dann sah er zu Ipu. „Was berichtest du nach Harda?“
 

„Ihr seid zu gnädig, oh großer Pharao! Ich werde alles tun, um meinen Namen wieder reinzuwaschen, das verspreche ich Euch.“ Ipu hustete, dann fuhr er fort: „Ich habe ihnen alles gesagt, was ihnen wichtig erschien. Über unser Militär, unsere Krisen und Erfolge. Natürlich auch alles, was sich um Prinz Heba dreht.“ Er sah zu Heba und verneigte sich tief. „Vergebt auch bitte Ihr mir, Prinz.“
 

„Das habe ich bereits. Aber warum hast du meinem Onkel erzählen lassen, der Pharao hätte mich geschändet?“
 

„Auch Ihr seid zu gnädig, Prinz. Ich habe nichts dergleichen berichtet“, erwiderte Ipu. „Nur, daß Ihr und der Pharao Euch Gemächer teilt und nach dem Palastklatsch jede Nacht auch das Bett teilen würdet.“
 

„Ja, das klingt alles sehr nach Antes“, mischte Marilita, die bis jetzt geschwiegen hatte, sich ein. „Er nimmt einen Fakt und spinnt daraus eine ihm dienliche Lüge.“
 

Heba nickte zustimmend.
 

„Gut zu wissen“, erwiderte Atem. „Also schön, Ipu, gibt es noch weitere Spione am Hof?“
 

„Nicht, daß ich wüßte, Euer Majestät.“
 

Atem rieb sich über die Augen. Es war ein langer Tag gewesen und ihm würde eine mindestens ebenso lange Nacht folgen. „Wir sollten diese Befragung an einen anderen Ort verlegen. Set, Schada, ihr werdet mich mit Ipu in den privaten Ratssaal begleiten. Die anderen Erwählten Priester, Nefertiti und Wesir Siamun werden uns dort sicher schon erwarten.“ Atem wandte sich mit einem Lächeln an Heba. „Du solltest dich hinlegen, mein Kleiner. Wenigstens einer von uns beiden muß morgen ausgeschlafen sein. Marilita wird vor deinen Gemächern Wache stehen bis ich wieder zurück bin.“
 

Atem kam erst in den letzten Stunden der Nacht zu Heba und mußte ihn bereits in den frühen Morgenstunden wieder verlassen. Der Krieg war, wie er nun wußte, unausweichlich. Antes hatte laut Ipus Informationen bereits begonnen, Truppen nach Ägypten zu schleusen. Sie mußten das hardaische Heer abfangen. Noch während Heba ahnungslos schlief, brach das ägyptische Heer auf.
 

***
 

Atem überprüfte noch einmal seinen Streitwagen und tätschelte den zwei gescheckten Hengsten, die ihn zogen, die Hälse. „Nervös?“ erkundigte er sich bei Mana, die neben ihm auf Wüstenläufer saß.
 

„Ja“, erwiderte sie. „Irgendwie schon. Ich habe noch nie in einem Krieg gekämpft.“
 

Atem wußte, daß sie noch immer unter Mahados Tod litt, auch wenn sie es zu überspielen versuchte. „Niemand würde dir einen Vorwurf machen, wenn du bei den Heilern bleibst.“
 

Mana schüttelte den Kopf und grinste. „Ich kann dich nicht alleinlassen. Ich habe Nefertiti schließlich versprochen, auf dich aufzupassen. Und Heba... Du hättest dich von ihm verabschieden sollen, weißt du? Er wird sich Sorgen machen.“
 

„Ich hasse große Abschiede, das weißt du doch, Mana. Wenn alles gutgeht, brauchen wir nur den heutigen Tag, um Antes’ Heer zu schlagen und dann sind wir sehr bald wieder daheim in Theben. Außerdem sorgt Heba sich immer um mich.“ Atem wünschte sich insgeheim nichts mehr, als daß sie Harda wirklich gleich heute schlugen. Sie hatten zwei Tage hier gelauert und endlich war das gegnerische Heer in Reichweite gerückt. Noch einen Krieg wie den gegen die Hethiter wollte Atem nicht führen. Er wollte bald wieder zurück nachhause und Heba in seine Arme schließen. Wenigstens konnte Atem sich sicher sein, daß Heba mit Marilitas Schutz nichts passieren würde, solange er fort war.
 

„Ist dir nicht heiß unter dem Helm? Ich schwitze ja so schon“, stöhnte Mana und wischte sich über die Stirn.
 

„Ein heißer Kopf ist immer noch besser als ein von einem Pfeil durchbohrter“, konterte Atem. „Hör zu, Mana, bleib in meiner Nähe. Du darfst dem Feind keine Gnade zeigen, denn in dem Moment, wo du ihm die Hand reichst, wird er sie dir ohne zu zögern abhacken. Ich weiß, daß es auf dem Schlachtfeld schrecklich zugeht. Sieh nicht zu genau auf die Leichen, ja?“
 

Mana setzte ihren eigenen Helm auf und nickte. „Ich habe verstanden, Pharao.“
 

Atem bestieg seinen Streitwagen und ergriff die Zügel. Die Hardaer, berichteten die Späher, näherten sich und sollten noch vor dem Zenit der Sonne in die Falle der Ägypter tappen. Die Ägypter hatten Zeit, Überraschungsmoment und Truppenstärke auf ihrer Seite. Atem betete stumm zu Sachmet, ihnen in diesem Kampf zur Seite zu stehen und versprach der Göttin einen neuen Tempel und fette Opferstiere, wenn Ägypten siegreich und mit möglichst wenigen Verlusten aus dem Krieg hervorgehen würde.
 

„Sie kommen!“ Ein Soldat hielt keuchend neben Atem und Mana. „Von Westen, wie Ihr gesagt habt, Pharao.“
 

„Gut. Dann wollen wir ihnen einen gebührenden Empfang bereiten.“ Atem schnalzte mit der Zunge und die Schecken trabten los. Mana folgte ihm. Innerhalb weniger Minuten stand die komplette Frontlinie bereit.
 

Mana blickte immer wieder um sich als erwartete sie, von hinten angesprungen zu werden.
 

„Nur die Ruhe“, sagte Atem leise zu ihr. „Der Feind kommt von vorne, du mußt dich nicht verrenken.“
 

„Ich hab nur so ein komisches Gefühl“, erwiderte Mana. „So als ob etwas Unerwartetes passieren wird.“ Sie umklammerte ihren Zauberstab fester und spähte gen Westen. „Wann kommen sie denn nur?“
 

„Wenn du dich weiter so aufregst, machst du noch Wüstenläufer nervös. Ich hätte dir ein ruhigeres Pferd geben lassen sollen.“
 

„Tut mir leid.“ Mana holte mehrmals tief Luft. „Besser“, versprach sie dann.
 

„Gut. Und mach dir keine Sorgen. Nichts kann schiefgehen. Sie wissen nicht, daß wir hier sind.“ Atem strengte seine Augen an und konnte die ersten Schemen im Westen entdecken, die von ihrem Feind kündeten. „Sie sind auf direktem Wege zu uns.“ Atem nickte den Generälen zu, die sofort begannen, Befehle zu geben.

Es dauerte aber noch eine gute Viertelstunde bis die Hardaer die Ägypter bemerkten.
 

„Macht hinten zu!“ brüllte der General direkt neben Atem. Bevor die Hardaer noch wußten, wie ihnen geschah, waren sie eingekesselt.
 

Bewegung kam in das Hardaer-Heer und bald darauf ritt ein Mann, flankiert von Leibwächtern und Standartenträgern, auf Atem zu. Das mußte Antes sein.
 

Atem fühlte seinen Zorn in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, was Antes Heba alles angetan hatte. Aber heute würden die Verhältnisse neu geordnet werden. Heute würde Antes erfahren, wie es war, seine Krone zu verlieren. „Antes!“ rief er. „Ergebt Euch und Euren Männern soll nichts geschehen.“
 

Antes hielt an. Er war ein großer Mann mit grauen Augen, die seinem Gesicht etwas Grimmiges verliehen. Sein brauner Schnauz- und Kinnbart konnten seine harten Lippen nicht kaschieren. „Pharao Atem, es ist wahrlich eine Überraschung Euch hier zu sehen.“ Antes’ Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn.
 

„Ja, nicht wahr? Es war auch für mich eine Überraschung zu erfahren, daß Ihr mich ausspionieren laßt. Wie gut, daß Heba so einfallsreich ist. Es war ein großer Spaß, den Spion zu fangen.“ Mit großer Befriedigung beobachtete Atem, wie Antes Augen sich verengten und hektische rote Flecken auf dessen sonst so blassen Wangen erschienen.
 

„Spionage? Wozu sollte ich Euch ausspionieren lassen?“
 

„Um Ägypten zu überrennen oder was sonst macht Ihr hier mit Eurem Heer viele Meilen außerhalb Eurer eigenen Gebiete, Antes?“ Atem spürte durch die Zügel die Nervosität seiner Pferde.
 

Antes hingegen war nicht mehr nervös, ihm war der kalte Angstschweiß ausgebrochen. „Heba kann Euch nicht geholfen haben, er ist ein zurückgebliebener Idiot. Wieso sonst sollte er sich von Euch überrumpeln lassen, damit Ihr Euer schändliches und perverses Verlangen an ihm auslassen könnt?“
 

Die ägyptischen Soldaten schrieen erzürnt Beleidigungen und Schmähungen. Den Pharao zu beleidigen war wie eine Beleidigung des gesamten Reiches. Der Lärm übertönte die Pferde und machte eine Unterhaltung unmöglich. Atem nahm seine Augen nicht von Antes. Langsam erstarb das Geschrei.
 

„Pharao...“ Manas leise, überraschte Stimme ließ Atems Kopf herumwirbeln. Er konnte nicht glauben, was er sah, als er an ihr vorbei blickte.
 

„Da irrst du dich!“ Heba, auf dem Rücken von Nefertitis Rappstute Mondtänzerin, begleitet von Marilita und einem guten Dutzend Soldaten, ritt im Schrittempo zu Atem.
 

Atems Überraschung war aber nichts im Gegensatz zu der von Antes.
 

„Heba, was... was machst du hier?“ stammelte Antes völlig aus dem Konzept gebracht.
 

„Ich will verhindern, daß du zwei Länder in einen sinnlosen Krieg verwickelst.“ Heba hielt Mondtänzerin an und wandte sein Gesicht Antes zu. „Wie viele hardaische Männer hast du von ihren Familien fortgeführt, damit sie in einem fremden Land den Tod finden sollen?“
 

„Heba, Junge, du verstehst doch davon nichts.“ Antes lächelte beschwörend. „Wir wissen doch alle, daß die Ägypter dich zu diesem Auftritt zwingen.“
 

„Hör auf, meine Intelligenz zu beleidigen.“ Hebas Stimme klang plötzlich erstaunlich hart. „Ich bin von niemandem beeinflußt außer meinem Wissen, daß du nicht Hardas Interessen vertrittst, sondern nur deine eigenen. Du hast meine Eltern ermorden lassen, um die Krone an dich zu reißen. Du hast Hatti durch unsere Gebiete marschieren lassen, um dir nicht nur ihre Gunst zu sichern, sondern auch Ägypten zu schwächen. Du hast mich gezwungen, eine Thronverzichtserklärung zu unterschreiben, indem du mich mit dem Tod einer Freundin bedroht hast. Du hast die berechtigten Proteste der Bauern über die viel zu hohe Steuerlast blutig und gnadenlos niedergeschlagen. Du bist eine Schande für unsere Familie und eine Schande als König Hardas.“
 

Antes bleckte die Zähne wie ein in die Enge getriebener Schakal und knurrte: „Hör mal, Bürschchen, du hättest dich als König nie durchsetzen können. Du bist schwach, weich und ein verdammter Sodomist. Dir kann doch jeder auf der Nase herumtanzen.“
 

Unter den hardaischen Soldaten erhob sich ein Summen wie das eines erzürnten Bienenschwarms.
 

„Mit wem ich das Bett zu teilen gedenke ist ganz allein meine Entscheidung.“ Heba wandte den Kopf und lächelte Atem kurz zu, bevor er seine unfokussierten Augen wieder in Antes' Richtung wandte. „Ich will nicht behaupten, daß ich der beste König für Harda wäre, aber ich sehe genau, daß du es nicht bist.“
 

„Sehen? Du bist blind! Nichts siehst du und von nichts eine Ahnung hast du, du Bastard.“
 

„Es gibt viele Dinge, die da sind, die man aber nicht sehen kann, ob man blind ist oder nicht. Falschheit und Machtgier gehören dazu, Antes“, erwiderte Heba ruhig. „Ich habe dich durchschaut. Du hast mir vielleicht das Augenlicht genommen, aber nicht meine Seele oder mein Herz.“
 

Ein Hardaer rief: „Hört! So spricht der wahre König Hardas.“
 

Keine Sekunde später war die Luft mit Rufen erfüllt, die Heba lobten.
 

Atem lächelte. „Du bist wirklich ein wahrer König, mein Kleiner“, murmelte er zu sich selbst.
 

Heba hingegen lief rot an. Die Aufmerksamkeit war ihm offenbar unangenehm. „Hört!“ rief er schließlich. „Bitte hört mir zu!“ Der Tumult verstummte langsam.
 

„Vorsicht!“ schrie Marilita, als Antes auf einmal seinem Pferd die Hacken in die Flanken rammte und mit gezogenem Schwert auf Heba zugaloppierte.
 

„Sei verflucht, Schlange!“ rief Mana, bevor Marilita oder Atem reagieren konnten und richtete ihren Fokusstab auf Antes. Es gab einen lauten Knall und eine schwarze Natter fiel von Antes Pferd. Das ohne Hände nutzlose Schwert stach daneben in den Sand.
 

Alle wurden still. Für eine schreckliche Minute lang wußte Atem nicht, ob die Hardaer nicht angreifen würden, aber dann erklangen Jubelschreie von hardaischer Seite.
 

„Was ist passiert?“ fragte Heba verwirrt Atem.
 

„Mana hat deinen Onkel in eine Schlange verwandelt“, erwiderte Atem. Es fiel ihm schwer, sein erleichtertes Lachen zu unterdrücken.
 

Hebas Augen waren weitaufgerissen und sein Mund formte ein O.
 

„Fangt die Natter!“ brüllte ein Hardaer und Soldaten beider Heere schlossen sich zu einem gröhlenden Jagdtrupp zusammen.
 

„Tut ihr nicht weh!“ rief Heba, aber sein Ruf ging in dem Trubel unter.
 

Atem gab seinen Generälen einige Befehle, dann stieg von seinem Streitwagen und trat neben Mondtänzerin. „Heba? Reiten wir ins Lager, ja?“
 

„Ist gut. Wir müssen sowieso reden“, erwiderte Heba und Atem stemmte sich hinter ihm auf das Pferd. „Aber was ist mit Antes?“
 

„Ich vertraue meinen Generälen, ihn zu fangen. Und selbst wenn nicht: Welchen Schaden kann er als Schlange jetzt noch anrichten?“ Atem grinste und rieb seine Nase an Hebas Hals. „Wollen wir?“
 

„Wenn du mir sagst, wo es langgeht.“
 

Heba ritt langsam und folgte Atems Wegbeschreibungen. Schon bald waren sie wieder im Lager.
 

„Bist du die ganze Zeit so geritten?“ erkundigte sich Atem, als er abstieg. Danach half er Heba von der kleinen Stute herunter, die erleichtert schnaubte. Dann band Atem Hebas Stab, der an ihrer Flanke befestigt worden war, los, um ihn Heba in die Hand zu drücken.
 

„Danke. Wenn wir galoppiert sind, habe ich Marilita meine Zügel gegeben und habe mich nach vorn gebeugt. Es ging ganz gut, aber ich hoffe, ich muß nie wieder in meinem Zustand so schnell galoppieren.“ Heba lächelte nervös. „Um genau zu sein ziehe ich festen Boden unter meinen Füßen vor.“
 

Atem dachte an den Mann im Gebüsch. „Das glaube ich dir aufs Wort. Komm mit in mein Zelt.“ Er winkte einen Stallburschen herbei, der sich sofort um Mondtänzerin kümmerte.
 

Atems Zelt war klein und die einzigen Möbel hier waren ein schmales Bett und ein Schreibtisch mit einem wackeligen Stuhl. Heba setzte sich mit einem zufriedenen Seufzen auf das Bett und ließ die Beine baumeln.

Atem warf seinen Helm und seinen Brustpanzer in eine Ecke. „Worüber wolltest du mit mir sprechen?“ Atem füllte zwei Becher mit Wasser und gab Heba einen davon, bevor er sich ebenfalls auf dem Bett niederließ.
 

„Über Hardas Zukunft. Das wollte ich eigentlich den Soldaten sagen, bevor Antes mich zum Schweigen bringen wollte, aber jetzt werden sie wohl nicht auf mich hören. Sie sind viel zu sehr mit ihrer kleinen Jagd beschäftigt.“ Heba trank gierig mehrere Schlucke, um sich den Staub aus der Kehle zu spülen, dann wischte er sich über seine feuchten Lippen.
 

„Sie brauchen einen König.“
 

„Das ist nur fast richtig. Sie brauchen einen guten König. Jemanden, dem sie vertrauen können.“
 

„Sie vertrauen dir.“ Atem legte einen Arm um Hebas Schultern und zog Heba an sich. Wie sehr er die Nähe seines Lieblings vermisst hatte!
 

„Ich bin nicht zum König geeignet, Atem, selbst wenn ich nicht blind wäre. Ich weiß nicht, wozu ich gut bin, aber dazu nicht. Das weiß ich schon sehr lange.“ Heba legte erschöpft seinen Kopf auf Atems Schulter.
 

„Du solltest nicht so bescheiden sein.“ Atem lächelte und hauchte Heba einen Kuß auf die Stirn.
 

„Ich bin nicht bescheiden, Atem, ich bin schrecklich selbstsüchtig.“ Heba lächelte verlegen und hob eine Hand, um über Atems Wange zu streicheln. „Wenn ich König von Harda werden würde, dann müßte ich dich verlassen. Das würde mich zerstören.“
 

Atem mußte zugeben, daß Heba damit recht hatte, daß sie sich dann zumindest räumlich trennen müßten und sich nur noch selten sehen würden. Sein Herz schmerzte bei diesem Gedanken, aber er konnte Heba nicht an sich binden. Nicht, wenn es für Heba noch andere Möglichkeiten, noch ein anderes Leben gab. „Heba, du bist so viel stärker als du glaubst! Wir könnten auch das überstehen. Unsere Liebe wird nicht vergehen, nur weil wir uns eine Weile nicht sehen. Du mußt nicht wegen mir auf dein Geburtsrecht verzichten.“
 

„Ich verzichte nicht wegen dir, Atem, sei unbesorgt. Ich verzichte, weil ich es so will und weil es für die Menschen in Harda besser ist. Du solltest dich viel mehr um dich selbst sorgen als um mich.“ Heba lächelte auf einmal spitzbübisch.
 

„Wieso? Was hast du dir ausgedacht?“ Atem beobachtete, wie Heba wieder ernst wurde.
 

„Harda wird von allen Seiten bedroht. Wir sind ein kleines Land und eines Tages wird uns jemand überrennen. Schon seit langem gab es Diskussionen und Überlegungen, Harda mit einem anderen Land zusammenzuschließen, um uns besser vor den Hethitern und anderen eroberungslustigen Völkern zu schützen.“ Heba hob den Kopf und es schien, als sähe er Atem direkt in die Augen. „Unser Volk besteht aus Griechen und Ägyptern, also dachten wir...“
 

„Ich erinnere mich. Mein Vater hat mir einmal davon erzählt. Heba, schlägst du vor, Harda unter ägyptische Herrschaft zu stellen?“ Atem war verblüfft.
 

„Genau das! Damit kann ich den Schutz meines Volkes gewährleisten und friedlich abwickeln, was sowieso unumgänglich ist.“
 

„Du wirst dich damit nicht bei allen deiner Untertanen beliebt machen“, gab Atem zu bedenken.
 

„Nein, aber unsere Eigenständigkeit verdanken wir sowieso Ägypten. Ohne deinen Vater hätte Hatti uns schon vor vielen Jahren erobert. Dazu kommt, daß ich keinen Thronfolger vorweisen kann. Mein letzter Anverwandter wurde schließlich in eine Schlange verwandelt und hat selbst auch keine Kinder. Nein, beliebt werde ich mich nicht machen, aber ich weiß wenigstens, nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben. Die einzige Frage, die noch bleibt, ist die, ob du annimmst. Ich weiß, daß eine Vergrößerung des Reiches auch eine Vergrößerung deiner Bürde bedeutet.“ Heba umarmte Atem. „Ich tue das nicht leichtfertig. Ich wünschte, daß ich noch eine andere Option hätte.“
 

Atem erwiderte die Umarmung und streichelte über Hebas Rücken. „Mach dir darum keine Sorgen.“ Schelmisch fuhr er fort: „Schließlich bedeutet neues Gebiet auch mehr Arbeitskräfte und größere Reichtümer.“
 

Heba mußte lachen. „Du nimmst an?“
 

„Ja und ich verspreche dir, ich werde mich gut um dein Volk kümmern. Wenn wir wieder in Ägypten sind, lasse ich Siamun die nötigen Papiere aufsetzen.“ Atem sah Heba an und ihm fielen die dunklen Ringe unter Hebas Augen auf. „Du siehst aus als hättest du seit Tagen nicht mehr geschlafen.“
 

„Ich bin mir sicher, du siehst genauso aus. Wer kann bei der Aussicht auf Krieg schon gut schlafen?“
 

Atem betastete die dünne Haut unter seinen Augen und seufzte. „Stimmt.“
 

„Warum hast du nichts gesagt, bevor du aufgebrochen bist?“ fragte Heba und auch wenn Atem keinen Vorwurf heraushören konnte, fühlte er sich dennoch schuldig.
 

„Ich wollte dir keine Sorgen bereiten. Ich wollte nur schnell alles hinter mich bringen und wieder zurück nachhause. Es tut mir leid. Gibt es etwas, was ich tun kann, um meinen Fehler wieder gutzumachen?“
 

Heba legte die Stirn in Falten und kräuselte seine Nase. Ein leichte Röte breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Also wenn du mich so fragst...“ Er lächelte leicht.
 

„Ich glaube, ich weiß, was du willst. Ich habe dich schließlich auch vermisst, mein süßer Kleiner.“ Atem senkte seine Lippen auf die Hebas und genoß die Nähe, ihre Verbundenheit und Vertrautheit, die seine Alpträume vertrieb und sein Leben mit strahlendem Licht füllte.
 

„Pharao!“ ertönte von draußen Isis’ aufgeregte Stimme.
 

Verärgert über die Störung löste Atem sich von Heba und rief: „Was gibt es, Isis?“
 

Isis steckte ihren Kopf ins Zelt und nickte Heba kurz zu. „Majestät, Mana ist zusammengebrochen“, sagte sie leise. „Sie verlangt nach Euch.“
 

„Was hat sie?“ fragte Heba. „Wird sie wieder gesund?“
 

„Ich werde alles erklären, wenn Ihr und der Pharao mich begleitet“, versprach Isis.
 

Atem stand auf. Seine Verärgerung war in Sorge umgeschlagen. „Dann bring uns schnell zu ihr.“ Was konnte es sein? Vielleicht hatte die Sonne Mana zu sehr zugesetzt. Noch dazu kamen die schweren Wochen seit Mahados Tod. Das konnte einen sicher auslaugen. Er hoffte, daß sich Mana nicht eine Krankheit hier draußen geholt hatte. Hygiene konnte man mitten in der Wüste nur sehr schwer betreiben. Zusammen mit Heba folgte er Isis in das Zelt, das sie mit Mana teilte.
 

Mana lag blaß auf ihrem Lager. Ein frohes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus als sie Atem und Heba sah. „Wie schön, daß ihr zwei da seid! Isis wollte mir nicht sagen, was los ist. Sie meinte, ich sollte nicht allein sein, wenn sie es mir sagt. Ich verstehe das alles nicht.“ Mit einem Stöhnen griff sie sich an den Kopf.
 

„Genug der Geheimniskrämerei, Isis. Was soll diese Versammlung? Woran ist Mana erkrankt?“ Atem sah sie aufmerksam an.
 

„Ich dachte, es wäre besser so, Mana“, erwiderte Isis ruhig. „Es ist keine Krankheit.“
 

„Ja, aber was ist es dann?“ Mana sah verzweifelt aus.
 

„Du trägst ein Kind unter dem Herzen, Mana“, antwortete Isis leise.
 

Mana wurde, wenn das überhaupt möglich wurde, noch bleicher. Tränen rannen über ihre Wangen. „Das... Ist das wahr, Isis? Wirklich wahr?“
 

Atem hingegen hatte das Gefühl, jemand hätte ihm hart in den Magen geschlagen. Mana war schwanger? Wann war denn das passiert?
 

„Das ist kein Witz, das kannst du mir glauben.“ Isis hielt den Blick gesenkt. „Es geht mich eigentlich nichts an, aber ich dachte mir, wer der Vater sein könnte. Deshalb habe ich den Pharao geholt.“
 

„Aber Atem ist nicht der Vater!“ Mana starrte Isis verständnislos an.
 

„Dem kann ich mich anschließen“, fügte Atem empört hinzu, während Heba ein ungläubiges Lächeln hinter seiner Hand zu verstecken suchte.
 

„Das habe ich auch nicht angenommen, Majestät. Mahado ist der Vater, nicht wahr, Mana?“ Isis setzte sich auf die Bettkante und sah hilflos zu, wie Mana nickte und dann unhaltbar zu schluchzen begann.
 

„Oh, Mana!“ Heba tastete sich zum Bett und ließ sich auf der Bettkante gegenüber von Isis nieder. „Warum hast du nichts gesagt?“
 

„Ich wußte doch gar nicht, daß ich schwanger bin!“ rief Mana und rieb vergebens an ihren nassen Wangen. „Ich wollte... Oh, Mahado!“ Sie ließ ihren Oberkörper nach vorne fallen und verbarg ihr Gesicht in der Decke.
 

Ihr Schluchzen war wie ein scharfes Messer, das sich in Atems Herz bohrte. Er konnte nicht anders und kroch einfach auf das Bett und zog seine Freundin in die Arme. „Er hat also mit dir gesprochen, Mana?“
 

„Ja, am Tag bevor Bakura ihn...“ Sie krallte sich in Atems Tunika. „Er hat mich gebeten, daß ich seine Gemahlin werde und ich habe zugesagt. Wir haben... Wir konnten nicht warten und... Wir dachten...“
 

„Es ist schon gut.“ Hebas Stimme war leise und beruhigend. „Niemand macht dir einen Vorwurf.“ Er streckte eine Hand aus und strich sanft über Manas bebenden Rücken.
 

„Das stimmt. Du hast nichts Falsches getan. Ihr habt geheiratet und auch wenn ihr das nicht öffentlich gemacht habt, ist die Ehe gültig. Niemand wird es wagen, mit dem Finger auf dich zu zeigen oder er bekommt es mit mir zu tun“, erklärte Atem überzeugt.
 

„Und mit mir“, fügte Isis mit einem Lächeln hinzu.
 

„Danke! Aber trotzdem wird mein Kind ohne Vater aufwachsen. Das ist so schrecklich! Und Mahado... Er hätte es verdient, sein Kind aufwachsen zu sehen. Ah, wie soll ich das nur schaffen?“ Mana schüttelte den Kopf. Ihre Tränen durchnäßten Atems Tunika.
 

„Du hast Freunde“, erwiderte Heba. „Atem, Nefertiti, Isis, mich... Du bist nicht allein.“
 

Mana ließ Atem los, um den errötenden Heba fest zu umarmen. „Das ist so lieb von dir! Atem hat wirklich Glück, daß er dich an seiner Seite wissen kann.“
 

„Das denke ich auch jeden Tag.“ Atem lachte und umarmte seinerseits die beiden. „Mana, ich werde dir eine angemessene Aussteuer geben. Weder du noch das Kind sollen je Not leiden.“
 

Isis lächelte ebenfalls. „Ihr seid ein guter Mensch, Pharao.“
 

Heba nickte zustimmend.
 

„Doch jetzt sollte Mana noch etwas ruhen. Das war ein anstrengender Tag und sie muß ihre Kräfte für die kommenden Monate schonen. Keine starke Magie mehr für dich, Mana“, wehrte Isis im Vorfeld jeden Protest ihres Schützlings ab. „Dein heutiger Fluch hat dich bereits mehr als genug Energie gekostet.“
 

„Hör auf sie, Mana.“ Atem grinste und wuschelte durch ihr Haar, bevor er aufstand. „Ich sehe morgen wieder nach dir.“
 

„Ich auch“, versprach Heba und erhob sich ebenfalls.
 

Mana lächelte wackelig. „Ja, ich werde auf Isis hören. Dem Baby soll es gutgehen.“ Sie legte eine schützende Hand auf ihren noch flachen Bauch. „Bis morgen, ihr zwei.“
 

Atem und Heba verabschiedeten sich und kehrten in Atems Zelt zurück. Später erst, es war längst Nacht geworden und Hebas verschwitzter Körper lag eng an Atems geschmiegt, die bleichen Arme um dunkle Hüften geschlungen, konnte Atem den Tag in Ruhe Revue passieren lassen.
 

Noch heute morgen hatte er geglaubt, daß heute wieder das Blut in Strömen fließen würde und viele gute Männer ihr Leben in einem unbarmherzigen Krieg verlieren würden. Dann war plötzlich Heba erschienen und hatte mit wenigen Worten und seinem großen Herzen ein weiteres Schlachten verhindert. Antes war ihnen entkommen, aber der Fluch würde permanent sein, also sollte er niemals wieder jemandem schaden können.

Am Abend, als alle hardaischen Soldaten sich wieder gesammelt hatten, hatte Heba sie schonend darauf vorbereitet, daß Harda bald zu Ägypten gehören würde. Der Widerstand war, anders als Atem gedacht hatte, verhalten gewesen. Offenbar waren sie der Meinung, daß Heba den richtigen König für die Hardaer besser bestimmen könnte als irgendwer sonst.
 

Dennoch war Atem nicht so dumm zu glauben, daß alles so einfach sein würde. Die hardaischen Adligen würden sich bestimmt wehren, gab es doch genug, die Antes unterstützt hatten. Einen Teil von diesen Gefolgsleuten würde das hardaische Heer, sobald es wieder zuhause war, auf Hebas Geheiß hin inhaftieren bis das Ausmaß von deren Schuld festgestellt worden war.

Harda nach Antes tyrannischer Herrschaft wieder zu dem Status zu führen, den es vor Mistines’ Ermordung gehabt hatte, dürfte für alle Beteiligten eine große Herausforderung sein. Heba, da war Atem sich sicher, würde wohl dennoch am meisten tun müssen. Atem plante nämlich, Heba als Berater einzusetzen, um das hardaische Volk nicht nur zu beruhigen, sondern auch, weil er sich auf Heba verlassen konnte, ihm die nötige Hilfe bei Hardas Wiederaufbau zu geben. Heba mochte denken, er sei nicht zum König geeignet, aber Atem war gegenteiliger Meinung, ganz besonders nach allem, was er heute gesehen hatte. Heba konnte gut mit Menschen umgehen.
 

Atem sah lächelnd auf Hebas verwuschelten Haarschopf hinunter. Mit einem zufriedenen Gesichtsaudruck rieb er über Hebas Nacken und Schultern, woraufhin Heba etwas unverständliches murmelte und sich noch näher an Atem preßte. Wie er das vermisst hatte! Ihre Gespräche, ihre Küsse und die einfache Nähe Hebas. Genauso sehr wie Atem es vermisst hatte, seinen Liebsten zu verführen.

Heba war nicht mehr so schüchtern wie noch zu Anfang, aber er hatte noch immer Probleme, seine Wünsche auszudrücken und überließ es lieber Atem, den ersten Schritt zu machen. Er fühlte sich noch nicht allzu sicher, was ihm gefiel und was nicht. Besondere Vorbehalte hatte er gegen Oralsex geäußert und sich bis jetzt geweigert, sich auf diese Weise von Atem verwöhnen zu lassen. Atem konnte das nicht verstehen. Er hätte es andererseits völlig verstanden, wenn Heba Probleme damit gehabt hätte, ihn selbst so zu verwöhnen, hatte er selbst damals bei Neferkare doch auch Probleme damit gehabt.

Heba hatte nach eigener Aussage, der Atem auch Glauben schenkte, keine Angst, daß Atem ihn versehentlich beißen könnte, also was war es dann, was Heba davor zurückschrecken ließ? Atem schien es, als wüßte Heba den Grund nicht einmal selbst. Vielleicht brauchte er einfach nur mehr Zeit, um sich mit dem Gedanken anzufreunden. Wenn dem so war, dann würde Atem Heba diese Zeit natürlich lassen.

Ebenso wie er Heba die Zeit geben würde, um den Mut zu entwickeln, den ersten Schritt zu tun. Atem hätte nämlich zu gerne einmal mit Heba die Plätze getauscht, aber momentan sah es nicht so aus, als würde Heba mit einem Wechsel gut zurechtkommen können. Er mußte sich noch weiterentwickeln, was Sex und seinen eigenen Körper betraf und da er in Harda fast gar keine Entwicklung durchlebt hatte, würde es jetzt sicher länger dauern, bis er völlig mit dem körperlichen Aspekt ihrer Beziehung im Reinen war.
 

Atem gähnte. So langsam sollte er schlafen, sonst würde er morgen früh noch unausgeschlafener sein als sowieso schon. Früher hatte er sich über seine Liebhaber nie groß Gedanken gemacht, aber jetzt kreisten seine Gedanken nur zu gerne um Heba. So langsam begann er zu verstehen, wie sich Dichter und Philosophen fühlen mußten.

Atem machte es sich unter der Decke bequem und streichelte über Hebas Rücken. Er mußte an Mana denken, die allein in ihrem Bett liegen mußte. Ein eisiges Frösteln durchlief Atem bei dem Gedanken, nie wieder neben Heba einschlafen zu können. Er würde Mana helfen, wo er nur konnte, das schwor er sich. Er schuldete es nicht nur ihr, sondern auch Mahado.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  lanhua-yu
2012-01-10T16:27:01+00:00 10.01.2012 17:27
schön das es endlich weitergeht, hatte dein ff schon vermisst !
das war ein fantastisches kapitel, wie immer super qualität
und nochdazu so schön lang ^^
Mana tut mir etwas leid, wobei die idee mit der schwangerschaft
niedlich ist.

ich bin malwieder sehr unkreativ beim komment schreiben - sry.
aber ich hoffe es gibt bald weitere kapitel! (ganz, ganz bald)


Von:  Leuchtender_Mond
2012-01-08T18:56:22+00:00 08.01.2012 19:56
Ohhh, das freut mich, endlich wieder was von dir zu hören, ich hatte ja schon befürchtet, es gehe nicht mehr weiter!
Aber zum Kapitel! Das war ja ganz schon pazifistisch und das wundert mich doch ein bisschen, Atem wird so... "weich" und ich frage mich, ob das gut für ihn sein kann, das, und dass die beiden so gar kein Problem damit zu haben scheinen, vor aller Augen zuzugeben, dass sie ein Paar sind - zur damaligen Zeit würde ich da mit mehr Problemen gerechnet haben! Auch dass sich die Schlacht mit so wenigen Worten hat abwenden lassen, fand ich ein wenig erstaunlich, wenn auch zu Heba passend - aber zu Atem?
Was mich aber gefreut hat, ist Manas' Schwangerschaft, das kann ja eigentlich nur gut für sie sein, so sie denn nicht zu jung dafür ist.
Insgesamt aber ein schönes Kapitel - ich hoffe, auf das nächste muss ich nicht ganz so lange warten! =)


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