Zum Inhalt der Seite

Office Mein

Im Büro
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Unsicherheit

Als Rahul seine Erklärungen beendet hatte, schwieg Reema für einen Moment und starrte auf den steinernen Terrassenfußboden. Als sie gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, ertönte plötzlich Anjalis Stimme: „Ma, wir sind wieder da und wir haben...“ Als Anjali daraufhin durch die Terrassentür nach draußen trat und ihr Blick auf Rahul fiel, verstummte sie jedoch augenblicklich. Fassungslos starrte sie ihn an.

„Was machst du denn hier?!“, wollte sie ganz entgeistert wissen. Reflexartig stand Rahul daraufhin auf. Er war so erleichtert, sie endlich wiederzusehen, dass er sich einbildete, sie wäre in den acht Tagen, in denen sie sich nicht gesehen hatten, noch schöner geworden. Der weite weiß-blaue Salwar Kameezweite weiß-blaue Salwar Kameez (1), den sie trug, stand ihr ausgezeichnet.

Doch bevor Rahul antworten konnte, mischte Reema sich ein. „Anju, wo ist dein Vater?“ „Ich... Äh... Er ist noch in der Garage. Er...“, erwiderte Anjali völlig durch den Wind. „Ich gehe zu ihm.“ Während dieser Worte schenkte Reema Rahul einen vielsagenden Blick und wandte sich dann um, um die beiden allein zu lassen.

Überrascht schaute Rahul ihr hinterher. Er hatte nach seinem Geständnis mit nichts anderem gerechnet als mit der von Anjali damals im Hotelzimmer erwähnten Mistgabel vom Grundstück gejagt zu werden, doch stattdessen bekam er nun die Gelegenheit, allein mit Anjali zu sprechen. So viel Entgegenkommen hätte er nie und nimmer erwartet. Reema schien ihn also nach wie vor sehr zu mögen. Diese Erkenntnis ließ ein kurzes erleichtertes Lächeln über seine Lippen huschen.

„Was soll das? Wieso lässt uns meine Mutter allein? Was hast du ihr erzählt?“, wollte Anjali aufbrausend wissen und unterbrach damit Rahuls Gedanken. Sie schien sich vom ersten Schock erholt zu haben, denn sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte ihn wütend an.

„Ich habe ihr die Wahrheit erzählt.“, erwiderte er ruhig. „Im Gegensatz zu dir.“ Anjalis Augen weiteten sich bei seinen Worten. „Die Wahrheit? Du hast ihr erzählt, dass die Sache mit uns beiden nur gespielt war? Und trotzdem lässt sie uns allein? Wem willst du diesen Unsinn glaubhaft machen?“ Ihre Wut mischte sich mit langsam aufkommender Unsicherheit.

„Ich will niemandem irgendwas glaubhaft machen. Ich weiß auch nicht, warum deine Mutter mir nicht auf der Stelle den Kopf abgerissen hat, aber da liegt offenbar der entscheidende Unterschied zwischen euch: Deine Mutter lässt Raum für Erklärungen, während du ohne ein Wort das Land verlässt und gleich einen anderen heiraten willst.“

„Wa... Woher weißt du, dass ich…?“, warf Anjali misstrauisch ein, doch Rahul wollte sie nicht ausreden lassen und meinte vieldeutig: „Sagen wir, ein Vögelchen hat es mir gezwitschert.“ Sie wusste jedoch sofort, wer die undichte Stelle war und knurrte leise Milis Namen, bevor sie zum Gegenschlag ansetzte: „Wie auch immer. Ich finde jedenfalls nicht, dass ich mir von dir irgendwelche Erklärungen anhören oder ich mich vor dir rechtfertigen muss. Du hast mein Vertrauen nicht nur einmal missbraucht und jetzt ist Schluss. Ich habe keine Lust mehr auf deine Spielchen. Ich werde einen Mann heiraten, der mich zu schätzen weiß und nicht nur sein Ego mit meiner Eroberung pushen will.“

„Wenn du ihn denn lieben würdest, würde ich mich deinem Vorhaben nicht in den Weg stellen, doch da dem nicht so ist, werde ich ganz sicher nicht aufgeben.“, verkündete Rahul und ließ Anjali damit vor Empörung zurückweichen. „Wie bitte?! Natürlich liebe ich ihn! Was...?“

„Wenn das wahr wäre, hättest du dich nicht auf mich eingelassen. Du bist keine Frau, die mit einem Mann etwas anfängt, wenn sie aufrichtig in einen anderen verliebt ist. Wir wissen es doch beide: Du liebst Harish nicht. Zumindest nicht mehr.“, konstatierte er und stellte dabei fest, dass plötzlich aller Kampfgeist aus Anjali zu entweichen schien. Er hatte den Nagel mit seiner Aussage auf den Kopf getroffen; gegen dieses Argument kam selbst sie nicht mehr an. Man sah ihr regelrecht an, wie sie nach einer Rechtfertigung suchte, doch sie blieb erfolglos. Stattdessen meinte sie schließlich: „Es ist mir egal, was du denkst. Mein Leben geht dich nichts mehr an. Flieg zurück nach London und kümmere dich um dein Hotel.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief ins Haus zurück. Rahul wollte sie zuerst aufhalten, doch er entschied sich dagegen und beschloss, sie erst einmal über seine Worte nachdenken zu lassen. Er wusste allerdings nicht, wie lange, denn er konnte sich nicht vorstellen, weiterhin als Gast in diesem Haus geduldet zu werden. Wo also sollte er in der Zwischenzeit hin?
 

Wütend warf Anjali sich in ihrem Zimmer auf ihr Bett. Was zum Teufel wollte Rahul hier? Sie wäre vorhin vor Schreck beinahe umgefallen. Und bildete sie es sich bloß ein oder hatte er in seinem schwarzen Outfit (2) noch besser ausgesehen als sonst?

Widerwillig schüttelte sie den Kopf. Solche Gedanken hatten keinen Platz mehr in ihrem Kopf. Sie hatte sich für Harish entschieden und sie würde glücklich mit ihm werden. Einen so guten Mann wie ihn würde sie nie wieder finden. Es wäre die größte Dummheit gewesen, ihn freiwillig gehen zu lassen. Doch auch wenn sie sich dessen sicher war, kam sie nicht umhin festzustellen, dass Rahuls Worte immer wieder in ihrem Kopf widerhallten.

„Du bist keine Frau, die mit einem Mann etwas anfängt, wenn sie aufrichtig in einen anderen verliebt ist. Wir wissen es doch beide: Du liebst Harish nicht.“

Wütend setzte sie sich auf und schlug mit der Faust in ihr Kopfkissen. Was wusste Rahul schon davon, wen sie liebte und wen nicht? Er hatte nicht das Recht, sich in ihr Leben einzumischen und ihr Vorschriften bezüglich ihrer Gefühle zu machen. Sie hatte ihm vertraut und das hatte er schamlos ausgenutzt. Natürlich musste sie zugeben, dass sie in der kurzen Zeit mit ihm glücklich gewesen war und sich wohl gefühlt hatte, doch er hatte sich ihre Zuneigung nur ergaunert, indem er seinen Konkurrenten mit einem faulen Trick aus dem Rennen katapultiert hatte. Wäre Anjali nicht fälschlicherweise davon ausgegangen, dass Harish sie nicht mehr wollte, hätte sie – so nahm sie zumindest theoretisch an – Rahul niemals an sich herangelassen.

Sie fand es also nur logisch, sich für Harish zu entscheiden. Er war zuerst dagewesen. Sie kannte ihn schon seit ihrer Kindheit und er war immer ehrlich und freundlich zu ihr...

Warum allerdings musste sie sich all das dann immer wieder vorsprechen? Wieso war das aufregende Kribbeln verschwunden, wenn sie an eine Zukunft mit Harish dachte? Tief in ihrem Inneren kannte sie die Antworten auf diese Fragen, doch sie konnte und wollte sie sich nicht eingestehen. Sie hatte eine Entscheidung getroffen und zu dieser würde sie auch stehen – komme, was da wolle – auch des Selbstschutzes wegen.
 

Während Anjali in ihrem Zimmer aufgebracht vor sich hin grübelte, saß Rahul mit ihren Eltern im Wohnzimmer auf der Couch und hörte sich eine Strafpredigt darüber an, dass man nicht lügen sollte.

„... Wir finden nicht gut, was du getan hast, Puttar, aber wir denken nach wie vor, dass du im Grunde ein anständiger Kerl bist.“, meinte Anjalis Vater mit brummiger Stimme.

„Kishan hat Recht.“, stimmte Reema ihrem Mann zu. „Du bist charmant und intelligent, doch nach allem, was wir über dich erfahren haben, denke ich, dass dein größtes Problem einfach ist, dass du unter allen Umständen deinen Willen durchsetzen willst und dazu schnell zu den falschen Mittel greifst. Wir glauben dir, wenn du sagst, dass deine Zuneigung für Anjali echt ist. Fakt ist jedoch, dass du sie sehr verletzt hast. Tu ihr Verhalten nicht als Überreaktion ab, sondern nimm es ernst und geh darauf ein. Erfolg kann ich dir zwar keinen garantieren, doch wir werden Anjali diesbezüglich auch keine Vorschriften machen. Sie ist alt genug, um selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Am Ende muss sie schließlich damit glücklich werden und nicht wir.“

Rahul war erleichtert, dass seine ehemaligen vermeintlichen Schwiegereltern so besonnene Menschen waren und ihm noch eine weitere Chance gaben. Ihm war sehr wohl bewusst, dass alles auch ganz anders und weniger positiv für ihn hätte ausgehen können. Ihre Ratschläge hörte er sich an, wusste allerdings nicht, ob er sie umsetzen können würde, denn für ihn war Anjalis Reaktion nach wie vor maßlos übertrieben.

Er war zwar lernfähig und sah ein, dass er Fehler gemacht hatte, doch gleiches erwartete er auch von Anjali, die allerdings zu stur und impulsiv war, um ihr überzogenes Verhalten einzugestehen. Er war bereit, seine Schuld einzugestehen und sich für alles zu entschuldigen, doch dazu musste er Anjali erst einmal soweit bekommen, dass sie ihm richtig zuhörte ohne ihn gleichzeitig vorzuverurteilen. Die Situation war jedoch festgefahren und er hatte noch keinen Plan, wie er das zu Stande bringen wollte.

Nachdem Rahul sich schließlich bei Reema und Kishan für ihr Vertrauen und ihre Ratschläge bedankt hatte, wollten die beiden wissen, wo er plante zu übernachten. Da er ihnen diese Frage allerdings auch nicht beantworten konnte, schlugen sie ihm – nach einem kurzen Telefonat – vor, bei Bekannten der Familie unterzukommen, die 20 Minuten zu Fuß entfernt wohnten. Sie bedauerten, dass sie ihm nicht anbieten konnten, in ihrem Haus zu bleiben, doch so lange Anjali so schlecht auf ihn zu sprechen war, wollten sie ihr seine Anwesenheit ersparen. Er verstand das, auch wenn er insgeheim gehofft hatte, Anjali näher bleiben zu können. Doch da es nicht zu ändern war, arrangierte er sich mit den gegebenen Umständen. Zehn Minuten später verließ er zusammen mit Kishan ein wenig widerwillig das Haus.
 

„... Anju, hörst du mir zu?“, erkundigte sich Harish und wedelte mit einer Hand vor Anjalis Gesicht herum. Diese schreckte daraufhin aus ihren Gedanken auf und schaute ihn etwas verloren an. „Oh, tut mir leid. Ich habe gerade...“, begann sie, doch Harish unterbrach sie, indem er eine Hand auf ihre Stirn legte. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst ein wenig durcheinander seit ein paar Tagen. Nicht dass du krank wirst...“, meinte er besorgt und musterte aufmerksam ihr Gesicht. Anjali lächelte ihn an. „Nein, keine Sorge. Mir geht es gut. Danke.“

Sie hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Was war nur mit ihr los? Vor ihr saß der Mann, in den sie seit ihrer Kindheit verliebt war und was tat sie? Sie grübelte darüber nach, warum Rahul, obwohl er nun schon seit drei Tagen in Indien war, sie seit seiner Ankunft nicht noch einmal aufgesucht hatte. Wieso interessierte sie das? Sie hätte froh darüber sein müssen, dass er sie in Ruhe ließ, doch stattdessen machte es sie nur noch wütender auf ihn.

Für den Moment beschloss sie, sich erst einmal von Harish zu verabschieden. Sie hatte mit ihm und seiner Familie Mittag gegessen und hielt es für das Beste, nun nach Hause zu gehen, um ihre Gedanken zu ordnen.

Auf dem Heimweg legte sie einen kleinen Zwischenhalt an der großen Scheune ein, an der sie Rahul vor nun beinahe schon fünf Wochen drei Ohrfeigen verpasst hatte. Sie stellte ihr Fahrrad, mit dem sie unterwegs war, an der Scheunenwand ab und ließ sich auf den staubigen Boden sinken. Ihr Blick streifte über die endlos erscheinenden Felder, die sich vor ihr erstreckten, während sie versuchte, ihre Gefühlswelt zu ergründen.

Wieso war plötzlich wieder alles kompliziert? Mit ihrer Entscheidung hätten doch alle Probleme beseitigt und ihre Zukunft klar sein sollen. Doch Rahuls Auftauchen hatte sie wieder durcheinander gebracht. Wieso folgte er ihr, wenn er sie sowieso immer wieder anlog? Konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Oder war ihm das nun auch bewusst geworden und er hatte Indien ohne ein Wort wieder verlassen? Das hätte erklärt, warum sie ihn seit ihrem letzten Treffen nicht mehr gesehen hatte. Dieser Gedanke machte sie zu ihrer Verwunderung allerdings wütend und enttäuscht zugleich. Wieso hatte dieser Kerl sich in ihr Leben schleichen und alles auf den Kopf stellen müssen? Es hätte alles so einfach sein können.

Schnaufend stand sie auf und lief, ihr Rad neben sich her schiebend, den restlichen Weg bis zu ihrem Haus.

Als sie wenig später das Esszimmer betrat, sah ihre Mutter, die dort gerade den Tisch abwischte, ihrer Tochter sofort an, dass sie etwas beschäftigte. „Kya hua, Anju?“, fragte sie und setzte sich an den Tisch. Anjali ging zu ihr, legte ihre Arme um sie und meinte (3): „Jaane na... Ich... Wenn ich ehrlich bin, weiß ich im Moment wirklich nicht, was ich denken soll. Seit Rahul hier so unerwartet aufgetaucht ist, bin ich durcheinander... Er hat dir ja die ganze Geschichte erzählt und es ist eindeutig, dass er es nach seinem miesen Verhalten nicht verdient hat, dass ich noch an ihn denke, aber trotzdem kann ich es nicht verhindern, Ma... Main kya karoon?“

„Tu das, was du für richtig hältst.“, riet Reema ihrer Tochter, doch diese wehrte nur ab. „Das Richtige ist doch offensichtlich, dass ich Harish heirate. Und davon war ich auch bis vor drei Tagen überzeugt, doch jetzt... Rahul ist ein Mistkerl. Erst belügt er mich, dann reist er mir zum zweiten Mal um die halbe Welt hinterher, nur um sich dann nach einem halbherzigen Erklärungsversuch wieder aus dem Staub zu machen? Ich verstehe ihn nicht und komme einfach nicht dahinter, womit er all das bezweckt. Und ich habe das Gefühl, solange mich all das so sehr beschäftigt, kann ich mich nicht so auf Harish konzentrieren, wie er es verdient hätte...“

„Dann lass uns das Ganze jetzt ein für alle mal klären.“, ertönte ein Stimme hinter hier, die sie aufgeschreckt herumfahren ließ. Rahul stand dort im Türrahmen und sah sie ernsten Blickes an.
 

(1) http://i54.tinypic.com/6pc20i.jpg

(2) http://i53.tinypic.com/2vw7o85.jpg

(3) http://i53.tinypic.com/52xa2b.jpg



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  mitsuki11
2011-02-22T21:23:27+00:00 22.02.2011 22:23
Na dann bin ich ja mal gespannt was bei diesem Gespräch raus kommt.


Zurück