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The Mirror Of The Ancients

Miragia-Trilogie 2
von

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Just A Distraction

Ob der Himmel dunkel oder hell, ob es Tag oder Nacht war konnte Cloud in seiner Zelle nicht herausfinden. Er konnte nicht schlafen, kam nicht zur Ruhe. Seine Gedanken schreckten ihn ständig wieder auf. Die Zeit wurde immer knapper, und er glaubte fast, die Sandkörner unaufhörlich durch die Verjüngung des Stundenglases rinnen zu hören. Zunächst hatte er gedacht, er könnte diesen Gedanken leicht ertragen, aber nun musste er feststellen, dass er das nicht konnte. Er hatte Angst. Und er wollte nicht sterben.

Ich will leben. Ich habe etwas zu erledigen. Warum musste das alles überhaupt passieren ...?

Irgendwann hörte er das leises Quietschen des äußeren Türriegels. Etwas in ihm krampfte sich zusammen; er war sich sicher, dass sie nun gekommen waren, um ihn in die Gaskammer zu bringen, zu fesseln und allein verrecken zu lassen ...

... aber es war nur Aeris, die ihren Kopf durch den Türspalt steckte, den sie unter Aufehrbietung aller Anstrengung geschaffen hatte.

Erleichtert stieß er die angehaltene Luft geräuschvoll aus. Einmal noch. Ich wusste, sie würde noch einmal zu mir kommen.
 

„Diese Tür ist ja furchtbar“, keuchte Aeris und zwängte sich mühsam vorbei. Ihr mittlerweile deutlich hervortretender Bauch machte ihr dies zu einem äußerst schwierigen Unterfangen.

Cloud sprang von seinem Lager auf und schob die schwere Tür zur Seite. „Aeris! Na endlich ... ich war mir sicher, dass du kommen würdest!“

„Eigentlich wollten die mich nicht zu dir lassen, Cloud. Aber ich bin deine Lebensgefährtin, und du hast ein Recht darauf, mich noch einmal zu sehen.“ Sie betrachtete nachdenklich seine Gesichtszüge, verhärtet wie Stein – genau wie früher. Endlich trat sie zu ihm hin, schlang die Arme um ihn und lehnte den Kopf an seine Brust. Sie hörte sein tiefes Seufzen, eher er sich dazu hinreißen ließ, sie ebenfalls fest an sich zu drücken.

Er ist so anders, dachte die Cetra verwirrt. Er fühlt sich kalt an. Sie haben ihn so lange eingesperrt, dass er alles an sich verloren zu haben scheint, das ihn immer zu dem gemacht hat, was er ist. Er riecht nicht einmal wie sonst. Eher nach gar nichts. Er muss hier weg. Wir müssen uns beeilen ...
 

Es kam ihm vor, als würde Aeris sich unter seiner Umarmung versteifen wie ein Pfahl. „Stimmt etwas nicht? Freust du dich nicht, mich noch ein letztes Mal zu sehen? Oder ist es vielleicht nicht das letzte Mal – haben die hier wieder eine Live-Übertragung vor?“

Sie machte sich ruckartig von ihm los. „Lass diesen Zynismus. Ich hasse das.“

„Entschuldige.“ Er fragte sich, was aus dem großen Plan, von dem Tifa gesprochen hatte, geworden war. Nichts, wie es schien ...

„Warte mal, ich hab’ noch was für dich.“ Sie holte unter dem Saum ihrer weiten Umstandskleidung ein kleines Bündel Küchentuch hervor.

„Und was ist das?“

„Honigkuchen.“

„Ach herrje. Das wird die Leichenwäscher aber nicht sehr freuen.“

Aeris warf ihm einen scharfen Blick zu. „Kein dummer Galgenhumor! Was du hier redest, findest du selbst nicht witzig, das weiß ich.“

„Oh, doch ... es gefällt mir fast, wie sich in dieser Einsamkeit meine Kreativität entfaltet.“

„So ein Quatsch. Hier, jetzt iss lieber. Da hast du ebenfalls ein Recht drauf.“

„Auf Kuchen vor der Hinrichtung?“, fragte er und hob erstaunt die Augenbrauen.

„Nein. Auf eine ... Henkersmahlzeit. Und außerdem auf einen letzten Wunsch.“

„Tatsächlich? Ich darf also noch etwas tun, wozu ich mein ganzes Leben lang keine Gelegenheit hatte? Cool! Da werd’ ich doch noch mal richtig auf den Käse hauen.“

„Du bist unmöglich!“, fuhr sie ihn an.

„Ja, hat Tifa auch gesagt ... tut mir Leid.“

„Sie hat das auch gesagt?“

„Ja. Und dann hat sie mich geschlagen.“

„Möchtest du, dass ich dich auch schlage?“

„Ehrlich gesagt ... nein. Komm lieber her und setz dich zu mir aufs Bett. Genießen wir unserer letzte gemeinsame Zeit.“

Sie nahm bereitwillig neben ihm auf der Bettkante Platz, während er kleine Krümel von seinem Kuchenstück abbrach, sie einzeln in den Mund steckte und langsam kaute.

„Wie geht es dir und dem Kind? Ich hätte mich sofort danach erkundigen sollen.“

„Schon in Ordnung. Es verläuft soweit alles zur Zufriedenheit ... der hier zuständige Arzt hat darauf bestanden, mich noch einmal zu untersuchen.“

„Hat er dir gesagt, was es wird?“

„Ich habe ihm gesagt, dass wir uns – .. dass ich mich überraschen lassen will.“

„Verstehe.“

„Tja.“ Sie ließ den Blick langsam durch den winzigen Raum schweifen.

Cloud war mit dem Kuchen fertig und rieb sich am Küchentuch den klebrigen Sirup von den Fingern. „Dann wird wohl alles gut gehen. Ich wette, alle werden sich rührend um das Kind kümmern.“

„Hmm, denke ich auch.“

„Der Kuchen ist hervorragend.“

„Danke.“

Einige Minuten lang saßen beide schweigend auf dem Bett, Aeris lehnte den Kopf an Clouds Schulter und starrte vor sich hin.

Dann wandte Cloud ihr das Gesicht zu und fragte: „Aeris, wieso hast du mir eigentlich so vieles verschwiegen?“

Sie schlug erschrocken die Augen auf. „Hm – wa-was genau meinst du?“

„Du weißt genau, was ich meine.“

Sie schwieg und gab keine Antwort, starrte ihn aber weiterhin verblüfft an.

Cloud beschloss, ihr auf die Sprünge zu helfen. „Die Cetra, Aeris! Deine Artgenossen! Diese weißen Tauben, die du seit Jahren morgens mit Sesam fütterst! Jeder dachte, sie wären eine neue eingeschleppte Spezies, die sich dem Mittellandklima angepasst hat ... aber du wusstest es die ganze Zeit besser.“

„Ich – ja.“ Ihre Stimme klang ein wenig dünn. „Weißt du, ich wollte dir davon erzählen. Aber ich wollte dein Weltbild nicht durcheinander–“

„Mein Weltbild!?“, echote er.

„Ich meine, du warst doch schon immer von all dem, was vorgefallen ist, so mitgenommen – verstehst du? Für dich hatte sich endlich alles normalisiert. Keine JENOVA, kein Sephiroth, keine WEAPONs und keine Cetra. Als sie zurückkehrten, wollte ich dafür sorgen, dass du dich mit nichts mehr von alldem auseinandersetzen musst.“ Sie sah ihm aufrichtig in die Augen.

Seine Miene blieb finster, und schließlich schüttelte er den Kopf. „Nein, Aeris. Das glaube ich dir nicht. Du hattest irgendeinen anderen Grund.“

„Das wirst du schon noch sehen“, sagte sie. „Früh genug.“

„Ich will es jetzt wissen! Nachher bin ich tot, verdammt noch mal!“

„Du wirst es trotzdem sehen.“

„Ach, und welche Gewissheit sagt dir das?“

Stolz reckte sie das Kinn vor. „Cloud, ich gebe dich nicht auf, genauso wenig wie irgendjemand Anderes. Und jetzt werde ich gehen.“ Die letzten Worte, die sie noch an ihn richtete, bevor sie durch den Türspalt schlüpfte, waren wieder sanft. „Hab keine Angst, ja? Ich glaube nicht, dass es weh tut.“

Als die schwere Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, stieß er ein leises Schnauben aus und wandte sich wieder der grauen Wand zu, die ihm schon tagelang in der Einsamkeit Gesellschaft geleistet hatte.
 

Nahe dem Einzelzellentrakt warteten Barret, Yuffie und Reeve auf Aeris’ Eintreffen.

„Und, wie geht’s ihm?“, wollte Barret als erstes wissen.

Aeris zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht, wie ich das beurteilen soll. Laufen die Vorbereitungen nach Plan?“

„Alles postiert. Niemand scheint mitzukriegen, dass wir uns hin und wieder in Luft auflösen. Die Mittellandjustiz fahndet bereits nach den Dieben der Gegenstände aus der Leichenhalle. Bisher scheinense keine zweckdienlichen Hinweise entdeckt zu haben, hehe.“

„Seid vorsichtig“, warnte sie ihn, „Routine macht unvorsichtig. Wir dürfen uns niemals, niemals darauf verlassen, dass sie uns nicht erwischen. Wo ist eigentlich ... die Gaskammer?“

„Den Weg kennen wir bereits bestens“, meldete sich Yuffie zu Wort. Sie sah mittlerweile fast so furchtbar überstrapaziert aus wie Cloud, mit blassem Gesicht und wirren Haaren. „Und was sie für ein Gas benutzen, wissen wir auch. Das ist Schwefeldioxid, wird irgendwo in einem Schacht direkt unter der Kammer angerührt und steigt dann als kaum sichtbarer Nebel nach oben ... es ist sehr giftig und reagiert bei der Einatmung zu Schwefelsäure ... H2SO4?“

„Wie lobenswert, dass du in Chemie so gut aufgepasst hast.“

Yuffie verdrehte die Augen. „Wie auch immer, jedenfalls wird Cloud sich mindestens eine Viertelstunde quälen, obwohl schon ein einziger Zug genügt, um ihn unausweichlich ins Jenseits zu befördern – Rettung oder nicht.“

Barret machte ein entsetztes Gesicht. „He, he! Das heißt also, selbst wenn wir ihn noch raushol’n können ... sobald er ’n bisschen davon eingeatmet hat, krepiert er auf jeden Fall?!“

„Ja, so ist es.“ Sie nickte müde und holte tief Atem. „Weißt du, wie das aussieht? Habt ihr schon mal so eine Hinrichtung erlebt?“, gab sie die Frage an alle Anwesenden weiter.

Aeris schüttelte den Kopf. „Aber du ... oder?“

„Sonst wüsste ich wohl kaum so gut Bescheid. Wisst ihr, sie binden ihn ja fest, sie fesseln seine Hände und Füße mit Lederbändern – nicht etwa, damit er nicht abhaut, sondern damit er sich nicht selbst verletzt.“

„Ah ja“, kommentierte Reeve tonlos.

„Die Chemikalie stört alle vegetativen Systeme. Früher, als die Gefangenen bei ihrer Hinrichtung noch frei in der Gaskammer herumstanden, haben sie sich meistens die Köpfe eingeschlagen, bis sich ihr Gehirn auf dem Boden verteilte ... nachdem sie begonnen hatten, unkontrollierte Bewegungen auszuführen, und ihnen Schaum aus dem Mund lief –“

„Yuffie, weißte was?“, stöhnte Barret. „Halt die Klappe! Das is’ ja nich’ zum Aushalten!“

„Da stellen sich einem die Nackenhaare auf“, murmelte Reeve. Ihm kam der unpassende Gedanke, dass er wohl für schauerliche Hautreaktionen besonders anfällig war.

Aeris richtete ihren Blick zur Decke. „Auf dem Dach ...?“

„Niemand wird die Tiny Bronco sehen, dank Dios Tarnplane“, erklärte Barret nicht ohne Stolz.

„Das bedeutet, wir müssen eigentlich nur den richtigen Moment abpassen.“

„Ja, ganz genau.“

„Gut.“ Sie seufzte leise und blickte zurück zu den Zellen. „Na schön, dann lasst uns mal alle auf Gefechtsstation gehen.“
 

Durch ein energisches, Autorität vermittelndes Klopfen wurde Cloud wiederholt aus seinen tiefgründigen Gedankengängen aufgeschreckt. Seine Decke lag unordentlich auf seinem ziemlich unkomfortablen Lager, aber er rechnete auch nicht damit, sie je wieder zu benutzen. Einen Augenblick lang rührte er sich nicht, dann realisierte er, wer neben ihn getreten war, und fühlte, wie das Blut aus seinen Wangen wich.

„Ich muss Sie bitten, mir zu folgen, Mister Strife.“

Eine Hand wurde ihm entgegengestreckt. Cloud entschied sie zu nehmen, und sofort schloss sich kaltes Metall um seine beiden Handgelenke. Er zitterte. Er konnte es nicht verhindern, so direkt mit seinem einsamen nahen Ende konfrontiert. Ein kalter Schauer überlief ihn, während er den beiden Gefängniswärtern den dunklen leeren Gang hinunter folgte.
 

Tifa, neben Nanaki und Cid auf dem Flachdach des Justizpalastes sitzend, warf einen unruhigen Blick auf die Uhr. „Es ist Zeit“, sagte sie schließlich.

Cid neben ihr hielt das PHS ans Gesicht. „Okay soweit? Habt ihr die Kammer im Blick?“ Er wartete. „Ja, natürlich ... und achtet mir verdammt noch mal darauf, dass das verfluchte Gas noch nicht ausgeströmt ist, bis wir da sind! Sobald ihr was sehen könnt, fangt an, ist das klar?“

Nanaki stupste ihn mit der Pfote an. „Sprichst du mit Yuffie, Cid?“

„Moment ... ja, tue ich. Sie hat sich unten nahe des Sichtfensters irgendwo verkrümelt. Kann sich im Falle, dass sie entdeckt wird, noch am schnellsten aus dem Staub machen, nicht wahr?“ Ein zynisches Lächeln umspielte sein ansonsten sehr grimmiges wettergegerbtes Gesicht. Aufgrund des Arrests hatte er seit einigen Tagen keine Gelegenheit gehabt, sich zu rasieren. „Sie wird ein Signal an alle Anderen senden, sobald Cloud in die Gaskammer gesteckt wird.“

„Gut zu wissen.“

Tifa fröstelte, als ein scharfer Winterwind den Dachfirst streifte.

Auch Cid schien sich direkt hinter seinem dicken grauen Schal verkriechen zu wollen. „Verdammt kalt“, kommentierte er.

„Wir müssen Cloud retten“, murmelte Tifa, als ob sich nicht längst jeder darüber im Klaren wäre. „Wenn uns jetzt ein Fehler passiert, verlieren wir ihn. Und ein Sieg an die Ungerechtigkeit, den Betrug und all diese widerlichen Machtintriganten würde das nur noch schlimmer machen.“
 

Mit einem Mal wurde Cloud klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Er kannte den Hangar von Junon, und folglich wusste er auch noch ganz genau, wo sich die Gaskammer befand – nämlich in einer völlig anderen Richtung. Er war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass ihm gar nicht aufgefallen war, wohin er wirklich gebracht wurde. Es war definitiv immer noch der Sitz der Mittellandjustiz, aber diese Reihen von reinweißen beschrifteten Türen auf makellos sauberem Kachelboden waren ihm gänzlich unbekannt. Ihm kam der Gedanke, die beiden Wärter danach zu fragen, aber er besann sich eines Besseren. Aufzumerken, das war das Schlechteste, was er in seiner ohnehin misslichen Lage tun konnte.

Die beiden jungen Männer, die ihn führten, blieben vor einer Tür stehen, die so weiß und unschuldig anmutete wie all die anderen auf diesem trostlosen Gang. Auf ihr stand in serifelosen Buchstaben PRIVATE. Der kleinere von Clouds Begleitern klopfte vorsichtig an.

Die Tür öffnete sich überraschend schnell, sodass die Wärter beinahe beide ins Innere des Raumes stolperten.

„Gut, danke. Ihr könnt gehen“, sagte eine beunruhigende, seltsam vertraute Stimme von innerhalb, während Cloud unsanft hineingestoßen wurde.

Nun war er sich ganz sicher, dass etwas nicht so lief, wie es hätte laufen sollen. Entweder fand die Hinrichtung nun mit Verzögerung statt – oder sie fand überhaupt nicht statt.
 

Yuffie duckte sich hinter die Tür des Aufzugs. Von hier aus hatte sie einen wunderbaren Überblick über alles, was sich innerhalb der Gaskammer ereignete. Sie war aufgeregt, was verständlich war, da sie jederzeit Gefahr lief, entdeckt zu werden, oder aber da sie es vielleicht nicht schaffen würde, die Nachricht rechtzeitig durchzugeben. Wenn Cloud letztendlich doch würde sterben müssen, dann käme sie nicht umhin, sich selbst die Schuld daran zu geben. Warum hatte sie sich für diese Aufgabe überhaupt freiwillig gemeldet?

Sie hatte sich vorgenommen, sofort hinter ihrer Ecke hervorzuspringen, wenn Cloud in ihr Sichtfeld geriete, und ihm ein unmissverständliches Zeichen zu machen, dass er den Atem so lange wie möglich anhalten sollte. Anschließend musste sie rasch verschwinden, aber deswegen war ja auch sie diejenige, die mit der Transfer-Substanz ausgestattet worden war. In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie wahrscheinlich auch der Substanz wegen eingewilligt hatte, sich an diesem Ort zu postieren und Ausschau zu halten ... ihre alte Gier konnte sie also selbst seit Jahren noch nicht kontrollieren, wie sie sich kopfschüttelnd eingestehen musste.

Ihr Blick wanderte zu ihrer Armbanduhr. Es war Zeit. Längst. Nicht einmal diese Behörden waren also pünktlich zur Stelle. Zum Kuckuck! Sie wurde immer nervöser. Ihre Finger, an die kalte Wand gedrückt, zitterten verräterisch. Sie würde auf allem, was sie berührte, schweißfeuchte Abdrücke hinterlassen ...

Eine weitere Minute verging. Nein, die Zeit war überschritten. Niemand war zu sehen. Dabei hätte sich doch irgendjemand für die Vorbereitungen einfinden müssen. Yuffie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und kniff die Augen zusammen – vielleicht übersah sie etwas. Wenn die Hinrichtung nun ganz woanders stattfand? Nicht auszudenken!

Diese schauerlichen Gedanken wurden gottlob unterbrochen, als sich ihr PHS meldete – nicht mit einem Klingeln, wie anzunehmen war, sondern mit einem Vibrationsalarm.

Sie holte es hervor und zischte: „Ja – was ist denn los? Wie? Hier ist nichts! Nein, wirklich nicht ... Leute, helft mir, hier stimmt irgendwas nicht! ..... Nein, wie oft denn nun noch! Ich sagte doch schon: Cloud ist nicht in der Gaskammer! Hier ist keine Sau, absolut niemand!“ Sie schluckte, als sie Cids Schweigen hörte bzw. nicht hörte. Irgendwas ist hier schief gelaufen.
 

Cloud, dessen Hände immer noch mit Handschellen gefesselt waren, ließ seinen Blick durch den kleinen Raum schweifen. Es war ganz klar ein Büro. Auf dem Pult lagen Papier und alle Arten von Schreibutensilien. Ein unbestückter Kleiderständer befand sich rechts von Cloud, und zu seiner linken, direkt unter dem Fenster, ein Topf mit einem kümmerlich aussehenden Ficus benjamina Pandora. Was Cloud am meisten beunruhigte, war jedoch nicht die Innenausstattung, sondern die Person unmittelbar vor ihm, mit verschränkten Armen und einem mehr oder weniger triumphierenden Gesichtsausdruck. Was auch immer er in einem Büro der Mittellandjustiz zu suchen hatte, es handelte sich um den Leiter der ERCOM.

„Ich bin froh, Sie so lebendig zu sehen, Mister Strife. Wie Sie sich vielleicht schon denken können, wird Ihre Hinrichtung leider ins Wasser fallen.“

„Oh – wirklich?“, antwortete Cloud, da ihm nichts Besseres einfiel. Ihn beschäftigte momentan viel mehr die Frage, wie er sich von seinen Handfesseln befreien konnte.

„Sie scheinen darüber nicht besonders erfreut zu sein. Sie sollten wenigstens in die Luft springen und ‚Juchu!’ rufen.“

Endlich hob Cloud den Kopf. „Was haben Sie vor, Fawkes? Was ist mit den Anderen, meinen hochgefährlichen Terroristenkollegen?“

„Ihnen gilt also eher Ihre Sorge, nicht wahr? Nun, sie sind alle wohlauf. Sie haben überraschenderweise in der Leichenhalle eine Transfer-Substanz entdeckt.“

„Was ... die von Vincent ...?“ Cloud blinzelte verständnislos.

„Ja, natürlich, eben diese. Inzwischen haben sie auch einen passablen Plan ausgearbeitet, um Sie zu retten, Strife. Sogar ein kleines Flugzeug befindet sich auf dem Dach des Justizpalastes. Welch Aufwand! Und nun sind Sie gar nicht da, um gerettet zu werden.“

„Sie haben meinen Freunden eine Falle gestellt“, stellte Cloud mit wachsender Resignation fest.

„Ja. Naiverweise sind sie der Reihe nach hineingetappt. Aber Mister Strife, seien Sie versichert, dass niemand Ihren Freunden etwas antun wird. Die will ich ja auch gar nicht. Ich will Sie.“

„Mich? Weswegen?“

„Sie waren in der Maschine, die sich im Geheimkeller unter der Shin-Ra-Villa befindet.“

Cloud lief es kalt den Rücken hinunter. „Sie sind dorthin zurück gegangen, oder, Fawkes?“

„Mitnichten. Ich habe meine Leute zur Untersuchung hinuntergeschickt. Aber bemerkenswerter Weise kam keiner von ihnen wieder zurück. Ich weiß, dass Sie zurückgekommen sind, Strife, und ich will wissen, warum.“

„Ihre Leute sind tot“, gab Cloud schonungslos zur Antwort. „Jeder, den Sie da runterschicken, wird sterben. Auf dieselbe Art wie mein Freund.“

„Ja.“ Henry Fawkes nickte wissend. „Aber nicht Sie.“

„Sie werden von mir nichts erfahren, das ist Ihnen sicherlich klar.“

„Wirklich? Ich glaube, dass ich das wohl ändern kann.“

„Sie haben versprochen, meinen Freunden nichts anzutun.“

„Wer sprach von Ihren Freunden? Die wissen nicht, wo Sie sind, und werden es auch nie herausfinden, dafür werde ich sorgen. Ihre Freunde können gehen, wohin sie wollen. Mit der Substanz sind ihnen da keine Grenzen gesetzt, nicht wahr? Ich möchte nur dafür sorgen, dass dieses unsichtbare Flugzeug vom Dach verschwindet, ehe uns die Asbestfaserplatten bei der nächsten Verhandlung auf den Kopf fallen.“ Henry Fawkes setzte sich langsam in Bewegung und umrundete Cloud einige Male. Letzterer blieb stehen, sich wohl dessen bewusst, dass er mit gefesselten Händen ohnehin nicht würde kämpfen können. „Komisch, dass an Ihnen irgendetwas dran ist, das dieses Monster im Geheimkeller hindert, Sie zu töten“, kommentierte Fawkes mit hochgezogenen Augenbrauen. „Was das ist, werden wir ja wohl hoffentlich noch herausfinden.“

„Verdammt ... was suchen Sie eigentlich, Fawkes? Warum wollen Sie wissen, was das für eine Maschine ist?“

„Ich suche den Spiegel des Alten Volkes“, antwortete er. „Und meine Quellen sind sich darüber einig, dass es in diesem Keller einen Hinweis darauf gibt.“

Also wusste doch jemand über den Keller Bescheid, dachte Cloud unruhig. Aber angenommen, es war nicht Lukretia, da sie ja das Projekt geheim halten wollte ... wer war es dann? Und was zum Donner ist ... der Spiegel des Alten Volkes ...?

Er kam nicht dazu, nach einer Antwort zu suchen, denn im selben Momentversetzte ihm Henry Fawkes mit dem Ellbogen einen derben Stoß in die Seiten. Cloud drehte sich zwar um, aber seine gefesselten Handgelenke erwiesen sich als keine große Hilfe. Der Schlag war so präzise gewesen, dass es ihm beinahe schwarz vor Augen wurde. Während sein Orientierungssinn sich nicht einschalten wollte, war es ihm unmöglich, aufrecht stehen zu bleiben. Als er gegen etwas glattes Kaltes stieß, dachte er zuerst, es sei die Wand, stellte dann aber fest, dass es sich um den Boden handelte. Ein leises, aber scharfes Knacken war zu hören. Henry Fawkes schien es nicht bemerkt zu haben, aber Cloud spürte, dass es irgendwo aus ihm selbst gekommen war, denn gleichzeitig setzte eine nicht eben mäßige Atemnot ein. „Argh“, sagte er.

„Rühren Sie sich nicht von der Stelle, Mister Strife. Wir werden unser Gespräch fortsetzen, aber leider habe ich vorher noch etwas Wichtigeres zu erledigen.“ Henry Fawkes trat aus dem Raum und schloss die Tür hinter sich. Seine gedämpften Schritte wurden in der Ferne leiser.

Cloud blieb benommen halb auf der Seite liegen. Sein Atem kam in schweren, kurzen Stößen, und er war sich sicher, den Ficus doppelt zu sehen. Er musste sich irgendwie hinsetzen, sich irgendwo anlehnen. Noch immer war der Schmerz auf der linken Seite des Brustkorbs schier unerträglich. Er unternahm einen Versuch, den Oberkörper aufzurichten, aber da seine Handgelenke aneinandergekettet waren, konnte er sie nicht zum Abstützen gebrauchen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als liegen zu bleiben und abzuwarten, wobei er immer stärker nach Luft schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Es fühlte sich an, als wolle seine Lunge ihr Volumen auf ein Viertel oder weniger verkleinern. Wahrscheinlich war das nicht besonders gut.

Auf einmal hörte er ein Geräusch direkt über sich und drehte mühsam das Gesicht zur Decke. Da war etwas Weißes, vielleicht ein aufgewehtes Blatt Papier – aber bei näherer Betrachtung erwies es sich als etwas Anderes. Unmittelbar neben seinem seitlich hingestreckten Körper landete ein kleiner schlanker Vogel, eine Taube von der Weiße eines Algendra-Taschentuches, und machte einige Schritte auf sein Gesicht zu.

Der Splitter des Spiegels. Er hat gesagt, solange ich den trage, findet er mich überall ... Cloud stöhnte leise und bemühte sich, seine Augen scharf zu stellen. „Sephiroth“, presste er hervor und wollte eigentlich noch hinzufügen ‚Warum kommst du erst jetzt? Wo warst du? Wo sind die Anderen? Hilf mir!’, aber nur noch ein leises Ächzen entrang sich seiner Brust.

Sephiroth gab ein sachtes gurrendes Geräusch von sich, dann breitete er seine weißen Flügel aus und flatterte auf.

„Nicht! ... Bleib – hier!“, stieß Cloud hervor, aber es klang nur wie ein Röcheln.

Die weiße Taube flog durch das geöffnete Fenster über dem Schreibtisch nach draußen und hielt nach links. Offenbar kannte Sephiroth den Weg bereits.



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