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The House Jack Built

Supernatural / The Shining – Crossover
von

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Spieplatz

Irgendwie... lang geworden.
 

===
 

„Meine Fresse, gibt’s denn so was?!“
 

Dean richtete sich empört auf, in einer ausgestreckten Hand die Fernbedienung und hämmerte auf den Senderknopf, als würde das irgendetwas nutzen.
 

Sam sah kaum von seiner gegenwärtigen Arbeit auf, grinste aber in sich hinein.

„Lass gut sein“, rief er hinüber ins Nebenzimmer, „Das wird nichts.“
 

„Danke für diesen Einwurf, Sam“, Dean klang erbost, „Kann mich zwar nicht erinnern, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben, aber– oh hey, warte mal. Hab ich gar nicht.“
 

Sam zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und rückte seinen Stuhl zurecht.
 

Er saß am Wohnzimmertisch, hatte einen Fuß unterschlagen und war dabei, sämtliches Material über das Overlook-Hotel vor sich aufzulegen, dessen er hatte habhaft werden können. Dean hatte sich auf seinem Bett breit gemacht, vernichtete die letzten paar Omelett-Überreste und zappte durch die Kanäle. Sein momentaner Unmut war dadurch begründet, dass er keine, wie er es nannte, „ordentlichen“ Sender hereinbekam.
 

Sam wusste recht gut, was gemeint war und er war sich ziemlich sicher, dass er das Adjektiv „ordentlich“ in diesem Zusammenhang nicht verwendet hätte, aber bitte...

Insgeheim hoffte er, dass das Fernseh-Problem Dean noch lange genug beschäftigen würde, um ihn mit dem ganzen Krempel hier zu einem einigermaßen vernünftigen Abschluss kommen zu lassen.
 

Das Rauschen aus dem Nebenzimmer verstummte mit einem Klicken, dann quietschen Bettfedern und Sam seufzte. Kein solches Glück, zumindest nicht heute. Dean kam hereingetrottet, warf die Fernbedienung auf die Tischplatte und ließ sich Sam gegenüber auf den nächstbesten Stuhl fallen.
 

Er wirkte so unbegeistert, als hätte ihm soeben jemand erklärt, er müsse die nächsten paar Wochen auf seine geliebten Tapes verzichten und stattdessen ausschließlich Musik hören, die gerade in den aktuellen Charts präsent war.
 

Sam sah immer noch nicht auf, stattdessen zählte er in seinem Kopf die Sekunden. Klar, Dean hatte nicht grundsätzlich vor, ihn zu stören, aber jetzt gerade war er genervt und Sam war die einzige Person in Reichweite, an der er seinen Ärger auslassen konnte.

Und ganz abgesehen davon war sein großer Bruder ohnehin der Meinung, dass Sam mehr oder weniger dazu verpflichtet war, sich seinen Unmut über sämtliche unwichtigen Kleinigkeiten anzuhören.
 

Die Betonung lag auf unwichtig, denn was die Dinge anging, die Dean im tiefsten Inneren wirklich Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereiteten... die bekam Sam nur zu hören, wenn es absolut nicht mehr anders ging, und selbst dann nur äußerst widerwillig.
 

Wie auch immer, die Situation im Hier und Jetzt war ein vollkommen andere.
 

„Hey!“, Dean wedelte mit der flachen Hand vor dem Artikel herum, den Sam gerade las und nahm ihm so die Sicht, „Hast du mir überhaupt zugehört?“
 

Sam sah auf. Einmal ganz abgesehen davon, dass es selbst im Normalfall schon schwer genug war, seinen großen Bruder einfach zu überhören, wenn Dean es darauf anlegte, ließ er sich schwerer ignorieren als ein ausgewachsener Hurrikan.

Oder, was dem momentanen Bundesstaat vielleicht eher entsprach, ein Erdbeben.
 

Obwohl man durchaus zugeben musste, dass Sam eine Menge Übung hatte.
 

„Nein“, sagte er teilnahmslos und zog den Artikel unter Deans Arm hervor, was zur Folge hatte, dass ein anderer zu Boden flatterte, „Tut mir leid. Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich was Wichtiges verpasst habe.“
 

Er hob den Blick, als die erwartete patzige Erwiderung ausblieb und musste feststellen, dass Dean ihn mit einer Mischung aus Neugier und Belustigung ansah.

„Was?“, hakte er nach.
 

Dean deutete auf das Blatt Papier, das Sam vor ihm in Sicherheit gebracht hatte.

„Du stehst echt auf das Zeug, oder?“, seine Stimme klang eher ungläubig als spöttisch, „Ich meine, ich weiß, dass du dich in so was immer reinsteigerst, aber Alter, ernsthaft...“
 

Sam spürte, wie die unangenehm kribbelnde Hitze seine Magenwände hoch kroch. Was Dean in den letzten paar Tagen nicht alles über ihn zu wissen glaubte!

Es war eine Sache, wenn er sich über Sam wegen diverser Vorlieben lustig machte – wegen seiner Lieblingsautoren, beispielsweise, oder deshalb, weil Sam sich, so oft er Gelegenheit dazu hatte, eine Zeitung besorgte, auch dann, wenn sie nicht gerade auf Jobsuche waren, anstatt sich von den Nachrichten im Fernsehen informieren zu lassen wie (O’Ton Dean) „jeder andere normale Mensch auch“.
 

Aber das hier war anders. Er tat sich diese ganze Kleinarbeit nicht an, weil er Spaß daran hatte. Er erledigte sie, weil sie wichtig war.

Weil es von Vorteil sein konnte zu wissen, mit welcher der ganzen unglücklichen Seelen, die in diesem Kasten seit der Eröffnung auf die eine oder andere Weise ins Gras gebissen hatten, sie es zu tun hatten – gesetzt den Fall natürlich, dass sie hier irgendwann mal einen Geist zu Gesicht bekamen.
 

Und zugegeben, vielleicht war es nicht besonders spektakulär und vielleicht würde es sich auch als vollkommen verschwendete Zeit herausstellen, aber immerhin tat er etwas.

Und das war mehr, als man im Augenblick von seinem großen Bruder behaupten konnte.
 

Sam war sich nicht ganz sicher, ob der abfällige Unterton in Deans Bemerkung nur Produkt seiner Fantasie oder wirklich dagewesen war. Egal.

Wenn nicht in diesem Satz, dann eben im nächsten. Unterhaltungen wie diese kannte er zu genüge. Warum konnte Dean nicht einfach seine Klappe halten?
 

Er erwartete keine Begeisterung, keine Anteilnahme, ja er legte nicht einmal besonders großen Wert darauf, dass sein Bruder mithalf – diese Sachen waren Sams Ding, schon immer gewesen. Alles, was er verlangte war, dass Dean sich nicht andauernd über ihn lustig machte.
 

Wahrscheinlich war das der Grund, warum seine Antwort etwas ungehaltener ausfiel als nötig.

„Weißt du was? Wie wär’s, wenn du mich das hier einfach in Ruhe fertigmachen lässt, hah? Denk drüber nach, bloß so als Vorschlag. Du musst in der Zwischenzeit nicht mal irgendwas Sinnvolles tun, nur lass mich-“
 

„Okay, okay, woah!“, Dean hob die Hände und erinnerte ihn damit sekundenlang an gestern im Keller, als Sam ihn beinahe grundlos wegen dem Overlook für Dummies angefahren hatte. Die Geste überraschte ihn, denn für Deans Verhältnisse war sie erstaunlich defensiv.
 

„Meine Fresse!“, sein großer Bruder sah seltsam perplex aus, „Krieg dich wieder ein, ich hab nichts gesagt.“
 

Sam seufzte und die kribbelnde Hitze in seinem Magen verschwand.

„Schon gut“, sagte er, „Sorry. Tut mir leid, so war das nicht...“
 

Aber das war anscheinend schon wieder zu viel Sentimentalität. Dean winkte großzügig ab, doch sein Grinsen schaffte es nicht ganz bis hinauf zu dem Ausdruck in seinen Augen.

„Was auch immer“, sagte er munter, „Vergiss es. Weißt du was, ich sitze dir auch gar nicht länger im Weg rum.“
 

Er stand auf.

„Warum bleibst du nicht hier und siehst zu, dass du n’bisschen Ordnung in diesen Papiersalat bringst, während ich mich noch mal draußen umsehen, huh?“
 

Die Hitze wurde ersetzt durch ein kleines, nagendes Gefühl. Zum wiederholten Mal in den vergangenen Tagen hatte Sam den Eindruck, seinen Bruder von irgendwo zu verscheuchen.

„Du musst nicht...“, setzte er an, aber er kam nicht besonders weit.
 

„Lass mal“, Dean sammelte bereits Stiefel und Jacke zusammen, „Keine große Sache. Ich sehe mir nur die unmittelbare Umgebung an. Okay?“
 

Sam spürte einen schuldbewussten Stich.

Er hatte keinen Moment lang daran geglaubt, dass Dean vorhatte, ausgedehnte Wanderung zu unternehmen; jedoch wusste er nur zu gut, dass sein Bruder nicht deshalb in der Nähe bleiben würde, um sich selber nicht in Gefahr zu bringen, sondern viel mehr, um auf jemand anderen aufzupassen.
 

Dean war schon an der Tür und musterte ihn aufmerksam.

„Falls irgendwas sein sollte... ich meine, der Handyempfang hier oben ist für’n Arsch, aber... “
 

Sam winkte ab und gab sich Mühe, zuversichtlich auszusehen.

„Falls die großen, bösen Geister auftauchen“, sagte er trocken, „Ich hab das Steinsalz. Und außerdem kann ich notfalls immer noch das Fenster aufmachen und um Hilfe schreien.“
 

Dass Dean auf diese Bemerkung hin amüsiert das Gesicht verzog, war die eigene Erniedrigung allemal wert.

„Das wäre mal ein Foto“, sagte er grinsend und öffnete die Tür, „Also dann, bis nachher.“
 

„Bye.“
 

Nachdem er weg war, starrte Sam beinahe eine Minute lang gedankenverloren vor sich hin. Dann legte er endlich den Artikel zurück, den er immer noch in der Hand gehalten hatte und bückte sich, um das Blatt aufzuheben, das vorhin zu Boden gesegelt war.

Überrascht stellte er fest, dass es die alte, bekritzelte Hotelrechnung von gestern war und hastig warf er einen Blick in die rechte obere Ecke.
 

„unaufmerksam“
 

Das Wort war klar und deutlich zu lesen. Er schüttelte das unbehagliche Gefühl ab, dass ihn auf einmal befallen hatte. Mit einem Mal hatte er den Drang, seine Jacke zu suchen und Dean nach draußen zu folgen, teils um sich zu entschuldigen, teils um von dieser erdrückenden Papierflut wegzukommen.
 

Seine Augen wanderten weiter über die einzelne Auflistung der Annehmlichkeiten, die der Rechnung zufolge beansprucht worden waren und blieben schließlich an den zwei untereinander stehenden, an den Rand gekritzelten Zeilen hängen, die er nicht hatte entziffern können:
 

„...kein Verlass auf die Verlassenen;

und nobel geht die Welt zugrunde“
 

Huh? Was hatte das denn zu bedeuten? Und wie müde und unkonzentriert musste er vergangenen Abend gewesen sein, um diese gestochen scharfen Worte nicht lesen zu können?
 

...kein Verlass auf die Verlassenen...
 

Aus irgendeinem Grund schoss ihm plötzlich durch den Kopf, dass Dean soeben zur Tür hinausgegangen war und ihn hier hatte sitzen lassen. Sekundenlang erlaubte er dem Gedanken, sich breit zu machen, dann schob er ihn entschlossen beiseite. Lächerlich war das, einfach lächerlich. Dean hatte ihn nicht verlassen, in keinster Weise und außerdem war es Sam ganz recht, im Augenblick seine Ruhe zu haben.
 

Entschlossen faltete er das Blatt zusammen und stopfte es unter einen Stapel Papiere.
 

===
 

Die Wolken sahen bedrohlich aus.
 

Dean zog die Schultern hoch und drehte sich so, dass er den Wind im Rücken hatte. Es war kalt, nicht besonders windig, aber in dieser Höhe reichte bereits eine leichte Briese, um die Luft empfindlich abkühlen zu lassen.

Vor allem um diese Jahreszeit.
 

Die letzten paar Tage war ihnen strahlender, spätherbstlicher Sonnenschein beschert worden, aber damit war jetzt wohl Schluss. Über den Bergen zeichnete sich eine schwere Wolkenfront ab. Vermutlich Regen, denn Schnee erschien ihm trotz allem ziemlich unwahrscheinlich. Schließlich war es erst Ende September...

Andererseits, was wusste er schon von dem Wetter hier?
 

Die dunklen Gebilde am Himmel schienen wie erstarrt, unbeweglich und lauernd, aber er wusste, dass sie das Hotel bald genug erreicht haben würden. Toll.

Hoffentlich blieb es bis zum Einbruch der Dunkelheit noch trocken.
 

Würde es nämlich zu schütten beginnen, musste er wieder zurück ins Hotel und darauf war er ehrlich gesagt nicht besonders scharf. Sam hatte einen seiner empfindlichen Tage. Das kam vor und normalerweise kümmerte Dean sich entweder nicht darum oder er machte sich einen Spaß daraus, aber heute...
 

Er seufzte.

Sie würden in nächster Zeit aufpassen müssen, um sich nicht in die Haare zu kriegen. Klar, das enge Zusammenleben waren sie gewohnt, aber weit und breit keine einzige andere Menschenseele zu haben, mit der man sich unterhalten konnte, war noch einmal etwas völlig anderes.
 

Der Wind flaute kurz ab, nur um ihm Sekunden später mit doppelter Kraft um die Ohren zu pfeifen. Er warf einen langen Blick zurück auf das Hotel, das groß und elegant vor ihm aufragte. Im fahlen Licht des Nachmittags sah es beinahe aus wie eine gut befestigte Burg. Eine uneinnehmbare Festung, zumindest für ihn, so wie er da stand-
 

-Sam war froh, dass er seine Ruhe hatte-
 

Verwundert runzelte er die Stirn. Wo war das plötzlich hergekommen?

Der Gedanke war nicht neu und er zweifelte auch gar nicht daran, dass er der Wahrheit entsprach. Im Gegenteil, er war sich sogar sicher, dass Sam insgeheim erleichtert darüber gewesen war, ihn für eine Weile los zu sein, um sich in Ruhe seinem Recherchewahnsinn widmen zu können.

Wenn es um so was ging, verstand er herzlich wenig Spaß.
 

Was ihn hingegen überraschte, war der unzufriedene, fast schon ärgerliche Stich, der den Gedanken begleitete und sich wie eine wütende Biene in seinem Nacken niederließ.
 

-Sam war froh, dass er seine Ruhe hatte, war froh darüber, ihn und sein blödes Getue endlich los zu sein-
 

Leicht benommen schüttelte er den Kopf, wie um sich selbst davon zu überzeugen, dass das Unsinn war und aus der Ferne mochte es durchaus so aussehen, als versuchte er, ein Insekt abzuschütteln, das auf ihm gelandet war.
 

-Sam hatte ihn aus dem Apartment haben wol-
 

Na und wenn schon! Was war denn groß dabei?
 

Er liebte Sammy mehr als sein eigenes Leben, manchmal so sehr, dass es ihm selber direkt unheimlich wurde, aber sogar er hatte Tage, an denen er seinem kleinen Bruder am liebsten eine aufs Maul gehauen hätte – und sei es nur, um sich das ewige Gemecker über seinen (angeblich) verstaubten Musikgeschmack und über seine (angeblich) blöden, geschmacklosen Witze nicht mehr anhören zu müssen.
 

Der Wind frischte erneut auf. Mit einem Mal war sein Kopf wieder vollkommen klar und der nagende Ärger verflog so schnell, wie er gekommen war. Er schob die Hände in die Jackentasche und riss seinen Blick von dem Hotel los. Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund hatte er den seltsamen Eindruck, von irgendetwas rechtzeitig losgekommen zu sein, bevor es ihn hatte stechen können.
 

Langsam setzte er sich in Bewegung.
 

Ein Stück weiter vorn begann der perfekt getrimmte Rasen, auf dem irgendjemand mehrere Hecken zu beeindruckenden Tierfiguren geschnitten hatte. Dahinter befand sich der Kinderspielplatz. Er hielt darauf zu und betrachtete die Tiere interessiert im Vorbeigehen. Sie waren ihm schon bei ihrer Ankunft ins Auge gestochen, doch bisher hatte er noch nie einen näheren Blick darauf geworfen.
 

Ein Hund, ein Hase.

Ein Rudel Löwen, das den kiesbedeckten Pfad majestätisch zu bewachen schien.
 

Kopfschüttelnd ging er daran vorbei. Musste ja eine Menge Aufwand gewesen sein.

„Könnte mir tausend Sachen vorstellen, die ich lieber machen würde, als euch das Fell zu stutzen“, murmelte er ihnen zu, „Also keine Panik.“
 

Die Worte klangen seltsam verlassen in der menschenleeren Umgebung und der Wind, anstatt sie hochzuheben und weiterzutragen, schien sie nur herumzuwirbeln, um sie kurz darauf wieder schwer auf den Boden fallen zu lassen.

Rasch ging er weiter.
 

Der Spielplatz war eingezäunt, wohl um mögliche Eindringlinge abzuschrecken (Eindringlinge? Welche Eindringlinge, das hier ist ein Luxushotel mitten im Nirgendwo...) aber der Draht erweckte viel eher den Anschein, jemanden drinnen halten zu wollen.

Er streckte die Hand aus, das Metallgitter war kalt unter seiner Handfläche.
 

Den Schnitt, den er sich zugezogen hatte, als er vorgestern Nacht aus der Notausstiegsluke des Fahrstuhls geklettert war, spürte er kaum mehr. So gut wie verheilt.
 

Die Schaukeln schwangen im Wind. Jetzt fehlte nur noch, dass die Wippe und das Karussell mit einem Mal wie von alleine zum Leben erwachten, dachte er, und er hätte endlich die Gewissheit, dass hier Geister am Werk waren. Stinknormale, unglücklich Verstorbene, die keine Ruhe finden konnten oder möglicherweise auch ein besonders launischer Poltergeist.
 

Fast kam ihm diese Idee wie Verrat vor – jetzt war es also schon so weit, dass er regelrecht darauf wartete, dass etwas passierte. Dabei konnten sie doch eigentlich froh sein, wenn kein verzweifelter, durchscheinender Selbstmörder sie vom Dach stoßen wollte oder ein auf wundersame Weise zum Leben erwachtes Telefonkabel versuchte, sie zu strangulieren.
 

Das Gitter klirrte unter seinen Fingern, als die nächste Böe kam, laut und scheppernd. Unwillig, schoss es ihm durch den Kopf, genau wie der Fahrstuhl gestern, als ich das EMF rausholen wollte. Als ob es ihm nicht gepasst hätte, was ich da tue.
 

Das war kompletter Blödsinn. Sie hatten ja schon so einiges gehabt, aber ein besessener Fahrstuhl... hallo? Außerdem hatte das Ding nicht einmal versucht, ihnen zu schaden, obwohl es bei Gott genügend Gelegenheiten dazu gehabt hatte.

Und was gab es sonst noch? Einen laufenden Wasserhahn in einem der Zimmer.
 

Großartig, wirklich. Das war doch mal eine Basis, von der aus sich was anfangen ließ, dachte er sarkastisch. Dann fiel ihm ein, dass er die Sache Sam gegenüber nicht mal erwähnt hatte. Warum, wusste er selber nicht genau und er beschloss, es bei der nächsten Gelegenheit nachzuholen.
 

Mit einem Mal ging ein Ruck durch seinen Körper. Augen.

Die Härchen auf seinen Unterarmen waren schon dabei, sich aufzurichten. Irgendjemand starrte ihn an, er konnte es deutlich fühlen. Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten, war er gewohnt, dafür hatte er ein Gespür entwickelt.

Fast zögernd drehte sich um und erwartete dabei halb, Sam irgendwo stehen zu sehen, doch-
 

Nichts.
 

Okay, das war seltsam. Sein Blick huschte hinüber zum Hotel. Die Fenster wirkten in der einsetzenden Dämmerung wie dunkle Augen, die tief in eingefallenen Höhlen saßen – blind, oder viel mehr geschlossen. So als warteten sie nur darauf, sich ruckartig wieder öffnen zu dürfen.
 

Für die Gänsehaut, die jetzt seinen Rücken hinunter kroch, war keineswegs die Kälte verantwortlich. Er musste sich regelrecht zwingen, sich von dem Anblick des Gebäudes loszureißen und als er stattdessen den gewundenen Kiesweg entlang sah, wusste er plötzlich, dass etwas nicht stimmte.
 

Irgendetwas war anders. Irgendetwas... woah. Was zum-
 

Hatte der grüne Heckenhund immer schon in dieser lauernden Haltung dagesessen? Gebückt auf dem Boden kauernd, bereit zum Sprung – man konnte das bedrohliche Knurren förmlich hören. Und dabei hätte Dean schwören könne, dass er vorher...

Er versuchte sich zu erinnern, schaffte es aber nicht. Für ein genaues Bild war sein Gehirn zu uninteressiert gewesen.
 

Dann stachen ihm die Löwen ins Auge.
 

Vorher hatten sie gelangweilt gewirkt, bequem und satt. Sie hatten über den Pfad gewacht, aber jeden Passanten teilnahmslos vorüberziehen lassen. So hatte es ausgesehen, da war er sich ganz sicher.

Jetzt hingegen... waren die Viecher von vornherein schon so nahe beim Kies gestanden und nicht doch ein Stück weiter weg?
 

Hinter ihm schepperte das Gitter. Eine der Schaukeln quietschte.

Etwas Gefährliches lag in der Luft, etwas Bedrohliches. Ohne dass er es bemerkt hatte, war die Stimmung gekippt. Es war dasselbe Gefühl, das man hatte, wenn man unmittelbar vor einer Ecke stand und wusste, dass dahinter etwas lauerte.

Man konnte es weder sehen noch hören, dafür war es zu schlau, aber man wusste, dass es da war. Die einzige Entscheidung die man zu treffen hatte, war die, ob man-
 

Ein Regentropfen landete zielsicher auf seiner Nase.
 

Es war, als wäre ein Schalter umgelegt worden, mit einem Mal war alles wie gehabt. Der Hund kauerte nicht, sondern saß bettelnd da. Die Heckentiere waren Heckentiere und sie hatten sich kein bisschen bewegt. Natürlich nicht. Von oben klatschten weitere Regentropfen auf ihn herunter, zuerst schwerfällig und langsam, dann immer schneller und schneller.
 

Er fluchte und rannte los.

Der Kies knirschte unter seinen Füßen und als er an den Löwen vorbei rannte, sah er sie kaum an. Inzwischen schüttete es nämlich richtig und als er das Hotel endlich erreicht hatte, war er nass bis auf die Knochen.
 

In der Empfangshalle kam ihm Sam entgegen, der beim Anblick seines tropfenden großen Bruders richtiggehend erleichtert zu sein schien.

„Mann, was machst du denn?“
 

„Sparen“, gab Dean zurück, „Dachte, es kommt billiger, wenn ich draußen dusche.“
 

Sam grinste ihn an.

„Ah ja“, sagte er gespielt ernst, „Was auch sonst. Ich wollte dich grade dran erinnern, dass du nicht schon wieder das ganze Heißwasser aufbrauchen sollst.“
 

Dean schälte sich aus seiner triefenden Jacke.

„Keine Panik“, sagte er, „Ich schätze mal, die Gefahr besteht nicht. Los, komm, mir ist scheißkalt.“
 

Das Apartment war hell und freundlich und warm.

Er verzog sich ins Badezimmer und versuchte, nicht zu viel über die Tatsache nachzudenken, dass sich Sams missbilligender Blick, als Dean den Großteil seiner nassen Sachen einfach mitten im Zimmer auf dem Teppichboden fallen ließ, fast wie heimkommen angefühlt hatte.
 

===
 

Sam wachte auf, ohne zu wissen, was ihn geweckt hatte.
 

Er hielt die Augen geschlossen und lauschte. Abgesehen vom fernen Trommeln des Regens und den wohl vertrauten Atmengeräuschen aus dem Bett neben ihm war es still.
 

Kurz wanderten seine Gedanken ab zu der Befürchtung, dass Dean sich möglicherweise erkältet haben könnte – wenn er krank war, war sein Schnarchen kaum auszuhalten. Andererseits hatte sein Bruder nach seinem unfreiwilligen Bad im Regen fast eine halbe Stunde lang unter der Dusche gestanden und war danach laut pfeifend und mit blendender Laune aus dem dampfenden Badezimmer gekommen, also...

Man würde sehen.
 

Sam drehte sich auf den Rücken, öffnete die Augen und schob sich den rechten Arm unter den Kopf. Draußen rauschte der Regen. Deans Bettdecke raschelte, dann murmelte sein Bruder leise vor sich hin und Sam musste schmunzeln.

Seine Lieder wurden schwer und senkten sich beinahe automatisch, als er aus den Augenwinkeln plötzlich eine Bewegung wahrnahm – aus einer Ecke des Zimmers, in der sich absolut nichts zu bewegen hatte.
 

Mit einem Schlag war er hellwach und fuhr ruckartig in die Höhe.
 

Und da war er.
 

Nicht älter als fünf, mit braunen Haaren und so ängstlich gegen die Wand gedrückt, als hätte er Angst, jemand könnte ihn entdecken. Sam konnte seinen eigenen Herzschlag in seinen Ohren widerhallen hören, laute, durchdringende Trommelschläge.
 

Der Junge aus der Lobby.

Der Junge vom Abreisetag.

Der Junge, der ihn angestarrt hatte, als ob-
 

Jetzt hob er den Kopf, sah Sam an, mit weit aufgerissenen Augen und Sam starrte zurück. Wie nebenbei nahm er war, dass er seine Hände vor lauter Anspannung zu Fäusten geballt hatte und er blinzelte einmal, blinzelte ein zweites Mal und... weg.
 

Von einer Sekunde auf die andere war der Junge verschwunden.

Sam keuchte überrascht auf.
 

Im Nebenbett bewegte sich Dean und alleine die Geräusche verrieten Sam, dass sein Bruder dabei war, aufzuwachen. Eigentlich war das komplett unmöglich, aber Dean schien im Laufe der Jahre tatsächlich so etwas wie einen sechsten Sinn für die Laute entwickelt zu haben, die Sam von sich gab, wenn etwas nicht in Ordnung war.
 

„...’mmy?“
 

Sam ließ sich hastig zurücksinken, schloss die Augen und gab sich Mühe, ruhig zu atmen. Er hatte keine Ahnung, wie er sich anhörte, wenn er schlief, aber Dean klang ohnehin nicht munter genug, damit ihm der Unterschied aufgefallen wäre.
 

Er konnte hören, wie Dean sich aufsetzte und für die nächsten paar Sekunden herrschte Stille. Dann ließ sich sein Bruder zurück auf die Matratze fallen und keine zwei Minuten später war Sam sich ziemlich sicher, dass er wieder eingeschlafen war.
 

Er hatte keine Ahnung, warum er sich schlafend gestellt hatte. Das eben war kein Traum gewesen, da war er sich sicher. Den Jungen hatte er sich nicht bloß eingebildet. Er war da gewesen, kein Zweifel.
 

Und Dean hätte es erfahren wollen, das wusste Sam. Ja, Dean hatte das gottverdammte Recht darauf, ins Vertrauen gezogen zu werden... irgendwann in naher Zukunft würde er stocksauer sein, weil es ihm nicht sofort erzählt worden war.
 

Trotzdem lag Sam mit geschlossenen Augen da, stocksteif und unbeweglich, obwohl ihm klar war, dass er in dieser Nacht nicht mehr einschlafen würde und versuchte sich einzureden, dass sein Schweigen einzig und allein mit der Tatsache zu tun hatte, dass Dean endlich wieder auf dem Rücken schlief.
 

Tief in seinem Inneren wusste er, dass das nicht vollkommen stimmte, aber selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nicht sagen können, was denn nun die ganze Wahrheit war.
 

===
 

Kleines Detail am Rande: Von allem, was da im Buch so kreucht und fleucht, mochte ich die Heckentiere am liebsten. Die sind so richtig schön... awrrr! *_*



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  genek
2009-05-29T17:12:41+00:00 29.05.2009 19:12
Kann mich den vohergegangenen Lobeshymnen nur anschließen. Atmosphärisch wirklich sehr dicht, wie du diese unheilvolle Stimmung vor dem Hotel beschrieben hast. UND du besserst Kings Kritikpunkt an der Verfilmung aus, bei dir spielt das Haus die vorrangige Rolle :D Aber wieder auch nette Szenen dabei (O'Ton Dean (angeblich)) etc. Aber die zwei werden bald nicht mehr viel zu lachen haben, oder?
Oh, und ein Fahrstuhl kann nicht besessen sein... Kennst du diesen unglaublich dämlichen Film in dem das TATSÄCHLICH der Fall ist (mir fällt aber der Titel nicht mehr ein)?! Wie hohl IST das denn bitte?
xD
lg genek.

P.s.: Du musst dich nicht für jeden Kommentar einzeln bedanken, gell? :D
Von:  blumenpups
2009-05-28T05:02:45+00:00 28.05.2009 07:02
Huhu ^____^
Ich schließe mich meinem Vorgänger an: Wow!
Teilweise hab ich wirklich Gänsehaut gekriegt, als Dean draußen im Wind rumgetapert ist mit den Heckentieren und die Notizen auf Sammys Unterlagen und die Gedanken, die Dean nicht abschütteln kann und der kleine Junge o___O
Gruselig XD
Bin mega gespannt wie's weitergeht und ob sie sich irgendwann doch noch mal von den Vorkommnissen erzählen. Aber wenn sich das alles so aufstaut...irgendwie muss es ja zu dem Kampf vom Anfang kommen, hm? ^^°
In dem Sinne: DANKE für die ENS und mach schnell weiter, ich bin doch so gespannt! XDDD
LG, pups
Von:  Priestly
2009-05-27T22:32:01+00:00 28.05.2009 00:32
o.O

wow
also
einfach nur wow
mir fehlen die worte ... ei ei ei das wird ja immer schlimmer bei den beiden -.- obwohl sammy doch schon schlimmer ist als dean ... ich will endlcih wissen wie es soweit kommen konnte also eben zum anfang der story ^^

hm
oder eigentlich will ich wissen wie es danach weiter geht ;-)
also schnell schnell schnell weiter *hächel*

ja die heckentere fast wie wasserspeier -.- *schüttel*


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