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Schuld & Sühne

von

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Kapitel 36

Er fühlte sich scheisse. Sein Kopf dröhnte und ihm war übel. Ausserdem war es hier scheiss kalt! Er spürte seinen eigenen Körper zittern und wusste nicht warum.

Was war eigentlich passiert? Wo war er hier überhaupt?

Kato erinnerte sich nicht mehr so richtig. Da war irgendetwas mit dem Märzhasen gewesen, aber er wusste nicht mehr was.
 

Mit einem Stöhnen wollte er sich aufrichten, musste aber sogleich feststellen, dass ihn ein schrecklicher Schwindel überfallen hatte.
 

Scheisse!
 

Das Wort war ja so passend! Kato war hin und her gerissen, ob er sich nun den duseligen Kopf oder eher die frierenden Arme halten sollte. Als er dann das Klappern seiner eigenen Zähne wahrnahm, entschied er sich für Zweiteres. Scheiss egal, dass sich alles in seinem Kopf drehte, wenn er die Augen geschlossen hielt, spielte das sowieso keine Rolle. Aber der Kälte konnte er nicht entfliehen…
 

Er wusste noch immer nicht, wo er hier schon wieder gelandet war, aber langsam kehrte die Erinnerung zurück. Der Märzhase war ein Verräter. Sie musste ihn hierher gebracht haben. Nur wo war „hier“?

Kato beschloss, dass er, um das herauszufinden, wohl oder übel doch die Augen öffnen musste.

Erst nahm er alles nur verschwommen wahr und das Gefühl sich jeden Moment übergeben zu müssen, hatte stärker denn je von ihm Besitz ergriffen. Trotzdem klärte sich der graue Schleier langsam und Kato musste zu seinem grossen Unbehagen feststellen, dass er sich wohl in einer Art Zelle befand. Die Wände waren nichts weiter als grob behauener Stein und sie umgaben ihn zu vier Seiten.
 

Verwirrte schaute sich der Sklave um, auf der Suche nach einer Tür oder Ausgang. Doch er konnte nichts entdeckten.

Er drehte seinen Kopf in die andere Richtig, was sofort wieder eine Welle der Übelkeit in ihm auslöste, nur um festzustellen, dass es auch dort nichts Vergleichbares gab. Es schien eine, im wahrsten Sinne des Wortes, auswegslose Situation sein.
 

In Gedanken gratulierte Kato sich zu dem überflüssigen Wortspiel und begann die Möglichkeiten durchzugehen, wie er hier herein gekommen sein könnte. Er liess seinen Blick prüfend über den rauen Stein gleiten, in der Hoffnung zuvor etwas übersehen zu haben oder vielleicht doch noch einen Hinweis auf einen geheimen Fluchtweg zu entdecken. Während er seinen Kopf also in alle physikalisch möglichen und unmöglichen Richtungen verrenkte, registrierte sein Unterbewusstsein, wie Katos Atem in weissen Wölkchen aus seinem Mund austrat…

Gerade als er zu der Konklusion, dass hier wohl Magie im Spiel sein musste, kommen wollte, wurde die Kondensierung seines eigenen Atmens an den bewussten Teil von Katos Wahrnehmung weitergeleitet. Erstaunt betrachtete er die austretenden Wölkchen. War es hier wirklich so scheiss kalt? Er war hatte ja mittlerweile auch verstanden, dass die Hölle nicht der feurige Ort war, wie er so gern dargestellt wurde. Aber ein Eisgefängnis?!
 

Mit einem resignierenden Seufzen liess er den Kopf in den Nacken fallen… und entdeckte mit einem Mal den Ausgang, den er vorher so verzweifelt gesucht hatte: Sein Gefängnis hatte kein Dach!
 

Der Himmel über ihm war grau und kleine weisse Schneeflocken fielen von oben herein, die Kato erst jetzt wirklich registrierte. Es schneite herein!

Für einen Moment fühlte sich der Sklave ziemlich verarscht, weil er erst jetzt bemerkt hatte, was es mit der Kälte und dem Licht – welches ihm eigentlich auch schon früher hätte auffallen müssen – auf sich hatte. Andererseits fand er die Idee des Märzhasen, oder wer auch immer schlussendlich dafür verantwortlich war, ihn gerade hier gefangen zu halten, ziemlich… beschissen!
 

Kato rieb sich noch mal über die Arme, musste aber feststellen, das es so ziemlich gar nichts brachte. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte, dass er echt froh wäre, wenn Luzifer bald auftauchen und ihn zu retten würde… Doch Kato selbst hätte sich so etwas natürlich nie eingestanden!
 

Mit Zähneklappern schaute er sich noch einmal um und musste feststellen, dass der einzige Ausgang wohl wirklich der Weg nach oben war. Aber um den zu nützen, müsste man fliegen können…
 

~~~
 

Nachdem er ein paar Mal in seinem Gefängnis hin und her getigert war und sich immer noch nichts getan hatte, beschloss der Sklave es mit etwas drastischeres Massnahmen zu versuchen: Schreien!
 

Kato war sich zwar insgeheim der Lächerlichkeit einer solchen Aktion bewusst, trotzdem fiel ihm schlicht nichts Besseres ein, das er hätte tun können. Wenn er sich einfach hinsetzte und wartete, dass etwas geschah, bzw. jemand kam um nach ihm zu sehen, wäre er wahrscheinlich innert kürzester Zeit erfroren. Und wenn er weiterhin von einem Ende zum anderen trabte, was wohl gemerkt gerade mal drei Schritte ausmachte, würde er wahnsinnig werden!

Warum war das bloss wieder passiert?! Ok, zu seiner Verteidigung musste man vielleicht anmerken, dass er mal ausnahmsweise nicht selbst für diese Misere verantwortlich war, sondern er wohl einfach zwischen die Fronten geraten war… was ihm aber auch nichts half!

Er wurde hier als Geisel festgehalten!

Kato stampfte wütend mit dem Fuss auf. Scheisse! Das war ja so unfair!

Da tat man alles um Luzifer zu gefallen und trotzdem landete man in solchen Situationen. Es brachte rein gar nichts beim Höllenfürsten zu schleimen!

Wütend verschränkte er die Arme vor der Brust, konnte aber die kleine Stimme seiner Vernunft, welche sich heute wieder einmal vehement weigerte die Klappe zu halten, nicht ganz ignorieren. Mahnend flüsterte sie, dass es nicht gut war, Luzifer die Schuld an seiner momentanen Lage zu geben, wenn er von ihm gerettet werden wollte. Der Teufel war sicher auch nicht gerade erfreut über seine Entführung… Immerhin war er sehr besitzergreifend, bzw. mochte er es bestimmt nicht, wenn sich jemand an seinem Besitz vergriff.
 

Kato schüttelte erschrocken den Kopf. Was für ein Schwachsinn! Sah er sich wirklich selbst schon als Luzifers Besitz?!

Der Sklave seufzte tief und richtete seinen resignierenden Blick nach oben. Kleine Schneeflocken fielen immer noch beinahe schwerelos aus dem grauen Himmel und belegten sein Gemüt mit einer gleichsam schwermütigen Decke wie den Boden.

Es war nicht gut, wenn er zu lange alleine war. Er neigte dann dazu, sich zu viele Gedanken zu machen.
 

Luzifer sollte kommen und ihn retten!
 

Den Gedanken von vorhin verdrängte Kato wohlweisslich wieder. Es war egal, als was er sich selbst sah, Hauptsache er kam hier raus!

Wenn die Nephilim wirklich so schlimm waren, wie sie beschrieben wurden, wollte er ihnen lieber nicht begegnen. Ein erneutes Frösteln überfiel den Sklaven. Nur schien es diesmal mehr von innen als von aussen zu kommen. Die Nephilim…

Kato hatte den bewussten Gedanken daran, dass sie seine Entführer waren und dass diese Monster ausserhalb seiner Zelle lauerten bisher genauso unterdrückt, wie den an seinen eigenen Status. Vielleicht wollte er doch lieber hier erfrieren…
 

~~~
 

Gedankenverloren glitt sein Blick über die Steinwände. Jegliche Rationalität, über die Kato verfügte, bezweifelte, dass man daran hoch klettern und fliehen könnte, aber da der Sklave seiner Rationalität meist eher wenig Beachtung schenkte, musste er es trotzdem ausprobieren.

Prüfend legte er seine schon leicht steif gefrorenen Finger an den noch kälteren Stein und wäre im ersten Moment auch beinahe gleich wieder zurückgezuckt. Mit einem tiefen Durchatmen überwand er sich und griff nach einer etwas mehr herausragenden Kante über seinem Kopf. Er konnte sich erstaunlich gut daran festhalten und setzte auch sogleich zur Unterstützung seinen Fuss auf eine tiefer gelegene, grössere Steinspitze.

Zu seiner eigenen Überraschung konnte er sich auf diese Weise tatsächlich etwa einen halben Meter noch oben hieven, bevor ihn die Kraft in seinen dünnen Ärmchen und eiskalten Fingern verliess und er mit einem schmerzhaften Plumpsen auf dem Allerwertesten landete.
 

Mit einem Grummeln rieb er sich das ramponierte Hinterteil, akzeptierte die Niederlage gegenüber der Wand aber ansonsten kommentarlos. Er war nie gut in solchen Sachen gewesen, aber er hatte es wenigstens versucht!

Seufzend erhob er sich wieder. Der Boden war mittlerweile von einer dünnen Schneeschicht bedeckt und wirkte dementsprechend uneinladend, um weiter darauf zu verweilen.

Kato fror auch nach wie vor erbärmlich, aber die kleine Kletteraktion hatte ihn wenigstens etwas davon abgelenkt.
 

Es war einfach nicht fair. Warum passierte so Zeug immer ihm?

Er liess seinen Blick erneut gedankenverloren umherstreifen. Die groben Steinwände wirkten nun abweisend und schienen Kato mit ihren Schatten werfenden Kanten davor warnen zu wollen, noch mal einen Fluchtversuch zu wagen.
 

Resignierend verschränkte der Sklave die Arme vor der Brust und starrte den blanken Felsen an. Es gab hier sowieso nicht anderes zu sehen, aber trotzdem kam es ihm so vor, als würde die Wand, immer wenn er wieder hinschaute, etwas anders aussehen.

Kato kam schon der Gedanken, dass sie vielleicht auch lebte, wie so vieles hier unten in der Hölle und musste grinsen. Er könnte ja versuchen die Wand zu überreden, ihn gehen zu lassen. Ok, realistisch betrachtet lag die Wahrscheinlichkeit, dass ihm so etwas gelang unterhalb des Gefrierpunktes. Denn selbst Kato musste sich eingestehen, dass sein Verhandlungsgeschick nicht gerade von ausgeprägter Natur war… Nicht vorhanden wäre wahrscheinlich treffender gewesen, aber zu schlecht darstellen, wollte sich der Sklave nun auch wieder nicht.
 

Kato seufzte erneut laut hörbar auf. Wenn die Wand leben würde, hätte er wenigstens etwas Unterhaltung. Er hasste es zu warten!

Er hasste es, nicht zu wissen, was ihn erwartete.

Er konnte nichts weiter tun, als hier in der Eiseskälte sitzen und darauf zu warten, dass jemand kam… oder dass er erfror. Was, wenn es so weiter ging, durchaus eine Option war.
 

Bisher hatte Kato sein eigenes Zähneklappern so gut es ging ignoriert, aber da die Wand keinen Versuch unternahm in Interaktion mit ihm zu treten, war es ihm gerade in höchst unangenehmer Weise wieder aufgefallen.

Der Sklave beschloss darüber hinwegzusehen und stattdessen wieder die Wand anzustarren.

Hmmm, irgendwie hatte er jetzt aber wirklich den Eindruck, dass sie anders aussah als vorher. Mit einer skeptisch hochgezogenen Augenbraue trat an die Stelle, wo er vorher versucht hatte hinaufzuklettern. Die beiden herausstehenden Kanten waren noch an derselben Stelle. Was also war anders?
 

Kato trat einen Schritt zurück und taxierte die Wand misstrauisch. Er konnte nicht genau sagen was es war, aber irgendetwas war ganz eindeutig anders…
 

Und dann sprang es ihm ins Auge! Es waren die Schatten, welche die Steinkanten warfen!

Kato wollte schon ein triumphierendes „HA“ von sich geben, als ihm der Gedanke kam, dass lebende Schatten eigentlich noch um einiges unheimlicher waren als lebende Wände, v.a. wenn er da an seine eigenen Erfahrungen zurückdachte.

Mit einem Kloss im Hals beobachtete er, wie die dunklen Flecken tatsächlich immer länger und länger wurden. Es war ja nicht so, dass Schatten sich nicht von Natur aus verändern konnten, das wusste selbst Kato. Aber keine Sonne konnte so schnell wandern, wie die hier unter den herausragenden Felsen wuchsen!
 

Mit einer gleichsam immer grösser werdenden Panik wollte sich der Sklave an die gegenüberliegende Wand drücken, musste aber zu seinem Entsetzen feststellen, dass diese genauso ihre Schatten warf, wie jene die er soeben beobachtet hatte. Ein unterdrückter Schrei entwich seinem Mund, als er sich ungestüm abstiess und schliesslich mit panischem Gesichtsausdruck in der Mitte seines Gefängnisses stand. Mit angstvoll geweiteten Augen verfolgte er das Geschehen um sich herum und wusste nicht ob er lieber vor oder hinter sich blicken sollte!
 

Es war wahrlich zum Verrücktwerden. Die Schatten bewegten sich ganz eindeutig!

Sie schienen Kato zu verhöhnen und es zu geniessen ihm Angst zu machen. Zumindest war das der Eindruck des Sklaven. Er war kurz davor einfach die Hände vors Gesicht zu schlagen und sich zu einem kleinen Ball zusammenzukauern, als sich plötzlich am gegenüberliegenden Ende seiner Zelle eine schwarze Masse von der Wand ablöste und wie Öl zu Boden floss.

Kato starrte die mittelgrosse Pfütze entsetzt an, erinnerte sich aber auch vage daran, dass ihm das verdammt bekannt vorkam…
 

Und tatsächlich!

Aus der schwarzen Pfütze wuchs eine Gestalt mit fast menschlichen Umrissen.
 

„Scha-Schattenfee?“ Der Sklave starrte verdutzte auf die Silhouette, welche sich nun zu ihrer vollen Grösse aufgerichtet hatte.

„Genau.“ Der Schatten schien zu nicken und streckte Kato seine schwarze Hand entgegen. „Ich bin Ombre.“[1]
 

Kato musterte die ihm dargebotene Klaue misstrauisch. Seine Panik hatte sich wieder etwas gelegt, aber er erinnerte sich noch sehr gut daran, was das letzte Mal als er eine Schattenfee berührt hatte, passiert war. Ausserdem sah der schwarze, etwas dickflüssige Nebel, aus dem die Hand zu bestehen schien, alles andere als einladend aus.

Als Kato nicht reagierte, zog der Schatten seine Hand kommentarlos zurück und wandte sich mit etwas, vom dem der Sklave versucht war, es als beleidigtes Schulterzucken zu interpretieren, um.
 

Eigentlich war es Kato ziemlich egal, wenn die Schattenfee jetzt eingeschnappt war. Solange es für ihn keine Konsequenzen hatte, spielte er durchaus gerne das ungehobelte Arschloch. Ausserdem zog er es vor, hier in seinem eisigen Gefängnis allein zu sein und auf die Gesellschaft von unheimlichen Schattenwesen zu verzichten, wenn er die Wahl hatte.

Deswegen unternahm er auch nichts als der Schatten langsam in sich zusammensank und drohte wieder mit dem Boden zu verschmelzen aus dem er erwachsen war.

„Du wirst hier niemals wieder rauskommen. Dafür sorge ich persönlich!“
 

Nun wurde der Sklave doch hellhörig. Hatte er es sich gerade wieder mit der falschen Person verscherzt?!

Mehr aus Reflex, setzte er dem Schatten nach und konnte ihn gerade noch erreichen, bevor dieser gänzlich verschwunden war.

“HEY! Es tut mir Leid, ich wollte dich nicht beleidigen… ich hab bloss…“ Kato hielt in der Mitte des Satzes inne. Trotzdem schien seine Reaktion die gewünschte Wirkung erzielt zu haben, denn die Schattenfee hatte in ihrem Verschmelzungsprozess ebenfalls inne gehalten.
 

„Bist du mein Wächter?“ Als keine Antwort kam, beschloss der Sklave, dass es wohl gut wäre etwas Eigeninitiative zu zeigen und stellte sich demonstrativ vor jene Seite, die seiner Meinung nach, das Gesicht der Schattenfee darstellen sollte.

„I-Ich bin Kato.“
 

„Ich weiss.“

Kato schalt sich innerlich einen Narren. Klar wusste der Schatten wer er war. Das schien hier unten sowieso jeder zu wissen. Aber wenigstens hatte er eine Antwort gekriegt…
 

„Also Ombra, bist du je…“

„MEIN NAME IST NICHT OMBRAAAA!“
 

Kato zuckte erschrocken zurück und wusste erst gar nicht, was er wieder falsch gemacht hatte. Trotzdem hob er abwehrend die Hände. „Hey, reg dich doch nicht gleich so auf…“ Es sollte beschwichtigend klingen. „…schliesslich kann ich nichts dafür, dass ihr alle gleich ausseht.“
 

Wenn er es sich nicht schon vorher mit seinem Gesprächspartner verdorben gehabt hatte, war das nun endgültig der Moment. Ombre wuchs plötzlich zu einer drohenden Schwärze an, die Kato um etwa das Doppelte überragte. Wie ein unförmiges Ungetüm aus Kinderalpträumen schaute die Schattenfee auf den nun doch ziemlich eingeschüchterten Sklaven herunter und gab einen grollenden Laut von sich.

Kato gratulierte sich innerlich, dass er es wieder einmal geschafft hatte, jemanden gegen sich aufzubringen und wünschte sich mehr denn je, dass nun endlich Luzifer auftauchen und ihn retten würde.
 

Als der Monsterschatten dann auch noch einen Schritt auf ihn zu tat, war es um die mühsam aufrecht erhaltene Selbstbeherrschung des Sklaven geschehen. Mit einem ziemlich hohen, absolut unmännlichen, Schrei überbrückte er die drei Schritte bis zum anderen Ende seines Gefängnisses und presste sich dort ängstlich an den eiskalten Stein.
 

„Bitte tu mir nichts, ich wollte wirklich nicht…“ Kato hatte in einer abwehrenden Geste die Hände vor seinem Gesicht verschränkt. Doch die Dramatik der Situation wurde urplötzlich von einem glockenhellen Lachen unterbrochen, was die riesenhafte Schattenfee und ihr winselndes Opfer dazu veranlassten sich umzuwenden…
 

~~~
 

Lässig an die gegenüberliegende Wand gelehnt, stand eine in einen Umhang gehüllte Gestalt.

Ihr Gesicht wurde halb von einer Kapuze verdeckt, zeigte aber ganz eindeutig menschliche Züge, was Kato ungemein beruhigte.

Die Person stiess sich mit einer eleganten Bewegung ab und trat eine Schritt näher auf den Gefangenen und seinen Wächter zu.

„Es ist wirklich unglaublich, wie schnell du es schaffst, dir Feinde zu machen, kleines Haustier. Eigentlich müsste man ja meinen, du seist nun lange genug in der Hölle, um ein paar grundlegende Regeln verstanden zu haben…“ Der Klang der Stimme und der darin mitschwingende Spott klang in Katos Ohren nur allzu vertraut, trotzdem war er sich nicht ganz sicher, ob das wirklich die Person war, für die er sie hielt. Doch seine Zweifel sollten bald zerstreut werden, denn die Gestalt lichtete ihren Umhang und gab den Blick auf die ziemlich veränderte Erscheinung des Märzhasen frei.
 

Kato starrte sie erst etwas verwundert an. Ein Teil in ihm war froh, dass sie es war, die gekommen war. Immerhin kannte er sie… Oder auch nicht.

Die Erinnerung an ihren Verrat war wieder vor seinem inneren Auge aufgetaucht und überzog die erste Freude über ihr Erscheinen mit einem bitteren Nachgeschmack. Sie war nicht seine Freundin, sie war ein Feind. Er musste sich das gut einprägen! Sie war dafür verantwortlich, dass er hier gelandet war!
 

Doch der Sklave schien nicht der einzige zu sein, der sich nicht besonders über das Auftauchen des ehemaligen Märzhasen freute. Auch die Schattenfee war beim Lichten der Kapuze augenblicklich auf ihre ursprüngliche Grösse zusammengeschrumpft und hatte sich demütigst verneigt. „Lady Roderis, ich hatte Euch nicht so früh zurückerwartet.“

Doch die Frau winkte nur mit einer fast schon gelangweilten Geste ab. „Du kannst gehen, Ombre. Ich habe noch ein paar Dinge mit dem Haustierchen unseres ‚Fürsten’ unter vier Augen zu besprechen.“

Der Schatten verneigte sich wortlos und verschmolz dann augenblicklich mit dem Boden.
 

Stille kehrte zwischen den beiden Kontrahenten ein, während sie sich mit Blicken massen.
 

Kato fand, dass „das Bunny“ – er betonte die Bezeichnung innerlich besonders - wirklich ziemlich anders aussah, als er es von ihr gewohnt war. Anstatt der sonst praktisch vollständig weissen Aufmachung, war ihre Kleidung jetzt schwarz. Ein hautenger Lederdress umspannte ihren Körper und liess ihre Erscheinung wesentlich kämpferischer aussehen als zuvor.

Doch das war es nicht, was den Sklaven am meisten störte. Nein, er war der Kopf und das Gesicht, welche so gar nichts mehr mit „seinem Bunny“ gemein hatten. Die Hasenohren, für welche er mittlerweile sogar schon so etwas wie ne Schwäche entwickelt hatte, waren spurlos verschwunden und die wilden Locken waren in einem strengen Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Das einzige, was noch ansatzweise gleich aussah, waren die geschminkten Lippen. Doch leider war das zarte Rosa nun einem bösen Blutrot gewichen, das Kato leicht schaudern liess. In seinem Kopf geisterte irgendwo noch die Assoziation „weiblicher Rambo“ herum, doch er enthielt sich jeglichen Kommentars dazu.
 

„Wie ich sehe, bist du noch nicht erfroren. Das ist gut.“ Sie stütze die Arme in ihrer Bunny-Manier in die Hüften und lächelte den Sklaven mit ihrem Zahncreme-Grinsen an.

Kato reagierte nicht darauf. Selbst er erkannte die Farce, die dahinter steckte. Das Bunny gab es nicht mehr, hatte es nie gegeben. Stattdessen erwiderte er nur: „Wie ich sehe, hast du Hasenohren und Puschel gegen Kampfmontur getauscht. Das andere stand dir besser…“

Gespielt schmollend legte sie den Zeigefinger an ihr Kinn. „Ach Kato-kun, sei doch nicht so streng mit mir.“
 

Nun reichte es aber! „Lass das scheiss Getue! Wir beide wissen, dass du ein Nephilim bist. Du hast mich schliesslich hierher gebracht. Was zum Teufel wollt ihr von mir?!“ Kato war laut geworden, doch die Gesten und einfach alles an ihr erinnerte ihn so sehr dran, dass er dem Märzhasen vertraut hatte. Dass er ihn eigentlich sogar gemocht hatte…

Er wollte nicht daran erinnert werden. Nein, er wollte sich eigentlich lieber in eine Ecke verkriechen und dort still auf den Tod durch Erfrieren warten. Stattdessen musste er ihrem Spott ausgeliefert sein…
 

„Ich hasse dich.“
 

Sein Gegenüber liess die Hände fallen und betrachtete den Sklaven nun mit einem undeutbarem Blick. „Nimm das hier nicht zu persönlich. Es geht nicht um dich.“
 

„Es geht nicht um mich?! Ja toll, und deswegen sitze ich in einer eiskalten Freiluft-Zelle fest und wäre fast von einer Schattenfee gefressen worden.“ Es klang vielleicht eine Spur hysterischer als der Sklave beabsichtigt hatte. Aber bei ihm war gerade eine Sicherung durchgeknallt. Was bitte hatte er davon, wenn es gar nicht um ihn ging, er aber trotzdem die Geisel war?!

Doch entgegen seiner Erwartung begann das Ex- Bunny plötzlich sehr girliehaft zu kichern.

„Kato, du bist einfach ein Unikat.“ Als wäre es vollkommen selbstverständlich, hob sie die Hand und wuschelte dem Sklaven durch die Haare. Kato seinerseits erstarrte unter der Berührung. Mit einer stürmischen Bewegung schlug er die Hand des Bunnys weg.

„Fass mich nicht an!“

Sie hingegen schüttelte nur leicht resignierend den Kopf, hatte aber immer noch ein Lächeln auf den Lippen. „Ach Kato-kun…“
 

Unterstütz von einem erbosten Gesichtsausdruck verschränkte der Sklave demonstrativ die Arme vor der Brust. “Nichts ‚ach Kato-kun’! Was soll das hier überhaupt alles? Und wo zum Teufel bin ich eigentlich?!“

„Du bist ein Gefangener im Reich der Nephilim. Aber ich denke, das hast du mittlerweile selbst erkannt.“ Der ehemalige Märzhase lächelte nach wie vor, dennoch lag in ihren dunklen Augen ein Ausdruck der nicht ganz mit dem Rest ihres Gesichtes übereinstimmte.

Kato registrierte neben der Richtigkeit ihrer Aussage, dass es genau jene Augen waren, an denen etwas nicht passte. Hatte das Bunny nicht als Letztes, bevor sie ihn entführt hatte, gesagt, dass alle Nephilim gänzlich schwarze Augen hätten? Das jetzt waren aber wieder jene, die er von „seinem“ Märzhasen kannte, zwar nicht ganz so spöttisch-freundlich wie früher, aber immerhin braun und menschlich!
 

Das ganze verwirrte Kato. Also gab er nur ein schlechtgelauntes „Hmpf“ von sich und zog es ansonsten vor, seinen Blick in die andere Richtung zu wenden.

„Spiel hier nicht die beleidigte Leberwurst. Es ist nicht mein Fehler, wenn du die falschen Fragen stellst…“

„Die falschen Fragen?! Es geht doch nicht um die Fragen, sondern darum dass du mich verraten hast! Du hast mich in diese Situation gebracht!“

Hätte der Sklave sich umgewendet, hätte er vielleicht das leichte Nicken seines Gegenübers bemerkt. „Ja, ich bin dafür verantwortlich, dass du nun hier bist. Aber ich habe dich nie verraten, denn dazu hätte ich dir vorher die Treue schwören müssen und das habe ich nicht. Es war deine eigene persönliche Entscheidung mir zu vertrauen. Ich hatte dich nie darum gebeten…“
 

Kato wirbelte wütend herum und wollte das Bunny anfahren, was ihr einfalle so etwas Dreistes zu behaupten, doch die Worte blieben ihm bei ihrem Anblick im Halse stecken…
 

Gedankenverloren war ihr Blick zum Himmel gerichtet und in ihrem dunklen Haar hatten sich ein paar weisse Schneeflocken verfangen. Es war ein schönes Bild und liess den Sklaven für einen Moment vergessen, dass er eigentlich wütend war.
 

„Du hättest besser daran getan, mir nicht zu vertrauen…“ entgegnete sie leise ohne ihn dabei anzusehen.
 

Kato schluckte einen Kloss in seinem Hals herunter. Die Empörung von vorhin war weitgehend verpufft und hatte einer schwermütigen, fatalistischen Neugier Platz gemacht.

„Warum passiert das hier alles?
 

„Es ist Krieg…“
 

„Das hast du schon mal gesagt, aber ich will wissen weswegen!“

Diese Melancholie bekam ihm überhaupt nicht. Feinde, Verräter, hatten gemein und höhnisch zu sein, nicht nachdenklich! Das passte nicht in Katos Auffassung von Gut und Böse, geschweige denn in sein Höllenbild. Ausserdem wäre es ihm leichter fallen, sie zu hassen und den Märzhasen von früher abzuschreiben, wenn sie sich auch wie ein richtiger Bösewicht verhalten hätte.
 

Als hätte sie seine Gedanken vernommen, wandte sich das ehemalige Bunny ihm wieder zu.

Sie mustere ihn nachdenklich. Obwohl ihre Lippen von einem kleinen Lächeln umspielt wurden, wirkten ihre Augen traurig. „Weil wir hier die Bösen sind und unser einziger Lebenszweck Tod und Zerstörung ist…“

Kato zog die Stirn kraus und starrte sein Gegenüber wortlos an. Das war genau das, was der Hutmacher ihm erzählt hatte. Die Nephilim waren böse… ohne Begründung. Einfach so, einfach nur böse… von Geburt an und unabänderlich.
 

Kato nickte. Es galt mehr sich selbst als seinem Gegenüber.
 

„Das war jetzt die schlechteste Begründung aller Zeit.“
 

Das Bunny lachte verhalten auf. „Ja, da hast du vielleicht recht, Haustierchen. Aber das, was uns in den Augen der anderen böse macht, ist mehr die Tatsache, dass wir ‚anders’ sind als sie...“ Sie machte eine Pause und schaute dem Sklaven direkt in die Augen. „Aber so Unrecht haben sie vielleicht gar nicht, denn wir sind tatsächlich nicht wie unsere Väter, die Engel. Auch nicht wie unsere Mütter, die Menschenfrauen. Und schon gar nicht wie die Dämonen hier in der Hölle…. Wir sind tatsächlich anders als alle von Gott erschaffenen Kreaturen. Wir sind die Nephilim.“
 

Kato musterte sie schweigend. Er verstand was sie sagen wollte und verstand es auch wieder nicht…

Die ganze Diskussion verwirrte ihn zutiefst und schürte aber gleichzeitig in seinem inneren einen Funken Wut, den er längst erloschen geglaubt hatte. Es war jener, der früher immer aufgeglüht hatte, wenn er an seine verkorkste Kindheit und Familie zurückdachte. Als er noch klein gewesen war, hatte er nicht verstanden, warum Vater ihn hasste und Mutter ihn mied. Er hatte bloss ihre Liebe und Zuneigung gewollt, so wie jedes Kind…
 

Er verdrängte den Gedanken wieder. Das war nicht gut, für seinen momentan sowieso schon viel zu aufgewühlten Gemütszustand.
 

„Dann wollt ihr also die Hölle erobern?“ Themawechsel. War immer gut, um unangenehme Eigenassoziationen loszuwerden und schliesslich konnte es nicht schaden für Luzifer ein paar Infos zu sammeln… Zumindest konnte er sich das einreden.
 

Das Bunny grinste ob Katos undezentem Versuch ihr Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, stieg aber so enthusiastisch darauf ein als sässen sie beim Kaffeekränzchen: „Nicht nur die Hölle, mein Guter. Nein, wir werden auch Assiah einnehmen und wenn wir das geschafft haben…“ Sie hob den Finger, wie jemand der von einer grossen Vision sprach. „…werden wir den Himmel unterwerfen. Jetzt wo Gott tot ist, sollte das ein durchaus erreichbares Ziel sein!“

Kato nickte und hätte sich im selben Augenblick ohrfeigen können. Warum hatte es bloss wieder so einen Mist gefragt, war ja klar, dass sie ihn verarschen würde… oder hatte sie das etwa doch ernst gemeint?! Er warf ihr einen skeptischen Blick aus den Augenwinkeln zu. Wäre sie die Person, für die er sie einst gehalten hatte, so hätte er es als Spass abgetan, aber da sie bereits bewiesen hatte, dass sie alles andere als der nette Hase aus dem Wunderland war, war er sich plötzlich nicht mehr so sicher.

„U-und was wird dann aus all den Bewohnern, wenn ihr die Hölle, die Erde und den Himmel erobert habt?“

Wenn sie jetzt anfangen würde zu lachen und ihm mit einem spöttischen Gesichtausdruck durch die Haare wuscheln oder ihm wahlweise auch vorhalten würde, wie einfältig und naiv er doch war, dann hatte sie Spass gemacht. Wenn nicht…

Kato atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Sie sollte bitte Spass gemacht haben, bitte! Als er die Augen wieder öffnete, sah er sich einer Frau mit neutralem Gesichtsausdruck gegenüber und er wusste, bevor sie etwas erwiderte, dass es ihr todernst gewesen war. „Es gibt Opfer, die muss man einfach in Kauf nehmen, wenn man ein Ziel hat… So läuft das im Krieg.“
 

Nun war es an Kato den Blick nachdenklich gen Himmel zu wenden. „Dann bin ich so ein Opfer, das man in Kauf nehmen muss?“

Für einen Moment schien sein Gegenüber zu zögern, doch dann ertönte ein leises „Ja….“
 

Kato seufzte tief. Die Antwort überraschte ihn nicht. Trotzdem war es etwas anders, es bewusst gesagt zu kriegen, als es nur zu ahnen.

„Was wird jetzt mit mir geschehen?“
 

„Vorläufig noch nicht viel…“ Der ehemalige Märzhase war neben ihn getreten und schaute nun zusammen mit den Sklaven in den trüb-grauen Himmel. „…Wenn du dich zusammenreisst und nicht wieder die Schattenfeen provozierst, solltest du bis zur Rückkehr der ersten Streitmacht nichts zu befürchten haben.“

Eine Hand hatte sich in einer schon beinahe tröstenden Geste auf seine Schulter gelegt. Kato war es egal…

„Und was wird passieren, wenn sie zurückkommen?“ Eigentlich glaubte er die Antwort auf diese Frage auch schon zu kennen. Doch der Masochist in ihm konnte es nicht lassen, sie trotzdem zu stellen.

Sie seufzte und zog ihre Hand wieder weg. „Du hast doch sicher schon davon gehört, wie sich lagernde Soldaten und Krieger aufführen, oder?“
 

Kato gab keine Antwort.
 

TBC
 

[1] Falls ihr euch noch an die erste Schattenfee in Kapitel 6 erinnert, deren Name war Ombra (ital. Schatten). Hier begegnen wir hingegen einer Ombre (franz. Schatten). Heisst natürlich dasselbe^^ aber da es ja Französisch sein sollte, wird es mehr /ombr/ gesprochen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  dark-butterfly
2009-09-10T18:21:29+00:00 10.09.2009 20:21
oha!
Kato ist knuffig...
Das der Arme friert wundert mich echt!
Das Outfit der Hölle müsste doch eigendlich recht heiß sein?
Ich hab erst mal einige Minuten gebraucht um weier lesen zu können so einen Lachanfall hatte ich ^^
Aber echt wenn man Kato sich da Vorstellt... *lach*
Luzifer soll ihn retten auch wenn er es NIE zugeben würde... nee
natürlich nicht...
Das mit dem Märzhasen tut mir irgendwie Leid wo sie Kato ja anscheinend echt irgendwo mag und er sie ja auch mochte.

Okay... ich bin gespannt was im nächsten Kapi so kommt

lg d-b


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