Familienidylle
Lost Angel – Die Flügel wachsen wieder
Kapitel 2 – Familienidylle
Jesko's PoV
Das er mich doch so einfach auf der Couch sitzen ließ. Das hätte er noch vor ein
paar Monaten nicht gemacht. Da konnte er doch kaum von meiner Seite weichen.
Nachdem ich Pio getötet hatte wurde er richtig anhänglich. Keine Sekunde wich er
mehr von meiner Seite. Die Angst war ihm manchmal buchstäblich ins Gesicht
geschrieben.
Die anderen Werwölfe hatten es gespürt, dass er sich verändert hatte. Nicht nur,
dass er für einen Tag ein Mensch war, auch das Blut, das er jetzt in sich hatte,
konnten sie spüren. Wahrscheinlich überdeutlich.
Wütend hatten sie ihn manchmal an geknurrt. Wie, als ob er ein Monster wäre.
Aber für sie war er das wohl sogar. Von Anfang an. Behandelt hatten sie ihn
schon fast so, wie sein Clan jahrelang – und wohl jetzt auch noch – mit den
Werwölfen umsprangen.
Ich ließ den Kopf in den Nacken fallen und breitete die Arme auf der Rückenlehne
aus. Manchmal saß er abends, wenn der Kleine schon im Bett war, auf meinem
Schoss, wenn ich es mir so auf dem Sofa bequem machte. Da war er es dann, den es
nicht interessierte, dass Felix uns vielleicht hören könnte. Nur das er nie
wirklich weit ging. Ein bisschen rumknutschen und fummeln. Weiter ging er nicht.
Fast so, als ob er es sich nicht trauen würde.
Ein Seufzen verließ meine Kehle. Bisschen miteinander rummachen wäre doch
wirklich einmal wieder schön. So wie am Anfang. Da, wo er mich eigentlich nur
für seine Spielchen ausnutzen wollte. Irgendwie war das damals schon schön.
Dass das auch gerade einmal fünf Monate her war konnte ich schon fast gar nicht
fassen. Eigentlich war es gar nicht lange, aber für mich wirkte es lang genug.
In dieser Zeit hatten wir von einander gelernt. Er von mir wirklich glücklich zu
sein und umgekehrt hatte er mir alles in Sachen Verwöhnen und Sex beigebracht.
Ich schloss für einen Moment die Augen. Da hörte ich aber auch schon, wie jemand
die Tür öffnete.
„Wart' einen Moment, Felix“, hörte ich Jemil sagen und wie er durch den Raum
wuselte. Ich hob leicht wieder ein Lid und sah noch, wie der Vampir den Vorhang
zuzog.
Noch im selben Moment stürzte sich der kleine Hybride auf mich.
„Hey, nicht da!“, kicherte ich, als der Jüngere auf einmal anfing mich zu
kitzeln. Ich konnte mich vor lachen nicht mehr einkriegen, bis Jemil Felix am
Kragen von mir herunter zog.
„Die Stelle gehört mir!“, meinte er und zog die Augen zu Schlitzen zusammen.
Fragend blickte mich der Kleine an. „Stimmt das?“
Ich nickte nur. Immerhin wusste ich auch, wo Felix seine Finger hatte und das
gehörte wirklich Jemil. Sonst würde ich da aber auch niemanden ranlassen. Dafür
war einfach der Vampir zuständig.
Da ließ dieser den Kleinen aber auch schon wieder los, setzte sich neben mich
und kuschelte sich auch sofort an mich. Das ging aber nicht lange, da sich schon
Felix zwischen uns drückte.
„Was machen wir heute?“, fragte er und sah immer wieder zwischen mir und Jemil
hin und her.
„Satôbi wollte eigentlich mit Venanzia vorbei kommen“, erwiderte der Blonde da
schon und schob Felix etwas mehr auf meinen Schoss, so das er sich wieder an
mich lehnen konnte. Wir könnten so fast wie eine kleine, glückliche Familie
wirken. Wenn Jemil vielleicht etwas mehr, wie ein Mädchen aussehen würde. Da er
schon so hübsch war, wie es der kleine Hybrid sagte und der ihn auch noch
manchmal Mama nannte. Er wäre doch eigentlich sicher auch eine schöne, junge
Frau.
„Ich hab von Anfang an gesagt, wir müssen uns einen Fernseher anschaffen“,
meinte ich da auf einmal. Das war doch wirklich eines der Dinge, die wir nicht
hatten. „Kommt doch ohnehin nie was Anständiges“, murrte da aber schon Jemil
neben mir und schmiegte sich noch etwas an mich. Genauso auch Felix. Irgendwie
fühlte ich mich auf einmal richtig eingeengt.
„Mädels?“, fragte ich, als es mir irgendwie so vorkam, als ob sie beide
eingeschlafen wären. Sonst passierte das ja eigentlich nur abends und dann
nickte auch eigentlich nur Jemil neben mir ein. Der kleine Hybrid hätte
wahrscheinlich Energie bis in die späte Nacht hinein, wenn er nicht ins Bett
müsste.
Mir entfuhr ein kurzes Auflachen. Felix auf meinem Schoss und Jemil an meine
Schultern gelehnt. Beide waren wohl in die süßesten Träume versunken. So ganz
hatten sie sich da dann trotzdem noch nicht daran gewöhnt tagsüber wach zu sein.
Dabei hätte ich eigentlich gedacht, dass es schon längst so wäre.
Ich strich dem Vampir leicht über die Wange. Nachts wälzte er sich immer
stundenlang im Bett nur hin und her. Wenn ich ihn wohl nicht in den Arm nehmen
würde, dann käme er nie zur Ruhe.
Und jetzt schlief er sogar einmal richtig friedlich. Meine süße, kleine
Fledermaus. Behutsam schob ich den Hybriden von meinem Schoss und auch Jemil
konnte ich – ohne das er aufwachte – auf die Couch legen, bevor ich aufstand.
Für mich wäre es wohl schon etwas unbequem geworden.
Da erfüllte aber schon das Geräusch der Türglocke die Wohnung. Ich wendete mich
noch kurz zu den beiden Schlafenden. Scheinbar hatte es sie nicht geweckt. So
marschierte ich geradewegs zur Tür.
Das waren ohnehin nur Satôbi und Venanzia. Wer sollte uns aber auch sonst
besuchen? Jemil war es zu gefährlich, sich mit jemanden anzufreunden. Dem hatte
ich mich aber schon einige Male widersetzt. Mit dem Mädchen, das auf dem Markt
Gemüse und Obst verkaufte, unterhielt ich mich liebend gerne. Meistens bekam er
das nicht mit.
Doch gerade als ich die Wohnungstür öffnete kam mir dieser eine Moment wieder in
den Sinn. Wie sich Venanzias Zähne in Jemils Hals vergruben. Er hatte ihr
erlaubt etwas von seinem Blut zu trinken – so wie er es Felix auch erlauben
wollte. Seit dem konnte sie auch das Tageslicht genießen. Bei ihr hatte er auch
keinen Moment gezögert, es ihr zu erlauben, wohingegen er bei dem kleinen Felix
fast schon ein Drama daraus machte.
„Hi, Sa...“ Mir stockte der Atem. Das war nicht der Werwolf und seine Hybrid-
Freundin, die da vor mir stand. Keiner von beiden. Eine Gestalt in einem langen,
schwarzen Mantel gehüllt befand sich da vor mir. Die Kapuze tief ins Gesicht
gezogen, sodass ich nicht einmal erkennen konnte, ob die Person eine Frau oder
ein Mann war.
Da streckte die Gestalt aber schon die Hand nach mir aus, von der sie aber erst
einen ebenso tiefschwarzen Handschuh abnahm. Sie berührte meinen Hals. Lange
Fingernägel streiften meine Haut. Ein Vampir. Da war ich mir sicher.
„Du bist es. Derjenige, den er liebt“, flüsterte eine hohe Frauenstimmen. Mit
einem leichten Schwung fiel die Kapuze zurück und es offenbarte sich, was ich
gedacht hatte. Das Mädchen, das vor mir stand, hob leicht die Oberlippe. Die
scharfen Eckzähne fielen wir zuerst ins Auge. Die mussten tödlich sein.
Erst dann bemerkte ich es. Ihre Augen waren weiß. So, als ob sie blind wäre. Und
so wirkte sie auch. Als würde sie mich gar nicht sehen.
Ihre dünnen Finger glitten an meinem Hals hinunter. Bis zu meiner Brust und
drückte dort leicht dagegen. Für einen Augenblick hielt ich die Luft an. „Ja, du
bist es. Der Werwolf den Jemil liebt.“
Woher wusste sie das nur? Und woher kannte sie Jemil?
„Wer bist du?“, fragte ich, als sie ihre Hand sinken ließ. „Oh, wie unhöflich
von mir.“ - Sie deutete einen Verbeugung an. - „Mein Name ist Talinda und wie
ich meine kennst du meinen Halbbruder.“
„Jemil?“, fragte ich verwirrt. Die Schwarzhaarige nickte langsam. „Genau den.“
Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Wieder blitzten für
einen Augenblick ihre Eckzähne auf.
„Kann ich rein kommen?“, fragte sie da auf einmal und trat ein ohne auf meine
Antwort zu warten. Ich wirbelte nur herum. Als ob sie sehen könnte, bewegte sie
sich durch den Flur.
„Schön habt ihr es hier“, meinte sie da auf einmal. War sie vielleicht doch
nicht blind und ich hatte es nur eingebildet, dass ihre Augen leer waren.
Da drehte sie sich aber schon wieder zu mir herum und dieses Mal sah ich es ganz
deutlich. Sie konnte sicherlich nichts sehen.
Langsam kam Talinda wieder auf mich zu. Zaghaft hob sie die Hände und berührte
dieses Mal meine beiden Wangen.
„Du bist hübsch. Da hatte mein kleiner Bruder ja einen guten Geschmack.“ Etwas
nervös sah ich mich bei ihren Worten um. „Ja, du bist wirklich ein hübscher
Werwolf.“
Bei vielen anderen Vampiren hatte ich immer einen herablassenden Unterton in der
Stimme gehört, wenn sie auch nur den Namen meiner Rasse aussprachen. Bei ihr kam
mir das aber nicht so vor. Sie sprach so, als ob wir für sie genau die gleiche
Stellung hätten. Für die meisten anderen Blutsauger war das nicht so.
„Jesko?“ Sich verschlafen die Augen reibend kam Jemil aus dem Wohnzimmer. Da
bemerkte er aber erst Talinda. Sie hatte sich zu ihm gewendet und blickte ihn
prüfend an – als ob das gehen würde.
Der Blick des jüngeren Vampirs nahm einen geschockten Ausdruck an. „Was machst
du denn hier?“, fragte er irritiert.
„Ich wollte deinen Liebsten kennenlernen“, erwiderte Talinda aber nur und sie
klang dabei richtig glücklich. Ob sie das wirklich wollte? Es musste doch für
sie auch eine Schande sein, dass Jemil sich in einen Werwolf verliebt hatte. In
mich.
„Also können wir dann wieder gehen?“ Ich wirbelte herum und wer da fast schon
lässig an der Tür lehnte hätte ich wohl auch nicht gedacht. Nicht gerade ihn.
„Devin? Na toll“, murmelte ich. Er wollte Jemil schon einmal dazu bringen,
wieder zurück zukommen. Damals hatte er sich aber schon geweigert. Das Gleiche
würde er wohl dieses Mal auch wieder tun, nur ob sich der andere davon wieder
überzeugen ließe, war die Frage.
Leicht drückte sich der Rothaarige weg und stapfte an mir vorbei zu Talinda.
„Was ist?“, fragte er sie genervt. Langsam wanderte ihr Blick zu ihm. Ist wirkte
richtig komisch, wenn sie jemanden ansah.
„Wir könnten doch noch etwas hier bleiben“, meinte die Schwarzhaarige da nur
knapp. Sie blickte direkt zu mir und meinte: „Hast du etwas dagegen?“ Das sie da
gerade mich fragte?
Ob Talinda bemerkt hatte, wie ich die Augen zu Schlitzen zusammen zog.
Vielleicht spürte sie es innerlich. Sehen konnte sie es ohnehin nicht.
Ich blickte jedoch nur Jemil fragend an. Genau so einen Blick warf er mir aber
auch zu. Es kam mir fast so vor, als ob er zuerst den Kopf schütteln wollte,
doch dann nickte er langsam. „Ist schon o.k.“, meinte er da auch schon, „ich
kann ja kaum meine eigene Schwester einfach rausschmeißen.“
Da seufzte aber schon Devin überdeutlich. „Wir wollten doch gleich wieder
zurück“, murrte er überdeutlich.
„Du kannst ja meinetwegen gehen.“ Talinda klang richtig gelassen. Es
interessierte sie wohl wirklich nicht, ob der Rothaarige noch länger hier
bleiben würde. Etwas eingebildet war sie für mich dadurch schon.
Auf einmal ging sie schnurstracks auf Jemil zu. So schnell konnte ich gar nicht
schauen, wie ihre Arme um seinen Hals lagen. „Wie ich dich doch vermisst habe,
kleiner Bruder.“ Der jüngere Vampir wirkte davon irgendwie gar nicht begeistern.
Und ich genauso wenig.
Nur wirkte es bei Jemil eher, als ob es ihm unangenehm wäre. Oder als ob er vor
etwas Angst hätte. Gerade, als ob sie etwas merken könnte.
„Du riechst so extrem nach Vampir.“ Talinda klang etwas verwirrt. Da hörte ich
aber schon ein weiteres Mal die Wohnzimmertür.
„Mama“, flüsterte Felix und schniefte. Jemil löste sich abrupt von der
schwarzhaarigen Vampirin und wendete sich dem Kleinen zu. Zärtlich nahm er ihn
in den Arm.
„Was ist denn, Spatz?“, fragte der Blonde und legte behutsam die Arme um den
Hybriden. „Wer ist die komische Frau und der rothaarige Kerl?“, wollte der
Jüngste wissen, als er sich langsam wieder von Jemil löste.
„Weißt du Felix, dass sind Tante Talinda und Onkel Devin.“ Ich konnte mir ein
Kichern nicht verkneifen, als der Vampir das sagte. Der Hybride legte noch im
gleichen Moment den Kopf schief und grinste. Das gefiel ihm jetzt wohl.