Prolog
Lost Angel – Die Flügel wachsen wieder
Prolog
Jemil's PoV
Fünf Monate. So lange war Pios Tod jetzt schon her. Und wir hatten unsere Ruhe.
Niemand hatte uns mehr verfolgt. Unbeschadet waren wir jetzt vor einen guten
viertel Jahr wirklich in Transsilvanien angekommen. Ab der Grenze von Rumänien
spaltete sich auch langsam die Gruppe auf. Bis wir – ich, Jesko und Felix, der
sich einfach nicht mehr von uns trennen wollte – nur noch mit Satôbi und
Venanzia unterwegs waren. Wir hatten es uns dann irgendwann in Sibiu gemütlich
gemacht. Was auch gar nicht einmal so schwer war – wenn man sich durch zu Fall
in seiner Manteltasche einige Kreditkarten entdeckte, die wohl zuvor dem eigenen
Halbbruder gehörten.
Wir hatten es uns gut gehen lassen. Ich, Jesko und Felix. Wir waren eine
richtige kleine, glückliche Familie, wie man sie sich wünschte. Nur das uns eben
die Frau fehlte. Und das der kleine Hybride das Sonnenlicht immer noch nicht
vertrug. Durch Pios Blut konnte es zumindest mir nichts mehr schaden. Er hatte
sich zuvor Verona geschnappt. Der Älteste bis dato lebende Vampir. Und sie war
etwas Besonderes. Eins hatte es nur einen Vampir gegeben, der angesehener war,
als sie. Aber der starb schon, bevor ich überhaupt geboren worden war. Von einer
Frau getötet worden. Von der Frau, die er liebte.
Ich würde vielleicht Jesko irgendwann auch so weit bringen müssen. Und dann
könnte er sich auch in jemanden von seiner Art verlieben. Irgendwann.
Möglicherweise. Das könnte ihm vielleicht genauso gut tun, wie wenn ich einmal
einen Vampir treffen würde. Aber bis dahin verging noch Zeit. Viel Zeit. Mir war
es ohnehin lieber, wenn wir zusammen bleiben könnten. Nur wir drei. Weiter eine
kleine, glückliche Familie sein. Eine, die ich früher nie hatte. Es tat doch mir
wirklich nur zu gut jemand um mich zu haben, der mich wirklich liebte. Dem ich
etwas wert war. Etwas, was ich vor Jesko nie hatte.
Jesko's PoV
So viel Zeit war jetzt schon vergangen. So viele Nächte in denen sich Jemil
völlig verängstigt auf einmal an mich geklammert hatte. Meistens plagten ihn
Albträume. Immer noch von Pio. Kaum dass er schlief, rollte er sich meistens
schon hin und her. Das ging schon so lange, seit wir in Sibiu waren. Davor hatte
er es vielleicht alles verdrängen können. Aber jetzt? Es quälte ihn. Von Nacht
zu Nacht mehr. Und ich konnte ihm nicht einmal helfen. War machtlos gegen diese
Träume. Ich konnte ihm immer einfach nur beistehen. Ihm immer wieder sagen, dass
ich bei ihm war.
Doch eins konnte er jetzt genießen. Die Sonne. Nur wegen des Blutes seine so
verhassten Bruders. Und der hatte davor das von einer gewissen Verona getrunken.
Jemil hatte mir in den letzten Wochen immer noch nicht gesagt, wer sie war. Nur
das sie eine verdammt alte Vampirin gewesen sein musste. Eine der ältesten, die
es überhaupt gegeben hatte. Nur Vlad III. Drăculea – oder wohl besser bekannt
als Dracula - war älter gewesen, als er starb.
Aber selbst das wunderbare warme Licht der Sonne half ihm nicht gegen seine
Träume. Nicht einmal ich könnte ihn davon erlösen. Er müsste sie selbst
überwinden müssen. Immer daran denken, dass Pio ihm nichts mehr tun könnte. Und
solange Jemil nicht ruhig schlafen könnte, würde ich es auch nie können. Nur
sein Wohl interessierte mich eigentlich wirklich. Und das von Felix.
Der Kleine war aber auch meinem Vampir sehr wichtig. Er wollte immer nur, dass
es ihm gut ging. Nichts durfte dem Hybriden passieren. Jeder, der ihn auch nur
falsch anrühren wollte, hatte schon Jemils wütendes Knurren gehört. Manchmal
führte er sich schon etwas, wie eine Mutter auf, die sich nur um ihr Kind
sorgte. Doch gelegentlich war das schon zu extrem. Aber vielleicht war das auch
einfach nur ein klein wenig Beschützerinstikt dem Kleinen gegenüber.
Felix tat ihm aber auch wirklich gut. Er lachte mit ihm. Immer wieder. Und der
Klang seiner Stimme war dann so schön. Brannte sich regelrecht in mir fest.
Es verging aber kein Tag, an dem Felix Jemil nicht einmal zumindest zu kichern
brachte. Manchmal erfühlten sie das ganze Haus damit. Und das schon am frühen
Morgen. Obwohl doch Jemil Felix umgewöhnte – und es selbst auch schon war. Er
sollte nachts schlafen. Dann würde der Vampir ihm einmal ein paar Tropfen seines
Blutes geben, nur damit der Kleine die Sonne auch genießen konnte. Dann wären
wir wohl wirklich fast normal.
Luca's PoV
Wie konnte er ihm das nur antun? Meinem Bruder und seinem Halbbruder. Als ich
davon hörte, als ich nach Jahren wieder zurückkam, hatte ich es gar nicht
glauben wollen. Aber nur er konnte es gewesen sein. Er tötete meinen Bruder.
Meinen geliebten Bruder. Den einzigen, der noch wirklich zu mir hielt. Sonst gab
es doch nur noch meine Schwester Talinda. Und die hatte ich auch so lange nicht
mehr gesehen. Für das, was in unserem Clan vorging interessierte sie sich schon
gar nicht mehr. Und Vater und Mutter waren wir, ihre Kinder, ohnehin egal. Wir
sollten nur die Familie irgendwann fortsetzen.
Doch er würde das nie tun. Er. Dieses Halbblut. Mit einem Werwolf war er
durchgebrannt. Nicht einmal Mila, mit der Vater ihn verlobt hatte, brachte ihn
dazu wieder zurückzukommen. Aber jetzt war er ohnehin für den Großteil unseres
Clans gestorben. Er war eben ein Mörder. Sogar der von einem seiner eigenen Art.
Wenn er doch liebe diese Missgeburt von Werwolf getötet hätte. Das wäre um
Längen besser gewesen. Einen Wolf mehr oder weniger hätte niemanden
interessiert. Aber er hatte diesem Biest kein Haar gekrümmt. Es ging aber auch
das Gerücht um, dass er mit diesem Monster wirklich zusammen wäre. Das er mit
ihm schlief. Er war eine Schande für unsere gesamte Art. Wie konnte er sich aber
auch nur mit einem niedrigen Sklaven abgeben und mit dem vielleicht auch noch
Sex haben. Er gefleckte unseren Ruf. Unsere ganze Art. Vom Ersten bis zum
Letzten.
Aber jetzt verfolgte ich ihn. Mit meinem Leibwächter Tofan und dem Wolf, der mir
zugeteilt worden war. San hieß er, wenn ich mich nicht irrte. Beide recht
unbrauchbar. Der Vampir warf mir nur schmachtende Blicke zu und der Werwolf war
eben nur ein solcher. Dumm, wie jeder andere seiner Art. Ich würde mit so einem
Wesen nie etwas anfangen können. Die verstanden uns doch nicht einmal richtig.
Meistens musste man ihnen etwas zwei Mal oder sogar drei Mal sagen, bevor sie
überhaupt wussten, was sie tun sollten.
Doch zumindest wurde ich nie angegriffen. Weder von Werwölfen, noch von
streunenden Vampiren, die keinem Clan angehörten. Kein Wesen der Nacht traute
sich an mich heran. Und ein anderes könnte mir doch ohnehin nichts anhaben.
Tofan und San waren doch nur wegen meines Vaters mitgegangen. Mir hätte ja etwas
passieren können. Dabei konnte ich mich gut genug selbst verteidigen. Im Kampf
war ich trainiert worden. Mit Leichtigkeit würde ich es doch mit so einem
herumtreibenden Köter aufnehmen können.
Was sollte mir aber schon groß zustoßen? Ich war ein Vampir. Zwar mit meinen 15
Jahren noch jung, aber schon stark genug um mich selbst zu verteidigen. Und er
würde das auch zu spüren bekommen. Dieses verdammte Halbblut. Er würde dafür
bezahlen, was er meinem Bruder angetan hatte. Dafür würde er nie wieder das
Licht des Mondes sehen. Und das der Sonne ohnehin nicht.
Mila's PoV
Eigentlich wollte ich ihn nicht mehr suchen. Er hatte sich doch entschieden. Für
den Werwolf. In den er sich verliebt hatte. Ich wäre da nur fehl am Platz. Aber
meine Gefühle für ihn konnte ich auch nicht unterdrücken. Nur deswegen hatte ich
angefangen ihn wieder zu suchen. Auch wenn ich seinen genauen Aufenthaltsort
nicht kannte. In Transsilvanien soll er von einigen Vampiren gesehen worden
sein. Dort könnte ich ihn vielleicht sogar finden.
Und ich hatte jetzt sogar eine Verbündete. Eine Werwölfin. Sie hieß Lana und war
wohl in den Werwolf, der bei meinem Liebsten war, verschossen. Und somit hatten
wir doch das gleiche Ziel. Wir wollten sie wieder auseinander bringen, damit sie
zu uns zurückkehrten. Wir waren es doch, die sie wirklich liebten. Sonst
niemand. Nur wir. Was sollten sie schon mit dem jeweils anderen. Die gehörten
doch nicht einmal ihrer Art an. Und immerhin waren sie doch beide Kerle. Das war
doch noch grässlicher, als das sie Vampir und Werwolf waren.
Er hatte mich doch nur nie verstanden. Nie gespürt, was ich für ihn empfand.
Lana ging es genauso. Der Wolf konnte sie nicht verstehen. Aber vielleicht
könnten wir sie noch zu uns zurück bringen. Nur finden mussten wir sie. Unsere
Liebsten. Die, die uns am teuersten waren. Etwas anderes wollten wir doch gar
nicht.
Jemil und Jesko. Mein Vampir und ihr Werwolf. Für die wir doch eigentlich
geschaffen waren und nicht sie füreinander. Ihre Liebe war nicht einmal erlaubt.
Die, die wir gegenüber ihnen hegten schon. Sie würden das auch noch verstehen.
Und das war dann unsere Chance. Sie gehörten doch uns. Wir liebten sie. Nur wir!
Sie bildeten sich doch ihre Liebe nur ein. Was sollten sie denn schon
füreinander empfinden können.