Zum Inhalt der Seite

Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ägyptisches Gambit

Wie es schien, beabsichtigte Akunadin Seth zunächst im Ungewissen zu lassen, sodass dieser sich gründlich Gedanken und Sorgen darüber machen konnte, wie seine Strafe wohl aussehen würde. Konnte doch die durch Unsicherheit und Angst genährte Vorstellungskraft eines Menschen oft eine weit schrecklichere Strafe darstellen, als die letztendlich erteilte Strafe selbst.
 

Seth war in dieser Zeit tatsächlich unruhiger als gewöhnlich, allerdings verhinderte die ihm eigene Sturheit, dass er sich anmerken ließ, wie sehr diese ungeklärte Situation an seinen Nerven zerrte. Vielmehr konzentrierte er sich noch mehr als zuvor auf seine Studien und auch die Arbeit in der Kanzlei lenkte ihn von seinen Sorgen ab. Während er auf diese Weise allmählich zu einem geschätzten Mitarbeiter in der Kanzlei wurde und sich nach und nach das benötigte Vertrauen erarbeitete, um ungehinderten Zugang zu den für ihn interessanten Akten zu erhalten.
 

Schließlich war es so weit, zwei Wochen nach dem Vorfall im Thronsaal, erhielt Seth die Anweisung Akunadin zu begleiten und ihm zu Diensten zu sein. Ihr Weg führte sie zu einer Hinrichtungsstätte, etwas außerhalb der Stadt, wo an diesem Tag drei der Grabschändung überführte Männer gepfählt werden sollten. Die Verurteilten wirkten verschmutzt, abgezehrt und verzweifelt, einer von ihnen murmelte unablässig unverständliche Worte vor sich hin, die nach einem Gebet klangen, die anderen beiden starrten in dumpfer Hoffnungslosigkeit vor sich hin, während ein kleiner Trupp Sklaven mit geübten Bewegungen die Löcher für die Pfähle aushob und die Pfähle selbst vorbereitete.
 

Als Akunadin und Seth die Hinrichtungsstätte erreicht hatten und von ihren Pferden stiegen, hielten die Sklaven kurz in ihrem Tun inne, um den Tjt angemessen zu begrüßen, während sich die bei den Gefangenen stehenden Wachmänner höflich verneigten und der Aufseher der Sklaven auf den Tjt zugeeilt kam, um ihn zu begrüßen, ihm zu versichern, dass es eine Ehre für ihn wäre so hohen Besuch begrüßen zu dürfen und die Hinrichtung problemlos von statten gehen würde.
 

Seth hatte dem Mann aufmerksam zugehört, den Blick auf die Verurteilten und die Pfähle so lang wie möglich meidend, während der Tjt vollkommen unberührt von dem bevorstehenden Tod dreier Menschen zu sein schien.
 

Als der oberste Priester in Begleitung Seths von dem Aufseher zu einem vorbereiteten Platz unter einem Schatten spendenden Sonnensegel geführt wurde, dabei zielstrebig an den Gefangenen vorbeigehend, ohne diese zu beachten, warf sich der Mann, der zuvor unablässig vor sich hin gemurmelt hatte, dem Tjt zu Füßen und bat mit flehender Stimme: „Gnade, Herr, ich tat es nur, um meine Familie zu ernähren. Gnade, ich werde es auch nicht wieder tun.“ Die Wachmänner waren sofort bei dem Mann und sorgten auf schmerzhafte Art dafür, dass der oberste Priester nicht länger von dem Verurteilten belästigt wurde, sondern ebenso wie die Anderen zu einem der drei am Boden liegenden, angespitzten Holzpfähle geführt wurde.
 

Seth schluckte nervös, als er zusehen musste, wie die Männer an Händen und Füßen gebunden sich in den Sand legen mussten und so an den angespitzten Holzpfählen befestigt wurden, dass sie langsam und qualvoll von dem angespitzten Ende durchbohrt werden würden, sobald die Sklaven die Pfähle aufgerichtet hatten.
 

Der Junge wusste, dass es eines der schlimmsten Vergehen war, die Wohnstatt eines Menschen, der in das nächste Leben eingegangen war, zu plündern und zu schänden, darauf stand der Tod durch den Pfahl, aber es erschien ihm dennoch unnötig hart und grausam, es musste eine andere Möglichkeit, einen Ausweg für diese Männer geben…
 

„Bitte, lass sie begnadigen“, ohne nachzudenken hatte Seth diese Worte ausgesprochen, während er plötzlich das Gefühl hatte, sich selbst und den Tjt aus einiger Entfernung unbeteiligt zu beobachten und nicht in der Lage zu sein, in die Situation einzugreifen. „Sie bereuen, was sie getan haben, lass sie ihre Strafe im Steinbruch abarbeiten, das wird genügen.“ Kühl und ablehnend sah Akunadin den Jungen an, „wagst du es schon wieder die bestehende Ordnung Kemets in Frage zu stellen? Es ist allgemein bekannt, welche Strafe auf Grabschändung steht, wenn wir nicht das Gesetz befolgen, wird es niemand tun und Isfet wird an Macht gewinnen.“
 

„Wenn du ihre Familien gegen dich und den König aufbringst, wird Isfet sehr viel mehr Macht gewinnen, als wenn du drei Menschen eine mildere Strafe auferlegst und sie sich fortan an Recht und Gesetz halten“, erwiderte Seth überzeugt, während sich ein mulmiges Gefühl in seinem Bauch ausbreitete.

„Es gibt keine Garantie dafür, dass sie nicht erneut ein Verbrechen begehen, deshalb ist es besser schlechtes Korn gleich auszulesen, bevor es noch einen größeren Teil der Ernte in Mitleidenschaft zieht“, erklärte Akunadin unerbittlich, gab dem Aufseher das Zeichen mit dem Aufrichten der Pfähle zu beginnen und setzte anschließend seine Unterhaltung mit Seth fort. „Du schweigst? Du scheinst von deiner eigenen Ansicht nicht sonderlich überzeugt zu sein, wenn du so leicht verstummst.“

„Es macht für dich keinen Unterschied, was ich sage und es wird sie nicht retten, welchen Sinn hätte es noch Worte zu verschwenden?“, Seths Stimme klang bitter, in dem Wissen ein weiteres Mal versagt zu haben, während Akunadin unempfindlich gegen die Enttäuschung des Jungen erwiderte: „Es mangelt dir an Überzeugung, jemand der von seinem eignen Tun nicht überzeugt ist, kann nicht erwarten, dass es andere sind. Du hast diese Diskussion nicht begonnen, weil du der Meinung bist, dass es falsch ist, was hier geschieht, sondern weil du Mitleid mit drei einzelnen Menschen hattest. Die Mehrzahl derer, die auf diese Weise sterben, sind dir gleichgültig, weil sie für dich weder Namen noch Gesicht oder Persönlichkeit besitzen. Diese drei jedoch“, mit einer Bewegung seines Kopfes wies Akunadin auf die sich langsam in die Höhe richtenden Holzpfähle, an deren oberen Ende, an groteske Imitationen von Vögeln erinnernd, nun die drei Männer hockten, deren Darm und Blase sich in Erwartung dessen, was nun beginnen, würde reflexartig entleerten und so einen üblen Geruch nach Urin und Kot verursachten, während ihre Gesichter bereits von Schmerz verzerrt waren, „wolltest du nur retten, weil du ihre Angst spürst, ihre Hilflosigkeit und deshalb nicht mehr in der Lage bist klar zu denken. Mitleid hilft niemandem, es verursacht ausschließlich Schwäche. Wenn du lernst mir deine Überzeugungen frei von Gefühlen, mit unwiderlegbaren Argumenten nahezubringen, werde ich deine Meinung berügsichtigen. - Du wirst diesen Drei beim Sterben zusehen, bis du verstanden hast, was ich dir gesagt habe.“
 

Standhaft weigerte sich Seth zu den drei Gepfählten zu sehen, es genügte ihre Schreie zu hören, den Geruch nach Kot und Urin wahrnehmen zu müssen und die plötzlich lastende Hitze der Sonne zu ertragen. Er musste nicht auch noch sehen, wie diese Drei langsam, Richtung Boden rutschend von den Pfählen aufgespießt wurden, während sich Holz und Sand von ihrem Blut verfärbten. Stattdessen erwiderte er mit geballten Fäusten und einer Stimme die abgesehen von einem leichten Zittern keinerlei Gefühl verriet: „Du willst sagen, dass nur der über Macht und Einfluss verfügen kann, der lernt unerbittlich und hart gegen Andere zu sein.“
 

Ein schmales Lächeln glitt bei dieser Antwort über das Gesicht Akunadins, bevor er seinen Untergebenen, ohne auf dessen Worte einzugehen, aufforderte: „Sag mir, welche Strafe steht auf die Beleidigung der Götter?“ Wachsam starrte Seth auf den Mann vor sich, noch immer bemüht die Sterbenden auf ihren Pfählen möglichst auszublenden, während er vorsichtig erwiderte: „Das kommt auf die Schwere und Häufigkeit der Beleidigung an. Bei leichten Vergehen, genügt ein Bußopfer, bei schweren Vergehen wird dem Beleidiger die Zunge herausgeschnitten.“

„Der Hüter der beiden Länder gilt als Mensch gewordener Gott, sage mir also, welche Strafe gebührt dem, der den Erben des Horus der Dummheit und Unwissenheit beschuldigt?“
 

Der Junge schluckte bei dieser Frage, die der Tjt so gelassen stellte, als ginge es lediglich um einen theoretischen Disput und nicht in Wahrheit darum, dass Seth seine eigene Strafe festlegte. Es kostete ihn einige Mühe, halbwegs beherrscht und ruhig zu antworten, ohne sich seinen inneren Gefühlsaufruhr anmerken zu lassen, während er erwiderte: „20 Peitschenhiebe oder 10 Schläge mit dem Stock.“
 

Gleichmütig wandte der Tjt den Blick von den sterbenden Sträflingen ab und dem Jungen neben sich zu, taxierte ihn für einen Moment schweigend und erkundigte sich dann kühl: „Welche Strafe würdest du vorziehen?“ Seth benötigte nicht lang, um darauf eine Antwort zu finden. Die Vorstellung rücklings auf dem Boden zu liegen, während seine Fußsohlen wund geprügelt wurden, erschien ihm weit entwürdigender als aufrecht mit bloßem Oberkörper ausgepeitscht zu werden. Solang es ihm bei letzterem gelang aufrecht stehen zu bleiben, wäre es weit weniger erniedrigend, auch wenn es länger dauern würde.
 

„So sei es“, erklärte der Tjt ruhig, nachdem sich Seth für die Peitsche entschieden hatte, erhob sich von seinem Stuhl und wandte sich zum Gehen, während er nach einer kurzen Pause an seinen jungen Unregebenen gewandt äußerte: „Hart gegen Andere zu sein, genügt bei weitem nicht, um sich Macht zu sichern.“

„Man muss es auch gegen sich selbst sein, das ist es, was du mir damit sagen wolltest, nicht wahr?“, wieder hatte sich ein bitterer Ton in Seths Stimme geschlichen, während er seinem Dienstherrn, wenige Schritte hinter diesem gehend, zu den Pferden folgte. Der Tjt gab darauf keine Antwort, winkte lediglich noch einmal den Aufseher heran und erklärte diesem, dass die Leichen der Grabräuber für einige Tage an den Pfählen hängen bleiben sollten, als stumme Mahnung für Jeden, der in Versuchung war, es ihnen gleich zu tun.
 

Zurück im Palast schwand auch der letzte, winzige Funken Hoffnung Seths, dass der Tjt ihn nur einer weiteren merkwürdigen Prüfung unterzogen hatte und auf die tatsächliche Strafe verzichten würde, schnell dahin, als er direkt in einen kleinen Seitenhof geführt wurde, der offensichtlich stets für die Bestrafung von Verurteilten benutzt wurde.
 

Während Seth von dem Mann, der die Strafe vollstrecken würde, an einen freistehenden, kurzen Holzpfosten gebunden wurde, damit er sich nicht gegen die Peitsche wehren konnte, hatte Akunadin Sechemib rufen lassen und ihm leise einen Auftrag erteilt, worauf sich der Priester knapp verneigte und mit beinahe ungebührlicher Hast davon eilte.
 

Mit starrem Blick betrachtete Seth die nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernte Maserung des Pfostens, bemüht in diesem Moment das Wissen des alten Arztes zu beherzigen, der ihm eine zeitlang versucht hatte medizinisches Wissen beizubringen.
 

Zu großer Druck auf die Zähne, ließ diese brechen, deshalb wurde Patienten mit starken Schmerzen ein Stück Holz in den Mund geschoben, um zu verhindern, dass sie sich selbst die Zähne ausbissen. Da Seth nichts dergleichen zur Verfügung stand, versuchte er ohne Hilfsmittel dafür zu sorgen seine Kiefer nicht zu sehr zu verkrampfen, was sich als gute Ablenkung vor dem zu erwartenden Schmerz erwies. Allerdings stellte der Junge schnell fest, dass es nicht genügte nicht die Zähne zu fest zusammen zu beißen. Der Schmerz, als die Peitsche auf seine abwehrend versteiften Rückenmuskeln traf, raubte ihm den Atem und hätte ihn beinahe aufschreien lassen. Stattdessen jedoch presste er im nächsten Augenblick trotzig die Lippen zusammen, nun doch den Kiefer anspannend. Der Tjt mochte in diesem Moment am längeren Hebel sitzen, aber Seth hatte nicht die Absicht vor ihm zu winseln oder um Gnade zu flehen.
 

Das Einzige was Seth in diesem Moment tun konnte, war den Kopf gegen den Holzpfosten zu lehnen, die Hände zu Fäusten zu ballen und zu versuchen, sich irgendwie zu entspannen, um die nächsten Schläge wenigstens ein wenig erträglicher zu machen. Es half nicht viel, war aber alles, was ihm zu tun übrig blieb, während er verbissen die Schläge zählte, um einen Anhaltspunkt zu haben, wie lang die Bestrafung noch dauern würde.
 

Er war gerade beim vierzehnten Schlag angelangt, während sich sein Rücken bereits wund und aufgescheuert anfühlte, als er plötzlich die energische Stimme des Prinzen hörte, der dem Mann mit der Peitsche energisch befahl die Bestrafung sofort einzustellen. Anschließend wies Atemu den ihn begleitenden Diener an, Seth loszubinden, ihn in seine Kammer zu bringen und Shimon, den königlichen Heiler, zu holen, damit dieser sich um die Wunden Seths kümmerte. Erst danach wandte sich der Prinz schließlich an Akunadin, ein deutliches Zeichen dafür, was der künftige Erbe des Horus von dieser Aktion hielt. „Ich bezweifle, dass mein Vater erfreut darüber sein wird, wie du mit dem Pfleger seines Benu umgehst, Akunadin“, der junge Prinz klang erstaunlich ruhig und erwachsen, „aber ich weiß, dass du ein Mann bist, der sehr viel von Gerechtigkeit hält, deshalb nehme ich an, dass du deine Gründe dafür hattest, Seth zu bestrafen.“
 

Ohne die indirekte Aufforderung zu beachten, eine Erklärung für das Geschehen zu geben,erkundigte sich der oberste Priester gleichmütig: „Du kennst den Jungen bereits, mein Prinz?“, nichts in der Stimme des Tjt wies daraufhin, ob ihn diese Tatsache erstaunte. Stattdessen klang der oberste Priester genauso gleichmütig, als hätte er sich eben nach der Meinung des Prinzen über das herrschende Wetter erkundigt.
 

„Ich bin ihm bereits begegnet“, bestätigte der Prinz die Frage des Tjt und fuhr anschließend fort: „Ich hoffe, ich muss so etwas nicht noch einmal erleben, Akunadin.“
 

„Das hoffe ich auch, Hoheit“, lautete die Erwiderung des Tjt, die offen ließ, ob er sich auf die Bestrafung selbst oder das Erscheinen des Prinzen bezog. Atemu schien jedoch der Überzeugung zu sein, dass Akunadin die Bestrafung meinte und erklärte mit einem bekräftigenden Nicken: „Dann sorge dafür, dass es nicht wieder geschieht“, bevor er sich abwandte und im Inneren des Palastes verschwand.
 

Mit einem versonnen kleinen Lächeln sah Akunadin dem Prinzen nach. Das hatte besser funktioniert als erwartet. Wenn alles so verlief, wie von ihm geplant, würde Seth es nicht sonderlich gut aufnehmen, von dem Prinzen bemitleidet zu werden, sondern in verletztem Stolz auf Distanz gehen. Das wiederum sollte ihn später wesentlich empfänglicher für seine, Akunadins, Sicht der Dinge machen, sodass es möglich werden sollte, den Jungen so an sich zu binden, dass er dereinst einen würdiger Erbe seiner Pläne sein würde.
 

Der Tjt wollte gerade ebenfalls den Strafhof verlassen, als sich Sechemib aus dem Schatten der Palastmauer löste. Akunadin nickte ihm knapp zu, Erlaubnis für Sechemib näher zu treten. Sobald der Priester nah genug war, dass eine leise geführte Unterhaltung möglich war, verlangte der Tjt zu wissen: Hat er etwas bemerkt?“, sich bewusst vage ausdrückend, um mögliche Lauscher im Ungewissen zu lassen. Sechemib verbeugte sich dienstbeflissen, während er ebenso leise dem obersten Priester auf dessen Frage antwortete: „Ich denke nicht, Herr. Meine Nervosität und Besorgnis um meinen Schüler, haben ihn wohl überzeugt. Zumal er ohnehin nicht sehr misstrauisch ist.“ Akunadin nickte zustimmend, Atemu kam in vielerlei Hinsicht sehr nach seinem Vater, was es für ihn doch wesentlich vereinfachte, seine Vorhaben in die Tat umzusetzen. Das Thema wechselnd ordnete der Tjt im nächsten Moment an: „Sobald es dem Jungen besser geht, wirst du mit ihm aufs Land reisen. Zeig ihm die Folgen des Krieges und was die Diener Amuns geleistet haben, um sie zu lindern. Er soll begreifen, dass das Militär nicht an Einfluss gewinnen darf und wie wichtig es ist, dass die Priester Amuns ihre Macht verstärken und erhalten.“
 

„Ja, Herr“, erwiderte Sechemib ergeben, verbeugte sich erneut und zog sich gleich darauf zurück, da der Tjt offenbar keine weiteren Anweisungen mehr für ihn hatte.
 

Unterdessen war Atemu in das Zimmer Seths gelangt, wo dieser gerade auf dem Bauch liegend von Shimon behandelt wurde, während der Benu, der bei diesem ‚Ausflug’ nicht dabei gewesen war, dicht neben dem Kopf des Jungen saß, als würde er auf diese Weise den Schmerz der Wunden lindern können.
 

Als Atemu die kleine Kammer betrat, verneigte sich der Heiler höflich, bevor er sich wieder seinem Patienten zuwandte und diesen sanft aber energisch auf dessen Bett zurückdrückte, um ihn weiter behandeln zu können. „Es ist besser, wenn du liegen bleibst, sonst fängt dein Rücken nur wieder an zu bluten“, erklärte der alte Hofarzt dabei so entschieden, dass Seth sich mit einiger Erleichterung wieder auf das Bett zurücksinken ließ. Selbst dieser halbherzige Versuch aufzustehen, hatte ein höllisches Brennen in seinem Rücken zur Folge gehabt.
 

„Ist es sehr schlimm?“, erkundigte sich Atemu unterdessen besorgt, während er auf dem einzigen Stuhl im Raum Platz nahm. Seth verzog das Gesicht bei dieser Frage, biss sich jedoch auf die Lippe, um dem Prinzen keine unfreundliche Antwort zu geben, während Shimon diplomatisch erklärte: „Es wird zwar eine Weile dauern, bis alles vollständig verheilt ist, aber der Junge hatte eindeutig Glück, es hätte ihn wesentlich schlimmer treffen können.“
 

„Danke, Shimon“, erwiderte der künftige König mit einem freundlichen Lächeln, worauf der alte Arzt nur abwehrend etwas brummte, bevor er seine Behandlung beendete und anschließend erklärte, dass er mit dem Tjt sprechen würde, um dafür zu sorgen, dass Seth in den nächsten Tagen nicht würde seinen Pflichten nachgehen müssen, sondern seinem Rücken etwas Erholung gönnen konnte. Mit dem an Seth gerichteten Befehl, dieser solle sich so wenig wie möglich bewegen, verließ der alte Arzt schließlich den Raum, nachdem er sich erneut höflich vor dem Prinzen verneigt hatte.
 

Sobald der kräftige, kleine Mann das Zimmer verlassen hatte, machte sich eine drückende Stille zwischen den beiden Jungen breit, die Seth schließlich unwillig mit der Bemerkung beendete: „Ich danke dir für deine Hilfe, Hoheit.“

„Schon gut“, winkte der künftige Erbe des Horus leicht verlegen ab, „ich habe schließlich nicht viel getan. – Aber warum bist du eigentlich geschlagen worden?“

„Ich habe deinem Vater und dem Tjt widersprochen“, erwiderte Seth steif, aber wahrheitsgemäß und erhielt daraufhin einen erstaunten Blick Atemus. „Aber warum sollte das ein Grund sein dich zu schlagen?!“ Seth lächelte freudlos, während er erklärte: „Respektlosigkeit und Beleidigung.“ Nun runzelte Atemu irritiert die Stirn, „Ich kann nicht glauben, dass Vater davon gewusst und es zu gelassen hat. Aber ich werde mit ihm reden, damit so etwas nicht noch einmal geschieht.“
 

„Das ist sehr freundlich von dir, Hoheit, aber vollkommen unnötig.“ „Hör auf Hoheit zu sagen, Atemu reicht. – Und ich finde nicht, dass es unnötig ist, es sollte doch wohl jedem gestattet sein, frei seine Meinung zu äußern.“

„Nicht, wenn dadurch die wichtigste Grundlage für die Sicherheit Kemets in Frage gestellt wird, Hoheit“, erwiderte Seth kühl und sachlich, den Blick Atemus mit seitwärts gewandtem Kopf undurchdringlich erwidernd.

„Atemu“, berichtigte der andere Junge geduldig, bevor er wieder auf das eigentliche Thema zurückkam und erklärte: „Selbst wenn es eine Grundlage ist, muss sie stabil genug sein, Kritik auszuhalten, sonst taugt sie nicht mehr als Fundament.“
 

„Auch die stabilste Grundlage wird porös, wenn man nur lang genug Löcher in sie bohrt, Hoheit.“ Verärgert runzelte Atemu die Stirn, „ich habe dir mehr als einmal gesagt, wie ich heiße, warum weigerst du dich, mich auf diese Weise anzusprechen?!“

„Es mag für dich nicht von Bedeutung sein, Hoheit, aber alle anderen Menschen Kemets haben eine bestimmte Ordnung zu befolgen, wollen sie überleben. Rede ich dich bei deinem Vornamen an, wird diese Ordnung in Frage gestellt; die Konsequenz dessen, wurde mir gerade in den Rücken geprägt“, die Stimme Seths klang hart und unnachgiebig. Er nahm es dem Prinzen übel, dass dieser glaubte, ihm in einer solchen Situation eine derart nach Mitleid und Barmherzigkeit schmeckende Vertraulichkeit anzubieten. Hätten sie einander als ausgebildeter Priester und Erbprinz gegenüber gestanden, wäre das Ungleichgewicht weniger spürbar und das Angebot ein ehrenvoller Gunstbeweis gewesen, so war es das übertriebene, Hohn triefende Almosen, des Glücklichen an einen Geschundenen und damit inakzeptabel.
 

Verletzt und verärgert, angesichts der abweisenden Ruppigkeit des anderen Jungen, sah Atemu sein Gegenüber an, nicht ahnend, was er mit seinem gut gemeinten Angebot tatsächlich bewirkte. „Es tut mir leid, was dir passiert ist, aber gib nicht mir die Schuld dafür“, erklärte er etwas lauter als nötig gewesen wäre, bevor er sich abrupt von dem Stuhl erhob, auf Seth herabstarrte und erklärte: „Ich hatte einfach angenommen, wir könnten Freunde werden“, anschließend wandte er sich ab, um das Zimmer zu verlassen, wurde jedoch von den ausdruckslos vorgebrachten Worten Seths aufgehalten, der sagte: „Der Gedanke würde dich ehren, wenn du nicht der Sohn des Herrn der beiden Länder wärst und ich nicht ein Bediensteter. So ist es nur naiv. Eine Freundschaft beruht auf Gleichberechtigung, nicht auf Abhängigkeit und Schuld.“ Der Prinz presste nur die Lippen zusammen und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer, Seth allein mit seinem Benu zurücklassend.
 

Wieder herrschte Stille in dem kleinen Raum, während der Junge seinen Kopf Merenseth zuwandte und deren gelassenen Blick erwiderte, der zu besagen schien, dass der Vogel Seth für ziemlich dämlich hielt. Der Junge zog eine ärgerliche Grimasse, während er den Benu anknurrte: „Sieh mich nicht so an, ich weiß, dass ich Recht habe!“, bevor er schließlich mit einem erledigten Seufzen den Kopf zwischen seinen Armen vergrub und eine geraume Weile so verharrte, während er sich bemühte sowohl die Ereignisse des Tages zu verarbeiten als auch sich einzureden, dass er sich dem Prinzen gegenüber tatsächlich im Recht befand.
 

Eine kleine Bewegung seines Benu ließ ihn schließlich wieder den Kopf heben und zu Merenseth schauen, die ihn kurz neugierig betrachtete, schließlich den Kopf herabbeugte und Seth kurz und fest in die Nase zwickte, sodass dem Jungen unwillkürlich die Tränen in die Augen schossen. Anschließend rieb sie ihren Kopf an seiner Wange und überwand gleich darauf die kurze Entfernung bis zum Fenster und verharrte dort auf dem schmalen Sims, zu Seth zurücksehend, ob dieser ihr folgen würde.
 

Für einen Moment zögerte der Junge, bevor er sich doch mühsam erhob und zum Fenster schleppte, in der Annahme Merenseth wolle ihm etwas Wichtiges zeigen. Sobald er sich erschöpft und mit schmerzendem Rücken an die Wand neben dem Fenster lehnte, schlüpfte der Vogel hinaus und schwebte im nächsten Augenblick ruhig in der Luft, während er gleichzeitig wieder die notwendige Größe angenommen hatte, um Seth auf seinem Rücken tragen zu können.
 

Für einen Moment starrte Seth nur erstaunt und mit wachsender Freude, bevor er dem Vogel hastig befahl wieder herein zu kommen, damit keiner der Palastbewohner etwas von der Fähigkeit des Vogels bemerkte oder womöglich eine unbegründete Panik ausbrach.
 

Sobald Merenseth der Aufforderung des Jungen gefolgt war, kehrte Seth wieder zu seinem Bett zurück, sich erleichtert darauf zurücksinken lassend. Heute war er eindeutig nicht mehr in der Lage noch einen der lang vermissten Flüge auf dem Rücken seines Benu zu unternehmen, aber vielleicht morgen, wenn es ihm besser ging und er mit etwas Glück dennoch von seinen üblichen Pflichten befreit war.
 

Eines allerdings verwirrte ihn: Warum war Merenseth wieder in der Lage sich zu vergrößern, aber offenbar noch nicht, sich wieder in einen Menschen zu verwandeln? Hatte die Begegnung mit dem weißen, echsenartigen Ungeheuer vielleicht unerwartete Spätfolgen oder war es einfach nur so, dass sich diese Fähigkeiten bei Benu unterschiedlich schnell entwickelten und es keine absolut festgelegte Reihenfolge gab, in der sie lernten ihre Fähigkeiten anzuwenden?
 

Die letzte Möglichkeit die Seth einfiel, nämlich dass sich Merenseth möglicherweise einfach nicht in ihre menschliche Gestalt verwandeln wollte, gefiel ihm am wenigsten. Er hätte inzwischen wirklich jemanden gebraucht mit dem er über die letzten Ereignisse reden konnte, der ihm zuhörte, gelegentlich einen Rat gab und ihm ansonsten das Gefühl vermittelte nicht völlig auf sich allein gestellt zu sein, sondern einen Freund an seiner Seite zu haben, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte.
 

Seth wollte auch kein vernünftiger Grund dafür einfallen, warum sich Merenseth weigern sollte, sich zu verwandeln, und so hoffte er, dass sich die Fähigkeiten von Feuervögeln einfach unterschiedlich schnell entwickelten und Merenseth bald in der Lage sein würde ihm dies zu bestätigen. Für den Moment jedoch musste es reichen die Wärme des Vogels und das sanfte Kitzeln einzelner Federn an seiner Wange zu spüren, während das Tier sorgsam Wache neben dem Kopf des Jungen hielt.
 


 

P.S.

Tut mir leid, dass ihr dieses Mal so lange warten musstet und dass ich noch nicht einmal versprechen kann, dass sich das in nächster Zeit ändern wird (ich fürchte, dass eher das Gegenteil der Fall sein wird). Ich hoffe allerdings, dass es in ein, zwei Monaten wieder häufigere Uploads geben wird und ihr mir bis dahin nicht völlig untreu werdet.
 

Trotz der Überschrift war weder das Schachspiel selbst noch irgendeine Form von Vorläufer Teil der altägyptischen Kultur, nur als Anmerkung um mögliche Verwirrung zu vermeiden.
 

Auf Grabschändung stand tatsächlich die Todesstrafe durch beschriebene Pfählung (Papyrus Mayer A 13, B1), was die anderweitig erwähnten Strafen anbetrifft, sind sie ohne Recherche meinem Hirn entsprungen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hotepneith
2009-03-12T23:56:51+00:00 13.03.2009 00:56
Stimmt....Pfählung stand darauf...
allerdings wurde das meines Wissens nie vollzogen, sondern umgewandelt- naja-in Verbannung in die nubischen Minen oder auch direkt Kopf abschlagen.


Gut beschrieben jedenfalls, warum Seth das Freundschaftsangebot ablehnt - und damit natürlich den Kronprinzen beleidigt. So kommen sie nei zusammen auch nur auf eine Ebene.
Merenseth hat da wohl auch ihre eigenen Pläne.

Ich bin gespannt, wie es weiter geht...aber ich fürchte, Seth hat nicht zuviel Freude an dem

bye

hotep




Zurück