Zum Inhalt der Seite

Feuervogel

Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Ankunft im Palast

Als Seth bereits solange in der Priesterschule lebte, dass sich das Gefieder Merenseths gänzlich gefärbt, sie das Aussehen eines ausgewachsenen Vogels angenommen hatte und Seth jeden Tag damit rechnete, dass sie ihre ersten Flugversuche unternehmen und bald darauf auch wieder menschliche Gestalt würde annehmen können, kam eines Tages der Tjt Amuns in die Schule.
 

Offiziell um den Wissensstand der Schüler zu prüfen und sich zu überzeugen, dass die Schule in gutem Zustand wäre. Aber irgendjemand hatte das Gerücht verbreitet, der Tjt wäre eigentlich auf der Suche nach einem bestimmten Jungen. Warum er diesen Jungen suchte, wusste niemand zu sagen, aber es kursierten die wildesten Spekulationen darüber und der ein oder andere hoffte, er wäre derjenige, den der Tjt suchte und malte sich bereits eine großartige Karriere am Hof des Herrn der zwei Länder aus.
 

Es war durchaus nicht so, dass Seth diesen Gerüchten gegenüber vollkommen gleichgültig blieb. Bestand doch immerhin die Möglichkeit, dass sie einen gewissen Wahrheitsgehalt besaßen und von welchem Ort aus konnte man besser Nachforschungen anstellen, als dem, an welchem sämtliche Informationen aus den Gaubezirken zusammenliefen, gesammelt und archiviert wurden? Wenn es eine Untersuchung zu dem Brand in seinem Dorf gegeben hatte, dann wäre es am einfachsten, wenn er einen guten Grund hatte im Palast ein und aus zu gehen. Und so gehörte auch Seth zu jenen, die darauf hofften die positive Aufmerksamkeit des Tjt auf sich zu ziehen, wenn bei ihm auch nicht ein annehmliches, luxuriöses Leben im Palast der Grund war.
 

Als der Tjt schließlich in der Schule erschien und mit der überlegen gelassenen Selbstsicherheit von Menschen, die sich ihrer Talente und ihres Wertes sehr genau bewusst sind, Schule und Schüler prüfend betrachtete, beobachtete, gelegentlich eine Frage stellte und mit seiner Ehrfurcht gebietenden Art bewundernden Eindruck bei den Schülern hinterließ, schienen sich die wilden Gerüchte, die zuvor als Grund für sein Kommen kursiert hatten, allesamt in Luft aufzulösen und als falsch zu bestätigen. Der oberste Priester des Amun erweckte nicht einen Moment lang den Eindruck, er wäre wegen etwas anderem als einer routinemäßigen Schulprüfung gekommen, sodass sich nach und nach unter den Schülern allgemein leise Ernüchterung und Enttäuschung breit machte.
 

Seth hatte sich nach seinem Unterricht wie üblich, wenn nichts anderes zu tun war, in den Garten zurückgezogen, wo er entweder Schriftrollen studierte, Berechnungen anstellte oder seinen Gedanken und Überlegungen nachhing.
 

An diesem Tag war er nicht der Einzige, der in dem Garten Ruhe und Erholung suchte, denn auch der oberste Priester saß im Schatten eines Baumes auf einer Bank und schien damit beschäftigt, geschäftliche Unterlagen über die Ein- und Ausgaben der Schule zu prüfen. Seth musste nur an das winzige, vollgestopfte Büro Uba-oners denken, um zu wissen, warum der Tjt diese Angelegenheit nicht dort erledigte.
 

Als der oberste Priester hörte, dass sich ihm jemand näherte, hob er den Kopf, um zu sehen, um wen es sich handelte. Sobald Seth bemerkte, dass er entdeckt worden war, grüßte er höflich und wollte sich bereits an seinen üblichen Platz unter einem Baum zurückziehen, als der Tjt ihn unerwartet ansprach.
 

„Bist du der Junge, der auf Sechemibs Empfehlung hier eine Ausbildung erhält?“ Seth war bei dieser ruhig gestellten Frage stehen geblieben, hatte sich dem Sprecher wieder ganz zugewandt und nickte schweigend.
 

„Und du bist völlig allein aus deinem Heimatdorf hierher gereist, um Priester zu werden?“ Wieder nickte Seth nur stumm, sich allmählich fragend worauf der Priester hinaus wollte.
 

„Haben deine Eltern sich gegen dein Vorhaben ausgesprochen, dass du ohne ihre Begleitung hierher gekommen bist?“ Kurz runzelte Seth die Stirn, was ging es diesen Mann an, ob seine Eltern mit seiner Absicht einverstanden waren oder nicht? Dennoch antwortete er kurz und beherrscht: „Sie leben nicht mehr.“
 

Für einen Moment sah der Amunpriester ihn schweigend mit forschendem Blick an, ging dann jedoch nicht auf Seths Bemerkung ein, sondern fragte stattdessen: „Und nachdem du nun diese Ausbildung begonnen hast, bist noch immer zufrieden mit deiner Entscheidung?“
 

Jetzt war es Seth der sein Gegenüber unverhohlen musterte, bevor er ruhig erwiderte: „Es wäre äußerst dumm von mir diese Frage anders als mit ‚ja’ zu beantworten, selbst wenn es eine Lüge wäre, solange ich auf die Großzügigkeit des Tempels angewiesen bin.“
 

Der Tjt lächelte bei dieser Antwort anerkennend, bevor er eine weitere Frage stellte: „Würde es dir gefallen im Palast zu arbeiten?“
 

„Es gibt wohl niemanden, der so ein Angebot ausschlagen würde, wenn er es erhielte“, antwortete Seth ernst, ohne sich anmerken zu lassen, dass sich sein Herzschlag bei der Aussicht möglicherweise doch schon bald in den Palast zu gelangen, verdoppelt hatte.
 

Der Tjt hatte zustimmend den Kopf geneigt, bevor er erneut abrupt das Thema wechselte und Seth eingehender darüber befragte, was er bisher gelernt hatte, was er zu einzelnen Themen für eine Meinung vertrat und ob er das, was er sich bisher angeeignet hatte, als ausreichend empfand oder nicht.
 

Seth beantwortete seine Fragen, wenn auch nicht immer direkt, so doch aufrichtig und seinen Überzeugungen gemäß, ohne je seine Vorsicht gegenüber diesem Mann abzulegen, der ihn einer ausführlichen Prüfung unterzog.
 

Schließlich schien die Neugier des Priesters befriedigt zu sein, denn nachdem er auf Seths letzte Antwort ein abschließendes Nicken hatte folgen lassen, das wohl nur ihm verständlich war, wandte er sich ohne weitere Umstände wieder seinen Papyri zu, den Jungen von einem Moment auf den anderen nicht mehr beachtend.
 

Dieser blieb noch für einen kurzen Moment unschlüssig stehen, wandte sich dann ebenfalls ab und ließ sich nachdenklich an seinem gewohnten Platz nieder. Die Unterhaltung mit dem Amunpriester war lang und seltsam anstrengend gewesen, ohne das Seth wusste, ob er die unausgesprochene Prüfung bestanden hatte und wenn er das hatte, was es für ihn bedeuten mochte.
 

Da grübeln ihm jedoch nicht weiterhelfen würde, beschloss er vorerst, sich von diesem Gespräch nichts weiter zu erhoffen, sondern sich darauf zu konzentrieren aus eigener Kraft Zugang zum Palast zu erhalten.
 

Was Seth allerdings merkwürdig gefunden hatte, war die völlige Gleichgültigkeit des Tjt für die Frage, woher Seth stammte, wer seine Eltern waren und weshalb diese nicht mehr lebten. Gut, die ersten beiden Fragen, hätten ihm sicher auch Sechemib oder Uba-oner beantworten können. Aber warum hätte er ihnen eine solche Frage stellen sollen?
 

Vielleicht war es einfach nur die Eigenart eines bedeutenden Mannes, zwischen wichtigen und unwichtigen Fragen zu sondieren; und für den Tjt war es sicherlich von keinerlei Wichtigkeit, wessen Kind Seth war und woher er stammte.
 

Es schien zunächst, als hätte der Besuch des Tjt in der Priesterschule keine weiteren Nachwirkungen. Als hätte es den Besuch und die Wellen, die er verursacht hatte, nie gegeben, setzten sich der Unterricht und das Leben der Lehrer und Schüler unverändert fort.
 

Merenseth begann mit ihren ersten kurzen Flügen durch den Garten, während Seth mit seinen Aufgaben beschäftigt war, bald würde sie das Fliegen wieder vollständig beherrschen und dann dauerte es auch nicht mehr lange, bis sie Seth wieder auf ihrem Rücken durch die Luft tragen konnte.
 

Eines Nachmittags, eine Woche nachdem Seth dem Tjt im Garten begegnet war, kam Sechemib zu dem Jungen und forderte ihn auf, ihm zu folgen, ohne näher darauf einzugehen, wohin sie gehen würden.
 

Schweigend folgte Seth dem Priester durch die Gassen der Pharaonenstadt in Richtung des Palastes. An ihrem Ziel angekommen, ging es weiter durch ein Gewirr verwinkelter Gänge, vorbei an geschäftig wirkenden Dienern, müßig gehenden Adligen und wichtig scheinenden Hofbeamten, bis sie schließlich vor einer schlichten Holztür stehen blieben.
 

Nachdem Sechemib geklopft hatte, wurden sie hereingerufen und betraten gleich darauf das hinter der Tür befindliche Zimmer. Bei dem Raum handelte es sich um ein hervorragend ausgestattetes Arbeitszimmer, in dem sich neben einem Diener, der anscheinend gerade einige Papyri gebracht hatte, nun ein Tablett mit Kanne und Becher aufnahm und anschließend den Raum verließ, auch der Tjt persönlich befand, der an seinem Schreibpult saß und ihnen aufmerksam entgegensah. Kaum dass der Diener den Raum verlassen hatte, wies Akunadin mit einer Handbewegung schweigend auf eine schmale Polsterbank, auf der sich sowohl Sechemib als auch Seth niederließen. Merenseth hatte es sich unterdessen auf dem Fenstersims bequem gemacht, von wo aus sie Zimmer und Anwesende gut im Blick hatte.
 

Der Tjt wandte sich zunächst an Sechemib, Seth vollkommen ignorierend, und teilte diesem ruhig mit, dass er aufgrund seiner hervorragenden Arbeit und der erwiesenen Treue zu Amun befördert worden war und nun direkt zum Hofstab des Tit gehören würde.
 

Sechemib bedankte sich mit dem gebotenen Eifer und ergebener Höflichkeit, bevor er durch eine kurze Bemerkung und eine knappe, abwehrende Handbewegung seines Vorgesetzten zum Schweigen gebracht wurde. Anschließend richtete Akunadin seine volle Aufmerksamkeit auf Seth, sah diesen für einen Moment in durchdringendem Schweigen an und verkündete dann ruhig: „Ich habe beschlossen, dich in meine Dienste zu nehmen und dafür zu sorgen, dass deine Ausbildung vervollkommnet wird. Du wirst weiter die Priesterschule bis zu deinem Abschluss besuchen, jedoch ab sofort hier im Palast wohnen und mir außerhalb des Unterrichts jederzeit zur Verfügung stehen. – Täusch dich nicht und denke, dass das irgendein Privileg für dich bedeutet, ich erwarte sehr viel von dir. Dein Lernpensum wird sich nicht nur verdoppeln, sondern verdrei- und –vierfachen, du wirst nebenher für mich arbeiten und ich erwarte, dass diese Aufgaben stets zu meiner vollen Zufriedenheit erfüllt werden. Solltest du meine Ansprüchen nicht genügen, wirst du nicht nur aus meinen Diensten entlassen, sondern verlierst ebenfalls das Recht deine Ausbildung an der Priesterschule zu beenden. Hast du mich verstanden?“
 

Seth nickte nur schweigend, äußerlich vollkommen beherrscht wirkend, während ihm in Wahrheit das Herz bis zum Halse schlug. Aber um nichts auf der Welt hätte er sich jetzt eine Blöße geben und seine Unsicherheit offensichtlich werden lassen wollen. Er war sich sicher, dass eine derartige Schwäche seinerseits, bereits den Unwillen des Tjt erregen würde und das wiederum würde ihn um diese einmalige Chance bringen Zugang zum Inneren des Palastes zu erhalten.
 

„Wie lautet also deine Antwort?“, verlangte der oberste Priester unterdessen mit herrischer Ruhe zu wissen und wurde nun selbst von dem Jungen vor sich gemustert, bevor dieser scheinbar gelassen erwiderte: „Ich werde nicht versagen.“
 

Der Tjt nickte, als hätte er diese Antwort erwartet, zog anschließend an einer Schnur, die an der Wand herabhing und anscheinend auf geheimnisvolle Weise einen Diener herbeirief, denn nur kurze Zeit später wurde lautlos die Tür geöffnet und der Mann, der bereits zu Beginn des Treffens im Raum gewesen war, betrat unterwürfig erneut das Zimmer, fragend womit er dienen könne.
 

Akunadin wies den Diener an Seth zu zeigen, wo dieser von nun an wohnen würde und dafür zu sorgen, dass er mit allem Notwendigen versorgt würde. Daraufhin betrachtete der Tjt die Unterredung als beendet und entließ nicht nur den Diener, sondern verabschiedete ebenfalls Seth und Sechemib.
 

Die Kammer, in die Seth von dem Diener nach der Audienz geführt wurde, war weder sonderlich groß noch besonders luxuriös ausgestattet. Neben einem schmalen Fenster, durch das Merenseth gerade so würde hinaus und herein fliegen können, Tisch, Stuhl und Schrank verfügte die Kammer nur noch über ein Ruhelager, das für Seth in sofern einen Luxus darstellte, dass er es bisher gewohnt war auf einer Schilfmatte am Boden zu schlafen, die am Morgen zusammen gerollt und zur Seite gestellt wurde, um den Tag über nicht im Weg zu sein.
 

Im Schrank fand der Junge überraschenderweise ihm passende Kleidung vor, die er von nun an zu tragen hatte, wie ihm der Dienstbote mitteilte, damit jeder wusste, dass Seth in den Diensten des Tjt stand. Offenbar hatte dieser keinen Moment an der Entscheidung Seths gezweifelt, dass er bereits hatte alles so weit vorbereiten lassen.
 

Seth blieb jedoch keine Zeit sich länger mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen oder sich genauer in seinem Zimmer umzusehen – auch wenn es da eigentlich nicht viel zu sehen gab -, denn kaum dass der Diener ihm die Sache mit er Kleidung erklärt hatte, wurde an die Tür geklopft und diese gleich darauf geöffnet, ohne dass der Klopfende auf eine Antwort aus dem Zimmer gewartet hätte.
 

Herein trat ein hagerer, etwa dreißigjähriger Mann mit einem verbitterten Zug um die Lippen und strengem Gesicht, der sich kurz angebunden, ohne dem Diener irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken, erkundigte: „Du bist Seth?“ Auf das Nicken des Jungen erklärte der Fremde brüsk: „Ich bin Kakau. Du wirst die nächste Zeit mit mir zusammenarbeiten und ich werde dich in alles einweisen. Beeil dich und zieh dich um, wir haben viel zu tun.“
 

Der Diener hatte sich während dieser kurzen Ansprache unauffällig und höflich zurückgezogen, da seine Aufgabe für den Moment erfüllt war. Seth hatte schweigend seinem neuen Mentor gelauscht, wartete einen Moment, ob dieser das Zimmer verlassen würde, damit er selbst sich in Ruhe umziehen konnte und als das nicht der Fall war, sich ruhig dem noch offenstehend Schrank zugewandt, eines der kurzen Obergewänder herausgenommen und es schnell anstelle seines alten Hemdes übergestreift.
 

Anschließend verließen die Beiden ebenfalls die Kammer und betraten kurze Zeit später eine Zimmerflucht unweit des Arbeitszimmers des Tjt, in der offenbar alle Informationen, die für den obersten Priester in irgendeiner Form von Wichtigkeit waren, zusammenliefen, festgehalten, sortiert, aufbewahrt und bei Bedarf wieder hervorgeholt wurden.
 

Es schien als gäbe es keinen einzigen Vorgang in Kemet, von dem der Tjt nicht Kenntnis erhielt. So wie es aussah, war Seth genau da gelandet, wo er hin gewollt hatte: An die Quelle für sämtliche Informationen. Noch jedoch wurde er als zu neu und unerfahren betrachtet, als dass man ihm irgendwelche bedeutenden Arbeiten aufgetragen hätte, stattdessen war er den Rest des Tages damit beschäftigt Papyri zu archivieren, Botengänge zu erledigen, rote und schwarze Farbe für die Tusche der Schreiber zu reiben sowie die Binsenstifte anzuspitzen und zu zerfasern – kurz: Er war wieder einmal Junge für alles und Handlanger für jeden.
 

Merenseth unterdessen hatte ihren Besitzer nicht zu dessen neuer Arbeit begleitet, sie war der Ansicht, dass sie ihm dort bestenfalls im Weg wäre und vermutlich auch nicht gern von den Assistenten des Tjt in deren Arbeitsräumen gelitten würde; also hatte sie sich stattdessen durch das Fenster von Seths Kammer nach draußen begeben und war eine Weile durch die Gegend geflogen, sowohl aus purer Freude am Fliegen als auch um wieder Übung darin zu erhalten und lange Strecken fliegen zu können.
 

Nachdem sie einige Zeit geflogen war, kehrte sie schließlich wieder zum Palast zurück, ließ sich in einem der dichtbelaubten Bäume der Gärten nieder und beobachtete eine Gruppe von Pfauen, die hochmütig auf dem Boden herumstolzierten und sich ganz offensichtlich für die Herrscher über dieses kleine, üppig grüne Paradies hielten.
 

Wenn es ihr in ihrer Vogelgestalt möglich gewesen wäre, hätte Merenseth über das Gebaren dieser Vögel gelächelt, die sich für Könige hielten und in Wahrheit doch nur Gefangene waren. Die zu den eitelsten Geschöpfen zählten, die die Götter erschaffen hatten – und zu den dümmsten, was ihnen immerhin das Wissen ersparte, dass sie in Kemet als Delikatesse angesehen wurden.
 

Dank dieser merkwürdigen Kombination aus Eitelkeit und Dummheit zählten sie wohl auch zu den glücklichsten Geschöpfen, deren Dasein durch keine Wolke getrübt wurde, sofern nicht ein Wesen auftauchte, das schöner war als sie – aber welches Tier war schon schöner als ein Pfau…
 

Als ein Diener, der für die Pflege der Tiere verantwortlich war, ihnen Wasser und Futter brachte, flog Merenseth zu den Pfauen hinab, um ihren eigenen Hunger zu stillen, sobald der Diener wieder verschwunden war. Anders als ihre buntschillernden Artgenossen mied Merenseth jedoch jegliche tierische Kost, sondern tat sich lediglich an Körnern und Wasser gütlich, ohne sich dabei von den empörten Schreien der Pfauen stören zu lassen.
 

Allerdings rief das aufgereckte Krächzen der Vögel den Diener zurück, der besorgt nachsehen kam, was bei den Tieren passiert sein mochte, dass sie so verstört waren. Als der Mann den glutfarbenen, perlhuhngroßen Vogel erblickte, starrte er für einen Moment verblüfft und regungslos, bevor er hastig versuchte das Tier zu fangen und es zu seinem Herrn zu bringen.
 

Doch Merenseth wich ihm geschickt aus, flog vom Boden auf und verschwand schließlich aus der Sichtweite des Dieners, während sie zu Seths Kammer zurückkehrte, wo dieser, nachdem er seine Arbeit für den Tag in der Kanzlei des Tjt beendet hatte, über Schreibaufgaben und Papyri saß und lernte, bis er schließlich völlig erledigt auf sein Bett fiel und umgehend einschlief.
 

Früh am nächsten Morgen hieß es für den Jungen dann wieder aufstehen, kleinere Arbeiten in der Kanzlei verrichten, zum Unterricht in die Priesterschule gehen, anschließend wieder Arbeit in der Kanzlei sowie Bewältigung zusätzlicher Aufgaben und Unterrichts durch Kakau, die dieser im Auftrag von Akunadin zusammengestellt hatte. Seth war so vollkommen damit ausgelastet seinen Aufgaben und Pflichten nachzukommen, dass er beinahe überrascht gewesen wäre, als schon wieder die Nacht hereinbrach und es Zeit war ins Bett zu gehen, wenn er dafür nicht viel zu müde gewesen wäre. Nicht einmal eine winzige Andeutung von Träumen schlich sich in seinen bleiernen Schlaf und versuchte ihn zu wecken.
 

Der erste dieser Tage war nur das Vorbild für alle folgenden, die sich lediglich durch unterschiedliche Aufgabenstellungen unterschieden und darin, wie zufrieden Kakau mit den Leistungen seines Lehrlings war, was meist zwischen gar nicht und mit Müh und Not akzeptabel schwankte.
 

Kakau war ein unerbittlicher, strenger Lehrer, der keine Nachsicht bei Fehlern oder Unachtsamkeit kannte, eben ein echter Leuteschinder. Wenn Seth genug Zeit blieb sich eigene Gedanken zu machen, ohne dabei von irgendwelchem Lehrstoff gestört zu werden, vermutete er gelegentlich, dass das vielleicht am Namen seines Lehrers lag, der immer wieder Anlass zu Witzeleien unter dessen Kollegen in der Kanzlei gab.
 

Merenseth trieb sich unterdessen die meiste Zeit einsam in der Gegend herum oder flog in den Garten, um ein wenig die Pfauen zu ärgern und mit dem Diener Fangen zu spielen.
 

Da ihre Magie noch nicht völlig ausgereift war, war es ihr nach wie vor noch unmöglich sich in einen Menschen zu verwandeln oder sich zu vergrößern und Seth durch einen Ausflug auf ihrem Rücken etwas Abwechslung zu verschaffen, obwohl der Junge dafür wohl auch nur schwerlich Zeit gefunden hätte.
 

Das Einzige, was sie in dieser Zeit für ihn tun konnte, war ihm Gesellschaft zu leisten und sich ansonsten so unauffällig wie möglich zu benehmen. Dieses Bemühen wurde allerdings unvorhergesehen, wenige Wochen nachdem Seth in die Dienste des Tjt getreten war, empfindlich gestört.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Carcajou
2009-01-27T11:31:05+00:00 27.01.2009 12:31
Eine sehr lebendige und dichte Beschreibung des Lebens in dieser Zeit, das hat Romanqualität!^^
Seth steckt nun bis zum Hals in Arbeit, ist aber da, wo er hin wollte.
Merenseth langweilt sich und zieht eventuell ein bisschen zuviel Aufmerksamkeit auf sich... ob das wohl so gut geht?
Du hast ja mal wider ein wenig Spannung geweckt^^

lg,
Carcajou
Von:  Hotepneith
2009-01-24T08:21:22+00:00 24.01.2009 09:21
Ein Cliffhanger...
welche Überraschung, meine Liebe.
Nun, Seth ist da gelandet, wo er hinwollte, wenn auch auf andere Art. Und früher oder später musste sein "Feuervogel" ja auffallen. Hoffentlich geht das gut.
Deine Beschreibungen des Lebens im Alten Ägypten sind sehr liebevoll und gut ausgeführt. Mag ich:)

bye

hotep




Zurück