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Western Spirits

von

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Wind of Change

Wind of change
 

Robin beseitigte die Unordnung in der Küche und im Esszimmer, die die Silvesterfeier mit sich geführt hatte. Gegen Mitternacht hatten sich alle auf der Terrasse eingefunden und das Feuerwerk bewundert. Wer wann genau eingetrudelt war, war nicht wirklich aufgefallen. Die Pärchen waren viel zu sehr mit verliebtem Geturtel, dem Funkenzauber und mit sich selbst beschäftigt. Das verständnisvolle Lächeln von Sabers Eltern und Commander Eagle hatten sie, mehr oder weniger befangen, erst registriert, als sich alle ein gesundes, neues Jahr wünschten. Gegen zwei Uhr am Morgen hatten sich alle verabschiedet und Colt und Robin waren todmüde ins Bett gefallen.
 

Jetzt, nach einem Frühstück, das zeitlich gesehen ein Mittagessen war, beseitigten die beiden die Spuren der Feier. Colt tat dies einigermaßen lustlos im Partykeller. Zumindest so lange, bis er gewisse Zeichen auf dem Billardtisch vorfand. Schlagartig war er restlos wach und grinste anzüglich. So war das also. Die letzten beiden hier drinnen, waren Saber und Chily gewesen. Mit dem, was er sah, war nun vollkommen klar, was sich hier abgespielt hatte. Na, das musste er ihnen doch bei Gelegenheit unter die Nase reiben. Schon allein, um zu sehen, wie seine beste Freundin so richtig in Verlegenheit geriet.
 

Die Gelegenheit bekam er, als die Lehrerin das private Mobiltelefon der Hebamme fand. Nun, dass musste man ihr doch zurückbringen und der Scharfschütze erledigte das, bevor Robin überhaupt einen Ton dazu sagen konnte. Gegen Abend klingelte er deshalb an der Tür des Rider-Hauses. „Saber, auf einem Billardtisch wird so eingelocht, dass es keine Spuren hinterlässt“, meinte er dreist, kaum dass er in der Diele stand. Der Recke und die Hebamme starrten ihn erschrocken an. Chily wurde rot vor Scham, griff sich ihr Mobiltelefon, das der Kuhhirte ihr hinhielt, und brachte es, weil der Akku leer war, ins Wohnzimmer zur Ladestation. Als sie Colt auch noch laut lachen hörte, entschied sie dort in Ruhe im Erdboden zu versinken. Das Ganze war ihr unglaublich peinlich.
 

Die Männer sprachen noch kurz etwas mit einander, dann verließ ein noch immer fröhlicher Scharfschütze das Haus. Der Schotte kam zu seiner Angetrauten. Kaum war er eingetreten, warf sie ihm, unverändert in höchster Verlegenheit, vor: „Ich habe dir gesagt, der kriegt das raus.“ Er nahm sie in den Arm. „Aber er ist nicht ausgerastet“, versuchte er sie zu beruhigen. „Das wird er uns auf den Grabstein meißeln und uns bis dahin aufziehen so oft er kann. Als hätte er noch nie einen Pokertisch für andere Kartenspiele missbraucht, “ jammerte sie und ahnte in dem Augenblick nicht, wie nah sie an der Wahrheit war. „Das wird er nicht, Jolene. Davor bring ich ihn eigenhändig unter die Erde, “ lächelte der Blonde. So schlimm war doch die ganze Angelegenheit nun auch wieder nicht. Seine Angetraute sah das anders. „Das kannst du nie wieder gut machen“, erklärte sie verstimmt. „Ach nein?“ Amüsiert hob er die Brauen. Hach, was war sie putzig, wenn sie sich so leicht aufregte. „Nein, nie wieder“, beharrte sie noch immer schamrot. „Schade.“ Er musste ein Grinsen unterdrücken. Sie hasste es wie die Pest, wenn sie das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden, was ihm unter diesen Umständen recht schwerfiel. Dafür fand er ihr Verhalten zu drollig. „Das war definitiv das erste und letzte Mal, dass ich mich von dir zu sowas hab überreden lassen“, bestimmte sie dann. „Sonst hat auch keiner unserer Freunde einen Billardtisch“, konterte er amüsiert. Sie kam weder gegen den Humor, noch gegen die Logik in dieser Aussage an. „Ach du ...“ Verstimmt machte sie sich von ihm los, warf die Arme in die Luft und wollte das Zimmer verlassen. Er hielt sie an der Hand fest. „Ja, ich“, meinte er, „Ich liebe dich, Jolene und Colt wird schon wieder aufhören. Sonst muss ich leider mit anderen Geschichten aufwarten.“ Schmunzelnd fügte er hinzu. „Was glaubst du wohl, was Robin und er gemacht haben?“ – „Woher soll ich das wissen?“, schmollte sie. Ihr war klar, dass er das nicht so eng sah, wie sie. „Dasselbe wie wir.“ Er schlang seine Arme um sie. „Oh. Und der reißt die Klappe auf“, schimpfte sie kopfschüttelnd. „Na ja, “ murmelte der Schotte in ihr Ohr. „Immer schön auf die anderen zeigen, wenn man nicht will, dass man auf einen selbst sieht.“ Sie nickte. „Ja, Bullet eben.“ Dabei befreite sie sich erneut von ihm und schickte sich an, das Wohnzimmer zu verlassen. „Jolene, was machst du jetzt?“ wollte er wissen. Wieso musste sie ihm weglaufen, wenn er lieber ihre Nähe spüren wollte? „Sicherheitsabstand zu dir halten. Wer weiß, wo du mich als nächstes vernaschen willst. Im Aufzug im Kaufhaus?“ Wieder musste er schmunzeln. „Nein, ein bisschen Anstand hab ich noch“, beruhigte er sie. „Das bedeutet? Es ist die Tiefgarage darunter, oder wie?“ hakte sie skeptisch nach. „Nur noch in unseren eigenen vier Wänden“, versicherte er ihr. „Versprochen.“ Zu dem letzten Wort schenkte er ihr noch den unschuldigsten Blick, den er unter diesen Umständen noch aufbringen konnte. Sie hielt sich die Augen zu und wandte sich von ihm ab, um sicher zu gehen, dass er sie nicht einwickeln konnte. „Highlander-Ehrenwort“, ergänzte er sofort und hob die Hand zum Schwur. Da sie ihm aber den Rücken zugewandt und immer noch die Augen geschlossen hielt, sah sie es nicht. Genauso entging ihr, dass sie die Tür verfehlte und sie gegen die Wand lief. „ Autsch“, klagte sie um gleich zu fluchen, „Man.“ Chily blinzelte irritiert und rieb sich den Kopf. „Das ist alles deine Schuld“, warf sie ihrem Mann vor. „Nur meine“, bekannte er sich schuldig, nahm sie wiederum in die Arme und strich ihr über die Stelle, an der sie sich den Kopf gestoßen hatte. Sie kam der Geste entgegen, ahndete ihn aber trotzdem: „Du bist ab sofort auf einmal pro Monat beschränkt.“ Eine zu harte Strafe befand er leicht schluckend. „Oh, okay“, fügte er sich dennoch vorsichtshalber. Hoffentlich meinte sie das nicht so. Sie schaute ihn überrascht an. „Kein Protest?“ Er schüttelte den Kopf. „Du bist der Boss, mein Engel“, meinte er nur. „Na, wenn das so ist…“ In ihrem Gesicht entstand ein breites, schelmisches Grinsen. „Dann wirst du ja brav tun, was ich sage“, erkannte sie neckisch. Sie wusste doch, dass er Nachholbedarf hatte und jede seiner Berührungen unterstrich das. „Alles, was du willst, Schatz.“ Er gab ihr noch einen sacht saugenden Kuss. „Dann solltest du jetzt schön brav den Kühlschrank auf Vollständigkeit prüfen und mir sagen, ob nichts fehlt. Milch, Butter, Schlagsahne, “ ordnete sie an. Verwundert musterte er sie, dann trollte er sich in die Küche um den Auftrag auszuführen. Er wunderte sich doch etwas darüber, dass sie ihn in ihre so heilige Küche ließ, sagte aber nichts dazu. Irgendwas schien sie auszuhecken und da war es besser abzuwarten. Kaum hatte er die Kühlschranktür geöffnet, schlenderte die Hebamme den Flur entlang und erkundigte sich beiläufig. „Und? Alles da? Auch die Schlagsahne?“ Jetzt ging ihm ein Licht auf. „Sahne da. Soll ich mitbringen?“ Sie kicherte. „Na hör mal, wir haben schließlich einen neuen Monat. Wie lange willst du warten?“ Damit verschwand sie aus seinem Blickfeld. „In dem Fall. Gar nicht.“ Der Recke schnappte sich die Flasche mit der Sprühsahne und folgte einer Spur aus Kleidungsstücken und dem neckisch verführerischem Kichern seiner Frau. Auf einmal pro Monat beschränkt? Ha. Die Drohung musste er kein Stück ernst nehmen. Sie war genauso verrückt nach ihm, wie er nach ihr. Das stand fest.
 

Das Jahr wurde gerade eine Woche alt, als Robin beginnen musste, sich auf ihre Klassen und den Lehrstoff vorzubereiten. Colt konnte noch seine Winterpause genießen.
 

Der Schotte erhielt einen Brief vom Oberkommando. Er durfte wieder als Ausbilder arbeiten. Folglich bereitete er sich ebenfalls darauf vor. Chily öffnete ihre Praxis wieder regulär. Von Weihnachten bis jetzt war sie nur in Notfällen zu erreichen gewesen, die es glücklicherweise nicht gegeben hatte.
 

Währenddessen hatte Fireball ein langes Gespräch mit seinem Boss vom Rennzirkus. Der Japaner wollte nicht mehr fahren. Es war ein gefährlicher Job und hatte er auch seither das Risiko gesucht, hielt er es nun, angesichts der näherrückenden Entbindung seiner Tochter, für zu hoch und unnötig. Leider musste er feststellen, dass sein Chef von dieser Ansicht nicht viel hielt. Ebenso wie die Firma, für die der Rennfahrer fuhr, sah er nur ungern seinen besten Mann gehen. Ganz besonders da Fireball, durch seinen zweiten Beruf als Starsheriff, doch sehr medienwirksam war.
 

In der Woche vor dem errechneten Geburtstermin fand sich der Ramrod-Pilot in einer heftigen Verhandlung wieder. Je energischer er zum Bleiben aufgefordert und je bestimmter er an seinen Vertrag erinnert wurde, desto sturer beharrte er auf seinen Ausstieg. Sie sprachen von einer Geldstrafe wegen Vertragsbruch. Er kannte die Klausel und die darin festgelegt Summe. Er zahlte das, warf er ihnen an die Köpfe. Er hatte genug Ersparnisse um das zu tun und vorläufig noch keine finanziellen Schwierigkeiten zu bekommen. Zähneknirschend gaben sie sich geschlagen.
 

Der Rennfahrer überwies die vertraglich festgelegte Summe, kaum dass er zurück bei April war. Er sah sie auf dem Sofa ausgestreckt liegen und schlafen. Da wusste er, dass er diese Entscheidung nie bereuen würde. Ihm war klar, dass er sich nach einem neuen Job umsehen musste, doch schrieb er vorläufig keine Bewerbungen. Weder er noch April hatten die Ruhe und Geduld sich die Stellenanzeigen durchzulesen. Nicht so lange Charlene noch nicht geboren war. Außerdem musste der Pilot die ersten beiden Termine beim Psychotherapeuten des KOK wahrnehmen, was ihm überhaupt nicht schmeckte.
 

Saber wunderte sich sehr, dass das Haus im Dunkel lag, als er heimkehrte. War seine Frau nicht da? Es schien so, musste er feststellen, als er in die Diele trat. Er schaltete das Licht ein und horchte irritiert nach Geräuschen im trauten Heim. Leises Surren war aus der Küche zu vernehmen. Das konnte er so gar nicht zu ordnen. Er hängte seine Jacke an die Garderobe und folgte dem Geräusch. Er öffnete die Küchentür und sorgte auch hier für Helligkeit. Dann blieb ihm der Mund offen stehen. Auf der Anrichte fand sich eine Schüssel, in der Eier und Zucker verrührt worden waren. Der beste Beweis dafür war das elektrische Handrührgerät, das daneben lag. Dessen Rührstäbe ragten empor und hatten diese Mixtur in der gesamten Küche verteilt. Die Mehltüte lag umgestoßen neben dem Kühlschrank und hatte ein Buch unter sich verschüttet. Er zog es hervor. Kuchenrezepte. Nun, zumindest schien Chily nicht vergessen zu haben, dass er heute Geburtstag hatte, das war schon mal tröstlich. Aber wo war sie hin? Es musste ja dringend gewesen sein, wenn sie sich nicht die Zeit genommen hatte wenigstens den Mixer abzuschalten. Er tat das kurzerhand, prüfte noch den Anrufbeantworter, der aber keine Nachricht für ihn hatte, und begann die hinterlassene Unordnung zu beseitigen. Wahrscheinlich war sie bei einer Entbindung. Da war sie so darauf fixiert, dass sie vergaß ihm Bescheid zu sagen. Er brauchte also auch gar nicht erst versuchen, sie auf ihrem Beeper oder dem Diensthandy zu erreichen. Beides war ausgeschaltet, wenn sie im Krankenhaus war. Er seufzte leicht. Ausgerechnet an seinem Geburtstag.
 

Das Telefon der Hebamme hatte geläutet. Zwar das dienstliche, aber mit dem, was ihr daraus entgegen trötete, hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Dem ganzen wütenden Kauderwelsch hatte sie immerhin entnehmen können, dass Fireball und April im Krankenhaus von Yuma-City waren. Recht unwahrscheinlich, dass dies der dritte Fehlalarm war und so, wie der Rennfahrer klang, liefen die Dinge nicht, wie sie sollten. Sie ließ alles stehen und liegen und stürmte aus dem Haus.
 

Noch völlig außer sich fing Fireball die Hebamme gleich am Eingang ab. Bei April hatten die Wehen eingesetzt, konnte Chily aus dem Wortschwall heraushören. Der Gynäkologe, an den die beiden verwiesen worden waren, hatte die Schwangere in ein Untersuchungszimmer gebracht, den werdenden Vater jedoch vor der Tür stehen lassen, da die beiden nicht verheiratet waren. Der Kindsvater war ernstlich erbost darüber. Während er wetterte, dass es jenseits von Gut und Böse lag, erkundigte sich die Hebamme am Empfang nach Arzt und Untersuchungszimmer. Sie schleifte den Rohrspatz, ungeachtet seines Zorns, mit in den Aufzug und von dort in den Raum, der ihm zuvor verwehrt geblieben war. Kaum fand er sich darin wieder, gab er Ruhe, zog sich einen Stuhl herbei und nahm an Aprils Seite Platz. Der behandelnde Arzt schaute die Hebamme im höchsten Maße verwundert an. Diese ignorierte diesen Blick, setzte den Fachmann kurz und bündig ins Bild und ließ sich die Untersuchungsergebnisse mitteilen. Dann verließ der Mediziner das Zimmer und holte seinen Kollegen, welcher schon mit Chily zusammen gearbeitet hatte.
 

„Was ist los?“, wollte Fireball wissen, als sie allein waren. Die werdenden Eltern konnten mit dieser Untersuchung nichts anfangen. Chily hatte sie nicht auf so etwas vorbereitet, also musste es ungewöhnlich sein. „Ich bin mir sicher, dass es Wehen sind.“ April schaute beunruhigt drein. „Schon gut“, beschwichtigte die Geburtshelferin sie. „Es ist folgendes: Am Ablauf an sich ist alles in Ordnung. Du hast Wehen und dein Körper bereitet sich auf die Geburt vor. Nur etwas zu langsam und zu schwach dafür, dass der Geburtstermin um zehn Tage überschritten ist. Das ist kein Grund zur Sorge, “ versicherte sie rasch, als sie die erschrockenen Gesichter der beiden sah. „Es gibt folgende Möglichkeiten. Wir leiten den Geburtsvorgang künstlich ein, was ein sehr minimales, aber eben doch, ein Risiko für euch beide ist. Oder wir helfen durch ein natürliches Medikament nach. Alles wird dann so laufen wie es soll. Wir schieben nur etwas an. Augenblicklich würdest du bis morgen früh um sechs in den Wehen liegen. Das ist nicht nur unangenehm, sondern für deinen Körper eine zu große Belastung, “ erläuterte sie dann fachlich ruhig. Beide nickten. Durch Chilys Kompetenz fanden sie zur Gelassenheit zurück. „Wenn die Geburt künstlich eingeleitet wird?“, setzte Fireball zur Frage an. „Dann ist Charlene in drei bis vier Stunden da“, erhielt er zur Antwort. April schüttelte den Kopf. „Natürlich ist am besten. Ich will nicht von einem Extrem ins andere fallen, “ entschied sie.
 

Der eintretende Arzt hatte den Satz gehört. Er gab Chily die Hand, dann dem Paar und erklärte ihnen, etwas detaillierter als gerade die Hebamme, was sie zu erwarten hatten. Dann wurde die Schwangere in ein Krankenzimmer gebracht und ihr das Medikament verabreicht. Danach hieß es erst mal warten. Ihr Körper musste sich auf die Niederkunft einstellen, sie vorbereiten. Fireball wich nicht von Aprils Seite, Chily nur, wenn es nicht anders ging. Sie strahlte dabei Ruhe und Sicherheit aus und hüllte die Erwartungsvollen darin ein. Sie wachte genau über den Zustand der Navigatorin, deren Krämpfe heftiger wurden, je spätere Abendzeit die Uhr anzeigte, und ließ sie im Zimmer und auf dem Flur auf und abgehen um den Prozess noch weiter voranzutreiben.
 

Schließlich wurde April in den Kreissaal gebracht. Fireball blieb, in entsprechende Krankenhauskluft gesteckt, unablässig bei ihr. Ebenso Chily. Kaum war jedoch die junge Schwangere durch die Schwingtüren in den Entbindungssaal geschoben worden, setzte das Grausen vor dem Kommenden ein. Sie war unausweichlich an dem Punkt, da sie gebären würde, da sie endgültig und unwiederbringlich Mutter wurde. Das machte ihr Angst. Was, wenn sie als Mutter versagte? Wenn die Schmerzen so unerträglich waren, dass sie nie wieder ein Kind bekommen wollte. Tausende, teilweise lächerliche, Zweifel stiegen in ihr auf, die ihr zuvor nie in den Sinn gekommen waren. Sie umschloss fest Fireballs Hand. In ihm, hingegen, wuchs die Anspannung und die Vorfreude. Endlich würde er sein Töchterchen sehen, durfte er sie im Arm halten. Beruhigend strich er mit der freien Hand über das Haar seiner Freundin. „So wie grad, fühl ich mich sonst nur bei einem Rennen, wenn ich auf die Zielgerade zu rase“, gestand er etwas befangen. Chily grinste, während sie mit dem Arzt die letzten Vorbereitungen traf. Sie spürte Aprils Sorgen deutlich. Sie musste sie irgendwie davon ablenken. „Ich verstehe, was du meinst“, sagte sie deshalb zu dem Rennfahrer und stimmte ein Lied an. Er erkannte es gleich und setzte mit ein „… Feel the rush, oh feel it everywhere …“
 

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Der Doktor und die Schwangere starrten die beiden Sänger an, als wären sie nicht mehr ganz richtig im Kopf. Dann schmunzelte der Mediziner und schob den Mundschutz zurecht. Er kannte die, teilweise unkonventionellen, Methoden der Hebamme und stieg mit ein, trällerte mit.
 

Die Presswehen setzten ein. „Na, komm, Little Mama, “ forderte Chily auf. „… Feel the rush …“ April verstand die Aufforderung und presste. Nur Blicke zwischen ihr und der Geburtshelferin genügten und die Gebärende wusste, was sie zu tun hatte. Der Gesang um sie herum begann sie zu entspannen und zu unterstützen. „Feel the rush“, sang sie nun angestrengt mit und presste, drückte Fireballs Hand dabei. Das war verrückt, schoss es ihr durch den Sinn. Nie im Leben hätte sie gedacht, bei der Geburt zu singen. Das war vollkommen abgedreht. Das würde ihr niemand glauben, wenn sie das erzählte. Im Leben nicht. So was Durchgeknalltes. Beinahe hätte sie lachen müssen. Der schiefe Gesang war ihr tatsächlich eine Hilfe. Unfassbar.
 

Noch unfassbarer klang das Geschrei eines Kindes durch den Kreissaal und beendete jäh das Lied. „Wollen Sie die Nabelschnur durchschneiden, Mister Hikari?“, fragte der Arzt unter dem Mundschutz schmunzelnd. Der Angesprochene nickte ohne nachzudenken. Das seltsam verschmierte Etwas, das sich gerade die Seele aus dem winzigen Körperchen brüllte, war seine Tochter. Er hätte nicht sagen können, was er fühlte. Nur seine Augen leuchteten in einer Mischung aus Stolz und Freude, die nur Väter in einem solchen Augenblick empfinden konnten.

„Schau sie dir an“, hauchte er fassungslos vor Erstaunen, als der kleine Mensch auf Aprils Brust gelegt wurde. „Sie ist wunderschön“, presste sie abgekämpft hervor und lachte leicht. „Sieh nur, die kleinen Hände.“
 

Dieses verblüffte Bestaunen, die Wärme und Freude, die das Paar jetzt im Kreissaal versprühte, waren die Gründe, weshalb Chily so leidenschaftlich gern Hebamme war. Diese Seligkeit. In ihren Augen sammelten sich Tränen. Jedes Mal aufs Neue unbegreiflich für sie, so etwas zu erleben. Sie zwang sich zur Uhr zu sehen und die Geburtszeit einzutragen. Im Augenwinkel sah sie den frisch gebackenen Vater einen innigen Kuss auf die verschwitzte Stirn der erschöpften Mutter drücken. Eine Freudenträne tropfte auf die Zahlen 0 und 29. Während sich die kleine Familie hielt und die Welt um sich herum vergessen hatte, hätte Chily diese Welt umarmen mögen.
 

Noch weit später dachte sie nicht ans Schlafen, sondern saß im Aufenthaltsraum der Krankenschwestern und fertigte die Nabelschnurbehälter. Sie dienten den Bräuchen der Indianer Nordamerikas dazu, die schlechten Geister zu verwirren und das Neugeborene vor deren Einfluss zu schützen. Die Nabelschnur eines Neugeborenen galt als Zugang zu den Gedanken und der Seele, weshalb in einen der Behälter die Nabelschnur, in einen anderen, gleichaussehenden, Büffelhaar eingenäht wurde. So wollte man die Geister verwirren, da sie nicht wussten, in welchem der beiden Behältnisse die Nabelschnur war. Für Mädchen wurde ein solcher Nabelschnurbehälter in Form einer Schildkröte gemacht, da die das Sinnbild für Mutter Erde und der Gabe, Leben zu schenken, war.
 

Die junge Familie träumte glücklich von der Zukunft.
 

Am späten Vormittag des nächsten Tages trudelten Saber, Colt und Robin im Krankenhaus ein. Chilys Abwesenheit und das Verschwinden von Fireball und April hatte sie bald darauf gebracht, dass die drei zur Entbindung im Krankenhaus waren. Dort hatte die Hebamme seit den Morgenstunden alle möglichen Untersuchungen und notwendigen Unterlagen für das Neugeborene zur Unterschrift vorbereitet, um den jungen Eltern diesen Papierkrieg weitgehend zu ersparen. Sie sollten sich über Charlenes Anwesenheit freuen. Folglich fanden die drei Besucher auch nur den Rennfahrer und die Blondine in dem Krankenzimmer vor. Ihr Töchterchen war noch bei einer Untersuchung. „Da kommt der liebe Onkel Colt und euer Töchterchen ist nicht da! Den Anstand hat sie jetzt schon von dir, Turbofreak. Nämlich keinen, “ beschwerte sich der Scharfschütze, kaum dass er eingetreten war. „Oder von Onkel Colt, “ konterte der Japaner gähnend. „Das wage ich zu bezweifeln, “ grinste der Kuhhirte dreist und stichelte dann. „Wovon bist du eigentlich müde? Vom Zusehen?“ Der Vater hob seine rechte Hand in die Höhe. „Ich bin froh, dass die noch dran ist“, meinte er trocken. „Das ist nichts, im Vergleich zu dem, was ich durchgestanden hab“, bemerkte April. „Das glaub ich sofort.“ Saber schmunzelte verständnisvoll. Chily hatte ihm einmal eindrucksvoll erklärt, wie sich das anfühlte. Seither bewunderte er jede Frau nur noch mehr darum, dass sie das auf jeden Fall einmal ertragen konnte. „Also: Wie groß, wie schwer und so weiter. Wenn wir sie schon nicht sehen können, dann hätten wir doch gerne eine Beschreibung, “ verlangte er dann neugierig zu wissen. „Wann kam sie denn?“ fragte die Lehrerin. „0 Uhr 29, 2800 Gramm ...“ informierte der junge Vater und seine Freundin ergänzte. „ 47 Zentimeter groß.“ Sie hatte noch immer das Gefühl, jeden einzelnen davon zu spüren.
 

„Bist du sicher, dass sie dann deine ist, Fire? Ich meine, so groß warst du bei der Geburt bestimmt nicht. Du bist ja jetzt kaum größer, “ neckte Colt fröhlich. Justament öffnete sich die Tür und die Hebamme trug das Neugeborene herein. Sie hatte gerade noch Colts letzten Satz gehört und kommentierte den nun. „Einen Vaterschaftstest braucht er nicht.“ Tatsächlich sah das Mädchen aus, wie die Miniaturausgabe des Ramrod-Piloten. Sogar der feine, schwarze Haarflaum stob wild in die Luft. Einzig die großen Knopfaugen hatten das klare, etwas dunklere, Blau der Mutter. „Lass dich mal ansehen, du kleines Elend. Mensch, in welche Familie du da rein geraten bist.“ Colt war mit einem Satz bei Chily und hätte ihr beinahe den Säugling vom Arm gestoßen. „Bullet!“ mahnte sie ihn sofort streng und wich einen Schritt zurück. „Selber machen und mir nicht fast vom Arm schubsen.“ Robin schob ihren, berechtigterweise gerügten, Zukünftigen zur Seite um auch einen Blick auf Charlene zu erhaschen. „Zu süß“, schwärmte sie aufrichtig. „Und kerngesund“, fügte die Hebamme hinzu. Dann legte sie die Kleine ihrer Mutter in den Arm. „Gut gemacht, Little Mama, “ lobte sie, ehe sie auf einem Besucherstuhl Platz nahm. Fireball kuschelte sich an Aprils Seite und strich seinem Töchterchen über den zarten Haarschopf. „Himmel auf Erden“, schmunzelte Saber. Er stand am Fußende des Bettes und betrachtete die beiden, die augenblicklich alles um sich herum vergessen hatten. „Die Hölle im Kreissaal“, scherzte Chily und grinste müde. Jetzt machte sich bemerkbar, dass sie mittlerweile seit über vierundzwanzig Stunden wach und auf den Beinen war. „Irgendwie hab ich ja Angst“, gestand Colt unvermittelt. „Wovor?“ wollte Robin verwundert wissen. Der Gefragte deutete auf das Paar im Krankenbett. „Die sind im Doppelpack schon kaum zu ertragen. Wenn Charly auch nur ein bisschen von ihnen hat, und das ist durchaus im Bereich des Möglichen, wird aus dem Doppel ein Tripplepack. Zuviel für mich, “ erläuterte er dabei. „Das Risiko ist gering, “ gähnte die Hebamme. „Sie ist ja jetzt da, da wird er“ Sie wies auf den Rennfahrer, „ja nicht mehr so abdrehen, “ meinte sie und streckte die Beine von sich. „Oder er, “ Auch der Scharfschütze deutete auf den Piloten, „dreht jetzt völlig durch“, überlegte er laut. „Was soll das? Tu mal nicht so weich. Mich hast du doch auch überlebt, “ gähnte die buntgesträhnte Blondine erneut. „Du bist nur halb so wild wie er, wenn er erst anfängt“, entgegnete der Cowboy. „Ja, sehr wild ist er grad“, grinste Saber und nickte zu den jungen Eltern. Die hatten nicht ein Wort von dem Gesprochenen mitbekommen. „Ein Wolf im Schafspelz, wenn ihr mich fragt“, lächelte die Lehrerin. „Der Grund dafür ist wirklich hinreißend.“ Saber warf noch einen Blick auf Charlene, wie sie ruhig und aufmerksam zu ihren Eltern aufsah. „So könnt es bleiben“, seufzte Robin und lehnte sich an Colts Schulter. Es war gerade sehr ruhig und idyllisch in diesem Raum.
 

Wenigstens bis Chily ein leises Schnarchen hören ließ. Die Erschöpfte war eingeschlafen. Colt schüttelte leicht den Kopf, verschwand kurz und kam mit einer Decke zurück. Fürsorglich deckte er sie zu. „Wie kannst du schlafen, wenn sie so sägt?“, fragte er den Schotten amüsiert. „Ich bin deine Akustik noch gewöhnt“, gab er trocken zurück. „Wirst du auch eine Weile noch. Immer wieder mal“, versprach Colt heiter. „Ich freue mich schon drauf“, erwiderte der Recke und verdrehte die Augen. „Hättest ja auch ins Exil gehen können“, kommentierte der Cowboy unbeeindruckt, aber Saber ging nicht darauf ein. Seine Frau bewegte sich auf dem Stuhl, stellte er besorgt fest. „Sie ist zuhause besser aufgehoben, als hier.“ Damit streichelte er sie vorsichtig wach. „Schatz?“, flüsterte er. „Komm, ich bring dich nachhause.“ – „Jetzt nicht“, murmelte sie verschlafen zurück. „Ich bin müde.“ Ihr Mann schüttelte den Kopf und hob sie auf seine Arme. Robin hielt ihm die Tür auf. „Wir sollten wohl auch gehen, bevor der Virus Schwangerschaft noch ansteckt“, schlug Colt vor und so ließen sie die jungen Eltern allein, die das erst sehr viel später bemerkten.
 

Lächelnd deckte Saber das schlafende Knäuel, mit dem verheiratet war, zu. Sie war schon gestern zeitig auf den Beinen gewesen und hatte einiges zu erledigen gehabt. So tief und fest, wie sie die ganzes Heimfahrt in Robins Auto geschlafen hatte, konnte der Schotte getrost Stein und Bein darauf verwetten, dass sie nicht eine Minute Ruhe gehabt hatte. Von Schlummer wollte er da gleich gar nicht sprechen.
 

Während sie nun vor sich hin träumte, beantwortete er in ihrer Praxis einige Anrufe, die auf dem Anrufbeantworter waren, las die Post durch, sortierte diese für sie nach Wichtigkeit und kümmerte sich danach um seine eigene Schreibarbeit.

Sie schlief noch am Abend. Es bekümmerte ihn ein wenig. Eine große Geburtstagsparty an seinem Geburtstag zu feiern, war weniger sein Fall, aber ein gemütlicher, ungestörter Abend mit seiner Frau wäre eben doch sehr nett gewesen. Aber man hatte nun mal keinen Einfluss darauf, wann Kinder zur Welt kamen. In den Gesprächen, die sie so über ihre Berufe geführt hatten, war ihm klar geworden, dass sie mit der gleichen Hingabe Hebamme war, wie er Starsheriff. Daher konnte er sie nur zu gut verstehen.
 

Am nächsten Morgen wachte er vor ihr auf und betrachtete ihren verstrubbelten, buntgesträhnten Schopf. Liebevoll strich er darüber und entschied, dass sie ein Frühstück am Bett verdiene. Kaum gedacht, setzte er das in die Tat um.

Er stellte das Tablett auf ihrer Seite auf die Kommode und beugte sich zu ihr. Vorsichtig schob er ihr Haar zur Seite und sang ihr sacht ins Ohr. „You are my sunshine...“ Sie hatte gespürt, dass er das Bett verlassen hatte und fühlte, mehr im Halbschlaf, als dass sie schon wach war, wie er sie berührte. „Mitten in der Nacht?“, murmelte sie verschlafen. „… My only Sunshine... you make me happy, when skies are grey,“ sang er weiter und hauchte ihr Küsse aufs Ohr, in den Nacken und die Halsbeuge. Er würde sie schon wach bekommen, hoffte er. Sie zog sich nur die Decke über den Kopf. „Jetzt nicht, Manapi“, brummte sie träge. Er zog diese wieder fort. „Frühstück ist fertig, Aiyana“, schmunzelte er. „Schön.“ Sie angelte nach dem Betttuch. Dann drangen seine Worte in ihr Bewusstsein. „Frühstück?“ Schlagartig saß sie im Bett. „Ja, ganz recht. Frühstück.“ Saber reichte ihr den Kaffee. „Guten Morgen, mein Sonnenschein“, lächelte er warm. Sie rieb sich den letzten Schlaf aus den Augen und nahm die Tasse. „Aber das ist falsch rum so“, bemerkte sie. „Warum?“, fragte er und setzte sich zu ihr ans Bett. „Na, du musst das Frühstück kriegen. Du hattest Geburtstag, “ erklärte sie und fügte hinzu. „Gestern.“ – „Vor... gestern, “ schmunzelte er. „Aber egal. Und jetzt lass mich dir eine Freude machen und mit dir im Bett frühstücken.“ Dabei langte er nach seiner eigenen Tasse. „Vorgestern?“ Ungläubig sah sie ihn an. „Nee, ne?“ Verwirrt versuchte sie zusammen zu puzzeln, was genau in welcher Reihenfolge geschehen war, bevor sie geschlafen hatte. Aber das war nicht ganz so leicht, wenn ihr Mann auch noch so erheitert nickte. „Das darf doch nicht wahr sein.“ Auf den Schreck leerte sie die ganze Tasse. Man musste wach sein um das zu begreifen. „Der Versuch eines Kuchens ist schwindelig gerührt worden“, feixte ihr Angetrauter. „Back lieber nichts mehr, solange du Hebamme bist, mein Schatz“, schlug er amüsiert vor. Seine Frau starrte ihn fassungslos an und brachte keinen Ton hervor. Dafür knurrte ihr Magen. Noch immer grinsend reichte er ihr ein Honigbrötchen, von dem sie gierig abbiss. Also war sie genauso wenig zum Essen, wie zum Schlafen gekommen, erkannte er. „Soll das heißen, ich habe vergessen den Mixer auszuschalten?“, hakte sie dann mit vollem Mund nach. „Ja, hast du“, nickte er erneut. „Aber dafür hast du überall das Licht ausgeschaltet und die Haustür geschlossen“, schmunzelte er. „Und jeder Einbrecher hätte sich vor unserem Wachmixer gefürchtet“, konnte er nicht widerstehen, sie zu necken. Sie schluckte den Bissen hinunter. „Dann back ich dir eben keinen Kuchen mehr. Ist doch nicht meine Schuld, dass Little Daddy mir so hysterisch ins Ohr kreischt, “ rechtfertigte sie sich leicht. „Aber nicht doch. Unser Fire ist die Ruhe in Person“, lachte ihr Angetrauter leise und fuhr fort sie zu füttern. „Bist du denn wieder ausgeschlafen?“, erkundigte er sich dabei. Sie nickte kauend.
 

„Hast du ein Paket gesehen?“, wollte sie dann von ihm wissen. Allmählich setzten sich die Vorgänge vor ihrem komaartigen Schlaf wieder zusammen. Saber schüttelte den Kopf. „Zumindest war keins in der Post“, antwortete er nach kurzem Überlegen. Sie riss erschrocken die Augen auf. „Irgendwo in der Wohnung?“, hakte sie nach. „Hättest du eines bekommen sollen?“, wollte der Schotte nun seinerseits wissen. Es schien wichtig zu sein, wenn es sie so alarmierte. „Ich hab es schon bekommen. Ich weiß nur nicht mehr, wo ich es hingetan hab. Vielleicht hatte ich es auch versteckt, dann weiß ich aber auch grad nicht mehr wo“, erklärte sie ihm daraufhin. Oh, Mann. Darüber konnte sich der Recke nur amüsieren. Gelegentlich wuchs Chily zu einem Chaosbolzen aus, wenn allzu viele Dringlichkeiten gleichzeitig auf sie einstürzten. Nach dem ersten Schreck sortierte und handelte sie diese ab, um anschließend ganz verzweifelt ihre Jacke zu suchen, die sie trug. „Das ist bedenklich, Schatz“, scherzte er nun. „Jetzt lach mich halt gleich richtig aus, dann hab ich es hinter mir. War ja bloß dein Geschenk drin“, versetzte sie leicht gekränkt. Dieser Charakterzug war eine Schwäche, über die sie sich selbst ärgerte, weshalb sie Neckereien damit nur schlecht ertrug. Aber die Erwähnung seines Präsentes hatte ihrer hauseigenen Spottdrossel den Schnabel gestopft. „Das war für mich?“, hakte er, jetzt hellhörig geworden, nach. Da hatte sie ihre Genugtuung und stopfte sich, statt einer Antwort, den Rest des Brötchens in den Mund. Jetzt war es an dem Recken zu schmollen. „Hoffentlich finden wir es wieder“, seufzte er. „Ach“, winkte sie munter ab, „das reicht, wenn es Weihnachten wieder auftaucht. Dann hab ich schon was, dass ich dir unter den Weihnachtsbaum legen kann.“ Sie schluckte den Bissen hinunter und grinste breit. Ach wie schnell sich das Blatt doch wenden konnte. Trotzdem hätte sie sich gern wieder daran erinnert, wo sie das Paket versteckt hatte. Es hatte sie viel Mühe gekostet, den Inhalt ausfindig zu machen. Und sie hatte es ganz sicher versteckt, damit Saber nicht, entgegen seiner Angewohnheit und seiner Manieren, auf die Idee kam es zu öffnen. Das Ding sah ja schließlich nicht wie das Postgut aus, das sonst hier ankam. „Das dauert ja noch elf Monate“, jammerte er jetzt, „Das ist nicht fair, Aiyana.“ Sie hob nur die Schultern. „C'est la vie …“, kicherte sie unterdrückt. Oh, wahrscheinlich würde er noch viel mehr klagen, wenn er wüsste, was in dem Paket war. „… bis zum Knie“, setzte er ihren Satz fort, „Jaja, ich weiß. Colt bringt den Spruch auch alle paar Meter“, seufzte er schon ernstlicher bekümmert. Da war sein Geburtstag also tatsächlich ausgefallen. Mann, das war ja schon gemein. Seine Angetraute entschied sich, ihn für seine vorangegangenen Neckereien etwas zu strafen und ihn vorerst in dieser Annahme zu lassen. „Frühstückseier?“, fragte sie deshalb nur und linste auf das Tablett. Gedanklich überlegte sie fieberhaft, wo die doch wertvolle Fracht hingekommen war. „Vom hauseigenen Huhn, bitte.“ Saber reichte ihr eines. „Ist zwar ein bisschen verrückt, aber Eier legen tut es noch“, fügte er hinzu. Die Aussage zeigte ihr, wie wenig der ausgefallene Geburtstag ihm gefiel. Sie klopfte das Ei auf. „Salz?“, fragte sie und unterdrückte ein Kichern. Sie wusste, dass sie mit dem Huhn gemeint war und fand, sie könne diese Meinung ruhig etwas bestätigen. Saber reichte ihr den Salzstreuer. „Was hältst du davon, wenn ich zum Mittag den hauseigenen Hahn schlachte“, grinste sie ihn an. „Der lässt sich nicht schlachten. Außerdem ist er schon zu alt“, wehrte der Recke ab, obwohl die knappen zwei Jahre nicht wirklich ein wesentlicher Altersunterschied waren. „Das Huhn dagegen ist noch jung, das würde sich gut als Backhühnchen machen“, zwinkerte er ihr dann spitzbübisch zur. Ein bisschen Spaß musste schon sein, um zu verdrängen, dass sein Wiegenfest verpatzt worden war. Sie starrte ihn an und vergaß sogar das Schlucken des Stückchens Ei, welches sie sich gerade in den Mund geschoben hatte. Jetzt konnte der Schotte wieder Schmunzeln. Wieder hatte sich das Blatt gewendet. „Sei froh, dass es nicht als Grillhühnchen endet“, zog er sie auf. Sie würgte endlich den Happen hinunter, schaute ihn mit großen Augen an und drückte ihm das Ei und den Löffel in die Hand. Mit dieser Reaktion konnte Saber so gar nichts anfangen. „Was denn?“, fragte er irritiert. War er mit seinem Scherz zu weit gegangen?
 

Tatsächlich hätte Chily beim besten Willen nicht erklären können, in welchem Zusammenhang die Hühner-Witze mit der Erinnerung an den Verbleib des Paketes stand, aber es war ihr wieder in den Sinn gekommen. Jetzt fegte sie auf der anderen Seite aus dem Bett und aus dem Schlafzimmer. Halb die Treppe schon im Erdgeschoss rief sie ihrem Mann zu. „Bleib ja, wo du bist!“ – „Hab ich eine andere Wahl?“ Verwirrt schielte er ihr nach. Musste er das verstehen? Nein, zumindest noch nicht. Er linste verunsichert in die Tasse und nahm noch einen Schluck von dem Kaffee um sicher zugehen, dass er nicht versehentlich Espresso gebrüht hatte, aber das Gebräu entpuppte sich als ganz normaler Muntermacher. Das wusste wohl nur der Teufel, was da wieder in seine Frau gefahren war. Das musste man manchmal einfach nur hinnehmen. Das Gepolter und Gerumpel aus der unteren Etage und am Treppenabsatz musste er allerdings nicht hinnehmen. „Lass bitte das Haus ganz. Wir haben doch grad erst renoviert“, erinnerte er sie mahnend. „Jaha“, rief sie zurück, „Bleib du einfach da.“ Der Krach kam jedoch immer näher und wie Saber bald feststellte, beförderte sie ein großes, längliches und offenbar sehr schweres Paket, lärmend Stufe um Stufe hinauf ins Schlafzimmer. Sie keuchte vor Anstrengung. „Gott, hast du Steine aus dem Steinbruch gekauft?“, fragte er verwundert. „Ja, das ist dein Grabstein“, schnaufte sie am oberen Ende angekommen. Jetzt versuchte sie die Kiste ins Schlafzimmer zu schieben, trat dabei mehrfach auf der Stelle, bis sie genügend Kraft zum Gelingen aufbrachte. Ihr Mann, auf dem Bett sitzend, fand sich vor einem unlösbaren Rätsel. „Hoffentlich steht ein netter Spruch drauf. Ich will nicht trübsinnig auf meiner Beerdigung erscheinen“, meinte er und beäugte das Paket. Was sollte das sein? Seine Augenbraue zuckte skeptisch hoch. „Tja, über die Toten nur Gutes. Also kein Spruch“, schnaufte sie schwer. Sie hatte angeordnet, dass er oben blieb. Sie wollte seine Hilfe nicht, aber jetzt war sie doch sehr erschöpft von dem Hinaufbefördern seines Geburtstagsgeschenkes. „Ich werde mich beherrschen“, bemerkte er nur halbherzig und rätselte noch immer, was der Inhalt wohl sein konnte. „Damit auf meinem Grabstein nur Gutes steht.“ Schließlich riss er die Augen vom Paket und schaute seine Frau an. „Ist das für mich?“, fragte er. Sie richtete sich auf. „Ja, aber du scheinst, ich weiß nicht, als ob du jetzt schon wüsstest, das es dir nicht gefällt“, meinte sie, krabbelte auf das Bett und aß ihr Ei weiter. „Gar nicht wahr. Ich frage mich lediglich, was so schwer sein kann, dass du es fast nicht tragen kannst. Und ich hab keine brauchbare Idee, offen gestanden“, gab er wahrheitsgemäß zu. „Tja, dann solltest du es wohl einfach aufmachen“, schlug sie vor. Das musste sie ihm dann auch nicht zweimal sagen. Er war mit einem Satz von der Matratze runter und suchte ungeduldig nach einer guten Stelle um dem ominösen Postgut sein Geheimnis zu entreißen. Er war zum Platzen neugierig.
 

Seine Frau unterdessen goss sich noch mal einen Kaffee ein und langte nach einem weiteren Brötchen.
 

Der Schotte faltete den Deckel auseinander und klappte ungläubig den Mund auf. Allerdings brachte er keinen Ton hervor. Träumte er?
 

Chily beobachtete ihn aufmerksam. Gedankenverloren biss sie dabei von dem Brötchen ab und kaute langsam. Gefiel es ihm?
 

Sabers Blick fiel als erstes auf eine Nachbildung des legendären Schwertes Excalibur, welches offenkundig zu Dekorationszwecken diente. Darunter waren, in weiches, dunkles Leder gebunden und mit goldenen, schnörkligen Lettern gravierte, ganze fünfzehn, ziemlich dicke und große Buchbände über Schwerter zu finden. Saber kannte diese Reihe Nachschlagewerke vom Hörensagen. Sie enthielt eine Zusammenfassung über die historische Fertigung und Herstellung, über den Ursprung der Waffe in den einzelnen Ländern und die bedeutendsten Legenden der jeweiligen Nation. Wahllos zog er eines der Bücher heraus und las den Titel vor. „Klingen schottischer Herrenhäuser.“ Das war unglaublich. „Jolene?“ Streng sah der Recke seine Frau an. Die setzte sich bei diesem Ton aufrecht hin, als wäre sie bei etwas Schlimmen ertappt worden, schluckte erschrocken, legte die angebissene Semmel weg und antwortete verunsichert: „Ja?“ Jetzt deutete er auf sich und ordnete an. „Komm mal her.“ Das klang gar nicht gut. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, das Schimpfe vom Vater bekommen sollte. Normalerweise würde sie sich darüber beschweren, aber nicht in diesem Fall. Er hielt sein Geburtstagsgeschenk in der Hand und schien alles andere als erfreut darüber. Dann musste sie sich wohl schimpfen lassen, wenn sie so falsch mit dem Präsent gelegen hatte. Vorsichtig krabbelte sie übers Bett und auf ihn zu, hielt aber sicherheitshalber an der Bettkante. „Zu mir her, Jolene“, verlangte er nachdrücklich und klopfte auf seinen Schenkel. Wollte er sie etwa übers Knie legen? Du lieber Himmel. „Nö“, weigerte sie sich unbehaglich. „Doch!“ Das war schon fast ein Befehl. Langsam kletterte sie nun vom Bett runter und kniete, die Tür für eine möglicherweise erforderliche Flucht im Auge behaltend, neben ihm. „Hab ich was angestellt?“, fragte sie. „Ja“, erklärte er hart, dann zog er sie rasch in seine Arme und drückte der Perplexen einen ungestümen Kuss auf die Lippen. „Du verrücktes Huhn, wie bist du an die Bücher gekommen?“, wollte er dann wissen und jetzt konnte er nicht länger verbergen, wie sehr er sich darüber freute. Die Werke waren sehr selten und es war ihm seither nicht gelungen sie aufzustöbern und zu erwerben. Nun hielt er sie in den Händen. Unglaublich. Seine Frau musste sich unter dieser stürmischen Geste an ihm festhalten und erwiderte den Kuss. „Wie ich an die Bücher gekommen bin?“, wiederholte sie seine Frage. „Ja, woher wusstest du, dass ich die Bücher suche?“ Das Leuchten in seinen Augen machte sie unsagbar glücklich. Hatte sie doch richtig gelegen. Nun grinste sie. „Bitte? Du fragst mich, woher ich das weiß?“ Wollte er sie veralbern? Der Schotte schnaubte leicht. Vor Überraschung hatte er doch tatsächlich vergessen, mit was für einer Frau er da verheiratet war. „Sogar dazu missbrauchst du deine Fähigkeiten“, schalt er sie lächelnd „Na hör mal. Das stand im Manapi-Gedanken-Buch auf Seite 1670, linke Seite dritte Zeile und war fett mit rot markiert“, grinste sie zurück. „Ich hab mir die Hacken danach abgerannt“, fügte sie kopfschüttelnd hinzu. Das konnte er sich gut vorstellen. „Wo hast du die Bücher nun her?“, bohrte er weiter und zog sie auf seinen Schoß, so dass er beinahe wie ein Kind hielt. „Das war eine Odyssee“, meinte sie und schlang beide Arme um seinen Hals. „Das Leben reicht nicht um dir zu erzählen, wie lange ich nach dem Laden gesucht hab, der sie führt. Aber als ich ihn gefunden hatte, war das Kaufen schnell erledigt“, fasste sie die verlangte Auskunft auf das Wesentliche zusammen. „Mein verrücktes Huhn“, murmelte er außer sich und küsste sie wieder. Ein schöneres Geschenk hätte sie ihm kaum machen können. Sie ahmte spitzbübisch ein Huhn nach, sogar recht überzeugend. Er strich ihr schmunzelnd eine Strähne aus dem Gesicht und begann von neuem zu singen. „You are my sunshine, my only sunshine; you make me happy, when skies are grey... You never know dear how much I love you …” Na gut, er hatte Geburtstag gehabt, darum ließ sie ihn zu Ende trällern ohne ihn zu unterbrechen und egal, wie schief es klang. Erst danach küsste sie ihn wieder, höchst zufrieden, ihm eine solche Freude gemacht haben zu können.
 

Eine Woche später wurde April aus dem Krankenhaus entlassen. Nachdem die Wehen nicht so eingesetzt hatten, wie sie sollten, hatte man sie etwas länger unter Beobachtung haben wollen um sicher zu stellen, dass alles im grünen Bereich war. Nun endlich durfte sie nach Hause. Sie wollte wieder zu ihrem Rennfahrer. Sie wusste, dass er noch zwei Sitzungen beim Psychotherapeuten gehabt hatte, die ihm so gar nicht gefielen, weil er nun mal nicht gern über sein Seelenleben sprach. Es war besser, wenn sie und Charlene bei ihm waren um ihn auf andere Gedanken zu bringen oder einfach nur mit ihm darüber zu schweigen. Außerdem gehörte eine Familie zusammen, in die gleiche Wohnung und sie selbst hatte nun wirklich genug vom Krankenhaus und seinem allzu sterilen Geruch. Fireball hatte sie abgeholt, trug ihr die Tasche zum Auto und fuhr seine beiden Frauen Heim. Kaum hatten sie den Fahrstuhl in ihrer Etage verlassen und die Wohnungstür aufgeschlossen, krähte ihnen schon die Schar wartender Freunde entgegen. „Willkommen daheim.“ April schmunzelte erfreut. Von der Stille in der Klinik hatte sie wirklich genug gehabt und eine Überraschungsparty war immer eine nette Idee. Jetzt ließ sie die Umarmungen und Glückwünsche auf sich ein rieseln und lächelte glücklich in die Runde. Nach Regen folgte Sonnenschein und diese spontane Feier ließ sie auf ganz viel davon hoffen. Natürlich, so behauptete Colt, gehörte zu einer solchen Feier auch ein Glas Sekt. Da April aber keinen Alkohol trinken durfte, so lange sie stillte, hatte er ihr extra die alkoholfreie Kinderversion besorgt. Fröhlich ließ er die Korken knallen. „Schieß die Dinger nicht durch die Decke“, schimpfte Robin ihn lachend. Breit grinsend deutete er auf Fireball und Chily. „Die tun es öfter. Charly muss daran gewöhnt werden, “ erklärte er und schenkte ein. Die Hebamme fuhr ihn scherzhaft an. „Wer schießt hier durch die Decke?“ Aber dies quittierte der Scharfschütze nur damit ihr schmunzelnd ein Glas Sekt in die Hand zu drücken. „Solang ihr keine tragenden Balken abschießt und jemanden unter euch begrabt, schießt, wohin ihr wollt“, meinte Saber gelassen. „Hier kann uns nur die Decke auf den Kopf fallen“, beruhigte der junge Vater ihn und reichte ihm ein Glas. „Sagt der Meister im durch die Decke schießen“, neckte Colt leicht. Der nickte stolz und grinste. Sie stießen auf Charlenes Gesundheit an. Chily setzte das Glas ab und berichtigte Fireballs letzte Aussage. „Das warst du nicht, Little Daddy.“ Erstaunt schaute Colt von ihr zu dem Japaner. „Wovon redet ihr beiden?“, wollte er wissen, wurde aber ignoriert.
 

„Da fällt mir ein: Ich krieg noch was von dir, Chily“, grinste Fireball und hielt seine Hand auf. Da war ihm doch glatt die Wette wieder in den Sinn gekommen, die sie scherzhaft vor der Verhandlung geschlossen hatten. Der Hebamme ebenso. „Ach ja, was?“, tat sie jedoch ahnungslos. „Etwas für Charlene“, setzte er sie in Kenntnis. „Spielschulden sind Ehrenschulden, Lady Rider. Hat dir Saber das nie eingetrichtert?“, Sich drücken zu wollen galt schließlich nicht. „Mir eintrichtern? Der war gut“, konterte die Frau des Schotten trocken und amüsiert. „Außerdem, du hast nicht gewonnen, sondern ich.“ Damit verschränkte sie die Arme vor der Brust, um ihr Statement zu unterstreichen. „Nur, wenn du die Ausbrüche von deinem Gatten dazurechnest und das ist unlauterer Wettbewerb, Baby“, stellte der Pilot unbeeindruckt klar. „Baby ist da.“ Chily wies auf Charlene in Aprils Arm und machte dem Rennfahrer deutlich, dass sie nicht so genannt werden wollte. Er hatte Mandarin so genannt und auch, wenn sich eine vergleichbare Freundschaft zwischen der Geburtshelferin und dem Hitzkopf entwickelte, wollte sie doch bitte sie selbst bleiben. Sie hatte den Rotfuchs sehr gemocht und gerade deshalb durfte sie in ihren Augen auf keinen Fall ersetzt werden. So stand der Hebamme von daher auch nicht der Spitzname der Getöteten zu. „Und austicken kann ich alleine auch ganz gut“, ergänzte sie dann. „Wer hat denn angedroht bekommen aus dem Saal zu fliegen? Du oder ich?“, hakte sie nach. „Der war nur frauenfeindlich, das ist alles“, wiegelte Fireball ab. „Also, ich warte immer noch.“ Er hielt der bunt gesträhnten Blondine die offene Hand direkt unter die Augen. Die schaute darauf. „Mann, hast du eine kurze Lebenslinie“, stellte sie fest und grinste nun den Japaner an. „Das ist bedenklich“, feixte sie. „Die kurze Lebenslinie ist den Hikaris angeboren, hat aber nix zu bedeuten“, behauptete der lapidar, ehe April womöglich auf die Idee kam, in diesen Umstand etwas hinein zu interpretieren, das nicht wahr war. Chily nahm nun Fireballs Hand und begann gespielt fachmännisch darin rumzudeuteln. „Hier, diese Linie heißt, dass du noch zweimal Vater wirst“, meinte sie, drehte und wendete die Hand, als wäre sie nicht mit einem Arm verbunden. „Steht aber nicht da, ob mit der gleichen Frau“, bemerkte sie dann stichelnd. Er verzog das Gesicht spöttisch, entwand ihr seine Hand und tätschelte ihr den Kopf. „Doofes Huhn. Ich wahrsage dir, dass du es nicht mehr lange machen wirst, wenn du so weitermachst“, drohte er ihr im Spaß. Sie nickte, als verstünde sie. „Dann ist die kurze Lebenslinie auch erklärt.“ Immerhin würde Saber den jungen Vater nicht ungeschoren davon kommen lassen, sollte der seine nicht vorhandenen Mordgelüste an ihr ausleben. „Übrigens hab ich noch gelesen, dass du Wetten immer verlierst“, meinte sie dann heiter. „Also die inklusive.“ Fireball schüttelte den Kopf. „Du musst dich verlesen haben. Außerdem weiß ich, dass du nur auf das Sushi-Messer spekulierst.“
 

Die verwirrten, verdatterten und leicht ratlosen Gesichter ihrer Zuhörerschaft fielen den beiden Scherzkeksen nicht auf. Sie genossen es einfach mal nur Blödsinn vom Stapel zu lassen, bei dem der andere auch noch munter mitzog.
 

„Das habe ich mir auch verdient, so wie ich Haywood habe leuchten lassen“, erklärte Chily nun überzeugt. „Du hast da was falsch verstanden. Du hättest leuchten sollen, nicht Haywood, “ wiegelte Fireball ab. „Also, de facto ...“ Jetzt formte er mit den Fingern ein L und hielt es sich an die Stirn. „Loser.“ Während alle anderen nun Zweifel bekamen, ob das noch Spaß oder schon Ernst war, schwang sich die Hebamme kichernd auf das Scherzlevel. Sie bildete ihrerseits erst ein O, „Opfer“, dann ein V, „Versager“, schlug sie verbal zurück und der Rennfahrer lachte laut. Das war zu herrlich. So albern wie eben hatte er sich schon ewig nicht mehr aufgeführt. „Oh, du musst noch eine Menge lernen, kleine Hebamme“, belehrte er sie und legte den Arm um ihre Schulter. „Ein Fireball verliert nicht. Niemals, nicht die kleinste Wette.“ Die bunt gesträhnte Blondine war froh, dass er sie gerade so hielt, sonst hätte sie vor Lachen am Boden gelegen. „Du verlierst gleich deine Kronjuwelen, Little.“ Unverschämt grinsend tat sie, als wolle sie in die betreffende Region langen, aber der Pilot war schneller. Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. „Denk nicht mal dran, oder der da“, Er zeigte auf Saber, „wird von der nächsten Mission nicht mehr heim kommen“, mahnte er feixend. „Ach, da hab ich keine Sorge“, winkte sie ab. „Der wird auf keine Mission mehr gehen, weil ich ihn daheim festtackern werde, du Strohfeuer“, schlug sie diese leere Warnung locker in den Wind. „Du weißt, was ein Hanabi ist? Etwas mehr als ein Strohfeuer, du Huhn“, informierte er sie kichernd. „Also nicht du. Du bist ja grad mal groß genug für einen Funken“, neckte sie ihn. „Auf die Größe kommt es nicht an, wie wir schon öfter gelernt haben. Nur auf die Technik und die Ausdauer. Tja, du wirst dir die Zähne ausbeißen, so sieht es nämlich aus“, bemerkte er mit einem wissenden Nicken. „Na, ih! Was denkst du von mir? Ich nehm doch nicht alles in den Mund“, empörte sie sich lachend. Er verdrehte die Augen. „Der Funken muss dir wohl mal beibringen, was Ausdauer heißt, Mariechen.“ – „Der Funken sollte aufpassen, dass ich ihn nicht ausblase“, gab sie zurück. „Das macht den Funken nur größer“, schmunzelte er.
 

Colt legte seine Hände um Charlenes Ohren. Die Kleine war mit einer Woche eindeutig zu jung für derartige Zweideutigkeiten.
 

„Träumst du“, krähte Chily vergnügt. „Ja, von einem Geschenk für Charlene“, bestätigte deren Vater. Die Hebamme hob die Schultern. „Hat sie doch bekommen“, meinte sie schlicht. „Dann eben auf den Wetteinsatz. Komm, raus damit, Misses Rider“, zwinkerte er ihr zu. „Wir hatten einen Einsatz?“, tat sie naiv. „Die Unschuldsnummer mag bei Dudelsackhighlander ziehen, aber nicht bei mir. Ein Handschlag zählt. Und ja, wir hatten einen Einsatz. Wenn ich mich recht entsinne, waren das fünfzig Mäuse“, rief er ihr die Fakten in den Kopf zurück, die sie ohnehin wusste. „Ja, und die sollte ich, falls du gewinnst, was du nicht hast, in ein Geschenk für Charlene investieren. Sie hat die Nabelschnurbehälter bekommen und die sind echte Handarbeit. Weit mehr wert, als 50 Piepen.“ Nun, da hatte sie recht. Fireball wusste, dass sie dieses Geschenk selbst gemacht hatte und hütete sich, Spaß hin oder her, einen falschen Ton darüber zu sagen. Was er nicht wusste, war, dass Charlene sie auch ohne eine Wette bekommen hätte. Chily fertigte dieser Art Präsente grundsätzlich für Elternpaare, die ihr besonders am Herzen lagen. „Du bist eine kleine Kräuterhexe, echt“, lächelte er kopfschüttelnd. Aber wen wunderte das, wenn man bedachte, wie sie aufgewachsen war. „Das Sushi-Messer liegt in der Küche“, informierte er sie dann. „Weil du es mir ja auch nie freiwillig gegeben hättest“, grinste sie und hatte unbeabsichtigt den höchstmöglichen Frevel begangen. Sie hatte wieder in seinem Kopf nachgelesen. „Wo in der Küche, ich will nix durch einander bringen“, fragte sie schnell, um dies zu überspielen, aber Fehlanzeige. Fireball warf ihr einen düsteren Blick zu. „Auf der Anrichte. Weißt du, nicht alle meine Messerchen haben rote Schleifen“, antwortete er merklich kühler. Sie machte sich auf den Weg in die Küche und rief zurück. „Wo genau?“, Sie wollte schließlich kurz mit ihm allein reden und konnte das so am geschicktesten einfädeln. „Nicht nur ein verrücktes, sondern auch ein blindes Huhn“, grummelte er vor sich hin, als er ihr folgte. „Ja, manchmal“, gestand sie und griff nach dem Messer, das unübersehbar dort lag, wo der junge Vater gesagt hatte. Sie begutachtete es eingehend und meinte, als er eintrat.
 

„Tut mir leid. Ich kann nicht dagegen an, weißt du doch.“ Wieder hatte sie in seinen Gedanken gestöbert, obwohl es jedem aufgefallen war, wie es ihm sauer aufstieß, dass sie es getan hatte. „Wie kann ich dir das abgewöhnen?“, wollte er ehrlich wissen und schob seinen Groll beiseite. Sie schaute ihn entschuldigend an. „Gar nicht. Ist angeboren“, erwiderte sie genauso aufrichtig. Er seufzte leicht und wies auf das Messer. „Gefällt es dir wenigstens?“ Chily nickte. „Das ist wirklich makellos. Perfekt. Erzähl was du willst, aber das hat weit mehr gekostet. Dazu muss ich nicht in deinem Kopf nach lesen“, erklärte sie dann. „Ich hab es aus einer kleinen Manufaktur in Nagano. Der Meister dort ist schon fast hundert, aber Messer machen kann er“, lächelte er. „Bei fachgerechtem Gebrauch wird es niemals stumpf.“ Jetzt musste er schelmisch grinsen. Da hatte Saber ihm doch erst vorgestern was erzählt. „Also bitte, bitte, steck es nicht in den Mixer, Huhn“, flehte er amüsiert und revanchierte sich so gleich für den unerlaubten Aufenthalt in seinem Oberstübchen. Chily schlug sich leicht die Hand gegen die Stirn und schmunzelte verlegen. „Ich werde es an ihm testen, wenn er noch mal so was weiter tratscht.“ Damit legte sie das Messer zur Seite und begann in ihrer Tasche zu kramen. „Das wär dann der zweite Tote, der indirekt auf meine Kappe geht. Ich sollte es doch besser behalten.“ Fireball beobachtete, wie sie nach etwas wühlte. Sie stellte die Tasche auf die Anrichte und grub darin herum. Er lächelte leicht. „Gott, Frauen und Handtaschen. Ein ewiges Mysterium.“ Chily nickte. „Endlich.“ Sie zog das gesuchte, flache Päckchen heraus und hielt es ihm hin. „Was ist das?“, fragte er verwundert, drehte und wendete es nach allen Seiten. So flach und so leicht. Was konnte das sein? „Aufmachen“, ordnete sie nur an. Er tat, wie ihm geheißen. „Aha ein?“ Verwundert blickte er sie an. „Ein Traumfänger. Alle schlechten Träume und Energien verfangen sich in den Fäden und werden am Morgen beim ersten Sonnenstrahl zerstört“, schmunzelte sie und faltete das Papier weiter auseinander um ihm den zweiten zu zeigen. „Und du bringst zwei, weil...?“, versuchte er nachzuvollziehen. „Für Charlene und ihre Eltern“, entgegnete sie leichthin. Gleich würde er sie wieder Kräuterhexe nennen. „Du bist echt eine Kräuterhexe“, stellte er fest und nahm sie in den Arm. „Danke.“ Sie erwiderte die Geste. „Gern geschehen. Ich danke dir auch“, meinte sie warm. „Ist nicht der Rede wert, Chily. Du warst und bist eine große Hilfe und gute Freundin“, versicherte er. „Gleichfalls“, schmunzelte sie, verstaute ihr Geschenk sorgsam und schlenderte mit dem Rennfahrer ins Wohnzimmer zurück. „Solang er nicht bockt, oder?“, fügte er zwinkernd an. Seine Schwächen kannte er schließlich und war froh darüber, dass nachtragend zu sein nicht zu ihren Eigenschaften gehörte.
 

Fireball und April durchlebten nun den Stress, den alle frisch gebackenen Eltern zu ertragen hatten. Charlene hatte ihre Bedürfnisse und brüllte sie heraus, wenn sie diese erfüllt haben wollte und ungeachtet der Tages- und Nachtzeiten. Das an sich wäre nicht das Problem gewesen, immerhin waren der Pilot und die Navigatorin den ganzen Tag bei ihr und konnten sich ihre Pflichten dem Nachwuchs und dem Haushalt gegenüber aufteilen. Dennoch waren sie keine Bilderbuchfamilie in der ausschließlich Harmonie herrschte. Der junge Rennfahrer suchte erfolglos nach einem neuen Job und haderte teilweise sehr stark mit den Sitzungen beim Psychotherapeuten. Eines Nachts wurde er dafür kurzerhand aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auf die Couch verbannt. Nachdem er dort wie gerädert zu einer recht unchristlichen Zeit aufwachte, schlich er reumütig zu seiner Freundin und kuschelte sich an sie. Er brauchte ihre Nähe und es tat ihm leid, seinen Frust an ihr ausgelassen zu haben. Sie hatte ihm diese Sitzungen nicht aufgebrummt und sie waren definitiv das kleinere Übel als drei Jahre im Gefängnis sitzen zu müssen. Wenigstens war April bei ihm und er konnte Charlene jeder Zeit auf den Arm nehmen.
 

Chily stand ihnen auch in dieser Zeit zur Seite, schwächte unnötige, aus Unsicherheit geborene, Sorgen und Bedenken und schwebte damit irgendwo zwischen dem, was ihre Aufgabe als Hebamme war, und freundschaftlicher Unterstützung. Saber tat es gut, wieder in seinem Job als Ausbilder tätig zu sein. Er fühlte sich rundum wohl damit. Er verschwendete schon lange keine Gedanken mehr an die vorangegangene Beziehung, oder zog gar noch Vergleiche zwischen den beiden Frauen. Anders, als er selbst erwartet hatte, kam er sogar mit den Treffen beim Psychologen zurecht. Seine Frau hatte unbemerkt auf ihn abgefärbt und das zahlte sich an dem Punkt aus. Dennoch, wenn er die Wahl gehabt hätte, hätte er sich lieber von ihr therapieren lassen. Sie hatte immerhin eine sehr zärtliche Art seine Fortschritte zu belohnen.
 

Zärtlichkeit jedoch war etwas, dass im Haus von Robin und Colt nur noch relativ klein geschrieben wurde. Colt übernahm den Haushalt, da die Lehrerin in der Schule alle Hände voll zu tun hatte. Es musste schließlich der Unterricht vorbereitet, Klausuren geschrieben und kontrolliert werden und galt, Gespräche mit Schülern und deren Eltern zu führen. Der Scharfschütze hatte völliges Verständnis wenn seine Braut abends abgekämpft und müde war, trotzdem wunderte er sich still über einige Veränderungen an ihr. Zum Beispiel, dass sie neuerdings Gerichte probierte, die ihr eigentlich zu deftig waren. Gut, dass war positiv für ihn, denn er mochte diese sehr, aber es versetzte ihn schon ein wenig in Erstaunen. Für gewöhnlich gab es auch recht viel Zärtlichkeit unter ihnen, doch fing diese an, sich nur noch auf harmlose Küsse und liebevolle Umarmungen zu beschränken. Intimitäten, die mit der Silvesternacht vergleichbar waren, gab es, nun, seit jener Nacht nicht mehr. Gegen seinen Willen kam Colt sich abgewiesen vor und mahnte sich selbst zu Geduld und Verständnis. Er redete sich ein, dass dies nur eine Phase war, die vorbei ginge, vermisste diese traute Zweisamkeit aber doch sehr.
 

Immer wieder trafen sich die Freunde zumindest mal auf einen Kaffee. Dass sie sich wieder aus den Augen verloren, wie es nach dem Krieg der Fall gewesen war, sollte nicht noch mal passieren. Seit Colt sie nach Tucson-City geholt, ihnen seine beste Freundin vorgestellt und ihnen von der geplanten Hochzeit mit Robin erzählt hatte, hatten alle folgenden Ereignisse schlussendlich dafür gesorgt, dass keiner mehr auf dieses starke Band der Freundschaft verzichten wollte. Inzwischen war es beinahe so, als gehöre die Hebamme von Anfang an dazu und hätte es nie diese komische Brünette in Sabers Leben gegeben. Endlich konnte man, sehr zu Robins und Colts Freude, wieder von der Hochzeit der beiden reden. Deshalb stöberte die Lehrerin nun mit der Hebamme als Unterstützung in einem Brautmoden-Geschäft nach dem passenden Kleid für diesen Anlass. Mit gerunzelter Stirn ging sie an einer Modellpuppe in einem tiefroten, sehr pompösen Kleid vorbei. Nein, das kam für sie ja so gar nicht in Frage. Sie warf einen Blick in die Schatulle, in der sie das Schmuckset bei sich trug, welches Colt damals aus dem verwüsteten Haus seiner Eltern mitgenommen hatte, damit Robin es bei der Trauung trug. Sie suchte darum nun ein Kleid, das zu den goldenen Rosen-Anhängern mit Knospen aus Saphiren passte.
 

Eine schwierige Aufgabe stellte sie nun fest und schaute sich nach der Hebamme um. Sie entdeckte sie bei Kleidern, die im Empirestil gefertigt waren. „Was machst du da, Chily?“, fragte Robin verwundert. „Schauen?“, gab diese unschuldig zurück. „Die Modelle sind doch auch nicht schlecht.“ Da stimmte die Lehrerin ihr schon zu, aber ihrer Ansicht nach, kamen solche Kleider nur für Frauen infrage, die schwanger vor den Altar traten. „Was soll ich damit?“, wollte sie deshalb wissen, dann glaubte sie verstanden zu haben. „Du und Saber heiratet noch mal mit Freunden und kommenden Nachwuchs?“ hakte sie nun nach. Chily schüttelte den Kopf und umrundete einen Kleiderständer mit einer sehr schlichten, cremefarbenen Ausführung. „Das ist zwar eine Überlegung wert, noch mal mit Freunden vor den Altar zu treten“, gab sie dabei zu, „aber von Nachwuchs kann keine Rede sein. Wir verhüten momentan doppelt, weil ich das Präparat gewechselt habe“, erklärte sie dann. Robin nickte langsam ohne wirklich zu verstehen, warum ihre Freundin dann diese Modelle überhaupt in Betracht zog. „Ach komm, so schlecht sieht der Empire-Stil doch nicht aus“, meinte die nun halbherzig von ihren eigenen Worten überzeugt. Offensichtlich, dass sie vorgab, dies sei eine Aussage ohne größere Bedeutung. Aber Robin ahnte, dass dem nicht unbedingt so war. „So lang ich ihn nicht trage“, grinste sie dann. Chily hustete erschrocken und bestätigte die Vermutung der Braut. „Womit hältst du schon wieder hinterm Berg?“, fragte sie, überzeugt, dass da etwas nicht stimmte. Die Hebamme wand sich. „Ich? Mit gar nichts“, spielte sie denkbar schlecht die Ahnungslose. „Klar, und ich bin Befehlshaber der Sektion West“, versetzte Robin. Das konnte die Gute dem Papst erzählen, aber nicht der Lehrerin. Jedes kleine Kind konnte besser und überzeugender lügen als die Hebamme und die schaute gerade aus der Wäsche, wie ein solches, das man dabei ertappt hatte. Robin verschränkte energisch die Arme vor der Brust und schaute sie streng an. Die Hebamme räusperte sich. „Vielleicht sollten wir das hier verschieben und woanders hingehen. Wie wäre es mit einem Teehaus?“, bog sie ihre bevorstehende Beichte ab. „Gern“, nahm Colts Zukünftige diesen Vorschlag an.
 

Sie standen vor der Tür und kuschelten sich in ihre Schals. Auch wenn der Februar-Wind schon ganz leicht nach Frühling roch, er war noch immer kalt. Die Hebamme schaute sich um, griff Robins behandschuhte Finger und schleifte sie mit sich die Straße nach unten. Das erste ruhige Cafe, das sie fand, wurde sogleich zu ihrem erklärten Ziel. Sie zog die Überraschte hinein und schob sie in die entlegenste Nische an einen kleinen Tisch. Halb schälte sie sich aus dem Mantel und setzte sich auf die Bank. Robin tat es ihr gleich und rutschte dicht an sie heran. Was immer Chily wusste, es musste ein unglaubliches Geheimnis sein, nach ihrem Verhalten zu urteilen. Der Kellner nahm die Bestellung auf und verschwand so rasch und unaufdringlich, wie er gekommen war. „Also, jetzt raus mit der Sprache“, drängte Robin die buntgesträhnte Blondine. Diese suchte nach den richtigen Worten. Sie wollte nicht wieder mit ihrem Wissen so heraus poltern wie beim letzten Mal. „Ist dir in letzter Zeit mal schwindlig geworden. So morgens beim Aufstehen?“, fragte sie deshalb vorsichtig. Robin grübelte kurz über diese seltsame Frage. „Das nicht. Ich hab momentan eine total empfindliche Nase“, antwortete sie dann. Chily nickte verstehend. „Okay“, fuhr sie gedehnt fort. „Und du isst Sachen, die du sonst eigentlich nicht so magst. Richtig?“, wollte sie wissen. Die Lehrerin nickte. „Ich hab grad eine Probierphase“, erklärte sie den Treffer. Wie kam die Frau des Recken nur darauf? Der Ober brachte ihnen den georderten Tee. Chily umfasste das Glas mit beiden Händen und sog das Vanille-Aroma ein. „Nee, hast du nicht“, berichtigte sie dann kleinlaut. „Doch“, beharrte Robin. Was sollte es denn sonst sein? „Number 1?“, Chily räusperte sich umständlich und verlegen. „Du erinnerst dich doch noch, wann und wie ich April die guten Nachrichten erzählt hab. Sehr viel besser läuft das grad auch nicht“, gestand sie der Zukünftigen ihres besten Freundes dann. Die riss erschrocken die Augen auf und hätte beinahe ihre Tasse fallen lassen. Die Hebamme musste sich irren.
 

„Nee, oder“, presste die Lehrerin vollkommen ungläubig hervor. Die buntgesträhnte Blondine legte der perplexen Freundin die Hand auf die Schulter. „Doch, ganz bestimmt. Kein Zweifel“, versicherte sie. Die Lehrerin wusste nicht, wie ihr geschah. Sie wusste, dass Chilys Urteil an dem Punkt zuverlässiger war als jeder Schwangerschaftstest, aber genau betrachtet, war es eben das, was sie so aus der Bahn warf. Robin war schwanger. „Oh, mein Gott“, brachte sie mühsam hervor. Chily strich ihr über den Rücken. „Tut mir leid, dass es keine guten Nachrichten sind“, meinte sie. Die Zukünftige ihres Jugendfreundes war ziemlich offensichtlich nicht sehr erfreut darüber. Eher hatte die Hebamme das Gefühl, sie hätte der Lehrerin ihr Todesurteil verkündet. Diese schlug sich fassungslos die Hände vors Gesicht. „Doch nicht jetzt“, ließ sie sich gequält dahinter vernehmen. Wie konnte das nur passieren? Nun gut, das Wie war eigentlich klar. Aber warum jetzt? Vor nicht allzu langer Zeit hatten Colt und sie sich doch darauf geeinigt, nicht sobald Aprils und Fireballs Beispiel zu folgen. Sie wollten doch erst in Ruhe die Ehe genießen, den Frieden und sich auf ihre Jobs und ihre Beziehung konzentrieren. „Ich fürchte doch. Junior ist da“, erklärte Chily leise und nahm sie in den Arm. „Bei dem ganzen Wirrwarr, mit dem wir die ganze Zeit zu kämpfen hatten, kann es gut sein, dass die Pille ausgesetzt hat. Das Risiko ist gering, aber da“, fuhr sie fort. „Das ist Unglück“, klagte Robin unglücklich. Die Hebamme rückte ab. Das waren die falschen Worte für sie. Keine Frau, die sie während dieser Zeit betreute, hatte je so darauf reagiert und die, die es taten, wurden von ihr nicht betreut. Denn meistens folgte dann die Frage nach der Abtreibung und das verstieß völlig gegen Chilys Überzeugung. „Ein kleiner Cowboy“, stellte sie trocken klar. Doch Robin hörte nicht hin. „Gerade, wo Colt und ich uns einig waren, damit zu warten“, schluchzte sie stattdessen, mit der Tatsache überfordert. „Mutter Natur wartet nicht“, bemerkte die buntgesträhnte Blondine und reichte ihr ein Taschentuch. „Es sollte so sein, sonst hätte es nicht geklappt.“ Dieser Satz war jedoch kaum tröstlich. „Was wird Colt dazu bloß sagen?“, fragte die Lehrerin. Chily presste die Lippen zusammen. Sie konnte sich die Reaktion des Cowboys gut vorstellen, sagte aber nichts dazu. Es war nicht ihre Beziehung und sich in diesem Fall da einzumischen, war die schlechteste Idee überhaupt. „Sag es ihm bald“, riet sie daher nur. „Später sieht er es“, schaffte es Robin irgendwie auch noch den Galgenhumor auszupacken, doch die Hebamme blieb ernst. „Je früher er es weiß, desto besser. Glaub mir“, entgegnete sie streng. „Das Kind tut mir auch so schon leid. Die Begeisterung.“ Ganz gleich wie viel Mühe sie sich gab, sie konnte das Verhalten der werdenden Mutter nicht nachvollziehen. Ein Kind zu bekommen, war ein Grund zur Freude. Punkt.
 

Auf Robin wirkte diese Aussage, wie Salz in der Wunde. Sie zog den Kopf ein. Chily seufzte leicht. „Rede mit ihm und entscheidet euch. Aber eins sag ich gleich dazu. Ich mache es nicht weg. Da müsst ihr euch einen andern suchen“, erklärte sie und sprach als Hebamme zu der Lehrerin. Dann fügte sie diesen, doch recht harten, Worten einige mildere an. „Wenn du nicht mit Kindern könntest, wärst du keine Lehrerin“, erinnerte sie sie nun als Freundin um zu versuchen, ihre Bedenken zu zerstreuen. Robin erhob sich ruckartig. „Zahlst du meinen Tee bitte mit?“, fragte sie, als hätte sie den letzten Satz nicht gehört. Sie zog eilig ihren Mantel an. „Wenn du reden willst, du weißt, wo du mich erreichst. Am besten sprichst du mal mit April drüber“, schlug die buntgesträhnte Blondine ihr vor. Auch dies verhallte scheinbar ungehört. Robin nahm ihre Handtasche und verließ das Café ohne sich noch einmal umzudrehen. Chily sah ihr nach und stützte, als die Freundin aus ihrem Blickfeld verschwunden war, den Kopf auf die Hände. „Okay, du Huhn“, schalt sie sich selbst. „Wie hättest du an ihrer Stelle reagiert?“ Das war ja wirklich ganz und gar nicht gut gelaufen. Wieso musste sie auch immer aussprechen, was ihr gerade durch den Kopf ging? Sie hoffte nur, Robin würde mit der Navigatorin reden. Die war gerade die beste Ansprechpartnerin dafür.
 

Robin zog ihren Schal fester um den Hals. Der Wind war sehr kalt und sie wollte keine Grippe bekommen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie nun schwanger war, schien es ihr noch unpassender, als ohnehin. Niemand war gern krank und dies nun noch in der Schwangerschaft war für das Ungeborene nicht gerade von Vorteil. Ach, Gott, sie musste den Kopf frei bekommen. Irgendwie. Doch dafür war es ungünstig, dass sie gerade durch die Fußgängerzone lief. Sie hatte nicht wirklich einen Blick für das Gewühl, die Auslagen in den Boutiquen oder die Straßenmusikanten, denn scheinbar hatten sich alle jungen Mütter Yumas dazu entschieden ihr genau jetzt über den Weg zu laufen. Jedes Mal, wenn Robin den Blick von ihnen abwandte, schaute sie entweder zu einer anderen Mutter oder in ein Schaufenster, in dem Babykleidung auslag. Es war wie verhext. Sie seufzte frustriert und bog an der nächsten Kreuzung in Richtung des Stadtparkes ab. Was sollte sie nur tun? Es stand außer Frage, dass sie Kinder liebte. Deshalb war sie Lehrerin geworden und deshalb half sie ihrer eigenen Mutter so gern bei Joshs Erziehung. Ihr kleiner Bruder allerdings war auf ein Internat geschickt worden. Zumindest für ein Jahr, weil Mary Jane, die Mutter, der Ansicht war, er klammere sich zu sehr an seine große Schwester und wäre für sein Alter noch nicht selbständig genug. Außerdem schwärmte er ein bisschen zu sehr für den Starsheriff an der Seite der Lehrerin, was der pazifistischen Frau auch nicht gefiel. Auf diesem Institut, so hoffte sie, würde sich das geben. Robin schüttelte den Kopf. Für sie stand fest, dass ihr Brüderchen sich tapfer dieses eine Schuljahr dort durchschlug, danach aber wieder zurück wollte. Ihr selbst würde das gefallen, denn sie vermisste ihn. Aber dennoch, Josh war ihr Bruder, nicht das Kind, das in ihrem Körper heranwuchs. Trotz des gleichen Blutes, war und blieb das ein Unterschied.
 

In ihr wuchs ein Mensch. Neun Monate lang. Durch sie würde er das Licht der Welt erblicken. Sie würde ihn stillen, ihn aufwachsen sehen und erziehen. Sie würde sich um ihn sorgen, wenn er anfing mit anderen Kindern zu toben, Streiche zu spielen oder in irgendwelchen Mutproben bewies, dass er ein richtiger Junge war. Sie bekam einen kleinen Cowboy. Wenn der nach Colt schlug … Sie brachte den Gedanken kaum zu Ende. Ein neuer drängte sich sogleich auf. Wie wollte sie es Colt sagen? Sie hatte keine Ahnung. Nicht die leiseste und sie fürchtete sich vor seiner Reaktion. Wenn er sie nun nicht mehr wollte? Wenn mit dem Wachsen des neuen Lebens in ihr, seine Liebe zu ihr starb? Wie sollte sie nur den Racker ohne ihn großziehen? War sie selbst überhaupt schon bereit, diese Verantwortung zu tragen? Sie horchte in sich hinein, hörte aber nur wirre, durcheinander flüsternde, Gefühle. Keine klare Antwort. Nein.
 

Sie war unbewusst an einem Spielplatz, im Zentrum des Parks, stehen geblieben. Eine Schar Kinder lieferte sich fröhlich eine Schneeballschlacht. Sie nutzten die Gelegenheit dazu. Der Wetterbericht sprach vom ersten Tauwetter. Ein kleiner, blonder Junge warf seine Mütze in den Schnee und strubbelte sich mit nassen, vor Kälte schon roten Fingern durchs Haar. Ihm war warm von dem Getobe, aber so konnte er sich leicht erkälten. Ehe Robin wusste, was sie tat, ging sie zu ihm und setzte ihm die Mütze wieder auf. Überrascht sah der Knirps sie an. „Du erkältest dich sonst“, hörte sie sich sagen, „dann kannst du erst nächsten Winter wieder eine Schneeballschlacht machen.“ Der Kleine lächelte schief und bedankte sich. Nahm sogar gehorsam seine Handschuhe aus den Jackentaschen und zog sie an. Dann stürmte er davon und tollte mit seinen Freunden umher. Robin schaute ihm nach. Es fühlte sich ein bisschen so an, als hätte sie sich selbst dabei zugesehen. Oh Gott, was war nur los?
 

Sie verließ den Park auf der anderen Seite und fand sich vor dem Wohnhaus wieder, in welchem Fireball und April wohnten. Sie erinnerte sich an Chilys Rat, den ihr die Hebamme im Cafe nachgerufen hatte. Bestimmt war es gut, wenn sie mit der jungen Mutter sprach. Sie hatte ebenso unverhofft erfahren, dass sie freudiger Erwartung war. Kurz entschlossen klingelte sie.



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