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Schwarzer Engel

von

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Teil 3

Als schwarzer Schatten huschte er durch den wuchernden Garten und schmiegte sich unauffällig an die Hauswand neben der Hintertür. Dank des dichten Gestrüpps um das Grundstück herum konnte ihn kein aufmerksamer Nachbar dabei beobachten als er das Schloss öffnete.
 

Wie ein Ninja aus alten Zeiten sah er aus in dem schwarzen Anzug und der über Kopf und Gesicht gezogenen Maske. Das war ein Erbstück seiner Familie, ebenso wie die spezielle Technik des lautlosen Schleichens.

Eigentlich hatte er dieses Leben hinter sich lassen wollen, als er vor zehn Jahren die Stelle bei den Nanjos angenommen hatte.

Offiziell gab es keine Ninja-Clans mehr. Doch wie auch die Nanjos weiterhin dem Bushido folgten, pflegte auch Shigis Familie die alte Tradition von Generation zu Generation weiter zu geben.
 

Obwohl die Memphisstreet unglaublich lang war, fand er den Bungalow ohne Probleme.

Er hatte eine Karte besorgt und alle Orte markiert, von denen er wusste, dass sie für den jungen Nanjo von Bedeutung waren. Die Memphisstreet kreuzte genau den Weg von der Hauptuniversität zu den Sportanlagen.

„In der Nähe vom Park“ hatte Hirose-sama bestimmt gemeint, bevor er unterbrochen worden war.

Tatsächlich bestätigte sich diese Annahme.
 

Er schlüpfte in den dämmrig kühlen Flur des alten Bungalows und lauschte. Als nichts zu hören war, schlich er weiter. Sein erstes Ziel war der Keller. Von unten drangen gedämpfte Stimmen und Musik herauf. Es klang wie Fernsehen.

Er überprüfte erst die anderen Zimmer. In einem entdeckte er im Schein der Taschenlampe eine schäbige Matratze. Da lagen auch Seile und achtlos in einer der Ecken Hirose-samas Anzug.

Shigi zwang sein Herz, ruhig zu schlagen. Die Sorge durfte ihn nicht ablenken. Wenigstens hatte er nun den Beweis, hier richtig zu sein.
 

Er wirbelte in das Zimmer wie die personifizierte Rache der Götter und verschaffte sich in Sekundenbruchteilen einen Überblick über die Lage. Hirose-sama sah er nicht, dafür drei schläfrige Gestalten auf dem Sofa vor der Glotze. Spritzen und Tüten mit weißem Pulver lagen gedankenlos platziert neben Bierflaschen und Zigarettenstummeln. Die Luft roch abgestanden und nach kaltem Rauch und altem Schweiß.

Zwei der Männer starrten ihn perplex an, während der dritte geistesgegenwärtig aufsprang und aus dem Zimmer flüchten wollte.

Shigi hielt seine Pistole auf das Sofa gerichtet und schickte ihm blitzschnell ein Messer hinterher. Er wollte unter keinen Umständen Hiroses Leben gefährden. Falls er noch am Leben war.

Der Mann brach gurgelnd zusammen, noch bevor er die Tür erreichte.

Shigi beachtete ihn nicht weiter. Er wusste, wann ein Treffer tödlich war. Er wandte seine Aufmerksamkeit den geschockten Männern auf der Couch zu.

„Wo ist Nanjo Hirose?“ fragte er in gefährlich ruhigem Ton.

„Oben… im Bad…“ stotterte einer der beiden.

Das genügte vorerst. Mit zwei gezielten Schlägen ließ Shigi sie leblos zusammensacken. Dann griff er nach dem gerollten, dünnen Seil an seinem Gürtel, band ihnen Arme und Beine und stopfte ihnen einen Knebel in den Mund, damit sie keinen Lärm machen konnten.

Jetzt waren noch zwei übrig. Dank Hirose-sama wusste er, dass mit fünf Gegnern zu rechnen war.

Am wichtigsten war jetzt, schnell den jungen Herrn zu finden.

Lautlos glitt er die Treppe hinauf in das Erdgeschoss zurück.
 

Wenn Hirose nicht gewusst hätte, was es war, hätte er die warme Flüssigkeit, die ihm über Rücken und Hinterkopf lief, wohl als angenehm empfunden. Ihm war furchtbar kalt.

Der eklige Uringeruch verstärkte sich, und Hirose kämpfte gegen das aufkommende Würgegefühl an. Wie er schon hatte feststellen dürfen, waren Knebel und Erbrechen keine gute Kombination.

Er war erleichtert, als Ed seine Hose gleich wieder schloss und ihn allein ließ. So konnte er seinen Entführern wenigstens geistig entfliehen.
 

Er hatte keine Ahnung, wie lange er sich schon in der Gewalt dieser Männer befand. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren.

Seit seinem Telefonat mit Kurauchi musste er hier kauern und neue Demütigungen über sich ergehen lassen. Die Fesselung war stramm wie immer und zwang ihn diesmal in eine knieende Position. Die Halskette umschlang mehrmals den Wasserhahn und verhinderte, dass er sich aufrichten oder die Haltung verändern konnte. Trotz seiner Erschöpfung musste er wach bleiben, denn sobald er zusammensackte, schnürte die Kette ihm die Luft ab.

Er hatte schon daran gedacht, sich fallen zu lassen. Vielleicht wäre es möglich, sich auf diese Art selbst zu strangulieren und dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Doch allein die Vorstellung, wie die Polizei dann seine Leiche vorfinden würde, hielt ihn davon ab. Unmöglich, sich so sehen zu lassen: Nackt in einer Badewanne, beschmiert mit getrocknetem Sperma und Pisse und Speichel aus dem Mund sabbernd. Diese Schande musste er sich und seiner Familie ersparen.
 

Warum auch hatte er sich erst so spät gewehrt! Mit freien Armen und Beinen hätten sie selbst zu fünft auf einmal keine Chance gehabt, ihn zu überwältigen. Wie hatte er so unaufmerksam sein können, dass sich jemand von hinten an ihn heranschleichen konnte? Und dann auch noch von solchen Kreaturen hereingelegt worden zu sein… Wenn er sich doch nur selbst befreien könnte, bevor Kurauchi kam!

Und trotzdem - hoffentlich kam Kurauchi bald!
 

Als sich erneut die Tür öffnete, fuhr er erschrocken zusammen. Wenn sich ihm jemand näherte, bedeutete das weitere Schmerzen, weitere Erniedrigungen.

„Hirose-sama! Bei allen Göttern!“

Obwohl er gerade an ihn gedacht hatte, erkannte er die vertraute Stimme erst, als schon seine Fesseln durchgeschnitten wurden.

Heiße Scham ließ Tränen in seine Augen schießen, und er drehte den Kopf so gut es ging zur Seite, fort von seinem Retter. Gleichzeitig untergrub die tiefe Erleichterung seine mühsam aufrecht erhaltene Selbstbeherrschung und ließ ihn unkontrolliert zittern.

Kurauchi murmelte unverständliche Worte, bis er die Kette lösen wollte.

„Verdammt! Ein Schloss!“

Er entfernte behutsam den Knebel und stützte Hirose, damit er sich in eine bequemere Position bringen konnte.

Hirose spürte die warmen Hände auf seiner Haut.

Nein! Nicht! Ich bin schmutzig!

Er versuchte, der gut meinenden Berührung auszuweichen.

Kurauchi zog rasch seine Jacke aus und legte sie sacht über die bebenden Schultern des jungen Herrn. Er sah die Striemen und Flecken. Er sah die Einstichstellen an den Venen und das Blut an den Schenkeln. Er sah, wie er seinem Blick und seiner Berührung auswich.

In seinem Inneren öffnete sich eine Tür.

„Herr, ich muss Euch noch einmal kurz verlassen.“ Seine Stimme war leise und hart. „Ich verspreche Euch, sogleich wieder hier bei Euch zu sein. Dann bringe ich Euch zu einem Arzt, und die Polizei…“

„Nein!“ Der Kopf ruckte an der Eisenkette. „Keine Polizei! Keinen Arzt! Ich… bitte nicht…“

Seine Stimme erstarb in einem entsetzten Flüstern.

Kurauchi verneigte sich tief. „Wie Ihr wünscht, Herr. Haltet nur einen kleinen Moment noch durch!“
 

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.

„Was zum Teufel…“

Shigi fuhr herum, zielte noch in der Drehung und schoss dem Mann ohne nachzudenken eine Kugel in den Kopf.

Gut, dass er Schalldämpfer benutzte. Einer der Männer musste noch irgendwo frei herum laufen. Mit etwas Glück hatte er das gedämpfte Geräusch des Schusses nicht gehört.

„Herr, wisst Ihr, welcher von ihnen den Schlüssel hat?“

„Nein… weiß ich nicht… entschuldige.“

Wie jämmerlich er sich fühlte! Wie unerträglich, dass Kurauchi ihn so sah!

Er begann zu schluchzen, obwohl das alles nur schlimmer machte. Er konnte einfach nichts dagegen tun.

Er schluchzte noch, als Kurauchi mit dem Schlüssel zurückkehrte. Er ließ sich von ihm aus der Wanne helfen. Der ganze Körper tat ihm weh und dazu kam noch dieser grauenvolle Gestank.

Alles begann sich zu drehen, und Kurauchi musste ihn stützten, während er sich erbrach.

Nahm das denn nie ein Ende? Er fühlte sich unendlich erbärmlich und beschmutzt.
 

Shigi mietete ein Apartment in einem Vier-Sterne-Motel mit Garage und Durchgang zur Wohnung, damit Nanjo-sama vor Blicken geschützt das Auto verlassen konnte.

Während der Fahrt hatte er immer wieder besorgte Blicke in den Rückspiegel geworfen, wo der junge Herr verzweifelt versuchte, sich zu beruhigen.

Seine Hände hielten das Lenkrad so fest umklammert, dass die Knöchel weiß hervor traten.
 

Jetzt, im Flur des Apartments stehend, klang Hiroses Stimme schon wieder relativ normal, als er ihm dankte und ihn nach Hause zu seiner Familie schickte. Doch noch immer wichen seine Augen aus.

Es war undenkbar, unter diesen Umständen abzureisen. Seine Wunden mussten versorgt werden, ebenso seine Seele. Kurauchi wusste nur zu gut, dass der Hirose, der da vor ihm stand, nur die Hülle des jungen Mannes war, den er seit seinem zwölften Lebensjahr kannte. Wie es tatsächlich in ihm aussah, hatte er sehr wohl bemerkt, als er ihn gefunden hatte. Es musste ihn alles kosten, was er an Fassung noch übrig hatte, um diese äußere Ruhe aufrecht zu erhalten.

Bemüht, ihm diesen letzten Rest Würde zu erhalten, sank Kurauchi vor ihm auf die Knie, bevor er sich weigerte, ihn zu verlassen.

Und Hirose, dem einfach die Kraft für eine Auseinandersetzung fehlte, gab schließlich nach. Er ließ sogar zu, dass Kurauchi ihm in die Duschkabine half und das Wasser einstellte, doch dann schickte er ihn wirklich fort – wenn auch nur aus dem Badezimmer.
 

Er ließ seinen jungen Herrn wirklich ungern in diesem Zustand allein und wartete nicht lange, bis er an die Tür klopfte

„Nanjo-sama? Ist alles in Ordnung bei Euch?“

Unverschämter Weise, doch voller Sorge, trat er ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Warmer Dampf schwebte ihm entgegen. Er sah Hiroses Silhouette in der Dusche und schob entschlossen den Vorhang zur Seite.

Hirose war dabei, sich die Haut blutig zu schrubben.

„Ich bekomme den Gestank nicht ab“, sagte er hilflos und ließ sich widerstandslos den Waschlappen aus der Hand nehmen. „Ich fühle mich so schmutzig.“

„Das seid Ihr nicht.“

Kurauchi duschte ihm vorsichtig die Seifenreste ab und hüllte ihn in den moteleigenen Bademantel. Hirose ließ es geschehen und lehnte seinen Kopf erschöpft an seine Schulter.

Es tat ihm in der Seele weh, den jungen Herrn in solcher Verfassung zu sehen. Aber wenigsten war er gerächt worden.
 

Später wachte Shigi an seinem Bett über den unruhigen Schlaf und dachte über die letzten Stunden nach.

Er würde Hirose jetzt nicht verlassen, soviel stand fest. Auch wenn das bedeuten sollte, dass Hiroses Vater ihn entlassen würde, weil er länger als die drei Tage fort blieb. Und auch wenn das bedeutete, seine Frau mit dem Neugeborenen im Stich zu lassen.

„Das Schicksal hat unsere Leben eng miteinander verwoben“, sagte er leise und strich Hirose vorsichtig eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht.

Er wusste, Hirose würde nie wieder derselbe sein wie früher.

Und er selbst ebenso wenig.

Er war an demselben Tag zu einem Mörder geworden, an dem sein Sohn das Licht der Welt erblickt hatte.
 

Doch er bereute nichts.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2007-11-25T21:20:17+00:00 25.11.2007 22:20
Okay. Jetzt haben mich die FF's eingeholt ... was ist Mangawissen, was gehört in die verschiedenen FF's? Ich weiß auch nicht mehr, ob Kurauchis Familie tatsächlich seit Generationen für sie arbeitet, vielleicht reines Wunschdenken.
Ich weiß allerdings, dass ich sprachlos bin. Ich wollte so viel jetzt über das Kapitel schreiben und ich bin einfach sprachlos.
Es ist erschütternd, für beide, Hirose und Shigi, hier ist ein Pfad gelegt, mit dieser Geschichte.
Sie ist sehr real geschrieben, sehr dicht am Schmerz und sehr hart.
Verwirrend echt.
Die Elster.


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