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Schwarzer Engel

von

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Teil 1

Wie ein Wesen aus einer anderen Welt durchquerte der junge Mann den kleinen Park. Trotz des zwar eleganten, doch unauffälligen Anzugs, den er trug, wirkte er dank seiner asiatischen Gesichtszüge fremd und exotisch. Für einen Japaner war er ungewöhnlich groß.

Er hatte seinen Wagen am Universitätshauptgebäude stehen lassen und ging den Weg zur Sporthalle gerne zu Fuß.

Es war nichts Besonderes an diesem Tag, und er schenkte den hübsch arrangierten Blütenstauden und Baumgruppen mehr Beachtung als den Menschen, die ihm begegneten.
 

Auch als sich ihm einer der heruntergekommenen Freaks näherte, die ständig am Eingang an der Memphisstreet herumlungerten und Passanten um Kleingeld baten, wollte er nur achtlos verneinend vorüber gehen. Er hielt nichts von diesen Herumtreibern. Er fand sich ohnehin aufgrund seiner Abstammung und Herkunft den meisten US-Amerikanern überlegen. Und vor allem gegenüber diesen verwahrlosten Junkies, die es seiner Meinung nach im Leben nie zu etwas bringen würden.

Diesmal hatte er es allerdings anscheinend mit einem besonders aufdringlichen Kerl zu tun, denn anstatt ihn einfach vorbei zu lassen, stellte er sich ihm in den Weg und begann ihn wüst zu beschimpfen.

„Hälst dich wohl für was Besseres, du beschissener Japse, was!“

Auch jetzt noch blieb der fremde Student gelassen, denn vor diesem Junkie brauchte er keine Angst zu haben. Er war in mehreren Kampfsportarten bestens ausgebildet.
 

Erst kürzlich hatte er eine kleine Auseinandersetzung mit einem anderen Drogensüchtigen gehabt, der versucht hatte, ihn zu bestehlen. Innerhalb von Sekunden hatte der am Boden gelegen und hatte nicht einmal Zeit gehabt, zu begreifen, dass es sein Schultergelenk war, das dieses krachende Geräusch splitternden Knochens von sich gegeben hatte.
 

„Lass mich vorbei“, sagte der Ausländer in selbstsicherem Ton, trotz seines starken Akzents.

Er war so abgelenkt von dem Penner vor ihm, dass er viel zu spät bemerkte, wie jemand von hinten an ihn heran trat. Jemand packte fest seine Arme und gleichzeitig spürte er einen heftigen Schlag auf den Kopf, der ihn Sterne vor den Augen tanzen lassen ließ. Die Angreifer nutzten seine Benommenheit und zerrten ihn hinter die den Park umgebende Mauer. Durch einen dichten Busch waren sie hier vor den Blicken der Spaziergänger geschützt.
 

Sie stießen ihn grob zu Boden, seine Arme wurden über dem Kopf festgehalten, jemand drückte ein Knie schmerzhaft gegen seinen Brustkorb und verhinderte auf die Art, dass er sich aufrichten konnte. Eine schmuddelige, nach Schweiß und kaltem Zigarettenrauch riechende Jacke wurde auf sein Gesicht gedrückt und nahm ihm die Sicht und einen Großteil der Atemluft. Jetzt erst begann er, sich heftig zu wehren. Umsonst.

„Schnell, beeilt euch! Lasst ihn nicht los!“

Er spürte, wie sein Hemdsärmel hastig hochgeschoben wurde und hektisch tastende Finger auf seiner Haut. Dann stach ihm etwas in den Arm, und die Welt entfernte sich von ihm.

Alle Geräusche klangen gedämpft wie aus weiter Ferne, und selbst sein rasender Kopfschmerz schien nicht mehr zu ihm zu gehören.

Sein Widerstand wurde schwächer und unkoordiniert.

In diesem Zustand konnten sie ihn leicht auf den Bauch drehen und seine Hände hinten fest zusammen binden.
 

Sie hoben ihn hoch, hängten ihm die Jacke über die Schulter, so dass niemand die gefesselten Hände sehen konnte. Zwei von ihnen packten ihn an den Armen, und dann schleiften sie ihn auf die Strasse.

Sie waren zu viert. Vier stinkende, vor Schmutz starrende Gestalten mit fettigem, strähnigem Haar. Die Männer waren zwischen dreißig und vierzig Jahre alt.

Seine Beine wollten ihm nicht gehorchen, und immer wieder knickten sie unter ihm einfach weg.

„Hast du seine Tasche?“

„Klar.“

Eine Frau kam ihnen entgegen und sah ihm ins Gesicht. Zumindest hatte er den Eindruck, dass sie es tat. Alles wirkte unecht und wie in Zeitlupe.

„Tasukete“, sagte er zu ihr, bevor er merkte, dass er Japanisch sprach. „Helfen Sie m…“

Die beiden Entführer ließen kurz seine Arme los, und fast wäre er auf das Pflaster gestürzt. Torkelnd führten sie ihn weiter.

„Unser Freund hier verträgt nicht viel, hahaha. Musst du kotzen? Hier!“

Der Mann auf seiner linken Seite drückte ihm ein Tuch vor den Mund.

Die Frau wandte angewidert ihren Blick ab und entfernte sich.
 

Auch wenn es ihm wie eine Ewigkeit erschien, weit konnten sie ihn in dieser Verfassung nicht gebracht haben.

Sie betraten ein verwildertes Grundstück direkt an der Hauptstrasse. Durch den Hintereingang kamen sie in einen leer stehenden, baufälligen Bungalow und brachten ihn sofort in den Keller.
 

Es war ein fensterloser Raum, von dem zwei Türen abgingen. Eine nackte Glühbirne hing an der Decke und spendete Licht. Auf dem Boden lag eine schmutzige Matratze, auf die er geworfen wurde.

Die Männer lachten und scherzten, während sie ihn hielten. Sein Gesicht drückten sie gegen den muffigen, feuchten Stoff, und der intensive Schimmelgeruch war so überwältigend, dass er würgen musste.

Jemand griff um seine Taille und öffnete seine Hose.

„Haltet ihn bloß gut fest! Ihr wisst, was er mit Ed gemacht hat.“
 

Und sie hielten ihn gut fest, immer mindestens zu zweit. Er hatte keine Chance, sich zu wehren, während sie ihm die Kleidung vom Leib rissen und seine Arme und Beine mit einem dicken Seil fesselten. Es war rau und brannte auf der Haut. Die Knoten wurden so fest gezogen, dass es schmerzte und er sich kaum noch bewegen konnte. Um seinen Hals legten sie eine schwere Eisenkette und zogen seinen Kopf nach hinten, um ihm eine große Hartgummikugel in den Mund zu zwingen. Ein Lederriemen verhinderte, dass er sie ausspucken konnte.

So ließen sie ihn liegen und löschten das Licht.
 

Natürlich versuchte er, sich zu befreien, doch es war unmöglich. Er zerrte vergeblich an den Fesseln, sie waren zu fest und scheuerten nur seine Haut auf. Er wand und drehte sich, bis er von der Matratze auf den kalten Betonboden rutschte. Doch die Seile lockerten sich nicht, sondern hatten sich im Gegenteil noch fester gezogen.

Schließlich blieb er erschöpft liegen und spürte, wie der Speichel seitlich aus seinem Mundwinkel lief, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

Seltsamerweise fand er das am Schlimmsten. Es war so demütigend.
 

Während er im Dunkeln seinen Atemzügen lauschte, ließ die Wirkung der Droge langsam nach.

Mit der Zeit konnte er wieder klar denken. Was wollten diese Männer von ihm? Nur des Geldes wegen hätten sie ihn nicht mitnehmen müssen. Oder wollten sie Lösegeld erpressen? Doch warum erniedrigten sie ihn dann so? Die Vorstellung, dass ihn jemand so sehen würde, nackt und gefesselt und mit Speichel beschmiert, war noch entsetzlicher als die Situation an sich.

Er versuchte diesmal in aller Ruhe, sich aus der Fesselung zu befreien. Sie hatten seine Hände hinten zusammen gebunden und zusätzlich das Seil um den Brustkorb geschnürt. Seine Beine waren bis über die Knie straff umwickelt, und dann musste noch ein Seil von den Fußgelenken zu der Halskette führen, denn er konnte die Beine nicht ausstrecken, ohne dass es ihm unangenehm am Hals zog.

Inzwischen schnitt das Tau so tief ein, dass jede kleine Bewegung wehtat. Er gab vorerst auf.
 

Wer war eigentlich dieser Ed, mit dem er irgendwas gemacht haben sollte? Er kannte niemanden mit diesem Namen. Aber er hatte eine kleine Ahnung, wer das sein könnte und wurde bestätigt, als die Männer eine Weile später wieder zurückkehrten. Sie hatten noch jemanden mitgebracht.

Er erkannte ihn sofort. Das musste Ed sein, von dem die anderen gesprochen hatten. Ed war der Junkie, der ihn vor einigen Wochen überfallen wollte.
 

Er hatte ihn abends angesprochen, als er auf dem Weg nach Hause gewesen war. Es war in der Nähe des Bahnhofs gewesen. Er hatte er ihm angeboten, ihm für dreißig Dollar „einen zu blasen“. Erst hatte er gar nicht verstanden, was dieser kaputte Typ von ihm wollte. Solche Wörter gehörten nicht gerade zu dem englischen Vokabular, das er für sein Wirtschaftsstudium benötigte. Als er schließlich begriff und abgelehnt hatte, war der Junkie mit dem Preis bis auf zehn Dollar runter gegangen. Es war eindeutig, dass er auf Entzug gewesen war und dringend einen Schuss brauchte, so zittrig und hektisch, wie er sich verhalten hatte.

Er hatte ihm widerwillig etwas Kleingeld geben wollen, doch Ed hatte gierig nach der Brieftasche gegriffen.

Als der Japaner ihm geschickt ausgewichen war, hatte Ed sein Messer gezogen.

„Jetzt gib schon dein Geld oder ich schlitze dir den Bauch auf!“

Der Mann hatte ihn sogar mit dem Messer angegriffen, doch bevor der Angreifer wusste, wie ihm geschah, wurde ihm die Waffe aus der Hand getreten, und gleich darauf wurde er am Arm gegriffen und fand sich auf dem Straßenpflaster liegend wieder. Dabei war sein Schulterblatt gebrochen. Sich abzurollen, hatte Ed nie gelernt.
 

Ed kniete sich vor ihn nieder und zog brutal mit der Kette sein Gesicht zu seinem. Er nahm einen Zug von seiner Zigarette und blies ihm den Rauch in die Augen.

„Na, Freundchen? Erinnerst du dich an mich?“

Er erwiderte ruhig Eds Blick, obwohl sein Magen sich vor Angst zusammen zog. Er war noch nie einem Menschen so hilflos ausgeliefert gewesen. Was hatten sie jetzt mit ihm vor?

Als hätte Ed seine Gedanken gelesen, beantwortete er die nicht ausgesprochene Frage.

„Ich verlange von dir Genugtuung. Für die Schmerzen, die du mir zugefügt hast.“ Er ließ ihn los und tippte sich an die Schulter. „Ich kann den Arm immer noch nicht richtig bewegen. Ich hatte eine Menge Ärger wegen dir, du arrogantes Arschloch! Ich werde mich ein wenig mit dir amüsieren. Und wenn ich mit dir fertig bin, kommen meine Freunde hier auf ihre Kosten, wenn du verstehst, was ich meine… Na? Wie fühlt man sich, wenn man da ganz unten angekommen ist? Hier bist du ein Nichts, egal wie viel Geld dein Papi hat. Hier bist du gerade mal wert, mir als Aschenbecher zu dienen.“

Langsam, ganz langsam, näherte sich die Zigarette seiner Schulter. Ed ließ ihm Zeit, der Bewegung mit den Augen zu folgen. Als die Glut die Haut berührte, sog der junge Mann zischend die Luft ein und biss auf den Knebel, um nicht aufzustöhnen. Seine Nasenflügel bebten.

„Du wirst schon noch schreien“, sagte Ed leise. „Ich möchte dich schreien hören.“

Niemals, dachte er und schloss die Augen. Niemals würde er tun, was dieser Widerling von ihm verlangte.
 

Da sollte er sich allerdings gründlich irren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2007-11-25T20:32:40+00:00 25.11.2007 21:32
Diese Geschichte ... ich nehm sie mir Kapitel für Kapitel vor, in kleinen Dosen. Um sie zu genießen und um sie noch einmal nachschmecken zu können.
Deshalb kommen die Kommentare so, wie ich das Kapitel lese, stückweise und sehr nachdenklich.

Mir fällt wieder seine (ich kenne seinen Namen, aber spätere KommentarschreiberInnen sollen auch ihre Chance haben ...) unglaubliche Arroganz ein, die ihn so zielgerichtet wie einen angeschlagenen Baum fallen läßt. Und wieder hält mich der Spannungsaufbau gefangen, du lenkst ab mit Blumenrabatten und stinkigen Junkies und Erinnerungen und dann kippt die Geschichte und er ist jetzt auch ein Opfer. Wie im echten Leben ...

Und besonders die Frau hat mich nachdenklich gemacht, so reagieren ja die meisten, lassen sich nur zu gern von etwas überzeugen, nur um nicht selbst vielleicht bei einer Hilfestellung zu eventuellem Schaden zu kommen. Selbstschutz oder Feigheit? Macht mir selber Angst, die Frage ...

Der Speichel, der herausläuft, als die schlimmste Demütigung, vielleicht etwas relativ 'Normales' in diesem Raum, an den er sich klammern kann. Dass man ihm beigebracht hat, dass Körperflüssigkeiten nicht unkontrolliert den Körper verlassen dürfen ... ein leiser Vorgeschmack auf Kommendes und sehr subtil ausgearbeitet. Sehr gut.

Oh Mensch ... du hast eine wirklich plastische Art, solche Sachen zu beschreiben. Schreiberinnen, die mich mit ihren Geschichten auf eine Reise schicken, sind echt Gold wert, du gehörst dazu mit der Geschichte.
Es läßt genug offen und man graust sich schon vor dem Weiterlesen, weil man genau weiß, was ihm geschehen wird.

Bis nächstens, sozusagen,
die Elster.


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