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Salut, Monsieur Dantes!

von

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Prolog

Prolog
 

Es war ein wirklich nobles Geschäft mit extravagantem Mobiliar. An der Seite hingen Abendkleider, die so glamourös wirkten, dass es mir den Atem verschlug. Es war das erste mal in meinem ganzen Leben, dass ich einen solchen Laden betreten hatte. Draußen über dem Schaufenster hatte in gediegenen Goldlettern gestanden :

‚Diamant soiré‘

La jeune haute couture

Das Geschäft hätte sich vom Stil her locker neben Versace, Vuitton und Gucci einreihen können, auch wenn hier die Preise ein wenig irdischer waren...

Ich, Kyoko Mogami in einem solchen Laden... Jetzt kam ich mir wirklich wie eine Prinzessin vor, die sich ihr Kleid für den abendlichen Ball aussucht. Vor lauter überschwänglichem Glück, geblendet von dieser glamourösen Schönheit, verlor ich mich in ekstatischen Tagträumen... die Hofdamen, der Hofmarschall, die berauschende Atmosphäre, ein märchenhaftes Schloss mit atemberaubenden Gärten zum Lustwandeln...
 

Wir hatten kaum ein paar Schritte in diese grausame Funkelhöhle von Geschäft unternommen, als dieses Mädchen auch schon völlig aus der Fassung geriet. Unwillkürlich sah ich zu, dass ich einige Meter Abstand zu ihr gewann. Diese Miene war wirklich unheimlich. Als wäre sie in irgendeine Art Traum versunken... Ich wollte mir nicht ausmalen, was der Inhalt dieses Traumes war, sonst bekam ICH womöglich noch Alpträume! Grauenhaft... Es ist aber auch zu verzwickt! Ich hätte mich nicht von ihr überreden lassen sollen, mitzukommen. Ich, Kanae Kotonami, in einem solchen Laden... wie PEINLICH! Es war aber auch zum Haare ausreißen... ich konnte ihr einfach nichts abschlagen, weil ich es einfach nicht ertrug, wenn sie mich dann mit dieser ‚Ich-bedeute-dir-ja-eh-nichts‘-Miene ansah. Das war jetzt aber wirklich genug! Die Verkäuferinnen gafften uns schon entfremdet an. Ich musste ein Machtwort sprechen! „Hey! Jetzt hör aber auf, dich wie ein Wunderkloß zu benehmen, das ist ja oberpeinlich! Wir sind doch hergekommen, um dir ein Kleid für deine bevorstehende Premiere zu besorgen. Also benimm sich gefälligst, ich bin doch nicht deine Mami!“, blaffte ich sie an. Das schien sie auf die Erde zurückzuholen.
 

Ich wurde durch eine barsche Bemerkung von Miss Menno aus meiner Illusionswelt gerissen und nun machte sich Aufregung in mir breit bei dem Gedanken, dass ich mir ein Kleid von all diesen wunderschönen Modellen aussuchen durfte! Aber um erstmal die ganze Situation zu erklären... Wie man unschwer erkennen kann, konnte ich Kotonami-san überreden, mit mir shoppen zu gehen. Wie zwei richtige Freundinnen! Ich brauche nämlich ein Abendkleid für die Premiere von ‚Dark Moon‘. Anfangs hatte ich ja keine Ahnung, welche Ausmaße das ganze Projekt annehmen würde! Doch durch die vielen großen Schauspieler, die in diesem Drama dabei waren, richtete sich das gesamte mediale Interesse noch vor der Promotion für den Film darauf und die Premiere wurde mit solchem Pomp aufgezogen, dass es schon an eine amerikanische Hollywood-Premiere erinnerte. Ganz im Stil des Präsidenten also...(ich habe übrigens den Verdacht, dass er an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig ist) Und ich bin mittendrin. Stellt sich natürlich die Frage, woher die arme, stets abgebrannte Kyoko Mogami die ganze Knete für eine so tolle Garderobe nehmen soll. Das ist das Beste an der ganzen Sache: Der Präsident, in seiner ganzen, allumfassenden Güte, hat seine Beziehungen spielen lassen. Dieses Geschäft leiht mir für diesen einen Abend ein Kleid. Er muss sie wohl überzeugt haben, dass dies die beste Werbung ist. Schließlich spiele ich eine der Hauptrollen. Man führe sich vor Augen, dass in den USA große Schauspielerinnen wie Charlize Theron solche Kleider sogar geschenkt bekommen. Kein Vergleich zu mir... Nun ja. Ich gehöre schließlich zum armen Pöbel. Noch. Wenn ich erst eine Größe im Biz bin und Shotaro vor mir im Staub kriecht...

Miss Menno zerrte mich zur Ladentheke. Sie wirkte etwas zerknirscht. Ich konnte es nicht nachvollziehen. Für mich war dies einer der denkwürdigsten Augenblicke überhaupt. Mit ihr in diesem Laden... Vergleichbar mit dem Tag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung... Was red‘ ich? Größer noch...

„Guten Tag. Wir kommen von LME. Ich nehme an Takarada-san hat mit Ihnen telefoniert? Es geht um das Kleid für die Premiere... “ Die freundliche Verkäuferin blätterte in einigen Unterlagen und lächelte mich dann an: „In Ordnung. Sie sind Mogami-san? Möchten sie sich alleine umsehen oder benötigen Sie Hilfe?“ „Ich brauche fürs erste keine Hilfe, vielen Dank.“ Es verging einige Zeit, während Miss Menno und ich durchs Geschäft schlenderten und mögliche Kandidaten für den großen Abend auswählten. Ich hätte sie natürlich am liebsten alle genommen... Was wird nur Shotaro sagen, wenn er mich mit solcher Grazie über den roten Teooich schreiten sieht (ja, sogar sowas wie einen roten Teppich hat man mit eingebaut, obwohl ich mich immernoch in JAPAN befinde, irgendwie gagi, oder?), oder all die anderen Leute, die mich immer für ein Mauerblümchen hielten... oder... oder was wird wohl...

ups?

Jetzt hatte ich doch glatt meine Gedanken soweit schweifen lassen, dass sie bis zu IHM gelangt waren.

So ein Blödsinn aber auch! Back to reality, s'il vous plaît...

Als ich mir die schönsten Kleider ausgesucht hatte, die ich mich auch traute in der Öffentlichkeit zu tragen, winkte ich Miss Menno herbei. Sie trug auch einige Kleider über dem Arm. Wir begaben uns zu einer Umkleidekabine. Dort wartete schon eine Ankleidehilfe auf uns. Huh, how luxury. Und diese geräumigen Umkleidekabinen erst... mit karmesinroten Samtvorhängen...
 

Als Mogami-san mit dem ersten Kleid am Körper aus der Kabine trat, schnaubte ich vor Schreck in den Senseo-Café, den man mir gebracht hatte. Ein Gefühl wie gegen eine Backsteinmauer zu rennen... „Ihr Götter steht mir bei... aber WAS IST DAS???? Du willst das doch nicht ernsthaft tragen???!“ Ich musste sie wohl ziemlich entgeistert angestarrt haben, denn sie schien sehr überrascht. „Findest du es nicht gut? Ich dachte, es ist wunderschön...“ Sie tippelte vor dem Spiegel hin und her. Ich konnte nicht anders. Ich musste einfach loswiehern. Das Kleid -offensichtlicherweise ihre Wahl- sah aus wie ein glitterndes, flitterndes Disney-Cinderella-Kleid. Dieses Mädchen hatte einen Geschmack zum Akne kriegen. Wie ein Hund mit eingezogenem Schwanz trollte sie sich in die Kabine zurück. Ich bereute meinen Ausbruch etwas...

„Wie findest du dieses, es-“

„NÄCHSTES.“

...

„Und dieses hier erst, schau doch nur mal die Schleppe-“

„NÄCHSTES.“

...

„Aah, aber gegen dieses KANNST du nichts sagen es-“

„Urks. Würg.... NÄCHSTES.“

...

„Ähm........??“

„NÄCHSTES.“

„Miss Menno, das reicht jetzt aber wirklich! Beim nächsten möchte ich eine ernsthaftere Kritik hören. Du bist ja so... gemein!!!“, heulte sie und verschwand mit einem Brautkleid-ähnlichem Dingsda in der Kabine. Es war ermüdend... „Mogami-san, probier doch bitte mal eins von denen, die ich dir ausgesucht habe!“ „Also gut, wenn du meinst...“ Kommen wir also zum ernsthafteren Part der Unternehmung...
 

Es war so furchtbar gemein von ihr. Was ich auch anprobierte... sie hatte immer etwas auszusetzen! Blöde Kotonami-san. Was hat sie gesagt? Ich soll eines von ihren probieren? Na von mir aus. Ich nahm mir das erstbeste und streifte es über. Es war ein wenig zu groß... Als ich aus der Kabine trat und in den Spiegel sah, war ich überrascht. Auch Kotonami-san schien diesmal weitaus zufriedener zu sein. Sie stand von dem schwarzen Ledersessel auf und begutachtete mich. „Hm... das steht dir wirklich ganz ausgezeichnet, Mogami-san... Außerdem ist schwarz eine klassische Farbe, mit der bist du immer auf der sicheren Seite!“ „Es ist ein bisschen zu groß!“ „Du hast Recht. Es fällt zwar nicht besonders auf, aber du müsstest ständig auf der Hut sein, dass dein Ausschnitt nicht verrutscht! Wart mal ich geh mal eine der Verkäuferinnen fragen...“ Als Miss Menno kurz ging, drehte ich mich noch mal zum Spiegel. Das Kleid umspielte die Figur mit glänzend schwarzem, fliessendem Stoff. Es war eng geschnitten mit einem Schlitz, der bis zum Oberschenkel reichte. Am Decollté ein zarter, am Rücken ein tiefer Wasserfallausschnitt im westlichen Stil. Kotonami-san kehrte mit einer Verkäuferin zurück. „Hören Sie, es tut mir Leid, aber dieses Kleid ist ein einmaliges Stück, das gibt es in keiner kleineren Größe!“ Die Verkäuferin verstummte und blickte mich an, schritt um mich herum und betrachtete mich: „Hm... ich finde es ist die ideale Länge... an den Hüften sitzt es perfekt. Nun ja... nur am Busen sitzt es ein wenig zu locker. Das ist aber nicht augenscheinlich..." Oh man... Was’n Scheiß...
 

Bonjourno!! Ich bin ganz aufgeregt, dass ich jetzt auch endlich meine unter Schweiß erarbeitete Fanfic veröffentliche... Ich hoffe, ihr beurteilt sie net zu hart *hundeblick* also beaucoup de plaisir, mes amies!! ^^

Gefahr im Anzug?

Chapitre Un : Gefahr im Anzug?
 

Nach hitzigen Debatten und Rumgezupfe an meinem Kleid, verließ ich eine Stunde später mit einer eleganten, schwarzen Tüte (Inhalt: jenes besagte Kleid) und Miss Menno im Schlepptau das Geschäft. Wir genehmigten uns auf dem Heimweg noch ein Eis und dann machte ich mich los zum Daruma-ya. Unterwegs überlegte ich... Die Premiere war in genau einer Woche. Der arme Tsuruga-san... Seit den Foto-Shootings für den Film hatte er ein Interview nach dem anderen geben müssen und für sich selbst kaummehr eine freie Minute. Ich hätte ihn gern mal wieder getroffen, aber er war nicht in der Agentur aufgekreuzt. Auch jetzt fragte ich mich, was er wohl gerade tat. Es war Abend und begann gerade dunkel zu werden; ich hatte heute nichts mehr vor, da im Daruma-ya Ruhetag war. Ich überlegte einen kurzen Moment, fasste dann einen Entschluss und beschleunigte mein Tempo auf dem Fahrrad, Kurs Daruma-ya. Bei diesem ganzen Stress, den der Mann um die Ohren hatte, würde er sicher nicht auf den Gedanken kommen, abends noch etwas zu essen. Gott, was für ein verantwortungsloser Mensch. Also bereitete ich ihm ein Bento zu. Dann schwang ich mich aufs Rad und fuhr zu seinem Appartement. Ich erwartete nicht wirklich, ihn dort anzutreffen; ich hatte vor, das Bento mit einer Nachricht vor seiner Wohnungstür abzulegen. Unten stellte ich mein Fahrrad ab und hechtete die vielen Treppen bis zu seiner Etage hinauf. Oben angekommen raste mein Herz. Mein Kreislauf schien vom Treppensteigen sehr angekurbelt worden zu sein...

Ich spielte mit dem Gedanken, es doch einmal mit Klingeln zu versuchen und blieb vor der großen Tür stehen. Ich kam mir ziemlich belämmert vor, wie ich da mit Herzklopfen und einem kleinen Päckchen stand und die Tür angaffte. Aber schließlich war es ja nicht das erste mal, dass ich ihm abends noch einen Besuch abstattete... Ich war dort schon öfter abends gewesen und hatte dort sogar schon übernachtet, als er krank war... ! Also entschloss ich mich, zu klingeln. Ich hatte gerade meine Hand zum Klingelknopf erhoben, als ich wütende Stimmen von drinnen hörte.

Nicht, dass ich wirklich lauschen wollte. Aber dennoch hielt ich inne.

„Hören Sie! Es ist mir egal, was das für einen Eindruck in der Öffentlichkeit macht. Ich verlange, dass Sie die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen! Stellen Sie Mogami-san und Momose-san unter persönlichen Schutz und-“ „Aber wir wissen doch noch nicht einmal, ob wir diese Drohung ernst nehmen sollten! Viele Leute erlauben sich zu solchen Mammut-Events gewisse Scherze, um sich in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen, also-“ „Wollen Sie es etwa drauf ankommen lassen? Was ist wenn, der Verfasser dieses Drohbriefes wirklich Ernst macht und die beiden entführt!? Würden Sie die Verantwortung dafür übernehmen?“ „Sie meinen, Sie DREI entführt. Ihr Name stand auch auf der Liste seiner potentiellen Opfer.“

„Ich kann auf mich selbst aufpassen!“

Soweit ich es beurteilen konnte, handelte es sich um die Stimme von Tsuruga-san und die eines anderen Mannes, die ich nicht kannte. Angesichts dessen, was sie besprachen, lief es mir eiskalt den Rücken runter. Plötzlich mischte sich eine dritte Stimme ein. Ich erkannte sie als die des Präsidenten wieder.

„Ren, jetzt beruhig dich erst mal wieder. Higashiyama-san, ich bin auch der Meinung, dass wir diese Drohbriefe nicht ignorieren sollten. Die Gefahr ist einfach zu groß. Verdreifachen Sie die Sicherheitsmaßnahmen zur Premiere und stellen Sie Mogami-san, Momose-san und Ren unter ständige Beobachtung. Wenn Ihnen die öffentliche Aufmerksamkeit so wichtig ist, dann schicken Sie ihre Leute in zivil los. Und passen Sie mir bloß auf, dass nichts von alledem an die Öffentlichkeit gelangt. Wir wissen nicht, wie sich diese Leute dann verhalten werden. Ren, ich weiß, dass du Nerven wie Drahtseile hast, deshalb habe ich dir auch von diesem Drohbrief erzählt. Und ich erwarte jetzt von dir, dass du vernünftig bist und den Schutz deiner Person von speziellen Schutzkräften akzeptierst. Ich möchte Mogami-san und Momose-san nicht beunruhigen, deshalb möchte ich sie in dem Glauben lassen, dass zur Premiere alles in Ordnung ist. Gibt es irgendwelche Einwände?“ Schweigen. „Sehr gut. Higashiyama-san, würden Sie mich bitte noch in die Agentur begleiten? Ich weiß, es ist spät, aber ich möchte die Details unbedingt so schnell wie möglich geklärt haben. In meinem Büro ist momentan ein umwerfender Koch aus Bangladesh anzutreffen; ich bin sicher, Sie werden seine Kochkünste begrüßen... Ach und Sie können wir auch unterwegs absetzen, Yashiro-san!“ „Vielen Dank, Herr Präsident.“

Drinnen hörte ich das Rascheln von Mänteln und Schritte, die sich der Tür näherten.

Mit einem jähen Anflug von Panik begriff ich, dass ich gleich entdeckt werden würde und blickte mich hektisch um, ob sich irgendwo ein Versteck fand, doch der Flur war vollkommen leer und die Treppe war zu weit entfernt. Gleich würde sich die Tür öffnen.

In einem letzten Akt der Verzweiflung sprang ich in die Ecke hinter der Tür, als diese gerade begann, aufzugehen. Ich quetschte mich so nah wie möglich an die Wand, doch zum Glück blieb mir ein Zusammenprall mit der Tür erspart, da der Präsident sie nicht ganz aufgestoßen hatte. „Schönen Abend noch, Ren! Ist, soviel ich weiß, der erste freie seit Wochen, nicht wahr?“ „Mhm“ „Auf Wiedersehen Tsuruga-san.“ „Wiedersehen, Higashiyama-san und Yashiro-san!“

Tsuruga-san schien noch einen Moment in der Tür zu verharren und den drei Herren hinterherzublicken, denn die Tür schloss sich nicht sofort wieder und gewährte mir noch einigen Schutz in meinem rettenden Versteck. Dumpf murmelnd schloss er sie schließlich wieder und verschwand in seiner Wohnung.
 

Licht fiel wieder auf mich. Da stand ich nun. Neben Tsuruga-sans Türrahmen an die Wand gepresst, von jähen Überschwemmungen der Angst gepeinigt. Ein Drohbrief? Und der Verfasser wollte Tsuruga-san, Momose-san und mich zur Premiere entführen? Warum wollte mir der Präsident darüber nichts sagen? Das machte mich schon ein wenig zornig... Was sollte ich jetzt tun?

Plötzlich hatte ich Angst, alleine im Dunkeln nach Hause zu fahren. Ich überlegte einen Moment. Würde Tsuruga-san Verdacht schöpfen, wenn ich jetzt klingelte? Ich hatte keine andere Wahl. Ich brachte mein Mienenspiel in Ordnung und drückte den Klingelknopf. Es dauerte kurz bis er die Tür öffnete. Er starrte mich einen Moment lang an. „Mogami-san! Was ma... ES IST GEFÄHRLICH für ein Mädchen, so spät abends noch durch die Gegend zu fahren!!“

Normalerweise würde ich jetzt wütend werden, doch ich verstand seine Reaktion und wusste, dass er sich nur Sorgen machte.

Plötzlich sah er mich misstrauisch an. „Wie lange stehst du da schon?“ „Ich ähm... wieso?“ „Weil es vorhin angefangen hat, zu regnen, und du vollkommen trocken bist!“ Für einen Moment setzte mein Herz fast aus. Zu spät bemerkte ich die sanften Nieseltropfen, die mittlerweile gegen das Fenster des Hausflurs pochten. Ich wusste nicht, warum ich es unbedingt geheim halten wollte, dass ich dieses Gespräch belauscht hatte, aber ich hatte das mulmige Gefühl, dass es Tsuruga-san nicht besonders gefallen würde. Und den Zorn des Tsuruga-san zog man sich besser nicht zu.

„Ich bin vorhin schon angekommen, habe aber unten in der Eingangshalle einen Anruf von... Sawara-san erhalten!“ Er blickte mich an. „Unten habe ich den Präsidenten, Yashiro-san und einen anderen Mann das Haus verlassen sehen. Sie haben mich aber nicht gesehen. Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ Sein Blick wurde wieder sanft. „Oh ähm... nein nichts besonderes eigentlich.“ Lügner.

„Was machst du hier?“

„Ich habe gehört, welchen Stress Sie in letzter Zeit hatten und da ich ja ihre Essgewohnheiten kenne... hier!“

Ich streckte ihm mein Bento hin.

„Ah das ist wirklich sehr nett von dir. Komm doch rein!“

„Vielen Dank!“

Ich zog meine Schuhe und meinen Mantel aus und folgte ihm ins Wohnzimmer.

„Ist alles in Ordnung? Sie wirken etwas angeschlagen.“

„Eh, ach ja... wird wohl der ganze Stress sein.“

„So... Sie sollten sich mal eine Auszeit nehmen. Schließlich wollen Sie doch zur Premiere nächste Woche fit sein, nicht wahr?“

Er lächelte mich an. „Ich werde versuchen, deinen Ratschlag zu beherzigen, Mogami-san. Meine Gesundheit scheint dir ja sehr am Herzen zu liegen!“ Er beobachtete mich von der Seite genau. „Wah..? Oh! N-Nein ich dachte ja nur...“ Verlegen spähte ich zu ihm herüber. Er kicherte. Seine Augen funkelten. Aus ihnen sprach eine so angenehme Wärme, dass ich mich unweigerlich hier wohl fühlte. Ich sah wieder weg. Bloß nicht zu lange hinschauen, sonst bringt mich dieses heilige Lächeln noch in die ewige Verdammnis...
 

Sie war einfach zu süß. Nicht nur, wie sie sich ständig Sorgen um meine Gesundheit machte... auch wie sie so schnell verlegen wurde, wenn ich sie ein wenig stichelte. Anfangs war ich ein wenig skeptisch. Es war doch irgendwie ein merkwürdiger Zufall, dass sie so kurz nach unserem hitzigen Gespräch über sie hier aufgetaucht war. Doch ich beschloss, mir darüber keine Gedanken mehr zu machen und konzentrierte mich aufs Essen. „Das schmeckt wirklich sehr gut. Vielen Dank!“

Sie schien sich ehrlich zu freuen. Süß.

„Ich habe gehört, es gab Probleme bezüglich deiner Garderobe zur Premiere?“ Es gab noch viel gravierendere Probleme zur Premiere.

„Ah, hat Takarada-san Ihnen das erzählt? Ja. Ich konnte mir kein... kein Abendkleid...“

„...leisten?“, ergänzte ich, „Ist doch nicht so schlimm. Bei den meisten Neulingen im Business, die am Anfang ihrer Karriere stehen, ist das so. Besonders, wenn sie noch so jung sind wie du.“

„Sagen Sie das nicht. Es hört sich an, als wäre ich ein kleines Kind. Trotzdem Danke... “

„Schließlich habt ihr ja doch noch eine Lösung gefunden, nicht wahr?“ „Ja.“

Ich wusste, sie war noch jung. Sie war natürlich viiiel zu jung...

..., oder? Ob sie etwas von alledem ahnte, wusste ich nicht. Im Moment war es auch egal. Was zählte, war nur, dass wir diese verdammte Premiere unbeschadet hinter uns brachten. Den Rest des Abends begingen wir in Schweigen, dem bunten Plappern des Fernsehers lauschend. Ich genoss ihre Anwesenheit; es war wie eine Insel der Ruhe in dem ganzen Stress. Und dennoch konnte ich den wilden Fluss der Gedanken nicht stoppen, der durch meinen Schädel wirbelte. Morgen ein Gastauftritt, ein Interview... Gefahr! Dann noch ein Termin mit einem Reporter... Mogmai-san hier! Dann ein Meeting für einen Werbespot... Eine geplante Entführung! Die Besprechung für einen neuen Film... Ich brauche wirklich mal Urlaub.
 

Tsuruga-san schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Ich konnte es nachvollziehen. Fast bereute ich es ein bisschen, hergekommen zu sein. Als er fertig gegessen hatte, saßen wir noch eine Weile da. Dann sagte er: „Mogami-san, ich bestehe darauf, dich nach Hause zu bringen“

„Mit dem Auto?“

„Ja.“

„Und was ist mit meinem Fahrrad?“

„Das können wir in den Kofferraum tun, wenn wir die Rücksitze runterklappen. Es ist zu gefährlich jetzt noch für dich draußen.“

„Na gut. Wenn sie meinen.“

Insgeheim war ich ihm sehr dankbar dafür. Wir erhoben uns und gingen hinaus in den Flur. Ich zog meine Schuhe an und als ich mich gerade erhob, da beugte sich Tsuruga-san an mir vorbei zum Jackenständer und ergriff seinen Mantel. Für einen flüchtigen Moment konnte ich seinen Duft wahrnehmen. Dieser Duft... Ich riss mich zusammen und folgte ihm hinaus in den Hauskorridor. „Hast du alles?“ „Ich denke schon“

Unten verlud er mein Fahrrad in sein Auto und ich sprang zu ihm auf den Beifahrersitz. Während der Fahrt wandte er sich wieder mir zu: „Ich finde es sehr freundlich von dir, dass du dir so viele Sorgen um mich machst, aber es wäre mir lieber, wenn du so spät abends nicht mehr allein durch die Gegend fährst.“ Die Worte standen im Raum. Ich tat unwissend. „Warum denn nicht? Diese Gegend hier ist doch ungefährlich.“ „Das kannst du nicht wissen. Für ein junges Mädchen ist es abends auf den Straßen niemals sicher. Versprichst du mir, dass du vorsichtig sein wirst?“ Ich versprach es.

Er bog in die Straße zum Daruma-ya ein und parkte einige Meter entfernt. Während er mein Fahrrad aus dem Kofferraum hiefte, blickt ich die Straße hinauf. Sollte es wirklich so gefährlich für mich sein? Immerhin hieß es ja von einer Entführung auf der Premiere. Aber man wusste ja nie... Er begleitete mich noch bis vor die Haustür. Ich spürte, wie er mich von der Seite her ansah, war aber nicht gewillt, seinen Blick zu erwidern. Also sah ich hinab auf die Straße... „Also gut, Mogami-san, ich danke dir für den schönen Abend, schlaf gut!“ „Danke fürs Bringen Tsuruga-san, fahren Sie vorsichtig!“ „War doch nicht der Rede wert! Und mal im Ernst, sehe ich aus, wie jemand, der nicht vorsichtig fährt?“ Er lachte, bedachte mich noch mit einem kurzen Blick und schritt dann mit einer Geste des Abschieds zu seinem Auto davon. Ich sah ihm einen Moment hinterher und begab mich dann in den Flur des Daruma-ya.
 

Es war mittlerweile stockfinster draußen. Ich war froh, sie noch nach Hause gebracht zu haben. Hoffentlich hatte ich ihr einleuchtend klar gemacht, dass sie sich abends nicht mehr alleine rumzutreiben hatte... Wenn die Premiere vorbei war, würde ich mich für mein ruppiges Verhalten entschuldigen... Ich fuhr etwas schneller, wollte nur noch nach Hause, um zu schlafen...
 

In dieser Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Ich war einfach zu aufgewühlt. Wenn wirklich eine Entführung geplant war, warum war der Urheber dessen dann so dumm und informierte die Agentur vorher schon darüber? War es nicht sonnenklar, dass Takarada-san dann Security-Leute einstellen würde, die aufpassten wie Schießhunde? Er musste sich seiner Sache schon sehr sicher sein, was mich umso nervöser machte. Er musste etwas geplant haben, bei dem Security-Leute nicht viel tun konnten. Außerdem kannte ich ja auch nicht den genauen Inhalt dieses Briefes. Ich drehte mich auf die andere Seite. Von vorbeifahrenden Autos fiel Licht durchs Fenster auf meine Hass-Poster von Tsuruga-san und Shotaro... Ich blickte Tsuruga-san an. Irgendwie erschien mir sein Hass-Poster ein wenig zu groß. Mein Puls verlangsamte etwas, während ich seine dunklen Wimpern betrachtete... Ich fühlte, wie der warme Schlaf mich einlullte und meinen Gedankengang erlahmte... Schließlich gab es ja auch noch die Möglichkeit, dass dies nur ein schlechter Scherz war...
 

Am Morgen darauf war ich sehr müde, als der Wecker klingelte. Das lag wohl daran, dass ich so wenig geschlafen hatte. Noch halb im Delirium erhob ich mich und torkelte zu meinem Schrank. Besonders viele Sachen enthielt er nicht. Jedenfalls nicht so viele wie der einer normalen Oberschülerin. Ich griff nach meiner Schuluniform und beeilte mich, zum Frühstück runter zu kommen. Die Schulstunden schleppten sich dahin. Als der Nachmittag anbrach, machte ich mich auf den Weg zu LME. Nachdem ich dort meine Schuluniform in die Grell-pinke der Love-me-Section eingetauscht hatte, machte ich mich auf den Weg zu Sawara-sans Büro. Ein Angestellter hatte mich aufgesucht und mir verkündet, Sawara-san wolle mich umgehend sprechen. Als ich das Büro des Leiters der Talent-Section betreten hatte, erkannte ich sofort, dass der Präsident ihn über diesen Drohbrief informiert haben musste. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und wirkte sehr abgespannt. Wie zu jener Zeit als ich ihn terrorisiert hatte, um bei LME reinzukommen. „Ah, Mogami-san, sehr gut. Bitte setz dich doch“ Ich tat, wie mir geheißen. „Ich möchte dich darüber informieren, dass du ab sofort von all deinen Pflichten nach 18.00 Uhr entbunden bist. Die Agentur erwartet von dir, dass du dich vor Einbruch der Dunkelheit bei deinem Wohnsitz einfindest und jenes Gebäude nicht mehr verlässt.“ Verdutzt starrte ich ihn an. Takarada-san hatte also Maßnahmen ergriffen. Aber waren die nicht etwas überzogen? „Ehm... darf ich fragen, wieso...?“ „Ja darfst du. Es geht darum, dass die Straßen derzeitig nicht sicher sind und besonders für dich, da du ja durch Dark Moon im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehst. Nach der Premiere wird sich das alles wieder normalisieren, dann kannst du deiner Tätigkeit als Love-me-Praktikantin nachgehen wie gehabt. Doch bis dahin... weißt du jetzt, was du zu tun hast“, leierte er mechanisch runter. Ich hielt diese Ausrede für arg an den Haaren herbeigezogen, sagte jedoch nichts und nickte nur stumm. Dann erhob ich mich und verließ Sawara-sans Büro, um meinen ersten Job für heute anzunehmen
 

Als das Mädchen mein Büro verlassen hatte, musste ich erstmal tief aufatmen. Sie hatte es besser aufgenommen, als ich gedacht hatte. Kaum Fragen gestellt. Mir alles, ohne zu murren, abgekauft. Ich hatte mir das ganze weitaus stressiger vorgestellt. Denn ich wusste ja, dass sie aus mir alles rausquetschen konnte, wenn sie nur lang genug dranblieb. Ich will mich gar nicht an damals erinnern, als sie hier in unsere Agentur reingeschneit kam und lauthals von mir forderte, ich solle einen Star aus ihr machen... Es kam mir zwar schon ein wenig merkwürdig vor, aber wie blöd wäre ich wohl, nachzuforschen, warum es sie nicht sonderlich interessiert. Ich fühlte mich gleich viel besser und machte mich wieder an die Arbeit.
 

Was für ein laaaaangweiliger Job. Aktenordner sortieren...! Die Alten raus aus dem Regal und ins Archiv, damit Platz für die Neuen entsteht. Unglaublich bereichernde Tätigkeit! Heute war der letzte Tag vor der Premiere. Da ich heute keinen Unterricht in der Akademie hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als den ganzen Tag solchen Scheiß zu machen, der der Love-me-Section aufgedrückt wurde. Ich sah auf meine Uhr. Es war bereits halb sechs... der Tag war schnell vorübergezogen. Ich beeilte mich mit dem Ordnerausmisten fertig zu werden, um nach Hause zu fahren.

Zu Hause wusste ich meistens nichts mit meiner Zeit anzufangen. So früh war auch im Daruma-ya noch nicht viel los.

Tsuruga-san hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, mich jeden Abend anzurufen, ob auch alles in Ordnung sei. Meine Güte, der Mann übertrieb es ja schon fast mit der Fürsorge. Ist grad mal 4 Jahre älter und spielt sich wie mein Vormund.

In den Tagen vor der Premiere war auch nicht viel passiert. Die Nervosität und Aufregung angesichts des bevorstehenden Großereignisses hatten in der Agentur ihren Höhepunkt erreicht.

Mein schwarzes Kleid hing allzeit bereit im Schrank und wartete auf seinen großen Auftritt. Kotonami-san hatte sich bereit erklärt, mich am Vormittag passend herzurichten, also Frisur, Make up und so. Ich selbst konnte es kaum erwarten, der Medienwelt als elegante Dame gegenüber zu treten. Ich wusste, dass allerhand Prominente aus ganz Japan erwartet wurden und rechnete fest damit, auch Sho dort zu sehen. Für diesen Fall würde ich ihm einfach aus dem Weg gehen...

...obwohl es mich ja schon interessierte, wie weit seine Klappe runterfiel, wenn er mich so sexy sah. Schließlich war er es gewesen, der die These geäußert hatte, ich würde niemals an dieses Prädikat heranreichen.

Als ich beim Daruma-ya ankam, begann es gerade zu dämmern. Es war noch früh am Abend. Die Okami-san kam mir entgegen: „Kyoko-chan, du kannst in unserem Wohnzimmer fernsehen, wenn du magst. Der Apparat wurde endlich repariert! Es sind noch nicht viele Gäste da. Wenn ich dich brauche, rufe ich dich dann!“ „In Ordnung, vielen Dank...“ Ich schlurfte die Treppen hoch in das Zimmer neben meinem und schaltete den Fernseher ein. Eigentlich sah ich so gut wie gar nicht fern, um Shotaros Visage nicht sehen zu müssen, aber irgendwie musste ich die Zeit ja überbrücken...

Es lief irgend so ein Film mit einer hübschen Schauspielerin. Ich ließ den Kanal an. Die Filmmusik war schön... sie versetzte mich in eine seltsame Stimmung. Irgendwie traurig und melancholisch... aber auch ein wenig romantisch. Wie ungewohnt für mich! Die Darsteller standen unter einer Straßenlaterne.

>Was hast du denn bloss, Yoichi? Du bist frisch verheiratet. Lächel mal!< Der männliche Schauspieler lächelte traurig. >Seit dieser Hochzeit zieht es mich ich in einem Mahlstrom der Einsamkeit. Ich fühle mich zu dieser Frau kein bisschen hingezogen! Du weißt genau, dass diese Hochzeit von meinen Eltern erzwungen wurde!< Die Frau strich Yoichi sanft über die Wange. >Wenn du jemals jemanden zum Reden brauchst, ich bin immer für dich da!< Yoichi hielt ihre Hand fest. >Ich liebe dich, Sonoko!<

Ich starrte auf den Bildschirm. Dann griff ich zur Fernbedienung und stellte den Apparat ab.

Was für ein idiotischer Film. Was für eine Kommerzvorstellung, so eine Szene... Ich liebe dich... Der Satz mit seiner ganzen närrischen Präsenz hallte in meinem Kopf wieder. Ich liebe dich... Es klopfte an meiner Tür. „Kyoko-chan?“ Die Okami-san steckte ihren Kopf herein. Sie war leicht errötet und schien ein wenig aufgeregt „Unten wartet jemand auf dich. Komm doch bitte runter!“ Ich erhob mich und schlenderte hinab, diese melancholisch-romantische Stimmung immer noch mit mir tragend. Ich liebe dich.

Was'n hohes Maß an krimineller Selbstinszenierung in diesem kurzen Satz! Soetwas konnten doch nur Deletanten von sich geben! Ich liebe dich... Aber iiirgendwiee auch ein ganz kleines bisschen so eine fremdartige, sehnsüchtige Schönheit in sich bergend...

Am Treppenabsatz angelangt blickte ich den Rücken meines hochgewachsenen Besuchers an.

„Tsuruga-san?“ Er drehte sich um und sah mich an.

Ich liebe dich...

Ups? Husch, husch, weg mit dir, böser kleiner Idiotensatz, du passt jetzt am allerwenigsten, wenn er da ist!!

„Hallo Mogami-san! Wie geht es dir? Ich dachte, ich schau am Abend vor dem großen Ereignis noch mal vorbei und in der Agentur hat man mir gesagt, dass du hier bist.“

Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Dieser verkorkte, spastische Satz! Wollte einfach nicht aus meinem Kopf!

Ich liebe dich...
 

Ich hatte das Gefühl, Mogami-san freute sich nicht wirklich über meinen Besuch. Sie sah irgendwie ziemlich zerknirscht aus. Ich ahnte es mehr, als dass ich es direkt sah, aber irgendwie war sie von einer düsteren Aura umgeben, dämonisch. Ich betrachtete sie genauer.

Da murmelte sie plötzlich leise: „Ich liebe dich...“, und kicherte dabei düster.

Ich war wie vom Donner gerührt und konnte sie nur noch anstarren. Ich hatte gehört, was sie eben gesagt hatte, aber mein Verstand begriff nicht...

Auch ihre Körpersprache und ihr Ton waren so völlig konträr zu dem, was sie eben gesagt hatte, dass der spontane Überschwang von wilder Glückseligkeit, der bei diesen Worten in mir ausgebrochen war, einem nüchternen Entsetzen über diese bizarre Situation wich.

„Was?“ Meine Stimme hörte sich so leise und zerbrechlich an. Ich räusperte mich.

„Ist alles in Ordnung, Mogami-san?“ Sie sah mich verdutzt an. Es schien, als würde sie aus einer fernen Welt wieder zu sich kommen. „Ah! Tsuruga-san, es tut mir Leid!“ Sie verbeugte sich hastig und schien dabei sehr verlegen. „Bitte vergessen Siees, ich war noch in Gedanken!“

„Hast du getrunken?“ „Was? Nein. Ich sagte doch, ich war noch in Gedanken... Oh! Wie unhöflich von mir! Ich habe Sie ja noch gar nicht herein gebeten! Möchten Sie irgendetwas zu trinken?“ „Ah... ein Kaffee wär nicht schlecht, wenns keine Umstände macht. Ich hab heute noch zu tun und fühle mich etwas müde.“ „In Ordnung. Gehen Sie die Treppe hinauf und dann rechts, da befindet sich mein Zimmer. Ich komm gleich nach!
 

Ich wollte grade in die Küche, um Tsuruga-sans Kaffee zu kochen, als es mich plötzlich eiskalt überkam.

Die Hass-Poster!

Ich keulte die Treppe hinauf und sah wie Tsuruga-san gerade auf die Tür zuging. Mit größtem High-Speed quetschte ich mich -Arme wie ein Polizist ausgebreitet- zwischen ihn und die Tür und rief: „HALT!“

Auf seinem Gesicht vermischten sich Verwunderung und Amüsiertheit. „Wow, also wenn das kein Durchbrechen der Schallmauer war, dann weiß ich auch nicht! Was ist denn da Brisantes drinnen, dass ich nicht hinein darf?“

Plötzlich wurde ich mir der extremen körperlichen Nähe bewusst. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt; der unglaublich betörende Duft des Tsuruga-san stieg in meine Nase und verursachte mir eine Gänsehaut. „Ach n-nichts. Es ist nur unglücklicherweise uuuunglaublich unordentlich da drinnen!“, log ich rasch.

Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Er beugte sich zu mir runter.

AAAAAAAAAAAAaaaah! S-O-S!!!! Ich-gleich-Schlaganfall-Tod-Herzversagen!

Ich wagte kaum zu atmen und quetschte mich so weit es ging rückwärts an die Tür.

„Du hast doch wohl nichts zu verbergen?“ Ein unheilverkündendes Gentlemansmile.

„Ich n-n-ein ich hab kein bisschen was zu- nicht im g-geringsten zu bervergen!“

„Du meinst >verbergen<?“

„J-ja!“

Er kicherte und richtete sich auf. „Na gut. Dann mach doch vorher noch ein wenig Ordnung. Ich hab vorläufig genug Zeit! Ich warte einfach hier!“

Er machte mir Platz. Wie elektronisch gesteuert bewegten sich meine Füße um 180°. Beim Öffnen der Tür achtete ich darauf, den Spalt so gering wie möglich zu halten, damit er nicht hineinspähen konnte. Als ich drinnen war, hastete ich zur Wand und löste meine kostbaren Objekte des Hasses davon ab. Dann rollte ich sie schleunigst zusammen und versteckte sie eilends unter meinen Klamotten im Schrank. Dann hechtete ich zur Tür und schwang sie auf.

„Das ging aber schnell!“ „Ähhm ja, irgendwie war es doch nicht so unordentlich, wie ich es in Erinnerung hatte... irgendwie.“ Es klang lahm und ich war mir dessen bewusst. Wie peinlich!

Rasch ging ich an ihm vorbei, hinunter in die Küche und kochte einen Kaffee. Ich beeilte mich dabei nicht allzu sehr. Die Vorstellung, gleich bei ihm zu sitzen und seine Fragen beantworten zu müssen, zog mich nicht sonderlich an. Schließlich widerwillig oben angekommen, sah ich, dass Tsuruga-san im Seiza an meinem Tisch saß und auf mich wartete. Was hatte ich erwartet? Ihn zu erwischen, wie er meine Schränke durchwühlte? Dummes Hirn mit seinen Wahnvorstellungen! Ich servierte ihm den Kaffee und setzte mich ihm gegenüber. „Jetzt erzähl mal. Was ist los? Du bist heute Abend aber ganz schön durch den Wind!“ Da.

Da war die Frage, von der ich gehofft hatte, sie würde mir erspart bleiben.

„... Mir ist heute zum ersten mal so ein Gedanke gekommen. Tsuruga-san, gab es jemals eine bestimmte Szene, von der Sie sich nicht im Geringsten vorstellen konnten, sie richtig spielen zu können?“ Er taktierte mich einige Minuten mit seinen Blicken. „Du glaubst also, du könntest kein überzeugendes „Ich-liebe-dich“ in einer Szene hinbekommen?“

Oh oh. Eiskalt erwischt. Jetzt kommt bestimmt gleich so eine Predigt à la Hab-ichs-doch-gewusst-du-taugst-nicht-zur-Schauspielerin-bla-bla...

Doch ...NEIN!

Ich glaube mein Herz bleibt stehen! Als ich aufblickte, versank ich in dunkelbraunen Augen voller Wärme und Zuversicht... Lippen, die sich zu einem herzlichen Lächeln teilten... Ich fühlte mich, als würde ich von einem gigantischem Scheinwerfer angestrahlt. Und genauso musste ich auch aussehen. Mein Gesicht glühte förmlich voller Hitze und Verlegenheit. „Weißt du, wir alle hatten unsere Probleme, uns in die Rollen z.B. bei Dark Moon einzufühlen. Doch mit dem richtigen Ehrgeiz, Leidenschaft und der Liebe zu dem, was man tut, kann man es schaffen.“ Ich fühlte unwillkürlich einen Tropfen Zuversicht in mir aufsteigen. „Ach ja, und wenn es dann noch liebenswerte Menschen in deiner Umgebung gibt, die alles tun, um dir zu helfen, dann ist das Ganze ein Kinderspiel“, fügte er hinzu und schenkte mir abermals eines seiner heiligsten Lächeln.

Bubumm. Bubumm.

Er hatte mich gemeint. Sag was! Ich muss irgendetwas sagen! Stille.

„Ähm... Möchten Sie noch etwas Kaffee?“

...

Da war es. Idiotin! Idiotin! Ich hatte eigentlich etwas Dankbares oder Intelligentes erwidern wollen, doch statt dessen hatte mein Mund diese nichtswürdige Frage formuliert. Einige Augenblicke beobachtete er meine Reaktion, dann kicherte er. „Nein danke. Von zuviel Kaffee werde ich immer ganz hibbelig. Aber sag mal, Mogami-san... ist auch wirklich alles in Ordnung?“

„Inwiefern?“

„Nun ja... ist dir in den letzten Tagen irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen, irgedwelche verdächtigen Personen oder Aktionen?“

„Nein. Aber warum fragen Sie mich das? Stimmt irgendetwas nicht?“

„Nun ja... ich nehme an, Sawara-san hat dich bereits über die Gefahren aufgeklärt, die vor so einem Riesen-Event bestehen.“

„Ja... Aber sagen Sie, ist das nicht alles viel zu übertrieben mit 18.00 Uhr Arbeitsschluss und so?“

Seine Miene wurde sehr ernst. „Nein. Glaub mir. Ich möchte, dass du dich dran hälst“

„Natürlich. Aber sagen Sie, warum müssen SIE denn nicht 18.00 Uhr ihre Arbeit beenden?“

„Es gab einige Termine, die sich nicht verschieben ließen. Außerdem habe ich darauf bestanden. Ich bin immerhin ein erwachsener Mann, der auf sich selbst aufpassen kann. Da kann Takarada-san reden soviel er will.“

Ich muss zugeben, in diesem Moment bewunderte ich ihn ein bisschen. Seine Ausstrahlung... so selbstbewusst... und irgendwie richtig... nun ja... männlich...

Gott, wie mädchenhaft. Ich räusperte mich.

„Ach so.“

„Da wir gerade von Arbeit reden. Ich hab heute noch einen letzten Termin. Deswegen muss ich gleich wieder los. Aber angesichts der Premiere morgen hab sogar ich ein wenig eher Schluss. Also geht mein Tag heute auch nicht mehr allzu lange“, sagte er beflissen und erhob sich dabei.

Ich begleitete ihn hinunter. Aus den Räumen des Ryokans waren bereits zahlreiche Besucherstimmen zu hören, während Tsuruga-san und ich allein im stillen Halbdunkel des Wohnungsflurs standen. „Am Besten, Sie nehmen den privaten Ausgang, dann müssen Sie nicht durch die ganzen Scharen von Menschen im Ryokan drüben.“ „Da hast du wohl Recht.“ Er blickte mich an und machte einen unsicheren Schritt auf mich zu.

Was sollte das jetzt werden?

Augenblicklich beschleunigte mein Puls. Er hob seine Hand zu meinem Gesicht und strich mir eine Strähne aus der Stirn. „Versprich mir, dass du morgen sehr vorsichtig sein wirst, ja? Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir... -wenn meinem Kohai etwas passiert, während ich anwesend bin.“

Ich konnte nur die Konturen auf seinem Gesicht erkennen, nicht aber seinen Ausdruck. Was war nur mit mir los? Konnte Tsuruga-san mich so leicht einschüchtern?

Warum sagte er solche Dinge zu mir? Warum war er überhaupt so furchtbar nett? Ich spähte vorsichtig hinauf. Eigentlich konnter er das nicht gesehen haben; dazu war es viel zu dunkel. Trotzdem drehte er sich um und schritt langsam Richtung Ausgang. „Auf Wiedersehen, Tsuruga-san. Wir sehen uns morgen!“, sagte ich und verbeugte mich automatisch, obwohl er es gar nicht mehr sah. Er ging ohne ein weiteres Wort. Wahrscheinlich bereute er es, mir in diesem kurzen Augenblick so nahe gekommen zu sein. Ganz sicher sogar.
 

Ich bereute es, ihr in diesem kurzen Augenblick so nahe gekommen zu sein. Wieso schaffte ich es einfach nicht, diese Augenblicke der Schwäche zu überwinden. Ich hatte es mir vorgenommen. Ich wollte ihr niemals zu nahe rücken, doch manchmal kam es einfach über mich. Es waren Augenblicke, die ich bereute und die gleichzeitig zu den wenigen Lichtblicken in meinem Leben zählten. Antagonistischer Terror, den ich mir selber zufüge.

Ha ha, wusste gar nicht, dass es in meinem Leben sowas wie Ironie gibt. Nun ja. Bis sie aufgetaucht war, hatte es das ja auch nicht gegeben. Hieß das, dass ich sie in meinem Leben nicht haben wollte? Nein. Ich war ganz froh, dass sie manchmal in meiner Nähe war und mir Kraft gab. Sie war meine Verbindung zur Vergangenheit, meine Energie für das Jetzt, und meine Hoffnung für die Zukunft. ... Hatte ich das gerade wirklich gedacht? Verliere ich sogar schon die Kontrolle über meine Gedanken? Verdammt. Ich muss das in den Griff bekommen. Aber ihre Gegenwart vollständig missen, das wollte ich auch nicht. Ich setzte mich in den Fahrersitz und starrte auf die Straße ohne loszufahren. Ich hatte sie angelogen. In Wahrheit hatte ich heute gar nichts mehr zu tun. Ich wollte bloß nicht zu lange bei ihr bleiben, sonst würde ich womöglich noch vollkomen verwirrt, meine Vernunft ertränkt und ich könnte für nichts mehr garantieren. Es wäre besser für sie, wenn sie niemals etwas von diesen meinen Gefühlen erfahren oder sie gar erwidern würde. Den Kopf voller mit sich ringenden, irrationalen Gedanken, fuhr ich schließlich nach Hause und ging früh zu Bett. Ich wünschte diese Premiere morgen würde ausfallen...
 

Den Rest des Abends verbrachte ich damit, im Daruma-ya zu helfen. Ich konzentrierte mich vollkommen auf meine Arbeit und mein Bewusstsein versank im Stimmengewirr der geschwätzigen Gäste. Nach 11.00 Uhr wurde ich schließlich von der Okami-san auf mein Zimmer geschickt, da es ja morgen ein anstrengender Tag für mich werden würde. Bevor ich schlafen ging, holte ich meine Hass-Poster wieder aus dem Schrank. Ich hing das Shotaros an die Wand, doch bei Tsuruga-san zögerte ich. Ich entrollte es und blickte in dieses medienpräsente Gesicht. Tsuruga-san hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Die Gedankenwelt hinter diesen tiefbraunen Augen würde sich niemals irgendjemandem preisgeben. Aber es ließ mich eine gewisse Verbindung zu ihm spüren. Auch ich glaubte, mich niemandem wieder vollständig öffnen zu können. Ich entschloss mich, das Poster mit einigem Sicherheitsabstand zu Shotaro aufzuhängen. So, dass es nicht unbedingt mit Shotaro in Verbindung gebracht werden würde, aber notfalls noch als Hass-Poster gelten könnte. Hach. Wie clever ich doch war. Es war noch nicht so spät. Gerade mal kurz nach elf. Dennoch zog ich mich um, breitete meinen Futon aus und löschte das Licht. Anfangs ließ mich die Aufregung nicht einschlafen, doch dann versank ich in farbigen, wirren Träumen voller glamouröser Verantstaltungen und schöner Männer mit braunen Augen.
 

So... voila mon premier Kapitel!! Endlich tritt auch Ren auf. Es ist ziemlich lang, ich weiß... die nächsten werden es vermutlich auch sein, aber ab chap 6 werde ich sie etwas kürzer gestalten^^

Zirkus im Theater

Chapitre Deux: Zirkus im Theater

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Hallihallo *strahl*

Hab Kommentare bekommen! Ganz viele und gaaaanz ganz liebe! Ist es denn zu fassen?

Ich war so glücklich, als ich das gelesen hab^^

*wie ein Gummiball durchs Zimmer gehüpft ist*

*wie ein Meerschweinchen rumgequietscht hat *

Schwester: „Geht’s noch?“

Jedenfalls an alle Kommischreiber gummibärchensüße Grüße und Danke! (falls jemand keine Gummibärchen mag, ich hab das alles auch in Schokolade)

Ach und noch was: Sicherlich werden sich viele gefragt haben, wer zur Hölle Monsieur Dantes sein soll und was er mit SB zu tun hat...

Das stellt sich später in der Geschichte noch raus. Bis dahin nur so viel: Edmond Dantes, oder auch der Graf von MonteChristo, hatte sein Leben der Rache verschrieben und „Salut“ kann sowohl Hallo als auch Tschüss heißen... lässt bissl Platz für Spekulation, nicht? Hihi....

Viel Spaß!

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Am nächsten Morgen erwachte ich sehr früh. Ich versuchte dann noch mal einzuschlafen, aber es war hoffnungslos. So stand ich auf und zog mir meine Haus-Schlabber-Klamotten an. Ich hatte heute gar nichts, weder Akademie, noch Schule, noch Love-me-gaga. Präsident Takarada hatte alles gestrichen, damit ich “mental auf den großen Abend vorbereitet war”. Etwas übertrieben, da ich später im Showbusiness ständig in solche Situationen geraten würde, doch er schien zu glauben, dass ich als Neuling nicht damit fertig wurde. Ich hatte anfangs natürlich protestiert, da die Arbeit ja über alles ging, aber er war eisern geblieben. Hatte wahrscheinlich auch mit diesem Drohbrief zu tun, deshalb hatte ich es aufgegeben. Ich ging hinunter in die Küche und bereitete das Frühstück zu.

Alles in allem war dies einer der merkwürdigsten Vormittage, die ich je erlebt hatte. Die Zeit schien Lust auf sportliche Betätigung bekommen zu haben. Statt in einem gemächlichen Tempo Minute für Minute dahinzuschreiten, bewegte sie sich in großen Sprüngen fort. Im einen Moment aß ich mit der Okami-san und dem Chef Frühstück, im nächsten Moment war ich schon beim Abwasch und im nächsten empfing ich bereits Kotonami-san an der Tür.
 

Ich hatte nicht erst ewig nach dem Ryokan, in dem das Mädchen arbeitete, suchen müssen. Ich war ihr ja dort schon mal begegnet. Damals war es eine peinliche Begegnung gewesen, über die ich lieber nicht weiter nachdenken wollte. Als sie mich an der Tür empfing, war mein erster Gedanke, dass es eine Menge Arbeit erfordern würde, aus diesem Gesicht etwas zu machen.

Zum einen, weil sie schon wieder dieses selten-dämliche Happyness-Smile aufgesetzt hatte, zum anderen weil sie sich ja selber gar nicht schminkte und ich so von ganz vorne anfangen musste. Sie zeigte mir den Weg hoch in ihr Zimmer. Ich sah mich um. Es wirkte ziemlich klein auf mich. Mein Blick fiel auf die Wand. “Was ist das? Hattest du nicht gesagt, du hasst diesen Typen? Warum hängt er überlebensgroß an deiner Wand? Oh, da ist ja auch eins von Ren Tsuruga. Was hat das zu bedeuten?”

“Ach das. Die Größe des Posters entspricht dem Ausmaß meines Hasses auf die jeweilige Person. Das hat sowas wie einen anspornenden Effekt auf mich, wenn ich mir tagtäglich die Antlitze meiner Opfer vor Augen halte”, antwortete sie mir mit einem zuckersüßen Lächeln. Dieses Mädchen war einfach unheimlich. Da kam mir ein Gedanke.

“Du hasst Ren Tsuruga? Den Eindruck hat man aber nicht, wenn man euch miteinander sieht. Eher das Gegenteil.”

Augenblicklich schlug die Stimmung um.

“WAS meinst du damit?”

Ouh dieses drohende Funkeln in ihren Augen, diese heftige Reaktion... meine Vermutung traf also zu.

“Nun ja, sagen wir mal so... könnte es vielleicht noch andere Gründe geben, warum dieses Poster an der Wand hängt?”

“Ich wüsste nicht, welche.”

“Nun ja, um es mal konkret auszudrücken...

“WAS DENN,he? WAS DENN? NA?”

“Stehst du auf den Typen?”

“Miss Menno... !”, erschrocken sah sie mich an: “Wie kommst du denn auf solche Ideen? Natürlich nicht! Er ist mein Sempai! Deshalb gehen wir respektvoll miteinander um! Nun ja... vielleicht hast du auch Recht, es ist kein Hass, eher ein Ziel an Berühmtheit, das ich erreichen will. Aber niemals L... Lie..., na du weißt schon.”

Wie putzig. Ich bedachte sie noch einige Momente mit einem wissenden Lächeln, dann wandte ich mich den Dingen zu, die ich mitgebracht hatte.

“Also schau her. Ich habe von meiner Schauspiel-Kollegin zweierlei ausgeliehen. Einmal diese langen schwarzen Ohrringe, die perfekt zu deinem Kleid passen, da schau!” Ich zeigte ihr die Ohrringe, die ich mir von Tachibana-san ausgeliehen hatte. “Und zum Anderen hier diese zierliche kleine Handtasche, ebenfalls im passenden Stil. Aber pass bloß gut auf die Sachen auf! Tachibana-san bringt mich sonst um!” Ich überreichte ihr die Accesoires, die ihren Look perfekt machen sollten. Als ich aufblickte, lief es mir eiskalt den Rücken runter, denn sie strahlte mich schon wieder so unheimlich an. “Miss Menno... ! Du hast dir ja richtig Gedanken um mich gemacht! Und hast du diese Dinge extra für mich ausgeliehen? Wie richtige Freundinnen!!” “Jaa... das habe ich”, sagte ich lahm und versuchte ihrer Glückstränen-Umarmung auszuweichen.

Als wir dann endlich zum Schminken kamen, war es bereits nach 13.00 Uhr. Die Frisur bekam ich gleich beim ersten mal gut hin und das war ein Glück, denn allmählich gerieten wir in Zeitnot. Als wir schließlich mit allem zufrieden waren, schrie die Zeit 16.00 Uhr. “Wie kommst du eigentlich zu deiner Premiere?”

“Der Präsident schickt mir ein Taxi.”

“Nett von ihm. Wann?”

“In einer halben Stunde.”

“Ach so. Ich muss aber leider trotzdem schon los. Tut mir Leid, aber ich habe noch eine Menge zu tun. Ich bin sicher, du kommst schon klar. Bleib einfach du selbst, dann wird’s schon schief gehen.”

Sie lächelte mich an. “Mach ich. Und vielen Dank.”
 

Jetzt saß ich also in diesem Taxi und fuhr zum größten westlichen Theater von Tokio. Der Nachmittag mit Kotonami-san hatte mir Spaß gemacht. Wir hatten geredet, rumgeblödelt und gelacht. Ich hatte das Gefühl, wir würden uns allmählich näher kommen und das stimmte mich euphorisch für den Abend. So weit, so gut. Doch irgendwo in meinem Hinterkopf piepste eine kleine Stimme unbeirrt vor sich hin: “Freu dich nicht zu früh. Der Abend kann noch derbe Überraschungen bereit halten...” Das stimmte. Aber daran wollte ich nicht denken.

Das Taxi schlängelte sich gemächlich durch den Verkehrsdschungel von Tokio. Das Theater lag fast am anderen Ende der Stadt. Das hieß: Fast eine Stunde Fahrt. Ich lehnte mich zurück und atmete ein. Bestimmt ging alles schief. Ausatmen. Ob man die verschärften Sicherheitsmaßnahmen bemerkte? Einatmen. Was, wenn ich Shotaro traf? Ausatmen.
 

Irgendwie wär’s auch egal, wenn ich ihn treffen würde. Ich fühlte Zuversicht. Ich würd ihm einfach nen ordentlichen Tritt in den Hintern verpassen. Wäre das herrlich...

Das Taxi bog in die Hauptverkehrsstraße ein, an der das Theater lag. Obwohl der Standort erst am Ende der Straße war, erblickte ich bereits jetzt gewaltige Massen von Menschen. Und es wurde ein dichteres Gedränge, umso näher wir dem Theater kamen.

Das Taxi, in dem ich saß, glich zwar nicht der Mords-Luxuslimousine, die ich mal beim Präsidenten gesehen hatte, aber es hatte schon seinen gewissen Edel-Chic. Deshalb drehten sich die Leute nach dem Gefährt um, zeigten mit dem Finger drauf und versuchten durch die dunkel getönten Fensterscheiben zu erkennen, wer darin saß. Für den Taxi-Fahrer schien das nichts Neues zu sein. Er manövrierte souverän durch die aufgeregten Menschenmassen hindurch, die sich teilweise schon auf der Straße drängten, um einen Blick auf die Stars zu erhaschen. “Keine Sorge, Mogami-sama, ich habe Anordnung von ihrer Agentur, sie direkt vor dem roten Teppich aussteigen zu lassen!”

“Danke sehr.”

Er hatte mich Mogami-sama genannt, als wäre ich bereits eine Größe in diesem Business!!!! Huuuuiiiii! Die große Mogami-sama...

Das Taxi hielt. Ich warf einen Blick aus dem Fenster und atmete noch einmal tief ein. Also gut. Augen zu und durch. Mit leicht zitternden Fingern öffnete ich die Tür und stieg elegant aus dem Auto aus. Schlagartig drang der Lärm, den die an die Hunderte von Menschen produzierten, an mein Ohr. Die abgedichteten Türen des Spezial-Taxis mussten dies absorbiert haben. Geschrei, Jubeln, Applaus, Knipsen und Blitzgeräusche von unzähligen Kameras. Das alles vermischte sich zu einem einzigen ohrenbetäubendem Getöse, das sogar noch an Intensität zunahm, als ich aus dem Auto stieg. Wow.

Vor mir lag ein mehrere Meter breiter, roter Teppich mit goldenem Rand, an dessen Seiten eine Absperrung aus edlen Kordeln stand. Der Präsident hatte sich wirklich nichts nehmen lassen. Hinter der Absperrung drängten sich dutzende von Fotografen, die alle wie wild auf den Auslöser drückten und mich auf ihren Objektiven einfingen. Darunter standen auch unzählige Reporter mit Mikrophonen, die sie mir hinstreckten und nur darauf warteten, dass ich mich ihnen näherte und ihnen ein oder zwei Fragen beantwortete. Als ich langsam den Teppich entlang schritt, hörte ich einzelne Fragen heraus: “Kyoko-sama, wie war die Arbeit mit Tsuruga-sama?”

“Kyoko-sama, würden Sie mir ein paar Fragen beantworten?”

“Sehen Sie hier rüber! Nur ein kleines Bild!”

“Kyoko-sama, Sie sehen hervorragend aus. Verraten Sie uns, woher Sie das Kleid haben?”

Anfangs fand ich es gewöhnungsbedürftig, mit “Kyoko” angesprochen zu werden, aber das war ja mein Künstlername, also nicht weiter ungewöhnlich.

Ich beschloss, mich an den Rand zu wagen und den Reportern ein paar Antworten zu gewähren. Sie standen da, gierig, wie ausgehungerte Wölfe.

Nachdem ich einigen Wölfen höflich Futter hingeworfen hatte, konnte ich mich getrost dem Eingang zuwenden und schlenderte langsam darauf zu.

Diese gigantische, ungewohnte Aufmerksamkeit setzte mir ein wenig zu. Ich bemerkte, dass meine Bewegungen, meine Gesichtszüge etwas gezwungener waren als gewöhnlich.

Was mich allerdings erstaunte war, dass ich es auch ein wenig genoss.

Als ich die breiten Treppen zum Theater hinaufgestiegen war, blickte ich mich noch einmal um. Keine Spur von Tsuruga-san oder den anderen Darstellern.

Lediglich einige Leute, allem Anschein nach irgendwelche Stars, die ich aber nicht kannte, waren zu sehen. Sie bewegten sich Richtung Eingang oder ließen sich auf kurze Interviews ein, wie ich zuvor.

Na, egal.

Ich betrat das monströse Gebäude und sah hoch zur Decke. Mir stockte der Atem. Um den inneren Eindruck dieses Theaters treffend wiederzugeben, bräuchte ich Jahre, deshalb eine Kurzbeschreibung: viel Samt, kunstvolle Details und GOLD. Überall, wo ich hinsah Gold. Die Deckenbemalung, im Mobiliar, Fensterrahmen, Türen; die Besitzer des Theaters schienen kein Detail ohne wenigstens ein bisschen Gold gelassen zu haben.

Das war ja irgendwie... wie ein richtiges Schloss hier. Ich fühlte mich wie in einem Traum. Wie ein richtiger Ball kam mir dies alles vor, da ja auch überall Leute in eleganter Abendgarderobe anzutreffen waren.

Ein alter Kindheitstraum wurde wahr... !

Glückstrunken wandelte ich umher. Ich hatte ein wenig Durst. Ein junger Angestellter mit einem Tablett mit Champagner-Gläsern fiel mir ins Blickfeld. Sollte ich?

Ich steuerte kurzerhand auf ihn zu und schnappte mir das letzte Glas. Es schmeckte vorzüglich. Ich hatte zwar keine Kennung von soetwas, aber es musste sich eindeutig um eine edle Sorte handeln.

Etwas unentschlossen stand ich jetzt mit meinem Empfangsglas da und wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Die Ansprache und der Film würden erst in etwa einer Stunde losgehen. Die jetzige Zeit war zum Empfang und anregendem Smalltalk gedacht. Ich hatte aber keine Lust auf soetwas und außerdem hatte ich gar nicht den Mut hier irgendwen anzusprechen, da ich ein relativer Neuling war und die ganzen offiziellen Herrschaften um mich herum wie Lords und Ladys wirkten.

Und darauf zu warten, dass mich jemand ansprach, erschien mir ziemlich blöde. Also beschloss ich, ein wenig umherzuwandern und mir dieses wunderschöne Theater etwas genauer anzusehen.

So lief ich auch am wenigsten Gefahr, irgendjemandem zu begegnen, der meiner Meinung nach ein egoistischer, arroganter, gefühlsverkalkter Gorilla war.
 

Ich streifte glückselig durch die unzähligen Flure. Mein Kopf war von dem Champagner berauscht. Von nur einem Glas! Ich bog gerade um eine Ecke, als ich Stimmen wahrnahm. Unwillkürlich hielt ich den Atem an und lauschte: “Was ist, Shoko-san?”

“Du Sho, ich frage mich die ganze Zeit... ob wir nicht besser wieder gehen sollten. Ich habe irgendwie kein gutes Gefühl.”

“Du machst dir einfach zu viele Sorgen. Dieses Event hier ist doch perfekt für die Publicity!”

“Publicity? Aber ich dachte-”

“DU dachtest wieder, dass wir wegen IHR hier sind, richtig?”

“Nein, das-”

“Natürlich hast du es gedacht.”

Es waren die Stimmen von Shotaro und seiner Managerin!! Bitte nicht! Verstecken, weg hier, alles, bloß nicht Shotaro...

In dem Zustand würde ich eher sterben als ihm zu begegnen. Dieser... !

Hastig blickte ich mich um. Die Schritte kamen näher. Ich wollte ihm nicht begegnen!!! Zu meiner rechten stand eine altertümliche Samurai-Rüstung; sie könnte vielleicht genug Schutz bieten, um...
 

Shotaro bog um die Ecke, weiterhin in irgendeine Diskussion mit seiner Managerin versunken. Das letzte Fiasko mit diesem Idioten stand mir noch lebhaft vor Augen. Dieser Vollhorst schaffte es einfach immer, mich in Schwierigkeiten zu bringen oder neue Gefühle des Hasses in mir zu erwecken. Nein. Lieber hinter einer alten, stinkenden Rüstung hocken, als das... Ich lugte sachte hinter meinem Versteck hervor. Da war er. Du liebe Güte...! Dass der sich immer so aufdonnern musste! Ständig diese abgefahrenen Outfits. Wie ein Mensch ohne Charakter, der durch Aufpolieren der äußeren Schale versucht, seine innere Farblosigkeit zu übertünchen. Ich glaub, mir wird schlecht. Eines Tages würde es soweit sein...! In ferner Zeit würde ich morgens aufwachen und der Tag der Rache würde gekommen sein; der Tag an dem ich deine innere Ödness der ganzen Welt preisgeben werde! Mir war ein wenig duselig zumute und sehr warm. Wie langsam gingen die denn? “Lass uns zurück zur Eingangshalle gehen, Sho. Ich seh‘s ja ein, dass es unerlässlich war, zu dieser Premiere zu kommen. Ich hatte eben nur ein schlechtes Gefühl dabei.”

“Jetzt hör schon auf. Ich bin doch da. Ich passe auf dich auf.”

DA! Er tat es schon wieder! Ständig machte dieser Typ sich an die Frauen in seinem Arbeitsumfeld ran! Dieses absolute Fehlen von Professionalität ging mir sowas von gegen den Strich!!

Ich hatte Schluckauf. Vor lauter Anstrengung, keinen Mucks zu machen, war mir schon ganz schwindelig. Ich sah auf. Die Stimmen wurden leiser. Die Sho-Kombi war um die nächste Ecke gebogen. Endlich!!

Ich stürzte aus meinem Versteck hervor. Dumpfes Murmeln und unzählige Schritte waren jetzt aus den Korridoren wahrzunehmen. Anscheinend war ich nicht die einzige gewesen, die Lust auf eine kleine Besichtigungstour bekommen hatte.

Ich musste jetzt erst mal einen Moment alleine sein und mich wieder beruhigen; vor meinen Augen verschwamm schon alles...

Ich torkelte zur nächstbesten Tür und schlüpfte in das Zimmer dahinter. Es war niemand darin. Zum Glück.

Ich sah mich um. Es handelte sich um einen riesengroßen Saal, dessen Decke sich meterweit über mir erstreckte. So ein hoher Raum! An der Seite waren riesengroße Fenster mit schweren Stoffen verhangen, die fast das gesamte Licht schluckten. Ich atmete tief durch und...
 

Als jemand den Saal betrat, blickte ich auf. Ursprünglich hatte ich mich vor den unzähligen schnatternden Talents, Schauspielerinnen und sonstwas retten wollen, die sich ständig in meiner Nähe rumdrückten. Hatte mich etwa jemand gesehen, wie ich in diesen Raum gegangen war? Ich mochte diesen riesigen Saal. Hier hatten schon einige farbenfrohe Veranstaltungen stattgefunden. Und als Schauspieler mit gewissem Bekanntheitsgrad wurde ich da natürlich auch eingeladen. Ich versuchte zu erkennen, wer sich da in die Mitte des Raumes bewegte. Durch die schweren, dunklen Vorhänge drang nur wenig Licht und es waren keine Lampen eingeschaltet. Ich konnte eine kleine Gestalt erkennen, augenscheinlich ein Mädchen. Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte hoch zu der kunstvollen Decke, die man jetzt aber nicht genau erkennen konnte. Nein, sie verhielt sich eindeutig nicht so, als wäre sie auf der Suche nach Jemandem...

Ich beruhigte mich also wieder und beobachtete weiterhin die kleine Gestalt, die sich offenbar in einem Moment von Ungestörtheit glaubte.

Jetzt breitete sie die Arme aus und drehte sich im Kreis. Sie wiegte in sanftem Takt über das Parkett und summte leise eine Melodie dazu. Dann fing sie auch noch an, zu sprechen: “Prinzessin Kyoko, gefällt euch der abendliche Ball heute? Oh ja Danke, wirklich ganz wunderbar. Es ist ein wunderbares Fest. Und der Champagner schmeckt wirklich ganz ausgezeichnet! Hofmarschall! Bittet doch das Orchester um ein schnelleres Lied, sie sollen meine Lieblings-Sinfonie spielen! Sehr wohl, Ihro Majestät!”

Dann lachte sie und drehte sich mit viel Schwung über das Parkett und sang dabei.

Oh ja.

Ich hatte sehr wohl erkannt, wer da in diesen Raum gekommen war, nun skurrile Selbstgespräche führte und sich auch sonst aufführte wie geistesgestört oder zumindest sturzbetrunken. Ihre Stimme würde ich unter tausenden wiedererkennen. Mogami-san hatte mich noch nicht bemerkt, sie hüpfte weiterhin quietschfidel durch den Saal. Aus ihrer “Unterhaltung” mit dem imaginären Hofmarschall hatte ich entnommen, dass sie anscheinend schon etwas Champagner getrunken hatte. Sie vertrug offensichtlich nicht viel. Oder war dies sogar ihr natürliches Wesen? Jesus Maria, steh mir bei. Und seit wann dachte ich eigentlich wie ein Christ?

Irgendwie musste ich mich bemerkbar machen. Ich schlich mich zur Tür und stellte mich so davor, dass es so aussah, als wäre ich gerade erst hereingekommen. “Hallo? Ist da jemand?”, fragte ich scheinheilig. Schlagartig verstummte das Singen. “Wer ist da?”, drang es aus der Dunkelheit. “Ich bin es, Tsuruga... -Bist du das, Mogami-san?”

“Tsuruga-san! Haben Sie mich erschreckt!

“Es tut mir Leid...”

Sie machte einen kleinen Schritt nach rechts, sodass ein wenig Helligkeit auf sie fiel. Flecke des schwummerigen Lichts schimmerten auf ihrem blanken Rücken.

Sekunde, ... blanker... Rücken?

Himmel, wie sah sie aus.

Zum Sterben schön. So schön, dass mir der Atem stockte.

Sie trug ein schwarzes Kleid, das so geschnitten war, dass man Blick auf die ganze Partie ihres Rückens hatte. Wie sie genau aussah? Ich fand keine Worte.

Mir fiel bloß das närrische Geschwätz der Verliebten ein, das “atemberaubend” oder “wunderschön” sagte.

Reiß dich zusammen!Wie albern! Du bist 20 Jahre alt!

“Mogami-san!! Ich hätte dich fast nicht erkannt!! Du wirkst auf mich wie eine Prinzessin, wenn du da so in diesem Saal stehst.”

Aaaah! Nein! Was für ein Gesülze!!!!!! Sag nicht solche beknackten, sinnfreien Dinge zu ihr!

Verdammt. Was für ein Unsinn! Ich Idiot!

Okay, erstmal beruhigen und dann weiterreden...
 

Unwillkürlich hielt ich die Luft an. Er hatte gesagt, ich wirkte wie eine Prinzessin?? Wie eine Prinzessin? DER Tsuruga-san hatte soetwas zu mir gesagt?!

Plötzlich spielten meine Gedanken verrückt. Vielleicht hasste er mich doch nicht? Vielleicht könnte sogar das kleine Stückchen Sympathie, das ich für ihn empfand, wirklich ernst sein?? Das, was ich die ganze Zeit ihm gegenüber gefühlt hatte, wurde mir so intensiv bewusst, wie nie zuvor. War dies etwas anderes, als blosses Interesse, Sympathie? Vielleicht sogar... Freundschaft? Oder nicht? Aber was dann?

Was??

“Tsuruga-san?”

“Mogami-san?!”

Wir standen allein in der Mitte des märchenhaften Saales.

Die Tür zum Flur stand einen Spalt breit offen und ein zartes Wispern vieler Stimmen drang herein.

Wir starrten einander an.

Vor meinen Augen verschwammen die Dinge ein wenig. Ich schwankte.

Tsuruga-san beugte sich vorsichtig herunter und näherte sich meinem Gesicht. Ich zuckte zusammen... !

“Keine Sorge, Mogami-san. Lass mich nur mal sehen. Moment mal- Du schwankst ja!”

Stützend legte sich eine Hand auf meine Schulter.

“Ich schätze, hier in diesem Raum befindet sich jemand, der keinen Champagner verträgt. Und ich bin es nicht”, sagte er mit einem süffisanten Grinsen.

Ich wollte gerade protestieren, da legte er sachte einen Finger vor meinen Mund: “Sssshhht, das soll doch keiner sonst von da draußen mitkriegen, oder?”, er deutete auf die Tür, anscheinend hatte er erwartet, ich würde ihn anschreien.

Mein Blut kochte mittlerweile und mir wurde immer heißer. Das lag nicht nur an irgendeiner Wut oder weil er einfach meine Gegenargumentation abgewürgt hatte, sondern auch an dieser erschreckenden Nähe:

1. sein Gesicht direkt vor meinem,

2. seine Hand auf meiner Schulter,

3. sein Finger an meinen Lippen!

Wie weit soll das noch führen. Ich versuchte, den Mund zu öffnen, um etwas zu sagen, da setzte er gerade wieder an: “Besser, wir gehen zurück in die Eingangshalle, denn es geht sicherlich bald los. Und du bleibst brav an meiner Seite. Wir gehen auf Nummer sicher. Nicht, dass du mir noch irgendwelchen Blödsinn anstellst!
 

Ich wartete gar nicht ab, ob sie etwas dagegen hatte, sondern setzte mein Vorhaben sogleich in die Tat um und zog sie mit sanfter Gewalt zur Tür. Ob dieser unfreiwilligen Nähe, die ich ihr urplötzlich aufgezwungen hatte, war sie sicher entrüstet. Aber ich hatte dabei wirklich keine Hintergedanken gehabt.

Meine Hand wanderte zu ihrem Rücken, um sie zum Vorwärtsgehen zu bringen.

Ich hatte aber nicht mit einkalkuliert, dass sie am Rücken gar nichts trug.

So berührte ich direkt die nackte Haut an ihrem Rücken.

Ein heißkalter Blitz durchzuckte mich. Es fühlte sich so verboten intim an... Innerlich bebte ich. Mein Kreislauf beschleunigte sich leicht. Aber wenn ich meine Hand jetzt zurückzog, wäre es auffällig. Furchtbar, furchtbar diese Angelegenheit. Musste ich sie wohl oder übel noch eine Weile dalassen. Mist aber auch.
 

4. seine Hand direkt an meinem bloßen Rücken!!

Eh ich's mich versah, war ich schon zur Tür hinaus geschoben worden und wurde, wehrlos an den Bodyguard Tsuruga-san gepresst, durch die Gänge bugsiert. Einerseits war dies wirklich vorteilhaft, wie er mir erläutert hatte, denn ich wollte nicht schwanken, das war peinlich. Andererseits war gerade diese Pose peinlich, und auch noch vor all den Leuten... !

“Tsuruga-san, ich muss wirklich protestieren; sie behandeln mich ja wie ein dahergelaufenes Kleinkind! Ich kann wirklich alleine gehen!”

Augenblicklich blitzte mich von irgendwo oben ein Gentleman-Lächeln an.

“So? Nun ich nehme an, dann brauchst du meine Hilfe nicht, da du ja offensichtlicherweise allein stark genug bist, um mit diesem lächerlichen Herumgeschwanke aufzuhören?”

Von einer auf die andere Sekunde verschwand die stützende Hand in meinem Rücken. Wir waren einen Korridor von der Eingangshalle entfernt und hörten bereits das laute Gerede der anderen Gäste umherschallen. Ich dachte, Tsuruga-san würde mich jetzt hier stehen lassen und gehen, doch als ich aufblickte, bemerkte ich, wie er leicht betreten zur Seite blickte und sich offenbar brennend für eine Ritterrüstung interessierte. Er räusperte sich. “Hast du vor, SO zurückzugehen?”, sagte er dann scheinbar beiläufig und umschritt die Rüstung, weiterhin mit diesem plötzlichen, unerklärlichen Interesse.

Ich verstand nicht und wurde schon wieder wütend. Machte dieser Kerl sich etwa über mein Abendkleid lustig? Und warum sah er nicht mich an, sondern diese Blechbüchse, wenn er mit mir redete? Was sollte das?

“NATÜRLICH! Wenn Ihnen mein Kleid nicht passt, dann haben Sie Pech gehabt. Für SIE ändere ich mich ganz bestimmt nicht!”

“Ach so... Naja, wenn du’s nicht für mich tust, dann wenigstens für dich selbst... dein äh Ausschnitt ist nämlich verrutscht”, sagte er und klappte das Visir des Ritterhelms hoch, offenbar fest entschlossen, keinen einzigen Blick in meine Richtung zu wagen.

Ich blickte an mir hinab. AAAAAAAAAAaaaaaaaaaah!!

Hastig zuppelte ich alles wieder so hin, wie es sein sollte.

Das Kleid musste bei dem Gerangel mit Tsuruga-san verrutscht sein! Ich hatte es ja schon zu groß aus dem Laden mitgenommen, aber Miss Menno hatte mir versichert, sie hätte es so präpariert, dass es nicht verrutschen kann!

Nein, wie peinlich! Man hatte den halben BH gesehen!!! Ich wollte mich irgendwo verkriechen und niemals wieder ans Tageslicht zurückkehren! Und dann auch noch ausgerechnet von Tsuruga-san darauf aufmerksam gemacht zu werden... Neeeeeeein!!

Sollte ich nach Guatemala ziehen? Gesichtstransplantation? Landesflucht? ...

Moment mal.

Wo war plötzlich Tsuruga-san?

Ich drehte den Kopf gerade noch rechtzeitig, um ihn in der Menge verschwinden zu sehen. Zum Glück schien niemand etwas gesehen zu haben.

Nun denn... was soll‘s! Suche ich am besten mal jemand vom Dreh, der mich nicht mit seiner Pseudo-Freundlichkeit behelligte.

Welchen Hintergedanken dieser Mensch bei der Aktion in dem märchenhaften Saal gehegt hatte, konnte ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen. Wahrscheinlich hätte mich nach irgendeiner Bloßstellung ein Das-hast-du-nun-davon erwartet und der Abend wäre hin gewesen. Was hatte ich kurz zuvor empfunden? Sympathie? Pah! Das ich nicht lache!

Ich spähte durch die palavernden Silouhetten, um ein bekanntes Gesicht auszumachen, und erblickte Ogata-san, Momose-san, Yashiro-san und einige andere in ein offenbar amüsantes Gepräch vertieft. Ich schlängelte mich durch die vielen Menschen und erkannnte einige Meter vorm Ziel, dass auch Tsuruga-san sich gerade dazu gesellt hatte. Egal. Ich reihte mich trotzdem neben Momose-san ein. “Ach Mogami-san! Da bist du ja! Wir haben schon den ganzen Abend nach dir Ausschau gehalten!” Auch Yashiro-san strahlte mich an: “Kyoko-chan, su siehst blendend aus!” Ich dankte ihm. Erleichtert erkannte ich, dass ich in diesem Kreise wilkommen war. Und ich stand ganz selbstsicher da ohne zu schwanken. Ich merkte, wie Tsuruga-san zu mir herüberspähte und setzte ein siegreiches Lächeln auf. Am besten, ich tu so, als ob das alles eben niemals passiert wäre... Seine Miene verfinsterte sich kaum merklich, um dann einem sanften Gentleman-Lächeln zu weichen. Yashiro-san lachte seltsamerweise daraufhin leise vor sich hin. Ich spürte, wie Momose-san neben mir zusammenzuckte. Das arme Ding. Ich stellte es mir schrecklich vor, in Tsuruga-san verliebt zu sein...
 

Ich fand es zwar irgendwie süß, wie sie da so stolz rumposierte nach dem Motto Schau-Senpai-ich-kann-ganz-alleine-ohne-dich-stehen-und-das-alles-eben-ist-nie-passiert, aber irgendwie nervte es auch arg. Diese ewige Besserwisserei! Zumal ich dieses wissende Gesicht von Yashiro-san auch nicht vertrug. Ich sprach ein wenig mit Ogata-san und ließ sie dabei nicht aus den Augen.

Die verkleideten Security-Leute hatte ich schon längst ausgemacht. Man musste keine besonders helle Leuchte sein, um sie zu erkennen. Die benahmen sich so offensichtlich, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn einige andere Gäste den übermäßigen Schutz auch schon bemerkt hätten. Diese ganze Entführungsgeschichte bereitete mir Kopfzerbrechen. Wer in aller Welt würde aus soetwas einen Nutzen ziehen? Das war so abstrus!
 

Plötzlich nahm die Intensität der Lichter ab und erlosch schließlich vollends. Augenblicklich breitete sich in der Halle ein Rumoren und hektisches Flüstern aus. Ich erkannte kaum etwas, bemerkte nur, dass mein Herz panisch zu flattern begann. War dies nach Plan? Entführung? Gefahr? Ich verweilte einige Momente wie gelähmt und begann dann, mich unruhig zu regen. Neben mir stand jemand sehr dicht gedrängt. Was war denn mit dem?

Verdammt, hier gab es genug Platz!

Plötzlich flackerten am anderen Ende der Halle einige Lichter auf. Es handelte sich um Fackeln. Die Menge verstummte und starrte auf diese winzigen Lichtkegel. Einige Sekunden lang geschah gar nichts. Dann gab es an genau jener Stelle einen Lichtblitz, gefolgt von einer gewaltigen Explosion. Vielfarbig strahlende Rauchwolken wältzten von der Mitte weg. Inmitten dieses ganzen beeindruckenden Spektakels erhob sich dunkel die Silhouette eines Menschen. “Meine Damen und Herren, Ladys and Gentlemen, Madames et Monsieurs... ich freue mich, Sie auf der Premiere heute Abend begrüßen zu dürfen!”

Es gab ein leises Klacken und die Lichter entflammten wieder. Der Rauch verzog sich und genau dazwischen stand in eindrucksvoller Pose der Präsident von LME. Er trug ein mit Goldbrokat besticktes Wams und kunstvoll verarbeitete Knickerbocker zu goldenen Schuhen mit funkelnden Schnallen. Das Ganze wurde gekrönt von einem bodenlangen, roten Nerzmantel. Er wirkte in der Tat wie ein echter König und diese Pose erinnerte an Ludwig XIV. Die Menge fuhr fort, zu schweigen. Vereinzelter Beifall setzte ein. Immer mehr Leute schlossen sich dem an, bis das Ganze schließlich in tosendem Beifall mündete. Rory Takarada schien vollkommen in seinem Element zu sein. Freudestrahlend verbeugte er sich bald hierhin, bald dorthin, die Arme weit ausgebreitet wie ein Prophet, der den Beginn des Himmelsreiches auf Erden verkündet. Ich blickte auf, um zu sehen, wer da die ganze Zeit so gedrängelt hatte, und erkannte einen Schrank von Mann mit einer Sonnenbrille. Er überragte mich um ein Vielfaches. Ich begriff. Ein Security-Typ also. Ich bemerkte, dass Tsuruga-san mich beobachtete. Seine Augen funkelten und er schien leicht beunruhigt. Man! Konnten wir dieses dämliche, Angst-getränkte Gefühl nicht einfach ablegen und ungestört die Pemiere genießen? Ich fragte mich zum wiederholten male, auf wessen Mist dieser Drohbrief gewachsen war, wen ich auf meine Hassliste gleich nach Shotaro setzen durfte.

Es folgte eine Ansprache des Präsidenten. Ich versuchte am Anfang noch, brav zuzuhören, verlor nach wenigen Minuten aber schon die Konzentration. Er dankte den Investoren, erläuterte die filmische Innovation und so weiter. Ich konnte nicht weiter zuhören. Stattdessen betrachtete ich Takarada-san. Der Mann war Entertainment in Reinform. Was brachte einen Menschen dazu, sich selbst dermaßen zur Zirkusattraktion emporzuheben? Andererseits besaß Rory Takarada viel menschliche Wärme. Jeder mochte ihn irgendwie. Könnte ich doch auch so sein... Das war etwas wirklich Erstrebenswertes. Das war das Ziel meiner Love-me-Reise.

Nach einer Weile hatte der Präsident seine Rede beendet und das große Portal hinter sich geöffnet.

Die Leute strömten jetzt in den Saal dahinter.

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So... C’était chapitre deux. Das ist das vorläufig letzte der fröhlicheren Kapitel. Im nächsten ist es dann so weit. Eure dunkelsten Befürchtungen werden sich bewahrheiten... Muhahahaha...

...

Nehmt mich nicht ernst^^° *Sprung in der Schüssel hat*

Salut!

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Premiere in Gold und Blutrot

Chapitre trois: Premiere in Gold und Blutrot

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Ah... mein Herz tantzt vor Freude, wenn ich eure Kommis lese... vielen, vielen Dank

Soooo... nur vorab zur Information, für diejenigen, die „Das Parfüm“ weder gelesen, noch im Kino gesehen haben: Jean-Baptiste Grenouille ist ein Geruchs-Fetischist, mit einer ungewöhnlich feinen Nase^^

Warum ich euch das erzähle? Ihr werdet es merken, wenn ihr Kap3 lest...^^°

Ich bin gespannt auf eure Reaktionen...

Viel Spaß!

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Nachdem die Portalflügel geöffnet worden waren, setzte eine Massenbewegung ein.

Ich folgte dem Trott der Menge. Neben mir Ogata-san und Momose-san, vor mir Tsuruga-san und Yashiro-san, als mich plötzlich ein dumpfes Gefühl übermannte.

Ich fühlte mich beklommen, irgendwie unwohl... beobachtet.

Ich drehte mich um und sah einem dicken Mann ins Gesicht, der mit einem anderen, Zigarre rauchendem Mann über irgendetwas lachte. Nein, der hatte mich ganz sicher nicht beobachtet. Dahinter lief eine sehr attraktive, sehr große Frau, allem Anschein nach ein Model. Die ganz bestimmt auch nicht. War viel zu sehr damit beschäftigt, arrogant zu gucken. Die Leute dahinter konnte ich nicht erkennen; sie wurden von dem Model verdeckt. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging weiter. Am Liebsten würde ich hier abhauen...
 

Während ich und Shoko-san durch die Portale geschritten waren, hatte ich sie endlich entdeckt. Sie lief drei Personen vor mir, hinter Ren Tsuruga. Sie trug dieses hammermäßige Kleid. Ich starrte auf ihren freien Rücken und konnte es kaum glauben. Na ja, soooo toll sah sie nun auch wieder nicht aus. Genau. Ich erregte eindeutig mehr Aufsehen.

Und doch...

Ich musste den Hals recken um dieser riesigen Frau vor mir über die Schulter spähen zu können. Verdammt, warum mussten Models immer so groß sein?

Seit wann war aus Kyoko so ein selbstbewusstes Mädchen geworden, das solche Kleider trug?

Plötzlich stockte sie und wendete den Kopf. Hastig ließ ich mich auf die Fersen zurücksinken und versteckte mich hinter dem Model. Ich musste es schaffen, während des Films in ihrer Nähe zu sitzen. Hoffentlich verstärkte Shoko dann nicht ihre Vermutungen, von wegen, dass ich an Kyoko hing. Das war nämlich absoluter Humbug. So, jetzt sind hier die Sitzreihen. Sie geht da vorne hin...

Ich könnte nämlich niemals auf ein Mauerblümchen abfahren, dass sich als aufregende Frau verkleidet, wie erbärmlich, hahaha.

Strike! Ich hab den Platz hinter ihr ergattert. Jetzt kann ich ihr ganz nahe sein.

Nahe sein... Nahe sein?? Natürlich, nah sein, um ihre Schwächen auszukundschaften! Haha! Sie war doch meine Konkurrentin! Was sonst! Shoko ließ sich mit einem fragenden Blick neben mir nieder. Ich machte eine beschwichtigende Geste und legte meine Hand auf ihre. Sie stieß sie nicht weg. Früher hätte sie das mit ziemlicher Sicherheit getan, aber jetzt hatte sie sich mit meiner Art abgefunden und regte sich nicht mehr ständig auf.

Ich genoss es, eine so attraktive Frau neben mir sitzen zu haben.

Da wehte ein leichter Hauch eines atemberaubenden Parfüms zu mir. Es nahm mich völlig ein. Ich zog augenblicklich und völlig unbewusst meine Hand von Shokos zurück und sog diesen Duft ein. Von wem kam der? In dem Augenblick schwenkte Kyoko vor mir ihr Haar und eine neuerliche Welle dieses Wohlgeruches erreichte mich.

Der Duft kam von IHR????! Verdammt, ich Trottel. Dümmer konnte man sich ja wohl nicht selbst verarschen. Hallo, ich bins, Jean-Baptiste Grenouille, der riechende Mann... Warum äff‘ ich mich eigentlich selber nach?? AAAaaaaahhhrrggg!! Trottel!

Weiter kam ich nicht, denn in dem Augenblick ging das Licht aus und der Vorhang schwang zur Seite und offenbarte eine gigantische Leinwand.

Mit einem leichten Übelkeitsgefühl nahm ich wahr, wie sich Kyoko zu Tsuruga vorbeugte und aufgeregt etwas flüsterte. Seit wann waren die so vertraut? Ätzend.

Misstrauisch beobachtete ich die Beiden. Währenddessen flackerte der Vorspann über den Bildschirm. Ren Tsuruga, stand da geschrieben. Natürlich, der große Held wurde NATÜRLICH zuerst genannt. Nach vielen anderen, mir unbekannten Namen stand dort auch ”Kyoko”. Ihr Künstlername. Ich fühlte ein leichtes Verlangen, sie zu berühren, denn dieses ganze Outfit, diese Kyoko wurde mir immer fremder.

Ich musste einfach rausfinden, ob dies nicht nur Einbildung, ob dies wirklich war; sie berühren...

Ich überlegte. Es war dunkel, Shoko würde nichts davon mitbekommen. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach vorne und berührte sachte -es war eher die Ahnung einer Berührung- ihre Haare. Ein leichter Schauder durchfuhr mich. Was war hier los? Was tue ich da??

Ich konnte noch nicht aufhören. Es war wie eine Droge.

Sämtliche Tastnerven in meinen Fingerspitzen schienen zu schwirren, als ich sachte ihren Nacken berührte. Doch das war zuviel des Guten. Hastig zog ich die Hand zurück, und tatsächlich; kurz darauf wandte sie sich um. Doch der Film hatte noch nicht richtig angefangen, noch war es dunkel im Raum. Ich legte meine Hand wieder auf Shokos. Somit konnte sie nur den Umriss eines händchenhaltenden Paares erkennen, die so aufeinander konzentriert wirkten, dass sie den Nacken ihres Vordermannes unmöglich berührt haben konnten. Sie schien also zu dem Schluss zu kommen, dass es nur Einbildung gewesen war. Kopfschüttelnd drehte sie sich wieder um.

Keine Sho-Wiedererkennung, keine Zicken-Szene. Das war knapp.

Weiches Haar, warme, rosige Haut im Nacken, das WAR echt. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Kyoko anfangen sollte.

Ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Warum raste mein Herz so schnell? Mir gefielen diese Reaktionen meines Körpers nicht und noch weniger gefiel es mir, dass ich es anscheinend kaum vermochte, diesem Verlangen zu widerstehen. Ich zwang mich, die Konzentration auf den Film zu richten und vergaß nach einigen Anstrengungen Kyoko...

Der Film war so lala.

Kyoko spielte einigermaßen gut. Sie wirkte nicht wie sie selbst in dieser filmischen Aufmachung. Es war schon irgendwie komisch, in diesen andersartigen Klamotten, mit dieser Narbe und so weiter... Aber zuviel loben wollte ich auch nicht. Für meinen Geschmack war ”Dark Moon” einfach zu schnulzig.
 

Als die letzte Szene über den Bildschirm geflackert war und der Abspann begann, schwoll mein Herz vor Aufregung an. Würde es Beifall geben?

Ja, es gab Beifall und zwar begeisterten. Ich hätte Luftsprünge vollziehen können und tief in mir stieg ein Jauchzen auf. Es war, als würde in meinem Herzen eine gigantische Fontäne aus Glück entstehen. Völlig happy strahlte ich Momose-san an, und auch Ogata-san schien dieses Gefühl zu teilen. Ihm standen Tränen in den Augen und während Momose-san mich umarmte, erblickte ich andere lachende Gesichter aus unserer Filmcrew. Es war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens.

Um dies noch zu vervollkommnen, sah ich den Ausdruck in Tsuruga-sans Gesicht und mir versagte der Atem. Auf diese Art und Weise hatte er mich noch nie angesehen; sein Blick glühte voller Wärme und Freude. Er hielt meinen Blick fest und während wir uns so ansahen , nahm ich kaum wahr, was um mich herum geschah, dass sich die Leute allmählich erhoben und zurück in die Eingangshalle drängten. Ich sah nur dieses Gesicht, das ich wohl nie wieder vergessen könnte. Es würde für immer untrennbar mit der Erinnerung an diesen Abend verwoben sein.

Ein kleiner Stau entstand in unserer Reihe und hastig sprang ich ebenfalls auf und folgte den anderen zurück durch die großen Portale. Dort bildete sich eine Traube um die Darsteller des Filmes. Jeder wollte sie beglückwünschen, ihnen zu ihrer Leistung gratulieren, ein wenig von der Glorie kosten, die sie an diesem Abend umgab. Auch auf mich stürmten die Leute ein. Ein Händedruck hier, ein Küsschen da, ein Schulterklopfen dort. Einige Gesichter offenkundig begeistert, andere resigniert, hier und dort sogar eine gerührte Miene. Immer wieder umarmte mich Momose-san und andere Mädchen aus der Crew.

Ich blickte zu Tsuruga-san. Er war der schillernde Star des Abends. Jeder wollte in seiner Nähe stehen, mit ihm reden. Einige Frauen winkten so offenkundig mit dem Zaunpfahl, dass es mich irgendwie zurückschrecken ließ. Ausnahmslos JEDE Frau machte ihm schöne Augen. Aber warum?

Mir wurde zum ersten mal schlagartig und in vollem Maße bewusst, wie begehrt in der Frauenwelt dieser Mann war, mit dem ich so selbstverständlich umging. Dieser Mann, für den sogar ich, das gewöhnlichste Mädchen der Welt, ein ganz klein wenig Wärme empfand. War es gewöhnlich, für diesen Mann Sympathie zu empfinden?

Er unterhielt sich mit einer umwerfend gutaussehenden Frau und warf mir über ihre Schulter einen Blick zu. Wie merkwürdig. Er brach das Gespräch ab und kam auf mich zu. Wie surreal.

Wieso auf einmal surreal? Bis jetzt doch nur ätzend, gewöhnlich, ein bisschen komisch?

Ach so, ich war ja ein Mitglied der Filmcrew... deshalb beachtete er mich ein bisschen.

Hunderte Augen folgten ihm. ”Mogami-san, ich gratuliere zu deinem überragendem Erfolg!”

... Wohl eher DIR zu DEINEM, Tsuruga-san...

Er sah mich wieder so an... Mein Herz begann, zu hämmern.

Hilfe! Was geschieht hier mit mir??

Er bewegte sich noch näher zu mir. Mein Atem stockte.

Das gesamte Umfeld glotzte, als er mich umarmte.
 

So vorsichtig... fast schon ein wenig zärtlich.

Ich nahm es wie aus einer fernen Welt wahr...

Schaudern....

Tsuruga-san?

Dieser Duft von ihm...

Diese vielen Leute um uns herum... Alle gafften...

Ich bin Mogami Kyoko, ein einfaches Mädchen in einem glamourösen Outfit, wirklich ganz ganz einfach...

Jeder sah uns an. Alle nahmen an, es wäre eine formelle Geste, aber...

...ich fühlte, da war irgendwie noch etwas anderes. ETWAS ANDERES...

Etwas Fremdes, das ich glaubte entfernt zu kennen. So entfernt, dass es über Mexiko, das Himalaya und Galaxien von fremden Ländern hätte entfernt sein können. Und das weite Welten entfernt mit Sho zu tun hatte.

Aber ich kannte es... irgedwie... dieses Gefühl...

Seine Wärme...

Seine Hände an meinem Rücken...

Sein Körper dem meinen so nahe...

Das ist doch alles ganz normal, selbst bei einer so flüchtigen Umarmung...

Aber WARUM nahm ich das dann alles so separat und intensiv wahr??

Und WARUM schlug mein Herz eine Pirouette??

Doch bloß eine simple Umarmung...für wenige Momente... Dezisekunden im Leben eines Meschen...

So merkwürdig BEDEUTUNGSVOLLE Dezisekunden??

Wo doch dem Rest eines menschlichen Lebens verhältnismäßig wenig Bedeutung beigemessen wurde. Wie seltsam...

Momose-san stand nicht weit von mir.

Ich nahm diesen komischen Knall kaum wahr... wie aus dem Radio eines benachbarten Zimmers...

Ich bemerkte erst, dass etwas nicht in Ordnung war, als ich die Schreie hörte.
 

Ich hatte in einiger Entfernung zu den Darstellern des Films gestanden und mit mir gerungen, ob ich auf Kyoko zugehen sollte. Der größte Teil von mir verlangte lauthals, dass ich ihr spöttisch gratulieren und sie an unsere Konkurrenz erinnern sollte.

Ein anderer Teil von mir -und ich hätte nie geglaubt, dass es solch einen Teil überhaupt gab- wagte es nicht. Und das machte mich wütend und unsicher und ließ mich hier passiv rumstehen. Wie der letzte Depp.

DEPP- das ist das Stichwort! Genau! Johnny Depp! Der würde hier auch nicht so introvertiert rumstehen, sondern Nägel mit Köpfen machen! Und ich war MINDESTENS genauso attraktiv wie der! Also auf geht’s!

Shoko unterhielt sich mit irgendeinem schmierigen Mann; ich hatte eh keine Lust mich daran zu beteiligen.

Gerade hatte ich begonnen, auf Kyoko zuzugehen, als dieser Tsuruga sich ihr näherte...

Er umarmte sie.

Für jeden im Raum mochte es so aussehen, als ob es nur eine gewöhnliche Umarmung unter Kollegen wäre, aber ich wusste, welche Gefühle dieser Bastard für sie hegte und es ließ mich keineswegs kalt, welchen schmutzigen Hintergedanken er bei der Umarmung mit MEINER Kyoko gerade in die Tat umsetzte.

Auf jeden Fall war da soviel unerhörte Intimität, dass es mich mitten in der Bewegung einfrieren ließ.

Einen Moment lang verharrte ich so und beobachtete die beiden, dann hörte ich diesen Knall.

Es war ein Schuss. Es folgten hysterische Frauenschreie und eine panische Bewegung in der Menge hinter mir. Ich sah, wie sich Kyoko und Tsuruga erschrocken voneinander lösten und die Gesichter in meine Richtung wandten. Irritiert drehte ich mich ebenfalls um.

Die Menge war auseinandergestoben und inmitten der verängstigten Prominenten stand ein Mann. Er hob eine Waffe und gab einen Schuss in die Luft. ”Ich wiederhole es gerne noch einmal, KEINER RÜHRT SICH UND KEINER GIBT EINEN MUCKS VON SICH, sonst geschieht...”, verwirrt beobachtete ich, wie er bösartig grinste, ”... ein großes Unglück!”

Eine merkwürdige halbleise, unterdrückte Stille senkte sich in den Raum, unterbrochen von gelegentlichen Schluchzern von Frauen und ungerichtetem Geflüster und Gebrabbel.

Ich drehte den Kopf, um die Reaktionen der Leute zu beobachten und sah mit aufkeimender Wut, wie Tsuruga Kyoko an sich gezogen hatte und sich als großer Beschützer aufspielte. Verdammt noch mal, was war hier eigentlich los? War das wieder irgendso'n kranker Scherz von diesem abgefahr'nen Präsidenten? Nee...

Was war das dann für ein komischer Typ? Was wollte er?

Womöglich irgendeiner, der Aufmerksamkeit brauchte oder gar irgendein Stalker? Ich fand das Ganze schon fast amüsierend lächerlich und musterte die umliegenden Mienen, um festzustellen, ob die anderen Gäste diesen Scherz etwa lustig fänden. Fast schon erwartete ich, dass dieser Takarada lächelnd aus der Menge trat, um alles aufzuklären. Nichts dergleichen geschah.

Irritiert wartete ich, DASS etwas geschah, irgendetwas, während sich ein ungutes Gefühl breit machte...

Abrupt wandte ich den Kopf, als ich eine hastige Bewegung hörte.

Ich nahm nur wahr, dass es einen weiteren Schuss gab und hörte ein dumpfes Rumsen. Laute Schreie. Eine Panik.

Ich blickte zu Boden und hatte augenblicklich das Gefühl, jemand hätte Eiswasser über mich geschüttet.

Am Boden lag ein Mann. Es war ein Mann mit der Statur eines Hühnen; er trug einen schwarzen Anzug. Neben ihm lag eine zerbrochene Sonnenbrille und um seinen Kopf breitete sich eine Blutlache aus.

Die Zeit stand still. Ich starrte auf den Mann.

Hektische Panik übermannte mich und rüttelte all meine Fluchtinstinkte wach. Dieser Mann... zu meinen Füßen... war TOT!!!

Das hier war todernst!!!! Kein Scherz!!!

Ich blickte auf. Der merkwürdige Mann leckte sich über die Lippen. Ekel überkam mich. Er hatte ein spitzes, bleiches Gesicht und trug die Uniform der Angestellten, die zu Beginn Champagner serviert hatten. Seine Augen standen leicht schräg; sie lagen außen tiefer als innen, was ihm das Aussehen gab, als hätte er ständig abartige, kranke Gedanken, die ihn belustigten. Er war relativ schmächtig.

”Gibt es hier noch welche von euch aufgeblasenen Sichterheits-Typen, die meinen, der Tod wäre eine interessante Erfahrung?”

Im nächsten Augenblick geschah alles sehr schnell. Eine Frau in langem roten Abendkleid hatte offenbar die Nerven verloren, riss sich von ihrem Begleiter los und stürzte auf die Korridore im hinteren Teil zu. Noch ein Schuss.

Sie ging zu Boden. Einer der BODYGUARDS hatte ihr ins Bein geschossen.

Der bleiche Mann kicherte abermals: ”Gute Arbeit, Moki-kun! Und nun...”, er blickte belustigt in die Menge, ”...werdet ihr hübsch meine Forderungen erfüllen, sonst...”, er nickte Moki-kun und zwei anderen der Security-men zu, ”werden weitere Personen dieser amüsanten Abendgesellschaft uns für immer verlassen.”

Geschockt stellte ich fest, dass die drei -offenbar falschen- Sicherheitsleute sich Geiseln gegriffen hatten und ihnen erbarmungslos ihre Schusseisen an die Schläfen drückten. Moki-kun hatte sich das Model gegriffen, das mir vor dem Film die Sicht auf Kyoko versperrt hatte. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und in ihren Augen lag die blanke Angst. Der zweite hatte sich einen älteren Herren mit schütteren grauem Haar gegriffen, dem sein Monokel runtergefallen war und der offensichtlich zu entsetzt war, um Angst zu empfinden. Der dritte hatte sich dessen Partnerin gegriffen, der der Security-Mann den Mund zuhielt und die ständig zu ihrem Mann blickte und sich wehrte. Der Securtity-Mann registrierte es mit kalter Gleichgültigkeit.

In mir wühlte stetig die Frage, was das alles sollte. Wie hatte das passieren können? Wie war das möglich? Wie konnte hier einfach so ein schmächtiger kleiner Pimpf anmarschieren und Forderungen stellen? Hier galt eine der höchsten Sicherheitsstufen! Das, was geschah, war unmöglich, und doch geschah es. Aber warum unternahm niemand etwas? Warum war noch keine Razia der Polizei hereingestürmt und hatte diese 4(!!) Personen überwältigt?? Ich schreckte auf, als der blasse Typ wieder anhob.

”Ich verlange, dass mir Tsuruga Ren, Momose Itsumi und Mogami Kyoko auf der Stelle ausgeliefert werden.”

Stille senkte sich in den Raum.

Leere erfüllte meinen Kopf, ehe durch jede Vene meines Körpers Entsetzen und Angst zu strömen begannen. Das Blut rauschte in meinen Ohren und ich konnte einfach nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. Alle Köpfe wandten sich zu besagten Personen um. Ich ebenfalls. Da standen die drei. Ich nahm an, dass das Mädchen neben Kyoko Itsumi Momose war, denn in ihrem Gesicht vermischten sich jähe Panik, Überraschung und Todesangst. Kyokos Miene war unergründlich. Tsuruga blickte mit einem so einschüchterndem und brüllendem Hass im Gesicht auf den bleichen Mann, dass ich an dessen Stelle schon längst das Weite gesucht hätte. Er drückte Kyoko an sich und schirmte sie ab. Niemand der drei rührte sich.

Dann sagte der bleiche Mann: ”Ooooch REN, du musst doch nicht so verbohrt gucken, das kränkt mich ja doch. Willst du deine kleinen Freundinnen nicht schützen? Dann bring sie her zu mir und mach keine Zicken, dann wird ihnen nichts gesch-”

Da geschah etwas merkwürdiges. Er brach ab, als sich um Kyoko eine blutrünstige, dämonische Aura aufbaute. Ich glaubte zu sehen, wie sich negative Energie -oder was auch immer es war, es stammte mit ziemlicher Sicherheit aus dem Reich der Finsternis- auf ihn übertrug. Ich kannte das Gefühl, das ihn überkam. Diesen Blutdurst von Kyoko hatte ich schon unzählige male am eigenen Leib erfahren. Der bleiche Typ zuckte erschrocken zurück. ”Was... tut... sie... da LAAAsssss das! AAAAAAAaaah!” Er kämpfte gegen eine unsichtbare Macht.

”Gut so, Kyoko!”, dachte ich mit einer grimmigen Genugtuung. Ich hätte niemals gedacht, dass ich eines Tages mal diese unheimliche Eigenschaft von ihr bejubeln würde.

Das kurze Triumphgefühl in mir verschwand auf der Stelle, als ich einen weiteren Schuss hörte und erkannte, wie Itsumi Momose mit schmerzverzerrter Miene zusammenbrach. Sie hielt sich die Schulter und krümmte sich zuckend vor Schmerz am Boden. Einer der anderen drei Typen hatte geschossen, offenbar unsicher, welche der beiden Mädchen die Quelle dieser unheimlichen Macht war.

Ich sah Kyokos Miene. Geschockt und mit einem verstörten Ausdruck im Gesicht hatte sie haltlos zu zittern begonnen, den Blick auf Itsumi gerichtet und wollte fassungslos zurückweichen, doch ihre Knie gaben ihr keine Sicherheit mehr. Sie wäre wohl zusammengebrochen, wenn Tsuruga sie nicht gehalten hätte. Jetzt fing sie an, heftig zu schluchzen und wollte sich zu Itsumi knien, aber Tsuruga hielt sie fest. In seinem Gesicht stand der Schock und auch er hatte Probleme, seine Fassung nicht zu verlieren. Niemand sagte oder tat etwas. Alle beobachteten befremdet und entsetzt, wie sich das Mädchen auf dem Boden vor Qualen krümmte.

”Das reicht jetzt.”

Ein Mann trat aus der Menge hervor. Es war Rory Takarada.

”Wer auch immer Sie sind, glauben Sie im Ernst, Sie kommen hiemit durch? Stürmen hier mit drei bewaffneten Typen ein Theater, vor dem tausende von Menschen warten und das mit großer Wahrscheinlichkeit jeden Moment von Polizeibeamten nur so wimmeln wird?”

Er hatte vollkommen Recht und ich konnte nicht umhin, seinen Mut anzuerkennen.

Doch der bleiche Typ schien sich davon nicht beirren zu lassen, im Gegenteil, er setzte wieder zu diesem abartigen Lachen an, das sich anhörte wie das Quieken einer Ratte.

”Oh! Offenbar ein ganz Kühner! Takarada, wenn ich mich nicht irre, jaja, das passt zu dir, dich hier aufzuspielen.Hihihi... Tust du doch sonst auch immer, nicht wahr?”, er lachte lauter, ”Wenn dem so ist, wie du sagst, wo sind denn deine großen Erlöser, deine rettenden Polizeihelden, die hier jeden Moment auftauchen sollen?Hihi... Hätten sie denn nicht längst hier sein sollen? Warum kommen sie denn nicht, he? Hihihi...”

In Takaradas Miene spiegelte sich eine Spur Unruhe wieder.

”Was soll das bedeuten?”

Der bleiche Mann hechelte jetzt förmlich vor unterdrücktem Vergnügen. Er legte den Kopf schief und grinste Takarada selbstzufrieden an. ”Ich kann dir sagen, warum sie nicht kommen, hähä, weil ich ihnen etwas mitgeteilt habe, dass du nicht weißt, Takarada. Sie kommen nicht, weil unter dem Theater, das ihr alle heute Abend so bereitwillig betreten habt, hihi, etwas kleines Süßes liegt, das unaufhörlich tickt und das nur darauf wartet, hochzugehen, sobald ich hier auch nur eine Uniform sehe.Hihihihi...”

Die überragende Erkenntnis traf mich wie ein Blitz. Eine Bombe. Unter dem Theater lag eine Bombe.

Das konnte nicht sein. Wo war ich hier hineingeraten? War das ein schlechter Film? Das... ist doch nichts, das einem im realen Leben widerfährt! Warum passiert das mir? Und warum passiert das... ihr? Ich blickte zu Kyoko. Stumme Tränen liefen über ihre Wangen und sie klammerte krampfhaft an Tsurugas Ärmel.

Takaradas Stimme durchschnitt die schwere, unheilschwangere Stille.

”Sie erwarten doch nicht wirklich, dass wir Ihnen Ren, Mogami-kun und Momose-kun ausliefern?”; er begann auf die Rattenfresse zuzugehen, was ich für keine besonders gute Idee hielt, und sagte: ”Hören Sie, wir können über alles reden. Wenn Sie jetzt die Waffen niederlegen, wird man Ihnen mit Milde begegnen. Noch ist es nicht zu spät. Ich-”

”BLEIB STEHEN!” Knall. Der bleiche Typ hatte Takarada vor die Füße geschossen, woraufhin dieser stehen geblieben war. Dann stimmte er wieder dieses abartig keckernde Lachen an. ”Oh nein nein nein, Takarada, so geht das aber nicht. Nein nein, so können wir das nicht machen! Ihr gebt uns jetzt auf der Stelle diese drei Personen da, sonst stirbt der Nächste!” Er nickte Moki-kun zu woraufhin dieser sein Schusseisen noch härter gegen die Schläfe des Models drückte, als ein Schrei die Stille durchdrang:

”NEIN!!!”

Der Schuss erklang nicht. Alle Köpfe wandten sich Tsuruga zu. Der wiederum nickte Takarada zu und sagte: ”Ist schon gut. Ich werde gehen.” Takarada schien entsetzt: ”Nein, Ren, das-”

”RUHE!” Der Rattenmann hatte geschrien. ”Hihihi, gut REN, sehr gut, aber so geht das trotzdem nicht, deine Freundinnen musst du schon mitbringen! Hihi, so muss es sein!”

Tsuruga wandte ihm ruhig den Kopf zu: ”Was wollen Sie mit ihnen, Momose-san ist verletzt; sie braucht ärztliche Betreuung und Sie haben doch mich!” ”Nein nein nein!!”; mit leichtem Unbehagen realisierte ich, dass der bleiche Mann allmählich zornig wurde.

Ohne recht zu überlegen, ohne mir auch nur bewusst zu sein, was ich da tat stürtzte ich vor und schrie: ”Nehmen Sie mich statt Kyoko! Lassen Sie sie in Ruhe! Nehmen Sie statt Ihrer mich!!!”

Ausnahmslos alle sahen mich an.

Ich hörte Shoko hinter mir nach Luft schnappen.

Schwer atmend stand ich da und blickte dem Typen in die Augen. In seinem Gesicht flackerte etwas Unsicherheit auf, ganz so, als wäre er tatsächlich beinahe geneigt, das Angebot anzunehmen, doch dies wich schnell und machte offenkundig Unmut Platz.

”Ich kenne dein Gesicht, jaja, aber das geht nicht, nein, das geht ganz und gar nicht. SIE will ich” Er deutete fast schon gierig auf die Mädchen. Kyoko hockte jetzt auf dem Boden und hielt Itsumis Hand. Niemand wagte, etwas zu sagen. Auch mein Mut hatte mich verlassen.

Da ertönte ein leises Wimmern und Kyokos Gesicht tauchte auf.

”Ist schon in Ordnung, Sho, das musst du nicht tun. Ich werde gehen. Es gibt keinen anderen Weg.”

Sie richtete sich auf.

”Nein!..”

Tsuruga und ich hatten im selben Moment aufgeschrien, da riss dem Rattenmann der Geduldsfaden.

Das Einzige, was ich noch wahrnahm, war ein weiterer Schuss, ein stechender Schmerz im Oberschenkel, mein Blickfeld, das sich plötzlich verschleierte.

Aus meinen Lungen entwich alle Luft, als ich flach mit dem Rücken auf dem Boden aufschlug.

Shokos Gesicht tauchte irgendwo über mir auf. Dann verschwamm es und die Geräusche vermischten sich zu einer einzigen summenden Masse. Alles wurde schwarz.
 

Ich hatte das laute Schluchzen nicht unterdrücken können, als ich sah, wie auch Shotaro zu Boden ging. Der gruselige Mann hatte ihm in den Oberschenkel geschossen.

Shotaro, dieser Idiot! Warum tat er soetwas? Jetzt war nicht der Augenblick, sich als großer Retter aufzuspielen!! Zumal er doch genau wusste, dass ich von IHM keine Hilfe wollte. Verdammt. Ich konnte mich der Tränen nicht erwehren.

Und ich spürte, wie allen Anwesenden langsam die Erkenntnis dämmerte, dass keine Kompromisse geduldet werden würden. Tsuruga-san, Momose-san und ich würden gehen müssen. Ich stützte sie, schlang ihren Arm über meine Schulter und erhob mich mühselig.

Meine Beine zitterten. Momose-sans Gewicht zog mich zu Boden und ich musste alle Kraft aufbringen, um einen Schritt in Richtung des bleichen Mannes zu tun. Tsuruga-san kam auf mich zu und hob Momose-san in seine Arme, wie er es einst mit mir getan hatte, als mein Knöchel verwundet gewesen war. Ich richtete mich auf und trat an seine Seite. ”Schön, schön...! LOS! Wir gehen!” Die drei falschen Bodyguards ließen die Geiseln los und stürmten auf uns zu. Einer ergriff mich und hielt nun mir die Waffe an den Kopf. Der kleine, bleiche Mann drehte sich um und schritt auf die großen Flügel des Eingangstores zu. Tsuruga-san folgte ihm mit der keuchenden Momose-san in den Armen. Der Handlanger, der mich an sich gedrückte hatte, gab mir einen Stoß mit der Waffe und schleifte mich auch zur Tür. Die beiden anderen Typen folgten rückwärts gehend und richteten ihre Waffen dabei auf Leute in der Eingangshalle des Theaters, bereit auf jeden zu schießen, der sich regte.

Ich hörte noch Takarada-sans Stimme: ”Ren! Ich schwöre dir, ich werde alles tun, um euch da raus zu holen!”

Dann ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen und ich zuckte schon zusammen, da ich im ersten Moment glaubte, es wäre noch ein Schuss gefallen, dabei hatte der bleiche Mann das Portal zur Straße aufgestoßen. Ich spürte, wie unaufhörlich heiße Tränen über meine Wangen liefen und war nicht fähig, etwas zu sagen oder auch nur zu denken. Der falsche Bodyguard hatte mich so fest an sich gedrückt, dass es mich beim Gehen behinderte.

Er roch nach Schweiß. Ich fühlte, wie eine Welle der Übelkeit in mir aufstieg.

In meinem Magen bohrten entsetzliche Schuldgefühle. Wegen mir war Momose-san verletzt! Wegen mir war Shotaro verletzt! Dann waren da noch diese angeschossene Frau und der zusammengebrochene Security-Mann...!

Wieder sah ich vor mir, wie der bleiche Mann sich schlagartig umgedreht und dem Security-Mann in den Kopf geschossen hatte, der versucht hatte, ihn von hinten zu überwältigen. Wieder sah ich vor meinen Augen das aufspritzende Blut, den überraschten Gesichtsausdruck des Security-Mannes, der seine Sonnenbrille verloren hatte und der nun wie in Zeitlupe genau vor Shotaros Füßen zu Boden fiel und dort tot liegen blieb.

Shotaro, der wie zur Salzsäure erstarrt seine Augen nicht von dem toten Mann nehmen konnte...!

Ich fühlte, wie die Ohnmacht nach mir griff. Es wäre eine Erlösung gewesen, aber stattdessen wurde ich nur schwächer, fing an, zu taumeln, blieb aber bei Bewusstsein. Ein quälender, halbgarer Zustand.

Ich wünschte, das alles wäre nur ein Alptraum und ich könnte einfach aufwachen und nie wieder daran denken. Ich wünschte es mir so sehr, dass es weh tat. Dabei wurde aber alles umso schmerzvoller und ich konnte unter dem dichten Tränenschleier nichts mehr erkennen...

Ich sah auch nichts, nachdem die Tore geöffnet wurden. Ich fühlte nur den frischen Wind, der meine Wangen kühlte.

Überrascht nahm ich wahr, dass es verdächtig still war. Vor der Premiere hatten doch unzählige Scharen von Menschen vor dem Theater gestanden?! Diese Stille hatte etwas Bedrohliches und ich nahm es als sehr schlechtes Zeichen. Dann konnte ich wieder etwas sehen und erkannte, dass der Platz vor dem Theater wie leergefegt war. Das alles machte mir Angst.

Traurig und sinnverloren lag der rote Teppich in der Dunkelheit. Wir gingen darüber.

Direkt vor dem Theater an der Straße stand ein polizeilicher Lieferwagen, mit dem normalerweise Gefangene transportiert wurden, und ein PKW.

Der bleiche Mann sagte: ”Sehr schön, sie haben unsere Forderungen zufriedenstellend erfüllt! Passt trotzdem auf! Auf den umliegenden Dächern könnten Scharfschützen lauern!” Als wir an den Fahrzeugen angekommen waren, durchsuchten sie unsere Taschen, nahmen uns Handys, Piepser und sonstige Dinge ab. Einer der Entführer warf sie achtlos auf die Straße.

”Los, rein mit euch!”, schnautzte der bleiche Mann. Er hatte die Laderaumtür des Transporters geöffnet und wies Tsuruga-san an, hineinzusteigen. Das tat dieser auch. Vorne war schon der Typ namens Moki eingestiegen und bedrohte Tsuruga-san mit seiner Waffe durch die kurzen, hoch gelegenen Gitterstäbe, die Laderaum und Fahrerkabine trennten. Der Handlanger stieß mich kopfüber hinterher in die Finsternis des Laderaumes.

Dann warfen sie die Tür zu.
 

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Ich weiß... ganz ganz böses Ende. Aber es wird nicht SO schwarz weitergehen. Dieses Kap ist das vorläufig dunkelste... also malt euch keine zu pessimistische Fortsetzung aus... Das nächste wird nicht lange auf sich warten lassen. Es ist bereits zur Hälfte aufgeschrieben und der Rest liegt fix und fertig in meinem Kopf bereit.

Ciao mes chères^_^

Tiefer, tiefer See der Verzweiflung...

Chapitre quatre: Tiefer, tiefer See der Verzweiflung...

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Traritrara ich bin wieder da^^

@ all Kommischreiber: Merci beaucoup, je vous aime!!!!!!!!!! Beim nächsten mal kriegt ihr ein angemessenes Dankeschön von mir, also übt euch noch etwas in Geduld mit mir altem Ignoranten^^°

Du liebe Güte, da hab ich einige mit dem letzten Kapitel und dem damit verbundenen Cliffhanger aber janschön aus der Reserve gelockt, wat?^^

Joa... sorry... v.v° Ich werde euch nicht mehr so quälen...

Und nur für den Fall, dass ich einige erschreckt und in den Glauben versetzt hab, in dieser Fanfic wäre alles möglich... DEM IST NICHT SO!!

Ich hab net vor, einen Protagonisten nach dem anderen blutig sterben zu lassen...^^° Don’t worry!

Das wäre also geklärt... nun denn! Aufi zu Kap4!

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Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, aufzustehen und mich auf eine der beiden Sitzreihen zu platzieren, die sich an den Wänden links und rechts des Wagens befanden. Ich blieb einfach auf dem schmutzigen Boden liegen, so wie mich der Mann hineingestoßen hatte. Ich spürte, wie sich das Fahrzeug in Bewegung setzte und losfuhr. Ich blieb einfach liegen. Mein ganzer Körper und all meine Sinne fühlten sich taub an. Wie aus weiter Ferne hörte ich Momose-sans Seufzen und Stöhnen. Sie leidet unsägliche Schmerzen, dachte ich, es ist wegen mir, es ist meine Schuld, ganz allein meine!!! Mir wurde eiskalt. Ich versuchte, die Schluchzer zu unterdrücken, doch dafür ging mein Atem jetzt unregelmäßig und gepresst.

Scharfer Schmerz füllte meinen Kopf , als wäre ich in einem weiten, dunklen Meer für immer alleine und verloren.

Plötzlich fühlte ich, wie sich eine Hand zu mir vortastete.

Erschrocken schrie ich auf, da legte sich mir die Hand auf den Mund.

”Shhhht, Mogami-san, bitte nicht so laut, ich glaube, Momose-san ist gerade dabei, einzuschlafen!”

Es war Tsuruga-sans Stimme. Er hatte Recht. Ich fühlte mich abscheulich. Was war ich bloß für ein egoistisches Ekel, dass ich Momose-san jetzt auch noch störte. Ich hasste mich selbst. Mein ganzer Körper fing an, unkontrolliert zu zittern. Noch mehr Tränen rannen mir jetzt die Wangen hinab und tropften auf Tsuruga-sans Hand.

Seine andere Hand umfasste meine Taille und zog mich ein Stück nach rechts zu ihm. Tsuruga-san saß auch auf dem Boden, mit dem Rücken an die Sitzbank gelehnt.
 

Wortlos nahm ich sie in den Arm. Ich ahnte, was in ihr vorging. Sie gab sich die Schuld an Momose-sans Schussverletzung und dann war da auch noch der Schock, der auch mich lähmte.

Ich hatte das Gefühl, jetzt etwas zu sagen, würde ihr nicht helfen, sie eher weiter belasten. Stattdessen spürte ich, wie sie das Gesicht gegen meine Brust drückte und lautlos und verzweifelt in mein Jacket weinte.

Ich würde ihr helfen, indem ich sie gewähren ließ und sie still tröstete.

Es tat mir weh, sie so zu sehen.

Ihre zierlichen Schultern zuckten heftig und ihr gesamter Körper bebte. Sie krallte die Hände in mein Jacket und presste sich eng an mich.

Ich merkte auf, angesichts dieser plötzlichen, ungewöhnlichen Nähe, aber eigentlich, so dachte ich weiter, war es nicht verwunderlich. Ihre Angst musste so groß wie die Nacht selbst sein und es waren Dinge passiert, die jegliche Regeln für den normalen distanzierten Umgang über den Haufen geworfen hatten.

Sie umarte nicht Ren Tsuruga leidenschaftlich, nein, sie klammerte sich Hilfe suchend an IRGENDJEMANDEN, der gerade bereit war, ihr beizustehen.

Das war in diesem Augenblick ich.

Beruhigend legte ich meine Arme fester um sie und stellte erschrocken fest, dass ihr Körper eiskalt war. Klar, bei dem freien Kleid, das sie trug. Es kam mir schon fast lächerlich vor, dass wir uns vor einigen Wochen noch Gedanken über die richtige Garderobe für den Abend gemacht hatten. Meine Hände fuhren vorsichtig über ihren freien Rücken. Auch kalt...

Kurzentschlossen richtete ich mich auf, strich über Mogami-sans Wange und flüsterte ihr ins Ohr: ”Mogami-san, bitte lass kurz los!” Zitternd ließ sie los. Ich zog mein Jacket aus und legte es ihr über die Schultern. Danach nahm sie sofort wieder ihre ursprüngliche Haltung ein, presste sich so eng an mich wie es nur ging, so als ob die Finsternis im Wagen dann weniger bedrohlich würde. Ich umfing sie sanft mit meinen Armen, schirmte sie abermals von der Dunkelheit ab. Ich spürte ihren Körpers so intensiv , dass ich es mitbekam, wie das Zittern allmählich verebbte. Nach einiger Zeit in dem fahrenden Auto konnte ich schließlich wahrnehmen, wie ihr Atem endlich regelmäßiger wurde und sie vor Erschöpfung einschlief.

Ich ließ sie trotzdem nicht los.

Ich zwang mich, wach zu bleiben falls irgendetwas passieren sollte oder Momose-san noch einmal meine Hilfe bräuchte. Ich hatte sie auf die Bank gelegt und versucht, mir ihre Wunde anzusehen, aber es hatte keinen Sinn gehabt. In dieser Finsternis konnte ich einfach nichts erkennen und womöglich hätte ich alles sogar nur noch schlimmer gemacht. Zudem war ich in soetwas nicht einschlägig bewandert. Ich würde abwarten müssen, bis es hell würde (Momentan musste tiefste Nacht sein!), doch mir graute davor, was ich dann zu Gesicht bekommen würde. Ich hatte große Angst um sie, dass sie es womöglich nicht überleben würde.

Plötzlich fiel mir etwas ein. Kurzum streifte ich das Jacket von Mogami-san ab und deckte Momose-san damit zu. Sie hatte es nötiger. Dann drückte ich Mogami-san wieder an mich und hoffte, dass allein meine Körperwärme ausreichen würde.

Nach einer Weile machten sich die Horrorstrapazen des Abends bemerkbar und ich musste gegen den Schlaf ankämpfen. Meine Kräfte ließen merklich nach und so überkam auch mich der erlösende Schlaf, der mich in eine friedlichere Welt führte, alle Angst und Schmerzen der letzten Stunden in unerreichbare Ferne rückte und mich von den Qualen der Welt erlöste...
 

Bubumm...

Bubumm...

Da ist dieses sanfte Pochen direkt an meinem Ohr...

Bubumm...

Es ist so regelmäßig, dass man eine Melodie dazu summen könnte...

Mhm...

Es riecht leicht nach Staub und Politur...

Es ist kalt...

Ich kann es nicht definieren, aber ich fühl mich höllisch schlecht...

Ich schlug meine Augen auf und sah staubige Holzplanken.

Ich wusste nicht, wo ich war.

Meine Hände umklammerten etwas; meine Füße glichen Eisklumpen und mein Kopf lag auf etwas sehr weichem, das sich sanft hob und senkte.

Ich richtete mich auf.

Es war eine giftige kleine Schrecksekunde, als ich realisierte, was ich als Kissen benutzt hatte. Tsuruga-san lag auf dem Boden. Er schlief noch.

Sofort ließ ich sein Hemd los und brachte viiiiiel wohltuenden Freiraum zwischen seinen und meinen Körper.

Doch dann stutzte ich mitten in der überstürzten Bewegung.

Sein Gesicht sah im Schlaf geradezu unschuldig, fast kindlich aus.

Solch ein Gesicht konnte DER Tsuruga-san machen??

Ich hatte ihn doch früher auch schon schlafen sehen, also warum fiel mir das erst jetzt auf? Und überhaupt, wo war ich hie-

...

...

Bilder.

Schrecklich viele schmerzliche Bilder zogen durch mein Hirn wie ein Virus.

Ein Mann, der seine Sonnenbrille verloren hat und blutspritzend vor Shotaro zu Boden geht...

Eine bleiche, kleine Horrorgestalt, die sich über die Lippen leckt...

Tsuruga-san, der eine verletzte Momose-san in seine Arme nimmt und trägt...

Takarada-san mit unsagbar verzweifelter Miene...

Ein verlassener roter Teppich mit umgestürzter Kordelabsperrung...

Und jetzt ich in diesem Auto.

Alle Gefühle des vergangenen Abends brachen unvorhergesehen wie eine tosende Sturmflut wieder über mir zusammen. Restlos verflogen war das warme Gefühl, dass ich gerade eben noch verspürt hatte, als ich Tsuruga-sans schlafende Miene gemustert hatte.

Ich hatte solch einen bunt gemischten Cocktail aus Emotionen noch nie erlebt...

Ich hatte unsagbar viel Angst... ,die mich schon bei dem blossen Gedanken an den bleichen Mann wie öliges, eiskaltes Wasser erstickte.

Ich hasste diese Kidnapper, ich HASSTE sie.

Und dann noch diese Scham gegenüber Tsuruga-san, da ich praktisch AUF ihm eingeschlafen war...

Schuld... Es tut mir so Leid, Momose-san!

Ich werde es diesen verfluchten Ganoven heimzahlen, was sie dir angetan haben! Ich bin zu allem entschlossen.

Ich spürte, wie sich in mir etwas straffte.

Ich wandte mich um und blickte auf Momose-san.

Sie hatte die Augen geschlossen und regte sich nicht. Ich hielt meine Hand flach über ihren Mund und spürte den leichten Luftstrom.

Gott sei Dank, sie atmete noch!

Etwas unentschlossen kniete ich mich neben die Sitzbank und schob das dunkle Jacket ein Stück herab. Was war das eigentlich für ein Jacket?

...

Hatte er das nicht gestern Abend mir gegeben? ...

Also wirklich, ihr geht’s doch wohl bedeutend schlechter, ist doch selbstverständlich, dass er das getan hat. Also weg mit dir, du komisches Gefühl in meinem Bauch, du bist widerlich!!! Was denke ich eigentlich hier? Momose-san!

Ich lugte ängstlich auf die Stelle, an der ich die Schussverletzung vermutete.

Ihr weißes Kleid war blutgetränkt. Die Wunde an ihrem Arm sah furchtbar aus, da musste schleunigst ein Arzt ran!

Aber ich war kein Arzt.

Tsuruga-san war kein Arzt.

Wir konnten einfach nichts tun!

Die Bedrohlichkeit der Situation hätte nicht offensichtlicher sein können.

Plötzlich bemerkte ich etwas. Stille! Es war still! Wir fuhren nicht!

Ich legte das Jacket vorsichtig zurück und stand auf. Ganz vorne war ein kleines schmales Fenster mit Gitterstäben besetzt. Ich presste mein Gesicht seitlich daran, um hindurchspähen zu können. Von meinem Atem beschlug das graue Metall der Stäbe.

Ich erkannte eine verlassene Fahrerkabine. Abgebrannte Kippen, ein Messer und vielerlei Dinge über die Ablage verstreut. Durch die Windschutzscheibe schimmerte eine verlassene Waldlichtung. Weit und breit niemand zu sehen.

Wo waren wir hier?

Wo waren die Kidnapper?

Seufzend sank ich die Wand hinab und betrachtete hoffnungslos wie kleine Staubpartikel in den Lichtstreifen, die durch die Gitterstäbe ins Innere fielen, tanzten.

Tsuruga-san regte sich.

Oh nein, bitte nicht aufwachen!! Das alles ist mir so peinlich! Ich will mich nicht für meine Aufdringlichkeit gestern abend rechtfertigen müssen!!! Was würde er von mir denken? Dass ich womöglich genausoeine hirnlose Verehrerin war, wie jede andere Frau und die Situation gestern abend egoistisch ausgenutzt hatte, obwohl es Momose-san doch tausendmal schlechter ging als mir und er sich eigentlich um sie hatte kümmern wollen? Neeeeeeein!

Ich drehte ihm den Rücken zu und kauerte mich in meiner Ecke zusammen, versteckte mein Gesicht. Vor Verlegenheit ertrug ich es nicht mal, im selben Raum zu sein, wie er. Ah...

Ich hörte ihn ächzen und sich vom Boden erheben. Einen Augenblick Stille; er schien wie ich seine Umgebung wahrzunehmen. Dann hörte ich wie er sein Gesicht in den Händen vergrub und dabei ausatmete.

”Mogami-san?”

Ich zuckte mal wieder zusammen, wagte es aber nicht, ihn anzusehen.

”Mogami-san!”

Nein, nein, nein, geh weg, lass mich in Ruhe! Aaaahhh...

Eine sanfte Berührung an meinem Arm und mir wurde Angst und Bange.

Was erwartete er jetzt von mir? Wie wertete er den gestrigen Abend?

Mit meinem Ausatmen entfleuchte auch ein ängstliches Schluchzen. Neeein!!!

Ich hörte wie er sich neben mich setzte und beruhigend sagte ”Mogami-san...”

Stockend tauchte mein Gesicht aus der Versenkung auf und sah auf seinen Hals. Weiter hoch wagte ich es nicht.

”Ich kann verstehen, wenn dich diese ganze Entführung sehr mitnimmt,...”

Wie bitte? Er DACHTE nicht mal an diese Sache gestern Abend?? Verdutzt musterte ich jetzt auch sein Gesicht. Er lächelte nachsichig und sanft. Keine Spur von Anklage.

Eine unangenehme Spannung in mir löste sich.

”Es tut mir Leid...”, flüsterte ich atemlos.

”Dir hat nichts Leid zu tun. Es ist okay. Fühlst du dich in der Lage, aufzustehen?”

”Ja... -Tsuruga-san wir stehen irgendwo an einer Lichtung und diese Männer sind weg!!”, brach es hastig aus mir hervor. Ich wollte irgendetwas nützliches beisteuern.

Sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. Er erhob sich und spähte genauso durch die Gitterstäbe, wie ich es zuvor getan hatte.

”Verdammt, was haben die bloß vor?”, er sah mich an: ”Wie geht es Momose-san?”

”Sie schläft. Die Verletzung an ihrem Arm scheint nicht lebensbedrohlich zu sein, könnte es aber sicherlich bald werden, wenn sie nicht behandelt wird!”

Er nickte und besah sich ihren Arm: ”Du hast Recht...”

Sorgfältig deckte er sie zu und strich ihr sanft über die schweißnasse Stirn.

Huh?

Soetwas hatte ich noch nie gesehen.

Da lag etwas fürsorgliches in seinem Blick.

Ich fühlte mich irgendwie sehr fehl am Platz.

Er überprüfte vorsichtig ihren Puls am Hals und am Handgelenk. Seine Berührungen waren so sachte als läge vor ihm eine Porzellanpuppe.

Hallo, ich bin's wieder, das Gefühl in deinem Bauch von vorhin. Na,wie sieht's aus?

Im Zusammenhang mit dieser liebevollen Fürsorglichkeit von ihm gegenüber Momose-san kroch auf einmal eine befremdliche Traurigkeit und Einsamkeit in mir auf und der Wunsch, mich von den beiden zu distanzieren...

Ich hätte nie vermu... ich meine nicht, dass es mir was ausmacht, aber mir war vorher niemals aufgefallen... , dass Tsuruga-san Momose-san offenbar genauso mochte... , wie sie ihn.

Das ist... t... toll.

Ich meine, wer... würde jemals besser zusammen passen?

Also ich, das Bauchgefühl, sage, sie passen nicht wirklich zueinander.

Wer bist du lächerliches Bauchgefühl eigentlich? Verschwinde!!

Es verschwand.

Zurück blieb nur der Wunsch, mich in meiner Ecke zu verstecken... und eine große, alles umfassende Bitterkeit auf der Zunge.

Ich beobachtete verstohlen, wie er sich neben ihr niederließ wie ein Wächter neben einer schlafenden Prinzessin. So sah die Wirklichkeit aus. Momose-san war eine Prinzessin, nicht ich. Sie war wunderschön; sie bekam ihren Prinzen; sie war schutzbedürftig und zierlich; sie wurde von allen geliebt.

Ich nicht.

Er bemerkte meinen Blick; rasch wandte ich mich ab, um die Tränen in meinen Augen zu verbergen.

Verbergen? Eine Erinnerung kroch in mir hoch...

~Flashback~
 

”Ich n-n-ein ich hab kein bisschen was zu- nicht im g-geringsten zu bervergen!”

”Du meinst >verbergen<?”

”J-ja!”

Er kicherte und richtete sich auf.
 

~Flashback Ende~
 

Eine Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange hinab und fiel...

... fiel in die dunkle Tiefe voller Ungewissheit, bis sie auf den Boden traf und zerschellte.

Mir würde es genauso wie ihr ergehen.

Warum berührte mich das verdammt noch mal so? Konnte mir doch egal sein?

Egal!!! Völlig egal!! Es ist mir VERFLUCHT NOCH MAL EGAL!!!

Es musste wahrscheinlich IRGENDWIE damit zusammenhängen, dass ich angefangen hatte, soetwas wie einen entfernten guten Freund in ihm zu sehen...

Doch seine gesamte Aufmerksamkeit galt jemand anderem.

Ich hatte denselben Fehler wieder begangen, wie mit Shotaro.

Das durfte niemals wieder passieren.

Ich hatte es doch hier direkt vor Augen!

Liebe war unnütz, verletzend und etwas, für das in meinem Leben kein Platz war.

Nicht mal inform einer zaghaften, aufkeimenden Freundschaft mit einem Mann.

Weitere Tränen folgten der ersten.

Ich durfte nie wieder jemandem vertrauen.

Es war ein Fehler gewesen, mich ihm zu öffnen.
 

Lange saßen wir schweigend da und warteten, dass etwas geschah. Ich hatte versucht, die Laderaumtüren zu öffnen, friedlich und später gewaltsam, aber die waren gesichert. Ich machte mir Sorgen um Mogami-san. Seit heute morgen hatte sie so etwas abweisendes an sich. Ich wäre am liebsten zu ihr gegangen und hätte sie umarmt, aber ich musste mich um Momose-san kümmern. Das legte mir mein Verantwortungsgefühl auf. Ihre Wunde konnte ich nicht behandeln und so tupfte ich nur behutsam den Schweiß von ihrer Stirn und beobachtete, ob irgendetwas ungewöhnliches mit ihr geschah. Dieses Nichts-tun machte mich verrückt. Sollten wir hier rumhocken und zusehen, wie Momose-san starb??!

Das konnte ich nicht zulassen.

Gerade erhob ich mich und wollte noch einmal versuchen, mich gegen die Türen zu werfen, als ich mitten in der Bewegung stockte.

Von draußen ertönten gedämpfte Stimmen, die sich in unsere Richtung zu bewegen schienen. Angestrengt lauschte ich: ”NEIN, VERDAMMT NOCH MAL, DU TROTTEL!!! Bin ich denn nur von Idioten umgeben?? Auf der höhsten Etage ist man sehr erbost über unseren Fehler! Wir können uns keine weiteren leisten!! Und genau genommen haben wir das DIR zu verdanken!!”

”WAAS?? MIR? Das ist doch wohl-”

”DU hast das Mädchen angeschossen!! Wir sollten die Zielobjekte unbeschädigt abliefern!!Was machen wir, wenn sie uns auf der Fahrt verreckt?? Wir können es uns nicht leisten, weitere Aufmerksamkeit zu erregen; überall wimmelt es nur so von Bullen!! Die warten nur darauf, dass wir einen Fehler machen und ohne die Geiseln hätten sie uns doch schon längst hops genommen!!!”

”Aber Boss! Du hast doch gesagt ich soll-”

”ICH HABE GESAGT?? Ich habe gesagt, du sollst machen, dass es aufhört, nicht die Zielobjekte abknallen!!”

”Aber-”

”Wir versuchen jetzt, mit ihr durchzukommen und wenn das nicht hinhaut, müssen wir uns was Neues einfallen lassen! Man hat uns laut Order B ein Privatjet auf einen kleinen Flughafen unweit von hier geschickt. Wenn wir es bis dahin unbehelligt schaffen, sind wir aus dem Schneider!!”

Die Stimmen schienen direkt vor dem Auto angekommen zu sein. Ein kurzes Klackern. Dann wurde die Tür aufgerissen und grelles Tageslicht strömte jäh in den kleinen Raum.

”Na wie geht es denn unserem Adonis und seinen zwei kleinen Grazien?”, höhnte der blasse Mann.

”Was wollen Sie von uns? Lassen Sie uns frei! Sie sehen doch, Momose-san braucht einen Arzt!!”, sagte ich bemüht ruhig und blickte den Mann hasserfüllt an.

”Das hättest du wohl gerne, aber die Spielregeln hier bestimme ICH, Ren-kun! Und ICH sage, ihr macht jetzt keine Zicken, bis wir unser Ziel erreicht haben. Dort wird man sich um alles kümmern.”

”Was soll das heißen, ”Sich um alles kümmern”? Was habt ihr mit uns vor?”

”Keine Ahnung, der Befehl kam von ganz oben! Weiß ich, was für brillante Pläne mein Boss verfolgt? Im übrigen glaube ich, dass es für dich nichts erfreuliches sein wird!”; er kicherte: ”Für die Mädchen wird es sicherlich auch nicht erfreulich; ich könnte mir allerdings vorstellen, dass sich andere Männer AN ihnen erfreuen werden...”

”DU MIESER, KLEINER-”

”Ah ah, du vergisst, der mit der Pistole bin hier auch ICH. Also setz dich wieder hin, oder willst du, dass deine andere Freundin dasselbe Schicksal ereilt, wie die da?”; er deutete von Momose-san auf Mogami-san.

Instinktiv versperrte ich die Schussbahn auf sie.

”Hahaha, ich hatte auch nichts anderes von dir erwartet... HIER! Nimm damit Vorlieb!”

Er warf etwas auf die Holzplanken und schloss die Tür wieder.

Der kurze Kontakt mit dem Tagslicht hatte in mir neue Kräfte moblisiert. Ich dachte nach. Dieser Typ schien etwas mit uns vor zu haben und bis dahin durfte er uns keinen weiteren Schaden zufügen; wir waren also fürs erste sicher. Als er eben Mogami-san bedroht hatte, war das dann nur ein Bluff gewesen??! Aber ich konnte es einfach nicht riskieren, dass er ihr etwas antat. Nicht IHR...!

Sie hatte sich während des Gespräches mit den Männern nicht gerührt, sondern weiter in ihrer zusammengekauerten Pose verharrt, sich nicht mal geregt, als er sie bedroht hatte.

Ich hockte mich neben sie und tippte leicht an ihren Arm...

”Mogami-san, was fehlt dir? Ich seh doch, dass etwas nicht stimmt. Ist es wegen gestern Abend?”

Erst dachte ich, sie würde gar nicht reagieren, doch dann hob sie den Kopf.

Ich zuckte leicht zurück, als ich ihr Gesicht sah.

”Tsuruga-san, Sie brauchen das nicht für mich zu tun.”

In ihren Augen lag der Ausdruck derer, die aufgegeben haben. Kalte, nackte Hoffnungslosigkeit.

”Was nicht für dich tun?”

”Sich vor mich stellen. Haben Sie doch eben getan, oder? Das müssen Sie nicht. Solch eine Schuld kann ich Ihnen nicht zurückzahlen. Ich habe gelernt, alleine auszukommen, also bitte kümmern Sie sich lieber um... Momose-san.”

Ich war sprachlos. Mir fiel nichts ein, was ich darauf hätte erwidern können. Das war schlicht und einfach unfassbar.

”Mogami-san, was hast du? Ich möchte dir helfen. Du bist mir nichts schuldig!”

”Es tut mir leid, dass ich keine größere Hilfe für Sie bin...”, in ihre Stimme schlich sich ein leicht leiernder Ton, als ob sie mit aller Kraft versuchte, nicht zu weinen, ”Dass Momose-san verletzt ist, wird Sie sicherlich sehr mitnehmen; es ist meine Schuld und darum muss ich mich bei Ihnen entschuldigen! Ich werde Sie nicht mehr behelligen, ich versprech's.”

Das passte nur alles gar nicht zusammen. Warum entschuldigte sie sich bei MIR, dass Momose-san verletzt war?? Auf welche Art und Weise machte sie das mir gegenüber schuldig??

”Nun hör aber auf. Ich habe doch gesagt, dass es mir nichts ausmacht, dir beizustehen! Hörst du? Ich WILL dir beistehen! Ich werde solange nicht von deiner Seite weichen, bis alles verloren ist! Und im Übrigen, kann ich es ganz und gar nicht haben, wenn du dort in deinem Eckchen hockst und in Selbstmitleid versinkst! Was ist aus dem penetranten Stehaufmännchen Mogami-san geworden? Wirft dich soetwas wie gestern abend bereits aus der Bahn? Du enttäuschst mich. Ich hatte tatsächlich gedacht, du wärst aus härterem Holz geschnitzt!”

Mit diesen Worten wandte ich mich von ihr ab.

Ich hatte sie absichtlich beleidigt und provoziert.

Es war zwar ein großes Wagnis gewesen und ich hatte nicht grob zu ihr sein wollen, aber ich glaubte, dass dies die beste Strategie wäre, um ihr wieder Leben einzuhauchen. Ich wusste, dass sie einer Sache umso mehr Kampfgeist beisteuerte, umso größer die Abneigung war. Und genau auf diese Eigenart Mogami-sans hatte meine kleine Rede gezielt. Ich wollte eine Trotzhaltung provozieren, um sie aus ihrer modrigen Verzweiflung herauszuholen.

Hoffentlich hatte ich damit nicht das Gegenteil bewirkt und sie verletzt oder dergleichen. Das wäre fatal.

Plötzlich spürte ich einen festen Griff an meinem Handgelenk und blickte mich um.

Mogami-sans Gesicht tauchte direkt neben mir auf, den alten Ausdruck wilder Entschlossenheit verkündend. Erleichterung durchflutete mich bis zur letzten Kapillare.

”Tsuruga-san, was kann ich tun?”

SIE WAR WIEDER DA.

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Dat wars... ich hoffe ich habe niemanden enttäuscht, da die Spannung ja groß war, WER die bösen Männer da waren und was sie wollten, aber ein bisschen Ren+Kyoko muss auch mal sein... net wahr?

Im nächsten Kap gibt’s eine Überraschung!! *hehe*

Dödü...

Und Jene, die zurückgeblieben sind...

Hahaha, mit meinen Andeutungen letztes mal scheine ich ja die wildesten Spekulationen ausgelöst zu haben! Und hier wie versprochen, das Dankeschön:
 

@AMJH: Herz-Kreislauf-Probleme? Tatsächlich? Ups... Aber komm mir jetzt ja nicht auf die Idee, mir deine Artztrechnungen zuzuschicken; dafür übanehm ich nämlich keine Haftung :p

Aber freut mich, wenn ich dich mit meiner Story fesseln kann^^

@Mina-nee-san: Jaja, hast ja von mir schon ne Gardinenpredigt bekommen, wie man sich im andächtigen Kommi-Bereich benimmt, du kleines Teufel du^^ *knuddel* Und keine Panik, die wahre Dramatik baut sich in der Story ja erst allmählich auf!

@Mimo-Miezi: Hihi, deine Nerven scheinen ziemlich empfindlich zu sein, was? Bist ja auch die kleine, süße Mimo... Sorry, dass ich bei deiner Fanfic nit hinterherkomme, bin grad voll im Stress... aba wenn ich wieder Zeit habe, geb ich dir gaaaaaaaaaaaaaanz viele Kommis^^

@gacktxx: Nu joa, ein bissl Eifersucht, Irren und Wirren macht ja eine Liebesgeschichte interessant, nit wahr? Aber hast schon Recht, ist immer unangenehm, wenn sich die Charas so traurig fühlen... Meine Andeutungen... *ngehihihi*...die hab ich doch mit Absicht gemacht, um euch ins Schwitzen zu bringen^^ * kleine sadistin sei*

@sweety: Ich weiß, dass ich fies bin! *Mr.Burns Lache*... aber deine Kommis sind echt immer soooo süß, man merkt richtig, dass du das Chap genau gelesen hast... und die Kyoko+Ren-Szenen sind ja auch der Schokokuchen der ganzen Story!^^

@Gribomo: Hihi, danke... ich wollte mal was Neues ausprobieren... Ich-Perspektive benutzen ja viele nicht so gern... aber wenn man dann solche enthusiastischen Kommis liest, denkt man: „Yo... setz ich mich ran und schreib weiter, oder was...“^^ Ich werde sie nicht mehr so lange leiden lassen, ich versprech’s... v.v°

@ren_tsuruga: Hübscher Name^^ Dein Kommi wirkte leicht hyperaktiv, vielleicht solltest du es mit weniger Koffein versuchen^^? Nein, lass dich von mir nicht ärgern, bin sowieso nur neidisch, weil ich selbst das Temerament einer Schnecke im Rentneralter habe...

@Tsukasa: Natürlich muss Ren sich vor Kyoko stellen! Ein wahrer Zorromaster macht das... *Zorrofan* Du fieberst mit der kleinen Kyoko mit? Gut so! In der schweren Zeit braucht sie Unterstützung!^^

Und jetzt auf, zu Kapitel 5!

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Chapitre cinq: Und Jene, die zurückgeblieben sind...
 

Mogami-san hob das Päckchen, dass der Rattenmann hineingeworfen hatte, in ihre Hände und besah es sich im kargen Licht.

”Das... ist... Verbandszeug...aaaaaah!”

Das Auto war jäh unter unseren Füßen zum Leben erwacht und angefahren, weshalb sie den Halt verloren hatte und fiel.

Ich fing sie auf halbem Weg zum Boden auf. Doch ihre Reaktion darauf war mehr als seltsam.

Als hätte sie ein elektrischer Schlag getroffen, zuckte sie heftig bei meiner Berührung zusammen und wich hastig zurück. Ich war ratlos, was das bedeuten sollte. Ihre Entschlusskraft und Power schien zwar wieder da zu sein, dennoch hatte sie immernoch diese abweisende oder gar unnahbare Aura. Das besorgte mich ja doch irgendwie...

Mittlerweile hatte sie Momose-sans Arm fachgerecht verbunden, dass die Blutung gestoppt war und er weitgehend vor Infektion geschützt war. Mehr konnten wir im Augenblick tatsächlich nicht tun. So warteten wir. Mogami-san mied meinen Blick und starrte stur auf den Boden. Was soll man da machen? Ich beschloss, ihr ihre Ruhe zu lassen. Vielleicht löste sich dieses Problem ja nach einer Weile von selbst.

Wir fuhren und fuhren; ich verlor jegliches Zeitgefühl. Ich hätte nur noch meine Atemzüge zählen können, um wenigstens irgendeinen Richtwert zu haben und mit fortschreitender Zeit wuchs auch meine Nervosität. Das konnten die doch nicht machen? Momose-san GING ES SCHLECHT!!! Seufz...

21, 22, 23, einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen... Meine Gedanken dünkelten im Strom zwischen nüchternem Auf-den-Boden-starren, abstrakten Verschwörungstheorien und sehnsüchtigen Ausmalungen, was ich hätte tun können, wenn ich jetzt nicht in diesem Auto säße...
 

Unsere Perspektive verändert sich etwas. Wir nehmen Abstand von Tsuruga-sans oder Mogami-sans Gedankenwelt und steigen ungeachtet der Decke des Autos auf, in den feuchtkalten Himmel. Regen kündigt sich an. Wir können jetzt von oben auf den Gefangenentransporter blicken, in dem die drei Künstler unfreiwillig sitzen und vor sich hin leiden. Gleich dahinter fährt der PKW, in dem Moki-kun und sein Komplize sitzen. Die beiden Fahrzeuge schlängeln sich über eine einsame Landstraße. Es fängt bereits an, zu dämmern.

Die Lokalität verschwimmt und manifestiert sich neu. Wir befinden uns nun wieder in Tokio, genauer gesagt in der Eingangshalle von LME. Es ist viel los hier. Tausende Reporter bevölkern den Vorplatz der Agentur. Polizisten scharen sich im und um das Gebäude, Angestellte hasten ängstlich und nervös an den Empfangsdamen vorbei, die jeglichen Überblick verloren zu haben scheinen. Gerade drückt sich ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren unbemerkt durch den Hintereingang, den eigentlich nur Stars benutzen dürfen. Sie sieht sehr mitgenommen aus...
 

Kanae Kotonami hatte geweint.

Das war etwas sehr außergewöhnliches. Sie hatte seit vielen Jahren nicht mehr geweint; das lag weit in ihrer Kindheit zurück und sie wusste nicht mal mehr was der Grund gewesen war. Es war fast ein Jahrzehnt seitdem vergangen. Und doch war deutlich zu erkennen, dass ihre Augen jetzt gerötet waren, ihr Make-up nicht so tadellos saß, wie sonst immer und ihr langes, seidiges Haar ungekämmt und zerzaust wirkte. Zielsicher steuerte sie durch die Menschenmenge auf die Treppe zu, denn an den Aufzug war jetzt nicht zu denken, bei den Massen. Ihre Gedanken rasten. Sie hatte nachmittags den Fernseher eingeschaltet und die Nachrichten angesehen. Die ganze Nation sei in Aufruhr, so hieß es, denn eine haarsträubende Katastrophe habe sich zugetragen. Leicht gelangweilt hatte sie den Kopf gewandt und der Sprecherin mit dem Zahnpastalächeln ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Zehn Minuten später waren sie plötzlich da.

Die Tränen. Und mit ihnen die Angst, Unsicherheit, Panik und eine ungeahnte Traurigkeit. Weitere zehn Minuten hatte sie damit verbracht, wie ein Stein dazusitzen und die heißen, ungebetenen Tropfen über ihre Wangen laufen zu spüren, gelähmt zu sein. Dann war sie ruckartig aufgestanden, hatte irgendeine Tasche geschnappt, beinahe noch den Wohnungsschlüssel vergessen und war mit der S-Bahn auf dem kürzesten Wege hierher gefahren. Nicht mal eine Fahrkarte hatte sie gelöst. Und nun, im Treppenhaus von LME, zwang sie sich, das Seitenstechen zu ignorieren und fasste den Korridor im obersten Stock ins Auge. Sie konnte bereits lautes Geplapper hören, offensichtlich war dieser Korridor voller Menschen. Doch sie ließ sich davon keineswegs entmutigen. Im Gegenteil, ich gebe nicht eher auf, bis ich weiß wo sie ist, dachte sie und trat heftig gegen die Tür zum Korridor. Diese schwang mit einem lauten Krachen auf und sämtliche Köpfe wandten sich zu ihr um. Ohne eine Spur von Verlegenheit, bahnte sie sich eine Schneise durch die zahlreichen Menschen und machte erst vor der Bürotür des Präsidenten halt. Sie klopfte heftig gegen die Tür.

Keine Reaktion.

”He! Stellen Sie sich gefälligst hinten an, wir warten hier schon seit geschlagenen 6 Stunden!!”, maulte ein untersetzter Herr, der in seinem Nadelstreifenanzug sehr klobig wirkte und schwitzte. ”Ach halt's Maul!!”, schnautzte sie zurück, stieß die Tür auf, trat ein, und warf sie wieder zu. Draußen starrte der Mann entsetzt auf die Tür und sank dann seufzend in sich zusammen.

Als das Mädchen hereingestürmt war, hatten sich ihr zahlreiche erschrockene Mienen zugewandt. Sie erkannte den Präsidenten. Er wirkte wie ein verblasstes Foto. Dunkle Schatten umrandeten seine Augen und seine sonst so perfekt sitzenden Haare wirkten stumpf und leblos. Die anderen Männer kannte sie nicht. Jetzt wo sie hier so unhöflich reingeplatzt war, beschlich sie doch ein leichtes Unbehagen und sie schrumpfte ein Stück zusammen.

”Ich hatte doch gesagt, ich wolle unter keinen Umständen gestö- oooh!”

Der Präsident hatte sich genervt umgedreht und dann plötzlich abgebrochen, als er sie erkannt hatte.

”Verzeihen Sie vielmals die Störung”, sagte Kanae und verbeugte sich so tief, wie es sonst nur Kyoko tat. Ihr Herz zog sich zusammen bei diesem Gedanken.

”Ja ja ich kann mir schon denken, worum es geht. Du möchtest sicher wissen, wo deine Love-me-Kollegin ist, nicht wahr, Kotonami-kun?”, fragte der Präsident freundlich und er tat ihr sogleich Leid, da er trotz seiner Übernächtigung immer noch ein Lächeln zustande brachte.

”Setz dich doch”, sagte er und deutete auf einen freien Stuhl neben einem blonden Mann mit einer Brille.

Etwas verlegen setzte sie sich.

”Wie ich bereits sagte, es ist schier unmöglich diesen Sektor zu durchkämmen und eine Genehmigung dazu werden wir auch nicht bekommen!”, kam es von einem großen, grauhaarigen Mann mit scharfen Zügen, der einen genervten Seitenblick auf Kanae warf. ”Takarada-san, diese Pläne unterliegen strengster Geheimhaltung; ich kann nicht erlauben, dass dieses Mädchen ihnen beiwohnt”, ergänzte er mit barschem Unterton und sah streng zum Präsidenten herüber. ”Verstehe...ähm tut mir Leid Kotonami-kun, aber du hast es ja gehört. Yashiro-kun, könntest du dich bitte um sie kümmern?”, sagte der Präsident mit entschuldigendem Blick und wandte sich dem blonden Mann mit der Brille zu, der neben Kanae gesessen hatte. Der schwieg einen Moment und murmelte dann: ”Wie Sie wollen, Takarada-san... ” Anschließend erhob er sich und führte sie zur Tür.

Auf dem Korridor schwoll der Lärmpegel wieder drastisch an, sodass sie sich die Ohren zuhielt.

Nach einigen Minuten des Gehens wurde es ein wenig leiser.

”Nervig, nicht?”, sagte der junge Mann namens Yashiro und lächelte sie an. Auch er wirkte sehr abgehetzt.

”Ja... ”, murmelte sie und fragte sich wohl zum hundertsten mal traurig, was wohl mit Kyoko geschehen war.

”Sollen wir uns dahin setzen?”, bot er an und deutete auf die Caféteria der Agentur. Er schritt voran und sie folgte ihm. Schweigend nahmen sie gegenüberliegende Plätze an einem kleinen Tisch am Rand ein; einer der wenigen, die nicht besetzt waren. Die Bedienung kam und notierte sich ihre Wünsche; beide einen Café; dann hetzte sie zum nächsten Tisch. Alle Leute in ihrer Umgebung sahen abgespannt aus.

”So... du bist also die andere Love-me-Praktikantin neben Kyoko-chan... Ich wollte schon immer mal wissen, wer das ist...”, sagte der Mann names Yashiro un lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

”Ja... ehm... und Sie sind... ?”

”Oh! Entschuldigung, mein Name ist Yashiro. Ich bin im Management tätig und betreue Ren Tsuruga.”

”Ach Sie sind sein Manager, deshalb kennen sie Kyoko...” Sie wandte den Blick ab, um zu verbergen, dass ihre Augen schon wieder verschwammen. Was war hier los? Sie verstand die Welt nicht mehr. Seit wann war sie so eine Heulsuse geworden? Sie, Kanae Kotonami!?

Yashiro, dem das Verhalten des Mädchens nicht entgangen war, überlegte was er tun konnte.

”Nicht besonders symphatisch, dieser Watanabe-san, nicht wahr?”, fragte er und bezweckte damit eine Ablenkung.

”Entschuldigung, wer bitte?”

”Watanabe-san, der Hauptkomissar von Tokio; der mit den grauen Haaren und der abweisenden Art. Er hat uns einfach aus der Sitzung geschmissen. Der Präsident ist sehr auf ihn angewiesen, deshalb hat er uns auch rausgeschickt.”

”Sicher haben Sie Recht.”

Schweigen.

”Kann ich irgendetwas tun?”, fragte Yashiro, denn er ertrug diese deprimierte Stille einfach nicht.

”Was ist mit Kyoko? Wo ist sie? Was ist gestern abend geschehen?? Geben Sie mir Antworten! Bevor ich in diesem Meer aus Fragen ertrinke!”, platzte es gequält aus ihr heraus.

Yashiro musterte sie. Dieses Gesicht spiegelte genau die Gefühle wider, die auch er seit der Premiere bekämpfte.

”Also gut... ich erzähle dir alles, was ich weiß...”, er seuftze matt und nahm seinen Café an. Dann lächelte er müde und begann, zu berichten, wie sich alles zugetragen hatte...
 

Als er geendet hatte, schwieg das Mädchen und betrachtete die anderen Gäste in der Caféteria. An ihrem Tisch rannten zwei kleine Jungen vorbei. Einer berichtete dem anderen ganz aufgeregt, dass er eine besonders große Spinne entdeckt hatte. Offensichtlich begeistert folgte der andere ihm. Sie sah den Kindern, deren Lachen allmählich verklang, nach und schwieg.

”Sie waren dabei... wissen die im Büro vom Präsidenten, wo sie jetzt ist?”

”Nun ja... nicht wirklich. Das was ich jedenfalls mitbekommen habe, hörte sich ziemlich spekulativ an.”

Daraufhin blickte sie wieder verunsichert und traurig drein. Es tat ihm Leid.

”Aber vielleicht wollten sie diese Pläne auch einfach nicht vor mir ausbreiten. Mich wollten sie nämlich auch schon die ganze Zeit loswerden”, lächelte er genervt.

Fragend sah er sie an, denn sie hatte sich plötzlich wieder aufgerichtet.

”Wissen Sie... irgendwie kann ich hier nicht einfach rumsitzen. Ich muss irgendetwas tun, um Kyoko-chan zu helfen!”

”Aber was soll das sein? Hier sitzen immerhin diejenigen Personen im Büro des Präsidenten, die die besten Möglichkeiten haben, die drei da rauszuholen! Was kann jemand wie du da tun?!”

Ungläubig starrte sie ihn an: ”Jemand wie ICH?? Ich würde eher sagen jemand wie WIR!”

”Äh- ... wie jetzt?”

”Hören Sie, wenn die in dem Büro oben uns nicht zuhören, was hundertprozentig der Fall sein wird, wenn ich an diesen Watanabe-san denke, dann machen wir das auf eigene Faust! Sie kennen Tsuruga-san wohl am besten von allen. Ich brauche Sie jetzt!”

Ungläubig betrachtete der Manager die angehende Jung-Schauspielerin, die unbeirrt fortfuhr: ”Lassen Sie es mich einmal so ausdrücken... Hat Watanabe-san oder irgendeiner dieser Männer Sie über Tsuruga-san’s Vergangenheit oder so befragt?”

”Gh... nein!”

”Sehen Sie! Die ziehen nicht alle Möglichkeiten in Betracht! Die glauben sicherlich, wir wären naive Amateure! Dabei könnte die ganze Geschichte doch tatsächlich mit einem der drei zusammenhängen! Wer sagt denn, dass es nur damit zu tun hatte, dass sie berühmt waren?”

Der Groschen fiel.

”Du meinst, es wäre möglicherweise eine persönliche Sache, sowas wie Rache zum Beispiel, und hatte nichts damit zu tun, dass sie berühmte Schauspieler sind?”

”Ganz genau! Ich sag ja nicht, dass wir die Ermittlungen der Herren Kommissare untergraben sollen, aber was für Freunde wären wir, wenn wir nicht zumindest alles tun würden, wozu wir in der Lage sind!!?”

Er dachte über ihre Worte nach.

”Hm... vielleicht hast du Recht. Wir sollten versuchen, alles über die drei in Erfahrung zu bringen, was wir finden können!”

Er musste zugeben, er fühlte sich unwillkürlich besser bei dem Gedanken endlich auch etwas unternehmen zu können und nicht nur als ”geduldeter” Zuhörer diesen schleppenden Versammlungen im Büro des Präsidenten beizuwohnen.

”Ich frage mich, ob wir etwas im Archiv von LME finden können...”

Alarmiert sah Yashiro auf: ”Nicht so laut, Kotonami-san! Ich glaube nicht, dass wir das hier so herumposaunen sollten. Der Präsident wird es nicht erlauben weil ihm erstens die Privatsphäre seiner Schützlinge über alles geht und er zweitens diese Informationen sowieso nicht für relevant hält!”

”Tut mir Leid. Wir müssen das Ganze also heimlich machen?”

”Mir ist zwar nicht wohl bei dem Gedanken, aber... ja, notgedrungen schon.”

Sie schwiegen und taktierten einander. Es war schon etwas merkwürdig. Sie waren sich völlig fremd, hatten vor diesem Treffen nichts von der Existenz des jeweils anderen wahrgenommen... Und plötzlich waren sie Verbündete. Das sorgte für Unsicherheit.

Sie mussten sich aus heiterem Himmel auf eine wildfremde Person verlassen.

Er räusperte sich.

”Ähm... wollen wir gehen?”

”Ja, aber wo sollen wir anfangen? Es gibt soviel zu tun!!”

Ihr wurde in diesem Augenblick erst das volle Ausmaß an Arbeit klar, das diese Unternehmung erfordern würde.

”Tja... ich würde sagen bei den Basics. Wir suchen uns ein ruhiges Büro und tragen erstmal alles an Wissen zusammen, das uns jetzt einfällt. Danach müssen müssen wir mit dem Präsidenten reden... wir sollten es zumindest versuchen.”

Sie sagte erst nichts darauf, sondern blickte ihn nur an.

”Man merkt, dass Sie Manager sind.”

Verdutzt gab er den Blick zurück. ”Tatsächlich? Nun ja... ich... –Danke!” Ihm fiel nichts besseres ein, das er hätte darauf sagen können. Seine Mundwinkel zuckten unsicher nach oben.

Kanae kramte in ihrer Tasche nach der Geldbörse. ”Mist. Ich hab das Geld in der anderen Tasche.” Fragend und verlegen wanderte ihr Blick zu ihm.

Er seufzte: ”Ja ja... -aber dass wir uns verstehen- das wird nicht zur Gewohnheit, ja?”

”Natürlich nicht.”

Schmunzelnd erhoben sie sich und hinterließen ein anerkennendes Trinkgeld für die vor Stress verzweifelnde Kellnerin.
 

Erneuter Ortwechsel. Wiederum verschwimmt die Location vor unseren Augen und manifestiert sich neu. Statt der Caféteria von LME erkennen wir ein Krankenhaus. Unser Sichtfeld beginnt in der Eingangshalle und schwenkt dann rasend schnell weiter. Geradeaus, in den Aufzug, 4. Stock, drei Korridore links und stop. Wir stehen vor einer Tür, die sich allein vom Aussehen in keinster Weise von den anderen unterscheidet. Uns interessiert aber nicht diese Tür, sondern was sich dahinter abspielt. Deswegen gehen wir einfach durch sie hindurch und bleiben in der Mitte des Krankenzimmers stehen. Sho Fuwa liegt auf einem Bett. Sein Bein, bandagiert und in Gips, ist in einer Hängevorrichtung befestigt. Er scheint dafür, dass er im Krankenhaus liegt, ziemlich fit zu sein und diskutiert mit seiner Managerin Shoko und zwei anderen Männern.
 

”NEIN! Wie oft denn noch? Ich will hier raus! So schnell wie möglich! Besorgen Sie mir ein paar Krücken, wenns nötig ist, oder was weiß ich... !!!”

”Sho, du solltest dich schonen. Bleib wenigstens noch zwei Tage hier. Du kannst von Glück sagen, dass diese Schussverletzung überhaupt so glimpfliche Folgen hatte!!”

Shoko hasste es. Da musste man ihn zu seinem Glück zwingen und wurde zum Dank noch angeschrien. Sicher hatte ihm die ganze Sache auf der Premiere übel mitgespielt und ihr war vollkommen klar, dass seine Gedanken jenes Theater nicht verlassen hatten, seit er das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Doch was brachte es, sich aus dem Bett zu quälen, hinkend in die Welt hinauszustürzen, die wohlgemerkt sowieso schon in Aufruhr war, und das Unmögliche zu versuchen.

”Das Unmögliche” war in diesem Falle, Kyoko-chan zu erreichen, ihr zu helfen oder sie zu befreien, wie gesagt... unmöglich.

Doch er wusste nicht, was sich seit der Premiere in Japan abgespielt hatte. Für die Medien war eine solche Entführung wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen. In allen Einzelheiten wurde der Abend ausgeschlachtet, Augenzeugen schockierten die Öffentlichkeit mit ständig neuen entsetzlichen Einzelheiten, abstruse Verschwörungstheorien wurden zum Besten gegeben und natürlich wurde die ganze Sache auch bis über die Reizschwelle ausgeschmückt und aufgebauscht.

Sie wusste, dass die Zeit für Sho noch nicht reif war und sie würde ihn mit allen Mitteln davon abhalten, dieses Bett vorzeitig zu verlassen.

Zumal ihm nicht bewusst zu sein schien, dass seine Rolle keineswegs ausgelassen worden war. Sho Fuwa, der selbstlose Beschützer wurde er genannt und wilde Spekulationen über seine Beziehnung zu Kyoko-chan machten in den Zeitungen die Runde. Er hatte noch nicht ferngesehen und sie dankte Gott, dass ihm vom Arzt strikte Bettruhe verschrieben worden war. Es würde schon so ein großer Schock für ihn werden.

Sie blickte den Präsidenten von Akatoki an. Dieser blickte fragend zurück.

”Sho. Ich verstehe vollkommen, dass du aufgewühlt bist, aber-”

”AUFGEWÜHLT??? ICH??? Shoko-chan,,wo denkst du hin?? Ich wurde zwar nur angeschossen und Kyoko vor meinen Augen entführt, aber WARUM IN ALLER WELT SOLLTE MICH DAS AUFWÜHLEN??!! Ist doch nicht so schlimm!! Am besten du behälst mich noch 3 Monate mehr in diesem elenden Bett in diesem stinkendem Zimmer UND LÄSST MICH HIER VERROTTEN!!”

”Du brauchst nicht gleich sarkastisch zu werden”, sagte sie mit brüchiger Stimme und während sie sprach stiegen ihr Tränen in die Augen. Es ist doch nur zu deinem Besten!

Er bemerkte ihren Gesichtsausdruck und ließ sich schwer atmend zurück in die Kissen sinken.

”Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, Sho”, sprach sie tapfer weiter.

”Du weißt ja gar nicht was da draußen los ist. Ich möchte, dass du mental auf alles vorbereitet bist, und das geht nun einmal nicht, wenn du deine sowieso schon viel zu kurze Erholungsphase auch noch abbrichst! Verstehst du? Es geht nicht nur um dein Bein. Vertrau mir Sho, bitte. Nur noch 2 Tage; ich bitte dich lediglich um 2 Tage.”

Es war offensichtlich, dass er mit sich rang. Dann blickte er zur Seite, aus dem Fenster und sagte matt: ”Ich hasse das.”

Sie nahm es als Zustimmung und atmete erleichtert auf. Dann nickte sie dem Präsidenten zu, worauf dieser sich eilends von Sho verabschiedete und, gefolgt von seinem verlegen dreinblickenden Assistenten, das Zimmer verließ.

Nun waren sie nur noch zu zweit.

”Hast du noch irgendeinen Wunsch, Sho?”

”Ja. Ich will einen Fernseher.”

Sie hatte es erwartet. Und obwohl sie es nicht guthieß, stand sie seufzend auf und machte sich auf den Weg, um einen zu besorgen. Sie konnte es ihm schließlich nicht ewig vorenthalten.

Sho verblieb allein im Zimmer.

Von dem Moment an, ab dem seine Managerin den Raum verlassen hatte, war eine Fassade von seinem Gesicht gebröckelt. Nicht mehr der trotzige, sich aufregende Sho saß dort in seinem Bett, sondern einer, dem man es deutlich ansah, dass er sich quälte und von sämtlichem Mut und Zuversicht verlassen worden war. In seinem Kopf herrschte schmerzvolle Leere. Von den Haarspitzen bis zu den Zehen spürte er eine fesselnde Schwere, die alle Hoffnung erstickte. Es war ihm egal, dass alle Leute sicherlich über ihn redeten und sich über seine Beweggründe, Kyoko zu beschützen, die Mäuler zerrissen. Es war ihm egal, ob sein Bein heute oder morgen wieder gesund wurde. Es war ihm egal, ob er lebte oder starb. Aber er wollte nicht, dass es ihm egal war. Er hasste diese Schwere. Er wollte Energie, um Kyoko zu helfen. Aber wie, um alles in der Welt, sollte er das anstellen? Er verzweifelte an sich selbst.

Mit leerem Blick starrte er die dunklen Wolken am Himmel an, die sich in der Abenddämmerung zu einer Festung auftürmten.

”Wo bist du, Kyoko?”
 

Wir gehen rückwärts auf das Fenster zu und betrachten weiterhin den jungen Mann mit den traurigen Augen. Durch das Fenster in die schwere Stadtluft von Tokio steigen wir auf; wir sehen ihn immernoch durch die spiegelnden Fensterscheiben. Er wird immer kleiner umso näher wir den bedrohlichen Regenwolken kommen. Schließlich verlischt das Sichtfeld auf seine blasse Miene und wir drehen uns um und kehren zu dem Stück Himmel über den fahrenden Autos auf der Landstraße zurück. Dort tobt der Sturm bereits mit aller Kraft. Die Autos haben ihre Scheinwerfer eingeschaltet. Energisch arbeiten auch die Scheibenwischer, sinnlos, wie es scheint, da das hart erkämpfte regenfreie Stück Scheibe ständig neu von Wassertropfen bevölkert wird. Ein sinnloses, ermüdendes Schauspiel.

Hin und her. Hin und her.

Genauso trostlos wie die Stimmung der drei Personen, die unfreiwillig in dem Auto sitzen, dessen Scheibenwischer so erbittert die Stellung halten.
 

In der Fahrerkabine beendete der blasse, spitzgesichtige Mann ein Telefonat und grinste unheilverkündend zu seinem Beifahrer hinüber.

Ein Blitz erhellte seine Züge und ließ alle Narben und Furchen darauf noch eindrucksvoller wirken. Ohrenbetäubendes Brüllen des Donners untermalte das Glitzern in seinen Augen.

”Wir sind bald da.”

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Es ist nix spektakuläres passiert, trotzdem beginnt die Story endlich, komplex zu werden; Bekanntschaften werden geschlossen... Nächstes mal geht’s dann endlich wieder ein Stück voran, also seid’s gespannt meine Lieben!

(also ich bin mal gespannt, wer so erkannt hat, was ich letztes mal mit „Überraschung“ gemeint habe^^°)

Für den plötzlichen Perspektiven-Wechsel schulde ich euch noch eine Erklärung, aber die gibt’s nächstes mal...

Hab euch alle sooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooooo lieb!!

Dat Kirschlein

P.S. Sorry, wenn die Kaps jetzt immer etwas dauern, hab momentan ziemlichen schulische Stress, Vorprüfungen fürs Abi... *in Eimer kotz*... aber ich quetsch jede freie Minute ab, um weiterzuschreiben! Versprochen.

Falsche Wahrheiten hier und dort

Bonjourno

Also natürlich habe ich letztes mal mit Überraschung die Bekanntschaft von Kanae und Yashiro gemeint!! Alle, die drauf gekommen sind, dürfen sich auf die Schulter klopfen... lol

War also ne gänzlich unspektakuläre Sache... ich mit meinen beknackten Ideen wieder^^°

Ich hatte Geburtstag, das hat mir wiederum Zeit und Energie geklaut, weshalb Kap6 sich immer weiter vorrausgeschoben hat...

@PatriciaMeyerweb, Gribomo, Mina-san, Pori, ren, Tsukasa, AMJH, Mimo, Dark & sweety:

DANKE, DANKE, DANKE *knuddel* Ihr seid supi!!

Aber jetzt ist es ja so weit, deshalb have fun! Ô.ô

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Chapitre six: Falsche Wahrheiten hier und dort
 

Ich hörte, wie es draußen stürmte und donnerte. Mir machte es normalerweise nichts aus, doch wenn man unfreiwillig in einen kalten, kleinen, dunklen Raum gesperrt wird, keine Ahnung hat, was geschehen wird und dann mitansehen muss wie ein Mädchen unsagbare Qualen leidet und ein anderes, das einem sehr viel bedeutet, sich zunehmends von einem distanziert, ändert sich alles. Das Gewitter drückte stark auf meine Stimmung und mir war nicht wohl zumute. Momose-san war nicht aufgewacht, sie hatte pausenlos durchgeschlafen. Ich konnte mir nicht erklären warum, war mir jedoch ziemlich sicher, dass sie tatsächlich schlief und nicht in Ohnmacht oder so gefallen war. Mogami-san hingegen hatte sich wieder in die Ecke verzogen, die am weitesten von mir entfernt war. Hin und wieder hatte sie Momose-sans Zustand überprüft, sich mit mir darüber ausgetauscht, ansonsten jedoch jeglichen Kontakt zu mir gemieden. Ich verstand es einfach nicht. War das ihre Art, die Ereignisse der Premiere zu überwinden? Aber das konnte einfach nicht stimmen. Was war dann mit jener gewissen Nacht? Da hatte sie doch auch meine Nähe gesucht! Die Erinnerungen kamen jäh wieder hoch. Sie so nah bei mir, zitternd und ängstlich... Das sanfte Atmen, als sie in meinen Armen lag...

Ich sollte dieser Sache nicht so viel Bedeutung beimessen... Sie tat es sicherlich auch nicht.

Und trotzdem... dieses Gefühl sie beschützen zu können, als sie ihren Körper so verzweifelt gegen meinen presste... Wärme, Herzschlag, Hautkontakt...

AAAAAaaargggh...!

Plötzlich hörte ich leises Gemurmel. Ich blickte auf und sah, wie sie etwas Kleines fest in ihren Händen umklammerte und sehr leise flüsterte. Was tat sie da?

Es war nicht richtig, zu lauschen, aber ich musste einfach wissen, was sie da sagte: ”Es ist alles in Ordnung, Koon, nichts schlimmes ist geschehen! Momose-san wird es überleben, Shotaro wird es überleben und alle anderen auch. Und es kümmert mich nicht im Geringsten, wenn er Momose-san liebt, ich brauche niemanden, alles ist bestens! Es geht mir gut...”

Koon? Ich vertsand. Sie hielt den blauen Stein in Händen, den ich ihr einst geschenkt hatte.

Ich fühlte mich zwar nicht wohl dabei, sie zu belauschen... Als ob ich ihre privaten Geheimnisse ausspionieren würde! Aber eines verstand ich nicht. Wer liebte Momose-san? Und warum beschäftigte dieser Jemand Mogami-san? ...

Vielleicht hatte ich mich ja auch verhört und sie hatte nur weiterhin ihre Sorge für Momose-san zum Ausdruck gebracht...

Konnte ich ihr helfen? Sollte ich es tun?

Nichts davon war treffend...

Das, was mir eine leise Stimme zuflüsterte, war, dass ich ihr schlicht und einfach helfen WOLLTE. Guter Grund, dachte ich und hob den Kopf.
 

Durch die Nähe zu Koon ging es mir besser. Er saugte, wie sonst auch, alle traurigen, unangenehmen Gefühle von mir auf. Ich hatte völlig vergessen, dass ich den Stein als Glücksbringer in den BH gesteckt hatte. Weil er so flach war, hatte man nichts gesehen. Mir war erst vor einer Weile eingefallen, dass er ja da war.

Ich hatte einfach Angst. Und dieses Gewitter machte alles nur noch viel schlimmer. Plötzlich hörte ich, wie sich jemand räusperte.

”Es soll ja Leute geben, die mit anderen über ihre Probleme reden.”

Ich drehte den Kopf. Tsuruga-san hatte zu mir gesprochen. Ich wusste nicht, was er damit meinte.

”Das ist auch gut für diejenigen, die das brauchen. Ich habe ja Koon.”

”Ach stimmt ja... Koon.”

Er schwieg kurz und hob dann wieder an.

”Und du glaubst nicht, dass ich dir vielleicht auch helfen könnte?”

”Ich weiß nicht... ich möchte Ihre Hilfsbereitschaft nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Sie wollen sich doch sicher um Momose-san kümmern, nicht wahr?”

”Haaaach verdammt noch mal, was soll das ständig mit Momose-san? Natürlich geht es ihr schlecht. Natürlich mache ich mir Sorgen. Aber sie schläft und ich kann nicht viel mehr für sie tun, also warum sollte ich-”

Er brach urplötzlich ab. Fragend blickte ich ihn an und erkannte, dass ihm irgendeine Erkenntnis gekommen zu sein schien. Erst wirkte er einfach nur überrascht, und dann ungläubig.

”Du glaubst, ich wäre in sie verliebt?”

Die Röte schoss mir ins Gesicht und verlegen wandte ich den Blick ab.

”I-ich glaube nicht, dass... dass mich Ihr Liebesleben etwas angeht, Tsuruga-san!”

Stille. Verwirrt wagte ich einen weiteren Blick in seine Richtung und bemerke, wie er mich beobachtete.

Dann fing er an, zu lachen.

Er lachte? Ja, das tat er. Und wie! Richtig erleichtert wirkte er! Ich verstand gar nichts mehr.

”Und das hat dich so beschäftigt?”

”W-wa-was? Mich?? Nein! Gar nicht! Nein! Wirklich nicht! Kein bisschen! –Tsuruga-san! Warum lachen sie?”, fügte ich hinzu und langsam stimmte es mich ein wenig ärgerlich, dass er so ausgelassen lachte.

Er funkelte mich schelmisch an: ”Und ob es dich beschäftigt hat!”

”Woher wollen Sie das wissen? Und selbst wenn... was wäre daran so lustig??”
 

Ich war so froh, so erleichtert, dass es mir schwer fiel, mit lachen aufzuhören. Es hatte sie doch tatsächlich beschäftigt, dass ich mich so um Momose-san gesorgt hatte. Plötzlich ergab wieder alles einen Sinn, ihr ganzes Verhalten, diese unnahbare Aura- das alles war deshalb!! Und sie hatte sich tatsächlich selbst einreden müssen, dass es sie nicht kümmerte...
 

~Flashback~

Und es kümmert mich nicht im Geringsten, wenn er Momose-san liebt, ich brauche niemanden, alles ist bestens! Es geht mir gut...

~Flashback Ende~
 

Wieder überkam mich der Wunsch, zu lachen. Ich unterdrückte es jedoch, da ich ahnte, dass ich sie damit kränken würde. Ich zwang mich, ruhig zu atmen.

”Mogami-san, Nichts davon trifft zu. Weder bin ich in Momose-san verliebt, noch habe ich mich über dich lustig gemacht! Ich war einfach erleichtert, dass es nichts schlimmeres war, das dich beschäftigt hat!”

”Sie sehen es ja bereits als Tatsache an, dass es das war, was mich beschäftigte!”

”Das tue ich. Und? Habe ich nicht Recht?”

Sie biss sich auf die Lippe und schwieg. Offensichtlicher hätte es nicht sein können.

”Siehst du... Ich kann verstehen, wenn du dich dadurch isoliert gefühlt hast. Bitte verzeih mir, dass ich dir solchen Kummer gemacht habe!”

”Was heißt hier Kummer? Ich fühlte mich lediglich... wie das fünfte Rad am Wagen, Sie wissen schon, ein Störfaktor!”

”Natürlich. Wie konnte ich es nur als Kummer bezeichnen. Du hast sicherlich vollkommen Recht... Wie sieht’s aus? Hier neben mir ist noch Platz und ich versichere dir, dass es bedeutend wärmer als deine Ecke ist, was deinem Zittern Abhilfe schaffen könnte! Das kann man ja nicht mit ansehen!”

”Ich brauche Sie nicht! Sie machen sich schon wieder über mich lustig! Und im übrigen zittere ich gar nicht!” Sie unterdrückte mit Gewalt das Zittern.

”Aaaaah... verstehe, du traust dich nicht! Du glaubst, wenn du dich hier hinsetzt, würde ich meine Vermutung bestätigt sehen, dass du tatsächlich aus Kälte und anderen Gründen gezittert hast!”

”Wie bitte? Andere Gründe?”

”Hm... Sagen wir mal aus Angst? Vielleicht aus Angst vor dem... Gewitter?” Vor dem letzten Wort hatte ich eine bedeutungsvolle Pause gemacht und genüsslich beobachtet, wie sie dabei zusammengezuckt war.

”Ich habe keine Angst vor Gewittern!”

”Nein? Dann kannst du ja auch herkommen und es mir beweisen...”

Augenblicklich stand sie auf und pflanzte sich mit trotzigem Gesichtsausdruck neben mich. Ich musste mich arg zusammenreißen. Wie leicht man sie doch beeinflussen konnte! Einfach zu süß! Genau wie damals, als sie sich nicht traute, mein Badezimmer zu benutzen! Dazu kam, dass es sie traurig gemacht hatte, dass ich scheinbar in eine andere Frau verliebt war. Vorsichtig legte ich meinen Arm um ihre Schulter und zog sie ein Stück heran. ”Nicht, dass du dich noch erkältest!”

Verlegen blickte sie auf den Boden. ”Tsuruga-san?”

”Hm?”

”Ist es denn so schlimm, Angst vor Gewittern zu haben?” Ihre Stimme war sehr leise.

”Nein, ich denke nicht. Es ist vielleicht einfach... menschlich, meinst du nicht auch? Wir haben seit jeher Angst vor Gewittern. Das beginnt im Kindesalter und setzt sich später fort. Oder was sagst du dazu?”

”Ich denke dasselbe!”, glücklich strahlte sie mich an. Ich hatte nur den Wunsch, sie in den Arm zu nehmen, unterdrückte es aber, da mir gerade kein guter Vorwand einfiel.

”Mogami-san, du kannst immer zu mir kommen, wenn dich etwas bedrückt! Ich habe dir bereits gesagt, dass ich für dich da bin! Und auch wenn unsere derzeitige Lage es schwer macht, ich bin sicher, gemeinsam werden wir es schaffen, uns und Momose-san hier heil rauszuholen!”

”Ja...” Ihre Stimme war so angefüllt mit Erleichterung, dass es nicht schwer zu erraten war, dass ich ihr ein wenig Angst genommen hatte. Es fühlte sich gut an, helfen zu können. Es fühlte sich gut an, sie so im Arm halten zu können. Und als ob meine Worte ihr ein Stück Befangenheit geraubt hätten, lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter und hörte allmählich auf, zu zittern.

”Gemeinsam...”
 

Sieht wirklich süß aus, wie die beiden da nebeneinander sitzen... Aber es kann nicht ewig so weitergehen... Man hat sie nicht aus ihrem Alltag gerissen, damit sie sich in einem dunklen Personentransporter näher kommen... Oh, sie haben wirklich nicht die geringste Ahnung, WAS für hochtrabende Pläne man mit ihnen hat... Und vor allem wer diese Pläne verfolgt... Versuchen wir, mehr darüber rauszufinden... und vefolgen ihren Weg blitzschnell zurück nach Tokio. Es ist kaum zu glauben, aber hier eilen die Städter durch die Einkaufpassagen wie immer, machen sich höchstens Gedanken über ihr heutiges Abendbrot. Eine junge Frau schiebt einen Kinderwagen eine Straße entlang. Sie wirkt wie die Ruhe selbst, lächelt zufrieden und glücklich in sich hinein. Wir folgen ihr ein Stück, berachten ob dieser harmonischen Ruhe neidisch ihren schwarzhaarigen Hinterkopf, bleiben dann aber stehen und wenden uns links dem monströsen Gebäude zu, vor dessen großem Haupteingang wir stehen bleiben. Schade, da geht er hin der Selbstfriede, denken wir und zwängen uns zwischen den Menschenmassen hindurch, die sich davor drängen, unser Ziel ist die Abteilung, die momentan den meisten Stress hat...
 

Im Hauptkommissariat von Tokio war die Hölle los. Die Telefone klingelten Sturm, Reporter drängten sich vor den Fenstern und Türen und ständig platzten hysterisch schluchzende Fans herein und verkündeten theatralisch, die Polizei bestände nur aus Trotteln, wozu würde man Steuergelder bezahlen und man würde jetzt auf eigene Faust nach „Tsuruga-sama“ suchen...

”KANN MIR DENN KEINER DIESE IDIOTEN VOM HALS SCHAFFEN???”, brüllte ein völlig entnervter Beamter, der dem Eingang am nähsten saß. ”Ganz ruhig, Tomake, ich ruf gleich den Sicherheitsdienst an.”, sagte ein anderer Beamter, der so gestresst wirkte, dass alle Anwesenden einstimmig der Meinung waren, dieser Tumult müsse sein Leben mit jeder weiteren Minute verkürzen. Er hatte langes schwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern gefallen wäre, wenn er es nicht in einem Zopf zusammengebunden halten würde. Eine schmale, gerade Nase und große, fesselnde graue Augen bezeichneten sein Gesicht. Wenn er durchs Büro ging, blickten ihm nicht wenige Kolleginnen seufzend hinterher. Momentan lagen zwar dunkle Schatten unter seinen Augen und er wirkte ein wenig blasser als gewöhnlich, dies tat seiner Ausstrahlung jedoch keinen Abbruch. Aber Tatsumi kümmerte sich wenig um die Frauenwelt. Sein Hauptaugenmerk lag auf der Arbeit als Polizist, die ihn ausfüllte und stolz machte. Er rieb sich mit den Fingerknöcheln die Schläfen, diese schreienden Groupies nervten wirklich arg.

Er wählte eine Nummer und hob den Hörer ans Ohr: ”Ja, ich bin’s...Tatsumi, jaaa schon wieder... ich weiß, tut mir leid. Hm? Nein, zwei. Danke.” Er musste dabei aus vollen Leibeskräften brüllen, um den Lärm zu übertönen, den zwei Mädchen mit erschlagend gigantischen Ren-Tsuruga-Fahnen verursachten. Kurze Zeit später kehrte wieder Ruhe ein... Wenn man das überhaupt Ruhe nennen kann, dachte Tatsumi und griff nach seinem Mantel. ”Also Leute, ich fahr mit Watanabe-san noch mal zu LME, ihr wisst, was ihr zu tun habt”, rief er in die Runde. Der macht’s nicht mehr lange, dachten indes die Angesprochenen und widmeten sich eilends weiter ihrem Tun.

Tatsumi klopfte Tomake ermutigend auf die Schulter und stürmte dann aus dem Büro. Watanabe wird mich lynchen, wenn ich ihn warten lasse, dachte er und beschleunigte sein Tempo. Als er in das Taxi vor dem Haupteingang stieg, saß Watanabe bereits darin. ”Ich warte bereits seit 4 Minuten, Tatsumi”, kam es augenblicklich von ihm.

Oooohhh tatsächlich, was für ein Weltuntergang, dachte Tatsumi zerknirscht, sagte jedoch nur: ”Es tut mir sehr Leid, Watanabe-san”

”Von Ihnen als mein 1.Sekretär erwarte ich etwas mehr Zuverlässigkeit! Gab es in der Zwischenzeit irgendwelche Anrufe für mich?”

”Nein, keine Veränderungen Herr Kommissar. Die beiden Autos mit den Geiseln bewegen sich wie gehabt auf den Flugplatz zu, wie wir vermutet haben. Unsere Männer sind alle bereits auf ihren Posten stationiert und warten nur noch auf Ihre Befehle!”

”Sehr gut! Sobald sie dort ankommen, schnappt die Falle zu”, sagte Watanabe zufrieden und klopfte zwei Staubkörnchen von seinem Kragen.

”Aaah, wir sind da. Kommen Sie Tatsumi, wir sollten Takarada nicht warten lassen, sonst dreht der noch durch. Ich hoffe er schleppt nicht wieder sämtliche Angestellte in die Versammlung mit!”

Von wegen sämtliche Angestellte, dachte Tatsumi, waren doch letztes mal nur dieses Mädchen und Tsuruga-sans Manager, die hätte man auch bleiben lassen können...

Sie stiegen in den Aufzug (ein Angestellter hatte ihn extra für sie reserviert) und fuhren zum Büro des Präsidenten hinauf.

Rory Takarada erwartete sie bereits. ”Guten Abend, die Herren. Was gibt es Neues?”, fragte er sofort.

”Nichts neues, Takarada-san. Alles verläuft nach Plan.”

Takarada wirkte keine Spur beruhigter. ”Hören Sie, ich vertraue zwar vollkommen Ihren Fähigkeiten, aber kann ich auch völlig sicher gehen, dass an diesem Flugplatz alles sicher verlaufen wird?”

Watanabe seuftze resigniert. ”Takarada-san, ich weiß nicht, wie oft ich Ihnen das nun schon erklärt habe, aber die Männer die wir da hingeschickt haben, sind alle Profis. Es kann gar nichts schief gehen!”

Takarada blickte ebenso ernst zurück. Er war auf einem Bürosessel zusammengesackt und genehmigte sich eine Zigarre: ”Ich verstehe vollkommen Ihre Ungeduld angesichts meiner unentschuldbaren, anmaßenden Zweifel, aber Sie müssen nun einmal auch verstehen, dass ich in solchen Dingen sehr schlechte Erfahrungen gemacht habe!”

”Sprechen Sie von Higashiyama? Dem Leiter der Sicherheitsagentur, die für die Premiere engagiert war?”

”Durchaus. Ich war mit ihm zusammen vor der Premiere sogar noch in Rens Wohnung und wir haben über verschärfte Maßnahmen diskutiert, und trotzdem ist es passiert.”

”Ja, da haben Sie Recht. Das Ganze scheint ziemlich verdächtig zu sein...”, murmelte Watanabe und mit einer leichten Beunruhigung stellte Tatsumi fest, dass seine Augen wieder diesen Ausdruck hatten... Er witterte eine Spur!!

”Wissen Sie, ich habe meine Leute bereits drauf angesetzt. Wir werden schon noch rausfinden, wie diese falschen Sicherheitsleute in die Premiere gekommen sind!”

Wie ich vermutet habe, dachte Tatsumi, diesem Luchs entwischt wirklich niemand.

”Wo ist er jetzt?”

”Higashiyama? In Untersuchungshaft. Seit wir an jenem Abend herausfanden, dass die als Security getarnten Entführer zu SEINEM Unternehmen gehörten, halten wir ihn fest.”

”Verstehe...”

Es klopfte an der Tür. Die drei Männer blickten sich um.

Ein Mädchen steckte den Kopf herein. Das ist doch... das Mädchen von gestern, dachte Tatsumi. Er erkannte sie wieder. Sie war ihm damals schon aufgefallen. Er kannte sie aus dem TV und hatte sie von Anfang an sehr hübsch gefunden.

Watanabes Miene verfinsterte sich jedoch und hatte deutlich den Ausdruck DIE-SCHON-WIEDER angenommen.

”Was gibt es Kotonami-kun?”, fragte der Präsident ruhig. Tatsumi konnte nicht umhin, die Gelassenheit dieses Mannes zu bewundern. Er hatte sich etliche Zeugenaussagen durchgelesen und wusste daher, dass Takarada auf der Premiere eingeschritten war. Auch jetzt hatte sich nichts geändert. Obwohl er zweifellos seit jenem Abend im Theater kaum ein Auge zugetan haben musste, war er dennoch zu jedem freundlich und so seriös wie eh und je.

”Ähm... wir würden Sie gerne sprechen, Herr Präsident”, sagte sie leicht verlegen und betrat vorsichtig das Büro. Ein Mann folgte ihr. Tatsumi erinnerte sich, dass er Yashiro hieß.

Schweigend warteten sie ab, bis die beiden sich vor ihnen postiert hatten.

”Entschuldigen Sie die Störung, Watanabe-san, ich weiß, Ihre Zeit ist knapp bemessen. Aber es ist sehr wichtig”, sagte Yashiro-san mit einem Kopfnicken.

Watanabe schwieg. Also ergriff Tatsumi das Wort. ”Was gibt es?”

Yashiro wandte sich ihm zu: ”Es geht um Kyoko-chan und Ren. Wir sind nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gelangt, dass das Motiv für diese Entführung möglicherweise persönlicher Natur sein könnte.”

Ein schnaubendes Lachen von Watanabe. ”Wenn ich Sie richtig verstanden habe, stellen Sie meine Arbeit infrage? Was war noch gleich ihr Beruf? Manager? Tun Sie mir einen Gefallen: Kümmern Sie sich bitte um die nächsten Fototermine ihres Klienten und lassen Sie UNS unsere Arbeit machen, ja?”

Tatsumi trat verlegen von einem Bein aufs andere. Das konnte man aber auch netter sagen...

”Lassen Sie es gut sein, Watanabe-san. Yashiro -es tut mir Leid, aber...”, versuchte der Präsident zu vermitteln.

Kanae ergriff das Wort: ”So hören Sie uns doch zu! Es kann doch gut sein, dass-”

”Und Sie, junges Fräulein, sollten ebenfalls ihre Nase aus Dingen lassen, von denen Sie nichts verstehen! Warten Sie es doch einfach ab, dann werden Sie ihren heiß geliebten Ren Tsuruga schon heute abend wieder sehen!”

Kanae stieg die Zornesröte ins Gesicht. Ihr heiß geliebter Ren Tsuruga... ?

”DAS-”

”Kotonami-kun, bitte beruhige dich. Wir wissen alle, dass du dich nur um Mogami-kun sorgst...”, meinte der Präsident beschwichtigend und warf einen raschen Blick auf den Hauptkommissar: ”Aber du kannst momentan wirklich nichts tun! Ich danke dir für deine Anteilnahme, aber es ist besser so, glaub mir. Warum nehmt du und Yashiro-kun euch nicht einfach ein paar Tage frei? Ich bin sicher, das wird euch sehr zur Erholung von diesen ganzen Strapazen dienen!”

”ABER-”

”Ich bitte darum, dass du mir vertraust und nun mein Büro verlässt. Du wirst Mogami-kun bald wieder sehen, das verspreche ich dir!”

Sie wollte noch Widerspruch erheben, spürte aber plötzlich eine Hand auf der Schulter und drehte wütend den Kopf.

”Es hat keinen Sinn!”, murmelte Yashiro ihr zu: ”Lass uns gehen.”

Zu den drei Herren gewandt sagte er: ”Es tut uns Leid, dass wir Sie gestört haben. Einen schönen Abend noch.”

Er zog Kanae mit sich. Alle Beteiligten sahen deutlich, dass in ihr ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch stand. Tatsumi fragte sich, warum Watanabe sich nicht zumindest angehört hatte, was die beiden zu sagen hatten, bevor er sie rausschmiss. Manchmal schämte er sich für die Hartherzigkeit seines Chefs...
 

Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, konnte Kanae nicht mehr an sich halten.

”LASSEN SIE MICH LOS!!”, sie riss sich von Yashiro los und taumelte ein Stück seitwärts.

”Warum habe ich Ihnen überhaupt vertraut? Sie wollten mir von Anfang an gar nicht helfen, oder? Sie haben das nur so gesagt! Die haben uns da drin wie Idioten behandelt! Macht Ihnen das überhaupt nichts aus? Sie sind ja so... aaaargh!”

Sie wollte sich umdrehen und davonstürmen, da nannte Yashiro leise ihren Namen: ”Kotonami-san...”

”WAS DENN NOCH?” Sie war stehen geblieben ohne sich umzudrehen.

Ihr ganzer Körper bebte und schon wieder konnte sie die Tränen nicht zurückhalten.

Niemand sollte sie so sehen. Schon gar nicht dieser Yashiro, der sie so eiskalt reingelegt hatte. Sie fühlte sich furchtbar. Erst diese Verzweiflung angesichts Kyokos Entführung und dann auch noch von diesem Watanabe derart verspottet zu werden... das ertrug sie einfach nicht.

”WAS WOLLEN SIE????!!!” ...Warum antwortete er nicht?

Sie spürte seine Hand auf ihrer Schulter. Er wagte es... !

Sie wirbelte herum und holte zum Schlag aus...

...doch Yashiro, der es hatte kommen sehen, umklammerte mit einer hastigen Bewegung ihre Handgelenke.

”LASSEN SIE MICH LOS!! NEIN!!!” Ein kleines Gerangel entstand.

”Kotonami-san, bitte beruhige dich. Ich habe dich nicht reingelegt, aber ich werde dich auch nicht gehen lassen, bis du mich angehört hast!”

”ICH WILL ABER NICHT HÖREN, WAS SIE ZU SAGEN HABEN!!!”

”Könntest du bitte aufhören, hier so rumzuschreien! Die ganze Agentur ist im Stress und du solltest die Leute nicht noch mehr belasten!”

Was war denn bloss mit diesem Mädchen los?

Er hatte erwartet, dass sie sich noch weiter aufregen würde und machte sich schon auf erneute Schreie gefasst, doch was dann geschah... war sogar noch schlimmer.

Aller Zorn und Hass schien aus ihr zu weichen und ihre bis dahin so energiegeladene Erscheinung verpuffte jäh. Sie sackte in sich zusammen und begann verzweifelt zu schluchzen. Tränen kullerten über ihr Gesicht.

Er war fassungslos.

”Ich hasse Sie!”, schluchzte sie leise, ”Warum haben Sie zugelassen, dass dieser Mann uns so verhöhnt? Und ohhh Kyoko ist da draußen irgendwo und-”

”Kotonami-san!” Er wusste nicht, was er tun sollte. Selten hatte er ein weinendes Mädchen trösten müssen.

”Ich- Kotonami-san, bitte beruhige dich. Ich weiß, wie schrecklich das alles für dich sein muss, aber ich hatte meine Gründe, warum ich nicht weiter diskutiert habe!”

Sie antwortete nicht und verbarg ihr Gesicht hinter einem Vorhang schimmernder schwarzer Haare.

”Kotonami-san, hörst du mir zu?”

Vorsichtig und zögernd strich er die Haare aus ihrem Gesicht und musterte die nassglänzenden Wangen. Er kramte in seiner Tasche und zog ein weißes Taschentuch mit rosa Elefanten darauf hervor, um es ihr anzubieten.

”Danbesch’n”, schniefte sie und schnäuzte sich herzhaft die Nase. Er kicherte leise darüber.

”Was ist dar’n so lustig?”, hipste sie und stierte ihn wütend an: ”Wenn’ch Sie wär‘ würd ich lieber st’ll sein. Welcher Mann trägt denn SO’in Taschentuch mit sich rum?” Sie deutete auf die rosa Elefanten.

“Nun ja... das habe ich schon, seit ich ein kleiner Junge bin!”, lachte er und kratzte sich verlegen am Kopf.

”Aber ich schenke es dir, du kannst es behalten...”

Sie schwiegen.

”Ich glaube, Watanabe-san hat einen Plan. Und ich glaube auch, dass er diesen Plan noch heute Abend umsetzen will!”, sagte er schließlich zögernd.

”Warum haben Sie mir das nicht von Anfang an gesagt, SIE... !”

”Warte noch, bevor du wieder anfängst mit schreien, bitte!”, er zog den Kopf ein und hob beschwichtigend die Hände: ”Ich habe es eben erst aus seinen Worten herausgehört!”

”Was meinen Sie damit?”

Nun...
 

~Flashback~

Warten Sie es doch einfach ab, dann werden Sie ihren heiß geliebten Ren Tsuruga SCHON HEUTE ABEND wieder sehen!

~Flashback Ende~
 

”Das hat er gesagt?”

”Na ja... vielleicht hat dich die Provokanz seiner Worte zu sehr abgelenkt?”

”Ja, so wird es wohl sein...”

Yashiros Gesicht nahm einen beleidigten Ausdruck an: ”Das ist alles, was dir dazu einfällt?”

Sie mied zart verlegen seinen Blick.

”Nein... Es tut mir Leid, dass ich Sie angeschrien habe und Sie schlagen wollte und Ihnen nicht vertraut habe und...”

Yashiros Miene würde zunehmend entrüsteter.

”... und ich ignoriert habe, was Sie mir sagen wollten und ich Sie verdächtigte, mich reinlegen zu wollen!” Sie beendete den Satz und holte tief Luft.

”Na toll. Und ich musste alles über mich ergehen lassen...”

Er wirkte direkt ein wenig süß, wenn er so vor sich hin schmollte. Äusserst verdutzt starrte sie ihn an. Er spürte ihren Blick und erwiderte ihn verwundert: ”Ist etwas?”

”Wa..? Oh! Nein, natürlich nicht! Ich habe mich nur... äh gerade gefragt, was wir jetzt tun sollen!”

”Hm... ich weiß auch nicht genau... meinst du, wir sollten in der Agentur bleiben und versuchen herauszufinden, was Watanabe-san vorhat?”

”Ja... auf jeden Fall!! Wir sollten diesen Unmeschen unter keinen Umständen aus den Augen lassen! Wer weiß, was DER vorhat!”

Yashiro lächelte innerlich, als er ihre wild entschlossene Miene sah.

”In Ordnung. Können wir machen. Aber es ist bereits...”, er sah auf seine Uhr: ”...gütiger Himmel, bereits 20.37 Uhr!!! Musst du vielleicht irgendwo zu Hause anrufen, und Bescheid sagen, dass du später komm-”

Er brach ab, als ihm bewusst wurde, dass er gerade eine unsichtbare Schwelle überschritten hatte. Ob sie allein wohnte oder nicht, war etwas privates und ging ihn eigentlich nichts an...

Auch sie hatte bei seinen Worten aufgesehen. Eine peinliche Stille senkte sich zwischen sie.

”Ist ja auch egal...”, murmelte er.

”Ehm... geht schon in Ordnung. Ich beabsichtige nicht, irgendwo anzurufen.”

Sie war der Frage ausgewichen. Lebte sie nun allein oder nicht? Häh? Das geht mich doch eigentlich gar nichts an, dachte er milde verwundert und schüttelte leicht den Kopf, um diese abwegigen Gedanken loszuwerden.

”Gehen wir in das benachbarte Büro da.” Er deutete nach links und sie betraten den verlassenen Raum. Die meisten Angestellten machten um diese Zeit Schluss, weshalb dieses Büro bereits menschenleer war. Einige Monitore flimmerten im Stand-by-Modus; sie wurden anscheinend niemals ausgeschalten. Kanae setzte sich auf den Drehstuhl des nächstbesten Schreibtisches und bettete den Kopf in die Arme. Sie war todmüde...

Yashiro blieb im Eingang stehen und setzte sich dann an den nebenliegenden Schreibtisch. Komisch. Er hatte seit gestern Abend nicht geschlafen und verspürte trotzdem kein Fünkchen Müdigkeit...
 

So verweilten sie schweigend in einem dunklen Büro und warteten, dass etwas geschah, während der Gefangenentransporter mit den drei Schauspielern und dem PKW im Schlepptau unaufhörlich auf den gewissen Flugplatz zurast, der nur noch wenige Minuten entfernt ist. An Ort und Stelle warten bereits speziell ausgebildete Sondereinheiten der Polizei auf sie. Tatsumi, der 1.Sekretär von Watanabe ist auch kurz davor, am Ort des Geschehens einzutreffen. Watanabe hat ihn als sein Stellvertreter mit einem Hubschrauber hingeschickt... Er selbst hegt keinerlei Zweifel, dass seine Berechnungen aufgehen und seine Falle zuschnappen wird...

Das Gewitter ist nun voll in Fahrt; unbarmherzig peitschen die Regentropfen auf den Asphalt der Straße, während drei verschiedene Flugzeuge die Landebahn ansteuern...

Der bleiche Mann nickte seinem Begleiter zu. “Ruf Matsumoto an. Das Manöver beginnt. Diese Scheißbullen werden sich noch wundern...”

Dann drückte er auf das Bremspedal und hielt an.

Auch er hegte keine Zweifel, dass nichts schiefgehen konnte. Sein Plan war perfekt.

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Wie sieht wohl sein Plan aus?

Wessen Untergebener ist er?

Was wird mit Ren und Kyoko geschehen?

Werden Kanae &Yash Erfolg haben?

Fragen, Fragen, Fragen... ich werde mich ranhalten:)

Der Mann mit der verstümmelten Hand

Bonjour!! Retourné avec un nouveau chapitre!!

Endlich habe ich das 7. Kapitel fertig. War ne ganz schön harte Nuss. Habe es mittlerweile zum 100.000mal überarbeitet..v.v° Aber ich will es euch ja nicht ewig vorenthalten... ich nur wieder mit meinem ewigen Perfektionismus^^°

Man erfährt also endlich, wer die bösen Entführer denn sind.. seid gespannt, meine Lieben^^

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Chapitre sept: Der Mann mit der verstümmelten Hand
 

Tapp. Tapp.

Mit hohlem Geräusch hallten meine Schritte von den Wänden wider. Es war eine merkwürdige Atmosphäre hier... befremdlich, kalt und einsam. Es schien eine Lagerhalle zu sein. Die Wände waren unverputzt und der Fußboden schmutzig. Es war so stockfinster, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Die Weitläufigkeit dieses Raumes machte mir Angst. Tapp. Tapp. Echo. Echo.

Wo war ich hier?

Ich erkannte Umrisse in der Finsternis. Es sah aus wie mehrere Tische in einigem Abstand nebeneinander platziert. Etwas lag auf den Tischen...

Plötzlich ging mit einem “Klang” das Licht an. Ein fahles, weißes Licht, das von Neonröhren an der Wand herrührte. Ich blieb wie angeeist auf der Stelle stehen. Ich hatte erkannt, was auf den Tischen lag. Ich befand mich in einer Leichenhalle. Auf jedem Tisch lag ein lebloser, nackter Körper mit einem großen weißen Tuch, das ihm bis über den Kopf reichte.

Mich fröstelte es. Ich wollte hier raus! Ich presste meine kalten, zitternden Hände an meinen Körper.

ICH WILL HIER RAUS!!!

Doch ich verließ diese Halle nicht. Oder konnte ich es nicht?

Einer plötzlichen, fremden Eingebung folgend trat ich an einen der Tische. Eine Stimme in meinem Kopf schrie, aber ich konnte mich nicht wehren. Ich zog das Tuch vom Kopf der Person.

Shotaro.

Sein weißes Gesicht schimmerte im Neonlicht. Seine Augen waren geschlossen. Der Anblick hatte mich mit der Wucht eines Faustschlages im Gesicht getroffen.

NEIN!! NEEEEIIIIINN!

Mir wurde übel.

Ich wirbelte herum.

NEIN! ICH WILL NICHT!!

Meine Hände gehorchten mir nicht. Ich riss die Tücher von den Köpfen der anderen Personen.

Momose-san.

Yashiro-san.

Miss Menno.

NEEEEEIIIIIINNNN!

Ich weinte; ich übergab mich; ich drohte zu ersticken.

Doch mein Körper handelte, nicht ich.

Keuchend stand ich vor dem letzten Tisch.

Ich hatte riesengroße Angst. Ich wollte das Tuch nicht berühren. Ich wollte nicht sehen,wer darunter lag...!

Ich hatte eine Ahnung. Aber diese Ahnung brachte mich um. Höhnisch keckernd, bedrohlich und jederzeit angriffsbereit spukte sie in meinem Kopf umher.

Ich war außerstande, mich zu bewegen.

Das Tuch wehte vom Gesicht der Person.

Da lag Tsuruga-san.

Aber er war nicht tot. Blass und mit leeren Augen starrte er hinauf an die weite Decke.

Langsam, mechanisch drehte er den Kopf und sah mich an. Sah mich an mit diesem leeren Blick.

Unter mir tat sich ein Abgrund auf.

Ich fiel.

Ich fiel in namenloses Schwarz ohne Ende und Licht.

Ich fühlte, wie mein Mund Worte formte.

Ich hörte, wie meine Stimme etwas schrie.

“Tsuruga-saaan! Tsuruga-saaaaaaaaaaan!”

Ich wollte, dass es aufhörte. Ich wollte nicht mehr diesen Schmerz spüren.

Ich wollte gelähmt sein, das Bewusstsein verlieren, sterben.

Ich hörte aufgeregte Stimmen um mich herum wie Geister schwirren. Ich verstand nicht, was sie sagten...

“-gami-san! Mogami-san!”
 

Sie schlug die Augen auf. Beunruhigt betrachtete ich ihre blasse Miene.

Sie blickte mich zitternd an. Ihre Wangen glitzerten vor Tränen.

“Mogami-san! Was hast du?”

“Ts... Tsuruga...”, sie holte schniefend Luft: “...-san!”

Kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn. Ich tupfte ihn vorsichtig ab.

Ihre Atmung wurde langsamer, regelmäßiger...

“Hast du schlecht geträumt?”, fragte ich mit tiefer, ruhiger Stimme um sie weitgehend zu beschwichtigen.

Aus dem vorderen Teil des Flugzeuges lugte der Kopf eines Mannes: “Hat die Kleine jetzt endlich aufgehört, hier rumzubrüllen? Bring sie zum Schweigen, egal wie, sonst tu ich es! Matsumoto ist genervt.”

Ich antwortete nicht, blickte den Typen nicht einmal an. Meine Aufmerksamkeit galt Mogami-san, die sich jetzt vorsichtig aufrichtete, wobei ihre Arme unter der Anstrengung zitterten, als wären ihre Muskeln aller Kraft beraubt.

Sie wirkte völlig desorientiert; ihre Augen huschten durch den Innenraum des Flugzeuges und klammerten sich dann nach Antworten flehend an mich.

Ich erwiderte ihren Blick und es schien als ob die Verbindung immer tiefer wurde, umso länger wir den Augenkontakt aufrechterhielten.

“Wo sind wir, Tsuruga-san?”

Betreten brach ich den Blickkontakt. “Ich weiß es nicht.”

Ich wusste es wirklich nicht. Ich beobachtete auch ihre Reaktion. Sie schien ihr Gedächtnis nach irgendwelchen Erinnerungen zu durchforsten.

“Ich weiß noch, dass wir mitten in dem Gewitter plötzlich angehalten haben. Dann wurde die Tür aufgerissen und dann...”, sie brach ab und befühlte ihren Hinterkopf. Ich wusste was sie sagen wollte. Sie war niedergeschlagen worden. Einer der Kidnapper hatte ihr einfach so eins übergezogen, ohne Vorwarnung und ohne Gnade. In mir keimten noch einmal die Bilder der Erinnerung auf.
 

~Flashback~

Alles war so schnell gegangen, dass ich es kaum hätte verhindern können. Die Tür war aufgerissen worden und ein ungutes “Klonk” war ertönt. Ich sah nur noch, wie Mogami-sans Kopf auf die Brust sackte und der Typ sie aus dem Auto in den strömenden Regen zerrte. Wutentbrannt sprang ich auf , wollte mich auf ihn stürzen. Mit einem Sprung war ich aus dem Wagen... , stockte aber mitten in der Bewegung. Eine Pistole an ihrer Schläfe und und ein bedeutsamer Blick des Kidnappers hatten ausgereicht, diese Angriffslust abzubremsen. Ich blickte ihm hasserfüllt in die kalten Augen, während der Regen mich bis auf die Haut durchnässte. Dann geschah etwas völlig unvorhersehbares. Aus dem offenen Laderaum des Personentransporters erklang die schwache Stimme von Momose-san: “Tsu... ru... ga-san!”

Erschrocken und besorgt blickte ich mich um, doch dieser winzige Moment der Unachtsamkeit genügte, um meinem Gegenüber die Gelegenheit für einen weiteren Schlag einzuräumen. Ich fühlte einen stechenden Schmerz am Hinterkopf; es trieb mir Sterne vor die Augen, dann brach ich zusammen.
 

~Flashback Ende~
 

“Mehr wissen Sie also auch nicht?”

“Nein. Tut mir Leid. Ich habe keine Ahnung, warum wir niedergeschlagen wurden, oder wie man es angestellt hat, uns in dieses Flugzeug zu bekommen.”

Sie schwieg, betrachtete ihre Umgebung. Der Innenraum des Flugzeuges erinnerte keineswegs an einen gewöhnlichen Passagierflieger. Denn nicht Sitzreihen und streng platzsparende Ordnung waren maßgebend, sondern eine luxuriöse Möblierung.

Es wirkte wie eine stilvolle Mischung aus Bar und Wohnzimmer. Als ich aufgewacht war, hatte ich auf einer riesigen schwarzen Ledercouch gelegen. Momose-san direkt neben mir und Mogami-san rechts von mir. Mir war bewusst, dass wir uns in einem gigantischen teuren Privatjet befinden mussten.

In dem Raum, in dem wir saßen, war kein anderer Mensch. Er wurde allerdings durch einen Vorhang vom vorderen Teil des Flugzeuges getrennt. Der vordere Teil schien weitaus größer zu sein. In ihm befanden sich Männer. Einer davon hatte uns eben irgendetwas zugebrüllt, als Mogami-san Alpträume gehabt hatte. Ich blickte zu Mogami-san. Sie hatte sich zu Momose-san, die jetzt wieder bei Bewusstsein war, gebeugt und sprach leise mit ihr.

“Momose-san! Hast du starke Schmerzen?”

‚Momose-san wirkte sehr schwach und lächelte matt: “Es geht schon, Mogami-san, uuh, die Schmerzen haben schon nachgelassen; ich spüre viel weniger als vorher... uh...”

Mogami-san standen die Tränen in den Augen.

“Momose-san, es tut mir so Leid! Es ist alles meine Schuld-”

“Nein, Mogami-san, bitte gib dir nicht die Schuld dafür. Die einzigen, die dafür die Verantwortung tragen, sind diese Kidnapper. Bitte glaube mir.”

Traurig betrachtete sie Momose-sans notdürftig bandagierten Arm und setzte sich zwischen mich und das verletzte Mädchen, um ihre Hand zu halten.

Momose-san schloss die Augen und lehnte sich zurück. Ihre zierlichen Hände zitterten.

Wir schwiegen. Dann ergriff ich abermals das Wort.

“Und was ist mit dir? Wie geht es dir? Du hast im Schlaf geweint und meinen Namen gerufen.”

Verlegen blickte Mogami-san aus dem Fenster. “Es war ein furchtbarer Alptraum voller Grauen und Tod. Ich möchte niemals wieder daran denken. Können Sie das verstehen?”

“Natürlich.”

Ihre Gesichtszüge machten den gefährlichen Eindruck, als würden sie ihr wieder entgleisen, deshalb rückte ich hastig näher an sie und drückte ihren Kopf gegen meine Brust auch wenn es mir etwas unangenehm war, da Momose-san daneben saß.

“Mogami-san... Bitte sag mir, wie ich dir helfen kann. Ich ertrage es nicht, dich so leiden zu sehen”, flüsterte ich in ihr Haar.

Sie antwortete nicht, schwieg und wir verharrten in dieser Pose.
 

Ich konnte sein Herz schlagen hören. Es war ein beruhigendes Gefühl, ich hoffte, es würde für immer andauern, anheimelnd und warm. Ich schloss die Augen, spürte, wie mich die Aufgewühltheit des Traumes aus ihrem eiskalten Klammergriff entfliehen ließ.

Aber die Bilder konnte ich trotzdem nicht loswerden.

Das schlimmste waren Tsuruga-sans Augen gewesen, die mich mit diesem unheimlichen, leeren Blick fixiert hatten. Aber was mich daran am meisten traurig stimmte und schockierte, war schlicht und einfach die Tatsache, dass ich diesen Traum nicht unlängst als Hirngespinst ablegen konnte. Ich hatte diesen Blick zwar noch niemals direkt bei ihm gesehen, kannte aber trotzdem irgendwie doch dieses Gefühl, das er in mir ausgelöst hatte. Das Gefühl, dass Tsuruga-san etwas Dunkles verbarg. Dass er unsagbar einsam war und eine Seite seiner Persönlichkeit vor der Umwelt versteckte.

Dieses Wissen löste in mir eine große Traurigkeit aus. Ich fragte mich, was um alles in der Welt einen Menschen so einsam machen konnte, dass sein Blick so leer und abgestumpft wurde. Ich wünschte mir, ihm helfen zu können.

Ich wünschte es mir wirklich und das war merkwürdig, weil doch eigentlich die Rache an Shotaro größere Priorität besitzen sollte. Doch es schien mir wichtig zu sein, etwas zu ihm zu sagen.

Deshalb hob ich meinen Kopf bis ich auf seiner Augenhöhe war.

“Unter einer Bedingung.”

Er wirkte überrascht und verwirrt.

“Was?”

“Ich nehme Ihre Hilfe nur unter einer Bedingung an.”

“Die da wäre?”

“Sie lassen sich von mir ebenfalls helfen. Sie teilen mir ebenfalls Ihre Sorgen mit. Und Sie quälen sich ebenfalls nicht alleine durch diese dunklen Geschehnisse. Es wäre doch gelacht, wenn wir uns von denen unterbuttern lassen würden!!”
 

Einen kurzen Moment lang erwog ich ernsthaft, sie zu küssen.

Ein Gefühl, so stark und so glücklich, dass es über alle anderen Gefühle, ja sogar über die Angst, dominierte, durchflutete mein Denken, meinen Körper.

Soetwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Warum auch? Wer ahnte schon, mit welchem Orkan an Selbsthass und Selbstzweifel ein Typ wie ich zu kämpfen haben konnte. Ein Mensch, der nach außen hin immer nur den perfekten Schein zeigte, der niemals die Spur eines Verdachts aufkommen ließ, dass er möglicherweise wusste, was verzehrende, wühlende Qual war. Und doch hatte sie diesen Satz gesagt.

Diesen erlösenden, befreienden Satz nach dem ich mich so gesehnt hatte.

Dieser Satz, der sagte: Du bist nicht allein.

Und ausgerechnet SIE hatte ihn ausgesprochen.

Ich liebte sie.

Entsetzt stoppte ich meinen Gedankenfluss. Es war das erste mal, dass ich diesen Satz wirklich gedacht hatte.

Ich war zu erschrocken und merkte, dass sie mich immernoch beobachtete. Ich musste wohl ziemlich entrückt geguckt haben, denn sie sah mich sträflich an. “Hören Sie gefälligst auf, mich zu ignorieren. Ob Sie es wollen oder nicht, ich werde Sie schon dazu bringen, ihre Last mit mir zu teilen! Notfalls mit Gewalt.”

Ich lächelte sie an: “Ich denke, das wird nicht nötig sein. Ich nehme dein Angebot an.”

Sie holte gerade Luft und öffnete den Mund, um die Diskussion fortzuführen und mich zu überzeugen, brach aber jäh ab. Überraschung breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

“Sie nehmen es an? Im Ernst?”

“Ja, das tue ich. Danke, Kyoko-chan.”

Es ging einfach nicht anders. Zu nahe war ihr Gesicht dem meinen, zu süß war dieser überraschte Gesichtsausdruck und zu überwältigend war diese Gefühlsflut, die in mir aufbrandete. Ich beugte mich vor und hauchte ihr mit meinen Lippen sachte ein Küsschen auf die Wange. Ich atmete den letzten Hauch Parfüm ein, der seit der Premiere noch nicht von ihrem Hals gewichen war. Eine flüchtige Erinnerung an Rosenblätter, Wasserjasmin und Vanille.

Es war ein seltsamer Augenblick und ich spürte, wie ihr Körper stocksteif wurde.

Sie war blass geworden und die Verlegenheit war ihr unmittelbar anzusehen.

“Tsuruga-san, das...”

Sie blickte auf Momose-san. Die wiederum lächelte gequält.

“Es ist schön, zu sehen, dass wir zusammenhalten können... Solange wir das tun, werden diese Typen es schwer haben, uns einzuschüchtern.”

Sie sagte es, sicherlich meinte sie es auch so, aber trotzdem wirkte sie plötzlich unendlich erschöpft und traurig.

Mogami-san warf mir einen letzten verwirrten und ebenso traurigen Blick zu und lehnte sich dann neben Momose-san, sodass die Mädchen nun direkt nebeneinander lagen. Immernoch hielt sie ihre Hand.

Ich hatte das Gefühl, dass ich zu weit gegangen war und lehnte mich mit den Ellbogen auf meine Knie, ließ den Kopf hängen.

In meinem Kopf herrschte kein Fünkchen Klarheit mehr.

Nicht nur das Hin und Her mit Mogami-san, auch diese rätselhaften Ereignisse machten mir zu schaffen.

Ich verstand die Welt einfach nicht mehr.

Warum hatte uns die Polizei noch nicht befreit?

Sie mussten doch ganz genau wissen, wo wir waren!! Immerhin waren wir vor ihrer Nase mitten aus Tokio davongefahren!!

Das war so unlogisch!

Wie waren wir in dieses Flugzeug gelangt?

Wie hatte diese ganze Entführung aus einem propervollen Theater ÜBERHAUPT funktionieren können?

Warum brauchte man ausgerechnet uns?

Ich fand einfach keine Antwort.

Eines jedoch wusste ich. Derjenige, der hinter all dem steckte, musste Macht besitzen. Schrecklich viel Macht und Einfluss.

Und noch während ich so vor mich hingrübelte, passierte es. Das, woran ich mich noch Jahrzehnte später erinnern sollte. Den Schock, der mir durch Mark und Bein gehen sollte.

Ein Mann schob den Vorhang zur Seite. Er brachte etwas zu essen, bloß ein paar Cracker und etwas Wasser, doch das war nicht das entscheidende. Er stellte das Tablett wortlos auf den Tisch. Dabei rutschte sein Ärmel ein Stück hinauf. Der Arm war lückenlos tätowiert. Als er sich wieder aufrichtete und sich zum gehen wandte, erhaschte ich einen Blick auf seine Hand und mir wurde übel vor Schreck. Es fehlten drei Fingerglieder.

Nicht der Anblick hatte sich mir den Magen umdrehen lassen. Sondern die Bedeutung von abgeschnittenen Fingergliedern.

Und plötzlich hatte ich die Antwort auf all meine Fragen. All die brennenden Fragen waren plötzlich mit einer schrecklichen, unfassbaren, irrsinnigen, kolossal Angst einflössenden Antwort abgetan.

Yakuza!

Hinter all dem steckte die Yakuza.

Diese Organisation hatte Untermänner in Polizei, Politik und Justiz... und das in nahezu allen Ländern der Erde.

DESHALB also hatte die Entführung funktionieren können.

Syndikatsbosse der Yakuza schnitten sich seit jeher ein Fingerglied ab, wenn sie gegen einen anderen Bandenboss verloren hatten und ihre Demut präsentieren wollten. Jedes abgeschnittene Fingerglied stand für einen Fehler in einem Yakuza-Leben. Genauso die Ganzkörpertätowierung. Sie war ein beliebter Körperschmuck der Yakuza. Jeder von denen besaß das.

Dieser Mann eben war eindeutig ein Yakuza gewesen. Doch das alles ergab keinen Sinn. Warum sollte die Yakuza UNS entführen? Warum sollte sie überhaupt etwas so Aufmerksamkeit erregendes tun? Die Yakuza war eine Untergrundorganisation. Untergrundorganisationen taten gut daran, im UNTERGRUND zu agieren. Die Polizei und die Politik hatten sich zwar mit ihr arrangiert, doch das hieß keinesfalls, dass Yakuzi Narrenfreiheit besaßen. Die Yakuza hatte schon immer Abstand von der japanischen Öffentlichkeit genommen.

Also WARUM?

WARUM, fragte ich mich, hatten sie uns entführt?

Ich wusste keine Antwort.

Doch eines wusste ich genau: Wir waren in das mächtigste kriminelle Intrigennetz geraten, das es auf der ganzen Welt gab.
 

Wir beobachten gespannt Rens erbleichte Miene, ein Nerv an seiner Augenbraue will einfach nicht aufhören, zu zucken. Plötzlich unterziehen sich diese in Japan heiß begehrten Züge einer Metamorphose; die Nase wird kleiner, schmaler. Die Haare werden länger, dunkler. Das Gesicht wird weicher, weiblicher. Und dann ist es nicht mehr Rens Gesicht, das wir anblicken.Kanae mit geschlossenen Augen atmet sanft und regelmäßig im Schlaf. Nichtsahnend, dass sich eben in jenem Moment Rens Antlitz, ähnlich blass wie das ihrige, vor fremdartigen Gefühlen hilflos verzerrt.
 

---BAMM----

Kanaes Kopf ruckte hoch. Sie war auf ihren Armen eingenickt, doch ein lauter Knall hatte sie aufschrecken lassen. Schlaftrunken und leicht schmatzend wartete sie, bis ihr Sichtfeld klarer wurde, erkannte schließlich ein Büro.

Stimmt ja, schoss es ihr durch den Kopf; sie war mit einem Schlag wach und schnellte blitzartig von ihrem Stuhl hoch. Dies stellte sich allerdings als Fehler heraus. Ihr Kreislauf dankte ihr diese rasche Bewegung indem ihr alles schwarz vor Augen wurde und sie ächzend gegen etwas weiches prallte.

Sie öffnete die Augen, ignorierte das schwarze Flimmern und erkannte Yashiros Gesicht, das in einem Karussell vor ihr besorgniserregend kreiselte. Er hatte sie bei den Schultern gepackt, um zu verhindern, dass sie stolperte und wartete geduldig ab, dass sie wieder fest stehen konnte.

“Alles in Ordnung?”, fragte er und blickte ihr ernst in die Augen.

“Ja, mir war nur kurz schwindelig, zu schnell aufgestanden...”

Einen Moment unterzog er sie noch seinem forschenden Blick, dann wandte er sich wieder um und lugte durch den Türspalt auf den Korridor.

“Was hatte dieser Knall zu bedeuten?”

“Ich weiß es nicht. Hat sich angehört, als ob irgendetwas Schweres runtergefallen wäre. Aber der Präsident und der Kommissar sind immer noch im Büro. Es brennt Licht.”

“Hm? Wie spät ist es denn?”

“23.00 Uhr”

“... Und Sie waren die ganze Zeit wach?”

“Natürlich. Einer muss ja aufpassen, ob etwas geschieht, nicht wahr?”, er lächelte und wirkte dabei müder denn je.

Das verpasste ihr ein schlechtes Gewissen; sie hatte ihn vor ein paar Stunden angeschrien und geglaubt, er würde die Sache nicht ernst nehmen, dabei legte er sich mehr ins Zeug als sie.

“Danke”, kam es unvermittelt von ihr.

“Schon gut. –Verdammt von hier können wir überhaupt nichts hören!”

Gedanklich stimmte sie ihm zu und ließ den Blick suchend durch das Büro schweifen, blieb am Fenster hängen.

“Sie sagen, dieses Büro liegt direkt neben Takarada-sans?”

“Ja. Wieso... -Kotonami-san, was hast du vor?”, brachte er verwirrt heraus, als sie ihm den Rücken zuwandte und zielstrebig durch den Raum auf das Fenster zuschritt. Es war ein riesiges Glasfenster. Genau richtig, dachte sie, und mit etwas Glück...

Sie öffnete es und lehnte sich weit heraus.

Von der Straße unten ertönte gedämpftes Autohupen und Stadtlärm.

Yashiro war neben ihr aufgetaucht und blickte sie fragend an, als sie sich mit triumphierender Miene zu ihm umwandte.

“Der Präsident hat sein Fenster auch offen! Ich habe eben Watanabe gehört!”

“Kotonami-san, du bist...”, begeistert strahlte er sie an und gestikulierte nach Worten ringend.

“Ssshht. Hier, stellen Sie sich dorthin, da hört man am besten!”

Sie quetschten sich so nah wie möglich gegen den Fensterrahmen und versuchten angestrengt, die Worte aus dem Nebenzimmer zu identifizieren, was sich als schweres Unterfangen für Kanae herausstellte, da Yashiro so sehr nahe bei ihr stand. Es war einfach die Tatsache, einem ziemlich fremden Mann so nah zu sein. Erschaudernd registrierte sie seinen Atem, der ihr über den Nacken strich und vereinzelte Haare zur Seite blies.

Konzentriere dich!

Sie schnaubte leise, als sie sich bei diesen lächerlichen Gedanken ertappte und richtete säuerlich ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Nebenraum, wo gerade Stille eingetreten war. Dann Watanabes Stimme:

“Das... kann nicht... das ist UNMÖGLICH!!”

Sie tauschte einen beunruhigten Blick mit Yashiro und horchte angestrengt weiter.

“TATSUMI!! Kommen Sie her zu LME. AUF DER STELLE!!”

“Ist etwas nicht in Ordnung?” Die Stimme des Präsidenten.

Watanabe ließ sich Zeit mit seiner Antwort.

...

“Sie... sind uns entwischt.”

“WAS? A- aber Ren! Momose-kun! Mogami-kun! Die haben Sie doch, oder?”

...

“Es tut mir Leid.”

“Aber WIE konnte das passieren? SIE haben mir doch gesagt, der ganze Flugplatz wäre abgeriegelt! Ihre Männer waren Profis!!”

“Ich weiß es nicht.”

“ABER-”

“Hören Sie! Ich kann mir selber nicht den geringsten Reim darauf machen, wie diese Kidnapper in eines der Flugzeuge gelangen konnten! Das ist unmöglich!”, bei dem letzten Satz war seine Stimme vor Unglauben gekippt.

Eine dröhnende Stille senkte sich zwischen alle Beteiligten.

Kanaes Körper hatte zu zittern begonnen. Yashiro hatte die Augen geschlossen und atmete geschockt ein. Doch zu einem Wortwechsel kam es nicht; Watanabe setzte wieder an.

“Zwei der drei verdächtigen Flugzeuge können wir an ihrem nächsten Ankunftsort noch einmal kontrollieren; das dritte gehört einem sehr hohen Politiker. Die Lizenz kriegen wir nicht mal im nächsten Leben.“

“Wem gehört es?”

“Furushio Matsumoto.”

Kanae hörte, wie Yashiro hinter ihr erschrocken nach Luft schnappte.

“DEM Matsumoto-san? Aber der kann unmöglich was mit der Entführung zu tun haben!”, Takaradas Stimme wurde immer schriller.

“Eben. Diese Spur ist vollkommen abwegig!“

„Vielleicht sind sie ja gar nicht in die Flugzeuge geflohen!”

“Unmöglich. Die Wagen wurden verlassen auf einer naheliegenden Straße aufgefunden. Das ganze Gebiet ist abgeriegelt. Sie MÜSSEN sich in einer der Maschinen befinden.”

“ABER WIE... ?”

“ICH WEIß ES NICHT! Hören Sie...”, er seufzte, “Tatsumi kommt hierher. Er wird uns Bericht erstatten. Wenn Sie mich bis dahin kurz entschuldigen könnten... ich muss ins Präsidium zurück, da wird der Teufel los sein...”

Der Präsident gab keine Antwort.

Sie hörten, wie sich Watanabe erhob und Takaradas Büro verließ.

Weder Kanae noch Yashiro rührte sich.

“Wer hätte das gedacht...”, hörte sie ihn hinter sich murmeln.

Währendessen arbeitete es in ihrem Kopf. Matsumoto... mit diesem Namen verband sie doch irgendetwas...

Genau!

“Yashiro-san! Handelt es sich hier etwa um DEN Matsumoto? Der, um den es vor einiger Zeit so in den Medien ging?”

“Genau der.”

Sie schlug die Hand vor den Mund.

“Glauben Sie, er könnte etwas mit...”

“Es ist die einzige Möglichkeit, oder? Erinnerst du dich zufällig noch an die Schlagzeilen, die damals so schockierend waren?”

“Natürlich. Dem Mann wurden florierende Beziehungen zur Yakuza nachgesagt.”

“Genau. Es stellte sich am Ende alles als Irrtum heraus und die Zeitungen entschuldigten sich allesamt bei ihm, was seiner Popularität einen ungemeinen Schub verpasste.”

Sie schwiegen. Eine dumpfe Angst kroch langsam vom Fussboden zu ihrem Körper hinauf wie ein kleines, schleichendes Getier. Kanae fühlte, wie es ihr die Kehle zuschnürte und ihre Handflächen kribbelten und schweißnass wurden.

“Aber... es war doch wirklich ein Irrtum der Zeitungen, oder? Ich meine...”

Ihm entging die verzweifelte Hoffnung in ihrer Stimme nicht.

Es kam beiden aberwitzig und unfassbar vor. Trotzdem konnte keiner diesen Gedanken vollkommen verdrängen.

“Wissen Sie etwas über die Yakuza?”

“Sehe ich so aus? Ich habe nicht die geringste Ahnung, ich bin ein ehrbarer japanischer Bürger.”

“Natürlich, tut mir Leid.”

“Schon gut.”

Abermals Schweigen. Immernoch standen sie dicht gedrängt am Fenster.

Kanae schloss die Augen und dachte an Kyoko, wie sie in der Akademie hinter ihr hergedackelt war, “Miss Mennoooooooooo!!” gerufen hatte und wie sie einst gemeinsam durch die Stadt gebummelt waren und Eis gegessen hatten.

Sie schlug die Augen wieder auf. Der Nachthimmel von Tokio blinzelte sie höhnisch an. Gedanken von Korruption, Yakuza und blutigen Entführungen zogen an ihrem geistigen Auge vorbei und legten sich über die Erinnerung von Kyokos strahlendem Gesicht. Ihr wurde schlecht. Ihre Knie gaben nach und sie kippte vornüber.

“Kotonami-san!“

Überstürzt schlang er seine Arme um ihren Oberkörper und hielt sie mit knapper Mühe und Not auf den Beinen.

„Was hast du? Stimmt etwas nicht? Geht es dir nicht gut?“, er schüttelte sie leicht doch sie gab keine Antwort.

Verdammt, dachte er und versuchte, sich von der Stelle zu bewegen, doch Kanaes Gewicht hinderte ihn daran und er strauchelte, drohte das Gleichgewicht zu verlieren.

Er wollte sich noch irgendwo festhalten, doch es war zu spät. Rückwärts fiel er um und landete schmerzhaft auf dem Rücken. Über ihm Kanae.

„Uouhh... !“, ächzte er und wollte sich aufrichten, stockte aber jäh, als er bemerkte, dass er nichts mehr sah.

„Mist! Meine Brille...!“, murmelte er und tastete blindlings über den Boden.

„Aahhhh...“, kam es dumpf von Kanae und er spürte, wie sie sich auf ihm regte, ihre Wange strich an seiner vorbei, sie erhob sich unsicher. Erwartungsvoll hielt er den Atem an, als sie sich aufsetzte.

„Was ist passiert? Was tun Sie da?“

Entrüstung übermannte ihn. „Na hör mal, DU bist schließlich plötzlich abgeklappt und hast mich unter dir begraben!“

„Entschuldigen Sie bitteschön, aber dafür kann ich ja wohl wirklich nichts! Wollen Sie MICH jetzt dafür verantwortlich machen?...

...und übrigens, Sie haben Ihre Brille verloren.“

Entfernt nahm er wahr, wie Sie den rechten Arm ausstreckte und nach etwas griff.

Sachte näherte sie sich seinem Gesicht mit ihren Händen und setzte ihm die Brille wieder auf. Ihre Handballen streiften dabei seine Haut, eine flüchtige, warme Berührung. Unbewusst kreuzten sich ihre Blicke.

Yashiro blieb die Sprache weg. Was war hier los? Wie war er nur in diese Lage geraten? Vor drei Tagen hatte er sich doch noch um Rens Interviews und Termine gekümmert! Warum war plötzlich dieses jähzornige Mädchen so nahe bei ihm? So wie sie mit ihm umsprang musste man das ja schon als gewalttätig bezeichnen... Und vor allen Dingen WIE nah... !

„Ähm...“

„Ja?“

„Du sitzt auf mir. Könntest du vielleicht...?“

„Was? Entschuldigen Sie“, hastig sprang sie auf. Hatte sie tatsächlich die ganze Zeit auf einem wildfremden Mann gesessen?

Etwas peinlich berührt richteten sich beide wieder auf.

Keiner wagte, etwas zu sagen. Zu bizarr war die Situation.

Schließlich räusperte sich Yashiro: „Ähm... wollen wir weitermachen?“

„WAS?“, fragte sie völlig entgeistert.

„Na... mit den Nachforschungen, meine ich! ...Was dachtest du denn?“

„Ach nichts. Ja, das machen wir“, brachte sie hastig hervor warf ihm noch einen kurzen misstrauischen Blick zu.

Sie spürte, wie sich die alte Kanae allmählich wieder bemerkbar machte und gewann zusehends an Sicherheit.

„Wie sieht unser nächster Schritt aus, Herr Manager?“

„Yakuza.“

Sie zuckte zusammen. Schlagartig war die bedrohliche Stimmung wieder da, die vor diesem merkwürdigen, peinlichen Unfall geherrscht hatte.

„Was ist mit denen?“

„Wir müssen mehr über sie in Erfahrung bringen, um festzustellen, ob sie tatsächlich etwas mit dieser Entführung zutun haben könnten. Außerdem müssen wir uns genauer mit diesem Matsumoto beschäftigen.“

Ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, was der beklemmenden, ängstlichen Atmosphäre keineswegs Abhilfe schaffte. Trotzdem... er war wirklich Manager durch und durch.

Yashiro war bereits zu einem der Computer an den Arbeitsplätzen gegangen, hatte ihn eingeschaltet und setzte sich davor.

„Das kriegt doch Keiner mit, wenn wir uns über Yakuza informieren, oder?“, fragte sie unsicher, während er sich ins Internet einloggte und sie sich hinter ihn stellte und ihm zögernd über die Schulter spähte.

Er wusste, was sie meinte. Yakuza, das war ein gefährliches Milieu, man durfte keinerlei Spuren hinterlassen und wenn sich jetzt ein Hacker bei ihnen... nein, das war nicht möglich.

„Keine Sorge, LME besitzt die beste Firewall, die es auf dem derzeitigen Softwaremarkt gibt.“

„Dann ist ja gut...“

Schnell hatte er die erforderlichen Seiten gefunden, es war in englischer Sprache. Er las leise vor und übersetzte gleich für sie:

„Hm... scheint ein ausländischer Artikel zu sein...: Yakuza- die mächtigsten Verbrecher-Syndikate der Welt. Auf fast 100.000 wird die Zahl ihrer Mitglieder geschätzt. Ähnlich der Mafia und doch um vieles mächtiger. Sie beherrschen 50% des japanischen Immobilienmarktes. Sie verleihen mehr Geld an Privatpersonen als alle japanischen Banken zusammen und sind als Wirtschaftsfaktor so wichtig wie Mitsubishi oder Sony. Sie beeinflussten Japans Nachkriegsgeschichte nachhaltig, halfen, Premierminister an die Macht zu bringen und auch wieder zu stürzen...“, er brach ab.

„Oh mein Gott...“, flüsterte Kanae.

„Was geht hier nur vor? Was passiert mit Kyoko-chan und den anderen?“

Besorgt drehte er sich um, bereit, sich aus der Schussbahn zu begeben, falls sie wieder umfallen und ihn erdrücken wollte. Doch nichts davon war der Fall.

Sie stand einfach da. Starrte leichenblass auf den Bildschirm vor ihr und fühlte, wie heißkalte Wellen der Angst durch ihren Körper jagten.

„Yashiro-san... was könnte die Yakuza von Tsuruga-san und Kyoko-chan wollen?“

Ratlos zuckte er mit den Schultern.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber hey, gib die Hoffnung noch nicht auf, vielleicht hat das ja auch gar nichts damit zutun!“, sagte er matt und es war unverkennbar, dass es ihm so am liebsten gewesen wäre, da „Yakuza“ tatsächlich ein äußerst dunkles Milieu war...
 

Unser Blick löst sich von Yashiro und Kanae. Wir verlassen das Büro und sprinten die Treppen hinunter in die Eingangshalle, so schnell, dass unser Sichtfeld dadurch bedrohlich wackelt. Unten im Foyer schnaufend angekommen, bleiben wir stehen und sehen, wie ein Mann mit dunkler Jacke das Gebäude betritt. Er ist triefnass, von seinen langen, schwarzen Haaren tropft unaufhörlich Wasser in sein Gesicht. Ihm scheint sichtlich unwohl hier zu sein, dennoch geht er geradewegs auf die Aufzüge zu..
 

Tatsumi war mit den Nerven völlig am Ende. Ihm und dem Rest des Sonderkommandos war es ein Rätsel, wie die Kidnapper durch diese Schranke hatten kommen können. Da konnte es einfach nicht mit rechten Dingen zugehen. Und jetzt durfte er sich wahrscheinlich noch einem Wutausbruch seines Bosses unterziehen, der sich gewaschen hatte... Er drückte den Knopf für das oberste Stockwerk und massierte sich abgespannt die Schläfen. Was war das nur für eine Woche? Er hatte gehofft, mit seinenem Bruder und seinen Kumpels mal wieder zum Karaoke gehen zu können, aber das konnte er sich jetzt getrost abschminken... Watanabe würde ihn zur Schnecke machen, vielleicht sogar feuern... ! Er durfte gar nicht daran denken.

Es gab ein sanftes „Ding“ und die Türen schwangen auf. Er betrat den düsteren Korridor.

Wo war noch mal Takaradas Büro? Verflucht...

Er sah am Ende des Ganges ein Büro, dessen Tür angelehnt war. Ein heller Lichtschimmer ging von dem Spalt aus, den sie freigab. Gedämpfte Stimmen ertönten aus dem Zimmer.

Das muss es sein!, dachte er erleichtert und schritt darauf zu, stieß die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen.

Die beiden Personen, die erschrocken die Gesichter zu ihm gedreht hatten, wirkten nicht minder überrascht.

„Ähm... was machen Sie denn noch hier?“, fragte Tatsumi. Eine berechtigte Frage, wie er fand. Es war schließlich schon fast 23.30 Uhr!!

Das Mädchen und Tsurugas Manager sahen sich betreten an, er konnte nicht umhin es zu denken: Auf frischer Tat ertappt!

„Was ist falsch daran, ein paar Überstunden in der eigenen Agentur zu machen?“, fragte Yashiro.

Tatsumi verzog das Gesicht: „Überstunden? Zu dieser Zeit? Erzählen Sie mir doch keine Geschichten! Ich war vorhin schließlich dabei! Sie suchen nach Beweisen für ihre Theorien!“

Die Katze ist aus dem Sack, dachte Kanae und machte keinen Hehl mehr daraus: „Ist das verboten? Sie können uns gar nichts!“

„Das habe ich auch nicht vor, aber wenn Watanabe euch hier sieht... !“, verschreckt blickte er hinaus auf den leeren Flur und schloss rasch die Tür hinter sich. „Ich möchte mir gerne Ihre Theorien anhören!“

Misstrauisch begutachteten ihn die beiden.

„Was denn? Schaden kann es doch nicht! Im Gegenteil, ich könnte Ihnen sogar helfen! Immerhin bin ich Watanabes engster Mitarbeiter!“

„Eben...“, sagte das Mädchen und bei der Erwähnung von Watanabes Namen waren ihre Augen zu gefährlich verengten Schlitzen geworden.

Tatsumi seufzte: „Dann halt nicht...“, und war schon inbegriff sich umzudrehen, doch Yashiro hielt ihn zurück.

„Warten Sie, können wir Ihnen wirklich vertrauen?“

„Natürlich! Ich bin nicht mein Chef!“, entrüstete sich Tatsumi.

„Also gut... soll ich, Kotonami-san?“

Kotonami heißt sie also, dachte Tatsumi und musterte interessiert, wie ihre dunklen Haare sich sanft bewegten, als sie leicht mit dem Kopf nickte, einen ernsten Ausruck auf dem hübschen Gesicht.

Yashiro erzählte.

Tatsumi hörte zu.

Dann schilderte er, was sich am Flugplatz ereignet hatte.

Am Ende war er sich sicher. Beides passte zusammen. Die Theorie der beiden war nicht von der Hand zu weisen, denn was er am Flugplatz erlebt hatte, war einfach nicht anders zu erklären. Er musste sich allerdings eingestehen, dass ihm bei dem Gedanken, die Yakuza könnte in all das involviert sein, nicht wohl war...

„Ich glaube Ihnen“, sagte er schlicht.

„Und was sollen wir nun tun?“, fragte Yashiro unsicher.

Die drei blickten sich an und waren sich einig. Vorerst wird nichts von diesem Verdacht nach außen getragen.

„Wir werden sie befreien, was denn sonst?“, sagte Tatsumi entschlossen und erhob sich.

Wie die drei Musketiere, dachte Kanae und ihr wurde ein wenig leichter ums Herz, als ihr bewusst wurde, dass sie vielleicht gerade einen erheblichen Schritt nach vorn getan hatten, um Kyoko zu retten...

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Sooo das war's... ich sitze schon fleißig an Kap 8, aber das ist sogar noch schwerer als Kapitel 7... also bitte nicht hauen, wenn ich dafür so meine Zeit brauche... ich freue mich immer ganz dolle über eure Kommis, sie inspiereren mich unwahrscheinlich, was den weiteren Verlauf der Geschichte angeht... merci beaucoup!!!

*euch alle knuddel*

Ach übrigens...
 

"Schließlich räusperte sich Yashiro: „Ähm... wollen wir weitermachen?“

„WAS?“, fragte sie völlig entgeistert.

„Na... mit den Nachforschungen, meine ich! ...Was dachtest du denn?“"

Kann sich jemand denken, weshalb Kanae in dieser Situation so erschrocken

reagiert und an was sie im ersten Moment gedacht hat, das Yashiro zu ihr gesagt hätte? Hihi, meine Freundin meinte, man würde es nicht verstehen... find ich lustig... die Geschichte birgt sozusagen kleine Geheimnisse, die nur die ganz cleveren durchschauen... *möp*

Willkommen im abgründigen Paradies...

An alle, die sich bereits fragten, ob ich wohl eines unvorhergesehenen und plötzlichen Todes gestorben bin, da monatelang kein Lebenszeichen von mir auftauchte: Nein, es gibt mich noch! Und ich bin zurück, mit neuem Schreibeifer und Inspiration! Es tut mir sehr Leid, dass ich so lange auf mich habe warten lassen!

Als Entschädigung dieses putzige Kapi hier und eine kleine Zusammenfassung der vorangegangenen Kapitel für die, die sich nicht mehr wirklich an deren Inhalt erinnern (Wer es noch weiß, übergeht das einfach^^ )

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Summary:

Kyoko, Ren und Itsumi werden auf der Premiere von Dark Moon von einem rattengesichtigen Mann mit seinen Komplizen entführt. Itsumi und Sho werden dabei angeschossen. Ein Security-Mann verliert das Leben.

In einem Gefangenentransporter werden die drei schließlich aus Tokio gebracht, Itsumi ist nicht bei Bewusstsein und auch Ren und Kyoko müssen einige Schwierigkeiten miteinander überwinden. Derweil geht es Sho ziemlich schlecht, Kanae handelt und stellt den Präsidenten zur Rede. Sie wird abgewiesen, tut sich daraufhin mit Yashiro zusammen und versucht herauszufinden, was Watanabe, der Hauptkommissar von Tokio, vorhat. Wenig später werden Kyoko und Ren niedergeschlagen und in ein Flugzeug gebracht, das dem berühmten Politiker Matsumoto gehört. Ren befällt der Verdacht, dass die Yakuza in all das verwickelt sein könnte. Auf die selbe Idee kommen viele Kilometer entfernt Yashiro und Kanae auch. Kurz darauf tun sie sich mit dem engsten Verbündten Watanabes zusammen, um ihre Freunde zu befreien.

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Chapitre huit: Willkommen im abgründigen Paradies...
 

Ein verräucherter Raum. Raue, lachende Männerstimmen. Dunkle Pläne schwelen in den Köpfen. Unheimlich, abstoßend diese Atmosphäre hier. Schnell weg. Doch halt, einen Moment noch. Wir drehen uns ein letztes mal zur Visage des berühmten Politikers Furushio Matsumoto um, dieser Mann so erfolgreich und populär wie verlogen und manipulativ. Intelligente Züge, Brille, strenger Blick. Er gibt einer der tumben Gestalten, die ihn umlagern, ein Handzeichen. Anspannung zeichnet sein Gesicht. Scheinbar behagt ihm der Gedanke nicht, in dieser Gesellschaft gesehen zu werden. Der angesprochene Mann erhebt sich und geht in den hinteren Teil des Flugzeuges indem er einen Vorhang zur Seite schiebt. Er kehrt mit einem anderen, weitaus besser aussehenden Mann zurück. Es handelt sich um Ren Tsuruga, heiß begehrte Persönlichkeit Japans. Wir treten näher an letzteren heran. Die Männer im Raum können es nicht sehen, wir jedoch schon: Ren ist nervös. Er knetet die Hände hinter dem Rücken, gibt sich einen Ruck und nimmt eine lässigere Positon ein. Kein Wunder, er ist schließlich Schauspieler.
 

Ich stockte, als ich das Gesicht meines Gegenübers wiedererkannt hatte. Matsumoto, der bekannte Politiker. In mir regten sich Erinnerungen an eine heikle Medienaffäre mit sensationellen Anklagen gegen ihn. Es hatte also doch gestimmt, was damals über ihn berichtet worden war. Er war tatsächlich ein schmieriger Yakuza-Günstling. Ich hatte die beiden Mädchen schlafend im Hinterzimmer gelassen. Mir war nicht wohl dabei, aber blieb mir eine andere Wahl? Also setzte ich alles auf eine Karte: Mein schauspielerisches Talent. Damit würde ich diesen Verbrechern schon noch heftig Kontra geben. Wer sich mit mir anlegen wollte, musste sich warm anziehen. Erinnerungen an lang vergangene Jugendzeiten streiften mein Bewusstsein. Ich lächelte selbstbewusst.

Mich kriegt ihr nicht klein... !

“Guten Tag, Tsuruga-san.” Matsumoto blickte mich beim Sprechen überheblich an.

Ich antwortete nicht, sondern musterte ihn abschätzend.

“Hahaha schon klar. Sie haben es nicht gemocht, wie Gono mit Ihnen umgesprungen ist, nicht war?” Er ruckte mit dem Kopf in Richtung Rattenmann.

...

“Was wollen Sie?”

“Gute Frage, wirklich... Lassen Sie es mich so erklären, ich habe Freunde. Diese Freunde sind mir oftmals sehr behilflich. Im Gegenzug erwarten sie aber, dass ich ihnen auch ein paar kleine Gefälligkeiten erweise!”

Ich schwieg und ließ den Blick über die versammelten Männer schweifen. Alles unverkennbar Yakuza. Mein Verdacht bewahrheitete sich also.

“Mir war schon immer klar, dass die LDP mit der Yakuza unter einer Decke steckt. Was für eine 'kleine Gefälligkeit' soll die Entführung dreier Schauspieler darstellen?”

“Scharfsinnig sind Sie, das muss man Ihnen lassen. Sie haben also schon gemerkt, in welcher Liga Sie jetzt spielen. Sehr gut, dann kann ich mir das lästige Gerede ja ersparen”, sagte er mit einem bösen Lächeln und ließ sich ein Glas Gin bringen. “Um genau zu sein, werden wir gleich in Tokio landen und dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie kooperieren, damit alles glatt läuft. Ich habe Sie herbringen lassen, um sie daran zu erinnern, dass ein Fluchtversuch hässliche Folgen davon tragen würde, sowohl für Sie als auch für die anderen beiden Sternchen.”

Schnaubend lachte ich auf. “Kooperieren? Soll das ein Scherz sein? Ich denke nicht mal im Traum daran.”

Das Lächeln auf Matsumotos dünnen Lippen flackerte. “Sie wissen, was mit Ihren Kolleginnen geschieht, wenn Sie nicht tun, was wir Ihnen sagen?”

“Natürlich, Sie knallen uns alle ab. Peng, vorbei. Aber das zieht bei mir nicht mehr. Wenn Sie Momose oder Mogami auch nur ein Haar krümmen, werden Sie von mir lange auf eine Zuarbeit warten können. Sie haben Momose-san so schwer verletzt, dass sie eben erst aus einem starken Fieber erwacht ist. Stellen Sie mir keine Forderungen!” Mein Ton war forsch und ließ keine Widerrede zu. Eine einschüchternde, abweisende Art, die ich vor Jahren auf der Straße gelernt hatte, unwissend, dass ich sie mit 20 Jahren noch einmal brauchen würde.

Hasserfüllt beobachtete der Politiker mich. “Sie verkennen die Lage. Ich glaube nicht, dass sie sich in der Position befinden, mir Anweisungen zu erteilen!”

Ich lachte trocken auf. “Oh tatsächlich? Wollen wir wetten, dass ich es bin? Und wollen Sie auch wissen, weshalb ich mir dessen so sicher bin? Ganz einfach: Ein solch risikofreudiges Projekt wie die Entführung dreier so populärer Schauspieler mitten aus einer Hochburg von Sicherheit und Medienpräsenz kann nur von allerhöhster Ebene der Yakuza kommen. Sie werden sich enorme Schwierigkeiten einhandeln, wenn Sie ihre Geiseln nicht zum vereinbarten Zeitpunkt in vollständiger Zahl abliefern können, Matsumoto-san.” Ich setzte einen kalten, scharfen Blick hinterdrein.

Alle im Raum hielten die Luft an und blickten zu Matsumoto.

Bingo, voll ins Schwarze, dachte ich zufrieden.

Matsumoto hingegen wirkte, als hätte ich ihm einen Faustschlag verpasst. “S...S... Sie wagen es!?”

“Jepp, ich wage es.”

Lässig, mit den Händen in den Hosentaschen, lehnte ich mich an den Türrahmen. Meine Strategie ging vollkommen auf. Ich hatte ihn so weit.

Nur noch 3... 2... 1...

“Was sind Ihre Forderungen?”

Ha, ich wusste es! Er hatte den Köder geschluckt.

“Sie bringen Momose-san in ein Krankenhaus und lassen Mogami-san frei.”

“Das ist doch wohl die Höhe! Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich darauf eingehe!!”

“Und ob ich das glaube.”

“Wir bringen das verletzte Mädchen in ein Krankenhaus. Mehr ist nicht drin.”

Ich schwieg und taktierte ihn. Konnte ich noch einen Schritt weiter gehen?

Ein Gefühl sagte mir, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte.

Denn immerhin war es ja schon ein Durchbruch, dass er überhaupt auf eine meiner Forderungen eingegangen war. Das hatte ich nicht zu hoffen gewagt.

ER war schließlich auch derjenige, der sich in Gesellschaft von gut einem Dutzend bewaffneter Yakuza befand.

Was für ein Trottel, er merkt nicht, dass ich nur bluffe, dachte ich und fügte zu Matsumoto gewandt hinzu:

“Gut. Aber ich warne Sie. Die Abmachung bedingt, dass ich Zugang zum TV habe. Ich werde es also merken, wenn sie meine Bedingung nicht erfüllen. Sollten keine Beiträge über das Auftauchen von Momose-san kommen oder Sie mir den Zutritt zu einem Fernseher verweigern, werden Sie sich an mir und Mogami-san die Zähne ausbeißen.”

Betreten tauschten die Männer im Raum Blicke aus. Keiner wagte es, Matsumoto anzusehen. Der schien vor unterdrückter Wut gleich zwei Nuancen röter geworden zu sein.

Ich hielt es für keine gute Idee, ihn noch weiter zu reizen und wechselte taktvoll das Thema.

“Warum fliegen wir eigentlich Tokio an? Von da wurden wir doch mit Riesentrara abtransportiert!”

Ein hinterhältiges Lächeln schlich sich auf Matsumotos Lippen: “Ich denke du besitzt so viel Weitblick? Schon mal was von Ablenkungsmanöver gehört?”

Ich ging nicht auf seine lächerliche Provokation ein.

“Wann kommen wir an?”

“In einer halben Stunde.”

Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und schritt auf den Vorhang zu, schob ihn beiseite und begab mich in den hinteren Teil des Zimmers.

Da lagen Mogami-san und Momose-san. Allem Anschein nach schliefen sie. Leere Crackerpackungen und Plastikflaschen lagen über den ganzen Boden verstreut. Kein Wunder, wenn man so lange nichts gegessen hatte.

Ich selbst verspürte keinerlei Hunger, mein Magen war auf tagelange Nahrungsentbehrung trainiert, deshalb hatte ich den beiden alles überlassen. Pah, “Nahrungsmittel”, lachte ich trocken vor mich hin. Billige Cracker und ein wenig Wasser. Ich hätte diesem verdammten Matsumoto noch mehr zusetzen sollen!! Ich ließ mich seufzend auf die Couch fallen und sprang hastig wieder auf, als ein lautes krachendes Knistern ertönte. Ich hatte mich auf eine Packung Cracker gesetzt!!

Vorsichtig lugte ich zu den Mädchen hinüber. Sie schliefen noch.

Da lag doch tatsächlich eine Packung Cracker hübsch platziert neben einer kleinen Flasche Wasser? Hatten sie das etwa für mich übrig gelassen?

Mein Blick wanderte zu Mogami-sans schlafendem Gesicht. Mit Sicherheit hatte sie in ihrer endlosen Besorgtheit um meine Gesundheit diese Dinge hier hingelegt.

Wie sie dort so auf der Couch mit ihrem schwarzen Abendkleid lag, gab ihr das das Aussehen einer entführten Dame. Nur tausendmal liebenswürdiger. Ich packte die Cracker zur Seite und legte mich neben sie, sodass ich ihr Gesicht betrachten konnte.

Ich musste sie beschützen... !

Ein kleines Zwicken in der Magengegend verriet, dass ich nicht ganz reinen Gewissens war. Ich hatte nicht mein absolut Möglichstes versucht, um sie in Freiheit zu bringen. Es wäre zwar so gut wie unmöglich gewesen, doch ich hätte bei Matsumoto noch ein wenig weiterverhandeln können!

Warum hatte ich es nicht getan?

Plötzlich regte sie sich und zog beim Schlafen leicht die Nase kraus.

Ich lächelte liebevoll. Mir war gerade klar geworden, warum ich bei Matsumoto nicht weiter auf ihre Freilassung gepocht hatte.

Sicherlich hatte er in Momoses Freilassung hauptsächlich eingewilligt, weil sie ihm durch die Verwundung ein Klotz am Bein war und er sie loswerden wollte, aber dass Mogami-san hier blieb, lag auch zu einem winzigen Bruchteil daran, dass ich sie hier bei mir haben wollte. Ich brauchte sie.

War ich egoistisch?

Wurde man so, wenn man liebte?

Wollte ich überhaupt so werden?

Ich betrachtete ihre Wimpern und ihr zerzaustes, dennoch seidiges Haar, ihre Wangen mit einem Hauch von Röte, den leicht geöffneten Mund.

Eine fast schon provokante Unschuld ging von ihr aus.

Ich konnte mir nicht helfen. Dieses Mädchen zog mich an wie die heilige Reliquie den Pilger. Sie war meine Erleuchtung, mein Ziel, das am Ende des langen beschwerlichen Weges zu mir herüberwinkte. Doch ob ich diesen Weg bis zum Ziel im Auge behalten oder gar überleben würde, war fraglich.

Vielleicht könnte ich niemals das für sie werden, was einst Fuwa war.

Selbst jetzt besaß er immernoch einen großen Platz in ihren Gedanken, obwohl er sie so verletzt hatte.

Ich wusste ja, dass es Hass und nicht Liebe war, was sie nun verband. Trotzdem wäre mir Indifferenz deutlich lieber gewesen. Es hätte gezeigt, dass sie nicht mehr an ihn dachte, oder dass womöglich Platz für jemand Neues in ihrem Herzen war.

Da lag ich nun und philosophierte vor mich hin, während das Flugzeug seinem Kurs auf Tokio unaufhörlich folgte. Wir würden gleich ankommen.

Ich hatte ein ungutes Gefühl bei dem Gedanken, Momose-san diesen Gangstern überlassen zu müssen, aber es war meine einzige Chance, sie hier rauszubringen.

Ich beugte mich vor und strich Mogami-sans Wange entlang.

Sie blinzelte.

“Tsuruga-san?”

“Wir sind gleich da. Weck bitte Momose-san; ich muss euch etwas sagen.”

Behutsam tippte sie Momose-san an und half ihr, sich aufzurichten.

“Ich habe eben mit den Kidnappern verhandelt, als ihr geschlafen habt. Momose-san, du musst jetzt Mut beweisen. Ich habe ausgehandelt, dass sie dich zu einem Krankenhaus bringen.”

“Wie haben Sie das geschafft?”

“Das spielt jetzt keine Rolle, aber ich habe genügend Vorkehrungen getroffen, dass sie dies tatsächlich tun und uns nicht reinlegen können.”

“Aber warum? Weshalb sollten sie etwas so risikofreudiges tun? Ich weiß doch viel zu viel!”

“Das lässt sich jetzt schwer erklären, es gab für sie eben noch größere Risiken. Aber was noch viel wichtiger ist: Du musst, wenn du draußen bist, sehr sehr vorsichtig sein! Besonders vor Beamten und anderen, die sich zu sehr dafür interessieren, was du alles ausplappern könntest!”

Ich wusste nicht, ob ich es wagen konnte, ihr zu sagen, dass wir es mit der Yakuza zu tun hatten und dass sie möglicherweise überwacht werden würde, selbst wenn sie sich in Sicherheit wog. Denn die Beziehungen der Yakuza reichten erschreckend weit, besonders in Japan.

Sie beobachtete mich aufmerksam und scharf.

“Verstanden, Tsuruga-san. Was es auch ist, das sie mir nicht sagen können, ich habe ihre Botschaft verstanden!”

Ich nickte ihr zu und stand auf.

“Macht euch bereit. Mogami-san, du auch. Das wird kein Spaziergang werden. Ich hab das Gefühl, dass uns in Tokio etwas Unangenehmes erwartet.”

“Wir steuern auf Tokio zu?”, fragte Mogami-san ungläubig.

“Ja, es handelte sich offenbar alles um ein Ablenkungsmanöver.”

Sie starrte mich mit weit geöffneten Augen an und senkte ihren Blick dann zu Boden. Ich ahnte, dass sie Angst hatte.

Auch ich spürte, dass sich etwas anbahnte.

Wir alle spürten es.

Wie auf Kommando schob da ein Mann den Vorhang zur Seite und bedeutete uns, ihm zu folgen.

Im vorderen Teil des Flugzeuges erwartete uns Matsumoto.

“Guten Abend die Damen. Welche von Ihnen nennt sich Momose?”

Momose-san atmete durch und trat so erhaben nach vorn, wie es ihre Verletzung zuließ.

“Sie werden weder meinen Namen, noch den Aufenthaltsort der Geiseln bekanntgeben. Ich versichere Ihnen, dass sie sich sonst wünschen, sie wären niemals geboren.” Seine Augen leuchteten unheilverkündend auf. Ich spürte, wie Momose-san, die direkt neben mir stand, um wenige Zentimeter zurückwich.

Idiot, dachte ich.

Sie warf mir einen kurzen Blick zu und gewann neues Selbstvertrauen.

“Ich werde schweigen.”

“Es liegt in deiner Hand. Allerdings wirst du nicht lange genug leben, um über die Folgen der falschen Entscheidung entsetzt zu sein...”

Er wurde plötzlich vom Klingeln seines Handys unterbrochen und ging sofort ran.

„Ja... -WAS??!“

“Matsumoto-san, wir setzen jetzt zum Landeanflug an”, drang es aus dem Cockpit.

Matsumoto ließ sofort das Handy sinken, stürzte in das Cockpit und schrie hektisch los:

„NEIN!!! Dreh sofort diese Scheißmaschine um, an diesem verdammten Hanabusa-Airport erwarten uns die Bullen!!!! DREH!!“

Einige Momente lang geschah gar nichts, dann wackelte die Maschine plötzlich heftig und alle, die gestanden hatten fielen quer durcheinander. Mogami-san und ich hatten geistesgegenwärtig die Arme nach Momose-san ausgestreckt, um zu verhindern, dass sie auch fiel und sich womöglich noch schlimmer verletzte. Mein Herz schlug wie verrückt. Die Polizei hatte uns erwartet? Dann gab es ja vielleicht doch Hinweise und wir waren nicht so verloren, wie wir glaubten! Denn dieses Manöver eben war haarscharf gewesen. Ich wechselte einen schnellen und bedeutsamen Blick mit Mogami-san.

Sie schien dasselbe gedacht zu haben wie ich.

Matsumoto kam aus dem Cockpit und ging zu dem Rattenmann, mit dem er sich gedämpft unterhielt. Ich spitzte die Ohren, um zu hören, was sie besprachen.

„Wir steuern jetzt unangemeldet Shibuya an, das ist am sichersten. Ich habe dort meine Residenz, es wäre also nicht weiter ungewöhnlich, wenn ich dorthin fliege. Wir bringen das Ganze möglichst schnell über die Bühne. Wer weiß, was uns erwartet? Ihr nehmt den Weg über das Südviertel und bringt sie zum Hauptquartier, ich fahre allein in die Residenz und zwei deiner Männer bringen das Mädchen ins Krankenhaus.“

„Warum bringen wir sie ins Krankenhaus? Dieser Affe dort, kann dir doch nicht wirklich damit drohen, nicht zu kooperieren? Ich halt ihm einfach den Lauf meiner Waffe vor die Nase und schon spurt er!“

„Ich weiß, aber so wird er ohne zu murren alles tun, was wir von ihm verlangen und keine Fluchtversuche wagen, weil er sonst den Tod dieser Momose zu verantworten hätte. Abgesehen davon wäre sie nur unnötiger Ballast, der die Operation langsamer verlaufen lässt. Besser zwei Geiseln als drei! Ich werde es Monsieur Dantes später erklären, dich berührt diese Entscheidung also nicht!“

Der Rattenmann nickte Matsumoto zu und trat dann an uns heran.

“Ihr werdet mir folgen! Denk an den Deal Tsuruga-kun, sobald du nicht spurst, wird dieses reizende Geschöpf hier das Krankenhaus nicht lebend erreichen! Ihr tut alles, was ich euch sage.”

Ich schluckte. Mir behagte es keineswegs, diesem Typen auf Gedeih und Verderb ausgefliefert zu sein, aber ich nickte knapp.

Momose-san fragte, an wen sie sich wenden solle. Ein schlanker Mann mit stechenden Augen und einem Anzug näherte sich und bedeutete ihr, ihm zu folgen.

Sie drehte sich ein letztes mal zu uns um.

“Viel Glück. Ich werde für euch beten.” Mit Tränen in den Augen umarmten die Mädchen sich.

“Pass auf dich auf und tue nichts unüberlegtes!”, sagte ich und strich ihr über den Kopf.

Dann folgte sie dem Anzugträger zu einem anderen Ausgang des Jets.

Wir stellten uns zu dem Rattenmann.

Er hielt eine Pistole bereit neben seinem Kopf, in einer Position, die ideale Schussbahn beim Öffnen der Türen gewährte.

Eine ungutes Zeichen.

Ich bemerkte, dass sich unter den anwesenden Yakuza eine gewisse Anspannung breit gemacht hatte.

Was erwartete uns am Shibuya Airport?

Einer der Typen reichte uns Mützen und Sonnenbrillen und bedeutete uns, sie aufzusetzen.

Wir taten, wie uns geheißen.

Ein Ruck durchfuhr das Flugzeug, als es auf der Erde aufsetzte. Mein Herzschlag beschleunigte sich, während wir donnernd über die Landebahn rasten, verlangsamten und stehen blieben.

Augenblicklich rissen die Männer die Türen auf und kletterten an einer Notfallleiter aus dem Flugzeug. Wir sollten ihnen folgen. Mogami-san ging vor mir. Sie sah sehr verängstigt aus, während sie hastig rückwärts die Leiter hinabkletterte. Ihre Haare verwehten stark in dem Wind, der von den ausdrehenden Turbinen herrührte. Ich tat es ihr nach und verließ das Flugzeug über die Leiter, überall um mich herum herrschte Hektik und Nervosität.

Doch kaum war ich auf halbem Wege heruntergeklettert, hörte ich neben dem ohrenbetäubenden Getöse der Maschinen etwas anderes, einen panischen Schrei und fühlte die Strickleiter gefährlich wackeln. Verwirrt blickte ich hinab und spürte mein Herz kurz aussetzen, als ich sah, dass Mogami-san von der Leiter abgerutscht und hinabgestürzt war. Sie lag auf dem asphaltierten Boden der Landebahn und rührte sich nicht. Von rasender Angst gepackt, kletterte ich die Leiter so schnell herunter, wie es nur ging. Unten hatten zwei Yakuza das Mädchen bereits umgedreht und besahen sie sich. Ich stieß sie ungehalten weg und kniete mich neben Mogami-san. Sie schlug mit schmerzverzerrter Miene die Augen auf.

„Los!! Wir müssen weiter!!“, herrschte mich der Rattenmann ungehalten an und warf einen unbarmherzigen Blick auf Mogami-san. Ich bückte mich, hob sie so vorsichtig wie möglich in meine Arme und rannte hinter den Yakuza her. Mein Körper war im Ausnahmezustand. Mein Blut raste durch die Venen und mein Atem ging hastig und unregelmäßig. Ich fühlte, wie Mogami-san in meinen Armen total verkrampfte.

„Geht es ?“, fragte ich sie völlig ausser Atem.

Sie antwortete nicht, hielt die Augen geschlossen und keuchte gepresst.

Ich folgte dem Rattenmann und stieg hinter ihm in einen alten, ausgeblichenen Toyota ein.

Sofort fuhr er mit quietschenden Reifen an und raste mit Vollgas in Richtung Südviertel los.
 

Tsuruga-san half mir, mich richtig hinzusetzen, da wir so hastig auf die Rückbank des Wagens gehechtet waren, dass wir übereinander in der Enge des Autos eingequetscht lagen. Der Schmerz von meinem Sturz wurde schwächer, blieb aber trotzdem bestehen. Direkt unter meiner Brust fühlte ich etwas feuchtes und vermutete Blut. Durch das Kleid war jedenfalls nichts zu sehen, doch ich wusste, dass ich mit genau jener Stelle auf ein rostiges Stück Eisen gestürzt war. Ich hatte es gesehen, wie es bei meinem Fall von der Leiter näher kam, gespürt, wie es meine Haut durchbohrte und dort einen brennenden Schmerz verursachte und es schließlich vor Tsuruga-san verborgen.

Er hatte mich mit so fassungslos besorgter Miene angesehen, dass ich gehandelt hatte ohne zu überlegen. Ich wollte nicht, dass er Angst um mich hatte, denn so schlimm würde die Verwundung schon nicht sein, dass ich ihn deswegen beunruhigen musste. Ich fühlte seinen Blick auf mir ruhen und so atmete ich tief ein, setzte ein selbstbewusstes Gesicht auf und sagte mit einem entspannten Ton und einem Lächeln: „Keine Sorge, so tief war der Fall nicht, der Schmerz ist so schnell wieder abgeklungen, wie er gekommen ist!“ Demonstrativ setzte ich mich in eine bequemere Position hin und musste dabei alle Kräfte zusammen nehmen, um vor Schmerz nicht laut aufzuschreien.

Es schien jedoch zu funktionieren. Er atmete erleichtert auf und ließ sich nun ebenfalls tiefer in den Sitz sinken.

Zeit verging. Wir fuhren.

Plötzlich bog der Rattenmann scharf in eine Rechtskurve ein und brachte das Auto in einer schmalen Gasse zum Stehen. Ohne Vorwarnung wurden wir aus dem Wagen gezerrt. Ich biss die Zähne zusammen und versuchte mir meine Qualen nicht anmerken zu lassen. Jetzt erkannte ich auch, warum wir hier ausstiegen. Wir wechselten das Auto, um etwaige Verfolger zu verwirren. Doch zuvor verband man mir und Tsuruga-san die Augen. Scheinbar wollten die Entführer nicht, das wir den Weg zu ihrem Hauptquartier kannten.

Mir war es egal. Mir war alles egal solange die Schmerzen nur nicht wieder stärker wurden.

Man führte uns zum Auto und stieß uns grob hinein. Dann fuhren wir erneut. Mir war nicht ganz wohl, durch die verbundenen Augen und so tastete ich nach Tsuruga-sans Hand. Ich fand sie und berührte sie sachte, schüchtern mit den Fingern, doch er umfasste meine Hand mit beruhigendem Druck als wolle er sagen: „Keine Angst, ich bin ja da.“ Ich musste lächeln und ließ Tsuruga-sans Zauber wirken.

Nach einer Ewigkeit, so erschien es mir, kam das zweite Auto schließlich auch zum Stehen. Wiederum packte mich jemand am Arm und zerrte mich aus dem Auto. Ich bekam es mit der Angst zu tun, da ich nicht im geringsten ahnte, was jetzt mit mir geschehen würde.

„Tsuruga-san?“, fragte ich ängstlich, um mich zu vergewissern, dass er noch in meiner Nähe war.

„Ganz ruhig, Mogami-san, ich bin hier.“

Ich hörte meinen eigenen Atem ungewöhnlich laut.

Es ging eine Treppe hinauf, vorsichtig tastete ich mich Schritt für Schritt vorwärts.

Ich fing gerade an, mich zu fragen, wie lange das noch so gehen sollte, da hörte ich wie jemand neben mir „Stop!“ sagte. Ich blieb stehen. Endlich wurde mir diese Augenbinde abgenommen. Als ich das helle Licht erblickte, das durchs Fenster strömte, musste ich blinzeln und erkannte nach einigen Momenten, dass wir vor einer eleganten schwarzen Tür standen. Jemand schloss sie auf und stieß mich in den Raum dahinter.

„Ihr werdet heute Abend vom Oberhaupt empfangen. Ihr findet alles, was ihr braucht in diesem Schrank dort. Ein Badezimmer gibt es auch.“ Mit diesen Worten schloss sich die Tür. Tsuruga-san und ich blickten uns um. Das Zimmer, in dem wir uns befanden, war von P-U-R-E-M Luxus. Riesige, schneeweiße Betten, Phönixpalmen, ein großer Spiegelschrank, samtweiche, cremefarbene Sessel und ein kleiner antiker Springbrunnen in der Mitte des Zimmers. Mir versagte die Sprache und auch Tsuruga-san war äusserst überrascht.

„Weshalb geben sie uns nach einer solchen Behandlung SO ein Zimmer?“ Er blickte mich an und sein Gesicht war von Unbehagen erfüllt. „Ich weiß es nicht, aber mir schwant nichts Gutes...“

Ich betrat das Badezimmer. Ein riesiger, marmorbefliester Raum mit griechischem Flair bot sich mir. Es war unglaublich. Nie zuvor hatte ich solch ein Badezimmer gesehen. „Tsuruga-san, kommen Sie, schnell!“ Schritte näherten sich und ich spürte, wie auch er beim Anblick dieses Badezimmers stockte. „Was zum...“

Wir tauschten einen ratlosen Blick.

„Ich möchte all dies nicht in Anspruch nehmen. Blut klebt daran. Der, dem es gehört, hat mit großer Sicherheit Leid in der Welt verursacht.“, sagte ich resigniert und wollte mich auf den Boden setzen, doch Tsuruga-san packte mich am Arm. In diesem Augenblick geschah es. Ein Schmerz, wie von einer glühenden Klinge breitete sich rasend schnell von der Wunde am Brustkorb in den ganzen Körper aus und verhallte dröhnend in meinem Kopf. Mir schwanden leicht die Sinne. Ich hörte, wie Tsuruga-san zu mir sprach, offensichtlich hatte er nicht bemerkt, das ich zusammengezuckt war.

„... und deshalb halte ich es für wichtig, dass du ein Bad nimmst oder dergleichen, du bist auf dem besten Wege, dich zu erkälten in diesem zugigen Kleid. Du hast zudem seit Tagen nichts vernünftiges gegessen und dein Immunsystem ist geschwächt. Ich möchte mir nicht ausmalen, was geschieht, wenn du jetzt krank wirst, diese Kerle werden sich keinen Deut darum scheren. Deshalb, bitte Mogami-san, sei so vernünftig und benutz das Bad, ganz gleich, wie sehr es dir widerstrebt.“ Er redete so schnell und ich verstand kaum ein Wort ganz klar und deutlich, deshalb nickte ich nur stumm. Das einzige, was ich jetzt wollte, war, mich irgendwo hinzusetzen und mich zu sammeln. Die Hand an meinem Arm verschwand und ich taumelte ein Stück, doch Tsuruga-san schien es abermals nicht zu bemerken. Er stand am Schrank und holte ein großes, weiches, wolliges Handtuch heraus. Ich nahm es dankend von ihm an und ging ins Badezimmer. Als erstes schloss ich die Tür von innen ab und rutschte kraftlos daran herab. Ich versuchte, ruhig durchzuatmen und tatsächlich wurde mein Puls regelmäßiger und mein Bewusstsein klarer. Ich stand vorsichtig auf und ließ Wasser in die große, kreisrunde Wanne. Es war eine traumhafte Badewanne. Sie lag zentral inmitten des gigantischen Raumes und wurde, von vier tragenden Säulen gerahmt und überdacht. Rundherum wuchsen tropische Pflanzen und eine Statur aus weißem Marmor stand am Rand der Wanne. Es war eine Frau in einer langen, faltigen Toga, die eine Vase nach vorn gekippt hielt, aus der ein Strahl warmen Wassers entwich. All dies lud förmlich zum Baden ein und ich fühlte mich so erschöpft und dreckig, dass ich meine moralischen Bedenken vergaß, mich in das Badeland der Verheißung entführen ließ. Ich entkleidete mich und stieg in das Wasser.

Unbeschreiblich.

Als ich mich zurücklehnte und die Wärme langsam auf meine durchgefrorenen Finger und Zehen überging, spürte ich, wie das Leben in mich zurückkehrte. Ich mied den Blick auf die Verletzung. Wenn ich sie sah, empfand ich den Schmerz bestimmt nur noch schlimmer. Direkt von der Stelle unter der linken Brust ging ein kleines, monotones Stechen aus. Ich ignorierte es. Das war bestimmt gar nicht so schlimm und ich wollte Tsuruga-san nicht noch zusätzliche Sorgen bereiten. Ich war ja stark, ich hielt das schon aus.

Ich ließ mir Zeit mit dem Baden, wusch mich gründlich und genoss den langersehnten Komfort. Schließlich stieg mir die Wärme zu Kopf und meine Finger wurden schrumpelig, so verließ ich das angenehme Bad schweren Herzens wieder.

Unbewusst wandte ich den Kopf und erschrak fast zu Tode, als ich mein Ebenbild im Spiegel erkannte. Eine klaffende Wunde, aus der Blut sickerte, direkt unter der Brust. Ich warf einen Blick zurück auf die Badewanne. Das Wasser war rötlich verfärbt. Ich biss mir auf die Unterlippe. Verdammt...!

Hastig griff ich nach einer Box mit Zupftüchern und versuchte, das Blut ein wenig abzuwischen. Glücklicherweise schien die Wunde nicht besonders tief zu gehen, doch die Blutung war trotzdem sehr stark.

Ich hörte, wie Tsuruga-san von außen gegen die Tür klopfte. „Mogami-san? Alles in Ordnung? Du bist schon so lange da drinnen!“

„Jaa, alles in Ordnung! Ich bin gleich so weit!“, rief ich leicht panisch und riss wie besessen ein Tuch nach dem anderen aus der Box und drückte es auf die Stelle. Der Boden war übersät mit blutigen Taschentüchern. Schnell hob ich alle auf und wischte das letzte bisschen Blut weg. Dann nahm ich noch ein paar weitere Zellstofftücher, drückte sie gegen die Wunde und schlang meinen Körper in das riesige Badehandtuch. Hoffentlich sickerte nichts durch!

Ich griff nach meinen Sachen und trat aus dem Bad.

„Tut mir Leid, dass es so lang gedauert hat, Tsuruga-san!“

Er saß auf dem Bett und hob den Kopf. Ich ging vorsichtig hinüber und hielt krampfhaft das Handtuch fest.

„Ist auch wirklich alles in Ordnung?“

„Ehm ja...“, ich schalt mich dafür, dass mir ausgerechnet jetzt die Röte ins Gesicht schoss. Aber was soll man auch machen, so leicht bekleidet vor Tsuruga-san? Er stand auf und wollte mir die Sachen abnehmen, doch just in diesem Augenblick stolperte ich über die cremefarbene Teppichkante.

Er schnellte nach vorn, wollte mich auffangen, doch ich hatte schon selbst das Gleichgewicht wiedererlangt. „Alles in Ordnung?“, fragte er erschrocken und nahm mir die Sachen ab. „Ja... “, murmelte ich und richtete mich auf, das Handtuch immer noch krampfhaft in der Hand. Doch da geschah es wieder. Ein brennender Stich, ausgehend von der linken Seite meines Brustkorbes jagte Wellen des Schmerzes durch meinen Körper und ließ mein Blickfeld verschwimmen. Abermals schwankte ich.

„Aah! Mogami-san wa- ...IST DAS BLUT??“

Halb sah ich sein Gesicht, wie es erbleichte und auf die Stelle starrte, die ich doch so verzweifelt zu verbergen suchte. Das weiße Handtuch wies Stellen von purem rot auf und ich wusste, dass ich versagt hatte.

Ich spürte, wie ich sanft, aber bestimmt zum Bett geführt wurde.

„Hier, leg dich hier hin.“

Ich tat, wie mir geheißen, durch meinen Kopf fegte ein tosender Sturm.

Tsuruga-san stand auf und entfernte sich. Ich konnte allmählich klarere Konturen erkennen und sah, wie er mit den Zupftüchern und anderen Dingen aus dem Bad wiederkehrte. „Tsuruga-san, lassen Sie nur, es geht mir schon gut.“

„Sei still und leg dich wieder hin.“ Er blickte ziemlich wütend drein. Auf meinen fragenden Blick erwiderte er nur: „Du wolltest es tatsächlich vor mir verheimlichen! Vertraust du mir so wenig?“

Seine Worte schockierten mich. Das hatte ich nicht gewollt.

Ich hatte ihn enttäuscht.

Unwillkürlich tastete ich nach seiner Hand und blickte ihn ernst an. „Nein, Tsuruga-san. Ich vertraue Ihnen und das wissen Sie auch.“

Er hielt inne, sagte nichts, erwiderte still meinen Blick. Warum um alles in der Welt versagte mir davon fast der Atem?

Doch es schien ihn zu besänftigen und die Wut wich aus seinem Blick.

„Trotzdem ist es unverantwortlich.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und griff nach einer Flasche und einem Zellstoff.

Plötzlich wurde mir flau in der Magengegend.

„Wa-wa-was haben Sie jetzt vor?“

„Was wohl? Ich behandle deine Verletzung.“

„A-aberaber...“ Mein Gesicht glühte. Er musste doch gesehen haben, an was für einer Stelle sich die Wunde befand!? Direkt unter der Brust! Um das zu behandeln, musste er...!

Er seufzte und suchte meinen Blick. Seine braunen Augen blickten mich sanft und bestimmt an.

„Glaubst du, ich würde deine Lage ausnutzen?“

„Nein, aber-“

„Kannst du diese Wunde selbst versorgen?“

„Nein, aber-“

„Vertraust du mir?“

„... J- ja.“

Unsicher ließ ich mich zurück in die Kissen sinken und wartete ängstlich ab, was geschehen würde.

Tsuruga-sans Mienenspiel verriet nichts, aber er schluckte noch einmal hörbar. Ich war zu keiner Regung fähig. Mein Herz hämmerte und am liebsten wäre ich aufgesprungen und davongerannt.

Ich hielt den Atem an, als er vorsichtig den Knoten löste.

Ich sah, wie seine Finger zitterten, während er das Handtuch ganz langsam bis zum Bauchnabel hinab schob.

Ich hörte, wie er atmete; die Stille im Raum war drückend.

Er warf mir noch einen unsicheren Blick zu und griff dann nach den Zupftüchern.

Meine Wangen glühten, ich wünschte mich mit aller Kraft an einen anderen Ort. Ausgerechnet von Tsuruga-san behandelt zu werden, war mir so unangenehm. Jede Berührung löste ein Kribbeln wie von tausend Ameisen aus.

Fröstelnd zitterte mein Oberkörper unter der Blöße.

Ich kniff die Augen zu und hoffte, es würde schnell vorbei gehen.

„Mogami-san“

„J- ja?“

„Kannst du... atmen?“

„Was?“

„Na ja... ich habe gerade gedacht, bei so einer Wunde, wäre es nicht verwunderlich, wenn du dir ein oder zwei Rippen gebrochen hättest. Das würdest du aber merken, denn es fühlt sich an, als ob dein Brustkorb eingezwängt würde und es behindert dich beim Luft holen.“

„N- nein, mir geht es ganz normal.“

„Na dann ist ja gut, wenigstens eine erfreuliche Nachricht...“
 

Es machte mich wahnsinnig, sie so berühren zu müssen.

Wie sie mich mit großen Augen angeblickt, sich ängstlich in die Kissen gedrückt hatte, würde ich nie vergessen. Sie wirkte dabei so zerbrechlich. Ich hatte Mühe, das starke Zittern meiner Finger bei der Berührung ihrer Haut zu unterdrücken. Und wiederum ging von ihr diese enorm provozierende Unschuld aus. Ich tupfte das Blut ab und desinfizierte die Wunde. Krampfhaft versuchte ich mich auf die Wunde, und nur auf die Wunde zu konzentrieren, meinen Blick nicht abschweifen zu lassen, stattdessen ihren zierlichen Körper zu betrachten; das wäre ihr gegenüber nicht fair.

Schließlich hielt ich inne.

Ein Druckverband musste her, um die Blutung zu stillen. „Mogami-san, kannst du dich aufsetzen?“

Sie nickte leicht und erhob sich.

Ich griff mir ein Handtuch, riss es in Streifen und begann, es um ihren Oberkörper zu wickeln. Um die Handtuchenden am Rücken zu verknoten, musste ich sie quasi umarmen. Diese Nähe war allmählich nicht mehr auszuhalten. Immer wieder rutschten meine Hände ab und der Knoten geriet nicht richtig. Meine Gedanken rasten. Ich spürte, wie ihr Atem gegen meinen Hals ging, meine Nervosität steigerte sich ins Unermessliche. Warum geriet denn dieser verdammte Knoten nicht endlich?!

Ich biss die Zähne zusammen und brachte alle Konzentration auf, die noch nicht vor Mogami-sans überwältigender Nähe gewichen war.

Schließlich schaffte ich es doch.

Rasch gewann ich wieder einigen Abstand von ihr und betrachtete sie. Verlegen war ihr Blick zu Boden gerichtet.

Ich hob ihr Kinn sanft an, sodass sie mich ansehen musste.

„Mogami-san, es war sehr mutig, was du getan hast. Keine Sorge, die Wunde wird nun gut verheilen, da bin ich mir sicher. Ich werde jetzt ins Bad gehen, wenn du mich brauchst, ruf mich einfach, okay?“

Sie nickte.

Ich erhob mich und schlenderte betont lässig ins Bad.

Doch kaum war die Tür ins Schloss gefallen, ließ ich zu, dass mein Atem schnell ging, meine Gedanken im Kreis rannten. Ich eilte zum Waschbecken, klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Dann blickte ich mich im Spiegel an. Dieses Mädchen brachte mich um den Verstand. Wie sollte ich mich da weiterhin zurückhalten? Noch so eine Zerreißprobe würde ich wahrscheinlich nicht überstehen. Mir war gerade unnachgiebig klar geworden, dass dieses Mädchen, von dem ich meine Gedanken seit Monaten nicht lösen konnte, mich NICHT NUR aufgrund ihrer überragenden Persönlichkeit anzog.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob sich in mir jemals derartige Gefühle hätten regen können, wenn ich weiterhin meinem alltäglichen Leben bei LME nachgegangen wäre. Ich hatte mir dort eine perfekte Welt aufgebaut, die mich in keinerlei Hinsicht an meine Vergangenheit erinnerte oder auch nur die Möglichkeit aufbrachte, so den Kopf zu verlieren.

Doch nun, hier in diesem Zimmer, schien es, dass diese Welt splitternd zerbarst und selbst wenn ich alle Kräfte darauf konzentrierte, ich könnte sie nicht aufrecht erhalten.

Was mich daran am meisten ängstigte, war, dass es mir so sehr gefiel, das Leben nicht einsam fristen zu müssen. Die emotionale Tür, die mir dieses Mädchen eröffnete, war einfach zu verlockend. Es fühlte sich an, wie ein süßer Wein, von dem man, einmal einen Schluck gekostet, die Flasche bis zum Schluss austrinken wollte. Ein Bild erschien vor meinem geistigen Auge.

Mogami-san in ihrem Mio-Outfit, saß auf einer Couch und erlaubte mir, meinen Kopf auf ihren Schoß zu betten. Sie strich mir sanft durch die Haare und schlief in dieser Position lächelnd ein.

Ich betrachtete gedankenverloren die Badewanne und das einströmende Wasser, knöpfte derweil mein Hemd auf.

Während ich dem rauschenden Geräusch des Wassers lauschte, fasste ich einen Entschluss.

Was ich für Mogami-san fühlte, war nicht eine vorübergehende Vernarrtheit, nicht nur eine kleine Verliebtheit. Es war ein Gefühl, das so tief ging, dass es mich in seiner berauschenden, verlockenden Art in einen weiten Strudel zog.

Wenn es mir nicht gelänge, Mogami-san zu beschützen, würde ich das mein Leben lang nicht verkraften. Denn irgendwo hinter dem Wissen, dass ich viel älter als sie war, dass sie sich der Liebe verweigerte, dass ich eine Personen war, deren Leben von der Öffentlichkeit akribisch verfolgt wurde, war da noch etwas. Insgeheim war da doch irgendwo die kleine Hoffnung, vielleicht eines Morgens aufzuwachen, und in das lächelnde Gesicht von Mogami-san zu blicken, ein gemeinsames Frühstück im Bett, ein süßer Kuss irgendwo zwischen Honig und Marmelade, ein gemeinsames Glück.

Ich stieg ins Wasser und raufte mir durch die Haare.

Ein verbissener Ausdruck legte sich auf meine Züge.

Wer Mogami-san etwas antun wollte, der musste erst an mir vorbei!
 

Nachdem Tsuruga-san im Bad verschwunden war hatte ich noch eine Weile mit pochendem Herzen auf dem Bett gesessen und gewartet, bis sich mein Kopf wieder normal anfühlte, das unheimliche Kribbeln in meinem Körper abgeflaut war. Ich befühlte den Verband. Jeglicher Schmerz war abgeklungen, Tsuruga-san hatte sich viel Mühe gegeben.

„Tsuruga-san...“

Leise sprach ich seinen Namen aus, der vielfach in meinem Kopf hin- und herhallte.

Weshalb vermochte es dieser Mann, mich so durcheinander zu bringen??

Ich schüttelte den Kopf.

Alles, was ich wollte, war Shotaro zu besiegen. Das war mein einziges Ziel, die einzige treibende Kraft hinter all meinem Tun...

...oder?

Ich wollte doch auch mich selbst verwirklichen, Kyoko Mogami werden!

Und wollte ich nicht vielleicht auch...

... NEIN wollte ich nicht!!

Tsuruga-san, mein SEMPAI, war eine Person, die ich bewunderte und respektierte, für die ich aber keine speziellen Gefühle oder so hegte.

Und überhaupt war es doch wirklich töricht, über soetwas schon nachzudenken. Immerhin war hinter diesem Mann die Frauenwelt einer ganzen Nation her! Wie wahrscheinlich war es da wohl, dass er ausgerechnet mir spezielle Aufmerksamkeit schenken sollte? Eben! Äußerst unwahrscheinlich!

...

Trotzdem... Wie er den Verband an meinem Rücken befestigt hatte und ich solange in seinen Armen hatte harren müssen... er duftete immer so gut... und sein Körper hatte solch eine Wärme ausgesandt... mir war so nah an seinem Herzen ganz duselig geworden.

Aber ich fieberte wahrscheinlich nur. Ja, das musste es sein! Die Verletzung hatte offenbar einfach ein paar Wahnvorstellungen in meinem Kopf erzeugt!!

„Genau!“, sagte ich laut zu dem Zimmer, das mich im Gegenzug nur anschwieg und trat entschlossen an den Schrank. Jetzt würde ich erstmal nach anderen Sachen suchen. In dieses verfluchte Kleid würde mich keine Macht der Welt wieder hineinbekommen. Ich öffnete die Schranktür. Der Anblick einer Kleiderstange bot sich mir. Auf ihr hingen ein Abendkleid und ein Smoking. Ich hatte keine Ahnung, was das für Sachen waren, weshalb sie hier hingen oder wem sie gehörten. Ratlos nahm ich das Kleid in die Hand. Wirklich zufrieden war ich nicht damit. Das machte letztendlich auch keinen Unterschied zu dem Kleid, das ich auf der Premiere getragen hatte, aber was konnte ich in solch einer Situation schon erwarten? Es war zweifelsohne ein schönes Kleid. Ein nuder, hautfarbener Ton und kleine schillernde Strasssteinchen am Decollté gaben ihm einen extravaganten Look. Ich vergewisserte mich, dass Tsuruga-san mich nicht gleich sah, falls er gerade aus dem Badezimmer kommen sollte und ließ das Handtuch, mit dem ich meinen Körper umschlungen hatte, zu Boden gleiten. Während ich das Kleid überstreifte, achtete ich immer darauf, dass Tsuruga-sans Druckverband nicht verrutschte. Ich begutachtete mich in der riesigen Spiegelwand. Es sah ohne Zweifel ziemlich sexy aus, das Kleid war hauteng und umschmeichelte die Figur beeindruckend. Doch ich konnte es einfach nicht anbehalten!! Die Situation war mehr als unpassend, um solche Kleider zu tragen. Seufzend ließ ich mich aufs Bett plumpsen und wurde gleich mit einem unangenehmen Ziepen bestraft, das von der Verletzung ausging. Ich kniff die Augen zusammen und wartete, bis der Schmerz verklungen war. Dann überschlug ich die Beine und betrachtete dieses Bild im Spiegel. Das hatte was von einer Diva. Ich und Diva...! Von wegen... Ich streifte den Träger des Kleides über die Schulter und wollte das Kleid gerade wieder ausziehen, als ich plötzlich das Klacken einer Tür wahrnahm...
 

Ich kam gerade aus dem Bad und blickte auf. Da bot sich mir ein unvergleichlicher Anblick. Mogami-san in einem Kleid, das jedem Mann den Verstand geraubt hätte, mit übergeschlagenen Beinen streifte gerade den Träger ihres Kleides über die blosse Schulter und blickte mich jetzt ertappt an. Ich fühlte mich, als wäre ich gegen eine Mauer gerannt.

Diesen Anblick unvorbereitet...! Dabei hatte ich gerade eben noch gefleht, niemals wieder einer solchen Zerreißprobe ausgesetzt zu sein. Innerlich rief ich die Götter verzweifelt an, warum sie mich so quälten.

„Äh...“ Mehr brachte ich nicht raus und blickte verwirrt zu Boden, da ich spürte, dass ich die Sachen vor Schreck fallen gelassen hatte, die sich bis eben noch auf meinem Arm befunden hatten. Froh über die Gelegenheit, riss ich meine Augen von Mogami-san und bückte mich, um sie aufzuheben.

„Im Schrank gab es keine anderen Kleider...“, murmelte sie verlegen. Ihr Träger befand sich nun wieder dort, wo er sein sollte.

„Ach so...“, sagte ich und atmete aus, um mich selbst zu beschwichtigen. Dann warf ich einen Blick in den Schrank und entdeckte den Anzug, der darin hing. Verdutzt nahm ich ihn heraus.

„Genau meine Größe... merkwürdig...“

Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass man von uns erwartete, diese Kleider zu tragen, wenn wir heute Abend vom Oberhaupt der Yakuza empfangen wurden.

Also warf ich mir den Anzug kurzerhand über den Arm und verschwand noch einmal damit im Bad, um es anzuziehen.
 

Als Tsuruga-san wieder aus dem Bad kam und diesen Anzug trug, sah er aus, wie ein Model. Ich hatte das Kleid anbehalten, da es ja sowieso nur die Auswahl zwischen Premieren-Kleid und Schrank-Kleid gab. Was machte das schon für einen Unterschied.

Ratlos sahen wir uns an. Tsuruga-san blickte ein wenig zerknirscht drein. Irgendetwas schien ihm zu schaffen zu machen. Er wich meinem Blick aus.

Ich fragte mich, ob ich etwas falsch gemacht hatte.
 

Ich fühlte Mogami-sans Blick auf mir. Verbissen schwieg ich. Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass mein Mund, sollte ich ihn öffnen um etwas zu sagen, völlig ausser Kontrolle geraten würde. Dass er dann unaufgefordert alle meine liebevollen, leidenschaftlichen und sorgfältig verheimlichten Gefühle für sie in einem einzigen Redeschwall freigeben würde, ob ich es wollte oder nicht. Also konzentrierte ich mich mit aller Kraft darauf, meinen Mund geschlossen zu halten und Mogami-san nicht anzublicken.

Ich beschied mich damit, statt dessen den Boden anzusehen.

Plötzlich spürte ich, wie sich die Bettmatratze, auf der ich saß, weiter hinabsenkte und blickte verwundert auf. Ich sah ihr direkt ins Gesicht. Mit großen Augen musterte sie mich und lächelte dabei verlegen. Das war zu viel. Ich hielt es nicht mehr aus... !
 

Es war mir unerklärlich, aber in diesem Augenblick hatte ich doch tatsächlich das Verlangen gehabt, in Tsuruga-sans Nähe zu sein. Er machte auf mich einen solch geknickten Eindruck... Vorsichtig und sanft berührte ich seinen Arm, blickte ihn aufmunternd an, mir zu sagen, was ihn bedrückte.

Wusste er, dass er es vermochte, meinen Puls in den Ausnahmezustand zu versetzen?

Ahnte er, in welch undurchsichtige, irrationale Wirren mein Verstand abtrieb, und dass ich die Kontrolle über meine Körperreaktionen verlor?

Ich versuchte es in seinen Augen abzulesen, versank in diesem sanften Braunton wie in einem strömenden See, war so damit beschäftigt, dass ich es nur vage wahrnahm, wie sein Gesicht immer näher kam...

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Ich denke aufgrund dieses Cliffhangers muss ich mich jetzt wohl vor Attentätern in Acht nehmen... Aber bändigt euren Zorn bitte XD Wer soll denn sonst die Geschichte zu Ende schreiben, wenn ich vorher umgebracht werde? Ich bin die einzige, die das Ende kennt!!

Übrigens ist mir aufgefallen, dass ich euch noch eine Erklärung schulde, warum ich bei Kyoko und Ren die Ich-Perspektive verwende, bei allen anderen aber aus der 3. Person schreibe...

Anfangs hatte ich vor, die Geschichte ausschließlich in 1. Person Singular zu verfassen, was man daran erkennen kann, dass ich in Kapi 3 ja auch noch Shos Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben habe. Später ist mir allerdings klar geworden, dass ich mich allein vom Manga her nicht wirklich in die anderen Charaktere wie Kanae oder Yashiro einfühlen kann, da aus ihrer Sicht einfach zu wenig beschrieben wird. Früher oder später wäre die Ich-Form bei diesen Charakteren einfach nicht mehr authentisch gewesen und deshalb habe ich mich zu der etwas distanzierteren Perspektive der dritten Person entschieden. Herausgekommen ist dabei ein bunter Wirrwarr aus Perspektivenwechseln, der, wie ich hoffe, nicht zu sehr durcheinander bringt und den Eindruck der Geschichte immer so festhält, wie ich es beabsichtige...
 

Gomen, man liest sich^^ löl

P.S. Ein großes Dankeschön für die liebe AMJH ist angebracht, die mich die ganze Zeit animiert hat, die Geschichte doch bitteschön fortzusetzen. Merci chérie... *luftabwürgendes knuddel*

Wie du mir, so ich... deinem Badvorleger

Hello!

Back with a new chapter after almost two months... und noch mal für diejenigen, die nicht im Forum sind: I'm really sorry, dass es diesmal wieder so lange gedauert hat, aber ich bin für eine längere Weile nach Australien übergesiedelt und brauchte erst mal ein wenig Zeit, um mich zurecht zu finden, Arbeit zu finden bla bla. Aber mittlerweile lebe ich auf einer wunderschönen Farm und habe (Heute, Dienstag!!) ein Auto gekauft und in den letzten Wochen meine Freizeit damit verbracht, um Kapitel 9 zu erarbeiten. Danke für eure Geduld!

Ach ja an dieser Stelle noch ein ganz liebes Danke an ma chère AMJH, die sich jüngst dazu bereit erklärte, den Beta-Reader zu spielen (und Sorry, dass es diesmal nicht geklappt hat!)

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Chapitre neuf: Wie du mir, so ich... deinem Badvorleger
 

Ein kalter, lebhafter Abend in Tokio. Wohin das Auge reicht, leuchtende Neon-Reklame und blinkende Lichter. Lachende und fluchende Stimmen in der Luft. Deutlicher könnte es nicht sein, dass wir uns hier im Vergnügungsviertel befinden. Casinos an jeder Straßenecke. Zwielichtige Gestalten, sündhaft teure Karossen, edel gekleidete Herrschaften bevölkern die schmutzigen Straßen. Nicht weit entfernt vom berüchtigsten Casino der Stadt steht ein mehrstöckiges Gebäude. Es sieht bedeutend aus. Blinkende Glasverkleidung, stilvolle Bauweise. „Das ist der Hauptsitz der Noboku & Co Corporation“, hören wir einen hochgewachsenen Mann zu seiner attraktiven Begleitung sagen. Die Dame, in edlen Pelz gewandet, rümpft leicht ihre gepuderte Nase: „Glaub ich nicht. Mir kamen da Dinge über Yakuza zu Ohren.“ Ihr Begleiter lacht daraufhin. „Siehst du! Das liebe ich so an dir! Deine Scharfsinnigkeit ist und bleibt unübertroffen, Miako!“ Sie erwidert mit einem koketten Lächeln. „Du hast vielleicht sogar Recht! Es wird gemunkelt, dass dies nur eine Scheinfirma der Yakuza für die Geldwäsche ist. Mein Unternehmen hält sich von solchen Gefilden jedenfalls fern!“ Er streicht sich über das Haar, das bereits von grauen Strähnen durchzogen ist. „Komm lass uns weiter gehen! Heute Abend wollen wir uns mal wieder so richtig amüsieren. Ich habe Lust, Geld zu verprassen“, sagt er, lacht und legt der Frau schwungvoll den Arm um die Hüfte. Sie schlendern turtelnd die Straße hinab.

In einem der höheren Stockwerke des Gebäudes, das eben noch ihr Gesprächsgegenstand war, sitzt hinter der schimmernden Glasscheibe ein Mann in einem Zimmer und befühlt erschrocken seine Wange, die leicht gerötet aussieht. Ihm gegenüber ein junges Mädchen von 16 Jahren mit fassungsloser Miene.
 

„Oh Tsuruga-san es tut mir ja so unglaublich Leid!! Ich dachte doch tatsächlich für einen kurzen Augenblick, sie wollten- und da da hab ich aus Versehen- ..Oh, wie dumm von mir, es tut mir ja so Leid!! Verzeihen Sie mir!!“ Mit wild fuchtelnden Armen versuchte Mogami-san scheinbar, der Lage Herr zu werden, scheiterte aber kläglich. Ich konnte nichts sagen, befühlte immer noch erschrocken meine Wange. Sie hatte mir doch tatsächlich eine Ohrfeige verpasst! Was hatte ich mir auch dabei gedacht? Sie einfach küssen zu wollen! Schließlich ging es hier um Mogami-san, ein Mädchen, das in keinster Weise mit anderen vergleichbar wäre.. Und trotzdem... mich einfach so zu schlagen! Ich war milde beeindruckt.

„Mogami-san, also wenn du diese Schlagkraft auch bei unseren Entführern an den Tag legst, können wir eigentlich gleich nach Hause spazieren!“
 

Ich stockte mitten in der Bewegung und sah auf. Hatte Tsuruga-san mich gerade gelobt? Allen Ernstes gelobt? Ich hatte ihn geschlagen!!

„Ehm... sind Sie denn gar nicht sauer, dass ich sie grundlos geschlagen habe?“

Sein erstaunter Gesichtsausdruck wich einem zerknirschten.

„Nun ja, nicht wirklich. Es ist ja auch ein Teil meine Schuld; ich wäre dir nur dankbar, wenn du in unsicheren Situationen zukünftig erst nachdenkst, bevor du zuschlägst.“

Dieser zerknirschte, leicht beleidigte Gesichtsausdruck stand ihm ganz und gar nicht. Völlig unüberlegt prustete ich los. Daraufhin entgleisten ihm doch tatsächlich sämtliche Gesichtszüge und er sah mich an, als wäre es unbegreiflicherweise soeben ein Phantom gewesen, das da gelacht hatte, und nicht ich. Ups. Aber Himmel! Solch ein bekloppter Gesichtsausdruck bei Tsuruga-san!

Ich hätte lauthals losgelacht, wenn dies nicht die Gefahr beherbergt hätte, Tsuruga-sans gefürchtete Rache zu spüren zu bekommen. So blieb das Lachen brodelnd unter der Oberfläche, und drohte damit, jeden Augenblick auszubrechen. Meine Mundwinkel zuckten, ich fühlte mich, als würde ich jeden Moment platzen, doch um ihn nicht zum Äußersten zu reizen, zwang ich mich, die ernsthafteste Miene aufzusetzen, die ich zustande brachte, meine Augen begannen, feucht zu werden. Es war zwecklos. Schnaubend brach dieses gemeine Lachen aus.

Ich bemerkte, dass Tsuruga-san mich mittlerweile beäugte, als wäre ich ein Wesen aus einer fremden Welt und als ob es ihm absolut spanisch vorkäme, was an dieser Situation denn lustig wäre. Dies bewirkte allerdings, dass mir vor Lachen regelrecht die Luft wegblieb. Ich griff mir in die Seiten und schnappte nach Luft, doch ich konnte einfach keine Kontrolle über meinen lachenden Körper kriegen.

Plötzlich hörte ich etwas Neues. Erstaunt blickte ich auf und sah Tsuruga-san genauso lachen wie ich zuvor.

„Mog-Mogami-san, du bist einfach unvergleichlich-ahaha“. Was hatte er denn jetzt? Aber irgendwie war es einfach wunderbar, diesen sonst so cool dreinschauenden Mann aus vollem Herzen lachen zu sehen.

Ich stimmte in sein Gelächter ein. Draußen senkte sich die Dunkelheit auf Tokio hinab.
 

Ausgehend von den Dingen also, die sich hinter diesem blinkeden Fenster des Gebäudes der 'Nobuko & Co Corporation' befinden, nehmen wir Abstand von diesen komischen, lachenden Knallköpfen, springen hinab auf die Straße, rasen zur nächsten S-Bahnstation, steigen ein, Linie 13, steigen nach exakt 23,5 Minuten im nächsten Viertel in einer bedeutend dunkleren Straße aus. Kein Vergnügungsviertel mehr. Relativ schicke Wohngegend, jedenfalls keine billigen Massenwohnblocks, einige Bars und Cafés auf das Viertel verstreut, Leute, die sich etwas darauf einbilden, zum wohlhabenderem Bürgertum zu gehören... Nun, schön und gut das Ganze. Doch nicht weiter von Interesse. Was uns tatsächlich interessiert, ist wohl das einzige schäbige Café am Rand des Viertels, denn dort sitzen zwei Personen in dem überfüllten Innenraum und starren wortlos auf die schmuddelige Tischdecke hinab.
 

Kanae war noch nie besonders geduldig gewesen. Und ausgerechnet jetzt in dieser angespannten Zeit, an einem Ort, den sie unter normalen Umständen im Leben nicht betreten hätte, gab es einen Menschen, der ihre Geduld gefährlich auf die Probe stellte. Wo blieb Tatsumi?

Sie waren vor einer Stunde verabredet gewesen und dieser elende Mensch tauchte einfach nicht auf!! Sie warf einen missmutigen Blick auf ihre Armbanduhr. Mittlerweile waren es sogar anderthalb Stunden! Am Nebentisch grölte eine Gruppe junger, abgewrackt aussehender Yankees. Alle mit gebleichtem Haar und galaktischen Augenringen.

„Ich frage mich wirklich, warum zur Hölle wir uns ausgerechnet HIER mit ihm treffen mussten! Ich meine, in einer Privatwohnung wäre es doch viel vertraulicher gewesen, oder? Wenn er in zehn Minuten nicht auftaucht, gehe ich! Der ganze Zigarettenqualm hier drinnen bringt mich um!“

Yashiro reagierte nicht. Er hatte das Gesicht in beide Hände gestützt und die Augen geschlossen.

„Yashiro-san? Yashiro-san! Haben Sie gehört, was ich eben gesagt habe?“

Er schreckte auf. „Wah-? Oh! ...Sorry, muss wohl ...eingenickt sein. ...sag mal wie lange sitzen wir hier schon?“

„Seit geschlagenen anderthalb Stunden. Wenn ich diesen Typen in die Finger kriege...! ...Gehen wir, ich hab es satt!“

„Meinst du?“, er konnte ein ausgiebiges Gähnen nicht unerdrücken, „ Was, wenn er noch auftaucht? Die Informationen, die er eventuell für uns hat, könnten wichtig sein!“

„Nein! Ich will keine Minute länger an diesem Ort verbringen! Außerdem bekomme ich Kopfschmerzen von dem ganzen Krach und angesichts der Menge an Alkohol, die hier konsumiert wird, errät man nicht schwer, dass der Lärmpegel noch weiter steigen werden wird! Abgesehen davon hat er meine Handynummer; wenn er noch auftaucht, kann er uns erreichen.“

Yashiro betrachtete einige Minuten lang ihre wütend funkelnden Augen.

„Ganz Tokio ist in Aufruhr, meinst du nicht, dass es da gerade für die rechte Hand des Hauptkommissars ziemlich stressig sein wird? Du solltest nicht zu hart über ihn urteilen, Kotonami-san.“

„Sagen Sie mir, was kostet es ihn, uns kurz anzurufen und zu sagen 'Oh, es tut mir Leid, wir treffen uns später!'? Zwei Minuten? Eine? Dieser Typ nimmt uns doch genauso wenig ernst, wie sein Boss! Ich gehe jetzt!“

Sie stand auf, griff nach ihrer Tasche und stürmte zum Ausgang.

„Warte, Kotonami-san!“ Er rannte neben ihr her und versuchte, sie zu beschwichtigen.

Draußen war es kalt und windig.

„KOTONAMI-SAN!“

Sie blieb stehen und sah ihn an. Er seufzte.

„Meine Wohnung liegt nur drei S-Bahn-Stationen von hier entfernt. Lass uns dorthin gehen. Wenn er noch auftauchen sollte, ist es so am besten.“

„Aargh, Ich hätte wirklich Lust, ihn genauso warten zu lassen, wie er uns... aber Sie haben wahrscheinlich Recht.“ Sie fluchte und schlug ihren Kragen hoch.

„Okay, dann komm. Der S-Bahnhof liegt dort drüben.“

Sie wandten sich nach rechts und schritten zügig voran.

„Kotonami-san, du hast wirklich ein explosives Temperament. Ich will dich nicht kritisieren, aber ich glaube, du solltest ein bisschen mehr Rücksicht auf deine Mitmenschen nehmen. Du bist gestresst, klar. Aber das sind wir alle. Es muss einen Grund geben, warum er uns hat warten lassen. Bitte raste nicht gleich aus, wenn wir ihn das nächste mal treffen!“

„Ach, und wo wir schon mal beim kritisieren sind, hat Ihnen jemals jemand gesagt, dass Sie vielleicht ein wenig zu gutgläubig und geduldig sind? Es gibt auch Zeiten im Leben, in denen man keine Inkompetenz akzeptieren kann!“

„Oh, tatsächlich? Soll ich dir etwas über 'Inkompetenz' erzählen? Falls du es vergessen hast, du sprichst mit dem Manager von Ren Tsuruga! Glaubst du nicht, dass ich weiß, wie man am besten mit unzuverlässigen Menschen umgeht? Und glaub mir, davon gibt es eine Menge im Show-Biz. Trotzdem ist Ren dafür bekannt, niemals zu spät zu kommen und seinen Terminplan immer pflichtbewusst einzuhalten. Glaubst du allen Ernstes, das wäre möglich, wenn ich nicht in der Lage wäre, Unregelmäßigkeiten auszugleichen? Natürlich ist es nicht besonders höflich, jemanden so lange warten zu lassen. Aber man muss in solchen Fällen auch von unabsichtlichen Verzögerungen differenzieren können! Und mal im Ernst, welcher Mensch ist unfehlbar? Wärst du nicht dankbar, wenn du einen wichtigen Termin wegen eines plötzlichen Zwischenfalls zu spät erreichst, und die betreffenden Personen reagieren mit Geduld und Verständnis? Ich dachte wirklich, deine Einstellung wäre professioneller.“

Sie biss sich auf die Lippe und schwieg. Auch während der Fahrt sprach keiner ein Wort.

Schließlich erreichten sie seine Wohnung.

Während er in seinen Taschen nach dem Schlüssel kramte, blickte sie hinauf zu dem mehrstöckigen Gebäude. Ein edel aussehender Wolkenkratzer mit vielen Fenstern und einer schicken Fassade.

Sie hörte das Klimpern des Schlüssels und betrachtete nachdenklich Yashiros Hinterkopf, während er die Tür aufschloss. War sie wirklich zu aufbrausend?

Sie folgte ihm in den Aufzug. Er drückte den Knopf für den sechsten Stock und die Türen schlossen sich. Im Aufzug herrschte eine angespannte Stille. Sie ahnte, dass Yashiro sauer war, aber was sollte sie ihm sagen? Sie beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, irgendwie besaß er ein hübsches Profil. Er räusperte sich, sie richtete den Blick wieder zu Boden.

Yashiro bedrückte die Stille im Aufzug. Er fürchtete, sie mit seinen harschen Worten verletzt zu haben, aber was sollte er ihr sagen? Er räusperte sich und blickte sie aus den Augenwinkeln an. Sie hatte den Blick zu Boden gerichtet. Eine Wimper haftete an ihrer Wange. Sollte er...? Nein!

Der Aufzug erreichte den 6. Stock; er riss seinen Blick von ihr los, ging zu seiner Wohnungstür und schloss sie auf.

„Komm rein.“ Er knipste das Licht an uns verschwand in der Küche.

„Setz dich ruhig ins Wohnzimmer, ich komme gleich!“

Etwas unsicher betrat sie das Wohnzimmer, blickte sich dabei neugierig um.

Es sah aus wie eine Mischung aus schicker Einrichtung und Wintergarten. Eine weiße Ledercouch und ein großer, flacher Fernseher. In einem Regal standen zwei Bilder. Sie trat näher heran.

Aus dem ersten Rahmen blickten sie Yashiro-san, Ren Tsuruga und der Präsident an, wobei der Präsident mit seinem marokkanischen Mönchsgewandt eindeutig hervorstach (ganz abgesehen davon, dass er Ren mit zwei Fingern hinter dem Kopf Hasenohren anhielt). Danach kam ein Bild mit Yashiro-san und drei anderen Personen, die sie nicht kannte. Zwei davon waren scheinbar ein junges Paar; sie standen einander zugewandt und die Frau lehnte sich an den Mann. Die dritte Person war ein kleiner Junge. Er und Yashiro-san waren in eine Art Kampf verwickelt; beide schienen ihren Spaß zu haben. Sie kicherte beim Anblick der Bilder. Dieser kleine Einblick in sein Leben warf ein charmantes Licht auf ihn, was sie irgendwie mochte.

Verstohlen blickte sie sich um, ob er sie auch nicht beobachtet hatte, denn etwas in ihr wollte nicht, dass er sie sah, wie sie Gefallen an diesen Bildern fand. Weshalb auch immer.

Sie setzte sich gerade sittsam auf das Sofa, als Yashiro-san das Zimmer betrat, zwei dampfende Tassen in den Händen.

„Ich hab uns Tee gemacht. Hier.“ Er stellte eine Tasse vor ihr ab uns setzte sich neben sie.

„Dankeschön.“

„Keine Ursache.“

Stille.

...

„Ah... welche Sorte Tee ist das?“

„Ceylon, Earl Grey. Ein Löffel brauner Zucker ist auch drin. Hoffe, es ist nicht zu süß, für dich?“

„Nein, ist okay, danke.“

Stille.

...

Unerträgliche Stille.

...

Unsicher spähte sie hinüber. Er zeigte keine äußeren Anzeichen von Ärger oder Nervosität. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sich entschuldigen? Wäre wohl das Beste, aber da war diese unsichtbare Barriere, die sie nur soo schwer überqueren konnte. Er war einfach so vernünftig und sie wusste, dass er von ihr erwartete, sich bei ihm zu entschuldigen. Aber irgendwie erzeugte das eine Trotzhaltung in ihr... sie knetete unruhig die Hände. Außerdem saß sie unbequem. Sie griff hinter sich und zog ein Kissen hervor; starrte es einige Sekunden lang an.

Yashiro stellte gerade resigniert seine Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab, und wollte zu einem klärendem Gespräch ansetzen, da traf ihn ein Sofakissen mit vollem Schmackes ins Gesicht.

Erst geschah gar nichts, nicht die kleinste Bewegung. Sein Arm war immer noch ausgestreckt, da er gerade die Tasse abgestellt hatte. Dann rutschte das Kissen langsam hinab und entblößte eine versteinerte, bärbeißige Miene, die irgendwie nicht so richtig zu ihm passen wollte. Das war wohl nach hinten losgegangen. Sie schrak zurück und machte sich darauf gefasst, nun aus der Wohnung geschmissen zu werden. Schuldbewusst richtete sie den Blick mit zusammengekniffenen Augenbrauen und Schmollmund auf ihren Schoß. Umso überrschender traf sie der Gegenangriff.

Ebenfalls Kissen ins Gesicht.

Ungläubig und empört starrte sie ihn an; er erwiderte mit einem 'Was denn, du hast doch angefangen?'-Blick.

Das bedeutete zweifellos Krieg.

Als ob soeben ein Startschuss gefallen wäre, griffen beide fast gleichzeitig verbissen in alle Richtungen, darauf spekulierend, mehr Kissen-Munition zu ergattern als der andere.

Kanae startete mit einem Überrschungsangriff. Sie traf ihn zielgenau von oben, da sie aufgestanden war; dass die Couch möglicherweise ein halbes Vermögen wert war, kam ihr nicht in den Sinn. Doch Yashiro schien es nicht einmal zu bemerken. Er schnappte nach ihren Beinen, um sie zu Fall zu bringen und sein Plan gelang: Sie verlor das Gleichgewicht und plumpste rücklings auf die Couch zurück. Triumphierend beugte er sich über sie, ein riesiges Sofakissen bereit zum Schuss.

„Okay, okay, das reicht! Ich gebe auf!“ Mit einem Arm wedelte sie hektisch, um ihm zu zeigen, dass er nicht werfen sollte, mit der anderen Hand tastete sie hinter dem Rücken nach einem neuen Kissen.

Tatsächlich ließ er gerade die Arme sinken, da schnellte sie vor und gab ihm erneut volle Breitseite mit freudig geröteten Wangen und einem kriegerischen Ausdruck im Gesicht.

„Ey! Du kämpfst unfair!!“, ehrlich verärgert angelte er nach neuer Munition und schleuderte es ihr entgegen. Sie kreischte, rutschte von der Couch und landete auf dem Boden.

Er beugte sich über den Rand der Sitzfläche und spähte zu ihr hinab. „Genug?“

„Genug.“

„Wirklich? Diesmal ehrlich?“, ein weiteres Geschoss drohend in seiner Hand.

„Jaa, diesmal wirklich. Sie haben gewonnen.“

Abermals versuchte sie, heimlich nach einem weiteren Kissen zu tasten, doch diesmal hatte sie nicht so viel Glück, denn er hatte es gesehen.

„Ahaha, dachtest du tatsächlich, ich falle zweimal auf den gleichen Trick rein? Nimm dies!“

Mit diesen Worten streckte er seine Hände aus und kitzelte sie an der Taille.

„Waaahahaha stop-haha-bitte ich ergebe mich bedingungsl-hahaha-stoooop!“

Er ließ von ihr ab.

Stille trat ein. Abgesehen vom schweren Atmen Kanaes konnte man nichts vernehmen.

Sie blickten sich an. Beide waren vollkommen zerzaust; Yashiros Brille war verschollen. Einige kleine Federn schwebten sachte zwischen ihnen hinab. Die kriegerische Atmosphäre war zwar noch nicht ganz verdunstet, doch trotzdem fühlte er wie die Komik dieser ganzen Situation ihn lächeln ließ. Er hielt ihr die Hand entgegen und zog sie hinauf. Etwas zu ruckartig, wie sich herausstellte, denn durch den überschüssigen Schwung machte ihr Gesicht erst unmittelbar vor dem seinen Halt. Doch sie schreckte nicht einmal zurück, keine Spur von Verlegenheit, kein Wimpernzucken, nichts. Stolz und aufrecht blickte sie ihm geradewegs in die Augen, fast herausfordernd. Die Nasenspitzen berührten sich beinahe. Zum ersten mal bemerkte er, dass sie zu ihm hinauf sehen musste, da sie kleiner als er war. Aber er wich auch nicht zurück. Die Brille lag irgendwo vergessen herum. Er brauchte sie eigentlich, aber irgendwas hielt ihn davon ab, seinen Blick jetzt loszureißen. Sie sah ihn nur noch entschlossener an, er konnte ihre heiße Ausatemluft praktisch auf seinen Lippen spüren.

Was ging hier ab? Wollte sie ein 'Wer bricht zuerst den Blick'-Duell? Konnte sie haben! Genauso herausfordernd starrte er zurück.

Plötzlich prustete sie los, die Hand vor dem Mund.

Vollkommen baff blickte er sie an. „Was?“

Sie antwortete nicht, verbarg das Gesicht in den Händen und lachte lauthals. Er verstand nur noch Bahnhof, zuckte ratlos mit den Achseln. „Was??!“

„Ahaha, es ist nur... wenn Sie so angestrengt ernst drein schauen, sieht das... pffhaha... einfach nur aus wie Supermanns blöder Laserblick, wenn er versucht, Gegenstände zu schmelzen!“

„Also wirklich!“, das fand er nun nicht mehr lustig.

„Hören Sie, es tut mir Leid, was ich vorhin zu Ihnen gesagt habe. Das war unüberlegt und ungerecht von mir. Ich... es tut mir Leid.“

„Schon gut. Ich hätte auch nicht so reagieren dürfen, ich war zu hart zu dir. Ich weiß nicht, was mit mir los ist; normalerweise bin ich echt nicht so.“

Sie lächelte unsicher.

Die Spannung wich aus der Luft. Er atmete tief durch.

Erst sagte keiner ein Wort dann wandte sich Yashiro ihr zu, den Mund geöffnet, als ob er etwas aussprechen wollte, sich dessen aber nicht sicher war.

„Bevor wir uns endlich in die Arbeit stürzen... eine Frage. ...Haben wir unsere Streitigkeiten gerade eben wirklich mit einer Schlacht entschieden?“

„Jepp.“

„... Ist das kindisch oder kindisch?“

„Schwere Entscheidung. Aber wenn Sie mich so fragen, würde ich sagen kindisch.“

„Bist du normalerweise so?“

„Kindisch? Nope. Sie?“

„Negativ.“

„Hab ich mir schon gedacht.“

„Aber... wieso hast du dann das erste Kissen geworfen?“

„Ich weiß nicht... irgendwie fühlt sich alles, was sie tun und sagen immer so vernünftig, so erwachsen an! Ich bin eigentlich auch so, aber sie sind da noch viel extremer! Es überkam mich einfach; ich wollte diese ernste Situation zerstören, Sie schocken!“

„Und da nennst du mich extrem?“

„Ich sagte: extrem VERNÜNFTIG!“

„Aha... nun ich denke, Krieg hin oder her, es ist am besten, wenn wir das jetzt lassen und bei den Überlegungen weitermachen, bei denen wir vorhin angekommen waren. Und keine weiteren Aussetzer, okay?“

„Ja. Gute Idee, wirklich!“

„Doch erst würde mir ein Drink ganz gut tun...“

Er stand auf und öffnete eine kleine Minibar, holte die Muscatliqueur-Flasche raus.

„Oh, für mich bitte auch ein Glas!“

Zweifelnd wandte er ihr das Gesicht zu. „Du trinkst Alkohol?“

„Was denn? Das zumindest würde ich als Friedensangebot annehmen, weil Sie mich doch von der Couch katapultiert haben!“

„Na gut... wenn du meinst...“

Er arrangierte ein weiteres Glas, goss allerdings bedeutend weniger ein. Während er dies tat, sprach er weiter.

„Wo waren wir letztes mal stehen geblieben? Ach genau! Du weißt also auch nicht mehr über Kyoko-chan, als ich? Sie lebte mit Fuwa in Kyoto und kam dann hierher, um sich an ihm zu rächen. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wie sie dabei mit der Yakuza in Kontakt geraten sein sollte.“

„Ich auch nicht. Aber mal rein intuitiv betrachtet. Angenommen, die Yakuza würde wirklich Rache an einem der drei üben wollen, wen halten Sie für am wahrscheinlichsten?“

Sie blickten sich ohne ein Wort an und die Botschaft war klar.

„Gut, wir durchforsten also Rens Vergangenheit.“

„Hat er mit Ihnen jemals darüber gesprochen? Also woher er kommt, was er in seiner Kindheit tat? Hatten Sie jemals den Eindruck, dass er eine... naja, kriminelle Vergangenheit besitzen könnte?“

„Ehrlich gesagt... irgendwie schon. Ich meine, manchmal gibt es Momente, in denen er einfach reagiert als ob... Ich dachte immer nur, er wäre in seiner Jugend ein ziemlicher Raufbold gewesen, doch er hat nie reagiert, wenn ich ihn darauf ansprach. Neulich hat er mir erzählt, dass er ziemlich früh angefangen hat zu rauchen und... diese Rolle eines Gangsters hat er auch überraschend gut ausgefüllt...“

„Hm... aber wäre das nicht DIE Schlagzeile, wenn er eine kriminelle Vergangenheit besäße? Ich meine, die japanischen Medien hätten sich darauf gestürzt wie nichts! Wie könnte das also sein?“

„Weiß nicht... vielleicht hat er ja gar nicht von Anfang an in Japan gelebt... Verdammt, wir wissen einfach zu wenig über ihn! Das bringt uns nicht weiter!“

„Ja..., aber trotzdem ist das irgendwie... unstimmig. Ich meine, kriminelle Vergangenheit okay, aber dann gleich Yakuza? Aus deren Syndikaten kommt man nicht so leicht wieder raus. Wie heißt es so schön? Einmal Yakuza, immer Yakuza. Ich hab mal gehört ein Aussteiger der Yakuza kommt in Japan auf keinen grünen Zweig mehr. Und falls er tatsächlich im Ausland gelebt haben sollte, kann er auch nicht in der Yakuza gewesen sein!“

„Du hast Recht. Da fehlt einfach ein Teil im Puzzle.“

Sie seufzte und lehnte sich zurück. „Was jetzt?“

„Ehrlich gesagt bin ich auch ein wenig ratlos. Meinst du, wir sollten ihn mal anrufen?“

„Häh? Wen?“

„Na Tatsumi!“

„Ach so...Weiß nicht... was, wenn Watanabe in der Nähe ist?“

„Tja...“
 

Mehrere Kilometer entfernt rannte Tatsumi tatsächlich neben eben jenem Watanabe her und blickte nervös auf die Uhr. Yashiro-san und Kotonami-san warteten sicherlich schon eine Ewigkeit auf ihn, wenn sie überhaupt noch im Café saßen. Plötzlich blieb Watanabe stehen, Tatsumi wäre beinahe in ihn hinein gelaufen.

„Irgendwie will ich nicht so recht glauben, dass dieses Mädchen sich an nichts erinnert! Es ist doch zum Haare ausreißen! Da taucht schon überraschenderweise eine der drei Geiseln in einem Krankenhaus auf und dann will sie sich an nichts erinnern! Da ist doch was faul!“

„Ja... Ehm, Watanabe-san, würde es Sie sehr stören, wenn ich kurz einen Anruf tätige?“

„Muss das jetzt sein? Der Vorsitzende trifft gleich ein! Ihr Hauptaugenmerk sollte jetzt hier liegen! Bleiben Sie wenigstens neben mir stehen! Er empfindet vieles schnell als unhöflich und innere Zänkereien kann die Polizei jetzt am wenigsten brauchen! Außerdem habe ich gleich danach den Pressetermin. Es darf sich jetzt nichts in die Länge ziehen!“

„Ich mache es kurz, ich danke Ihnen.“

Watanabe hatte seinen Segen gegeben, schön und gut, aber wie sollte er das Mädchen denn so anrufen? Er kaute auf seiner Zunge. Und prompt kam ihm eine Idee. Er nahm sein Handy, wählte Kotonami-sans Nummer an. Es dauerte nicht lange, bis sie ran ging.

„TATSUMI! Warum rufen Sie uns erst jetzt an? Wir saßen fast zwei Stunden in diesem blöden Café und jetzt-“

„Aaahaha, hallo Schatz! Ja, schön dass du noch wach bist!“, unterbrach er sie mit übertrieben freundlicher Stimme, „Ja, ich weiß, dass ich spät anrufe. Tut mir Leid, aber hier ist momentan viel los!“

„...Steht Watanabe neben Ihnen?“

„Ja.“

„Was zum Teufel ist los? Warum sind Sie nicht aufgetaucht?“

„Aber Mausi, hast du heute Abend gar nicht die Nachrichten gesehen? Es kommt auf allen Kanälen... leider. Das macht uns ja gerade zu schaffen.“

„Die Nachrichten? Nein, Bärchen. Ich saß leider in einem reudigen Café fest, weil irgend so ein Idiot es nicht für nötig hielt, mich eher anzurufen, und hatte deshalb keine Möglichkeit zum Fernsehen.“

„Äh...“, Tatsumi hatte den Faden verloren, auch fiel es ihm aus unerfindlichen Gründen zunehmends schwerer, diese blumige Stimme aufrecht zu erhalten „Nun, dann... äh tu' das noch. Es wird heute Abend sicherlich spät werden. ...Schläfst du... bei mir oder bei dir?“

„... Wir sind jetzt bei Yashiro-san, falls Sie das meinen. Wenn Sie uns noch sehen wollen, vom Café ausgehend drei S-Bahn-Stationen mit der Linie 6, am Ende der Straße gegenüber, Hausnummer 47!“

„Das ist aber schön!“

„Und wehe, Sie klingeln hier erst mitten in der Nacht! Beeilen Sie sich gefälligst!“

„Ja Schatz, ich dich auch!“

„...“

„Bis später dann!“

Er legte auf und atmete tief durch. Man, dieses Mädchen war wirklich nicht auf den Mund gefallen! Er freute sich schon, sie später am Abend wiederzusehen.

„Wusste gar nicht, dass Sie eine Freundin haben..“, sagte Watanabe und beäugte ihn misstrauisch.

„Nun ja, ich hänge sowas nicht gerne an die große Glocke. Zu viel Klatsch und Tratsch...“, antwortete er und kratzte sich dabei verlegen am Hinterkopf.

„Da mögen Sie Recht haben...“, murmelte sein Boss und wandte sich der Tür zu, denn eben in jenem Moment traten die Männer ein, auf die sie gewartet hatten.
 

„Was hat er gesagt?“, fragte Yashiro-san neugierig, als sie aufgelegt hatte.

„Er hat mich gefragt, ob ich heute Nacht bei ihm schlafen möchte.“

„Er hat WAS???“

„Calm down, war nur'n Witz! Er musste die ganze Zeit so tun, als ob er mit seiner Freundin telefoniert, weil Watanabe neben ihm stand!“

„Ach so... und was hat er nun gesagt, außer... ob du bei ihm schläfst?“ Die letzten Worte im Satz hörten sich unfreundlicher an, als er es beabsichtigt hatte; Kotonami-san warf ihm einen komischen Blick zu.

„Er meinte, es sei etwas besonderes passiert und wir sollen die Nachrichten einschalten.“

„Warum hast du das nicht eher gesagt?“

Hastig angelte er nach der Fernbedienung(sie war unter einem Berg von Kissen begraben) und stellte das Gerät an.

Er musste nicht mal den Sender verstellen, denn sie sahen auf Anhieb, was Tatsumi aufgehalten hatte.

„... aktuell befindet Sie sich im Shobita-Krankenhaus und laut ärztlichen Befunden geht es ihr gut. Unser Reporter Keita ist vor Ort.“

Eine Blende zu einem großen Gebäude, vor dem sich mehrere Kamerateams und Reporter drängten.

„Ja, es ist tatsächlich so, dass eine der drei entführt geglaubten Schauspieler in diesem Krankenhaus aufgetaucht ist. Es war ja bekannt, dass Momose Itsumi während der Entführung in die linke Schulter geschossen wurde, doch einer der tätigen Ärzte bestätigte erst kürzlich, dass es ihr gut geht. Sie erinnere sich allerdings an nichts, da sie während der ganzen Zeit bewusslos gewesen sei. Zuverlässigen Quellen zufolge ist sie jetzt wieder bei Bewusstsein. Warum die Entführer sie jedoch gehen ließen und wo sich die restlichen Geiseln Tsuruga Ren und Mogami Kyoko befinden, bleibt vorläufig ein Rätsel. Ich gebe ab, an meine Kollegin im Studio.“

Man sah wieder die Nachrichtensprecherin.

„Danke Keita. Und im Moment kommt gerade eine Meldung herein, dass Hauptkommissar Watanabe zu den Ereignissen Stellung bezieht; wir schalten live für Sie rüber.“

Man sah Watanabe vor einem Wald von Mikrophonen im Blitzlichtgewitter.

„Wir sind natürlich erfreut, dass Momose-san wieder bei Bewusstsein ist und wahrscheinlich keine bleibenden Schäden davontragen wird. Einer unserer Mitarbeiter hat bereits erste Verhöre vorgenommen, jedoch ohne großen Erfolg, da ihre Erinnerungen bezüglich der jüngsten Ereignisse nicht sehr umfassend waren. Genaueres kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt geben, auch aus Gründen der Sicherheit...“

Kanae sah zu Yashiro herüber. „Das Ganze wird immer verwirrender.“

„Allerdings. Ich kann mir nicht im Geringsten vorstellen, warum sie freigelassen wurde.“

„Ich auch nicht... Hach, es ist aber auch zu dumm, dass sie sich an nichts erinnert!“

„Ja... obwohl es doch gar nicht so üblich ist, dass man nach einer einfacheren Schussverletzung so lange ohnmächtig ist...“

„Einfach? Schussverletzungen sind nie 'einfach'!“

„Naja, im relativen Sinne... denn es geht ihr scheinbar schon wieder gut, oder? Es gibt auch schlimmere Fälle, in denen man Monate braucht, um zu genesen, deshalb habe ich gesagt 'leicht'! Natürlich ist es trotzdem furchtbar. Du weißt, wie ich das meine.“

„Und? Worauf wollen Sie nun hinaus?“

„Worauf ich hinaus will? Versuche doch mal, das Ganze mit unserer Theorie in Verbindung zu bringen!“

„... Irgendwie ist mein Hirn dazu grade nicht in der Lage... ich verstehe nicht, was Sie meinen.“

„Na, stell dir mal vor, sie hatte Kontakt mit der Yakuza! Man hätte sie nur unter einer Bedingung gehen lassen!“

„Und die wäre?“

„Schweigen! Sie sagt bestimmt nur, dass sie ohnmächtig war, weil man sie bedroht hat!“

„Klingt zwar logisch, aber meinen Sie nicht, dass das ein bisschen weit hergeholt ist?“

„Warum denn? Es würde alles zusammen passen! Wir müssen nur noch einen sicheren Weg finden, mi ihr zu reden, ohne dass Dritte eine Chance haben, das zu hören!“

„Sie sehen es ja bereits als Fakt an! Steigern Sie sich lieber nicht zu sehr da hinein ... Obwohl es wohl wirklich das Beste wäre, wenn wir mal mit ihr sprechen, wobei ich nicht glaube, dass es was bringen wird... Morgen können wir es in den regulären Besucherzeiten probieren.“

„Und... was ist mit heute Abend? Glaubst du, Tatsumi wird noch auftauchen?“

„Ich denke schon. Zumindest habe ich ihm deutlich klar gemacht, dass er uns ernst nehmen sollte!“

„... Kann ich mir vorstellen... bei deinem Temperament...“

„Was soll DAS denn bitteschön heißen?“

„Ach nichts, nichts...“ Er grinste in sich hinein, bei dem Gedanken, dass er gerade nur knapp einer weiteren Kotonami-san-Explosion entgangen war. Er lernte dazu, das musste man ihm lassen.

Sie beobachtete ihn derweil mit zusammengekniffenen Augen.

„Schön. Dann benutze ich eben jetzt mal ihr Bad, wenn es nichts ausmacht.“

„Okay, tu' was du willst...“

Und als ob es eine wahrhaft diabolische Strafe für ihn wäre, dass sie nun sein Bad benutzte, durchquerte sie das Zimmer mit ihrer stolzesten Haltung und gerecktem Kinn Richtung Badezimmer.

Ihm entlockte all das nur noch ein Lächeln und ein Kopfschütteln. Kotonami und ihr Stolz amüsierten ihn. Irgendwie hatte das schon etwas Reizvolles... natürlich nur auf eine rein freundschaftliche und neutral interessierte Art. Er machte es sich auf der Couch bequem, um sich das Warten etwas zu erleichtern. Es lag wirklich eine harte Zeit hinter ihm, er fühlte sich unsäglich müde... ein paar Minuten Schlaf würden sicher niemanden stören...
 

Wutschnaubend stürmte sie durch die Tür, wäre fast noch mit der Stirn dagegen gekracht, da die Türklinge nicht gleich nachgab. Am liebsten hätte sie die ganze Einrichtung zerlegt, dann wüsste er schon, was er davon hatte, sie zu reizen. Doch im Augenblick begnügte sie sich erst einmal damit, alles mit einer kleinen, kindischen Neugierde in Betracht zu nehmen. So sah also das Badezimmer eines männlichen Singles aus. Moment mal... Single? Das wusste sie doch gar nicht! Sie hatte ihn nie gefragt und eigentlich spielte das doch auch gar keine Rolle! Trotzdem... hatte sie es irgendwie gefühlt, an der Art, wie sie miteinander umgingen, nicht als ob sie sich annähern wollten, aber einfach ungezwungener... es war schwer zu erklären. Eh? In welch bescheuerten Gedanken verstrickte sie sich da gerade? War doch scheißegal!! Wen interessierte das?

Sich der Dreistigkeit durchaus bewusst, öffnete sie die Türen seines Schranks.

Was war das?

Zwei riesige Vorratspacks Plastic-Gloves. Wozu brauchte ein einziger Mensch soviele Einweg-Handschuhe? War Yashiro-san etwa ein Ordnungsfanatiker? Am Ende gar noch so einer, der selbst vor dem kleinsten Bakterium einen Horror bekam? Das hatte ihr gerade noch gefehlt!

Daneben fand sie einen supermodernen Elektrorasierer, diverse teure Markenparfumes, eine Quietsche-Ente, Badesalz, Kerzen und diverse Kosmetika.

Neben dem Schrank befand sich die Badewanne. Mit Desinteresse ließ sie einen kurzen Blick darüber schweifen und stockte jäh. Auf dem Badewannenrand standen zwei benutzte Weingläser und eine leere Rotweinflasche.

Was hatte das zu bedeuten?

Sie schüttelte den Kopf, konnte ihr doch egal sein!!!

Just aufkommende Bilder von einem Yashiro-san, der mit einer schönen Unbekannten flirtete, überschwemmten ihr Hirn.

„Oh mon dieu, dieserr Wein iist köstliieesch, Yashirohh..“

„Ich weiß... du solltest lieber nicht so viel davon trinken; deine Lippen nehmen schon seine Farbe an!“

„Daan küss sie doch wiedeeer sauberr...“

Waaaaahh!!! In wilder Panik rannte sie in dem kleinen Raum hin und her. Während der vormals weiße Badvorleger zunehmends eine Farbe annahm, die an eine Mischung aus Schlamm und Mist erinnerte (sie trug immernoch Straßenschuhe), spürte sie dieses komische Verlangen, ihren Kopf gegen die Wand schlagen zu wollen, doch die Geräusche etwas lauterer Art, die dadurch zwangshalber entstünden, wären wohl in die Kategorie 'merkwürdiger Krach auf Wände treffender menschlicher Körperteile' gefallen, und das wiederum hätte dann Yashiro auf den Plan gerufen, was logischerweise äußerst nachteilig war, wenn sie es eigentlich geheim halten wollte, dass sie schon beim blossen Anblick zweier Weingläser auf einem Badewannenrand dermaßen am Rad drehte. Alles in allem, kam sie also zu dem Schluss, dass es besser war, erst einmal tief ein- und ausatmend auf dem Klodeckel nieder zu sitzen und ihre Gedankengänge in das Feld der Rationalität zurück zu zwingen.

Wie auf Kommando, um die Situation noch verworrener zu machen, klingelte plötzlich ihre linke Hosentasche. Erschrocken stand sie auf, zog ihr Handy hervor und nahm den Anruf an.

„Ja? -ääh, ich meine, Kotonami am Apparat!“

„Hallo!Hier Tatsumi! Ich steh jetzt vor besagtem S-Bahnhof, den Rest hab ich aber vergessen!“

„Rest? Welcher Rest?“

„Na wie ich zu Yashiros Wohnung komme!“

„Zu seiner W...? Oh, ach soo!! Linie 5, nein halt, 3, ääh ich meine 6!“

„Häh? Welche Linie?“

„Linie 6! Und dann aussteigen!“

„Aussteigen? Wo?“

„Na aus der Bahn!“

„Schon klar, aber wann?“

„Na bei Yashiro-sans Wohnung!“

„ ... Das ist mir bewusst. Ich meine, welche Haltestelle?“

„Oh! Ach so! Sie müssen drei Haltestellen weit fahren!“

„Gut und dann? Welche Hausnummer?“

„Hab ich vergessen. Aber wissen Sie was? Ich hole Sie einfach vom Bahnhof ab, okay? Ich muss Yashiro-san nur noch nach dem Weingl... äh, nach dem Schlüssel fragen!“

„Das ist wirklich nett, danke!“

„Also bis gleich!“

Sie legte auf. Fabelhaft. Da wurde ihr doch gleich eine mundgerechte Ausrede serviert, warum sie kurz aus dieser Wohnung an die frische Luft musste!

Von neuem Tatendrang erfasst stand sie auf auf marschierte schnurstracks zurück ins Wohnzimmer.
 

Yashiro hatte zwar noch die Augen geschlossen, doch ihre Gegenwart brachte ihn zum Lächeln.

Ein sanfter Hauch ihres Parfumes wehte durch die Luft. Ihr Haar kitzelte an seinem Hals. Er strich ihr liebevoll über den Kopf. Sie wandte ihm das Gesicht zu. Dieses Gesicht mit den stolzen, schönen Augen und den herrlich geschwungenen Lippen.

„Na, wieder zurück aus dem Land der Träume? Wo warst du denn?“, flüsterte sie. Ihr Atem strich an seinem Ohr entlang.

„In Gedanken war ich mit dir zusammen“, gab er zurück.

„Bist du doch auch jetzt.“

„Aber du wirst wieder gehen. In meinen Gedanken war es noch schöner, denn du bist geblieben und wir waren an einem einsamen, wunderschönen Ort.“

Sie lächelte verwegen.

„Aber in deinen Gedanken habe ich gewiss nicht dies getan...“

Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen leidenschaftlichen Kuss.

Da fing jemand an, seinen Namen zu rufen. Wer war es, der ihn ausgerechnet jetzt störte?

„Yashiro!!! Yashiro-san!...“

Entnervt schlug er die Augen auf und erblickte sofort die Person, die ihn so rüde geweckt und aus seinem herrlichen Traum gezerrt hatte.

„Wa-Was schauen Sie mich denn so böse an? Bis eben haben sie im Schlaf noch gegrinst wie ein Honigkuchenpferd!“

Er stockte und plötzlich wurde ihm bewusst, wovon er geträumt hatte; sein Ärger wich und machte Entsetzen Platz.

„Yashiro-san, ist alles in Ordnung? Sie sehen aus, als wären Sie etwas neben der Spur!?“

Er schwieg, begutachtete dieses Gesicht... ihre stolzen Augen blickten ihn fragend an.

„Es ist nur... ... ist nur... ... ahm...“

Er starrte sie an.

Sie starrte zurück. Abermals waren ihre Gesichter unnatürlich nah.

Irgendwie wurde ihm das Ganze gerade ein bisschen zu viel. Er richtete sich auf, massierte seine Schläfen. Kam das von dem Stress? Machten sich die Turbulenzen der vergangenen Tage bemerkbar? Oder kam das von dem Alkohol? Es konnte einfach nicht sein, dass er sich zu diesem Mädchen hingezogen fühlte!? Sie war aufbrausend, rechthaberisch, ungeduldig und brutal! Das volle Gegenteil der Eigenschaften, auf die er bei sich Wert legte.

„Yashiro-san? Fühlen Sie sich nicht wohl? Drehen Sie mir mal Ihr Gesicht zu!“

Er erstarrte innerhalb eines Sekundenbruchteils zu einer Eisstatue, als sie plötzlich ihre Stirn gegen seine lehnte.

„Oh je, ich glaube, Sie haben leichtes Fieber... war wohl etwas zu viel für Sie, hm?“

Sprachlos angesichts dieser plötzlichen Freundlichkeit und Anteilnahme ließ er es zu, dass Sie ihn wieder hinab drückte. Die leichte Ähnlichkeit dieser Geste mit den Handlungen seines Traumes lenkten kurz seine Aufmerksamkeit ab, so verpasste er es, irgendetwas zu sagen.

„Schlafen Sie erst mal ein wenig. Ich bin sicher, danach wird es Ihnen besser gehen. Gibt es noch irgendetwas, das ich für Sie tun kann?“

„Ähm...“

Sie lächelte. „Schlafen Sie.“

Dann verließ sie das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Doch Yashiro schlief nicht. Mit offenen Augen starrte er an die Decke hinauf, fühlte das Blut in seinen Ohren rauschen; seine Schläfen pulsierten fürchterlich.

Einfach nichts stimmte hier. Sein Leben stand Kopf. Seine Gedanken waren gefüllt mit wirren Träumen über ein Mädchen, von dem er nicht mal sicher war, sie zu mögen. Außerdem fing nun auch noch sein Körper an, zu schwächeln, obwohl er seine Kräfte niemals so sehnlichst beisammen haben wollte, wie jetzt! Er dachte an Ren und Kyoko-chan und ihn überkam augenblicklich ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken daran, was sie wohl gerade durchmachen mussten und was er hier für Kindereien veranstaltete.

Die Bedrohlichkeit und Tragweite dieser Geschehnisse kam ihm wieder vollends ins Bewusstsein, drohte, ihn zu überrollen. Er fühlte sich so hilflos, als ob all seine Versuche, zu ihrer Rettung beizutragen, nur Tropfen auf den heißen Stein wären... doch er konnte nicht Mehr tun... schlafen... nicht mehr daran denken...
 

Kanae polterte den Hausflur hinab; sie hatte den Wohnungsschlüssel einfach aus seiner Manteltasche geklaubt ohne ihn zu fragen; das war jetzt unwichtig. Alles, was sie wollte, war, hier weg zu kommen.

Als sie auf die Straße hinaus trat, blieb sie erst einmal fröstelnd stehen. Diese Nacht war wirklich ungewöhnlich kalt... Für einen kurzen Moment betrachtete sie noch die Straßenlaterne, die von Motten umschwirrt, einen kläglichen Versuch abgab, die Dunkelheit ein wenig zu erhellen, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und machte sich auf, zum S-Bahnhof. Irgendwie tat diese Kälte sogar ziemlich gut... sie ernüchterte ihren Kopf von liebestrunkenen Narreteien, legte ihr wieder ihre wirklich wichtigen Ziele vor Augen. Erst jetzt bemerkte sie es... irgendwie waren ihr diese Ziele ein bisschen aus dem Blickfeld gerutscht. Das lag alles nur an diesem Yashiro, diesem Typen, von dem sie nicht mal den Vornamen kannte. Sie wusste absolut nicht, wie sie dessen Gegenwart noch länger aushalten konnte. Nicht das sie ihn nicht mochte. Im Gegenteil, sie mochte ihn zu sehr, das war ja gerade das Problem. Irgendwie konnte sie in seiner Gegenwart nicht normal bleiben. Sie versuchte es, wirklich. Aber Irgendetwas war immer, entweder lag es an seiner Art oder er fand mal wieder Spaß daran, sie zu reizen, oder er reagierte auf bestimmte Dinge einfach so... süß. Wie er zum Beispiel die Teetasse gehalten hatte... es hatte richtig edel ausgesehen. Dazu besaß er sehr schön proportionierte und gepflegte Hände... etwas, auf das sie bei Männern sowieso Wert legte. ...Stop.

Da! Sie tat es schon wieder!

Wütend fluchte sie laut in die Nacht und scheuchte damit eine streundende Katze auf.

Der Bahnhof kam in Sicht.

Tatsumi lehnte lässig an einer Mauer. Er rauchte eine Zigarette. Sein langes, schwarzes Haar war zu einem Zopf gebunden, doch einige Strähnen fielen ihm ins Gesicht.

Einen kurzen Moment musterte sie diese Erscheinung. Die Attraktivität dieses Mannes sprang Einen ja geradezu an.

„Guten Abend“, begrüßte sie ihn knapp.

Er nahm den letzten Zug seiner Kippe und schnipste sie weg.

„Guten Abend, Kotonami-san. Womit habe ich es denn verdient, von dir abgeholt zu werden?“

Warum glitzerten seine Augen so verführerisch, während er dies sagte?

„Ähm... ich hatte einfach Lust...“

„Lust... worauf?“

„Mir die Beine zu vertreten.“

„Ach so.“

Was war denn mit diesem Typen los? Die graue Farbe seiner Augen war beeindruckend. Sie konnte den Blick nicht losreißen. Sein Blick schien sie förmlich aufzusaugen.

„Kotonami-san, du hast da eine Wimper an der Wange. Erlaubst du?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, näherte er sich und fuhr behutsam mit dem Zeigefinger über ihre Wange.

„Da, wenn du sie wegpustest, darfst du dir was wünschen.“

„Nein danke, ich glaube nicht an diesen Krempel.“

„Bist Keine von der romantischen Sorte, was?“, er lachte.

„Was spielt das für eine Rolle?“

„Keine. Ich wollte bloß charmant sein.“

„Nun... sparen Sie sich das lieber für später auf.“

„Nur zu gerne.“

„Also, was für Informationen haben Sie denn jetzt für uns?“

„Oh, kommen wir also direkt zur Sache, hm?“

Sie lächelte kühl. „Tja, haben Sie also doch entdeckt, von welcher Sorte ich bin.“

Einen Moment sah er sie an, dann fand er wieder zu seinem verführerischen Lächeln zurück.

„Sieht ganz so aus. Gut zu wissen jedenfalls.“

„Wofür?“

„Ach nur so. Manchmal kann es ganz nützlich sein, die Eigenarten der Leute zu kennen, mit denen man... enger zusammen arbeitet.“

„... Wie auch immer, was ist denn jetzt?“

„Also gut, erinnerst du dich daran, dass Watanabe den Autos, in denen die Kidnapper Tsuruga-san und die anderen von dem Theater wegfuhren, eine Falle an einem Flughafen gestellt hatte?“

„Ja, was ist damit?“

„Nun, das ganze Gelände war abgeriegelt und die leeren Autos wurden auf der Straße aufgefunden, ergo müssen die Entführer die Geiseln in ein Flugzeug geschleust haben!“

„Und wie sollten sie das geschafft haben?“

„Jetzt setzt eure Theorie an, ich glaube, dass ich einen Maulwurf in meinem Team habe, der mit der Yakuza in Kontakt steht. Ich habe bislang nichts gesagt, um keine schlafenden Hunde zu wecken, aber ich bin dabei, mein ganzes Einsatzteam zu überprüfen.“

„Ach so.“

„Nun das wichtigste kommt erst noch. Zu diesem Zeitpunkt haben drei Maschinen auf jenem Flughafen einen Zwischenstop eingelegt, zwei davon haben wir doppelt überprüft, sie waren absolut frei von jeglichem belastenden Material. Die dritte Maschine allerdings...“

„Matsumoto...“, flüsterte sie.

„Genau. Wir haben ihn am Hanabusa-Airport erwartet, um seine Maschine routinehalber zu durchsuchen, und jetzt halt dich fest: Kurz vor dem Landeanflug dreht sein Jet überrschenderweise ab. Wir fanden erst später raus, dass er unangemeldet in Shibuya gelandet ist!“

„Äusserst verdächtig...“

„Habe ich auch gedacht. Sogar Watanabe glaubt mittlerweile, dass da was faul sein muss. Als wir in Shibuya ankamen, war die Maschine natürlich schon verlassen. Auf unsere Anfrage, wieso er das getan habe, meinte er nur, er habe überraschend etwas in seiner Residenz zu erledigen gehabt!“

„Das ist ja unglaublich!! Angenommen, Kyoko-chan und die anderen wären in dieser Maschine gewesen... dann sind sie ja vielleicht wieder in Tokio!!!“

„Vielleicht. Doch das hilft uns alles nicht wirklich, den Kreis einzuschränken. Sie könnten mittlerweile an sonst einem Ort sein; wir haben sogar Interpol eingeschaltet, weil es Hinweise gab, dass sie nach Großbritannien gebracht wurden! Abgesehen davon, sind an allen Flughäfen sowieso die Alarmstufen verdreifacht worden. Und selbst wenn sie noch in Tokio sind, stellt das nur eine andere 'Nadel im Heuhaufen'-Suche dar. Uns fehlt einfach die richtige Spur!“

„Was ist mit diesem Mädchen... Momose-san... Yashiro-san glaubt, dass sie das mit der Ohnmacht nur als Ausrede benutzt, da sie zum Schweigen gezwungen wurde!“

„Das ist durchaus möglich, allerdings beharrt sie kontinuierlich auf dieser Aussage; ich selbst habe sie verhört!“

„Wir wollten morgen auch mal mit ihr sprechen, vielleicht können wir sie ja dazu bewegen, etwas mehr zu sagen. Yashiro-san meinte nur, dass er eine längere Weile mit ihr zusammengearbeitet hat, durch Dark Moon, und er deshalb kennt er sie etwas näher.“

Er blieb plötzlich stehen.

„Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Ausgehend davon, dass wir es mit der Yakuza zu tun haben, könnte sie überwacht werden. Wir wissen nicht, zu welchem Zweck sie freigelassen wurde.“

„Was schlagen Sie vor?“

„Moment... könntest du bitte aufhören, mich zu siezen? Soviel älter als du bin ich auch nicht. Wenn du mich siezt, fühle ich mich immer so alt!“

„Schon gut... also, was schlägst du vor?“

„Also pass auf, Yashiro und du, ihr tut Folgendes...“
 

Kalte, dunkle Nacht... nicht gerade trostspendend, wenn man um sein Leben fürchten muss. Noch schlimmer wird das Ganze natürlich, wenn man auf etwas Angsterregendes warten muss, dem man nicht entgehen kann. Keine der Personen, die du liebst, weiß, wo du bist. Und deine eigene Mutter weiß möglicherweise nicht mal, dass du überhaupt entführt wurdest. Du fragst dich, würde sie auch nur mit einer Wimper zucken, wenn es ihr jemand erzählen würde? Du willst es lieber gar nicht wissen. Der Mann, dem du bis dato dein Leben gewidmet hattest, bewies dir, dass du ihm weniger bedeutest, als eine dahergelaufene Fremde. Dann plötzlich bietet er sich an, dein dunkles Schicksal zu tragen. Du fragst dich, warum er das getan hat. In deinem Herzen gären tausende von unerträglichen Fragen. Kein Retter in Sicht. Keine Möglichkeit, dem Grauen zu entgehen. Keine Ablenkung, darüber nachzudenken. Doch dir wurde nicht alles genommen... jemand ist immernoch bei dir, jemand ist da, der versucht, dich zu beschützen. Dabei gab es eine Zeit, in der du für ihn nicht mehr als Abscheu empfandest... mittlerweile hat sich das geändert. Denn jetzt in diesem Augenblick ist die Gesellschaft dieser Person das Kostbarste, das du besitzt.
 

„Tsuruga-san?“

„Hm?“

„Haben Sie eine Ahnung, wie spät es ist?“

„Nein, sorry... nicht die geringse Ahnung“

Plötzlich bewegte sich die Türklinke. Sofort spannten sich sämtliche Muskeln meines Körpers an und ich schnellte hoch. Sie kamen!

Unwillkürlich trat ich einen Schritt näher an Tsuruga-san heran, er gab mir ein Gefühl von Sicherheit.

Ein kleinerer Mann mit buschigen Augenbrauen und ziemlich großer Nase trat ein.

„Das Oberhaupt ist nun bereit, euch zu empfangen, folgt mir.“

Ich gab mir alle Mühe, mir nicht zu sehr ansehen zu lassen, wie stark mich all dies einschüchterte. Doch ich wollte nicht wie ein ängstliches, kleines Mädchen aussehen, so holte ich tief Luft und schritt möglichst selbstbewusst neben Tsuruga-san her. Es war schon ziemlich lächerlich. Niemand würde anhand unserer Aufmachung auf den Gedanken kommen, wir beide wären Geiseln einer Entführung. Tsuruga-san in seinem Smoking und ich in meinem Abendkleid. Wir spielten Komödie, doch nicht freiwillig. Wir taten das, was man von uns verlangte.

„Da rein. Wartet auf der Couch; er kommt gleich.“

Der Augenbrauen-Nasen-Mann schob uns in eine riesige Lounge und schloss die Tür hinter uns.

Vorsichtig blickten wir uns um.

Ein weitläufiger Raum mit einer riesigen Glaswand, durch die man das nächtliche Treiben Tokios beobachten konnte. Ich fühlte mich regelrecht klein und unbedeutend in dieser übergroßen Halle von moderner Protzerei.

Etwas unsicher ließen wir uns auf der Couch nieder und warteten.

Man hatte uns zwei Drinks bereit gestellt. Ich rührte das Glas nicht an, doch Tsuruga-san griff nach einem der beiden und spielte damit nervös herum.

Dann beugte er sich zu mir hinunter.

„Das Beste ist, wenn du mich sprechen lässt und dich nicht einmischst. Versteh es nicht falsch, es ist nicht so, dass ich dich für unfähig oder unwichtig halte. Es ist nur so, dass ich einfach besser weiß, wie man mit solchen Menschen umgeht, da ich... bereits einige Erfahrungen damit habe.“

In diesem Augenblick hörte ich, wie sich eine andere Tür am Ende der Halle öffnete. Eine größere, lautere Tür, als die, durch wir die Halle betreten hatten. Jemand trat ein.

Es war ein Mann von mittlerer Größe. Er war zu weit entfernt, als dass ich sein Gesicht erkennen konnte. Doch als er näher kam, lenkte mich das Klirren zerbrechenden Glases ab.

Ich wandte die Augen gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich auf Tsuruga-sans Gesicht beim Anblick dieses Mannes ein Ausdruck vollkommenen Entsetzens bildete.

„Guten Abend. Freut mich, dass du mich wiedererkennst, Kuon.“
 

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Okay, ich bin ja wirklich mal gespannt, wie meine lieben Kommischreiber dieses Kapitel kritisieren... Auch wenn es komisch erscheint, dass Yash und Kanae fähig sind, so zu agieren, aber irgendwie dachte ich mir, Minus mal Minus ergibt plus, warum sollte also nicht Vernunft mal Vernunft Chaos ergeben dürfen? Es macht mir wirklich Spaß, die Story zwischen Kanae und Yash zu entwickeln, da es hier noch so viel Potential gibt, anders als bei Kyoko und Ren (die ja praktisch in jeder Fanfic zusammen kommen)...
 

Ach uebrigens, da die Story langsam anfaengt, komplexer zu werden, falls irgendwer nicht mehr mitkommt oder einen Denkfehler entdeckt... zoegert nicht, mir den Kommibereich mit scharfer Kritik und Infragestellungen vollzubomben! Steh ich drauf. XD

Lauf!

Meine. Fresse. Ich hab mich so lange davor gedrückt, den Inhalt dieses Kapitels zu schreiben. Es war echt schwer. Bei Rens Vergangenheit musste ich ein Puzzleteil entwerfen, das gleichzeitig in das originale Skip Beat und in meine Fanfic passt. Endlich hab ich es geschafft. Aber es ist wirklich dunkel, also überlegt euch gut, ob ihrs lesen wollt.

Ach ja, und falls ihr euch dafür entscheidet, dann Annas Name bitte englisch aussprechen^^
 

Vielen lieben Dank an ma chère AMJH fürs Beta-Reading... das ist echt Zucker von dir^_____^
 


 

Chapitre dix: Lauf!
 

Durch das Feuer der Hölle und die tiefsten Abgründe dieser Erde bin ich gegangen. Zwischen den Grenzen von Trauer und Verzweiflung, dort wo der Wahnsinn lauert, trieb ich umher wie ein hilfloses Laubblatt im Wind. Mein einziger Begleiter waren meine Tränen und meine verfluchte Leidenschaft, die in all den Jahren bis über den menschlichen Grenzwert hinauswuchs. Immer wenn das Leben drohte, aus meiner Brust zu entweichen, ich die Erlösung nahen sah, tauchte dein Gesicht vor meinen Augen auf, und ich wusste, dass ich nicht ohne dich gehen konnte.

Nein, ich konnte nicht sterben, ohne dir meine tosende Rache einzubrennen.

Meine Rache... und mein Hass... alles, was von mir geblieben war. Der Rest war weg, gestorben, schon vor langer Zeit.

Und nun sitzt du vor mir, selbstbewusst in deiner neuen Welt, schaust mich an, als wäre ich ein Geist.

Du hattest mich vergessen. Scheint ja wunderbar einfach gewesen zu sein.

Dafür hasse ich dich.

Umso mehr weiß ich nun, dass dein Tod mich erretten wird, gehasster Bruder.
 

Dunkelbraune Augen, moderner Haarschnitt mit glänzend schwarzem Haar, wissendem Ausdruck und charmanten Falten um den Mund.

Ich wusste nicht, wer dieser Mann war.

Doch Tsuruga-san wusste es offensichtlich. Und ich hatte ihn noch nie so gesehen. Mein Verstand wäre nicht mal im Ansatz in der Lage gewesen, sich solch ein Gesicht bei ihm vorzustellen. Seine aufgerissenen Augen, die Scherben zu seinen Füßen, seine bebenden Lippen.

Der fremde Mann schwieg ebenfalls. Er betrachtete Tsuruga-san nachdenklich, sein Blick wirkte zunehmend abgestumpft, trübe. Dann sprach er wieder, seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich auf diesen Augenblick gewartet habe. All die Jahre des Wartens... und jetzt sitzt du tatsächlich vor mir, als Ren Tsuruga.“

Tsuruga-san antwortete nicht; etwas unglaublich schmerzvolles war in seinen Blick getreten, auch seine Stimme war sehr leise und bebend.

„Shuichi... aber wie... ich... ich dachte, du seist tot?“

Der abgestumpfte Blick des Mannes schwand, er begann, zu lachen. Ein wahnsinniges, freudloses Lachen.

„Ahahahaha, du dachtest, ich sei tot, hahaha!! Eine schön einfache Lüge hast du dir da selbst kreiert. Haaahaha, du bist genauso einfältig wie früher, Kuon. Genauso dumm.“

Tsuruga-san schwieg, doch ich schnappte nach Luft. Weshalb sagte er nichts, während dieser Mann ihn beleidigte??

„Tsuruga-san ist weder einfältig, noch dumm!!! Der einzige in diesem Raum, der lacht wie ein Gestörter, sind S-“

Tsuruga-san hielt mir den Mund zu. Er blickte mich dabei nicht einmal an.

Irgendetwas stand zwischen den beiden, das wurde mir in diesem Augenblick überdeutlich bewusst.

Der Mann hörte auf zu lachen und fasste Tsuruga-san scharf ins Auge.

„... aber du bist auch immer noch derjenige, der mich am besten kennt, wie es scheint.“

„Shuichi...“

„HÖR gefälligst auf, mich so zu nennen. Shuichi existiert nicht mehr. Er ist tot. Das ist deine Schuld! Jeder kennt mich jetzt unter dem Namen Dantes.“

„Tot? Shuichi ist nicht tot. Das ist nicht wahr.“

Der Mann, der sich selbst 'Dantes' nannte, stand so ruckartig auf, dass ich zusammenschrak. Tsuruga-san warf mir einen flüchtigen Blick zu.

„DU hast keine Ahnung vom Tod! DU weißt nicht, was ich durchgemacht habe!“

„Was hast du durchgemacht?“

Dantes wandte das Gesicht ab und schnaubte selbstgefällig.

„Was soll das? Warum tust du so, als ob es dich interessieren würde, was mir widerfahren ist?“

„Weil du immer noch mein Bruder bist.“

„SEI STILL! Wir waren niemals Brüder!! Du hast mich betrogen! Alles war eine Lüge!“

„Ich habe dich niemals betrogen. Als ich sagte, dass du für mich ein Bruder bist, meinte ich das ernst.“

„Lügen! Lügen! So viele Lügen! Warum hörst du nicht endlich damit auf, Kuon? Ich habe dich jetzt durchschaut! Es hat keinen Sinn mehr!“

„Ich lüge nicht.“

„SEI ENDLICH STILL!!“ In einem blinden Anfall von Wahn griff er unter sein Sakko und zog eine Pistole hervor, richtete sie auf Tsuruga-san.

Mir wanderte eine Gänsehaut über den Rücken. Wusste Tsuruga-san wirklich, was er da tat?

„Wo hast du gelernt, so zu hassen, Shuichi?“

„Das weißt du nicht? Ich nehme an, dann erinnerst du dich auch nicht mehr an den Abend, als du auf mich eingeschlagen hast, bis ich mich nicht mehr rührte? Den Abend, an dem du mir alles genommen hast? Die Frau, die ich liebte, meine Freiheit, mein Leben?“

„Ich erinnere mich. Es war der schlimmste Abend meines Lebens. Ich dachte, du wärst tot. Seitdem konnte ich vor drückender Schuld kaum mehr atmen. Aber ich habe dir Anna nicht genommen und auch nicht deine Freiheit.“

Dantes betrachtete Tsuruga-san für eine Weile. Ich konnte nicht erraten, welcher Ausdruck sein Gesicht umspielte. War es Hass? Melancholie? Amüsiertheit? Oder eine Mischung aus allem?

„Weißt du, in mir lebt kein einziger Funken meiner früheren Gefühle mehr, alle sind verrottet. Ich hätte es nicht erwartet, aber jedes Wort, das du sprichst, jede Lüge die deine Lippen passiert... Alles, was ich empfinde, ist Gleichgültigkeit. Du kannst nichts mehr tun.“

„Wovon redest du, Shuichi? Was geht hier überhaupt vor? Bitte sag mir nicht, dass du für das alles verantwortlich bist!“ In Tsuruga-sans Stimme schwang keine Spur von Abneigung mit. Nur Verzweiflung, Fassungslosigkeit.

Unwillkürlich wallte in mir der Wunsch auf, ihn zu berühren, zu beruhigen. Doch ich traute mich nicht. Nicht vor diesem unheimlichen Mann. Außerdem... naja, war es ja immer noch Tsuruga-san.

„Was glaubst, weshalb du hier bist? WAS glaubst du, weshalb ich das alles tue? Hast du überhaupt etwas von dem verstanden, das ich dir gerade erklärt habe??“

„Ich verstehe dich nicht mehr. Du bist nicht mehr derselbe.“

„Gut erkannt. Das zumindest scheinst du kapiert zu haben.“

„Was ist mit dir geschehen? Wo warst du in all den Jahren?“

„Nachdem du mich zusammengeschlagen und mir diese Unmengen Heroin in die Tasche gesteckt hattest, haben mich natürlich zufällig die Bullen gefunden.“

„Ich hab dir keine Drogen in die Tasche gesteckt! Du weißt, dass ich mit all dem niemals etwas zu tun hatte! Wovon redest du überhaupt, man?“

Dantes reagierte nicht.

Ich verstand nicht ein Wort von dem, was sie redeten. Es wirkte unheimlich auf mich, wie es dieser Mann vermochte, Tsuruga-san so zu verändern. Der Tsuruga-san, unnahbar, freundlich, cool. Nichts war mehr davon übrig. Stattdessen war er plötzlich nervös, verzweifelt, geschockt. Ich konnte meine Augen nicht mehr von seinem Gesicht losreißen.
 

Ich merkte, wie Mogami-san mich beobachtete. Ich fühlte mich unsagbar verzweifelt, losgerissen, verwirrt. Shuichi war hier. Meine verfluchte Vergangenheit und meine zerbrechliche, heilige Gegenwart vermischten sich nun zu einer einzigen, unerträglichen Katastrophe. Ein Alptraum wurde wahr.

Ich erinnerte mich plötzlich an jede Kleinigkeit. Es war, als wäre ich 5 Jahre in der Zeit zurückversetzt worden. Die Vergangenheit, die ich auszuradieren versucht hatte.

Ich erinnerte mich an mein Zimmer in der riesigen Villa in der 37. Anderson Drive.

Dieses große Zimmer, das keinen Wunsch eines Teenagers offen ließ, der einen protzigen, materialistischen Lebensstil anstrebte.

Ich erinnerte mich an den Geruch der Kissen, wenn ich morgens aufwachte, das gleißende Licht, das hereinströmte, und den salzigen Geschmack der Luft, der durch die Klimaanlagen von draußen hereinkam. Das Rauschen der Wellen beim Einschlafen.

Oftmals hatte ich von meinem Fenster aus diese Typen beobachtet, wie sie aus ihren teuren Karossen wichtigtuerisch ausstiegen, mit ihren Surfboards, umringt von scharwänzelnden Mädchen ihre Runden drehten.

Ich hätte mühelos einer von ihnen sein können.

Doch ich hatte die Lächerlichkeit dieser ganzen Prozedur gehasst.

Ihre Eltern waren reich, meine auch.

Ich hatte diesen Vorzeigevater, den japanischen Hollywood-Helden, der mir einen Abklatsch seines Namens verpasst hatte und nun von mir erwartete, genauso ein dämlicher Schauspieler zu werden. Kuu und Kuon, alle Amerikaner machten sich darüber lustig. Mir war es egal. Ich gab nichts auf die Meinung dieser aufgeplusterten, kaugummikauenden Idioten, die nur in ihrem eigenen stupiden Universum glänzten.

Schon lange hatte sich in meinem tiefsten Inneren eine dickschwarze Abneigung gegen diese oberflächliche Plastik-Welt gebildet. Ich wollte nicht länger die Augen davor verschließen und so tun, als wäre ich darin glücklich.

Ich fühlte mich von Tag zu Tag einsamer. Was ich mir wünschte, war eine wirkliche Bindung zu einem Menschen, nichts gekünsteltes, kein falsches Lächeln, keine Liebe, die sich im Materialismus ausdrückte.

Ich wünschte mir Wirklichkeit, Halt.

Mein Leben zog dahin wie ein Film, der immer die gleichen seichten Possen wiederholte, meine Seele vegetierte in einem Moder aus Selbstekel und Zweifel.

Ich sah kein Licht mehr am Horizont, versank in Orientierungslosigkeit. Alle neuen Orte, die ich kennen lernte, schienen dem zu gleichen, von dem ich kam.

Ich verfluchte dieses Leben im goldenen Käfig.

Schließlich kam die Nacht, in der ich ausrastete.

Ich erinnere mich an die Trümmer in meinem Zimmer, die Tränen meiner Mutter, die Wut meines Vaters. Das Bild der offenen Haustür hinter mir, als ich davon rannte und mein Vater hinter mir herrief: „Komm zurück!“

Die tobende Unruhe in meinem Herzen.

Es war eine Nacht, die mein Leben veränderte.

Die Nacht, in der ich Shuichi Shizoido traf.

Er war mein Ebenbild. Ein Japaner, dessen Familie in Amerika den großen Wohlstand gefunden hatte. Sein Vater war irgendein einflussreicher Börsenhai.

Doch das wichtigste war, dass er der erste Mensch war, der verstand. Er wusste um die wühlende Verzweiflung in meiner Brust, die mich aufzufressen drohte. Er hatte sie selbst erlebt.

Er eröffnete mir einen Ausweg aus dieser giftigen Scheinwelt.

Ich erinnere mich an die Nächte in denen wir durch die dunklen Straßen zogen, Chaos stifteten, Freiheit atmeten. Shuichi war beliebt auf der Straße. Er kannte jeden, wusste von allen geheimen Treffen, Versammlungen, war überall dabei.

Und er nahm mich mit.

Zusammen gaben wir ein unschlagbares Team ab. Die einzigen Japaner, die in der ganzen Stadt was zu sagen hatten.

Und die Leute scharten sich um uns. Schon bald hatte sich eine riesige Gruppe von Gleichgesinnten um uns gesammelt. Shuichi besaß dieses unglaubliche Charisma. Er war der geborene Anführer.

Es war die Zeit, in der die Bandenkriege begannen, der Kick, um sein Ansehen zu kämpfen. Ich liebte es und ging vollkommen in dieser Welt auf.

Das war real, aufregend, gefährlich.

Und ich hatte Shuichi. Er stand mir näher als es meine Blutsverwandten jemals vermocht hätten.

Ich erinnere mich an den Augenblick, in dem ich zu ihm sagte: „Shuichi, weißt du, du bist für mich mehr als mein Bruder, du bist mein Schicksal.“

Sein Lachen daraufhin. „Natürlich sind wir Brüder, Kuon, und wir werden es immer bleiben! Wir können nicht ohne einander bestehen!“

Doch schon bald tauchte eine Person in unserem Leben auf, die das Potential besaß, alles kaputt zu machen.

Anna.

Sie hatte sich, wie viele andere, uns angeschlossen, jung, leidenschaftlich, wild.

Das erste Mal, als ich sie wahrnahm, war bei den Ausschweifungen in der alten Fabrikhalle, als wir wieder mit Torettis Leuten aneinander gerieten.

Sie allein bestand gegen drei riesige, faustschwingende Schränke ohne einen Kratzer.

Solch eine Frau hatte ich nie zuvor gesehen. In ihren Augen brannte ein Feuer, eine Entschlossenheit, die einen glauben ließ, alles wäre möglich. Sie war stark und selbstbewusst. Allein schon ihre Schönheit ließ jeden Mann niederknien.

Sie kam Shuichi und mir so nahe, wie niemand sonst.

Bereits nach kurzer Zeit war aus unserem Duo ein Trio geworden.

Shuichi, Anna und ich.

Uns lag die Welt zu Füßen.

Eine unvergleichliche Zeit folgte. Wir schwänzten die Schule, bauten unseren geheimen Treffpunkt in der verlassenen Industriegegend aus und aalten uns in unserer Unabhängigkeit.

Oh man, ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem Shuichi plötzlich dieses Klavier an den Treffpunkt brachte, Gott allein wusste wo er das herhatte. Und wir beschlossen, Tango zu lernen, allein um uns über die Leute von Tyrese lustig zu machen, mit ihrem bekloppten Streetdance und ihrem lächerlichen Gangstergehabe.

Wie wir gemeinsam auf dem alten, schmutzigen Ziegeldach neben dem Schornstein lagen und Pläne ausheckten, während wir die Sterne beobachteten.

Es hätte immer so bleiben sollen, doch das tat es nicht.

Denn schon bald beobachtete ich eine Veränderung in Shuichis Augen, wenn er Anna ansah. Nicht mehr nur wie ein guter Freund.

Er liebte sie.

Auf mich traf das nicht zu. Anna bedeutete alles für mich, doch ich betrachtete sie immer noch wie eine kleine Schwester.

In den Tagen hörten Shuichi und ich immer mehr Gerüchte darüber, dass einige unserer Jungs mit Drogen handelten. Und dass die Polizei uns im Visier hatte, doch wir nahmen es nicht ernst. Solche Gerüchte gab es immer.

Zu der Zeit ahnte ich es nicht, doch es wäre der beste Zeitpunkt gewesen, um auszusteigen. Vielleicht wären Shuichi und Anna ohne mich glücklich geworden.

Doch ich tat es nicht, ich klammerte mich an das einzige, was meinem Leben Sinn gab: Die Existenz auf der Straße, mit Shuichi und Anna.

So kam es zu dem Abend, der alles mit einem Schlag beendete.

Ich saß auf der alten Matratze im Südflügel und aschte beim Rauchen in den Aschenbecher, den Anna mit soviel Hingabe aus einer leeren Konservenbüchse und einem Kerzenhalter gebaut hatte. Meine Gedanken tummelten irgendwo im Strom dahin, ich genoss das Nichtstun.

Ich hörte Schritte und drehte mich um.

Da stand sie. Anna. Mit Tränen in den Augen. Und diesem merkwürdigen Blick.

Ich erinnere mich wie ich aufstand, erschrocken, wie ich auf sie zuging, meine Arme ausbreitete.

„Anna, was... was ist passiert?“

Sie antwortete nicht, vergrub das Gesicht in meinem Pullover, drückte sich an mich.

Ich strich ihr über den Kopf. „Willst du mir nicht sagen, was los ist, Kleines?“

Sie hob das Gesicht, fixierte mich mit ihren tränenglänzenden Augen.

„Kuon...“

„Ja. Was ist, hm?“

„Kuon, ich liebe dich!“, sie schluchzte, „So sehr...“

Sie blickte mich so hoffnungserfüllt an, ich war sprachlos.

„Anna, das...“

Sie zog mich heran und küsste mich, schob mich in Richtung Matratze.

Ich wollte sie gerade sanft wegschieben, da erblickte ich über ihre Schulter etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Shuichi.

Er stand im Eingang. Außer Atem, als wäre er Anna hinterhergerannt und blickte uns an.

Sein Körper zitterte vor unterdrückter Wut.

„Du...“

Anna ließ von mir ab und wirbelte herum.

Wir standen einander gegenüber und es brach mir das Herz, als ich sah, mit welchem Hass mich Shuichi betrachtete.

„Shuichi, du verstehst das falsch, es...“

„SEI STILL, DU VERDAMMTER LÜGNER!!“

Er stürzte sich auf mich.

Anna schrie, während wir über den Boden rollten.

Shuichi verpasste mir einen Faustschlag ins Gesicht, ich schmeckte Blut.

„Was glaubst du, wer du bist, he? Ohne mich wärst du nichts, NIEMAND! Erzählst mir, du wärst mein Bruder und betrügst mich hinter meinem Rücken mit der einzigen Frau, die ich liebe!!! Du bist ein Blutsauger, ein Versager, der seine lächerliche Glitzerwelt zu Hause als Versicherung benutzt, während er hier auf der Straße böser Junge spielt!! Du bist nicht mal ein ganzer Japaner! Wie könnten wir Brüder sein? Du bist ein Fake, ein Nichts, EIN NICHTS!!“

„SEI STILL!!!“

Ohne zu wissen, was ich tat, schlug ich auf Shuichi ein.

Erst als er bewegungslos am Boden lag, hörte ich auf.

Und kam wieder zu mir.

„Oh mein Gott. Was habe ich getan? Shuichi!!!!“

Ich kniete nieder. Ich konnte seinen Puls nicht fühlen.

„Nein. NEIN!!“

„Kuon...“ Zarte Finger auf meiner Schulter.

„LASS MICH IN RUHE!!“ Ich stieß Anna zurück.

Sie sah mich mit großen, traurigen Augen an, in ihr zerbrach etwas.

„Nein, Anna... so war das nicht gemeint, es... oh Gott...“

Sie rannte davon.

Plötzlich hörte ich in der Ferne Schreie, Polizeisirenen.

Drei Jungs aus der Gang stürmten in den Raum.

„Kuon! Oh man- Was ist hier passiert? Wo ist Anna? Wir müssen abhauen! Die Bullen kommen!“

Ich rührte mich nicht.

Jemand zog mich von Shuichi weg.

„Kuon! Hau ab!!! Ich kümmere mich um Shuichi!“

Ich rannte.

Der Rest meiner Erinnerung an diese Nacht war ein einziger verworrener Klumpen aus Tränen, Schreien, Angst, Dunkelheit.

Am nächsten Morgen erwachte ich in meinem Bett.

Mein Kopf dröhnte. Mein Blickfeld war verschwommen, keine Stelle an meinem Körper, die nicht schmerzte.

Wie betäubt ging ich hinunter in die Küche.

Unten saß meine Mutter und machte Frühstück. Der Fernseher lief.

Ich blickte auf den Bildschirm.

Dann der Schock.

„... wurde gestern Abend in Downtown eine berüchtigte Bande Randalierer festgenommen. Dabei wurden große Summen an Heroin sichergestellt. Die Polizei spricht von einem äußerst wichtigen Sieg gegen die verdeckte Straßenkriminalität. Doch hatten die Beamten geglaubt, dies wäre bereits ein ereignisreicher Abend gewesen, so hatten sie sich getäuscht. Eine der festgenommenen Personen, die 17jährige Anna Beverly, durchbrach die Sperre der Sicherheitsleute und stürzte sich vor ein vorbeifahrendes Auto. Sie war auf der Stelle tot. Dieser Fall ist unvergleichlich. Amerika ist geschockt. Der Kongressabgeordnete Princeton betonte heute Morgen in einer Rede...“

Ich brach zusammen und weinte.

Weinte, bis nichts mehr von mir übrig war.

Das Gesicht meiner Mutter, die versuchte, herauszufinden, was los war.

Mein eigener Verstand, der drohte, zu zersplittern.

Die folgenden Tage lag ich im Bett, tat nichts. Aß nichts, schlief nicht, sprach nicht, bewegte mich nicht.

Ich wollte tot sein.

In diesem Moment trat mein Vater wieder in mein Leben.

Er setzte sich eines Tages auf mein Bett.

„Kuon... ich nehme an, du willst mir nicht sagen, was mit dir los ist. Ich bin mir dessen bewusst, dass mein Wunsch, dich zu einem Schauspieler zu machen nicht unerheblich an der Lage Schuld ist. Ich habe dich dazu getrieben, vor mir wegzulaufen. Das ist mir jetzt klar. Doch was jetzt mit dir geschieht, ist mir unheimlich. Ich mache mir wirkliche Sorgen, und glaub mir, ich habe dich immer geliebt, mein Sohn. Bitte sag mir, wie ich dir helfen kann!! Ein Wort genügt schon! Sprich, ich flehe dich an!“

In diesem Augenblick tat es sich vor mir auf. Der einzige Weg, wie ich weiterleben konnte.

Ich richtete mich auf und sah meinem Vater in die Augen. Ich konnte zwar nicht umhin, ihn für seine frühere Ignoranz zu hassen, doch mittlerweile regte sich ein Funke des Verstehens in meinem Herzen. Er liebte mich wirklich, er sagte es nicht nur so. Sein Traum war es, das ich Schauspieler wurde.

Und meine Eltern waren alles, was ich noch hatte.

Kurz darauf eröffnete sich mir eine Möglichkeit, die ich nur als Schicksal ansehen konnte. Ich traf den Präsidenten einer der führenden Agenturen Japans. Und er gab mir die Chance, auf die ich gehofft hatte. Ich ging nach Japan. Das Land, das mir mein Vater als kleiner Junge gezeigt hatte. Das Land mit dem ich mich irgendwie verbunden fühlte. Ich wurde Schauspieler. Ich konnte meinem Vater nicht verzeihen, doch ich wollte ihn auch nicht fallen lassen. Ich löschte Kuon Hizuri und meine Vergangenheit aus. Und wurde Ren Tsuruga. Mit der Zeit lernte ich vergessen, lernte die Welt des japanischen Showbusiness immer besser kennen. Es wurde zum Mittelpunkt meines Lebens.

Trotzdem hatte die Vergangenheit ihre Spuren hinterlassen. Ich schaffte es nicht, meine Angst zu überwinden und neue Menschen an mich heranzulassen. Ich hatte Freundinnen, ja, doch ich war in keine wirklich verliebt. Ich hielt mir keine Freunde. Nicht mal meinen Manager ließ ich vollends an mich ran, obwohl er ein prima Kerl war und viel mit mir zusammen arbeitete. Ich löste mich in einer Welt von Arbeit und Scheinwerferlicht auf.

Bis zu dem Zeitpunkt als dieses Mädchen in mein Leben trat.

Eine flüchtige, vergessene Erinnerung an ferne Kindertage, eine Vergangenheit vor Shuichi, die nicht purer Schmerz bedeutete. Ich geriet in Konflikt mit mir selbst, als ich plötzlich spürte, wie mein Herz in ihrer Gegenwart wieder zu schlagen begann.

Denn vor allen anderen konnte ich am wenigsten mir selbst verzeihen.

Trotzdem wurde es mit der Zeit immer offensichtlicher. Ich liebte sie.

Doch ich hatte Angst. Was würde geschehen, wenn ich mich ihr öffnete? Würde sie verstehen? Würde sie zurückschrecken? Würde ich auch sie verletzen, verlieren?

Mogami-san...
 

Ich schlitterte in die Gegenwart zurück. Oder wie man es auch nennen mochte.

Und mir wurde mit einem Schlag klar, wie es jetzt um uns stand.

Meine Gedanken rasten durch ein mannigfaltiges Netz aus Möglichkeiten, was zu tun war. Aus dieser abgeschlossenen Luxushölle zuvor hatten wir nicht entkommen können. Doch dieses Zimmer mit seinen zahlreichen Ausgängen bot mir ungeahnte Möglichkeiten. Ich dachte, konzentrierte mich mit aller Kraft. Shuichi redete. Von seinem Hass, seinen Gefühlen, seiner Enttäuschung. Ich wusste, ich hatte ihm unrecht getan, doch all dies rechtfertigte mit nichts, dass er Mogami-san Schaden zufügen wollte, was er zweifellos plante. Vom ersten Augenblick an hatte ich gewusst, dass er uns umbringen wollte. Das war der einzige Grund dieser unglaublichen Verschwörung gewesen: Mein Tod. Und, damit es auch noch möglichst schmerzhaft für mich wurde, auch Mogami-sans. Also zählte für mich nichts anderes, als sie zu retten. Ich hatte schon eine Art Idee… ich brauchte nur noch... eine Verbindung... Die Jahrezahlen rasten vor meinen Augen rückwärts bis zu der Zeit, als wir noch befreundet waren, arglos in dem Glauben wir wären untrennbar. Ich suchte nach einem Hinweis, den ich nun gegen ihn verwenden könnte, als Ablenkung, als rührseligen Aufhänger. Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn, etwa zum hundertsten Mal ließ ich die Augen durch das Zimmer kreisen. Sie blieben auf einer in der Wand eingelassenen Stereo-Anlage hängen. Das Display zeigte mir zwei Worte.

Argentinian Tango.

Es machte klick.

Und ich sah die Möglichkeit. Die einzige.

Es erschien mir wie ein bitterironischer Streich des Himmels, dass mir ausgerechnet solch eine Erleuchtung kam.

Doch ich hatte es mir geschworen, in der Badewanne, nur Stunden zuvor.

Ich würde sie retten, koste es was es wolle.

Selbst, wenn der Preis mein eigenes Leben bedeuten würde.

Es musste sein. Ich straffte die Schultern und begann mit meiner Show. Meiner letzten Show.
 

Ich verstand hier langsam gar nichts mehr, fühlte mich immer unbedeutender.

Was redete dieser Typ da? Wie konnte Tsuruga-san ihm so viel Leid zugefügt haben? Das war schlichtweg unmöglich! Tsuruga-san war nicht so ein Mensch. Dieser Dantes schien den Verstand verloren zu haben.

Und wir befanden uns auch noch in der Gewalt dieses Verrückten.

Langsam dämmerte es mir, dass diese ganze Sache womöglich kein gutes Ende nehmen könnte.

Die ganze Zeit hatte sich in irgendwo in meinem Kopf hartnäckig die Möglichkeit gehalten, dass es noch einen Ausweg geben musste. Dass wir befreit werden würden, dass alles vielleicht nur ein böser Traum war.

Doch bei diesem Mann wurde mir klar, dass es aussichtslos war, wenn kein Wunder geschah.

Just in diesem Augenblick erwachte Tsuruga-san, der die ganze Zeit gedankenversunken geschwiegen hatte, scheinbar aus seiner Trance und hob wieder die Stimme.

„Immer noch auf Tango, Shuichi?“

Häh?

Dantes blickte ihn scharf an.

„Was geht es dich an? Selbst wenn, dann hat das wohl nichts mit dir zu tun!“

...

„Du wirst mich töten, nicht wahr?“

Ich schnappte nach Luft! Drehte Tsuruga-san jetzt durch? Wieso provozierte er diesen Mann?

Dantes' Gesicht zeigte erst eine Spur Überraschung, dann einen Ausdruck tiefster Zufriedenheit.

„Ja.“

„Nun... dann gewähre mir bitte einen Wunsch.“

„Welchen Wunsch?“

„Zeig mir noch mal die Grundschritte. So wie damals, am Treffpunkt. Bitte.“

Egal was diese für mich sinnlosen Worte Tsuruga-sans Dantes auch sagen mochten, es musste wie ein Hammerschlag gewirkt haben. Denn ich erkannte plötzlich, dass auch Dantes sich hinter einer Maske versteckt hatte, die jetzt zu bröckeln drohte.

Ein Gesicht, das einem anderen Menschen aus der Vergangenheit zu gehören schien, flackerte bei ihm hervor.

Doch mit einem Ruck fasste er sich wieder.

„Spinnst du? Du konntest es besser als ich! Du kannst es nicht verlernt haben. Hör mit dem Theater auf!“

„Ich habe es aber verlernt. Du hast selbst gesagt, du würdest mir alles beibringen, was ich will!“

„Weil ich deinen Lügen damals noch geglaubt habe und dich für einen kleinen Bruder hielt!“

Ich beobachtete Tsuruga-san. Und konnte mich dabei dem Eindruck nicht verwehren, dass er Poker spielte. Was hatte er vor?

„Ich bleibe dabei. Zeige mir die Schritte ein letztes Mal. Es bedeutet mir viel.“

Dantes Miene verfinsterte sich. Doch statt zu antworten griff er nach einer Fernbedienung und drückte einen Knopf.

Eine Musik ertönte, die ich noch niemals zuvor vernommen hatte. Ein verzweifelt-leidenschaftliches Ensemble aus Geigen, Klavier und Castañetten. War das Tango?

Tsuruga-san und Dantes standen auf.

„Nimm Haltung an. Ich schätze, wie das geht, weißt du noch?“ Er sagte es mit einer verbitterten Stimme, doch trotzdem tat er, was Tsuruga-san gewünscht hatte.

Dann nahmen die beiden Männer Stellung ein und bewegten sich in einem energischen Gleichschritt nach rechts.

Ich glaubte ehrlich, im falschen Film zu sein.

Was um Himmels Willen ging hier ab?

Es war faszinierend, natürlich. Ich hatte nie zuvor zwei Menschen Tango tanzen sehen. Trotzdem war es unfassbar.

Plötzlich drehte sich Dantes von Tsuruga-san weg, die Hand an der Stirn.

„Das ist doch lächerlich“, hörte ich ihn murmeln.

Ohne ein Wort der Erklärung schritt er auf die Bar zu und griff nach einer Flasche.

Tsuruga-san winkte mich zu sich herüber.

Unsicher blickte ich zu Dantes, doch der schien immernoch mit seiner Flasche beschäftigt zu sein. So erhob ich mich unsicher und ging zu Tsuruga-san.

Irgendetwas stimmte nicht. Er war anders als sonst. Seine Bewegungen waren auf einmal sanfter und mehr auf mich gerichtet, wie es mir vorkam. Und sein Gesicht hatte diesen Ausdruck... so liebevoll und traurig zugleich.

Ich dachte, dass er sich hinunterbeugte, um mir etwas zu sagen, doch einen Herzschlag und einen Atemzug später sah ich sein Gesicht plötzlich so nah, wie nie zuvor, seine geschlossenen Augen direkt vor mir.

Er berührte mit seinen Lippen zärtlich meinen Mund.

Es dauerte einige Sekunden bis ich realisierte, dass Ren Tsuruga mich gerade küsste.

Augenblicklich fühlte ich meinen Herzschlag explodieren, ein seltsames, intimes und doch fremdes Gefühl nistete sich in meiner Magengrube ein. Ich hatte einen völligen Systemausfall.

Tsuruga-san ließ spielerisch seinen Atem über meine Lippen streichen und küsste mich erneut, neigte diesmal leicht den Kopf, sodass ich flüchtig seine Wimpern über meine Wange kitzeln spürte.

Ich schloss die Augen. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gesagt, dass ich es genoss. Doch natürlich wusste ich es besser.

Deshalb schlug ich ruckartig die Augen wieder auf.

Und erblickte etwas, das mich zutiefst erschrak.

Tsuruga-san hatte einen traurigen, schmerzerfüllten Gesichtsausdruck!

Irgendetwas war an diesem Kuss fürchterlich falsch!

Ich hörte Dantes' barsche Stimme: „Hey, was soll das werden?“

Doch Tsuruga-san reagierte nicht darauf.

Er lehnte seine Stirn sanft gegen meine, fast als ob er meine Nähe ein letztes Mal einatmen würde.

Schnelle Schritte näherten sich.

Aber er ließ er seine Lippen langsam über meine Haut wandern und stoppte vor meinem Ohr.

Er hauchte nur ein einziges, trauriges Wort.

„Lauf!“

Dann ging alles sehr schnell. Dantes schrie irgendetwas und griff nach seiner Pistole.

Einen Moment hielt er verwundert inne. Sekunden später erkannte ich auch, warum.

Sie war nicht mehr da.

Plötzlich schnellte Tsuruga-san vor und zog Dantes, der einen Moment zu lang verwundert auf seine Innentasche gestarrt hatte, brutal zu sich heran. Dann drückte er ihm eine Pistole an die Schläfe.

Ich stand da, wie festgefroren und beobachtete, was dort geschah.

„Shuichi, hast du die erste Grundregel schon vergessen? Achte immer auf die Hände deines Gegenübers! Sie sind das Kapital der Bewegung!“

Da verstand ich. Deshalb der Tanz!! Er hatte nur an die Waffe unter Dantes' Jacket herankommen wollen!

Auf einmal krachten sämtliche Türen der Halle und mehrere Männer stürmten herein, alarmiert von dem Geschrei Dantes'.

„Mogami-san!! Was stehst du da noch rum? LAUF!!“

Doch ich rührte mich nicht.

Verzweifelte Panik sammelte sich in mir.

Er wollte sich für mich opfern. Das konnte ich nicht zulassen. Ich konnte ihn nicht zurücklassen und mich selbst in Sicherheit bringen. Nein!! NEIN!!!

„Tsuruga-san, ich...“

„LAUF!!!“

„Aber-“

„HAU ENDLICH AB, HÄSSLICHES MAUERBLÜMCHEN!!“ Er blickte mich angewidert an.

...

Ich lief.

Es war der Satz, der meine Füße rennen liess.
 

_________________________________________

Da ist also endlich der erste Kuss in meiner Fanfic. In Kap 10! Bin nen ziemlicher Spätzünder, wat? Hehe.

Ich hoffe, dass ihr mir Kommis hinterlasst! Nach diesem Kapitel brauche ich wirklich ein Feedback. Puh.

Oh, und noch was *lach*: Mir war natürlich klar, dass einige meine Yash-Kanae-Vorstellung unrealistisch finden, aber sowas ist zu erwarten, wenn man ins Extrem abschweift (übrigens sind die beiden auch manchmal im Originalmanga so: ich dachte da an die Aktion, als Yashiro Rens Handy gesmasht hat, oder Kanae, wenn sie mit ihrer Familie zusammentrifft... aber egal, es ist ja nur eine Fanfic.. ich bin da echt paranoid mit dem original, was? v_v°)
 

Viele liebe Grüße nach Deutschland ^-^

Eine Metropole auf Jagd

Hallihallo!

Ja, es gibt mich noch, und nein, ich würde meine FF niemals unabgeschlossen in der Welt stehen lassen!!! Es ist bei mir nur immer... naja, sagen wir eine Frage der Zeit. Ich kann mir denken, dass Viele recht sauer sind, weil ich mir so unerhört viel Zeit gelassen habe und es stimmt auch: Ich habe die FF zwischendurch vergessen, ja. Streckenweise war einfach mein eigenes Leben viel zu interessant, als dass ich den Elan gehabt hätte mich in die Welt des Monsieur Dantes einzufühlen. Ich hoffe ihr nehmt es mir nicht zu übel. Nicht zuletzt muss ich noch allen danken, die diese unglaublich tollen und superlieben Kommentare geschreiben haben. Das habe ich nicht verdient, aber ihr seid trotzdem der wahnsinn! Als ich nach langer Zeit nämlich mal wieder bei meiner Fanfic auf Mexx gelandet bin und das gelesen hab, da konnte ich gar nicht mehr anders: Ich MUSSTE weiterschreiben, weil ich ein ganz mieses Gefühl bekam, bei dem Gedanken, erst alle mit spannendem Material anzufüttern und dann 'über den dingen zu stehen'... Ich kann keine Versprechungen machen, wann das nächste Kapitel fertig sein wird, aber eines sei euch hier versprochen: Die FF wird zu Ende geführt werden, 100%. Bloss wann, ist halt die Frage^^°

Ganz liebes Dankeschön an alle und viel Spaß mit Kap11!

euer Kirschlein
 


 

Chapitre onze: Eine Metropole auf Jagd
 

Today I hurt myself to see if I still feel.

I focused on the pain, the only thing that's real.

The needel tears a hole, the old familiar sting.

Try to kill it right away, but I remember everything.
 

What have I become, my sweetest friend?

Everyone I know, goes away in the end.

And you could have it all, my empire of dirt.

I will let you down. I will make you hurt.

Johnny Cash
 

Drückende Stille. Kanae vermied es sorgfältig, Yashiro in die Augen zu sehen, während der Typ, der vor ihnen in der S-Bahn saß, scheinbar Spaß daran hatte, der ganzen Welt die Lieder seines iPods auf vollster Lautstärke zu präsentieren.

Das alles wäre ihr sogar relativ egal gewesen, wäre die Spannung, die ihre Nerven seit Tagen sowieso schon überstrapazierte, nicht von Stunde zu Stunde noch weiter gestiegen.

Keine Ahnung, wie man sich solche Musik anhören kann, aber wenn schon, dann soll er es wenigstens leise tun, dachte Kanae. Sie konnte sich einfach nicht helfen, aber dieses Lied beschwor das Bild einer verzweifelten Kyoko-chan vor ihren Augen. Und das machte sie im wahrsten Sinne des Wortes verrückt. Sie wagte einen Blick nach rechts, um Yashiros Reaktion zu beobachten. Dieser schien das Lied jedoch gar nicht zu beachten und spielte gedankenverloren mit den Blättern des großen Blumenstraußes auf seinem Schoss herum. Sie seufzte und versuchte, die blechernen Töne vor sich zu ignorieren.

„Du magst wohl keine Liebeslieder?“

Ihr Kopf wirbelte herum.

Yashiro bedachte sie mit einem studierenden Blick.

„Wie kommen Sie darauf?“

„So finster, wie du die ganze Zeit auf deinen Vordersitz starrst, seit dieses Lied angespielt hat... ich bitte dich, der arme Sitz kann nichts dafür, dass sein Insasse eine romantische Ader hat!“

„Ach kommen Sie schon... Es liegt doch auf der Hand, warum ich nervös bin! Laut ihrer eigenen Theorie könnte es gefährlich sein, mit Momose-san Kontakt aufzunehmen!“

„Denk einfach nicht zu viel drüber nach. Es wird schon schief gehen. Im Notfall haben wir ja immer noch Tatsumi!“

„Ja... auf ihn ist Verlass.“

Yashiro verkniff sich eine Nachfrage und blickte auf den Plan.

„Nächste müssen wir raus.“

„Ich weiß.“

Keiner sagte mehr etwas.

Schweigend saßen sie nebeneinander und lauschten dem leicht ratternden Geräusch der Bahn gepaart mit den sanften Tönen des Liedes, das, von Kanaes Ärger unbeirrt, weiterhin durch den Wagon schallte.

Als die Bahn langsamer wurde und zum Stehen kam, reihten sie sich in den Strom der Aussteigenden ein und sahen dem abfahrenden Zug einen Moment hinterher.

Kanae straffte die Schultern und ging mit entschlossenem Blick auf die Treppen zu, die hinaus auf die Nishishinjuku, eine der belebtesten Straßen des Viertels, führte.

„Das Krankenhaus liegt an der Ecke 2-8-1“, hörte sie Yashiro neben sich sagen.

„Also, worauf warten wir?“

Sie mischten sich unter die Menschenmassen und schritten zügig nebeneinander her.

„Es ist schon wieder so drückend warm. Das passt ja mal wieder alles perfekt zusammen. Ich wette mit dir, dass wir heute Abend noch Regen erwarten können!“

„Was für eine Rolle spielt das, Yashiro-san... Uns könnte so viel schlimmeres passieren, als Regen!“

Daraufhin blieb Yashiro stehen.

„Was ist?“

„Kotonami-san, schau mich an.“

„Was soll das?“

„Tu es einfach.“

Sie seufzte und schritt näher heran. Er hob seine Hand und schob es unter ihr Kinn, unterzog sie einem langen forschenden Blick.

„Du hast Angst. Hör zu, ich verstehe, wenn dich das alles überfordert, doch wisse eines: Wenn du aussteigen willst, dann ist der richtige Moment jetzt. Alles andere wäre zu spät. Nur noch jetzt.“

Sie standen sich auf der Mitte der Fußgängerzone gegenüber und blickten sich an. Links und rechts schoben sich Menschen an ihnen vorbei. Manche rempelten sie an, manche fluchten. Yashiro ließ sich davon nicht beirren. Sein Blick blieb an ihrem Haar hängen, durch das der Nachtwind sanfte, wehende Wellen schickte.

„Tut mir Leid. So einfach werden Sie mich nicht los.“

Sie lächelte ihn an. Und es erschien ihm so derart neu, dass er sich fragte, ob er sie jemals zuvor hatte lächeln sehen.

„Es war keine Angst, die Sie in meinen Augen gesehen haben. Sie brauchen mich nicht zu beschützen. Ich bin stärker, als ich aussehe! Danke, für das Angebot.“

Langsam ließ er seine Hand von ihrem Kinn sinken und lächelte ebenfalls.
 

Einen weiteren Augenblick schauen wir auf Yashiro und Kanae. Sie stehen inmitten einer einzigen fließenden Masse aus Menschenkörpern, die alle in unterschiedliche Richtungen drängen. Ein Moment eingefrorenem Handelns, eingefrorener Zeit. Zwei Menschen, allein in ihrer Welt für eine Sekunde auf diesem großen, runden Planeten.

Ihr Weg ist nicht weit. Gleich um die Ecke liegt das mächtige Shobita-Krankenhaus, das seine Portale für Besucher um diese Uhrzeit schon geschlossen hat. Deshalb sind die Lichter in der Eingangshalle gedämpft und der Personenverkehr ist schon lange verebbt. Wieder einmal nehmen wir den alten Weg. Geradeaus, in den Aufzug, 4. Stock, drei Korridore links und stopp. Wir stehen vor einer Tür, die gerade leise von innen geöffnet wird. Heraus tritt eine Gestalt. Sie hat eine schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen und benötigt eine Krücke, um zu laufen.
 

„Du hast mich um 2 Tage gebeten. Ich tat es für dich, aber jetzt kann ich nicht mehr länger warten“, murmelte er vor sich hin und schritt langsam den Flur entlang. Er hasste es, sich verkleiden zu müssen, um sich in der Öffentlichkeit ungestört bewegen zu können. Ständig war er in Sorge, dass die Kapuze oder die Sonnenbrille verrutschten. Und dann erst noch diese Paranoia wenn ihn Leute länger als normal anstarrten! Er erreichte den Aufzug und betätigte den Knopf. Während er wartete, kehrten seine Gedanken zu ihr zurück. Was sie wohl gerade durchlebte? Er schüttelte sich, als ihn wieder dieses Gefühl von Trägheit durchflutete.

'Du kannst nichts tun...'

„Das wollen wir doch erst mal sehen, Shoko.“

Er bestieg den Aufzug und fuhr hinab ins Erdgeschoss. Er wusste, dass er den Haupteingang nicht mehr benutzen konnte, deshalb wandte er sich ohne zu zögern einer Tür zu, die das Schild „Unbefugte Zutritt verboten“ trug. Er wusste, wer hinter dieser Tür wartete, denn er hatte in den zwei Tagen nicht nur untätig im Bett gelegen. Er hatte seine Flucht vorbereitet.

Nach einem flüchtigen Blick über die Schulter nahm er die Sonnenbrille ab und streifte die Kapuze vom Kopf.

Als er eintrat, drehte sich eine Krankenschwester hastig um.

„Oh Fuwa-chi, ich hatte so gehofft, du würdest kommen!“ Sie strahlte ihn mit freudig geröteten Wangen und großen Augen an. Sofort wechselte er in den Verführer-Modus über.

„Kein Vergleich zu meinem Wunsch, dich zu sehen, Kleines.“

Sie griff sich ans Herz und seufzte.

„Weißt du, Fuwa-chi, ich war schon immer dein größter Fan!! Kann ich bitte ein Autogramm haben?“

„Natürlich, Süße.“ Alles verlief genau nach Plan.

Er trat nahe an sie heran.

„Wie ist dein Name?“

„Li Dae.“

„Wo kommst du her?“

„Südkorea. Ich lebe seit meiner Kindheit in Japan.“

Er zückte einen Stift und beschrieb ein Stück Papier, das er vorher wissend eingesteckt hatte.

„Komm her zu mir, Dae-chan. Schau, was ich geschrieben habe.“

Er hielt ihr den Zettel nicht hin und zwang sie somit, ganz nahe an ihn heranzukommen, um die Inschrift lesen zu können.

'Für Li Dae, der schönsten koreanischen Blume in Japan, von Fuwa Sho.'

Sie seufzte ergriffen, als sie es las.

Er packte die Gelegenheit beim Schopf und strich ihr mit seiner Hand an der Wange entlang.

„Weißt du, Dae-chan, ich habe ein Problem und du bist möglicherweise die Einzige, die mir helfen kann. Würdest du mir einen Gefallen tun?“

Sie blickte ihn an und er wusste sofort, dass er gewonnen hatte.

„Ich bin es nicht gewohnt, so lange an einem Ort eingesperrt zu sein. Mir geht es ziemlich miserabel. Du siehst, es ist mir sehr wichtig. Ich begebe mich sogar in die Schuld einer so schönen Frau, um für ein paar Stunden an die frische Luft zu kommen.“

„Natürlich Fuwa-chi! Du Armer! Weshalb sperren sie dich hier denn ein? Das ist ja furchtbar!!“

„Ich weiß. Deshalb hatte ich gehofft, du könntest mir helfen.“

„Vertrau mir, Fuwa-chi, ich helfe dir, folge mir!“

Sie führte ihn durch eine weitere Personaltür und durch den hinteren Teil des Erdgeschosses. Vor einem blechernen Doppelportal machte sie Halt und schloss auf.

„Dies ist der Zufahrtsweg für alle pharmazeutischen Mittel des Hauses. Du musst mir versprechen, Fuwa-chi, dass du im Morgengrauen wieder hier bist! Sonst bekomme ich enorm viel Ärger!“

„Wie könnte ich das verantworten? Natürlich komme ich! Allein schon, um dich wiederzusehen!“

Mit diesem Satz wischte er all ihre Zweifel weg, das wusste er.

„Ich lasse dir die Tür offen, Fuwa-chi!“

„Danke, Dae-chan!“

Er trat hinaus. Der altbekannte Geruch von Tokio am Abend wehte ihm entgegen. Er war wieder in seinem Revier. Hastig legte er seine Verkleidung an und schritt auf die Hauptstraße des Viertels zu, die Nishishinjuku. Von dort aus würde er die Bahn nehmen, um in sein Appartement zu gelangen und seine Suche nach Kyoko vorzubereiten.

Er bog um die Ecke und überquerte die große Kreuzung neben dem Krankenhaus.

Er fühlte die Schwüle der Luft und vermutete, dass es heute Abend noch Regen geben würde. Es war ein ungewöhnlich belebter Abend und die Straßen waren voll von Menschen. Er wurde gegen ein Pärchen gedrängt, das mitten auf dem Bürgersteig stand und den Weg blockierte.

Grummelnd schob er sich an ihnen vorbei, als ein Wortfetzen an sein Ohr gelang.

„... trotzdem wegen Kyoko-chan...“

Unwillkürlich drehte er sich um.

Auch bei dieser Stimme regte sich in seinem Gedächtnis etwas.

Das Pärchen wandte sich gerade zum Gehen um, doch er hatte das Gesicht des Mannes gesehen. Blond, Brille.

Einen Augenblick überlegte er angestrengt, da kam ihm die Erleuchtung.

„HEY BRILLENSCHLANGE!“

Der Mann drehte sich nicht um. Doch einige vorbei eilende Passanten warfen ihm empörte Blicke zu.

Verdammt! Er durfte nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen! Im Bruchteil einer Sekunde entschied er sich anders und folgte ihnen. Er wusste nicht, was er sich davon erhoffte, doch es war eine Verbindung, die sich möglicherweise als hilfreich erweisen konnte.

Er folgte ihnen bis vor den Haupteingang des Shobita-Krankenhauses, wo sie stehen blieben. Er trat in den Schatten einer großen Säule und belauschte ihr Gespräch:

„So, und was nun? Alles ist abgeschlossen, wie zu erwarten.“

„Natürlich. Ich schlage vor, wir umkreisen das Gebäude. Wir finden bestimmt einen anderen Eingang! Du hast noch die genauere Beschreibung zu Momose-sans Zimmer?“

„Ja, Florence hat es mir gegeben.“

„Flo-“

„Ähm, Tatsumi, meine ich.“

Stille setzte ein.

Nervös scharrte das Mädchen mit dem Fuß, während sie zunehmends in ihrer Handtasche wühlte.

„Was tust du da, Kotonami-san?“, fragte der Mann matt und mit einem Seufzer.

„Verdammt, ich kann den Zettel mit der Beschreibung nicht finden!!“

„WAS?“

Sie kippte den Inhalt ihrer Tasche auf den Bürgersteig und durchforstete es abermals.

„Shit.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Kotonami-san!!!“

„Tut mir, Leid, ja? Ich kann auch nicht an alles denken!“

„Aber diese Beschreibung ist wichtig!! Ohne sie macht das alles keinen Sinn!!“

„DENKEN SIE DAS WEIß ICH NICHT???“

„WARUM HAST DU DANN NICHT-“

„Das Mädchen liegt in Raum 613, im 6. Stock.“

Beider Köpfe wirbelten zu ihm herüber. Er sah die Verwirrung in ihren Gesichtern und trat hinter der Säule hervor.

„Das wird euch allerdings nicht viel bringen, denn sie spricht mit niemandem. Ich habe es auch versucht.“

Sie starrten ihn an.

„Hey Moment mal, deine Stimme kommt mir bekannt vor. Wer bist du?“, fragte der blonde Mann.

Sho zögerte einen Moment, dann entledigte er sich seiner Verkleidung.

Das Mädchen schnappte nach Luft.

„Fuwa-san“, sagte der Mann mit einem Kopfnicken, „Wusste ich's doch.“

„Was tust du denn hier?“, fragte das Mädchen und jede ihrer Silben triefte voller Abneigung.

Er konnte sich das nicht erklären, da er sich nicht erinnern konnte, sie jemals vorher getroffen zu haben. Er ging nicht weiter auf sie ein.

„Diese Frage sollte ich wohl besser euch stellen. Warum kommt ihr abends in ein Krankenhaus, wenn es doch offensichtlich für Besucher schon geschlossen ist? Das sieht mir verdächtig aus.“

„Was geht es dich an? Kümmer dich um deinen eigenen Kram! Abgesehen davon, bist DU es doch wohl, der uns belauscht hat und dadurch verdächtig wird!“, fauchte das Mädchen.

„Nun, das ist auch gut so.“

„Ich verstehe nicht“, sagte der blonde Mann.

„Ich werde es euch gerne erklären. Ich schlage euch einen Deal vor. Ihr sagt mir, warum ihr zu dieser Stunde hier seid und alles, was ihr über Kyoko wisst. Dafür bringe ich euch zu dem Mädchen Momose.“

„Was willst du von Kyoko-chan?“

„Sie retten. Was sonst?“

Die beiden blickten sich an.
 

Yashiro war nicht sicher, was er davon halten sollte. Er griff nach Kotonamis Hand und zerrte sie ein Stück von Fuwa weg.

„Was meinst du? Ich denke, wir sollten es versuchen. Er wird uns auf sicherem Wege zu Momose bringen!“

„Der spinnt doch! Was sollen wir mit ihm? Er ist doch nur ein Klotz am Bein! Wir haben außerdem mit Tatsumi abgemacht, dass nichts von unserem Verdacht nach außen getragen wird! Was ist, wenn wir falsch liegen und später dafür noch die Rechnung kriegen? Wir könnten richtig in Schwierigkeiten geraten!!“

„Ich weiß... Aber wenn wir es nicht tun, kommen wir nicht weiter.“

„Woher kennt der sich überhaupt so gut im Krankenhaus aus?“

„Ich nehme mal an, er ist hier auch nach der Premiere stationiert worden.“

„Gut gemacht. Genau so ist es.“

Sie blickten auf und sahen Sho Fuwa direkt neben ihnen stehen, so als hätten sie zu dritt eine heimliche Absprache zu treffen.

„Belauscht du uns etwa schon wieder?“

„Nun ja, ich konnte euch von da drüben sowieso hören, also dachte ich: Warum nehme ich nicht gleich an der lustigen Diskussionsrunde teil?“

„Du hast wirklich absolut keine Manieren. Genau wie Kyoko-chan gesagt hat.“

Er zuckte mit den Schultern und fuhr fort: „Erstens, ich werde nicht zur Polizei oder zu irgendjemandem gehen, um euch Schwierigkeiten zu machen. Zweitens: Mein Einziges Interesse ist es, dass Kyoko gerettet wird; und drittens: Ich bin der Einzige, der euch zu Momose-san bringen kann! Eindeutiger Fall, oder?“

Sie betrachteten ihn. Er schien nicht viel geschlafen zu haben in letzter Zeit. Seine Haut wirkte aschfahl und seine Haare sahen aus als wären sie seit Tagen nicht mehr gekämmt worden. Yashiro hatte das Gefühl, dass Sho Fuwa die Wahrheit sprach. Er erinnerte sich, was der Sänger auf der Premiere getan hatte und vermutete daher, dass Fuwa auch jetzt aufrecht sprach.

Nach einiger Überzeugungsarbeit Yashiros stimmte auch Kanae zu und sie setzten sich schließlich in Bewegung, um Fuwa zu folgen, der sie zu einem größeren Eingang an der Rückseite des Gebäudes führte. Seine Krücke gab bei jedem Schritt ein metallisches Klicken ab, dass unheimlich in der verlassenen Gasse widerhallte. Die Außenfassaden der hohen Gebäude neben ihnen waren schmutzig und dunkel. Kanae blickte sich misstrauisch um.

Sie erblickten ein riesiges blechernes Doppelportal. Nachdem Fuwa sie hindurch geführt hatte fiel es zu und hüllte sie in absolute Finsternis. Sie waren nun im Shobita-Krankenhaus.
 

Das Zukrachen eines Portals... laut und bedrohlich hört es sich an. Doch weit entfernt, fast auf der anderen Seite Tokios, erschallt beinahe zeitgleich ein Geräusch, dass noch weitaus bedrohlicher, ja lebensgefährlich ist. Das Klicken beim Entsichern einer Pistole ertönt in einem nobel ausgestatteten Raum, unmissverständlich, kalt. Die Pistole befindet sich in der Hand eines großes, dunkelhaarigen Mannes. Er drückt sie an den Kopf von Shuichi Michaels, stadtbekannter Firmeninhaber und Multimillionär; in einigen zweifelhaften Kreisen als Monsieur Dantes bekannt. „Shuichi, hast du die erste Grundregel schon vergessen? Achte immer auf die Hände deines Gegenübers! Sie sind das Kapital der Bewegung!“, flüstert der Große, Gutaussehende.

Vor den beiden Männern steht ein junges Mädchen in einem eleganten Abendkleid. Schockiert beobachtet sie das Geschehen. In diesem Moment bricht auf den Gängen vor der Tür ein ohrenbetäubendes Getöse los und mehrere bewaffnete Männer stürmen herein.

Alarmiert blickt der Dunkelhaarige das Mädchen an und ruft: „Mogami-san!! Was stehst du da noch rum? LAUF!!“

Doch sie rührt sich nicht.

Zweifelnd und halb flehend versucht sie, etwas zu entgegnen, doch der Mann drangsaliert sie weiter:„LAUF!!!“

„Aber-“

„HAU ENDLICH AB, HÄSSLICHES MAUERBLÜMCHEN!!“

Eine Sekunde scheint wie ein ganzes Zeitalter zu verstreichen, als sie ihn anstarrt, ohne ein Wort zu sprechen. Dann straffen sich ihre Gesichtszüge und sie dreht sich panisch um, stürzt zur nächstgelegenen Tür und reißt sie auf. Dahinter befindet sich ein Schacht, in dem eine Feuertreppe angelegt ist. Ohne viel Federlesen rennt sie hinein.
 

Ein Tränenschleier über meinen Augen, der mir die Sicht verhindert... Panisch zitternde Hände, die manisch ihren Weg am Geländer neben der Feuertreppe suchen... meine Füße, die mir nicht mehr gehorchen.... ein Rauschen in den Ohren, das alles andere ausblendet.

Ich knallte mit dem Gesicht brutal gegen die Tür, die unerwartet am Treppenende aus der Dunkelheit aufgetaucht war. Ich fühlte, wie ein Schwall warmer Flüssigkeit an meiner Schläfe hinabrann. Als die Tür sich wundersamerweise öffnete und die kühle Nachtluft mir entgegenschlug, wurde ich fast ohnmächtig. Doch meine Finger krallten sich am Türrahmen fest, ließen es nicht zu, dass ich umfiel und Zeit verlor. Einen Augenblick stand ich schwankend da, dann rannte ich los. Es war eine stockfinstere Gasse, in der ich mich befand. Ich warf im Vorbeihasten einige Mülltonnen um, die laut scheppernd zu Boden krachten.

Wie von Sinnen preschte ich davon, den Krach hinter mir dröhnend in den Ohren.

Als ich an der Einmündung zur Straße angelangte, musste ich innehalten, da ich das Schluchzen, das meinen Körper mit Gewalt erzittern ließ, nicht mehr unterdrücken konnte. Ich rang nach Atem. In diesem Teil von Tokio war ich noch niemals gewesen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich war. Edel gekleidete Herrschaften stiegen aus langen, chromblitzenden Nobelkarossen und vor einigen bunt erstrahlenden Gebäude-Eingängen tummelten sich dutzende von Menschen. Gehetzt warf ich einen Blick über die Schulter zurück und erschauerte. Von irgendwo dort erklang ein Geräusch von Schritten. Ich sah nur noch die Fußspitze aus dem Türrahmen kommen, da folgte mein Körper schon seinem Instinkt. Ich rannte um mein Leben, hinein in eine äußerst belebte Straße.

Links und rechts rempelte ich Menschen an, Einige drehten sich nach mir um; das zählte alles nicht mehr. Die Absatzschuhe, die ich an irgend einem Zeitpunkt des Abends mal getragen hatte, lagen bereits vergessen am Straßenrand und meine zerschundenen Füße schrien vor Schmerz.

Als ich versuchte, mich nach dem Verfolger umzusehen, krachte ich gegen einen Mann. Es warf ihn brutal rücklings von den Füßen. Ich rannte kopflos weiter, ohne auch nur einen Moment zu zögern und bekam vage mit, wie sich dadurch einiger Tumult bildete. Hinter der nächsten Ecke drückte ich mich an die Wand und rang nach Luft. Mir folgte niemand.

Ich schlüpfte in die nächstbeste Gasse und sackte zwischen zwei Mülltonnen zusammen.

Die Welt war aus den Fugen geraten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Alles drehte sich. Eine gewaltige Angst schlug sich Bahn in meinem Kopf und es war keine Angst um mein Leben.

Wie konnte er mir das antun? Nach allem was zwischen uns gewesen war, nachdem ich zwischenzeitlich sogar geglaubt hatte, dass er mich hasste! Und dann dieser Kuss.

Ich wurde mir plötzlich gewahr, dass ich weinte, dass es in meiner Vorstellung ein Loch gab ohne ihn und dass ich noch niemals so geweint hatte. Die Welt war ein dunkler, kalter Ort. Ich war allein. Ich wollte aufwachen, wollte zu ihm. Ich sehnte mich danach, dass er mich in den Arm nahm,wo ich vor aller Bosheit und allen Kugeln dieser Welt geschützt sein würde. Ich krallte die Finger in die Arme bis sie weiß wurden. Was, wenn er verletzt wurde? Was, wenn sie ihn umbrachten?

Ein kalter Wind fuhr durch die Straßen und brachte die ersten Nieseltropfen mit sich. Neben mir raschelte etwas. Angespannt blickte ich zur Seite und erkannte, dass der Wind die Seiten einer Zeitung durcheinander wehte. Etwas daran erregte meine Aufmerksamkeit und ich griff danach. Es war ein Artikel über Dark Moon darin. Tsuruga-sans Gesicht blickte mich ernst vom Titelblatt an. Es versetzte mir einen Stich. Eine Träne tropfte auf die Buchstaben des Artikels und ließ das graue Papier aufquellen, während mir immer nur ein Wort durch den Kopf geisterte: Warum?

Und dann erstarrte ich: Was tat ich hier? Tsuruga-san hatte sein Leben eingesetzt, um mich zu retten! Warum saß ich dann hier und heulte? Noch war alle Hoffnung nicht verloren! Noch konnte ich etwas tun! Ich konnte Hilfe holen!

Mit einem jähen Ruck erhob ich mich und spähte zwischen den Abfallbehältern hervor. Ich fühlte mich klarer, zielgerichteter. Ich musste die Polizei benachrichtigen! Vorsichtig mischte ich mich in eine Menge schwatzender älterer Frauen, die viel zu beschwipst schienen, um sich über mich zu wundern. Wenn ich die nächste Telefonzelle unbeschadet erreichte, konnte ich es schaffen!

Unbekannte Straßenschilder, anonyme Passanten, ein Ort, an dem ich noch niemals war.

Ein Karussell aus Geräuschen, Bewegungen und Farben... aber kein Telefon. Vielleicht sollte ich es woanders versuchen. Ich löste mich aus der Gruppe und nahm eine Abzweigung, die auf eine große Verkehrsader zulief. Ich wagte nicht, zu rennen, da ich sonst womöglich zu auffällig gewesen wäre.

Auf einmal bemerkte ich etwas aus dem Augenwinkel. Ein Mann in schwarzem Anzug ging einige Meter hinter mir. Er passte sich meinem Tempo verdächtig an. Mein Herz setzte aus. Ich beschloss, einen Test zu machen und bog bei der nächsten Möglichkeit ab, begann schneller zu laufen. Als ich mich umdrehte, erkannte ich, dass er ebenfalls abbog. Das war kein Zufall! Der folgte mir! Wie vom Blitz getroffen, rannte ich los, so schnell ich konnte.

Um die nächste Ecke, in die belebte Straße, zwischen Autos hindurch. Ich wagte einen Blick zurück. Ich konnte ihn nirgendwo ausmachen. Mein Herz raste. Das war die einzige Chance! Wenn ich jetzt kein Telefon fand, dann war es zu spät!

„Entschuldigen Sie, wo kann man hier telefonieren?“, fragte ich gehetzt den nächstbesten Passanten. Der blickte mich kurz an, deutete mit dem Daumen in eine Richtung und brummte „Drei Minuten in die Richtung.“ Ohne ein weiteres Wort stob ich in die genannte Richtung davon. Nach einigen Minuten erkannte ich eine schäbige Telefonzelle und mein Herz tat vor Freude einen Satz. Ich polterte hinein und gab fahrig die Ziffern ein, die mich mit dem Notrufzentrum verbanden. Es klingelte kaum einmal, als sich schon jemand meldete.

„Hallo! Mogami mein Name! Es handelt sich um einen Notfall, ich und mein... Partner Tsuruga schweben in höchster Gefahr, bitte helfen Sie...“ Jemand tippte mir auf die Schulter. Ich gefror zu Eis. Noch bevor ich mich umgedreht und das Gesicht der Person gesehen hatte, traf mich etwas Hartes am Kopf und der Anblick der Welt versank im Schwarzen.
 

Ich hörte vage Stimmen und Geräusche. Langsam öffnete ich die Augen. Mein Kopf dröhnte vor Schmerz. Alles wackelte merkwürdig und ich bewegte mich fort, ohne selbst eine Gliedmaße zu rühren. Nach einigen Sekunden erkannte ich, dass ich über der Schulter eines Mannes lag und getragen wurde. Jemand sprach.

„Hey, sie ist wieder wach.“

Daraufhin wurde ich auf die eigenen Füße gestellt und schwankte einen Moment. Die Erinnerungen kehrten allmählich zurück und mit ihnen ein lähmendes Gefühl der Enttäuschung. Ich hatte versagt. Jetzt war alles aus.

Ich fühlte einen unsanften Stoß im Rücken: „Beweg dich.“

Zitternd stolperte ich mit. Wo brachte er mich hin? Was würde jetzt mit mir geschehen?

Meine Gedanken waren vor Angst wie gelähmt.

Schließlich stoppten wir vor einer Tür. Einer eleganten, schwarzen Tür, dir mir schrecklich bekannt vorkam. Das letzte mal, als ich hier stand, hatte man mir eine Augenbinde abgenommen und das gleißende Tageslicht, das durchs Fenster geströmt war, hatte mich geblendet. Der Mann schloss die Tür auf und stieß mich hinein. Ein übles Déjà-Vue.

Noch lange nachdem das Geräusch des Schlüssels verklungen war, stand ich still.

Ich hielt die Augen geschlossen. Ich wollte dieses Zimmer nicht sehen.

Dann hörte ich ein Geräusch. Als ich die Augen öffnete, sah ich ihn. Mein Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dies könnte nur eine Sinnestäuschung sein.

Tsuruga-san saß mit tief gebeugtem Rücken auf dem Bett. Er hatte die Finger ineinander verschränkt und stützte sein Kinn darauf. Seine Gesicht wies mehrere blaue Flecken und eine ziemlich üble Beule an der Stirn auf. Er starrte abwesend auf den Boden. Nach einer Weile hob er geflissentlich den Kopf und sah mich an. Seine Augen weiteten sich, als er erkannte, wen er vor sich hatte. Er machte den Mund auf -als ob er etwas sagen wollte- und klappte ihn sogleich wieder zu.
 

Mogami-san. Da stand sie. Sie starrte mich an.

Über meinem Kopf brach eine Welle aus Emotionen. Doch es waren so viele unterschiedliche, dass ich unfähig war, in Worten zu beschreiben, wie es sich anfühlte.

Ärger, dass mein Plan nicht gelungen war.

Erschütterung, weil sie so mitgenommen aussah.

Freude, dass ich sie wiedersah.

Ich hätte so viele Dinge tun können. Aufstehen, sie in die Arme nehmen, durchdrehen.

Doch ich blieb einfach sitzen und sagte nichts.

Genauso wie Mogami-san.

Wir blickten einander einfach an.

Ich konnte den Ausdruck ihrer Augen nicht entziffern. Trotzdem spiegelte ihre Miene so viele ungesagte Worte wieder.

Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen.

„Tsuruga-san...“

So überraschend, dass ich nicht bemerkte, wie mir geschah, spurtete sie los und warf sich mir in die Arme. Ich fiel rücklings auf das Bett.

„Tsuruga-san...!!! Ich hatte solche Angst um Sie!! Sie sagten- und ich rannte und plötzlich ging alles so schnell- und ich konnte nichts tun, ich hab versucht, die Polizei anzurufen, aber dann kam dieser Mann und-“

Ihre Stimme brach und sie drückte das Gesicht gegen mein Hemd.

Ich hatte mich endlich wieder gefasst.

„Kyoko-chan? Magst du mich nicht ansehen?“

Sie sah mich an, kniff die Augen zusammen und boxte mir mit aller Kraft gegen die Brust.

„Ich hasse Sie!! Wie konnten Sie bloß auf solch eine Idee kommen? Wie hätte ich weiterleben sollen, wenn Ihnen etwas geschehen wäre??“

Eine Träne bahnte sich den Weg an ihrer Wange hinab und tropfte auf meine Hand.

„Tun Sie das niemals wieder! Niemals!“

Ich schloss meine Arme um sie und drückte sie an mich, vergrub das Gesicht an ihrem Hals.

„Es tut mir Leid“, flüsterte ich ihr ins Haar, „Es tut mir Leid..“

Eine Weile verharrten wir so. Keiner sprach ein Wort.

Dann löste sie sich abrupt aus der Umarmung und sah mich an.

Ein seltsamer Blick; vorwerfend... mit Schmollmund?

„Eh? Wa-“

„Sie!“

...

„Ich?“

„Ja Sie, Tsuruga-san! Sie haben mich geküsst!“

Eine Sekunde brauchte ich, um zu begreifen. Dann fühlte ich plötzlich meinen Magen in die Kniekehlen hinabsinken. Ah. Stimmte ja, ich hatte sie geküsst. Was für eine merkwürdige Reaktion von einem Mädchen. Ich verstand irgendwo nicht. Sie selbst sagte doch solche Dinge zu mir wie 'Ich hätte nicht ohne sie weiterleben können.' Was regte sie sich denn so auf? Ein kleiner Kuss konnte doch nicht schaden...

„Ja und?“

„Was heißt hier 'Ja und?' Versuchen Sie nicht, mich reinzulegen!“

„Weshalb sollte ich dich in so einer Situation reinlegen? Was war an dem Kuss so schlimm? Hat es dir denn nicht gefallen?“

Sie schloss den Mund und lief so knallrot an, dass ich vor Freude innerlich bebte.

„I-Ich- S-Sie können trotzdem nicht einfach...“, mümmelte sie vor sich hin.

„Möchtest du, dass ich dich noch einmal küsse?“

Das war offensichtlich zu viel. Sie sprang so ruckartig auf, dass sie mir dabei ihren Kopf herb gegen das Kinn rammte und spurtete auf die andere Seite des Bettes.

„Tsuruga-san! Sie sind wohl nicht bei Sinnen!!“

Die Arme weit ausgestreckt, als wollte sie sagen 'Komm mir bloß nicht zu nahe!', beobachtete sie mich mit glühenden Wangen und weit aufgerissenen Augen von der gegenüberliegenden Seite des Bettes.

Ich seufzte.

„Ich nehme an, ich muss mich sowieso noch bei dir entschuldigen. Das, was ich in diesem Moment zu dir gesagt habe-“

„Tsuruga-san!“

„Ja?“

„Ich weiß, warum Sie es gesagt haben. Sie müssen sich dafür nicht entschuldigen. Ich habe schon verstanden.“

Sie ließ die Arme sinken und blickte mir ernst und traurig in die Augen.

Das hörte sich wahrlich ganz und gar nicht danach an, als verstünde sie, worum es mir gegangen war. Ich besann mich kurz, wählte neue Worte.

„Ich glaube, du hast mich nicht ganz verstanden. Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich dich angelogen habe.“

„Angelogen? Ich verstehe nicht!?“

„Naja, würdest du es nicht als schändliche Lüge bezeichnen, eine so schöne Frau 'hässliches Mauerblümchen' zu nennen?

Schweigen. Sie starrte mich mit offenem Mund an.

„Jetzt sieh mich doch nicht so an! Ich weiß, dass es gemein von mir war, aber ich habe mich gerade dafür entschuldigt, oder?“

Sie sagte immer noch nichts. Immerhin schloss sie nun langsam den Mund.

Ich lachte.

„Also schön, vielleicht möchtest du ja als Wiedergutmachung ein Kompliment hören? -...“

Ich stockte. Welche der tausend Dinge sollte ich ihr sagen? Was ging zu weit?

Sie zeigte immernoch keine Reaktion, sondern starrte mich mit großen Augen an, ängstlich, ungläubig, erwartungsvoll. Schließlich begann ich zu sprechen und meine Stimme barg einen merkwürdig rauen Unterton:

„... Manchmal könnte ich dich vierteilen. Du kannst unglaublich stur sein... Aber deine Augen... sie zeigen mir, was du niemandem sagst. Nicht nur, dass sie strahlen wie das Sonnenlicht selbst, sie gleichen einem Fenster, durch das all deine Schönheit und Klugheit mit aller Macht nach außen dringt. Du weißt es nicht, doch durch deine Augen schaut mich eine Weisheit und eine Stärke an... dass ich manchmal vor Faszination in dem stocke, was ich gerade tue und mich dabei ertappe, wie ich in eine Welt davontreibe, in der diese Augen nur in Meine blicken und mir sagen, was hinter ihnen vorgeht.“

Ich senkte für einen Moment die Lider und wünschte mir, ich wäre tatsächlich in einem dieser Filme, die ich bereits hunderte male in meinem Leben gedreht hatte. Ich wünschte mir, dass dies eine dieser Szenen wäre, in der, nachdem der Mann ein leidenschaftliches Liebesgeständnis offenbart hatte, der Frau Tränen in die Augen stiegen und sie ihm voller Erleichterung in die Arme fiel. Ich wünschte, dass dies der Moment wäre, in dem alle Spannungen und Unsicherheiten in die Atmosphäre verdampften und ich gegenüber Mogami-san endlich offen sein konnte, sie endlich küssen und berühren konnte, soviel ich wollte...

„ ...Das meinen Sie ernst?“

„Warum sollte ich es sonst sagen?“

„Aber... aber... wie?“

„Wie was?“

„Wie kann das sein? Ich meine- ich m-!!“

„Was?“

„Ich bin doch ganz normal, keine dieser umwerfenden Schönheiten! Ein Mädchen, das gewöhnlicher nicht sein könnte! Shotaro hat gesagt-“

„Shotaro? Sho Fuwa?“

Ein kurzer Moment des Schweigens.

„... ... ...ja.“

„Er muss dir ja sehr viel bedeuten, wenn du seine Worte als Maßstab für alle Dinge nimmst, die neu für dich sind.“

'... für alle Dinge,die ich zu dir sage.', wäre wohl treffender gewesen, was den Dämon anging, der bei der Erwähnung seines Namens in meinem Kopf tobte.

Ich gab zu, es hatte mich getroffen. Endlich... endlich hatte ich es geschafft, das zu sagen, was ich wirklich über sie dachte und das erste, was sie tat, war, es mit den Aussagen dieses Fuwa abzugleichen. Ich fühlte, wie ich mich regelrecht verkrampfte. Was war ich für sie? Ein Kasper, der interessante Dinge von sich gab, und auch sonst ganz amüsant war? Ein merkwürdiger Sempai?

„Tsuruga-san?“

„Hm.“

„Sie... Ich glaube, Sie haben Recht. Das war dumm von mir. Ich sollte mich endlich von dem Bann dieses Idioten befreien. Mir ist bewusst geworden, dass ich niemals zu dem werden kann, was ich mir wünsche, wenn ich weiterhin unter dem Schatten von vergangenem Schmerz denke.“

„...“

Sie sah mich lange an, dann lächelte sie zaghaft.

„Wie machen Sie das bloß?“

„Was denn?“

„Es ist als wären Sie der gute Gedanke, der mir dabei hilft, mich von allen bösen Geistern zu befreien...“

„Wovon sprichst du?“

„Erinnern Sie sich an meine Aufnahmeprüfungen der Oberschule, als ich ihre SB war?“

„Natürlich. Du hast gelernt, wie eine Besessene!“

„Ja und auch damals waren Sie derjenige, der mir zu verstehen gab, dass sich meine Welt um ein falsches Zentrum drehte! Ich... was täte ich nur ohne Sie? Ich kann Ihnen nicht genug danken. Auch wenn mein Herz es nicht ganz glauben kann, was Sie mir gerade über mich selbst gesagt haben, so fühle ich mich plötzlich so... und...“

„Und was?“

Sie antwortete nicht, doch ihre Körpersprache erregte mein Interesse, als sie einen kleinen Schritt in meine Richtung tat. Dies schien den Raum auf mysteriöse Weise mit geheimen Strömungen zu füllen, die mich in ihre Richtung trugen und bevor ich mich versah, lagen meine Arme auf ihren Schultern und drückten sie an mich.
 

Ich zögerte. Wie kam es, dass es plötzlich so normal erschien, von ihm umarmt zu werden? Was war plötzlich los, dass ich wünschte, er würde sich noch einmal zu meinem Gesicht herunterbeugen, dass ich wünschte, unser Atem würde sich noch einmal miteinander vermischen und seine Hand führe mir noch einmal durch das Haar?

Wollte ich ihn tatsächlich noch einmal küssen?

Vor Verlegenheit konnte ich mich kaum rühren. War es albern von mir, über diese Dinge nachzudenken? Oder hatte ich die ganze Zeit die Augen vor etwas verschlossen, das mir durch Tsuruga-san direkt ins Gesicht blickte?

Jäh drängte sich mir ein unglaublicher Gedanke auf. Einer, der mir das Blut durch die Venen rasen ließ und jegliche Vorstellungskraft durch seine fantastische Unberechenbarkeit ausschaltete.

Nannte man das... 'Verliebt sein'?

Konnte es tatsächlich möglich sein, dass ich mich verliebt hatte? In... Tsuruga-san?

Wie hatte das geschehen können? Was hatte ich mir da eingebrockt?

Ausgerechnet in ihn! In diesen sonderbaren, verschlossenen, unglaublich anziehenden Mann!

Was hatte ich mir da eingebrockt??

Ich fühlte, wie ein Zittern meinen Körper durchfuhr. Sämtliche Geister der Abneigung, die ich gegen ihn gebildet hatte lösten sich aus meinem Blut.

Und dann geschah es.

Plötzlich war ich nicht mehr geimpft gegen seine Berührung.

Plötzlich spürte ich das sanfte Aufliegen jeden einzelnen Fingers an meinem Nacken. Seine Arme umschlossen mich! Sein und mein Körper berührten einander!

Ein heftiges Zittern stieg in mir auf. Ich hob den Kopf und sah ihn an.

Er blickte sanft auf mich herab und betrachtete mein Gesicht. Dann fuhr er langsam mit einem Finger die Kontur meiner Lippen entlang.

Ich konnte mich diesem Blick nicht entziehen...

Er ließ bewusst langsam seinen Atem meine Wange hinabstreichen und gab mir einen kurzen Kuss. Aufmerksam beobachtete er meine Reaktion. Das Blut schoss mir in die Wangen. Als er das sah, zuckten seine Mundwinkel leicht nach oben.

Dann legte er die Hand in meinen Nacken, zog mich zu sich und küsste mich leidenschaftlich. Jeder Teil meines Körpers flirrte, als ob durch meine Adern plötzlich Strom statt Blut fließen würde.

Langsam hob ich die zitternden Hände und legte sie an seinen Hals. Seine Haut war warm und mir fiel erst jetzt auf, dass meine Finger eiskalt gewesen waren.

Er lächelte leicht im Kuss und blickte mich an.

„Kyoko-chan...“

Ich konnte nicht antworten. Mir war schwindelig. Mein Herz hämmerte mit aller Macht gegen meinen Brustkorb und meine Wangen mussten wohl mittlerweile burgunderrot aussehen.

„Kyoko-chan...“, flüsterte er und küsste mich auf die Stirn.

Das Gefühl, von Tsuruga-san so in den Armen gehalten und geküsst zu werden, hatte in mir wahrscheinlich eine Sicherung durchgebrannt, denn ich war partout zu keiner Regung mehr fähig.

„Tsuruga-s...“

„Vertraust du mir?“

„Ja.“

„Würdest du zu mir halten?“

„Natürlich!“

„Kann ich dir vertrauen?“

Ich stockte. Warum fragte er mich das? Stellte er mich auf die Probe?

„Natürlich!!“

„Aber du kannst mir nicht vertrauen.“

Er trat einen kleinen Schritt von mir zurück.

„Wie meinen Sie das?“

„Ich bin nicht der, für den du mich gehalten hast. Mein Name ist nicht Tsuruga Ren.“

„Ja, das habe ich mir schon gedacht“, antwortete ich mit sanfter Stimme.

Bei diesen Worten blickte er mich verwirrt an: „Du wusstest...?“

„Kein direktes Wissen, nein. Aber ich habe es gefühlt, viele male. Außerdem nannte Dantes Sie 'Kuon', nicht wahr? Die Dinge, von denen er erzählte... damit hätte ein Tsuruga Ren niemals etwas zu tun haben können. In dieser Sache sind Sie Dantes ähnlich.“

„Warum??!“

„Weil auch er Augen besitzt, durch die Einen gelegentlich ein anderer Mensch anblickt.“

Daraufhin schwieg er. Dann legte er den Kopf an meinen Hals und atmete lange aus, seine Stimme war kaum mehr als ein zittriges Flüstern.

„Wenn du wüsstest, was ich getan habe... ich bin... ich habe...“

„Das muss ich nicht. Ich muss nicht wissen, was Sie getan haben. Denn ich vertraue Ihnen, nicht Kuon oder Ren. Namen sind Schall und Rauch. Die Konstante..., die Person, die Sie sind, und auch schon immer waren, diese Person ist es, der ich vertraue. Und deshalb weiß ich auch, dass Sie all diese Dinge nicht getan haben, von denen Dantes geredet hat.“
 

Ein kleines Mädchen sang irgendwo in der Ferne. Bienen und Hummeln summten irgendwo in den Blumen, die am Wegesrand wuchsen. Es war Sommer...

Für eine Sekunde überkam mich eine ferne Erinnerung, als hätte jemand einen Eimer warmen Wassers über meinem Kopf ausgeleert. Ich hörte laut den Sekundenzeiger irgendeiner Uhr im Zimmer ticken, als ich zu begreifen versuchte, was Sie gerade gesagt hatte. Dann sah ich auf und erblickte mein Spiegelbild in ihren Augen... Es sah erleichtert aus und... glücklich?

„Tsuruga-s...?“

Ich küsste sie ungestüm. Sie ließ es geschehen.

Wie hatte ich jemals ohne dieses Geschöpf hier in meinen Armen leben können? Wie hatte ich jemals abstreiten können, dass ich sie liebte? Es war unausweichlich!

Draußen auf dem Flur vor der Tür erklangen Schritte und ich stieß sie erschrocken von mir weg.

Dantes betrat den Raum. Seine Augen scannten jedes Detail der Szenerie, die sich ihm bot und ein unheilschwangeres Lächeln legte sich auf seine Züge.

„Störe ich? Ich habe Neuigkeiten: Es ist soweit, Kuon. Endlich ist der Augenblick der Rache gekommen.“

Geheime Nachricht

Geheime Nachricht
 

~Chapitre douze: Geheime Nachricht~
 

Hallo an alle!

Ich weiß, die meisten dachten wahrscheinlich, dass das neue Kapitel nur eine Halluzination sein kann, nach den langen Jahren, in denen nichts von mir zu hören war, aber Tatsache ist, ich habe euch mein Wort gegeben, dass ich diese Fanfic beende und das habe ich ernst gemeint. Ich gebe zu, ich hatte es aus den Augen verloren und tatsächlich vergessen, aber jetzt habe ich mich mühsam wieder reingefuchst und es wird weitere Kapitel geben. Wahrscheinlich haben die meisten die Fanfic schon wieder aus den Augen verloren, was ich mir auf die eigene Kappe schreibe. Aber vielleicht gibt es unter euch ja noch ein, zwei, die wissen wollen, wie es ausgeht!! Also viel Spaß!

Die Kirsche
 

~Summary~

Kanae und Yashiro sind vor dem Shobita-Krankenhaus auf den ausgebüchsten Shotaro gestoßen. Ihre Absicht war es, mit Momose zu sprechen, denn sie war ursprünglich auch eine der Geiseln gewesen und plötzlich unter mysteriösen Umständen in diesem Krankenhaus wiederaufgetaucht. Durch die Medien und Tatsumi (1. Generalsekretär des Hauptkomissars) wissen sie, dass Itsumi konstant vorgibt, während der Entführung ohnmächtig gewesen zu sein und sich an nichts zu erinnern. Generell scheint sie auch auffällig ungern mit Menschen sprechen zu wollen. Das alles hat in Yashiro und Kanae den Verdacht geweckt, dass sie die verbliebenen Geiseln deckt. Dies zu erzwingen bedarf eines hohen Maßes an Kontrolle seitens der Entführer, das heißt: Momose wird überwacht, möglicherweise sogar bewacht!! Mit Shotaro als Führer suchen sie zu ihr vorzudringen.

Derweil wurde Kyoko, die dank eines waghalsigen, selbstaufopferndes Ablenkungsmanövers seitens Ren fliehen konnte, wieder eingefangen. Zuvor gelang es ihr, einen kurzen Kontakt mit der Polizeinotrufzentrale herzustellen und ihren Namen zu nennen. Bei ihrer Rückkehr in die Luxushölle, in die man sie zynischerweise gesperrt hat, gibt es ein inniges Wiedersehen mit Ren, das von Dantes unterbrochen wird, der das Zimmer betritt und verkündet, dass der Augenblick der Rache gekommen sei.

~Summary Ende~
 

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es tiefste Nacht. Ein Abschnitt, der das Antlitz der Stadt verändert. Viele Plätze, die bei Tageslicht stark bevölkert werden, liegen nun wie ausgestorben da. Im Gegensatz dazu blühen die Vergnügungsviertel der Stadt wild und laut auf. Von diesem Teil Tokios schweift unser Blick jedoch vorläufig ab und richtet sich stattdessen auf das Shobita-Krankenhaus, das an einem großen Verkehrspunkt liegt, der tagsüber von zahlreichen Menschenströmen durchzogen wird. Nachts ist dort immer noch reges Treiben.
 

Kanae war froh, der Offenheit des Platzes vor dem Krankenhaus entkommen zu sein. Es war ihr unangenehm gewesen, den Blicken der Passanten ausgesetzt gewesen zu sein, während sie und Yashiro-san so unschlüssig davor herumlungerten- und das mitten in der Nacht! Dann war auch noch dieser Fuwa aufgetaucht und hatte sie durch diesen Zufahrtsweg an der hinteren Seite des Krankenhauses eingeschleust. Dort standen sie nun in dem Zimmer und blickten sich um; offensichtlich führten hier viele Wege zu den Lagerräumen.

„Kotonami-san! Was hältst du davon, wenn wir uns hier erst einmal vorsichtig umschauen? Vielleicht können wir irgendeine Verkleidung auftreiben, um den ganzen Weg bis zu ihrem Zimmer unentdeckt zu bleiben?“

„Hm. Scheint mir gar keine so dumme Idee zu sein. Jetzt, wo wir einmal hier sind...“

„Also ehrlich Leute, kann mir vielleicht mal Einer erklären, was hier eigentlich abgeht? Warum schiebt ihr solche Panik, dass sich jemand an uns stören könnte? Ich meine, was soll das Krankenhauspersonal schon groß machen?“. Sho Fuwa war einen Schritt näher getreten und beäugte sie misstrauisch: „Ich habe das Gefühl, ihr solltet vielleicht erst mal eure Seite des Deals einlösen und mich etwas aufklären!“

Yashiro blickte unsicher hinüber zu Kanae. „Das scheint mir ein unangemessener Ort dafür zu sein“, sagte er und verfiel dabei fast in einen Flüsterton.

Ihre eigenen Sinne schlugen ebenfalls Alarm. Dieser Raum war einfach zu groß und es gab zu viele Verstecke. Was sie brauchten, war eine kleine Kammer, in der sie sicher niemand belauschen konnte. Kurzentschlossen blickte sie die beiden Männer an.

„Also gut ich sehe ein, dass es möglicherweise klüger wäre, wenn wir dich erst aufklären...“, sie nickte Yashiro-san zu: „... allerdings, muss es an einem Ort geschehen, der absolut sicher von Lauschattacken ist!“

Sie spürte, wie Yashiro sie anblickte, aber nichts weiter sagte. Sho Fuwa hatte derweil die Hand ans Kinn gelegt und runzelte die Stirn. „Ein solcher Platz könnte... auch ein Auto sein, nicht wahr?“

„Durchaus!“, pflegte Kanae ihm bei.

„Gut, dann folgt mir!“

Zielsicher drehte er sich um und lief los. Sie folgten ihm zu einem großen Aufzug, der sie ein Stockwerk tiefer brachte. Dort betraten sie ein Parkdeck, an dessen Seite ein großer Van von Akatoki Agency geparkt war. Fuwa betätigte das Schloss, schob die Tür auf und winkte sie herein. Dann blickte er sich noch einmal um und schloss die Tür hinter sich.

„Also, was ist es denn so Brisantes, das ihr mir sagen wollt?“

Kanae nickte Yashiro zu und erzählte Sho Fuwa die gesamte Theorie über die Geschehnisse seit der Entführung auf der Premiere. Lediglich, dass ihre Kontaktperson Florence Tatsumi, 1. Generalsekretär des Hauptkomissars höchstpersönlich war, übersprang sie geflissentlich. Als sie geendet hatte, sah Fuwa ihr fassungslos ins Gesicht.

„Das kann nicht euer Ernst sein!“

„Warum nicht? Es würde alles erklären! Was uns fehlt, sind Beweise.“

„Deswegen wollt ihr das Mädchen... Momose fragen?“

„Genau!“

„Aber, vorausgesetzt eure Theorie sei wahr, würdet ihr sie damit nicht in Gefahr bringen? Ich meine wegen der Yakuza und so?!“

„Nicht, wenn unser Plan funktioniert!“, funkelte Kanae ihn an. Es ärgerte sie, dass dieser Idiot verkannte, dass sie möglicherweise so klug sein konnten, um dies bereits bedacht zu haben: „Ich würde allerdings eine Planänderung vorschlagen. Wir scheinen uns hier ganz in der Nähe der Lager zu befinden, also wie wäre es wenn wir uns ein wenig umsehen?“

Yashiro nickte. „Ich halte das für eine gute Idee. Wie wäre es wenn wir ausschwärmen und uns in einer Viertelstunde wieder am Auto treffen?“

„Einverstanden.“ Es verursachte kein angenehmes Gefühl in ihrem Magen als Kanae zustimmte, aber sie sah ein, dass es die effektivste Methode darstellte, wenn sie nicht zu viel Zeit vergeuden wollten. Sie holte ihr Handy hervor und schrieb eine SMS an Tatsumi, nur um sicher zu gehen:

„Sind jetzt drin. Umstände haben sich geändert. Plan muss angepasst werden. Schreib dir, wenn ich mehr weiß.“

Es erfüllte sie mit einem Gefühl der Sicherheit, dass der junge Polizist zumindest Bescheid wusste und sie ihn möglicherweise um Hilfe bitten konnten, falls etwas schief ging. Als sie durch die halbdunklen Gänge streifte und dabei gelegentlich an Türen lauschte und die Räume dahinter prüfte, beschlich sie ein Gefühl der Beklommenheit... Ob es ein Produkt ihrer aufgekratzten Phantasie war oder die Situation tatsächlich etwas Bedrohliches hatte, konnte sie nicht einschätzen; es war die Ungewissheit, die ihr zu schaffen machte. Plötzlich wünschte sie sich, einer der anderen wäre nun bei ihr. Zum Beispiel dieser Tatsumi oder... Yashiro? Bei diesem Gedanken wallte in ihr ein merkwürdig unterschwelliges Gefühl der Verwirrung auf, dass sie sich nicht zu erklären vermochte; aber es lenkte sie ab, weshalb sie sich schleunigst wieder auf ihre Umgebung konzentrierte. Sie warf einen Blick auf ihr Handy und stellte fest, dass es bereits Zeit war, zurückzukehren. Unmut überkam sie, weil sie nichts Brauchbares gefunden hatte, doch sie beschloss, dass es besser war, sich an den Zeitplan zu halten und machte sich auf den Rückweg. An dem Van fand sie Yashiro, der bereits unruhig auf die Uhr schaute.

„Gut, dass du da bist. Hast du etwas gefunden?“

„Nein, ich bin auf niemanden gestoßen und in den Räumen war auch nichts. Und Sie?

„Nun ja ich bin durch die Tür rechts gegangen. Dahinter war ein Korridor, der direkt in die Einfahrt zur Notaufnahme mündete! Da war vielleicht ein Trubel! Ich hab mich vorsichtig zurück geschlichen, konnte unterwegs aber auch nichts Nützliches finden!“

„Hm. Schade.“

Yashiro blickte auf die Uhr. „Dieser Fuwa! Jetzt ist es schon zehn Minuten über der verabredeten Zeit! Was meinst du?“

„Ich weiß nicht. Lassen Sie uns noch ein wenig warten, und wenn er nicht kommt... ha verdammt, dann hab ich von Anfang an gesagt, dass er ein Klotz am Bein wäre!“

„Hast du das? Naja, wir werden sehen...“

Kanae wurde vom Piepen ihres Handys unterbrochen. Sie las die eingetroffene Nachricht:

„Komme sobald ich kann. Ist was Wichtiges passiert. Erzähle ich später! Tut nichts Unüberlegtes! Seid vorsichtig! Flo“

Sie lachte. Flo? Was war das denn für ein dämliches Kürzel? Nannten sich Europäer so? Yashiro blickte sie von der Seite an.

„Was ist denn?“

„Tatsumi hat geschrieben, dass etwas Wichtiges passiert ist! Er wird es uns später erzählen!“

Yashiro fragte sich, was daran so lustig sein sollte. Es verwirrte und verärgerte ihn leicht, wenn er zusah, wie die Jungschauspielerin und der schneidige Polizist miteinander umgingen. Er fragte sich ob es das bedeutete, was er die ganze Zeit schon dumpf in einer Ecke seines Kopfes befürchtet hatte, oder ob er sich das nur einbildete. Es gefiel ihm ebenfalls nicht, dass sein Verstand und sein Körper ihre Aufmerksamkeit zunehmend auf dieses Mädchen richteten, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er wollte etwas zu ihr sagen, das einen Teil dieses Gefühls zum Ausdruck brachte, doch ihm fiel nicht ein wie, und so stockte er.

„Kotonami-san, ähm...“

„Ja? Was ist denn?“

Aber was sollte er eigentlich sagen? Dass sie aufhören sollte, Umgang mit Tatsumi zu hegen? Beinahe hätte er gelacht bei diesem Gedanken. Nein, er konnte ihr keine Vorschriften machen.

„Ich habe nur gerade gedacht, dass ich froh bin, dass du mitgekommen bist. Das ist alles.“

Sie schwieg und sah ihn an.

„Na dann ist es ja gut. Ich bin auch froh, dass ich hier bin. So kann ich besser auf Sie aufpassen.“

Sie lachte frech und stupste ihn in die Seite. Er tat so als ob er erleichtert wäre.

„Da hast du in der Tat Recht. Ohne dich wäre ich ja geradezu verloren, nicht wahr?“

Ihr Lachen wurde von einem Geräusch unterbrochen. Schritte. Kanae spähte in die Dunkelheit und wich einen Schritt zurück, doch die Person entpuppte sich als Sho Fuwa. Aufgeregt kam er angestolpert und hielt etwas in seiner Hand.

„Hier! Fallt vor mir auf die Knie! Ich habe eine weiße Arzt-Kluft gefunden!“

„Wo hast du die denn her?“, fragte Kanae und begutachtete die Sachen.

„Am Ende eines Ganges war die Notaufnahme und da hab ich den stibitzt.“ Triumphierend straffte er die Schultern, während Yashiro schmunzelte und Kanae die Augen verdrehte.

„Euch ist ja wohl klar, wer den anziehen wird?“

Yashiro wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da schnappte sie sich auch schon das Bündel von Sho Fuwa und faltete es auseinander. Verheißungsvoll zog sie die Augenbrauen hoch, während die beiden Männer sie anstarrten.

„A-hem? ... würdet ihr so freundlich sein, und euch umdrehen, während ich mich umziehe?“

„Oh! Entschuldigung, natürlich!“, murmelte Yashiro und drehte ihr den Rücken zu. Fuwa tat es ihm gleich.

Während Kanae sich ihrer Hose entledigte und sie gegen die Weiße eines Arztes eintauschte, spähte Yashiro zu Fuwa hinüber. Der stand gedankenverloren und mit verschränkten Armen da und starrte in die dunklen Tiefen des Parkhauses.

„Ist in Ordnung“, kam von Kanae, und sie wandten sich um. Sie streifte gerade noch den weißen Kittel über ihr Shirt. Dann band sie sich die langen Haare zu einem Zopf und zauberte aus den Tiefen ihrer Taschen eine Brille hervor.

„Fertig!“

„Nicht schlecht“, kommentierte Fuwa.

„Er hat Recht, du passt da echt gut rein, vielleicht solltest du dich mal nach Rollen von Ärztinnen umhören?“

Sie zuckte amüsiert mit den Schultern.

„Weiß nicht, warum eigentlich nicht? Überlasst einfach alles mir, okay? Ich werde improvisieren! Das klappt schon! Fuwa, du kennst den Weg! Also los gehts!“

„Wenn schon kein -sama, dann doch wenigstens ein –san, bitte!“, murmelte Sho Fuwa, als sie sich auf den Weg in die oberen Stockwerke machten.

Yashiro warf beim Gehen einen heimlichen Blick auf Kanae. Ihr Gang und ihre Bewegungen hatten sich verändert. Sie schritt jetzt forscher, entschiedener voran und ihr Gebaren wirkte bestimmter. Er war fasziniert von dem unglaublichen Talent, das sie zu haben schien: Sie wirkte tatsächlich wie eine junge Ärztin, die in dieser Klinik arbeitete. Es war beinahe ein wenig unheimlich.

Ihr Weg führte sie in den vorderen Teil des Krankenhauses, von wo aus die Patientenzimmer in den oberen Stockwerken am schnellsten zu erreichen waren. Sie mieden es, das Foyer zu durchqueren, da sie nicht sicher sein konnten, wieviel noch am Empfang los war. Unterwegs begegneten sie vereinzelten Personen, einem Pfleger und Krankenschwestern; allerdings sprach sie niemand an, auch wenn sie den ein oder anderen neugierigen Blick einfingen. Schließlich gelangten sie im 6. Stock an und verließen vorsichtig den Aufzug.

„Dort vorne rechts in dem Korridor liegt die Tür zu ihrem Zimmer.“, raunte Fuwa und spähte aufmerksam in die Schatten der Gänge, die bereits im Dunkel lagen.

„Bleibt hier, am besten ich späh mal um die Ecke!“, flüsterte Kanae mit glühenden Augen.

„Warte!“, hauchte Yashiro energisch und ergriff ihren Arm. „Geh nicht allein! Lass uns das erst durchdenken!“

„Wir wissen doch gar nicht, ob dort tatsächlich jemand ist! Ich will nur mal nachsehen!“

Dann wandte sie sich um und schlich an die Ecke wo die beiden Korridore sich kreuzten. Behutsam legte sie den Kopf an die Wand und lugte einen Millimeter um die Ecke. Augenblicklich erstarrte ihr Körper und sie riss den Kopf ruckartig zurück. Mit schreckensgeweiteten Augen kam sie zurück.

„Dort ist tatsächlich jemand!“

„Wer?“

Entsetzt blickten die beiden Männer sie an.

„Ich weiß es nicht. Er trug einen Anzug und war mit seinem Handy beschäftigt! Aber irgendwie hatte er was Bedrohliches an sich!“

Nervös blickte sie in die Runde. Die anderen beiden sahen nicht gerade begeistert aus.

„Wie wollen wir denn an dem vorbeikommen?“, fragte Yashiro unsicher.

„Ganz einfach: Durch Ablenkung. Mit Schauspiel. Was denn sonst?“ Kanae lächelte selbstbewusst: „Ich dachte das wäre klar.“

In diesem Moment, so konnte Yashiro später schwören, klappte sogar Fuwa Sho der Mund auf und er starrte die junge Frau an. Der Manager musste unwillkürlich schmunzeln und fühlte plötzlich einsetzenden Mut.

„Na gut, aber wie genau willst du es anstellen?“

„Zwei von uns werden den Typen durch Geräusche weglocken und der Dritte wird in der Zeit diesen Blumenstrauß an ihr Bett stellen!“

„Blumenstrauß?“ echote Fuwa, „Was hat es denn nun damit auf sich?“

„Das erklären wir dir später. Es ist Teil des Plans. Wichtig ist nur, dass er auf ihrem Nachtschrank möglichst auffällig platziert wird. Allerdings ist sie auch eine beliebte Schauspielerin, was die Annahme nicht unberechtigt lässt, dass sie dort bereits einige Blumen stehen hat. In dem Falle ist es wohl ratsam, den ihr am nächsten auszutauschen!“

„Na schön. Und wie genau willst du den Typen ablenken?“, beharrte Fuwa weiter.

„Ich bin Schauspielerin. Ich brauche nur einen Partner, da würden mir schon so einige Dinge einfallen!“

Die beiden schwiegen. Yashiro betrachtete Kanae. Diese herausfordernde, draufgängerische Art von ihr... sie schien ziemlich aufgekratzt zu sein. Irgendwie... war es sexy, aber irgendwie machte es ihn auch nervös angesichts dessen, was sie vorhatten. Er beschloss sie im Auge zu behalten.

„Gut. Dann werden wir beide ihn ablenken und Fuwa-kun wird in der Zwischenzeit schnell den Blumenstrauß hineinbringen. Du bist der einzige, der schon mal dort war und weiß, wie es innen aussieht. So kannst du schneller sein!“

Fuwa zögerte einen Moment, doch dann griff er nach dem Blumenstrauß. „Es sollte ein Zeichen geben, damit ich weiß, wann es losgeht.“

„Stell dein Handy lautlos und gib mir deine Nummer. Wir klingeln dich an, bevor wir anfangen!“

„Gut. Wir gehen dahinten hin, damit er sich auf der Suche nach der Quelle des Geräusches weit genug von der Tür entfernt und sie nicht mehr im Blick hat!“

Kanae und Yashiro gingen auf Zehenspitzen zurück in Richtung Aufzug und nahmen einen anderen Korridor, der weit vom Zimmer Momose-sans entfernt war.

Yashiros Nerven flirrten. Was taten sie hier? War das nicht gefährlich? Was sollten sie nun tun? Wie sollten sie ihn anlocken? Was hatte Kotonami-san vor?

„Ich denke, hier ist es gut.“ Sie blickten sich kurz an. „Noch mal durchatmen? Dann los!“

Sie zückte ihr Handy und wählte Fuwas Nummer an, ließ es einmal läuten. „Gut, er weiß Bescheid, es kann losgehen.“

Yashiros Herzschlag beschleunigte sich vor Nervosität, als Kanae plötzlich seine Hand ergriff, losrannte und ihn ein Stück hinter sich her zerrte. Sie lachte genüsslich und gab sich keine Mühe mehr, ihre Stimme zu unterdrücken.

„Hahaha! Tomoke-kun nicht so stürmisch! Was soll ich denn von ihnen halten, wenn sie mich nachts hier auf diese Station locken? Denken sie, ich weiß nicht, dass hier um diese Uhrzeit am wenigsten los ist und die meisten Zimmer freistehen?“ Sie lachte kokett.

Er fasste sich ein Herz und sagte mit bebender Stimme: „A-aber Aiko-chan, du kennst mich doch, so etwas würde ich niemals tun!“ Er wollte sich noch ein Lachen heraus quälen, aber es blieb ihm im Hals stecken, als tatsächlich Schritte zu hören waren.

Kanae blickte alarmiert auf, stellte sich mit dem Rücken zur Wand und zog Yashiro nah an sich ran. Es sah jetzt bestimmt so aus, als wären sie ein Liebespärchen, das sich hier oben zum Stell-dich-ein getroffen hatte. Der Mann war fast um die Ecke.

Yashiro kam sich merkwürdig vor. Fast so, als würde er in der Luft hängen. Sein Blut rauschte in den Ohren. Er konzentrierte sich auf Kotonami-sans Gesicht, doch ihm fiel den Bruchteil einer Sekunde zu spät ihr kokettes Grinsen auf, und dass ihre Show noch nicht vorbei war. Sie legte ihm die Hand in den Nacken, als es bei ihm Klick machte. Als hätte er nur auf diesen Startschuss gewartet, nahm er ihr Gesicht in die Hände und küsste sie inbrünstig.

„Wer seid ihr? Was macht ihr hier?“ Eine barsche Stimme unterbrach sie.

Sie lösten sich voneinander und blickten auf. Während Kanae vortrat und sich demonstrativ am Hinterkopf kratzte, musste Yashiro diese Verlegenheit nicht erst vortäuschen. Sie hoffte mit gekreuzten Fingern, dass Fuwa seine Sache richtig machte.

„Wir... haben nur...“, haspelte sie, als ob sie verwirrt wäre, „Ich musste meinen Kontrollgang beenden und Tomoke-san hier vom... Sicherheitsdienst hat mich begleitet.“

Der Mann beäugte sie argwöhnisch. Er wollte gerade etwas Neues sagen, als aus dem Gang mit Momose-sans Zimmer ein dumpfes Rumsen zu hören war.

Kanae und Yashiro gefroren zu Eis, als der Mann herumwirbelte und wütend zurückstürmte.

Sie blickten sich an. Dann fragte Kanae scheinheilig: „Oh je! Was ist denn da nun wieder los?“ und hastete dem Mann hinterher.

„Ko- äh... Aiko-chan warte!“, rief Yashiro und tat es ihr gleich.

Als sie um die Ecke bogen, wurde alles noch schlimmer: Sho Fuwa stand in der Tür zum Zimmer von Momose-san und wirkte wie auf frischer Tat ertappt. Der Mann stürmte auf ihn zu und packte ihn unsanft am Arm.

„Hey Sie! Beruhigen Sie sich! Ich kenne den Burschen“, sagte Kotonami-san und schnellte nach vorn.

„Fuwa-kun, wie oft soll ich dir eigentlich noch erklären, dass du Momose-san nicht während ihres Krankenhausaufenthaltes belästigen sollst? Wenn du sie so gern hast, dann sag ihr das in einer Zeit, in der ihr beide fit und genesen seid!“

„Was hast du da drinnen gemacht?“, fragte der Mann ungehalten und stieß die Tür zu dem Zimmer auf. Sie konnten Itsumi Momose nun sehen. Sie lag in einem großen Bett und schlief. Sie wirkte klein und blass, hatte aber einen friedfertigen Ausdruck auf dem Gesicht.

„Ich habe ihr nur diesen Blumenstrauß ans Bett gestellt!“, sagte Sho und es gelang ihm dabei sogar einen trotzigen und verwirrten Ton in seiner Stimme zu erzeugen.

Wortlos ließ der Mann ihn los und ging zu dem Blumenstrauß. Er schnappte sich das Kärtchen und klappte es auf. Da er es für unwichtig zu befinden schien, warf er es achtlos auf ihren Nachttisch.

Kanae und Yashiro klopfte das Herz bis zum Hals.

„Sie sind der Vater des Mädchens, nehme ich an?“, fragte Kanae in einem sachlichen Ton, obwohl sie natürlich wusste, dass es nicht so war.

„Nein“, brummte der Fremde.

„Verstehe. Anderweitig verwandt. Nun, ich kann Ihnen garantieren, dass dies Konsequenzen haben wird für Fuwa-kun. Ich werde ihn jetzt allerdings zu seinem Zimmer zurückgeleiten. Es entspricht nicht der allgemein anerkannten Ordnung dieses Krankenhauses, dass sich Patienten nachts auf den Gängen herumtreiben¬. Sie können also beruhigt sein. Soetwas wird nicht mehr vorkommen. Kommst du, Fuwa-kun?“

Unsicher warf Sho Fuwa einen Blick auf den Mann, riss sich dann aber los und kam zu ihnen hinüber.

„Pass lieber auf, was du in Zukunft tust, Bürschchen! Ich werde dich im Auge behalten“, rief ihnen der Mann drohend hinterher, als sie bereits von ihm wegschritten.

Niemand sagte ein Wort, bis sich die Aufzugtüren hinter ihnen geschlossen hatten. Dann schnappten alle Drei hörbar nach Luft.

„Ich dachte schon, es wäre um mich geschehen“, sagte Sho Fuwa und tat einen großen Seufzer, „ihr hättet mal sehen sollen, wie der mich angesehen hat, als er um die Ecke gestürmt kam.“

„Das war wirklich knapp“, bestätigte Yashiro, „um ein Haar und unser Täuschungsmanöver wäre aufgeflogen. Was war eigentlich los? Woher kam dieser Lärm plötzlich?“

„Mein Bein. Seit der Verletzung gehorcht es mir noch nicht richtig und ich habe mich in einem Kabel verheddert und bin gestolpert.“

„Naja, ist ja noch mal gutgegangen.“

Im Erdgeschoss stiegen sie aus dem Personenaufzug und wollten sich gerade auf dem Weg zum hinteren Teil des Krankenhauses machen, als Kanae innehielt und Yashiro am Ärmel zupfte. „Sehen Sie mal!“, flüsterte sie und Yashiro konnte nicht umhin, den unheilschwangeren Unterton zu bemerken, als er sich umdrehte und den Blick schweifen ließ. Von ihrem Standpunkt aus konnten sie einen kleinen Teil des Foyers einsehen, doch dieser kleine Teil genügte bereits, um ihm das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Eine Gruppe von Männern, die genauso gekleidet war, wie der Typ vor Momose-sans Zimmer, wartete vor den Aufzügen um ins obere Stockwerk zu gelangen.

Auf dem schnellsten Wege flüchteten sie in den Raum, wo Sho Fuwa sie eingelassen hatte. Dort ließen sie sich hinter einer Mauer aufgestapelter Kartons zu Boden gleiten. Keiner sagte ein Wort. Die Bedrohlichkeit der Situation war ihnen noch überdeutlich bewusst.

„Du solltest das Krankenhaus verlassen. Hier ist es nicht mehr sicher für dich.“ Yashiro blickte Fuwa ernst an.

„Ich weiß. Ich habe mir auch schon etwas überlegt, wo ich für eine Weile untertauchen kann.“

„Prima. Wo ist das?“

„Bei euch.“

„NEIN!“ Kanae, die seit der Aktion im 6. Stockwerk kein Wort mehr gesprochen hatte, war empört aufgesprungen und blickte die beiden wütend an.

„Warum denn nicht? Immerhin habe ich euch doch geholfen! Außerdem will ich auch erfahren wie es jetzt weitergeht!“

„Das kannst du vergessen. Wir werden uns nicht mit dir belasten! Unsere Seite des Deals ist eingelöst! Du hast keine Ansprüche mehr! Wir kennen dich ja nicht mal!“

„Es gibt für mich aber keinen anderen Ausweg! Da du ihm ja unbedingt erzählen musstest, wer ich bin, fallen meine einzigen zwei Zufluchtsorte weg!“

„Entschuldige mal, aber dein berühmtes Gesicht mit einem fremden Namen anzusprechen, wäre noch verdächtiger gewesen! Nenn mir einen Menschen in Japan, der dich nicht kennt!“

„Ach ja? Vielleicht wäre es ihm ja gar nicht aufgefallen, wenn du ihn nicht mit der Nase drauf gestoßen hättest!“

„Er hätte es später sowieso rausgefunden! Außerdem wäre all das gar nicht nötig gewesen, wenn du deine Sache richtig gemacht hättest! Du solltest mir dankbar sein!“

„SEID STILL!“, flüsterte Yashiro energisch. „Ich glaube, da kommt jemand!“

Alle drei erstarrten und lauschten in die Stille. Es näherten sich tatsächlich Schritte.

„Ich schlage vor, wir hauen erst mal ab! Danach können wir uns immer noch einig werden!“

Ohne ein weiteres Wort duckten sie sich und schlichen im Schutz der Kartons zur Ausgangstür. Sho betete, dass sie noch offen war und betätigte den Türgriff. Mit einem leisen Knarren schwang sie auf. Die Schritte wurden schneller. Hastig schlüpften sie durch die Tür nach draußen und blickten sich hektisch um. Wohin sollten sie fliehen? Yashiro wollte gerade durch die Gasse zurück auf den Vorplatz rennen, als ihn Kanae am Arm packte und auf einen Punkt einige Meter entfernt deutete. Da stand ein schwarzes Cabriolet im Schein einer flackernden Laterne.

„Es ist Tatsumi!“, rief sie erfreut und rannte geradewegs auf das Auto zu. Hastig folgten ihr die anderen beiden.

Ohne einen weiteren Blick zurück sprang Kanae über die geschlossene Autotür hinüber auf den Beifahrersitz, während Tatsumi den Motor anließ. Yashiro und Shotaro zwängten sich auf den Rücksitz. Während Tatsumi Gas gab, fühlten alle Beteiligten das beruhigende Gefühl des sich rasch vergrößernden Abstandes zwischen sich und dem Krankenhaus.

„Das wollte ich schon immer mal machen“, sagte Kanae amüsiert und blickte zu Tatsumi.

„In ein Krankenhaus unter potentieller Yakuza-Bewachung einbrechen?“, lachte der.

„Nein, auf diese Weise in ein Cabrio einsteigen!“ Sie hielt die Nase in den Wind und atmete tief ein. „Aber im Ernst, es war für uns ein Glück, dass du ausgerechnet an den hinteren Ausgängen geparkt hattest. Woher wusstest du, dass wir von dort kommen würden?“

„Wusste ich nicht“, sagte Tatsumi, während er in den Rückspiegel blickte und die Gangschaltung betätigte, „ich konnte auf der anderen Seite des Krankenhauses nicht halten wegen der Hauptstraße. Deswegen habe ich hinten gewartet, bis du dich wieder meldest und mir mehr Informationen gibst. Dass ihr da rauskamt, war für mich schierer Zufall.“

Er wirkte in diesem Moment sehr angespannt und weniger charmant als sonst. Kleine lose Härchen, die sich aus seinem Zopf gelöst hatten, wehten wild um seinen Kopf.

„Sind Sie... ich meine bist du irgendwie verärgert?“ Kanae war auf seine Reaktionen aufmerksam geworden.

„JA VERDAMMT!! Du kannst doch nicht einfach schreiben, dass du mir weitere Informationen gibst, wenn du es dann doch nicht tust! Weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht hab? Anrufen konnte ich euch auch nicht, weil ich nicht sicher sein konnte, ob das Klingeln euch nicht verrät!“

In diesem Moment fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, was das für einen Eindruck auf ihn gemacht haben musste.

„Es tut mir leid. Ich habe es im Laufe der Ereignisse vergessen. Plötzlich geschah alles Schlag auf Schlag und ich habe nicht mehr daran gedacht. Ich hätte wissen müssen, dass du dir dann Sorgen machst.“

„Ist ja schon gut, wie es scheint ist ja noch mal alles gut gegangen“, brummte er und blickte kurz von der Straße auf, um sie anzulächeln.

„Aber es stimmt“, bestätigte Yashiro, „wir waren generell ein wenig sorglos da drin. Wenn ich jetzt im Nachhinein bedenke, was für ein unglaubliches Glück wir hatten und wie schief alles hätte gehen können, wird mir fast schlecht.“

Kanae dachte an die Horde Männer bei den Aufzügen im Foyer und stimmte Yashiro im Geiste zu. Der Gedanke daran verursachte bei ihr jetzt noch ein kaltes Schaudern.

„Also wurde Momose-san tatsächlich überwacht“, schlussfolgerte Tatsumi ernst und bog in eine kleinere Nebenstraße ab.

„In der Tat“, kam es von der Rückbank.

Alle blickten auf.

Dass Sho Fuwa auch noch im Auto saß, hatte Kanae vollkommen vergessen und in dem Moment, als sie es bemerkte, nervte es sie unwillkürlich.

Auch Tatsumi war nun auf den jungen Mann aufmerksam geworden.

„Stimmt ja, wer bist du eigentlich?“

Stille. Yashiro erhaschte einen Blick auf Kotonami-san und grinste in sich hinein, als er sah, dass sie den Kopf abwandte, um ihr Schmunzeln zu verbergen. Es war offensichtlich, dass der junge Sänger wie natürlich davon ausging, dass die ganze Welt sein Gesicht kannte. Er konnte praktisch sehen, wie der Pfeil der Unwissenheit, den Tatsumi-san abgeschossen hatte, in Fuwa-kuns Brust steckte.

„Ich bin Sho Fuwa“, antwortete dieser zähneknirschend, während Kanae leise kicherte und dafür seitens des Sängers einen bösen Blick erntete.

„So, so Fuwa-kun. Und wie kommt es, dass du in meinem Auto sitzt?“

„Weil es sein seeeehnlichster Wunsch war mit uns mitzukommen und sich an uns dranzuhängen, wie an Muttis Rockzipfel“, prustete Kanae und brach in Lachen aus.

„Mann ey, kann mal einer dieses aufgedrehte Weibsbild zum Schweigen bringen? Das nervt vielleicht.“ Sho Fuwa warf ärgerlich den Kopf zur Seite.

„Nein, was nervt ist, dass wir dich jetzt an der Backe haben!“, fauchte Kanae zurück.

„STOP. Fangt jetzt bitte nicht wieder an. Das vorhin hat mir schon gereicht!“, rief Yashiro dazwischen und verstummte dann, als er merkte, dass Tatsumi am Wegesrand neben einem Spielplatz parkte und die Scheinwerfer ausschaltete. Der Ledersitz knarzte leicht, als er sich umwandte und ernst in die Runde blickte.

„Aye Leute, wollt ihr mir nicht langsam mal erzählen, was passiert ist?“

Also erzählten sie die ganze Geschichte und ließen dabei nichts aus. Tatsumi interessierte vor allem, wie die Männer ausgesehen hatten und was für einen Eindruck sie gemacht hatten. Als sie geendet hatten, wurde er sehr nachdenklich und lehnte sich in seinem Sitz zurück.

„Also hängt jetzt alles davon ab, ob unser Plan funktioniert.“

„Genau“, bestätigte Kanae.

„Kann mir jetzt endlich mal einer erklären, was es mit diesem Blumenstrauß auf sich hat?“, fragte Sho Fuwa ungeduldig.

„Also ich bin langsam ziemlich fertig und würde gerne mal was trinken“, kam es von Kanae.

„Naja, in zweieinhalb Stunden ist es schon wieder Morgen und ich muss zur Arbeit“, sagte Tatsumi und betrachtete die Uhr.

„Wow, so spät schon. Aber Florence-kun, du musst uns noch erzählen, was Wichtiges passiert ist!“

„Ach! Stimmt! Ja wisst ihr, wir machen das gleich. Aber erst mal: Wo wollen wir jetzt hinfahren?“

„Also ich würde gerne nach Hause“, antwortete Yashiro.

„Und ich komme mit! Schließlich will ich ja auch erfahren, was geschehen ist!“, rief Kanae.

„Und ich will endlich wissen, was das für ein Scheißblumenstrauß war, also worauf warten wir noch?“

„Gut, Yashiro-san, sind Sie einverstanden, dass wir zu Ihnen fahren?“

„Natürlich. In meiner Wohnung ist Platz genug.“

Also fuhren sie zu Yashiros Wohnung. Oben angekommen gingen alle ins Wohnzimmer und ließen sich erschöpft in die weichen Sofakissen sinken.

„Möchte jemand was zu trinken? Ich könnte einen Tee machen.“

Yashiro erhob sich und ging in die Küche. Er fühlte sich merkwürdig. Irgendwo zwischen seiner Erschöpfung und seiner Müdigkeit lauerte eine Erregung, die er kontinuierlich zur Seite zu schieben versuchte. Aber es gelang ihm nicht. Als er nach der Teekanne griff, nahm er verdutzt wahr, dass seine Finger sacht zitterten. Es kam ganz klar von dem, was im Krankenhaus passiert war; dessen war er sich sicher. Sofort schweiften seine Gedanken zu jenem einen Moment, der jenseits aller Gefahr lag und etwas in ihm aufgerüttelt hatte. Ein Moment, in dem er kompromisslos all seine Hemmungen und Zweifel hatte dahinfahren lassen und in dem er der wahnsinnigen Leidenschaft eine Tür aufgestoßen hatte. Er spürte wieder das taube Kribbeln, in das dieser Kuss seinen gesamten Körper getaucht hatte. Seither fühlte er sich ständig so hingerissen und seltsam sehnsüchtig, wenn er Kotonami-san anblickte. Er tat einen tiefen Seufzer und lehnte sich an die Theke seiner Küche. Was das bedeutete, war klar. Nun war es geschehen. Es war zu spät, kein Zurück mehr. Diese Kanae Kotonami... Er ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen. Als das Wasser kochte, goss er den Tee auf und schlurfte zurück ins Wohnzimmer.

Dort hatte sich Sho Fuwa auf dem weichen Teppich breit gemacht. Tatsumi stand vor der Fensterfront zum Balkon und blickte auf die hell erleuchtete Stadt hinaus. Der Mond war hinter einigen Wolken verborgen. Kotonami-san hatte sich auf das Sofa gelegt und die Augen zu gemacht. Ihr dunkles Haar floss seidig über ihren Hals und ihre Schultern.

„So, dieser grüne Tee sollte uns wieder ein wenig wach machen. Ich habe ihn recht stark aufgebrüht.“

„Also Fuwa-kun...“, sagte Yashiro während er sich setzte, eine Tasse eingoss und sie ihm reichte, „ du willst wissen, wie wir dieses Manöver mit dem Blumenstrauß geplant haben, nicht wahr?“

„Ja, bitte. Endlich. “ Sho Fuwa nahm die Tasse vorsichtig an und hörte aufmerksam zu.

„Nun... es ist das Kärtchen.“

„Aber das hat der Typ doch gelesen!“

„Es gibt ein zweites, so in dem Blumenstrauß versteckt, dass man es nur finden kann, wenn man bereits weiß, dass es da ist.“

„Und wie soll sie das finden?“

„Durch das erste Kärtchen.“

„Verstehe ich nicht.“

„Also pass auf. Auf dem ersten, für jedermann sichtbaren Kärtchen steht ein versteckter Hinweis, durch den man die zweite Karte findet. Auf der steht dann Klartext. Wenn alles funktioniert, wird vielleicht ein Gespräch zustande kommen oder vielleicht schickt sie uns eine SMS. Wir werden sehen. Es ist jedenfalls die unauffälligste Variante, die wir uns ausdenken konnten.“

„Was meinst du mit Klartext?“

Kanae schlug die Augen auf und rezitierte: „Itsumi-chan, war es die Yakuza? Wart ihr drei im Flugzeug von Matsumoto? Wir versuchen, sie zu retten! Bitte antworte. P.S. Diese Karte wird sich innerhalb von kurzer Zeit im Wasser der Blumenvase auflösen, wenn du sie loswerden willst. Und dann stand da noch die Nummer von diesem Handy.“ Sie hielt das neue Handy hoch, das sie extra zu diesem Zweck gekauft hatten.

„Man oh man, da habt ihr euch ja was ausgedacht. Aber was ist, wenn sie eure Hinweise nicht schnallt?“

„Sie wird. Momose-san ist ein kluges Mädchen. Ich habe länger mit ihr gearbeitet. Wir sind uns sicher, dass sie es verstehen wird, sonst wären wir kein Risiko eingegangen. Das Gute an unserer Methode ist, dass sie selbst die Entscheidung fällen wird, ob sie uns hilft, denn sie kann die Gefahr um sie herum am besten einschätzen“, erklärte Yashiro.

„Genau. Alles was wir jetzt noch tun können, ist warten!“, sagte Tatsumi und ließ sich neben Kanae auf der Couch nieder. Yashiro reichte ihm eine Tasse Tee. Tatsumi stellte sie vorsichtig ab und griff dann nach seiner Tasche.

„Kanae-chan ich habe hier etwas, um das ich dich bitten muss. Aber bitte raste nicht gleich aus, okay?“

Kanae beäugte ihn misstrauisch. „Warum sollte ich denn ausrasten?“

„Nun ja, es gab da ein bisschen Streit auf dem Revier wegen dieser Aufnahme hier.“ Er holte seinen Laptop heraus und fuhr ihn herauf. „Ich habe sie mir auf den Laptop kopiert, um sie dir zu zeigen, weil ich dachte, du kennst ihre Stimme recht gut.“

„Ihre Stimme?“, flüsterte Kanae leise und sah jetzt eher ängstlich aus.

„Genau. Ich möchte, dass du mir sagst, ob es ihre Stimme sein könnte.“

Er klickte auf etwas und ließ die Aufnahme abspielen. Im Zimmer erklang eine Stimme, die durch einiges Rauschen und Hintergrundlärm hindurch ängstlich und hektisch sprach:

„Hallo! Mogami mein Name! Es handelt sich um einen Notfall, ich und mein... Partner Tsuruga schweben in höchster Gefahr, bitte helfen Sie...“

Dann hörte man ein paar undeutliche Geräusche und die Verbindung brach ab.

Die Stille im Wohnzimmer schlug ein wie ein Donnerschlag. Ein paar Sekunden lang regte sich niemand. Dann sagte Yashiro: „Das war sie. Diese Art sich am Telefon zu melden ist einmalig.“

Kanae standen Tränen in den Augen. „Sie war es wirklich“, flüsterte sie, „ganz bestimmt.“

Am geschocktesten allerdings sah Sho Fuwa aus. Er blickte entsetzt auf Tatsumi und fragte: „Wo hast du das her?“

„Vom Revier, wie gesagt. Ich war zufällig im Raum, als Watanabe sich mit ein paar Leuten darüber unterhalten hat, inwieweit die Echtheit dieses Anrufes einzuschätzen ist, also hab ich mich erboten, ein paar Nachforschungen anzustellen. Ihr seid euch also sicher, ja?“

„Auf jeden Fall!“, sagte Kanae entschlossen.

„Das ist gut, denn so haben wir unseren ersten handfesten Hinweis. Ich habe den Anruf mal zurückverfolgen lassen. Er kam aus einer Telefonzelle aus dem westlichen Vergnügungsviertel. Ich habe zwar keine Ahnung, wie es zu dem Anruf gekommen sein könnte, aber wenn ihr es mir so versichert, dass sie es ist, schicke ich lieber gleich noch mal ein paar Leute los. Es sind zwar sicherheitsweise schon ein paar hingefahren, um die Sache zu überprüfen, aber ein paar mehr können nicht schaden. Yashiro-san stört es sie, wenn ich mal eben auf ihrem Balkon telefoniere?“

„Natürlich nicht. Nur zu.“

Bei diesen Worten schob Tatsumi die Balkontür auf und ging hinaus um zu telefonieren. Alle blickten ihm nach und es herrschte Stille. Die Aufnahme der Stimme von Kyoko hallte wie ein Phantom nach in Kanaes Kopf. Sie fühlte sich von einem Gefühl überwältigt, dass sie mit Kraft erfüllte und ihr eine Zuversicht gab, von der sie nicht zu träumen gewagt hatte. Es gab einen Ort in dieser wilden, weiten Stadt, an dem Kyoko war. Und Kanae hatte ihre Stimme gehört. Es war der Beweis. Es drängte sie, an diesen Ort zu fahren und überall nach ihr zu suchen und dabei jedem eine Tracht Prügel zu verpassen, der es wagte, sich ihr in den Weg zu stellen. Sie blickte auf die Silhouette der Stadt, durch die einst regelmäßig der Ruf „Miss Mennooooo!“ erschallt war. Sie würde dafür sorgen, dass dies wieder geschah. Sie entspannte sich ein wenig und blickte auf, als Tatsumi eintrat. Als sie sprach, war ihre Stimme ganz ruhig.

„Florence-kun, geben Sie mir die Adresse des Telefons, von dem der Anruf kam.“

Sie erhob sich. Alle Müdigkeit war wie weggeblasen.

Yashiro blickte alarmiert zu Tatsumi. Der fing seinen Blick auf und wandte den Kopf dann langsam Kanae zu.

„Jetzt?“

„Natürlich.“

„Ehrlich gesagt finde ich, du überstürzt es ein wenig. Ich für meinen Teil...“, er streckte sich demonstrativ, „... könnte jetzt erst mal eine Dusche und ein Nickerchen vertragen. Wenn wir morgen alles geben wollen, müssen wir heute unsere Kräfte schonen!“

„Ja, Tatsumi-san, das ist eine wirklich gute Idee“, rief Yashiro, der aufgesprungen war und sich hastig neben Tatsumi stellte, „Ich werde auch eine Dusche nehmen. Aber Sie können gern den Vortritt haben, wenn Sie möchten!“

„Danke das ist sehr freundlich.“

Kanae sah die beiden nachdenklich an. „Ich sehe ein, dass ihr Recht habt. Aber morgen will ich dorthin!“

„Du kannst uns doch nicht einfach sagen, dass du weißt, wo Kyoko möglicherweise ist und dann erwarten, dass wir nicht dorthin wollen!“, sagte Sho Fuwa ruhig.

„Wir werden dann morgen weitersehen“, beschwichtigte Tatsumi die beiden, während er und Yashiro eilig auf das Bad zusteuerten und dann die Tür hinter sich schlossen.

„Puh, das war knapp“, seufzte Tatsumi.

„In der Tat“, bestätigte Yashiro.

„Diese Kanae-chan ist aber auch einfach zu...“ Er rang nach Worten.

„... impulsiv und starrköpfig?“, schlug Yashiro mit einem leisen Lächeln vor.

„Genau“, bestätigte Tatsumi und lächelte Yashiro mit einer merkwürdig erwachten Aufmerksamkeit an.

Sie musterten sich gegenseitig still.

Eine Spannung lag plötzlich in der Luft und die Atmosphäre kühlte merklich ab.

„Ich hole Ihnen ein Handtuch. Sagen Sie Bescheid, wenn sie fertig sind“, beschied Yashiro und verließ das Zimmer.

Kanae wollte eigentlich nicht schlafen, doch nun, als die Gespräche verstummt waren, fielen ihr doch die Augen zu. Nach alldem, was an diesem Tag geschehen war, fühlte sie sogar ein wenig Dankbarkeit dafür, dem fegenden Tornado aus Gedanken kurz zu entfliehen...

Yashiro sah, dass Kanae eingeschlafen war und blieb stehen. Ein kurzer Blick auf Sho Fuwa bestätigte, dass der Sänger ebenfalls weggenickt war. Yashiro fühlte sich kein bisschen müde. Er war eher aufgewühlt wegen allem. Er setzte sich in einen Sessel und wartete, dass Tatsumi aus dem Bad kam. Es war nun also offensichtlich: Tatsumi hatte ein Interesse an Kotonami-san und er hatte auch erkannt, dass Yashiro selbst von demselben Wunsch erfüllt war. Das würde eine Zusammenarbeit nicht gerade erleichtern. Er seufzte erneut. Was für ein Chaos... !

Als er eine Weile später die Tür klicken hörte, erhob er sich und erblickte Tatsumi, der, nur mit einem Handtuch um die Hüfte gelegt, aus der Tür kam.

„Sagen Sie, in welchem Zimmer kann ich mich umziehen?“

„Das Zimmer am Ende des Korridors müsste geeignet sein.“

„Vielen Dank“

Während Tatsumi sich entfernte, schloss Yashiro die Badezimmertür hinter sich und entkleidete sich. Eine Dusche würde in der Tat genau das Richtige sein. Als er das warme Wasser über seinen Kopf rinnen ließ, wünschte er sich fast, die Dusche nie wieder verlassen zu müssen.

Just in diesem Moment ertönte ein gellender Schrei. Kotonami-san! Ein zweiter Schrei ertönte. Fuwa-kun! Er sprang aus der Dusche und schnappte sich ein Handtuch, das er sich um die Hüften schlang. Damit stürzte er aus dem Badezimmer. Er stolperte zeitgleich mit Tatsumi, der ebenfalls noch sein Handtuch trug, in das Wohnzimmer.

„Was ist passiert?“

Kotonami-san und Fuwa-kun saßen aufrecht da und funkelten sich an.

„Ich war eingenickt. Plötzlich hat sein Handy in ungeahnter Lautstärke geklingelt, sodass ich schreiend aufgewacht bin!“, sagte Kanae mit ungnädigem Blick.

„Und warum hast du geschrien, Fuwa-kun?“, fragte Yashiro halb amüsiert, halb sauer.

„Warum wohl. Durch ihr Gekreische wurde mein Nickerchen mit nem Schock unterbrochen“, brummte dieser und schloss unwillig wieder die Augen.

„Was zur Hölle ist das denn auch für ein Klingelton? Der jagt einem ja schon bei normaler Lautstärke Angst ein!“

„Noch nie was von Rammstein gehört? Sind aus Deutschland. Super-Geheimtipp...“, murmelte Fuwa und schlief schon wieder halb.

Kanae seufzte genervt. Dann wanderte ihr Blick hinauf. In dem plötzlichen Schreck der Situation hatte sie gar nicht den Aufzug der beiden Männer registriert, die ins Zimmer gestürmt gekommen waren. Nun wurde sie erst des Anblickes gewahr, der sich ihr bot. Yashiro war nur mit einem Handtuch bekleidet und sein Haar war nass, seine Brille fehlte. Er war fast nicht wiederzuerkennen. Auf diese Weise hatte er gar etwas Aufreißerisches. Sein Körper, wenn auch nicht so muskulös wie Tatsumis, wirkte stark und fest. Tatsumis langes schwarzes Haar war offen und ebenfalls nass. Bei beiden Männern fielen kleine Wassertropfen von den Haarspitzen auf die nackte Haut und perlten die Brust hinab. Ungewollt saugte sich ihr Blick an der Szenerie fest und mit einer Spur Verlegenheit wandte sie sich ab, als Tatsumi lachte und sagte:

„Also Leute, echt, manchmal fühlt man sich bei euch wie im Irrenhaus! Aber wie ich sehe, hat wenigstens Kanae-chan ihren Spaß gehabt! Warum denn so rot, Lady?“

„Halt die Klappe und scher dich gefälligst hier raus!“, fauchte Kanae, warf ein Kissen nach Tatsumi und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu, während Tatsumi sich vor Lachen bog und Yashiro sich ebenfalls ein Lächeln nicht verkneifen konnte.

Als die beiden Männer schließlich den Raum verlassen hatten, schloss Kanae mit leicht erhöhtem Herzschlag und geröteten Wangen wieder die Augen. Es konnte kein Zufall sein, dass ausgerechnet diese zwei Typen in einem Moment der Überraschung halbnackt vor ihr auftauchten. Nein!! Viel eher musste es so sein, dass die Götter des Schicksals Gefallen an Ironie gefunden hatten. Pah! Sie rümpfte mit geschlossenen Augen die Nase, während der Schlaf sie wieder einlullte und ihre Wangen weiterhin glühten wie Kohlen. Götter des Schicksals... ! Diese verdammten Bastarde... Aber dieser Anblick... Nach einer Weile legte sich ein verschmitztes Lächeln auf ihr Gesicht, während sie einschlief.

Nachdem Yashiro seine Dusche beendet hatte, trat er ins Wohnzimmer. Die anderen waren bereits ins Land der Träume weggedriftet. Tatsumi war in dem großen Sessel eingeschlafen. Er breitete über jedem eine Decke aus und beschloss, sich ebenfalls ein wenig hinzulegen.
 

Die Nacht beginnt bereits, an Dunkelheit zu verlieren. Bald wird sie dem neuen Tag zur Gänze Platz machen müssen, während die Menschen in Yashiros Wohnung sich ein paar Stunden Pause gönnen. Sie sind guter Hoffnung, dass der nächste Tag sie näher an des Rätsels Lösung bringen wird. Sie sind von neuer Zuversicht erfasst. Sie ahnen nicht, dass sich etwas zusammenbraut, dass der nächste Tag bereits zu dieser Stunde etwas Unheilvolles birgt, dass Dinge bereits im Gang sind. Sie ahnen nicht, dass der anbrechende Tag im Begriff ist, Japan vollkommen aus der Reserve zu locken.

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Nun gut, da wären wir. Beim nächsten Mal gibt es auch wieder Neues von Ren x Kyoko, aber erst mal mussten die Ermittlungen weitergehen. Im nächsten Kapitel wird es eine Überraschung geben. Was wird bloß die gefürchtete Rache des Dantes sein? Ihr müsst euch noch ein wenig gedulden, aber so viel steht fest: Es wird schockierend für die armen Japaner >:)

P.S. Falls jemand Bock hat, für mich Beta-Reader zu spielen, wäre ich sehr erfreut! Schreibt mir ne ENS, wenn ihr Lust habt!

P.P.S. Ist Kanae nicht ein echtes Teufelsweib? Ich hab sie mit Absicht so porträtiert, dass sie bei Gefahr diesen verführerischen, draufgängerischen Zug bekommt. Ich halte sie für ziemlich tough:)

P.P.P.S. Ich bin weder Rammstein-Fan noch –Hasser, habe lediglich die Beobachtung gemacht, dass Menschen vieler, vieler Nationen auf Rammstein stehen. Ist es zu fassen?

P.P.P.P.S. Wundert euch nicht wegen den verwirrenden Prozentangaben zum Fortschritt der Geschichte. Ich habs irgendwie vergeigt... Die Angaben sind vollkommen wirr. Um ehrlich zu sein, hab ich keine Ahnung, wie lang die Fanfic noch wird, bis ich am Ende angelangt sein werde. Ichb mach das so aus dem Gefühl... Nicht schlimm, oder?

Die Zerstörung des Ren Tsuruga

Die Zerstörung des Ren Tsuruga
 

~Chapitre treize: Die Zerstörung des Ren Tsuruga~
 

Es war bereits spät und die Frau erhob sich, um sich um die letzten Gäste zu kümmern. Zwei ältere Herren, die in ein Go-Spiel vertieft waren und ein einzelner Angestellter, der noch ein paar Bierchen kippte. Sie seufzte und griff nach dem Tablett. Die Arbeit fiel ihr seit einigen Tagen schwer… genau genommen seit dem Tag an dem sie erfahren hatte, dass ihre Kyoko-chan entführt worden war. Mit ihrem Mann war es noch schlimmer bestellt. Er hatte seitdem kaum ein Wort gesprochen und eine noch bärbeißigere Miene als sonst aufgesetzt. Natürlich hatten sie sich Sorgen gemacht, als Kyoko-chan in der Nacht der Premiere nicht aufgekreuzt war. Aber sie hatten angenommen, dass sie bei jemand anderem übernachtet hätte, wie es junge Leute eben taten, nur um dann am nächsten Morgen mit einem verlegenen Lächeln und einer Entschuldigung wieder aufzutauchen und alles zu erklären. Nichts dergleichen war geschehen. Stattdessen hatten sie es erfahren, als einer ihrer Stammgäste vollkommen aufgelöst in das Daruma-ya gestürzt gekommen war und ihnen die morgendlichen Schlagzeilen unter die Nase gehalten hatte. Erst hatten sie es nicht fassen können. Doch als ihnen langsam dämmerte, dass dies wirklich war, hatten sie kurzum alles stehen und liegen gelassen, hatten das Lokal dicht gemacht und waren auf dem schnellsten Wege zur Polizei gehastet. Dort hatte man ihnen zwar die Umstände erklärt, und versprochen, bei Neuigkeiten sofort anzurufen, doch wirklich beruhigend war das auch nicht gewesen. Mit einem seltsam leeren Gefühl waren sie schließlich zurückgekehrt und hatten sich wieder an die Arbeit gemacht. Das Telefon hatte still gestanden, die Nachrichten hatten unaufhörlich geplärrt, die Gäste hatten teilweise nach Kyoko-chan gefragt, doch trotzdem war der Raum wie immer zu fortschreitender Stunde mit Gelächter gefüllt gewesen. Mit dem Unterschied aber, dass sich nun alles leer anfühlte. Sie füllte die Sake-Gläser der alten Männer und räumte die Bier-Gläser des Angestellten ab, dann ging sie in die Küche und sah nach ihrem Mann. Der schuftete seit Tagesanbeginn mit verbissener Intensität. Gerade unterzog er die Speisekammer einer gründlichen Reinigung und Neuordnung. Sie seufzte und stellte das Tablett mit den Gläsern auf dem Tisch ab.

„Nun wenigstens ein Gutes hat es, dass du hier schuftest, wie ein Wahnsinniger: Wenn Kyoko-chan zurückkommt, wird sie sich freuen, dass wieder mal alles auf Vordermann gebracht wurde.“

Ihr Mann antwortet nicht und widmet sich nur weiterhin stumm seiner Tätigkeit. Sie dreht sich wortlos um und geht hinaus, um dem Angestellten seine Rechnung zu bringen. Ihr Mann ballt indes den Putzlappen in seiner Hand mit aller Kraft zusammen und schließt einen Moment die Augen. Er sieht wirklich geknickt aus. Am meisten trifft diese Aussage aller Wahrscheinlichkeit jedoch auf ein junges Mädchen zu, die in einem kleinen Raum auf einem Stuhl sitzt. Wenn man vor ihr stünde könnte man nicht sicher sein, ob sie tief schläft oder nur vor sich hindöst. Hinter ihren Augenlidern scheinen ganze Welten voll rasender Bilder vorbeizuziehen…

Wieder allein. Ich fühlte ein dumpfes Pochen. Das hieß, irgendwo in diesem Körper musste es noch einen Teil geben, der ein schlagendes Herz enthielt. Mein Kopf war so schwer, ich hatte ihn auf der Tischplatte abgelegt. Das leere Zimmer mit dem Schreibtisch schien mich mit drückendem Schweigen ersticken zu wollen. Ich konnte keine Kraft mehr aufbringen um auch nur einen Finger zu krümmen. Gleichgültige Sinnlosigkeit schien an jedem Gedanken zu haften, den ich jemals gedacht hatte. Gab es noch einen Sinn? Einen Weg? Wie sollte Tsuruga-san jemals diese Welt überleben können? Und selbst wenn er überlebte, wie sollte er dann weitermachen, jetzt, da die Menschen in seinem Gesicht ein wahnsinniges Ungeheuer sahen. Nun, da dieser verdammte Dantes Tsuruga-san gezwungen hatte, solch eine Botschaft auf Video aufzunehmen? Wäre ich doch nicht gewesen, dann hätte er ihn nicht dazu zwingen können, dachte ich und Tränen bildeten sich heiß und unerwünscht im innersten Winkel meiner Augen. Wäre ich doch nicht gewesen… Ich konnte es nicht verhindern, dass in meinem Kopf die jüngsten Geschehnisse abliefen wie ein Film in einer Endlosschleife.

Wieder und wieder begann es bei dem Moment in dem dieser menschliche Dämon, dieses verhasste Wesen Dantes mit einem grausamen Lächeln abwechselnd in Tsuruga-sans und mein Gesicht blickte und verkündete: „Es ist soweit, Kuon. Endlich ist der Augenblick der Rache gekommen.“ Ich konnte sehen, wie er bei dem Gedanken an das Kommende frohlockte und empfand siedenden Ekel dabei. Er erhob den Lauf seiner Waffe und deutete damit auf mich.

„Du! Komm her!“

Ich wechselte einen Blick mit Tsuruga-san und versuchte ein Lächeln aufzusetzen, das gleichzeitig beschwichtigend und selbstbewusst wirken sollte. Ob es mir überzeugend gelang, war eine andere Frage. Für ihn war die Botschaft klar: Bleib ruhig. Ich sah, wie er verstand, obwohl das unruhige Flackern in seinen Augen nicht verebbte.

Dantes bedeutete mir, mich mit dem Rücken vor ihn zu stellen, sodass mein Gesicht Tsuruga-san zugewandt war. Es war ohne Zweifel eines seiner grausamen Racherituale, das nun stattfinden würde, soviel war klar. Deshalb überraschte es mich nicht, als ich kurz darauf eine Hand spürte, die mir das Haar aus dem Nacken strich, während kaltes Eisen gegen meine Wange gepresst wurde. Kurz darauf fuhr ein warmer Atemhauch über meinen Hals und ein Zucken in Tsuruga-sans Gesicht verriet mir, dass er sich bereits jetzt zusammennehmen musste.

„Hm… sie riecht gut, ist es nicht so? Hmmmmmm…“

Angewidert registrierte ich, wie Dantes sein Gesicht in mein Haar drückte und dann einen gehässigen Ton anschlug: „Aber wem sage ich das? Du bist dir des Duftes dieses Mädchens sicherlich bewusst, Kuon, nicht wahr? Ja, du weißt viele Dinge über Frauen, denn die Frauenwelt stand dir schon immer mit Tür und Tor offen und soweit ich erkennen kann, hat sich daran nichts geändert. Ich muss es wissen, ich war damals dabei und dein Profil in unserer heutigen Medienlandschaft ist niemandem ein Geheimnis… nicht wahr junge Dame?“ Mit einem heftigen Ruck zerrte er meinen Kopf an den Haaren herum, sodass ich gezwungen war, ihm ins Gesicht zu sehen. Seine kalten braunen Augen durchbohrten mich mit Häme, während meine Kopfhaut wie Feuer brannte. „Verehrst du diesen Mann nicht? Bewunderst du ihn? Hat er dir eigentlich jemals erzählt, was er damals getan hat?“

Als ich nicht antwortete, schnaubte er kurz triumphierend und begann dann mit einem bittersüßem Unterton zu sprechen: „Dann ist dir wohl auch nicht klar, dass er für den Tod der Frau verantwortlich ist, die ich geliebt habe? Hat er dir nicht von Anna erzählt? Anna, die ihn geliebt hat?“

„Das reicht jetzt, Shuichi!!“

Dantes‘ Augen wanderten zu Tsuruga-san hinüber, der aufgeschrien hatte. Ich konnte sehen, wie sich seine Pupillen verengten, als er ihn musterte. Dann stieß er mich von sich. Ich landete unsanft auf dem Boden vor seinen Füßen und als ich aufsah, blickte ich direkt in die Mündung seiner Schusswaffe.

„Kuon, du Idiot. Mit deiner Reaktion hast du mir genau das gegeben, wonach ich gesucht habe. Du hast mir die Bestätigung gegeben, dass mein Plan funktioniert hat und funktionieren wird.“

„Was meinst du damit?“ Eine Gänsehaut zog sich mir den Rücken hinunter, nicht wegen der vielen Dinge die Dantes gesagt hatte, sondern weil ich in Tsuruga-sans Stimme zum ersten Mal echte Angst heraushörte.

„Ts ts, du weißt nicht was ich meine? Soll ich dir eine Lektion in Racheunternehmungen geben? Aber gern doch. Weißt du, ich habe schon als Kind Fliegen über alles gehasst. Ständig schwirren sie dir im Gesicht herum, krabbeln mit ihren kontaminierten Füßen über dein Essen oder verursachen unangenehmes Kribbeln, wenn sie auf deiner Haut landen… naja du weißt schon, warum man Fliegen eben hasst. Aber umso größer war das Vergnügen, wenn ich dann mal eine Fliege fing, denn dann rächte ich mich auf meine Weise, die ich für die einzig Wahre halte. Erst reißt man ihr die Flügel aus. Damit ist sowohl ihre beste Chance auf Flucht als auch ihre Freiheit unwiederbringbar zunichte. Dann kommen ihre Beine dran, Stück für Stück, verstehst du, sie soll ja leiden! Wenn sie dann vollkommen verstümmelt auf meiner Handfläche liegt, ein winziger, gliedmaßenloser Körper voller Schmerz, kommt der krönende Abschluss: Ich reiße ihr den Kopf ab. Dann werfe ich alles ins Klo und spüle sie hinfort. Ein Ritual, das ich jedesmal in meinem Leben vollzog, wenn mir eine Schmeißfliege zu dreist erschien… so wie du. Bei dir wird dieses Ritual zur köstlichsten Genugtuung führen, denn immerhin habe ich Jahre auf diesen Moment hingearbeitet, verstehst du?"

„Was hast du vor?“

„Nun, zuerst einmal werde ich dir deine Flügelchen ausreißen. Ohne sie wirst du nicht mehr fliegen können. Dein guter Ruf, deine vielen Fans, die Welt, die dich freundlich beschaut. Das sind deine Flügel. Ohne all das wird deine bis dahin ach so toll aufgebaute Superwelt zusammenstürzen. Dann bist du nicht mehr frei. Du wirst gebeutelt sein, so wie ich einst.“

„Und was dann? Shuichi, WAS HAST DU VOR??“, Tsuruga-san wurde jetzt lauter und schrie in einem verzweifelten Ton, der meinen ganzen Kopf auszufüllen schien. Ich fühlte meine Hilflosigkeit wie heißes Wachs auf der Haut, das zu einem starren bewegungsunfähigen Panzer erstarrt. Nach dem Schrei setzte eine Stille ein, die nur von Tsuruga-sans gelegentlichem Keuchen durchbrochen wurde. Dantes schien sie in sich einzusaugen wie ein Vakuum. Es war kein Geheimnis, dass er es genoss, zu beobachten, wie sich Tsuruga-san in seiner ungewissen Angst wand.

„Nun… du hast dann natürlich noch deine Fliegenbeinchen… aber ich bin mir sicher… dass du schon weißt… was ich damit meine… dein wohl letzter Halt zum Weitermachen…?“ Er grinste.

Tsuruga-san ächzte und fiel auf die Knie. Die Männer im Raum brachen in schallendes Gelächter aus. Ich verstand nicht und versuchte einen Blick von Tsuruga-san zu erhaschen, doch der schien vollkommen in sich gekehrt und verzweifelt. Plötzlich stand er auf und schrie voller Zorn: „Das kannst du nicht machen! Du weißt genau, dass ich Anna kein Haar hätte krümmen können! Es war ein Unfall! Ich konnte-“

„DU KONNTEST NICHTS DAFÜR? Nun es sind immer Unfälle, die sich ereignen und bei manchen kommen eben junge Frauen um… manchmal sind es Frauen, die man liebt… noch verstehst du die Bedeutung dabei nicht… noch verstehst du sie nicht…“

„Moment mal! Mir hat Anna auch etwas bedeutet! Wie konnte ich ahnen, dass sie so verzweifelt war? Es war der Teufel los damals!!“

„Tja… dieses Mal ist auch der Teufel los, wie du siehst… vielleicht hat es die Welt so an sich, dass zu solchen Zeiten junge Frauen sterben… wir werden sehen…“

Tsuruga-san und Dantes starrten sich lange und intensiv an, doch dann schien Dantes mit seiner Geduld am Ende zu sein. Er drehte der Szenerie demonstrativ den Rücken zu und schritt Richtung Ausgang. Fast zeitgleich stürmten die beiden Männer an seiner Seite los und zerrten mich an den Armen hoch. Ich wunderte mich, wie schnell man sich daran gewöhnte, dauernd von einer Pistole bedroht zu werden. Aber ich war ja auch das Werkzeug. Der arme Tsuruga-san, wenn sie mich nicht als Geisel hätten, müsste er nicht deren Spielchen mitspielen und könnte sicherlich irgendwie fliehen. Aber um ehrlich zu sein, war ich froh, dass er es tat. Überrascht stellte ich fest, dass ich doch sehr am Leben hing. Wo führte uns dieser Weg nur hin? War ich egoistisch? Alles was ich wollte, war doch wieder frei sein, mich diesen neuartigen, überschäumenden Gefühlen widmen zu können und zu erfahren, wie sich die weite Welt anfühlte, wenn ich sie an der Seite von Tsuruga-san durchwanderte. Es war nicht abwegig, ich glaubte das wirklich. Und ich tat gut daran. Die verlorenen Kräfte, die mir durch das auszehrende Leben seit der Premiere, all das Entsetzen und den Schock geraubt worden waren, kehrten allmählich zurück. Die alten Widerstandskräfte meines Wesens regten sich bereits in meinem Inneren, noch ein wenig gelähmt, doch erwacht. Sie hatten mich bereits einmal gerettet, als Shotaro mein damaliges Leben und meine Träume in einem einzigen Moment zu klirrenden Scherben zerschmettert hatte. Doch ich war aufgestanden. Ich hatte mir geschworen, dass es das war, was ich von nun an immer tun würde. Wieder aufstehen. Keine unnötigen Tränen vergeuden und die Faust zum Gegenschlag ballen. Ich war nicht das schwache Mädchen für das alle Welt mich hielt. Das würde ich sie noch früh genug spüren lassen.

Für den Moment begnügte ich mich damit, ruhig mitzugehen und den auf mich gerichteten Waffen nicht so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Tsuruga-san ging vor mir; ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, bis wir bei den Aufzügen angelangten, wo sich sowohl Tsuruga-san mit seinen Bewachern, als auch ich und die Männer, die an meinen Seiten liefen, hineinzwängten. Natürlich hatten die Männer darauf geachtet, dass Tsuruga-san und ich nicht zu nahe beieinander standen. Sie hatten aus dem letzten Fluchtversuch gelernt. Uns musste irgendein anderer Weg einfallen. Ich studierte das Gesicht meines Leidensgenossen. Es war seltsam verschlossen, wenngleich man ihm ansah, dass er geknickt war. Ich machte mir vorerst keine allzu großen Sorgen um Tsuruga-san. Es schien, als ob Dantes noch andere Pläne hatte, bevor sie uns ans Leder wollten, also blieb uns möglicherweise noch ein wenig Zeit.
 

Als die Aufzugtüren sich öffneten, befanden wir uns im zweiten Untergeschoss. Hier waren keine Fenster. Wir standen in einer Lobby, die sich das Ambiente eines edlen Clubs mit schweren Stoffen in smaragdgrün und karmesinrot, Zigarrenstummeln in Aschenbechern und einem massiven Billardtisch gab. Dieser Raum war ebenfalls zentral zu allen Korridoren angelegt, von denen wiederum viele Türen abgingen. Ich hätte alles darauf gesetzt, dass Shuichi hier seine Geschäfte als Syndikatsboss abwickelte. Lieber wollte ich mir den Anblick dessen ersparen, was sich hinter all diesen Türen bei den Korridoren verbarg. Ohnehin schien das, was er geplant hatte, sich wohl in dieser Lobby abzuspielen. Hier stand ein riesiger, hölzerner Schreibtisch mit teuren Verzierungen und einem dazugehörigem Stuhl, der mit rotem Samt versehen war. Jener Schreibtisch stand direkt vor einer Wand, an der große schwere, rote Vorhänge angebracht waren. Vor dieser Szenerie war eine riesige, üblicherweise für Filmdreh verwendete Kamera installiert, bereit jeden zu porträtieren, der es wagte hinter den Schreibtisch zu treten und den Mund zu öffnen. Ich warf einen schnellen Blick auf Mogami-kun, die meinen Blick verbissen erwiderte. Sie wirkte aufgebracht, und ich befürchtete, dass das noch enorme Schwierigkeiten verursachen könnte. Ich befürchtete auch, dass dies genau nach Shuichis Plan geschah und ich hatte eine dumpfe Ahnung, dass nun etwas Abartiges kommen würde.

„Soooooo sind wir also endlich alle hier unten vereint!“, verkündete Shuichi sichtlich gut gelaunt, klatschte in die Hände und klopfte ein paar letzte Staubkörnchen vom Schreibtisch. Dann zeigte er mit dem Finger auf zwei seiner Männer und rief: „Bringt sie dort hinten hin, sie soll schön im Blick sein, vom Schreibtisch aus.“

Die Männer zerrten an Mogami-kuns Armen, da sie sichtlich ungewillt schien, diese Behandlung weiterhin zu tolerieren. Ich hingegen erwartete still das Kommende. Da ich bereits wusste, dass es schlimm werden würde, versuchte ich mich ein wenig zu beruhigen und innerlich zu sammeln, um wenigstens ein bisschen für das Kommende gewappnet zu sein.

„Also Kuon, ich möchte nun, dass du dich auf den Stuhl beim Schreibtisch setzt und die oberste Schublade öffnest“, sagte Shuichi in einem Ton, den man fast als geduldig und freundlich bezeichnen könnte.

Ich tat wie geheißen und schritt langsam um den riesigen Schreibtisch herum. In der Schublade lag ein Stoß beschrifteter Blätter. Ich las still, was darauf stand und schwieg. Ich hatte es geahnt.
 

Tsuruga-san sagte gar nichts, als er die Papiere gelesen hatte, die sich in der Schublade befunden hatten. Er blickte auf Dantes und die beiden musterten sich eine Weile still.

„Ist das dein Ernst, Shuichi?“

„Natürlich, wenn ich zu Späßen aufgelegt wäre, befänden wir uns schon längst nicht mehr hier.“

„Nicht das die Frage noch nötig wäre, aber was soll ich damit?“ Er hob die Blätter in die Höhe.

„Lies es einmal so vor, wie es jemand verlesen würde, dem es mit dem Inhalt wirklich ernst ist… bitte.“ Überflüssig, zu erwähnen, dass das letzte Wort vor Hohn nur so triefte.

Tsuruga-san schwieg und warf einen raschen Blick auf mich. Meinen Augen wich er aus. „Mogami-san, versprich mir bitte, dass du ruhig bleiben wirst.“

„Ich denke nicht daran! Was steht auf diesem Papier? Wenn sie Soetwas zu mir sagen, nachdem sie es gelesen haben, ist wohl klar, dass man darüber nicht ruhig bleiben kann!“

Er seufzte.

„Fang schon an. Dieses Mädchen ist im Moment nicht deine größte Sorge, also hör auf, den Helden zu spielen!“, kam es süffisant von Dantes.

Ich versuchte, den Ausdruck von Tsuruga-sans Miene zu entschlüsseln, doch er schien sich mit Absicht vor seiner Umwelt zu versperren. Er wurde ganz ruhig. Dann blickte er mit leerem Blick gerade aus und rezitierte:

„Guten Tag Menschen der Welt. Ich möchte heute allen preisgeben, wie mein wahres Gesicht aussieht. Viele kennen mich als „Tsuruga Ren“. Ich habe diese Identität erlogen. Mein wahres Ich ist dunkel und abgründig. Ich habe gemordet, gelogen und Menschen manipuliert. Ich habe böse Dinge getan und ich habe es nicht bereut. Ich habe meinen besten Freund verraten und bin verantwortlich für den Tod einer jungen Frau. Für meine Vergehen, kann nur der Tod die logische Konsequenz sein. Deswegen fordere ich hiermit jeden auf, sein Glück zu versuchen mich umzubringen! Derjenige, dem es gelingt, soll meinen gesamten Besitz und sämtliche Vermögenswerte erhalten. Menschen der Welt! Ich fordere den Tod und ich verlange, dass ihr meinen Wunsch erfüllt!“

Für einen Moment war alles still. Mir wurde bewusst, dass ich Tsuruga-san mit offenem Mund anstarrte. Dann kam der innere Knall.

„DAS KANN NICHT EUER ERNST SEIN!!! Wie könnt ihr es wagen, das Leben dieses Mannes so in den Schmutz zu ziehen? Wie könnt ihr es wagen…?

Zornestränen stiegen mir in die Augen und ich wehrte mich mit aller Kraft gegen meine Aufpasser, versuchte, mich ihrem Griff zu entwinden… Mir wurde heiß vor Wut, während ich daran dachte, wie hart Tsuruga-san immer gearbeitet hatte, wie oft er seinen Körper bis zur äußersten Schmerzgrenze gebracht hatte, um seine Ideale zu erreichen und das Leben im Showbiz zu meistern, an dem er so hing. Der Mann, der so vielen Menschen mit seiner Arbeit Träume und Inspiration gegeben hatte, wurde nun zum Objekt einer Menschenjagd. Alles geriet außer Kontrolle, ich konnte nur noch schreien und kämpfen. Ich war nicht mehr ich selbst vor Wut, ich fühlte wie mein Hass dämonische Ausmaße annahm, sich neu manifestierte und alles um sich in eine tosende Dunkelheit zog. Ich wollte alles und jeden zerstören, der Tsuruga-san solches Leid zufügen wollte. Ich musste es verhindern…! Ich durfte einfach nicht zu lassen, dass-

„MOGAMI-SAN STOPP!! Hör sofort auf damit!!!! Hör mir zu, bitte!!!“ Tsuruga-san war aufgesprungen und sah mich an.

„WARUM?? Warum stehen Sie da und sagen nichts? Sie dürfen das nicht tun, ich flehe Sie an, Tsuruga-san!!!“ Während ich dies rief, brach ich in Tränen aus und zerrte erneut an meinen Armen, um sie freizubekommen.

„Mogami-san. Wir können nichts tun. Es tut mir leid!“

Stille.

Tsuruga-san entschuldigte sich bei mir. Dafür, dass er diesen Text lesen musste. Ich hatte keine Worte. All meine Wut verpuffte und zurück blieb nichts. Ich sackte zu Boden und weinte. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nichts mehr wissen. Was konnte jetzt noch wichtig sein?

Da spürte ich einen heftigen Schmerz und sah, dass Dantes meine Haare gepackt hatte und sie hinauf zerrte, sodass ich aufstehen musste. Der Lauf seiner Pistole drückte schmerzhaft gegen meine Schläfe. Ich schrie auf.

„So mein Fräulein, jetzt ist es aber genug. Kuon! Ich mache dir ein Angebot. Du wirst diese Nachricht nun vor der Kamera sprechen und bitte mit ein bisschen mehr Emotion und Dramatik! Für jedes Wort, das du nicht so aussprichst, wie ich es von dir haben will, werde ich der Dame hier einen Finger abschießen, ist das klar? Und… du weißt genau, wie ich es haben will, nicht wahr?“
 

Ich nickte zur Bestätigung auf Shuichis Frage und blickte Mogami-san lange in die Augen. Sie litt. Aber ich konnte nichts tun. Es war mir egal, was Shuichi von mir verlangte. Ich würde alles tun, solange er ihr kein Haar krümmte. Es tat mir weh, dass sie solchen Schmerz verspürte, aber ich hatte mich nun einmal entschieden. Ich rückte den Stuhl zurecht und setzte mich gerade hin, dann blickte ich geradeaus in die Kamera und wartete. Einer der Männer änderte noch etwas an den Einstellungen der Kamera, dann blickten mich alle an und warteten. Ich begann, die Worte zu sagen, die sich Shuichi für mich ausgedacht hatte. Mein Bick wanderte zu ihr. Ich haderte, meine Stimme begann zu zittern und ich musste mich zusammen nehmen. Ich gab den durchgeknallten Psycho, den eiskalten Menschenquäler und den, der mit dem Leben abgeschlossen hatte, wie es Shuichi von mir wollte.

Ich hatte das Gefühl, dass bei jedem Wort etwas von mir starb.

Als ich geendet hatte, war der Raum von einer drückenden Stille erfüllt. Dann begann Shuichi zu klatschen und einige der Männer brachen in Gelächter aus. Ich jedoch hatte nur Augen für sie. Jede Träne, die ihre Wangen hinab lief, fügte auch mir Leid zu und ich hätte sie gern in den Arm genommen.

„So Jungs, bringt das Mädchen erst mal in das Büro dahinten. Moki, du hältst Wache.“

„Hey Moment mal, was soll das werden? Was hast du vor?“, rief ich von einem plötzlichen Verdacht überkommen.

„Beruhig dich. Ich will mich nur ein bisschen mit dir unterhalten Kuon. Und damit du diesmal nicht auf die Idee kommst irgendwelche Faxen anzustellen, wie letztes Mal, bringen wir das Mädchen aus deinem unmittelbaren Umfeld. Ihr wird vorerst nichts geschehen, keine Sorge.“

Ich beruhigte mich etwas. War auf Shuichis Wort noch so viel Verlass wie früher? Ich hatte keine Wahl. Ich wollte noch etwas zu Mogami-san sagen, doch mir fiel nicht ein, was. Also schwieg ich und sah sie nur an. Sie ließ sich widerstandslos in das Zimmer bringen. Ich wartete, bis sie in eine der Türen im Korridor gegangen war und dieser Moki davor Stellung bezogen hatte. Dann blickte ich Shuichi an.

„Hast du was dagegen, mir zu sagen, was das alles soll? Warum scheuchst du die ganze Welt auf, mich zu töten, wenn du es doch selbst vorhast? Was für eine Logik steckt dahinter?“

Shuichi überlegte eine Weile. Dann legte er den Kopf schief und sagte: „Ein Spiel. Es ist ein Spiel. Ich gebe dir eine Chance.“

Ich blickte ihn misstrauisch an und schnaufte. „Und du glaubst jetzt, dass ich dir das abkaufe, oder was.“

„Natürlich. Du hast gut reden. Der Einsatz… ist nämlich dein kleines Goldstück. Aber wenn dir diese Gelegenheit, ihre Freiheit zu erkaufen, nichts bedeutet, dann gut: Knallen wir euch gleich hier und jetzt ab, mir ist das egal.“

„Du gibst mir also keine andere Wahl, als deine Spielchen mitzuspielen.“

Er lächelte. „Selbstverständlich. Aber gut, nun da wir das geklärt haben, zu den Regeln des Spiels. Wenn es dir gelingt, sie während der nächsten 48 Stunden in Sicherheit zu bringen, werde ich sie gehen lassen. Wenn nicht, dann müsst ihr beide sterben. Zu Beginn des Spiels werden wir euch freilassen, an einer Stelle unserer Wahl versteht sich, und du musst sie in Sicherheit vor meinen Leuten bringen. Und natürlich assoziieren die Menschen dieses Landes nun auch ganz besonders aufregende Dinge mit deinem Gesicht, wenn dieses Video erst an seinem Bestimmungsort angelangt ist, nicht wahr?“

„Mit anderen Worten, du bist erst dann zufrieden, wenn die ganze Welt hinter uns her ist.“

„Richtig erkannt. Weißt du, du wirst es nicht schaffen, sie zu beschützen. Und dann wird ihr Tod erst besonders schmerzhaft für dich sein, wenn du die Chance hattest, sie zu retten, du aber dabei leider versagt hast. Das wird-“

„DU VERDAMMTER MISTKERL, hör endlich auf!“ Ich war aufgesprungen. Ich hielt es nicht mehr aus. Wie konnte Shuichi so werden? Vielleicht hatte er Recht gehabt. Vielleicht war Shuichi bereits tot. Und das hier vor mir war Dantes, ein kläglicher Überrest eines Mannes, den ich einst geliebt hatte wie einen Bruder und der nun zu einem sadistischen Blutrachephantom geworden war. Dantes… ich lachte bitter.

„Was soll das eigentlich mit dem Namen? Warum hast du dich ‚Dantes‘ genannt, he?“

Er drehte langsam den Kopf in meine Richtung und fixierte mich eine Weile entspannt. „Natürlich um meine Wiedergeburt zu zelebrieren! Ich habe den Namen Dantes dafür als passendes Symbol empfunden.“

„Ach ja? Und was sagt er bitteschön aus?“

„Um Himmels Willen, kennst du nicht die Geschichte des Edmond Dantes? Der Graf von Monte Christo? Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der von seinem besten Freund um alles betrogen wird, was er hat. Man sperrt ihn ein, foltert ihn. Doch dann erhält er durch einen alten Mann die Gelegenheit, mit viel Reichtum und Macht als neuer Mensch mit neuem Namen in sein Leben zurückzukehren und sich an all jenen zu rächen, die ihn ins Unglück stürzten. Natürlich nutzt er diese Gelegenheit und tötet sie alle. Schließlich kann er eines Tages mit Genugtuung und Zufriedenheit leben.“

„Also ging es für dich immer nur um Rache.“

Meine Güte! Was hatten bloß alle Menschen in meinem Umfeld mit ihrer Rache? War ich der Einzige, der erkannte, dass Rache die Seele zerfraß und jede Hoffnung auf Glück bereits im Keim erstickte? Weshalb steckten die Menschen so viel Energie in diese zerstörerische Leidenschaft? War es Stolz oder Verzweiflung? Oder beides? Ich fragte mich, was Mogami-kun von der ganzen Geschichte des Shuichi Shizoido halten würde. Würde es sie zum Nachdenken anregen? Würde sie begreifen, dass der steinige Weg hinauf zur Rache in einem Abgrund gipfelte? Ich betrachtete Shuichi nachdenklich. Er gab den Blick zurück.

„Woher wusstest du, dass ich Mogami-san liebe? Es gibt doch unzählige Frauen, mit denen ich im Leben zu tun habe! Wie konntest du das wissen? Ich wusste es doch selber nicht, vor der Premiere!“

„Aha, du legst die Karten also offen auf den Tisch. Nun, du hast wohl erkannt, dass es jetzt sowieso keinen Unterschied mehr macht. Du wusstest es vielleicht nicht, aber mich kannst du nicht täuschen! Alle dachten, die Richtige für die Entführung ist die Hauptdarstellerin deiner neuen Serie, diese Momose Itsumi. Ich war derjenige, der eine andere Beobachtung gemacht hat. Du musst wissen, ein Insider hat uns alle Aufnahmen von eurer Serie zukommen lassen. Es nur anzusehen, hat mir alle Informationen gegeben die ich brauchte.“ Er lächelte mich kalt an. „Nun wirst du für dieses arme Mädchen wohl leider zum Verhängnis werden…“

„Das werden wir ja sehen…“, sagte ich angriffslustig, während sich mein ganzer Körper anspannte.

Shuichi betrachtete mich funkelnden Augen und seinem kalten Lächeln. „… voller Kampfeswillen…“, murmelte er. Dann klatschte er sich auf die Schenkel und sagte: „Dann wirst du wohl noch etwas Kraft brauchen, was? Jungs, bringt ihm zu essen und zu trinken! Dem Mädchen auch! Das ist mein Abschiedsgeschenk, Kuon! Am Besten, ihr bringt ihn rein zu dem Mädchen, da kann er nirgends entfliehen.“

Er stand auf und ging Richtung Aufzug. Dort blieb er stehen und betätigte den Knopf. Mit mir zugewandtem Rücken sagte er leise kichernd: „Dir bleibt nicht mehr viel Zeit diese Frau zu lieben, also halt dich ran.“ Dann stieg er in den Aufzug und war verschwunden. Die Männer hatten sich indes um mich versammelt und eskortierten mich zu dem kleinen Büro, in das sie Mogami-san bereits gesperrt hatten. Moki-kun schloss die Tür auf und stieß mich hinein. Ich hörte, wie hinter mir der Schlüssel im Schloss klickte und ließ mich zu Boden sinken. Mogami-kun saß auf dem einzigen Stuhl im Raum mit angezogenen Knien. Sie hatte den Kopf in den Schoß gelegt und die Arme um den Körper geschlungen. Wie eine Mogami-Kugel, dachte ich…

Sie blickte nicht auf und ich fragte mich, was gerade in ihr vorging… Was bedeutete es für sie, dass Shuichi mein Leben Stück für Stück zerstörte? War sie deshalb so verzweifelt? Ich lächelte traurig. Es war schon irgendwie ironisch. Dieses Gefühl… Liebe war zwischen uns durch die tragischen Ereignisse unglaublich aufgelodert. Es hatte gar etwas Verzweifeltes, Leidenschaftliches, weil es jeden Moment enden konnte. Soetwas hatte ich niemals gefühlt, doch jetzt füllte es mich von Kopf bis Fuß aus. Eine seltsame Form der Liebe… sie hatte etwas Absolutes. War dies nur vorübergehend oder würde es mich für immer gefangen nehmen? Beinahe hätte ich bitter aufgelacht, als mir klar wurde, dass „für immer“ für mich keinen besonders langen Zeitraum mehr darstellte. Ein paar Tage vielleicht…? Ich sah zu Mogami-san hinüber. Meine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Aber nicht sie…! Egal was Shuichis wahrer Plan war, egal was er sich für Grausamkeiten ausgedacht hatte. Ich würde diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Irgendwie würde ich einen Weg finden, sie aus all dem herauszuschaffen. Ihre Reaktion darauf, dass Shuichi mich zu dieser Nachricht gezwungen hatte, zeigte mir, dass ich auf gar keinen Fall durchblicken lassen durfte, dass es von Anfang an nur darum gegangen war, Mogami-san freizulassen. Shuichi hatte nichts davon gesagt, dass er mich gehen lassen würde. Darüber machte ich mir keine Illusionen. Er spielte mit mir, wie eine Katze mit einer Maus vor dem Abendbrot. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es für mich eine Chance gäbe Shuichi zu entfliehen, nicht mit solch einem Apparat der Macht hinter ihm…

Das Türschloss knackte und die Tür öffnete sich. Ein Mann trat ein. Er stellte ein Tablett mit Essen und Trinken auf dem Boden ab und schloss die Tür wieder hinter sich. Ich blickte hinüber, griff mir das Tablett und stellte es vor Mogami-kun auf dem Schreibtisch ab. Entschlossen sagte ich: „Du musst etwas essen.“ Ihr linker kleiner Finger zuckte und sie regte sich leicht. Dann hob sie langsam den Kopf und blickte ausdruckslos auf das Essen. Dann blinzelte sie und blickte in mein Gesicht. Ihre Augen saugten sich an meinen fest und ich ließ völlig entwaffnet die Arme hängen. „Mog - … Kyoko-chan… Bitte!“

„Tsuruga-san… was hat er Ihnen gesagt, als ich nicht dabei war? Was hat er mit Ihnen vor, versuchen Sie nicht, irgendwas vor mir zu verheimlichen!“

„Woher wusstest du, dass er mir seine Pläne offenbart hat?“

„Das war doch sowas von offensichtlich! Nach dieser Aktion mit der Videobotschaft hatte er doch bestimmt schon das nächste in petto. Also sagen Sie mir schon, was es ist!“

Ich hatte so oder so vorgehabt, ihr die gekürzte Wahrheit mitzuteilen, also nutzte ich die Gelegenheit gleich, um noch etwas dabei herauszuschlagen. „Aber gern doch, wenn du dabei etwas isst, werde ich dir währenddessen in aller Ruhe mitteilen, was Shuichi zu mir gesagt hat.“

Sie warf mir einen abschätzigen Blick zu und griff dann nach einer Schale mit Reis und einem Glas Saft. Ich bediente mich ebenfalls, da ich annahm, dass wir so schnell nicht mehr dazu kommen würden. Wir mussten unbedingt unsere Kräfte auftanken, bevor Shuichi uns in dieses Selbstmord-Abenteuer schickte. Ich nahm ein paar Bissen und begann dann, Mogami-kun von der Jagd zu berichten, die Shuichi auf uns eröffnen wollte. Ich stellte es so dar, als ob wir beide eine Chance hätten, zu entkommen, und versuchte ihr klarzumachen, in welcher Gefahr wir bald schweben würden. Sie hörte mir zu, während sie aß und trank.

„Also Tsuruga-san, glauben Sie, dass wir in diesem seltsamen Spiel eine Chance haben?“

„Ob wir eine Chance haben… da bin ich mir nicht sicher. Mit Gewissheit kann ich allerdings sagen, dass ich mir meine Chance nehmen werde, notfalls mit Gewalt. Ich lasse mir nicht widerstandslos mein Leben kaputt machen, und ich weiß, dass du das gedacht hast.“

„Sie hätten das mit der Videobotschaft niemals zulassen dürfen!“

„Ich habe es für dich getan!!“

„Ich weiß“, sagte sie und senkte den Kopf. Sie legte ihre Stäbchen zurück auf das Tablett zu den leergegessenen Tellern und Schüsseln und lehnte sich zurück, betrachtete stumm die Decke. Ich legte meine Stäbchen auf den Tisch und lehnte mich ebenfalls zurück. In mir stieg allmählich eine sagenhafte Wärme auf und in meinem Kopf schwoll ein undefinierbares Hintergrundrauschen an. Plötzlich fühlte ich mich unbeschreiblich euphorisch und glücklich, es kam wie eine Welle über mich. Ich konnte erkennen, wie auch Mogami-sans Gesicht einen verzückten Ausdruck angenommen hatte und sie leichthin lächelnd ins Nichts starrte. Ich legte mich mit ausgestreckten Armen auf den Boden und konnte gerade noch murmeln: „… verdammt, ich… glaube, sie haben uns… Opiate ins Essen gemischt…“. Dann verstummte ich und wurde ganz ruhig angesichts der unglaublichen Entspannung und Sorglosigkeit, die mich mit sich hinwegspülte. Es gab keine Sorgen auf der Welt, es gab keinen Schmerz mehr. Es gab nur mich in meinem Körper und die Welt, die sich endlos drehte und mich an sich zog. Ich hörte, wie Mogami-san: „Was? … Opium?“ flüsterte und drehte meinen Kopf zu ihr. Sie blickte mich mit funkelnden Augen an und musterte meinen Körper von Kopf bis Fuß. Ich fühlte, wie jede Stelle kribbelte, über die ihr Blick schweifte und betrachtete sie voller Wohlgefallen. Sie war mir das Liebste, was ich jetzt ansehen wollte. Während sie in meine Augen blickte, formte sich in ihrem Gesicht ein hinreißendes Lächeln.
 

Ich konnte mich nicht mehr satt sehen an diesem Mann. Mich durchströmte ein wahnsinniges Gefühl der Freude, ich hatte das Gefühl, mein Herz könnte jeden Moment davonfliegen, mir konnte nichts mehr geschehen, die Welt war ein freundlicher Ort und ich war ein Teil von ihr. Ich musterte lange seinen Körper, wie er –immer noch in dem Anzug aus der Luxushölle- seitlich ausgestreckt auf dem Boden lag, mit einem Arm den Kopf abstützte und mich lässig fixierte. Sein schwarzes Haar fiel ihm in die Augen, die dunkel wirkten und funkelten. Seine wunderschöne, strahlende Haut, sein langer muskulöser, biegsamer Körper… seine großen, schlanken Hände… es war, als gingen von ihm Hitzewellen aus, die mich sogar auf der anderen Seite des Raumes trafen wie sich konzentrisch ausbreitende Kreise. Er war so verlockend, er war so betörend! Ich konnte es einfach nicht zurückhalten. Meine Scheu brach wie ein Damm bei einer Flutwelle:

„Tsuruga-san, …Sie sind so wunderschön! Sie sind so schön, dass mir der Atem vergeht, wenn ich Sie sehe. Ihr Haar ist so weich und Ihr Körper ist so stark und Sie sind groß und so unendlich schön!“

Ich fühlte, wie mein Körper schwer wurde und die beruhigende Wärme sich bis in die kleinsten Fingerspitzen ausbreitete. Ich glitt von dem Bürostuhl herunter und kroch auf allen Vieren um den Schreibtisch herum zu Tsuruga-san. Meine Bewegungen waren langsam; eine warme, süße Trägheit überkam meinen Körper, sodass ich mich neben Tsuruga-san auf den Boden legte und ihm sehnlich in die Augen sah. Auch er hatte den Kopf auf die Arme gebettet und blickte mich mit seinen rätselhaften, dunklen Augen an.

„Du leuchtest, Mogami-san. Für mich hast du im Gegensatz zu allen anderen immer geleuchtet. Wie eine Sonne voller Licht und Wärme und Energie. Ich wollte meine Hand nach dir ausstrecken, mich in deiner Nähe wärmen…“

„Tsuruga-san…!“

Ich streckte meine Hand nach ihm aus und er streckte seine Hand nach der meinen aus. Eine erstickende Müdigkeit griff nach meinen Gedanken, doch ich sah, wie Tsuruga-san mich mit diesem sehnsüchtigen Blick ansah, es fühlte sich so intensiv an, mein ganzes Gesicht, mein ganzer Körper begannen zu prickeln, während wir in diesem Blick versanken. In diesem Moment berührten sich unsere Hände. Ich hatte das Gefühl, ich hätte nie etwas Angenehmeres berührt als seine Haut, die so weich und so lebendig war. Ich fühlte seinen Herzschlag in jeder Vene seiner Hand pulsieren. Während die Müdigkeit die Überhand gewann, war das letzte, was ich wahrnahm, der starke Sog, der von dem Wunsch resultierte, mehr dieser weichen Haut auf meiner zu spüren, seinen ganzen Körper zu ertasten, ihn zu erspüren und mich daran zu wärmen und zu fühlen, wie mich dieser wilde, fremde Herzschlag von allen Seiten umschloss. Dann dunkelte sich mein Blickfeld zunehmend ab und ich fiel in einen tiefen, von aufregenden, farbenfrohen Träumen durchzogenen Schlaf.
 

Da lag sie. Das Kleid, das sie trug, legte sich spielerisch um ihre Körperrundungen und mir wurde ganz anders, als ich den Blick über sie schweifen ließ. Mein Kopf fühlte sich schwer an. Ich ließ ihn zu Boden sinken. Ich hatte all diese Dinge gesehen. Mogami-kun, die mich mit diesem Gesichtsausdruck anblickte und dann sagte ich sei so schön, dass ihr der Atem verging. Ihre Hand, die die meine berührte und sich so zart anfühlte. Ihre geröteten Wangen und ihre glänzenden Augen, die mich samt Haut und Haar verschlungen, bevor die Schläfrigkeit ihre Lider niederdrückte. Es schien als würde ich vor Freude und Glück sterben, während ich dort auf dem Fußboden des kleinen Büros ausgestreckt lag. Mein Herzschlag verschmolz mit dem Boden unter mir und ich löste mich in wohltuend goldenem Licht auf. Von ihr so glühend angesehen und angesprochen zu werden hatte mich in die höchsten Höhen des Himmels katapultiert. Ich fühlte, wie auch mich der Schlaf langsam in seine Arme nahm und gab mich dem hin. Lächelnd. Ich hatte das Gefühl, ich würde fliegen…
 

Das goldene Licht, das Ren beschrieben hat… wir können es auch sehen, wenn wir uns anstrengen. Er mag in einem berauschten Zustand sein, doch in diesem Moment ist es für ihn real. Es umfängt alles, füllt den Raum mit unfassbarer Kraft. Es umhüllt Kyoko, die momentan im Geist durch wilde Bilder- und Gefühlswelten wandert. Es bricht sich in kleinen Lichtpunkten auf jedem einzelnen ihrer Fingernägel, taucht ihre Haut in einen samtenen, weichen Ton und lässt ihr Haar erstrahlen. Wenn man es sich vorstellt, bekommt es etwas Beruhigendes… Es macht keinen Unterschied, auf wen oder was es scheint, sondern legt sich auf alles nieder, bis es das einzige ist, was übrig bleibt. Gleißendes Licht. Doch der Zwang der Dinge, das Fortschreiten der Ereignisse kennt keinen Aufschub, unablässig dringt es voran, die Geschichte geht weiter und so erlischt das Licht auf einem Schlag und wandelt sich in absolute Dunkelheit. Diese Dunkelheit füllt ein anderes Zimmer, nicht mehr das kleine Büro, sondern einen Raum, den hauptsächlich ein einzelnes Bett füllt. Darin liegt ein Mädchen, das genau in diesem Augenblick die Augen aufschlägt.

Itsumi Momose brauchte immer noch einige Sekunden, um zu begreifen, wo sie war, wenn sie aus dem Schlaf erwachte. Das Krankenhaus, dieses Zimmer… am liebsten hätte sie die Bettdecke über den Kopf gezogen und wäre sofort wieder eingeschlafen. Sie blickte an die Zimmerdecke, die im Dunkeln lag, nur gelegentliche Lichtspiele von vorbeifahrenden Autos jagten hin und wieder darüber hinweg. Es kam ihr vor, als läge sie hier schon seit einer Ewigkeit, doch wenn man es genau betrachtete… sie legte den Kopf schief… waren es erst zwei Tage, die sie hier verbracht hatte. Die Premiere war am 26. August gewesen und heute war der 28. August. Am Vortag hatte man sie hierher gebracht, nachdem sie eine Ewigkeit unter Schmerzen mit Tsuruga-san und Kyoko-chan in dem Auto der Entführer gesessen hatte. Dann waren sie in das Flugzeug von Matsumoto gebracht worden. Dort hatte es Tsuruga-san irgendwie erreicht, dass sie in dieses Krankenhaus gebracht wurde. Sie fuhr sich durch das Haar und dachte an die beiden. In gewisser Weise fühlte es sich so an, als hätte sie sie im Stich gelassen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen, aber sie wusste, dass dem nicht so war. Wer weiß, was noch hätte geschehen können, wenn die Wunde an ihrer Schulter unbehandelt geblieben wäre. Sie verdankte Tsuruga-san viel. Bei dem Gedanken an ihn traf sie ein kleiner Stich in der Magengegend. Tsuruga-san… wo er jetzt wohl gerade war? Wie es ihm erging? Sie sehnte sich danach, in ihren Alltag zurückzukehren, der vor der Premiere noch geherrscht hatte. In dieser Welt hatte sie diesen Mann aus dem Verborgenen bewundert und sich jeden Tag darauf gefreut, ihn bei seiner Arbeit erleben zu können. Ein Bild flammte vor ihrem inneren Auge auf, es waren Tsuruga-san und Kyoko-chan, wie sie in eines ihrer Gespräche vertieft waren. Diese beiden… es war ihr bereits vorher klar gewesen, dass zwischen ihnen eine besondere Atmosphäre herrschte, doch nun unter diesen Umständen… würden sie sicher noch enger zusammenrücken. Eine Spur Eifersucht war da, das gestand sie sich ein… doch in gewissem Sinne war Kyoko-chan wie eine Freundin gewesen und Itsumi konnte ihre Gefühle genau nachempfinden, wenn sie sie dabei beobachtete, wie sie Tsuruga-san mit strahlenden Augen ansah. Sie gönnte es ihr, Tsuruga-san in solch einer Situation an ihrer Seite zu haben, da er ihr sicherlich viel Kraft geben würde, um alles zu überstehen…

Ihr Blick wanderte zu der Tür, hinter der zweifelsfrei wieder einer oder mehrere dieser Typen rumlungerten. Es war ihr lieb, wenn die Tür den ganzen Tag geschlossen blieb, sodass sie deren Gesichter nicht sehen musste, die für sie nur Angst und Sorge bedeuteten. Sie wurde sich gewahr, dass ihre Gedanken wieder in die dunklen Ecken abdrifteten uns so schaltete sie kurzentschlossen die kleine Lampe an, die man auf ihrem Nachttisch aufgestellt hatte. Der kleine, warme Lichtkegel der Lampe drängte die Gedanken des drohenden Unheils ein klein wenig zurück in die dunklen Ecken, wo sie hingehörten. Ihr Blick fiel auf den Blumenstrauß, der an ihrem Bett stand. Sie stockte einen Moment, da sie sich nicht daran erinnern konnte, ihn von irgendjemandem entgegen genommen zu haben. Neben der Vase lag ein Kärtchen. Sie angelte es sich und las im Schein der Lampe, was darauf stand:

„Liebe Momose-san,

wir, das Team von Dark Moon und alle Mitarbeiter von LME wünschen dir Gute Besserung! Erinnerst du dich an die Szene, in der Mizuki den Blumenstrauß von Katsuki bekommt und ihn hoch über ihren Kopf hält, damit auch die Blumen einen Platz an der Sonne bekommen und erstrahlen? Diese Szene hatte den Zweck, Mizukis glückliches, schönes Wesen zu untermalen. Auch wenn es schwere Zeiten sind, wir hoffen, dass wir dich mit diesem Strahlen bald wieder antreffen werden. Den Blumenstrauß dazu hast du ja schon mal:)

Alles Liebe,

die Crew von Dark Moon“

Sie stutzte und las das Kärtchen noch einmal. Irgendwie wurde sie nicht daraus schlau. Die Crew von Dark Moon? Hatte sie nicht längst einen Strauß von denen bekommen? Und was sollte das eigentlich für eine Szene sein, in der Mizuki einen Blumenstrauß über ihren Kopf hielt? Hatte sie Gedächtnislücken oder was? Sie kannte das Drehbuch von vorn bis hinten und konnte sich nicht erinnern, jemals etwas von einer solchen Szene gelesen zu haben. Das alles erschien ihr äußerst merkwürdig. Den Blumenstrauß dazu hast du ja schon mal:)… glücklich strahlen… Wenn sie es recht bedachte, würde es wohl noch eine Weile dauern, bis sie Soetwas wieder konnte. Umso mehr sie über die Worte nachdachte, umso weniger Sinn ergaben sie. Ihr Dasein als Schauspielerin… sie wollte dahin zurück. Sie wollte, dass ihre einzige Sorge wieder darin bestand, eine möglichst gute Performance abzuliefern und eine talentierte Schauspielerin zu werden… aber wie talentiert kann ich schon sein, wenn ich nicht mal ein Lächeln zustande bringe?, dachte sie und starrte missmutig auf den Blumenstrauß. Über den Kopf halten und strahlen… das konnte doch nicht so schwer sein. Sie nahm die Blumen aus dem Wasser und ließ sie einen Moment abtropfen. Dann hob sie sie hoch über ihren Kopf und versuchte, glücklich zu lächeln. Sie versuchte sich vorzustellen, in den Blumen wäre das Gesicht von Tsuruga-san und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Blumen, doch es kam kein Lächeln. Sie ließ die Arme sinken. Der Strauß lag vor ihr auf der Bettdecke. Sie fühlte sich beklommen. Da fiel ihr etwas ins Auge… ein Zipfel Papier ragte zwischen den Stängeln ganz in der Mitte heraus. Sie besah es sich von Nahem und zog eine kleine, zusammengefaltete Nachricht aus dem Strauß. Was das nun wieder zu bedeuten hatte? Sie entfaltete das Papier und las die kurze Nachricht:

„Itsumi-chan, war es die Yakuza? Wart ihr drei im Flugzeug von Matsumoto? Wir versuchen, sie zu retten! Bitte antworte. P.S. Diese Karte wird sich innerhalb von kurzer Zeit im Wasser der Blumenvase auflösen, wenn du sie loswerden willst.“ Darunter war hastig eine Telefonnummer hingekritzelt worden.

Wie von einem Blitzschlag getroffen ließ sie das Papier los und es segelte auf den Fußboden. Ihr Herz raste. Wenn die Typen das bei ihr fanden…! Oder war das eine Falle? Wollten sie sie auf die Probe stellen, ob sie plauderte, wenn sich eine Gelegenheit böte? Hastig stopfte sie die Blumen zurück in die Vase und streckte sich, um vom Bett aus an den Zettel heranzukommen, der auf dem Boden lag. Sie bekam ihn mit zwei Fingern zu fassen und versteckte ihn hastig unter der Bettdecke. Was sollte sie nun tun? War dies möglicherweise die einzige Gelegenheit, um Informationen weiterzugeben, die zur Rettung von Tsuruga-san und Kyoko-chan führen konnten? Oder war es eine Falle und das Weiterleiten von Informationen brächte die beiden erst recht in Schwierigkeiten? Würden sie sie umbringen, wenn Itsumi einen Fehler machte? Sie zwirbelte das Blatt Papier mit der Nachricht nervös zwischen ihren Fingern und dachte angestrengt nach. Sie hatte unbeschreibliche Angst, ihre Handflächen waren schweißnass. Vielleicht könnte sie noch eine Weile warten, bis sie sich entschied und das Verhalten der Männer vor der Tür beobachten? Sicherlich würden sie sich irgendwie verdächtig verhalten und ihr Tun noch genauer als sonst beobachten, wenn es eine Falle wäre. Oder hatten sie vielleicht sogar irgendeine Art von Überwachungsgerät in diesem Raum installiert? Hastig knipste sie die Lampe auf ihrem Nachttisch wieder aus und schlüpfte bis zur Nasenspitze unter die Bettdecke. Was sollte sie nur tun…? Kyoko-chan, Tsuruga-san…

Morgen früh würde sie sich entscheiden. Das war etwas, das gut durchdacht sein wollte. Sie ahnte bereits, dass ihr eine ruhelose Nacht bevorstand und drehte sich auf die Seite. Jetzt galt es! Sie durfte nun absolut keinen Fehler machen. Ihre eigene und die Zukunft der anderen stand möglicherweise auf dem Spiel.
 

_________________________________________________________________________________
 

So, dat war es erst einmal. Ich hab ehrlich gesagt echt keinen Plan, wie lange es bis zum nächsten Kapitel dauern wird, vielleicht ein bisschen länger, wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln und wieviel Zeit ich in die Geschichte stecken kann^^

P.S. Es hat mir natürlich unglaublichen Spaß gemacht, im Internet über die Opiate zu forschen, da ich mit Absicht nach etwas gesucht habe, das ermüdet, euphorisiert und vor allem aphrodisiert! ;) So eine verrückte Stelle zu schreiben, war echt lustig… Hehe… Die armen…

P.P.S. Ich schätze, euch ist auch aufgefallen, dass ich es endlich geschafft habe, die Frage zu beantworten, die sich wahrscheinlich jeder gestellt hat, der einen Blick auf diese Fanfic geworfen hat, nämlich: Warum zur Hölle heißt diese Kiste ‚Salut Monsieur Dantes!‘????? Ja ja…



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Von:  Kyoko-Hizuri
2011-09-30T12:38:09+00:00 30.09.2011 14:38
^^ hab mich schon gewundert wann du weiter schreibst
finde das Kap super toll und ich muss SchwarzeNami recht geben, wie du trotz grausamer Stimmung noch eine romantische zwischen den beiden hinbekommen hast, ist totall cool^^
weiter so,
Kyo-Hizu
Von:  SchwarzeNami
2011-09-29T18:11:41+00:00 29.09.2011 20:11
*geschockt aus der Wäsche schaut*
*kap noch hochsroll*
Was? Was bitte hat der mit dem beiden vor?!? Wie verrückt ist Dantes eig?
Eine Menschenjagt? Mein erster Gedanke war: Das können sie nicht wirklich überleben... Selbstmord-Kommando passt da wirklich...*angst hat*

deine beschreibung mit dem Opitum finde ich sehr sehr schön... trotz so grausamer Umstände noch eine schöne ja irgendwie auch romantische Stimmung zwischen den zweien hin zu bekommen finde ich klasse.. super Idee...
bin echt gespannt wie es weiter geht :D
lg Nami
Von:  Sorcha_Nyx
2011-09-19T19:16:27+00:00 19.09.2011 21:16
freue mich tierisch, dass du endlich weiter schreibst!^^ finde dieses kapitel sehr gelungen und freue mich auf die fortsetzung, die -hoffe ich- nicht so lange auf sich warten lässt! ;)

lg! Ren
Von:  SchwarzeNami
2011-09-13T00:08:51+00:00 13.09.2011 02:08
ich finde es sehr schön das du dich entschlossen hast deine ff weiter zu schreiben, den ich finde sie sehr gelungen. besonderst es eine interessante situation in der die beiden stecken.
finde es auch sehr schön dass du nicht nur bei den zwei "turteltauben" bleibst sondern auch kanae und ihre gefühlswelt einbeziehst...
freu mich schon auf die nächsten kapitel ^^

lg nami
Von: abgemeldet
2009-08-03T09:24:19+00:00 03.08.2009 11:24
also dafür, dass du die Story zu 100% fertig stellen willst, hängst du aber wieder zimlich hinterher *schmoll*
Von:  Kyoko_16
2008-11-29T23:17:36+00:00 30.11.2008 00:17
...!!!!!!
waiiiiiii xDDDD
einfach unbeschreiblich
ich habe auch nichts andees von dier erwartet, genau wie die vorangehenden kapitel einfach eine perfekte kombination aus dramatik, aktion, romantik und kriminalistik xD

ich konnte es kaum glauben, als ich das neue kap sah! xD
und du hast mich mal wieder nich enttäuscht was den verlauf und die formulierung angeht^^
ich kann dir versichern, dass ich es dir nich übel nehme, dass es über ein jahr gedauert hat, eh die fortsetzung auftauchte^^
es is sicher nich leicht einen schönen und überzeugenen storyverlauf nieder zu schreiben, wenn man keine ideen oder lust dazu hat, aber dein schlechtes gewissen hat dir flügel verliehen und mit deinem hversprechen, diese ff auf jeden fall zu ende zu bringen wirst du mich auf jeden fall bis zum ende dieer ff nicht los^^
Von:  Lunasera
2008-11-28T22:28:13+00:00 28.11.2008 23:28
Oh
mein
Gott,
das war soooooooo klasse!!!!!!!!!!!!
Ich bin hellauf begeistert. Endlich ein neues Kappi!^^ Ich hoffe, dass es jetzt schnell weiter geht und freue mich über jedes Kappi, das du schreibst. Ich hatte schon echt panik gekriegt, dass es nicht mehr weiter geht und war jetzt natürlich total erleichtert. Ich bin dir echt dankbar für das neue Kappi, die Story ist sooooooooo coooooooooooool!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Liebe Grüße
Lunasera
Von: abgemeldet
2008-11-24T22:35:50+00:00 24.11.2008 23:35
*skeptisch auf den Monitor seh*
*vorsichtig das Kapitel antipp, um zu gucken ob es vielleicht nur eine Halluzination ist*
Es... Es ist echt! *jubelnd hin- und her renn*
*über den anatomischen Atlas fall*
*sich wieder aufrappel*
*das Blut auf dr Stirn ignorier und wieder zum Schreibtishc torkel*
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich schon Angst hatte, dass diese eine der vielen abgebrochenen Fanfics wird die als Karteileichen im Netz umherschwirren...
Aber glücklicherweise ist sie das ja nicht. ^^
Das wäre ja sonst auch sadistisch. schließlich muss man aj wissen wie es mit Dante, Ren und Kyoko weitergeht.
Aber kommen wir zum Kapitel: Tadellos.
Mehr lässt sich dazu kaum sagen. Der Spannungsbogen ist ungebrochen.
Man fiebert mit und denkt jedesmal: Werden sie entkommen können? Sterben? Oder sich sogar irgendwie mit Dante versöhnen?
Eindeutig mit die spannenste Fanfic im Skip-Beat!-Bereich, Gratulation.

Trotz der Genialität des Kapitels - oder wohl gerde deswegen ;) - hoffe, ich dass wir auf das nächste Kapitel nicht wieder ein Jahr warten müssen.
Das wäre bei so einer Endsituation nämlcih sadistisch. ^^
Mls,
Hybie

Von: abgemeldet
2008-11-24T19:50:11+00:00 24.11.2008 20:50
*jubel*...*kreisch*...endlich das neue Kap is da....*lach*
Geil,geil und nochmals geil.Ich freue mich das du dich dazu durchgerungen hast,endlich weiter zu schreiben....lang hats ja gedauert.*schmoll*
Aber das was du jetzt geschrieben hast ist Entschädigung genug.Auch habe ich mich gefreut zu lesen das du die FF zu Ende bringst..*jubel*
Aber bitte laß uns diesmal nich zu lange warten,okay?!Sonst bombardier ich dich wieder mit E-Mails und Gästebucheinträgen..*devil-smile*
Nein im Ernst,ich freu mich schon auf das nächste Kap...*strahl*
Bis die Tage..*ungeduldighinundherrenn*
Gruß Angel ^-^
Von: abgemeldet
2008-11-24T19:43:23+00:00 24.11.2008 20:43
Ich hab mir gerade wieder die ganze FF in einem Zug durchgelesen, weil ich einfach nich davon los gekomme bin.^^
Einfach nur aufregend. Na wenigstens sind beide wieder zusammen, dass macht das ganze bestimmt erträglicher. >//<
Mir gefällt dein Schreibstil sehr.
Bin ma gespnna wie die beiden jetzt wieder rauskommen!? Hoffe nur, dass keiner stirbt außer dieser Dantes vielleicht. <_<
Hoffentlich bekommen Yashiro und Kanae etwas aus Itsumi raus auch wenn ich das bezweifel. Also für Sho ist es jetzt endgültig vorbei. Kyoko liebt Ren. Hach ist das schön. T//T
Bin echt froh, dass du doch noch weiter geschieben hast und es auch fertig schreiben willst. Wäre echt schade um diese gute FF.^^
Hoffe du schreibst so schnell wie möglich weiter. Bin schon richtig aufs nächste Kapi gespannt.^^

MfG Umi-chan


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