Die Liebe meines Lebens
Genzo wurde ein wenig unruhig, als Hyuga ihm von dem Gespräch mit seiner Mutter erzählte. Er hatte Angst, dass Kojiros Mutter ihn deswegen anders behandeln würde, dass ihre Situation sich dadurch unnötig kompliziert. Tatsächlich hat sich Frau Hyugas Verhalten ein wenig verändert, aber nicht ins Negative, wie Genzo anfangs dachte. Nachdem sie Kojiros Geständnis vollkommen verarbeitet hatte, fing sie an Genzo noch mehr Beachtung und Sympathie entgegenzubringen, als vorhin. Die Beziehung der beiden wurde vollkommen akzeptiert, was vor allem für Genzo ein Grund zur Freude war. Schlecht war für ihn nur, dass er keine Möglichkeit hatte seine Beziehung mit Kojiro richtig auszuleben und das nicht nur, weil sie sich vor Kojiros Geschwistern damit verstecken mussten. Kojiro selbst benahm sich anders als früher, wich jeder Art von Zärtlichkeiten aus, egal wie sehr Genzo versuchte ihm näher zu kommen. Der Keeper beobachtete seinen Freund genau und versuchte zu erraten, was der Grund für sein seltsames Verhalten war, hoffte dabei inständig, dass sich das bald wieder ändern wird und alles wieder so wird, wie früher. Dabei spekulierte er über alle möglichen Gründe, fragte sich was hinter Kojiros Verhalten wirklich steckt, weswegen er auf einmal wieder so kalt zu ihm war, doch eine vernünftige Erklärung kam ihm nicht in den Sinn...
Die ersten zwei Tage lang trainierten Kojiro und Genzo allein, erst am dritten Tag gingen sie auf den Fußballplatz, auf dem Hyugas Mannschaft immer spielte.
„Hey ihr zwei!“ Wakashimazu lief mit einem breiten Grinsen zu ihnen rüber, als er ihre Anwesenheit bemerkte. „Schön euch wieder zusammen zu sehen, Genzo, ich freu mich dass du da bist. Wann bist du hier angekommen?“
„Vor drei Tagen.“
„Vor drei Tagen? Und du hast mir nichts davon gesagt?“ Ken blickte Hyuga vorwurfsvoll an. „Also wirklich, so etwas vor mir geheim zu halten, wo ich doch derjenige war, der dir geraten hat...“
„Ken, jetzt beruhige dich erstmal für einen Augenblick“ fiel ihm Hyuga ins Wort. „Können wir mal kurz unter vier Augen sprechen?“
„Klar Kapitän.“
„Ich bin gleich wieder da“ sagte Kojiro zu seinem Freund und ging mit Wakashimazu weg. Genzo sah ihnen misstrauisch nach. [Hat Kojiro irgendwelche Geheimnisse vor mir? Warum muss er mit Wakashimazu unbedingt alleine reden?]
„Was ist los Kojiro? Warum wolltest du mich alleine sprechen?“
„Ich wollte dich einfach darum bitten, dass du nicht gleich mit soviel Enthusiasmus auf mich und Genzo zugehst. Das ist in unserer jetzigen Situation ziemlich unangebracht.“
„Was?! Aber wieso denn?! Seit ihr denn nicht wieder zusammen?“
„Doch, sind wir, zumindest offiziell. In Wirklichkeit ist aber längst nicht alles so, wie es sein sollte.“
„Aber... du hast ihm doch verziehen, oder? Du hast getan was ich dir geraten habe? Hast dich endlich dazu durchgekämpft ihn anzurufen?“
„Nein, eigentlich... Er hat mir plötzlich einen Besuch abgestattet. Vor drei Tagen ist er hierher gefahren. Er hat mich gebeten, dass ich ihm verzeihe... und ich hab‘s getan.“
„Na dann ist ja alles perfekt, oder? Alles ist genau so verlaufen, wie du‘s wolltest. Du hast sogar deinen ‚kostbaren‘ Stolz bewahrt, musstest nicht den ersten Schritt machen. Worin liegt also das Problem?“
„Das ist... eine etwas kompliziertere Angelegenheit. Ich hab jetzt nicht genug Zeit um dir das zu erklären. Hast du heute Nachmittag Zeit? Wir könnten uns dann treffen und uns in Ruhe unterhalten.“
„Klar, für dich hab ich doch immer Zeit.“
Genzo hat schon lang nicht mehr ein so hartes Training erlebt. Müde ging er nach Trainingsende zur Bank, setzte sich hin und trank gierig ein paar Schlücke Wasser. Dann blickte er sich nach Kojiro um. Der Mannschaftskapitän stand ein paar Meter weiter, unterhielt sich mit einigen seiner Teamkameraden. Kurz darauf ging er zu Wakabayashi rüber.
„Geh du schon mal ohne mich los, ich hab hier noch was zu erledigen.“
„Zu erledigen? Was denn?“
„Es wird nicht lange dauern, ich bin bald wieder zu Hause. Wir sehen uns später“ Hyuga drehte sich um und ging zurück zu seinen Teamkameraden.
[‚Wir sehen uns später‘? Das war aber nicht wirklich die Antwort auf meine Frage. Versuchst du mir was zu verheimlichen?] Langsam stand der Keeper auf, nahm seine Sachen und ging los. [Ich werd mit ihm später darüber reden, wenn er wieder zu Hause ist. So kann es doch nicht weitergehen...]
Am Abend saß Wakabayashi allein in dem Zimmer, das er mit Kojiro und seinem kleinen Bruder teilte, und wartete ungeduldig auf seinen Freund. Mittlerweile waren über zwei Stunden vergangen. [Wo ist er, was macht er so lange? ‚Es wird nicht lange dauern‘... Was hatte er denn so wichtiges noch zu erledigen? Hatte das was mit Wakashimazu zu tun? Die zwei haben sich doch über irgendetwas unterhalten. Haben sie über mich geredet? Oder ist es...] Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür aufging. Ins Zimmer spazierte Hyuga. Er sah kurz zu Genzo, ging dann zum Schrank rüber und öffnete ihn.
„Wo warst du?“ fragte der Torhüter mit sanfter und doch entschlossener Stimme.
„Bei Ken“ antwortete Hyuga lakonisch und fing an sich umzuziehen. Genzo sah ihm kurz dabei zu, fragte dann weiter:
„Warum bist du allein gegangen? Wollte Wakashimazu mich nicht dabei haben?“
„Er wollte einfach mit mir allein reden, das hat nichts mit dir zu tun.“
Wieder wurde es für einen kurzen Moment still, bis Wakabayashi sein Verhör fortsetzte:
„Kojiro, sei ehrlich mit mir... Ist zwischen dir und Wakashimazu etwas?“
[DU wirfst MIR Betrug vor? Ganz schön unverschämt in deiner Lage.]
„Nein, da ist nichts“ antwortete Hyuga trotz allem ruhig.
„Sicher?“
Kojiro drehte sich langsam mit dem Gesicht zu Genzo, sah ihn ernst an. [Will er etwa meine Geduld auf die Probe stellen? Noch so eine Frage und ich werde wirklich sauer.]
„Ich habe dir noch nie einen Grund zur Eifersucht gegeben, also verstehe ich nicht wieso es dir so schwer fällt mir zu vertrauen.“
„Nein, das ist es nicht, ich vertraue dir doch, aber...“
„Aber du denkst dass ich mich an meinen besten Freund ranmache?“
„Es wundert mich einfach nur... ich versuche einen Grund zu finden...“
„Einen Grund? Für was?“
„... Dafür, dass du so kalt zu mir bist.“
„Du bildest dir was ein. Ich bin doch nicht kalt zu dir.“
„Du hältst mich die ganze Zeit auf Distanz, das spüre ich deutlich. Seit wir wieder zusammen sind, hast du mich kein einziges mal geküßt... oder wenigstens umarmt. Wenn ich selbst versuche dir näher zu kommen, blockst du sofort ab...“
„Es ist wegen meiner Geschwister. Ich will nicht, dass sie uns zusammen sehen, etwas merken.“
„Das ist nicht der Grund, das ist nur eine dumme Ausrede. Du hast die gleiche Ausrede benutzt, als wir anfingen zusammen zu sein. Da hast du auch ständig wiederholt, dass du nicht willst, dass uns jemand zusammen sieht... und in Wahrheit warst du einfach noch nicht bereit auf meine Gefühle einzugehen. Diese Etappe haben wir längst hinter uns, deswegen wundert es mich, dass du dich jetzt genauso verhältst, wie damals. Und ich möchte wissen, wieso du das tust.“
[Er kennt mich wirklich gut, viel zu gut. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als ihm die Wahrheit zu sagen. Toll, dabei hab ich das doch heute schon mit Ken durchgekaut.]
„In Ordnung. Ich gebe zu, das mit meinen Geschwistern ist nur die halbe Wahrheit. Vielleicht halte ich dich wirklich auf Distanz, aber das ist nun mal etwas, womit du dich eine Zeit lang abfinden musst.“
„Aber warum tust du das? Warum Kojiro?“
„Wenn du mich so gut kennst, solltest du imstande sein selbst den Grund zu erraten, aber ich sag es dir trotzdem. Nicht dass du weiter solche genialen Theorien, wie eine Romanze zwischen mir und Ken schmiedest.“
„Es war eben eine Möglichkeit, die mir in den Sinn kam. Ich meine... irgendeinen Grund muss es doch geben...“
„Du hast schon Recht, unsere jetzige Situation ist wirklich ähnlich wie die von den Anfängen unserer Beziehung. Ich kann auf deine Gefühle nicht eingehen. Es ist so weil... Ich hab mich immer noch nicht vollkommen mit dem abgefunden, was du getan hast. Ich brauche Zeit, um mit dem klar zu kommen. Ich will mit dir zusammen sein... aber ich brauche Zeit. Bist du jetzt mir meiner Antwort zufrieden? Und kannst du mir die nötige Zeit geben?“
„Natürlich ist das für mich kein Grund zur Freude, aber jetzt muss ich mir wenigstens nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, weswegen du dich so verhältst. Und selbstverständlich gebe ich dir Zeit. Nimm dir soviel Zeit du brauchst, Hauptsache, dass es irgendwann mal wieder so zwischen uns sein kann, wie‘s früher mal war. Nur das zählt für mich.“
„Das wird es bestimmt, irgendwann einmal...“
„Kojiro, ich... dürfte ich dich nur um eine, einzige Sache bitten?“
„Worum?“
„Ich verstehe ja, dass du deine Gründe hast, aber... ich... ich sehne mich so sehr nach deiner Nähe. Es zerreißt mir das Herz, dass du so nah und doch so fern bist. Gerade jetzt würde ich mich am liebsten in deine Arme werfen... aber ich kann nicht, weil ich weiß, dass du das nicht willst. Ich brauche dich, ich brauche deine Nähe um mich lebendig zu fühlen. Deswegen habe ich eine Bitte an dich: könntest du mich... nur für einen kurzen Augenblick... könntest du mich in die Arme nehmen? Ich möchte dich wenigstens für einen Moment spüren...“
Hyuga blickte ihn verwundert an. [Meint er das wirklich ernst? Bin ich ihm so wichtig? Es fällt mir wirklich schwer... zu glauben, dass er mich so sehr liebt... Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich mal jemandem soviel bedeuten würde. Ein erschreckendes und zugleich wunderschönes Gefühl...] Er ging zum Bett rüber, setzte sich neben Wakabayashi und umarmte ihn. Genzo presste sich aus ganzer Kraft an seinen Körper, während Kojiro, noch immer verwundert, ihm sanft über den Rücken streichelte. Als Hyuga ihn wieder losließ, blickte Genzo ihn mit einem leichten Lächeln an.
„Danke Kojiro. Das hab ich wirklich gebraucht.“
„Genzo... liebst du mich wirklich so sehr?“
„Mehr als du denkst. Du bist die Liebe meines Lebens Kojiro.“
[Das zu wissen... Das reicht mir vollkommen aus.] Hyuga fasste an sein Kinn, starrte Genzo wie hypnotisiert an. Langsam lehnte er sich nach vorne. Genzo schloß die Augen, wartete hoffnungsvoll, dass Hyuga ihn küsst. Kojiro bog den Kopf zur Seite und gerade wollte er ihn küssen, als er plötzlich ein lautes klopfen an der Tür vernahm. Beide fuhren erschrocken auseinander.
„Kojiro, Genzo, das Abendessen ist fertig!“
„Wir kommen!“ erwiderte Hyuga, sah Wakabayashi verlegen an. „Wir... wir sollten jetzt gehen... was essen...“
„Ja, natürlich...“ antwortete Genzo, versuchte dabei so gut wie nur möglich seine Enttäuschung zu verbergen.