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Parasitäre Lebensform

Schuldig & Aya
von

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Invasion

Jeder Mensch ist allein...

Aya stand in der Küche und starrte aus dem Fenster, während er auf das Klicken des Wasserkochers wartete. In absehbarer Zeit wäre er auch wieder allein...

Schweigend sah er in den Garten, beobachtete, wie der Wind durch die Krone des Baumes strich, hier und da schon die ersten Blätter mitnahm.

Allein...

Störte ihn das? Nein. Allein zu sein war kein Problem. Es war sogar gut, man wurde nicht von anderen genervt, musste sich nur um sich selbst kümmern.

Das Problem war...
 

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere.

Das Problem war vielmehr, wenn man Leute um sich hatte - nein, nicht einfach Leute: Freunde - und trotzdem allein war. Wenn man es einfach nicht schaffte, sich ihnen zu öffnen. - Und er wusste ganz genau, dass es nicht an ihnen lag. Es lag an ihm.

Nicht einmal Sakura hatte er sich geöffnet. Sie hatte ihn wirklich geliebt, das wusste er. Und es hatte ihn Hoffnung schöpfen lassen. Er hatte ihr von sich erzählen wollen. Von der Schuld, den Albträumen, dem Gefühl der Sinnlosigkeit...

Und dann hatte er sie angesehen und es nicht fertig gebracht, ihr Bild von ihm zu zerstören. Dieses Bild von einem Helden, der für die Gerechtigkeit kämpft...

Sie hatte ihn geliebt. Aber sie hätte ihn nie verstanden.
 

Das Schlimme war, dass er sich nicht einmal mehr erinnerte, wie es war, jemanden wirklich an sich heran zu lassen. Und er war sich auch schon seit einiger Zeit nicht mehr sicher, ob Ran es je gewusst hatte.

Vielleicht war es hoffnungslos. Vielleicht konnte er den Namen und das Leben wechseln so oft er wollte und es würde sich nichts ändern. Einfach, weil er so war, weil er nie anders gewesen war und sich auch nie ändern würde.

Er seufzte, riss sich vom Anblick des rot und gelb gefärbten Baumes los und wandte sich dem Wasserkocher zu. Er war ausgegangen, das Klicken musste er überhört haben.

Das Wasser war aber noch heiß und er goss den Tee auf.
 

Das gedämpfte Fluchen aus dem Bad drang wieder zu ihm durch und erinnerte ihn daran, dass Schuldig gerade seine Verbände wechselte. Wie konnte das denn so lange dauern?

Er ging zum Bad, lehnte sich gegen den Türrahmen und beobachtete, wie Schuldig vorm Spiegel stand und konzentriert versuchte, sich nur mit Links einen neuen Verband anzulegen.

Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln stellte er fest, dass sein schwarzer Pullover offenbar einfach auf den Boden gepfeffert worden war. Wenn der Deutsche schon seine Sachen tragen musste, konnte er dann nicht wenigstens...
 

"Fuck! Warum hält denn diese Scheiße nicht?", unterbrach eben jener Deutsche Ayas Gedankengänge, als die Mullbinden wieder verrutschten und nur noch lose über seiner Schulter hingen.

"Brauchst du Hilfe?"

Schuldig drehte sich überrascht zu Aya um und sah ihn dann verärgert an. "Tu dir bloß keinen Zwang an. Du kannst auch gern weiter zugucken.", erwiderte er bissig.

"Okay." Aya zuckte nur die Schultern. Er konnte auch gut damit leben, Schuldig nicht zu helfen, vor allem, weil er sich selbst wunderte, wieso er überhaupt seine Hilfe angeboten hatte. Also blieb er in der Tür stehen und beobachtete mit einem Hauch von Schadenfreude, wie auch der nächste Versuch, einen einigermaßen haltenden Verband herzustellen, misslang. Der wievielte das wohl jetzt schon war?

"Der fünfte. Mein Schnitt liegt bei sieben." Schuldig setzte sich mit einem genervten Seufzen auf den Wannenrand und sah auffordernd zu Aya hinüber. "Jetzt hilf mir schon und tu nicht so als hättest du noch nie was von Sarkasmus gehört."

Aya hob fragend eine Augenbraue. Warum war der denn so gereizt? Er zögerte noch einen Augenblick, dann ging er zu Schuldig hinüber, rückte die Kompresse wieder gerade über die nur langsam verheilende Wunde an der Schulter und befestigte sie, indem er die Binde fest um Schulter und Oberkörper schlang. Keine zwei Minuten später steckte er das Ende des Verbandes mit einer Sicherheitsnadel fest. Und was war daran jetzt so schwer gewesen?

"Ach, lass mich doch in Ruhe! Mit zwei Händen ist das natürlich kein Problem."

Aya ignorierte Schuldigs Genörgel einfach und wandte sich der Wunde an der Seite zu, die nicht so tief und auch schon viel besser verheilt war. Da konnte er sich den Aufriss mit einer Kompresse sparen und einfach eins von den großen Pflastern raufkleben, die er gestern in der Apotheke gekauft hatte.

"Was denn? Du hast auch Pflaster? Und dann lässt du mich hier mit diesen scheiß Verbänden rumhantieren, ohne was zu sagen?", rief Schuldig ihm hinterher, als er das Bad verließ.

"Gott, hab dich nicht so. Ich hab's eben vergessen. Außerdem ist bei der Wunde, die du an der Schulter hast ein richtiger Verband besser. Und du hattest doch sowieso Langeweile." Beim letzten Satz betrat Aya das Bad wieder, in der Hand eine kleine Tüte mit überdimensionalen Pflastern und weiteren Mullbinden. Ich wundere mich eher, dass du die Tüte nicht von selbst gefunden hast. Sag bloß, du hast seit gestern nicht mehr in meinen Sachen gewühlt." Er ließ sich vor Schuldig auf die Knie sinken, um die Wunde in Augenhöhe zu haben, und fing an, sie zu desinfizieren.

"Nein. Stell dir vor, ich hab tatsächlich versucht, mich an unser Abkommen zu halten."

Schuldig sah zu, wie der Rotschopf eines der Pflaster auspackte und es aufklebte. "Außerdem war es nicht sehr spannend, deine Sachen zu durchsuchen. Wirklich, du hast ein ziemlich langweiliges Leben."

Aya erstarrte mitten in der Bewegung und sah wütend zu Schuldig auf. "Was soll das denn heißen?"

"Na, langweilig eben. Das Gegenteil von aufregend. Kein Stress, keine Freunde, keine Aufgaben, keine Ziele, keine Wünsche, nichts. Du bist einfach nur einsam." Es hatte nicht so verletzend klingen sollen. Schuldig hatte einfach schlechte Laune und niemanden außer Aya, an dem er sie auslassen konnte.

Nur dass es eventuell keine gute Idee war, schlechte Laune ausgerechnet an Aya auszulassen.

Der stand nämlich auf und maß Schuldig mit einem Blick, der alle Bisherigen an Mordpotential noch weit in den Schatten stellte.

Aber dann ging er einfach raus, nur ein Gedanke hing noch in der Luft. Wütend, feststellend, konzentriert und definitiv direkt an den Telepathen gerichtet: /Arschloch./

Schuldig sah ihm total verblüfft nach. Was war das denn gewesen? Hatte er jetzt irgendwas verpasst oder war Aya eben gegangen, ganz ohne Morddrohungen und versuchte Körperverletzung? Nur mit dieser, objektiv gesehen, harmlosen Beleidigung? Dabei hatte er sich bei dem Blick eben innerlich schon auf Mord und Totschlag eingestellt...

Irritiert stand er auf, hob den Pullover auf.

Warum hatte er das eigentlich gesagt? Das war doch total bescheuert gewesen.

Unnötig, kindisch, dämlich. Und war seine Laune jetzt um einen Deut besser? Hatte ihn das jetzt in irgend einer Weise aufgebaut?

Er ging zur nächsten Wand und schlug seinen Kopf dagegen, nahm mit einer gewissen Genugtuung den dumpfen Schmerz in seiner Stirn wahr.

Nein, natürlich hatte er kein schlechtes Gewissen! Warum auch? War doch nicht sein Problem, wenn andere Leute nicht mit der Wahrheit klar kamen. Was hatte er damit zu tun?

Viel entscheidender war doch die Frage, warum er sich nicht besser fühlte. Andern Leuten Dinge zu sagen, die sie nicht hören wollten, war doch sonst immer ein todsicheres Mittel, um Stress abzubauen. Und jetzt fühlte er sich noch schlechter als vorhin...
 

Scheiße! Irgendwas lief hier ganz gehörig falsch.

Schuldig zog sich den Pullover über den Kopf, während er zum Waschbecken herüberging und spritzte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Dann stützte er sich schwer auf die glatte weiße Keramik und starrte in den Spiegel, in sein verwirrtes Gesicht, seine müden Augen.

Was war es? Was stimmte hier nicht? Warum hatte er das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben? Warum taten ihm seine Worte leid? Warum...

Moment! Ihm tat nichts leid! Das war ja wohl ganz klar nicht möglich. Reue war Zeitverschwendung, belanglose Heuchelei! Und was sollte es ihn schon interessieren, wie Aya sich fühlte?

Wenn es dem überhaupt etwas ausgemacht hatte... Aber warum sollte es das?

Und wenn schon! Es war ja nun bei Gott nicht so, als ob es ihn interessierte! Aya war ihm doch letztendlich total egal.

Völlig gleichgültig!", erklärte er seinem verwirrten, unsicheren Gegenüber noch mal nachdrücklich. Aber seine Stimme klang wohl nicht sehr überzeugend und sein Spiegelbild wandte nur beschämt den Blick ab.
 

~*~
 

Nichts... keine Wünsche, keine Ziele, keine Freunde...

Mit hastigen Schritten durchquerte Aya die Küche, flüchtete zur Tür. Nur raus hier, weg hier.

Nichts... kein Sinn...

War es wirklich so? War das sein Leben? Nur eine bedeutungslose Ansammlung von Negationen, auf die selbst so ein blöder Junkie und Nichtsnutz verächtlich herabsah?

War es das?

Herbstliche Kälte und blaue Dämmerung brachen über ihm zusammen. Die Sonne war schon hinter den schwarzen Silhouetten der Bäume verschwunden und malte nur noch einige zartrosa Streifen auf die Unterseite der Wolken.

Aya sah gar nicht hin, lief einfach weiter über die Wiese.

Einsam... einfach nur einsam...

War das sein Leben?

Wofür lebte er denn? Wofür kämpfte er?

Er blieb stehen, den Rücken zum Haus.

Er kämpfte nicht mehr. Natürlich nicht. Wofür denn auch? Für wen?

Früher hatte er für seine Rache gekämpft, für seine Schwester gelebt. Und jetzt?

Natürlich war Aya-chan noch da - irgendwo weit weg. Aber brauchte sie ihn denn noch? Sie kam doch zurecht, hatte ihr Leben und rief ihn fast jeden Tag an, weil sie sich Sorgen um ihn machte.

Und? Konnte er irgendetwas für sie tun? Für sie oder für irgendjemanden?

... keine Wünsche, keine Ziele...

War es denn nicht genau so?

Er hatte doch erreicht, was er wollte. Er hatte ihre Eltern gerächt. Und Aya lebte wieder, hatte es irgendwie geschafft, trotz dieser Katastrophe, die da über ihre Familie hereingebrochen war, glücklich zu werden und weiter ihren Traum zu verfolgen.

Er bewunderte sie maßlos dafür, dass sie es scheinbar so mühelos geschafft hatte, weiter zu machen.
 

Er hatte es ihr auch gesagt und sie hatte ihn umarmt und gesagt, dass es auch für sie nicht leicht wäre, dass sie ihre Eltern vermisse. "Aber das Leben geht weiter und ich will nicht zurück bleiben. Das ist alles so traurig und ungerecht, aber niemand kann es ändern. Du musst damit leben und versuchen , dich auf dich selbst zu konzentrieren. Für mich ist das einfacher als für dich.

Du hast schon so lange nur für mich gelebt." Sie hatte ihn fester an sich gedrückt, dann hatte sie sich gelöst und ihm fest in die Augen gesehen. "Wenn ich gehe und glücklich werde... versprich mir, dass du Weiß verlässt und dein eigenes Leben führst."
 

Aya seufzte und sah auf das gelb verfärbte Gras zu seinen Füßen.

Er hatte es doch versucht. Er war hier und führte ein normales Leben. Da gab es nichts verdächtiges, nichts ungewöhnliches mehr, bis auf das Katana unterm Bett. Er ging morgens zur Arbeit und kam abends wieder nach Hause. So machten es alle. Die meisten Menschen lebten so...

Warum war das nur alles so verdammt... ja, was? ... unbefriedigend? Frustrierend?

Nein, er hatte seine Ruhe, konnte sich auf sich konzentrieren, so wie Aya es gesagt hatte.

Ach, das war doch zum Verrücktwerden! Wie lange konnte man sich denn schon glaubwürdig vormachen, dass diese Mischung aus Langeweile, Leere und Einsamkeit, die sein Leben ausmachten, Ruhe war?

Er wollte sich nicht auf sich selbst konzentrieren. Da war nichts. Wer war er denn?

Aya? Abyssinian? Ran?

Aya hatte seinen Zweck erfüllt, der konnte doch sowieso kein normales Leben führen.

Abyssinian war immer unangenehm gewesen, von dem wollte sowieso niemand etwas wissen.

Und Ran?

Ran war über zwei Jahre lang tot gewesen. Er konnte sich kaum noch an ihn erinnern und immer, wenn er versuchte, wieder diese Person zu werden, spürte er nur umso deutlicher, dass er nichts mehr mit ihm gemein hatte.

Ein Geräusch hinter sich ließ ihn herumfahren. Im schwindenden, grünlich blauen Licht der Dämmerung erkannte er Schuldigs Gesicht. Der Ausdruck war ungewohnt. Kein Grinsen, nicht diese überlegene Selbstzufriedenheit, es wirkte verlegen.

Warum war er nicht wütend auf diesen Mann? Warum stand er hier und starrte ihn an, anstatt ihn anzugreifen? Warum konnte er ihm nicht einfach die Schuld geben, an allem, was in seinem Leben schief gelaufen war? Es wäre doch so einfach!

Und Schuldig starrte ihn auch einfach nur an, schien irgendetwas sagen zu wollen, es aber nicht über die Lippen zu bringen. Was war mit dem los? Der redete doch sonst auch pausenlos und ohne nachzudenken.

Wütend riss er seinen Blick von diesem hellen Fleck in der Dunkelheit los und stapfte zurück ins Haus. Nach wenigen Schritten hörte er, dass Schuldig ihm folgte.

Als er in die Küche kam, machte er das Licht an und setzte sich an den Tisch. Der Tee war nicht mehr heiß, aber immer noch warm, als er sich eine Tasse eingoss und langsam anfing zu trinken.

Es dauerte eine Weile, bis Schuldig im Lichtkegel des Küchenfensters erschien und dann zögernd die Tür öffnete. Schweigend setzte er sich an den Tisch und sah sein Gegenüber weiter nachdenklich an.

Was sollte das denn jetzt? War das eine neue Masche, um ihn in den Wahnsinn zu treiben?

Konnte dieser Idiot ihn denn nicht einfach in Ruhe lassen?

Schuldig wandte den Blick ab. "Ich... hm... tut mir leid."

"Es tut dir leid?", zischte Aya wütend, "Was denn? Dass du hier auftauchst, mir sagst, wie erbärmlich mein Leben ist, und dann einfach wieder gehst? Ich brauch dein Mitleid nicht! Du gehst doch sowieso bald wieder. Was gibt dir also das Recht, irgendeinem Kommentar zu meinem Leben abzugeben?"

"Wär's dir lieber, wenn ich bleibe?"

Aya starrte Schuldig ungläubig an. "Nein, natürlich nicht! Wie kommst du darauf?" Warum sollte er denn bitte diese wandelnde Katastrophe länger in seiner Nähe haben wollen? In nur knapp drei Tagen hatte Schuldig sich hier eingerichtet, als wollte er gar nicht mehr gehen. Er bediente sich dreist an Ayas Kleiderschrank, leerte den Kühlschrank und brachte die ganze Wohnung in Unordnung. Es war zum Verrücktwerden, aber irgendwie...

Aya dachte den Gedanken nicht zuende.

"Ja?" Schuldig sah ihn gespannt an.

"Hör auf damit! Das geht dich nichts an! Hast du eigentlich gar keinen Respekt vor Privatsphäre?"

Schuldig schüttelte nur grinsend den Kopf.

Aya seufzte. Warum fragte er eigentlich? Und warum dachte er ernsthaft über Schuldigs Frage nach? Das war doch Blödsinn. Nur wieder einer von diesen dummen Witzen, mit denen sich Schuldig über ihn lustig machte.

"Nein, das war völlig-" Schuldig stockte. Sein Blick wurde für wenige Augenblicke starr und leer. "Sie kommen. Mehr als ich dachte."

Aya wirkte mit einem Schlag völlig verändert. Alarmiert, kühl und beherrscht. Er sprang sofort auf und war schon auf dem Weg zum Schlafzimmer. "Wie viele?"

"Mehr als das letzte Mal." Schuldig folgte ihm. "Mehr als fünf."

Aya kniete neben dem Bett und holte ein in rotschwarzen Stoff eingeschlagenes Bündel hervor. "Geht's nicht ein bisschen genauer?" Er löste mit schnellen, präzisen Bewegungen die Kordel und befreite sein Katana aus den Stoffbahnen.

"Nein, ich kann sie schwer auseinander halten. Aber es sind ziemlich viele..."

"Wie viel Zeit noch?"

"Eine Minute? Sie steigen gerade aus den Autos."

Mit schnellen Schritten ging Aya in die Küche, wo er die Tür abschloss, und durchquerte dann das Wohnzimmer, um sich dort mit erhobenem Katana wartend neben die Eingangstür zu stellen.

"Du hast nicht zufällig noch ne Waffe für mich?"

Aya drehte sich etwas überrascht zu Schuldig um, der ihm gefolgt war und jetzt nur wenige Schritte hinter ihm stand. "Nein. Höchstens noch Küchenmesser."

Schuldig stöhnte auf. "Dann haben wir keine Chance. Wir sollten besser fliehen, solange das noch möglich ist." Er griff nach Ayas Handgelenk und zog ihn hinter sich her.

"Was soll das werden?"

"Wir gehen zum Hinterausgang und hoffen, dass sie uns nicht folgen."

"Nein." Aya riss sich mit einem Ruck los und funkelte Schuldig wütend an. "Dir mag es ja egal sein, was mit meinem Haus passiert, aber ich habe nicht vor, es mir einfach gefallen zu lassen, wenn eine Horde Leute durchstürmt und hier wer-weiß-was anstellt. Und überhaupt, wo sollen wir denn hin?"

"Ist doch egal! Die haben automatische Schusswaffen und wir haben ein Katana und Küchenmesser. Die sind mindestens zu siebt und wir sind gerade mal zwei." Er wollte wieder nach Aya greifen, der wich aber aus und brachte noch in der selben Bewegung das Katana zwischen sich und Schuldig. Schuldig stutzte als er Ayas Gesicht sah. Kalt, ausdruckslos, berechnend, genau, wie er es von früher kannte.

"Ich. Werde. NICHT. Weglaufen! Wenn du gehen willst, dann geh. Aber wenn du mir in die Quere kommst..."

Die Vordertür flog mit einem Knall auf, dann überschlugen sich die Ereignisse.

Aya fuhr herum, duckte sich unter die Schusslinie, machte ein paar Schritte und erstach den ersten der hereinstürmenden Männer, sodass er kurz hinter der Eingangstür liegen blieb.

Die ersten Schüsse peitschten durch die Luft. Das Holz der alten Wanduhr zersplitterte, zarter Rauch kräuselte sich um das Loch in der Wand, eine Kugel zerriss beinahe geräuschlos die Bespannung des Sofas.

Einer der Männer stolperte über den Toten vor der Tür und die Klinge, die sich zwischen seine Schulterblätter bohrte, beschleunigte seinen Fall.

Noch ehe er den Boden berührte hatte Aya sein Katana auch schon wieder aus dem Brustkorb des Sterbenden gezogen und stürzte sich auf den nächsten Angreifer.

Wieder knallten Schüsse. Aya duckte sich instinktiv, machte gleich darauf einen Satz nach vorn und stieß seinem Gegner das Katana in den Bauch.

Er spürte, wie der Körper vor sich nach unten sackte und sprang einen Schritt zurück.

Hastig sah er sich um, versuchte die Situation neu einzuschätzen und sah direkt in den Lauf einer Pistole. Reflexartig sprang er zur Seite.

Zu langsam. Er hörte den Schuss, spürte, wie er fiel, und dann war ihm, als würde ein Hammerschlag seine Schläfe treffen.

Einen Moment drohte er, ohnmächtig zu werden, zwang sich dann aber die Augen zu öffnen. Er lag auf dem Boden vor einem der Sessel. Der Angreifer stand vor ihm, die Mündung war wieder direkt auf ihn gerichtet. So schnell konnte er nicht ausweichen.

Dann stutzte er. Immer noch kein Schuss? Ruhe?

"Aya! Worauf wartest du? Komm da weg!" Schuldig war plötzlich neben ihm. Seine Stimme klang seltsam, fast panisch. Er zog ihn hastig auf die Füße.

Zu viel Schwung, zu schnell. Aya wurde schwarz vor Augen, sein Kopf dröhnte. Er stolperte, stürzte und hielt sich an Schuldigs Schultern fest.

Der zog scharf die Luft ein, als Aya die Wunde an seiner Schulter traf, schleppte den Anderen aber zur Couch und ließ ihn dahinter fallen.

Keine Sekunde zu früh, denn plötzlich erschallten wieder mehrere Schüsse auf einmal.

Der Typ, der Aya gerade erschießen wollte sah einen Moment lang verblüfft auf die Leere Stelle zu seinen Füßen, dann riss ihn ein Schuss aus Richtung des Sofas von den Füßen.

Schuldig hatte sich eine der Waffen von Ayas Opfern geholt und sich hinter der Couch verschanzt. Eine scheiß Deckung. Und er fragte sich, wie viel Munition er noch hatte.

Von den sieben Killern, die er geschätzt hatte, dürften jetzt nur noch drei übrig sein, aber er spürte noch wesentlich mehr Präsenzen. Und wenn er sich nicht irrte, umrundeten mindestens fünf gerade das Haus, um von hinten angreifen zu können.

Wenn sie es schafften, sah es mit dem Sofa als improvisiertem Wall düster aus. Das war den Angreifern anscheinend auch klar, denn sie starteten keine ernsthaften Versuche, schienen ihn nur in Schach zu halten. Vielleicht waren sie auch nur kurzzeitig verwirrt über das unerklärliche Verschwinden ihrer Opfer.

Schuldig gab noch einen Warnschuss ab, dann warf er einen besorgten Blick auf Aya. Das Blut aus der Wunde seitlich über seinem linken Auge lief ihm übers Gesicht. Seine Haut war ganz bleich, fast schon weiß.

Aber es konnte eigentlich nur ein Streifschuss sein, denn Schuldig nahm immer noch Ayas etwas wirre Gedanken wahr.

~Aya, wach auf! Wir müssen hier weg. Es sind mehr als ich dachte.~

Aya stöhnte auf, versuchte die Augen zu öffnen.

~Ich schwör dir, wenn ich dich hier rausschleppen muss, bring ich dich um!~

Die Gedanken wurden klarer, Ayas Mund verzog sich spöttisch. /Wär' das nicht sehr umständlich?/

Schuldig grinste erleichtert. Aya war also wieder bei Bewusstsein.

Ein lautes Klirren aus der Küche sagte Schuldig, dass man dort offenbar die weniger elegante Art gewählt hatte, ein Fenster zu öffnen.

Er sah sich hektisch nach dem Durchgang zur Küche um. Noch waren sie nicht drinnen. Wie lang noch? Dreißig Sekunden?

Scheiße, die Typen jenseits der Couch hatten auch Verstärkung erhalten und näherten sich vorsichtig.

Schuldig blickte sich nach Fluchtwegen um. Sein Blick blieb am Wohnzimmerfenster hängen.

Von dort war es auch nicht mehr sehr weit bis zu Ayas Wagen...

~Aya?~

Der Angesprochene lag immer noch auf dem Boden vor dem Sofa. /Hm?/

~Was machst du da? Willst du nicht bald mal aufstehen?~

Tatsächlich öffnete Aya die Augen und richtete sich zögernd auf. /Aah, Kopfschmerzen!/

~Schaffst du es allein durchs Fenster und zum Wagen?~

Aya zuckte unsicher mit den Schultern. /Vielleicht.../

Schuldig nickte und konzentrierte sich auf die Präsenzen ihrer Gegner. Nach wenigen

Sekunden hatte er alle.

~Okay, wir 'teleportieren' uns gleich. Wenn ich Jetzt sage, haben wir ungefähr fünfzehn Sekunden.~

Aya nickte. Er kam auf die Füße, hockte sich hin. Sein Körper spannte sich wieder an.

In der Küche war es ruhig geworden. Jetzt waren alle im Haus.

Dann erschallte ein kurzer, bellender Ruf und im Durchgang zur Küche erschienen drei

Männer mit erhobenen Waffen. Noch ehe sie schießen konnten, hatte Schuldig sie ausgeschaltet und sie standen nur noch dumm in der Gegend rum. ~JETZT~

Fünfzehn Sekunden.

Aya rannte zum Fenster und öffnete es hastig, während Schuldig die Killer im Auge behielt.

Sicher war sicher und er wollte nicht überrascht werden, falls einer von ihnen früher wieder aufwachte.

Zehn Sekunden.

Er hörte, wie sich Aya draußen ins Gras fallen lies. /Komm!/

Noch ein prüfender Blick in die Runde, ein paar Schritte rückwärts und Schuldig drehte sich um und flankte durchs offene Fenster.

Sieben Sekunden.

Aya rannte zum Wagen, dicht gefolgt von Schuldig. Fünfzig Meter.

~Ich fahre.~

Zwei Sekunden.

Aya lief zur Beifahrertür und wollte sie öffnen. "Scheiße, die Schlüssel!"

Die Zentralverrieglung knackte und die Tür ging auf. Aya ließ sich auf den Sitz sinken und sah in Schuldigs grinsendes Gesicht.

"Die hab ich mir während deiner Kamikaze-Aktion geholt..."

Schüsse aus dem Haus, Verwirrung, suchende Blicke, die schließlich am offenen Fenster hängen blieben.

Schuldig startete den Wagen und fuhr mit aufheulendem Motor los. Als er auf die Straße fuhr, sah er schon die ersten Killer an der Haustür und hörte gleich darauf Schüsse. Die linke hintere Seitenscheibe wurde von einer Kugel durchschlagen und zerbarst.

Der Wagen jagte weiter die Straße entlang, aber die Verfolger ließen nicht lange auf sich warten. Schon bald sah Schuldig im Rückspiegel aufgeblendete Scheinwerfer näher kommen. Weiter vorne war eine Kurve. Schuldig konzentrierte sich, suchte die Präsenzen, der beiden Fahrer.

Er war erschöpft, aber zwei Leute, das musste noch zu schaffen sein.

Der Wagen neigte sich bedenklich zur Seite, als Schuldig viel zu schnell in die Kurve fuhr.

Im Rückspiegel konnte Schuldig verfolgen, wie die beiden schwarzen Wagen in voller Fahrt weiter geradeaus aufs Feld fuhren und sich einer von ihnen überschlug.

Er schaltete in den vierten Gang und sah zu, wie die Lichtpunkte auf dem Feld immer kleiner wurden und schließlich aus seinem Blickfeld verschwanden.
 


 

*************************
 

Und wohin die beiden jetzt fliehen,

wie Aya plant, seine Wohnung zu rächen

und wahrscheinlich auch, was es mit Feuerzeug und Wasserleiche auf sich hat,

erfahrt ihr im nächsten Teil.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  silvermoonstini
2008-02-23T03:11:03+00:00 23.02.2008 04:11
Jetzt kommt Spannung auf! *g* Juhu! Jetzt muss man nur noch rausfinden warum die denn überhaupt hinter Schuldig her sind, ich meine dass er die Wohnung demoliert hat erscheint mir nicht wirklich ein ausreuchender grund zu sein...
Von:  Jitzu
2006-12-02T20:56:33+00:00 02.12.2006 21:56
Wuuaaahhh *______* Was für ne geile FF!!! Wieso hast du so wenig Kommis? Das is nich fair!
Ich mag deinen Schreibstil^^ - wirklich!
Die Charaktere sind sehr gut getroffen und die Story ist wirklich gut durchdacht. Ich hab auch so einen Verdacht warum die hinter Schuldig her sind, aber man weiß ja nie» ^^
Du musst unbedingt weiterschreiben! Die Geschichte ist zu spannend um sie hier enden zu lassen. Ich fänd es auch wahnsinnig nett von dir wenn du mir eine ENS schreiben würdest, solltest du die FF fortsetzen.

~Jitzu~

Achja, die Stelle an der Schuldig Aya beim Lesen "zuhört" find ich irgendwie....geil xD Jemandem beim Lesen zuhörn *rofl* Das is gut^^
Von:  Anducar
2006-11-12T01:23:44+00:00 12.11.2006 02:23
Hey!

Du kannst doch nicht so einfach aufhören mit dieser genialen FF! Die Story ist richtig gut und dein Schreibstil gefällt mir auch! Ich finde es schade, dass du bisher so wenig Kommis erhalten hast. Aber lass dich doch bitte nicht davon abhalten, weiter zu schreiben. Ich find deine Geschichte toll, und bin gespannt wie's weiter geht.

LG Anducar

PS: Könntest du mir bitte eine ENS schreiben, wenn die Stroy weiter geht?


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