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How I met my love

von

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Fragen des Lebens

Es gibt Fragen im Leben die gehen einen nicht mehr aus dem Kopf. Da gibt es die kleinen Fragen.

Habe ich den Herd zu Hause ausgeschaltet bevor ich losgegangen bin? Ist die Stromrechnung bezahlt? Wie viel Zeit habe ich noch um für die Klausur zu lernen?

Oft unwichtig, klein. Am nächsten Morgen hat man sie meist schon wieder vergessen.

Dann gibt es natürlich noch diese, denen man eine größere Bedeutung beimisst.

Überlebe ich den nächsten Tag? Wann wird mein Kind geboren? Liebt sie/er mich?

Versteht mich jetzt nicht falsch, ich habe weder vor in nächster Zeit zu sterben, noch bringe ich ein Kind zur Welt. Wenn ich das könnte, wäre ich wohl in kürzester Zeit berühmter als der Papst und gefragter als eine Tüte Gummibärchen in einer Abnehmklinik.

Und mit der Liebe habe ich eigentlich auch nicht sonderlich viel am Hut.

Zumindest denke ich nicht viel drüber nach.

Aber eines wurmt mich doch. Die eine Frage, die ich mir selbst aus Angst vor der Antwort, oder vielleicht auch weil ich die Antwort einfach schlichtweg nicht weiß, nicht stellen möchte. Es versuche Sie zu verdrängen.
 

Was stimmt in meinem Leben nicht?
 

Denn eigentlich läuft alles ziemlich gut. Mehr als gut. Für einen Sechzehn-, fast Siebzehnjährigen bin ich im Kopf schon recht fit.

Ok, ich bin nicht gerade ein Überflieger in der Schule, aber es reicht um nicht durchzufallen. Durchschnittliche Noten eben.

Vom Äußeren habe ich an mir eigentlich auch nichts auszusetzen. Ich bin nicht zu dick und nicht zu dünn, nicht zu groß oder zu klein. Nicht so auffällig wie ein Punk, aber auch kein unauffälliger Streber mit Hornbrille.

Habe keine Muskeln wie Vin Diesel, bin aber auch keine Bohnenstange. Durchschnittlicher Durchschnitt. Das sollte mein zweiter Vorname werden...

Ich habe auch ganz normale Hobbys, die man in meinem Alter nun mal hat.

Gehe gerne mit meinen Freunden weg, habe meine ganz normalen, durch die Pubertät kommenden Differenzen mit meinen Eltern und seit kurzem sogar eine hübsche Freundin. Also zumindest sagen meine Kumpels dass sie hübsch ist, denn ich kann so was nicht wirklich gut einschätzen.

Sie meinen, dass ich mit ihr den perfekten Fang gemacht habe.

Wenn sie es sagen, muss wohl ein Fünkchen Wahrheit drin stecken, oder?

Mein Leben ist eigentlich nicht schlecht, ich bin sogar eigentlich immer derjenige der sagen kann ihm geht es gut, wenn alle über irgendwelche Dinge klagen, und sei es eine versaute Mathearbeit.

Nur interessiert es irgendwie auch niemanden wenn es dir gut geht, da Probleme allgemein viel interessanter sind. Muss wohl so ein Psycho-ding sein. Man will keine Probleme haben, aber redet unablässig darüber. Versucht sein Problem sogar dramatischer darzustellen als die der anderen.

Oh man. Tja was soll ich sagen? Mir geht es gut. Also zumindest sollte es mir gut gehen. Doch irgendwie fühle ich mich nicht so, kann aber einfach nicht sagen woran es liegt.

Hab mir sogar schon mal so eine Liste gemacht, die Leute schreiben wenn sie Pro und Kontra gegeneinander abwägen wollen, weil sie eine Entscheidung über irgendetwas fällen müssen.

Nur das bei mir auf einer recht vollen Seite alles Gute in meinem Leben stand und auf der anderen sehr leeren Seite, alles was mir fehlt, was mich belastet. Mir ist bei Gott absolut nichts eingefallen, außer dass ich mal wieder ein wenig mehr lernen müsste damit meine Mutter aufhört mir Vorträge zu halten. Frustriert hatte ich die Liste in den Papierkorb gepfeffert und bin mit meinen Kumpels Schwimmen gegangen.

Katrin, meine Freundin schwimmt nicht gerne. Eigentlich tut sie an sich nicht gerne das, was mich begeistert, außer die Sachen die Mädchen halt so tun. Keine Ahnung warum wir eigentlich zusammen sind. Na ja im Grunde ist auch nur meine Familie schuld dran, denn meine Schwester, Sheila, hatte vor ein paar Wochen ihren festen Freund mit nach Hause gebracht, um ihn unseren Eltern vorzustellen.

Schon seit einer halben Ewigkeit schwärmt sie schon von dem Typen. Er ist ihr Traumprinz, der einzig wahre. Der EINE, den sie vielleicht irgendwann mal heiraten wird. Bla bla.

Es ist bereits der dritte Kerl dieses Jahr, den sie uns auf diese Weise vorstellt. Mathias heißt er und scheint zumindest für mich eigentlich ganz ok zu sein. Aber das waren die anderen auch, bevor sie Sheila haben sitzen lassen. Dad betrachtet die Sache recht nüchtern. Beim Familienessen war er skeptisch und beäugte ihn ganz genau, wie ein typischer Vater eben, der seine kleine Prinzessin vor der bösen Männerwelt beschützen will. Dabei ist die kleine Prinzessin ein Jahr älter als ich und seit sie in der Pubertät angekommen ist, muss man eher die Jungs vor ihr in Sicherheit bringen, als umgekehrt. Nichts mehr mit kleine Prinzessin.

Dad tut mir schon irgendwie leid.

Unsere Mutter ist Feuer und Flamme für Sheilas neuen Freund, eigentlich ist sie das immer wenn sie einen Typen mit nach Hause bringt. Sie scheint einfach die Hoffnung nicht aufzugeben, dass es diesmal wirklich etwas ernsteres werden könnte und will sich natürlich von ihrer besten Seite zeigen.

Ich habe nur meine Mußestunden bei dem gemeinsamen Familienessen abgesessen und die Nase gerümpft, wenn meine Schwester ihrem Mathias verliebte Blicke zugeworfen hat.

Wie nervig solche Turteleien doch sind. Kann man so was nicht machen, wenn man unter sich ist?

„Verzieh nicht so das Gesicht!“

Ich streckte ihr als Antwort nur meine Zunge entgegen.

„Du bist so ein Kind! Mum, Kai soll aufhören mich zu ärgern!“

Empört schaute ich sie an. „Sie hat doch angefangen!“

Warum müssen Schwestern nur so anstrengend sein? Warum hat mir der liebe Gott nicht einen Bruder geschenkt? Nein, stattdessen habe ich einen braun gelockten Dämon bekommen, der den blonden Engel neben sich weiter bezirzte.

„Lass die beiden doch mal in Ruhe, Schatz.“, wollte meine Mutter mich beschwichtigen und legte mir ihre zierliche Hand auf die Schulter.

„Wenn du auch erst mal eine Freundin hast, wirst du das verstehen.“

Unsere Mum könnte glatt als Schlichter beim Amtsgericht arbeiten, die Männer würden sofort alle dahin schmelzen, wenn sie lächelt.

„Der kriegt doch nie eine ab, so wählerisch wie der Zwerg ist!“

„Hey! Ich bin nicht wählerisch und ein Zwerg auch nicht. Was kann ich dafür, wenn die Mädels in unserer Klasse alle nicht so der Bringer sind.“ Und das ist wirklich so, bisher konnte ich auch gut ohne Freundin leben.

„Und was ist mit Katrin? Der hast du letztens einen wirklich miesen Korb gegeben. Die ist doch in Ordnung und eigentlich auch viel zu hübsch für dich!“

Lieber Gott, ich fange sofort an an dich zu glauben, wenn du dir die ich-hätte-lieber-einen-Bruder-anstatt-einer-Schwester-Sache noch einmal rückwirkend überlegst!

„Wer ist Katrin?“, will Mum interessiert wissen.

Bevor ich was sagen konnte, stahl mir Sheila schon die Worte. „Ein Mädchen aus seiner Klasse. Sie ist wirklich nett und hat einen super Geschmack was Klamotten betrifft! Wir waren letztens zusammen Shoppen und...“

Ich hatte bereits abgeschaltet, als ich das Wort Klamotten hörte und starrte geistesabwesend meine Kartoffeln an und stocherte etwas darin herum.

Mathias schien es ähnlich zu gehen, denn auch wenn er so tat als interessiere er sich für jedes Wort meiner Schwester ertappte ich ihn dabei wie seine Augen abwesend zum Fenster hinaus starrten.

„...und als sie versuchte Kai auf ein Date einzuladen hat er einfach nur pampig geantwortet was das bringen sollte und sie dann ignoriert.“

Besorgte Augen musterten mich und mir wurde ganz komisch dabei.

„Schatz, du bist fast schon ein junger Mann...“

Ja das weiß ich auch. Danke Mum.

„...du solltest nicht immer so...unreif reagieren. Wer weiß, vielleicht ist sie ein wirklich nettes Mädchen? Wenn du gar nicht erst versuchst ihr zuzuhören, dann kann das ja auch nichts werden.“

„Ma~maaa! Ich hab einfach keine Lust auf so was. Eine Beziehung ist so anstrengend.“ Ich rollte mit den Augen.

Aber natürlich gab sie sich nicht einfach damit zufrieden.

„Ach Schatz, ich mach mir doch nur Sorgen, schließlich bist du so ganz alleine und...“

„Ich bin nicht alleine!“, fiel ich ihr empört ins Wort.

„Jonas und Basti sind schließlich auch noch da.“

„Das meine ich das doch auch gar nicht, Kai. Aber deine Freunde können nun mal nicht eine echte Beziehung ersetzen und was ist wenn sie auch mal eine Freundin haben? Ich will doch nur nicht, dass du unglücklich bist, wenn deine Freunde mit ihren Mädchen weggehen und du hier mit mir allein im Haus herum sitzt. Die jungen Leute heutzutage werden so schnell erwachsen...“ Sie warf dabei einen langen Seitenblick auf Sheila und Mathias, die schon wieder damit beschäftigten waren sich verliebt anzuglotzen und Händchen zu halten.

„Versprich mir einfach, dass du dir nicht aus Trotz vielleicht eine Zukunft mit einem netten Mädchen verbaust, nur weil du lieber mit Jonas Videospiele spielst.“

Aus einem mir immer noch unbekannten Grund sind Beziehungen meiner Mutter unglaublich wichtig. Warum kann sie nur nicht verstehen dass man auch ohne recht Glücklich sein kann? Muss es denn immer ein 'bis das der Tod uns scheidet' geben? Und dass ich mich einsam fühlen könnte, da muss sie sich auch erst mal eigentlich keine Sorgen machen, denn das Gefühl hatte ich eigentlich noch nie und vermissen tue ich auch nichts. Mir geht es gut.

Aber aus einer Mischung aus schlechtem Gewissen und dem Wunsch endlich von dem Gespräch erlöst zu werden, versprach ich ihr mich zu bemühen ein Mädchen kennen zu lernen, das mir gefällt.
 

Und wer jetzt sagt das wäre einfach, dem zwicke ich die Nase ab! Die darauf folgenden Tage hatte ich mir tatsächlich Gedanken um die Sache gemacht und zum ersten Mal registriert wie viele Mädchen in meiner Schule überhaupt herumlaufen. Große, kleine, dünne, dicke Mädchen. Geschminkt und ungeschminkt.

Das ich vollkommen überfordert war kann man sich ja vorstellen. Bisher hatte ich mir ja noch nicht mal Gedanken darüber gemacht was überhaupt mein Typ ist. Mag ich lieber blond oder brünett? Sommersprossen oder keine?

So viele Fragen und dann noch die Tatsache, dass sich auch nicht jedes Mädel einfach mit mir verabreden würde. Bin ja jetzt auch nicht gerade ein Justin Bieber. Frustriert habe ich zwei Tage lang versucht eine zu finden die mir spontan gefiel, aber ohne eine Vorstellung was mein bevorzugter Typ ist, war das wirklich eine schwere Aufgabe. Schlussendlich bin ich dann doch auf Katrin zugegangen und habe mich für mein Verhalten entschuldigt und sie gefragt ob ihr Angebot noch gilt mit dem Date. Sie ist eigentlich ganz ok, schlank und blonde Haare. Ich finde nur sie schminkt sich recht stark, aber irgendwie tun das alle Mädchen im meiner Klasse. Muss wohl am Alter liegen.
 

Langsam habe ich das Gefühl das Leben wird nur komplizierter, wenn man erwachsen wird. Alle erwarten plötzlich Dinge von dir, sagen dir, dass du dich benehmen sollst, weil du ja kein Kind mehr bist und wenn du deine Gewohnheiten nicht ändern willst bist du unreif. Ich verstehs nicht, warum kann ich nicht Kind bleiben? Ich bin erst gerade mal Sechzehn, mein ganzes Leben liegt noch vor mir, warum muss ich denn jetzt schon meine Kindheit aufgeben? Neue Dinge kommen in letzter Zeit in mein Leben die mir einfach nicht behagen und die ich nicht haben will.

Dauernd nerven meine Eltern mit der Frage was ich denn nach der Schule machen möchte. Will ich eine Ausbildung machen oder mich doch durchs Abi kämpfen, um dann eine Uni zu Besuchen.

Keine Ahnung. Ehrlich, keinen blassen Schimmer!

Und ich habe auch so gar keine Lust darüber nachzudenken. Ich will mir einfach noch keine Gedanken machen was nach der Schule ist, ich lebe im Hier und Jetzt und das will ich genießen.

Einfach die Seele baumeln lassen und die Annehmlichkeiten eines Elternhauses noch so lange es geht behalten.

Katrin scheint meine Einstellung genauso zu nerven wie meine Eltern, denn sie hat dauern was an mir auszusetzen, was mich wiederum total an nervt. Wenn Mum nicht jedes Mal so ein strahlendes und glückliches Gesicht machen würde, wenn Katrin uns zuhause besucht, dann hätte ich das Ganze wohl schon längst beendet. Seit ich Katrin zum ersten Mal nach der Schule mitgebracht hatte, ist sie ganz aus dem Häuschen.

„Unser Kai wird endlich erwachsen! Das ist so schön Bernd.“, hatte sie zu meinem Vater gesagt, der nur stolz seine Zustimmung gebrummt hatte.

Meiner Mutter war dann nicht mehr zu bremsen und hat Katrin mit allen möglichen und unmöglichen Fragen gelöchert, bis Papa endlich ein Machtwort sprach und meinte sie solle uns doch mal Luft holen lassen. Dann hat sie uns endlich in Ruhe gelassen und wir sind aufs Zimmer verschwunden.

Das Nächste was ich feststellen musste war, dass Katrin einfach nicht die Finger von mir lassen kann und küssen tut sie auch gerne. Dauernd muss sie mir einen Kuss aufdrücken, ob's in der Hofpause in der Schule ist oder woanders. Am liebsten würde sie noch viel mehr wollen, doch da habe ich erst mal einen Riegel vorgeschoben. Ich bin eigentlich nicht prüde nur irgendwie kann ich es mir momentan einfach nicht vorstellen schon mit Katrin zu schlafen. Wir sind schließlich erst seit vielleicht zwei Wochen zusammen.
 

Tja und nun sitzen wir auf dem Ecksofa bei uns zu Hause im Wohnzimmer, ich mit meiner Schwester und ihrem Freund, neben mir Katrin die sich penetrant an meine Schulter kuschelt und schauen irgendeinen schnulzigen Film den die Mädels ausgewählt haben.

Die ganze Zeit schon gähne ich verhalten und werfe flehende Blicke auf die Wohnzimmeruhr. Mum und Dad sind ausgegangen und so haben wir das Haus für uns alleine und Sheila kam auf die absolut grandiose Idee einen Pärchenabend zu machen und einen Film zu gucken...und mir damit einen aussichtsreichen Abend vor meiner Playstation zu vernichten!

Man kann sich wohl vorstellen wie mir die ganze Situation auf den Keks geht, zumal Sheila und Mathias die ganze Zeit miteinander herum schmusen und sich kleine Küsschen geben, was Katrin mit neidischen Blicken verfolgt. Nicht, dass sie neidisch auf Sheila wegen Mathias wäre, nein, ihr geht es wohl einfach gegen den Strich dass die beiden die Finger nicht voneinander lassen können und ich Katrins Versuche dasselbe mit mir zu machen erfolgreich ignoriere. Ich hab jetzt einfach keine Lust auf das Ganze und generell bin ich scheinbar einfach nicht der Typ für so was. Katrins Küsse sind....feucht und irgendwie komisch. Ich habe noch nie verstanden warum Leute darauf stehen ihre Bakterien im Mund des anderen zu verteilen, aber jetzt verstehe ich es noch weniger. Ihre Lippen sind weich und schmecken immer nach diesem Lipgloss, das sie dauernd verwendet damit ihre Lippen noch weicher werden. Es hinterlässt wirklich einen ekligen Nachgeschmack, aber ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen, um sie nicht zu kränken.
 

Nach der Uhr zu urteilen dürfte der Film bald zu Ende sein, zumindest hoffe ich das, und dann kann ich endlich Katrin nach Hause schicken und vielleicht doch noch etwas spielen. Der Gedanke heitert mich etwas auf und ich lasse mich entspannt tiefer ins Sofa sinken. Katrin kuschelt sich noch etwas fester an meine Seite und plötzlich spüre ich ihre kleine Hand in meinem Nacken die mich krault, während die andere sich auf meinen flachen Bauch legt. Ihre Finger sind kalt und ich verziehe etwas die Lippen. Warum müssen Frauen nur dauernd frieren? Nun beginnt ihre Hand sich zu bewegen, rutscht unter mein Shirt und ihre kalten Finger liegen nun direkt auf meiner Haut. Ich kann sogar ihre langen Fingernägel spüren, die unangenehm kratzen. Das wird mir dann doch zu viel und ich greife nach ihrer Hand.

„Lass das, du hast total kalte Pfoten.“

Beleidigt schnaubt sie nur, rückt etwas von mir ab und verschränkt die Arme vor der Brust.

Belustigt schaut Sheila zu uns herüber. „Sei doch nicht so fies Brüderchen!“

Was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht? Sie wars doch, die mir ihre kalten Hände unbedingt auf den Bauch legen musste. Frauen!

Wie ich gesagt habe, Beziehungen sind mir einfach viel zu anstrengend.

Ich zucke die Schultern und wir schauen mit geteiltem Interesse den Film zu Ende.
 

Mathias würde heute hier übernachten allerdings im Gästezimmer, denn auch wenn meine Eltern sich nichts mehr wünschen als ihre Kinder in festen Händen zu sehen, halten sie nichts von nächtlichen Orgien. Ich denke es ist vor allem Dads Einfluss zu verdanken, der immer noch versucht seinen väterlichen Beschützerinstinkt durchzudrücken. Irgendwann wird er schon noch merken, dass es dafür längst zu spät ist. Ich schätze ich bin die einzige Jungfrau im Haus, außer vielleicht unserer Katze.

Es war ein gutes Stück Arbeit Katrin dazu zu bringen endlich nach Hause zu gehen und das alleine. Denn sie maulte die ganze Zeit herum, dass sie gerne hier übernachten würde und viel zu müde sei, um noch nach Hause zu gehen.

Als ich zu ihr meinte, dass sie sich dann ein Bett mit Mathias teilen müsste, wurde sie dann doch einsichtig, allerdings machte das meine Schwester wieder zunichte, die ja meinte ich könne doch Katrin nach Hause bringen. Dazu hatte ich ja mal dreimal keine Lust drauf! Schließlich schaffte ich es doch sie abzuwürgen und sie drückte mir noch einen unnötig langen Kuss auf bevor ich erleichternd seufzend endlich die Tür schließen konnte und in mein Zimmer verschwand.

Konnte ich doch noch ein wenig Zocken.
 

Draußen ist es inzwischen komplett dunkel, als ich wenig später meinem Blick vom Fernseher losreiße und nach draußen starre.

Der Geschmack von Lipgloss liegt mir immer noch auf der Zunge und ich gehe runter in die Küche, um mit etwas Limo diesen loszuwerden. Unsere Eltern sind noch immer weg, müssten aber bald Heim kommen stelle ich mit einem Blick auf die Uhr fest.

Leise öffne ich den Kühlschrank und nehme mir eine Flasche Fanta, schließe ihn wieder und krame im Schrank nach einem Glas.

„Kai?“ Ich zucke heftig zusammen. Himmel! Warum muss sie mich so erschrecken?

„Schleich dich nicht so an! Du hast mich erschreckt.“

„Sorry, Kleiner.“ Ich rümpfe die Nase über ihre halbherzige Entschuldigung. Klein bin ich eigentlich nicht wirklich, Sheila ist einfach nur verdammt groß für ein Mädchen! Mum meint das hat sie wohl von Tante Ruth geerbt, was wohl auch unübersehbar ist.

„Was ist?“

Sie sieht mich etwas verlegen an und ich frage mich was das nun hier werden soll? Will sie mit mir ein Bruder-Schwester-Gespräch führen oder was soll die ernste Miene?

„Warum bist du so gemein zu Katrin?“

Hä? Was hab ich denn jetzt wieder gemacht?

Sie muss wohl meinen verwirrten Gesichtsausdruck richtig interpretieren, denn sie führt ihre Frage weiter aus.

„Ich meine warum du sie dauernd abblockst? Ihr seid ja erst seit kurzem zusammen und sie ist ja auch deine Erste, aber trotzdem...Katrin ist echt unglücklich darüber.“

Aha. Da hatten die zwei wohl ein Mädchengespräch unter vier Augen gehabt.

„Warum sagt sie mir das nicht selbst?“ Irgendwie bin ich schon verärgert, weil ich es nicht mag, wenn man hinter meinem Rücken über mich redet.

Sie rollt mit den Augen. „Mensch Brüderchen! Du warst wirklich noch nie verliebt sonst wüsstest du das! Das ist halt nicht so leicht.“

Moment, stopp. Verliebt? Katrin ist verliebt in mich?

Irgendwie bereitet mir das gerade einfach nur Panik.

Warum muss sie sich denn in mich verlieben?

Das macht es doch nur noch komplizierter, als es sowieso schon ist! Ich hatte jetzt eigentlich nicht vor das Spiel lange durch zu ziehen. Eigentlich hatte ich die Aktion nur wegen meiner Mutter gestartet. Wunderbar Kai, da hast du ja mal wieder den Vogel abgeschossen!

„Bist du dir sicher? Ich mein das Katrin mich liebt?“

Sie schaut verwirrt.

„Ja, warum sollte sie sonst mit dir gehen?“

Weiß ich ehrlich gesagt auch nicht.

Ja warum eigentlich? Warum ich es tue ist klar, aber über ihre Beweggründe habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht.

„Ich weiß nicht. Einfach so. Ich liebe sie ja auch nicht und gehe trotzdem mit ihr.“

Irgendwie schaut sie mich einen Moment seltsam an, lächelt dann aber wieder.

„Sei einfach nicht so unhöflich und zeig mal Initiative! Ich glaub du bist der einzige Kerl den ich kenne, der es nervig findet, wenn ein heißes Mädel ihre Finger unter sein Shirt schiebt.“, stichelt sie.

„Vielleicht kommt das noch, bist halt 'n Spätzünder!", scherzt Sheila und zerstrubbelt mir die braunen Haare. „Hey!“ Ich zahle es ihr heim in dem ich mich auf sie stürze, in den Bauch picke und sie dabei japsend nach Luft holen muss während sie zu lachen anfängt. „Lass das! Ich mein's ernst!“ Sie kneift mir im Gewühl einmal fest in den Arm. „Autsch!“

„Ich hab dich ja vorgewarnt.“, kichert mein Schwesterherz.
 

Es werden weitere Sticheleien ausgetauscht und schließlich sitzen wir beide jabsend auf dem Küchenboden und sehen reichlich durcheinander aus.

„Das haben wir das letzte mal gemacht als ich Zwölf war!“, lacht Sheila vergnügt. „Tja werden wohl doch nicht erwachsen.“ Ich schaue sie grinsend an, dann müssen wir beide lachen.

Irgendwie habe ich diese Momente vermisst, denn eigentlich ist meine Schwester gar nicht so schrecklich wie ich immer tue, früher waren wir sogar ein Herz und eine Seele. Nur seit dem sie anfing sich zu schminken, auszugehen und über Jungs und Klamotten zu tratschen, bin ich und meine Konsole alleine zurückgeblieben und wir haben uns irgendwie auseinander gelebt.

„Übernächstes Wochenende ist die Geburtstagsfeier von Alina, es wäre schön wenn du auch hinkommen würdest! Wir sind schließlich alle eingeladen, selbst Mathias und sein Bruder kommen mit.“

Alina ist eine gemeinsame Freundin von Sheila und Katrin aus der Parallelklasse. Ja, meine Schwester geht an dieselbe Schule wie ich, nur halt eine Klasse höher, sie wäre auch viel zu klug, um sitzen zu bleiben und in meiner chaotischen Klasse würde ich sie dann doch nicht haben wollen.

„Muss ich denn? Da werden nur komische Typen rumhängen und so viele Streber.“, maule ich nur rum und ziehe eine Schnute.

Alinas Freund geht auf ein benachbartes Gymnasium und dadurch werden da sicherlich viele von seinen langweiligen Freunden wieder rumhängen, wie bei der letzten Party auf die mich meine Schwester mitgeschleppt hatte. Ich hab nichts gegen Streber, aber diese scheinen irgendwie besonders öde zu sein. Nicht ein Fünkchen Humor hatten die gezeigt, als wir beim letzten Mal vollkommen betrunken den Staubsauger im Pool vom Nachbarn versenken wollten. Pöh, alles Spielverderber.

„Ach komm schon! Du musst mal wieder raus aus deinem Loch.“

„Tu ich doch! Morgen geh ich mit Jonas und Basti weg.“

„Ich mein richtig raus, das kannst du nicht mit den beiden vergleichen, ihr tut doch selbst nicht mal richtiges wenn ihr mal weggeht.“

Hmm, wo sie recht hat, aber zugeben tue ich es natürlich nicht.

„Du bist nur neidisch weil ich zwei so gute Freunde hab.“, konter ich und sehe sie herausfordernd an. Sie stöhnt nur genervt und verdreht theatralisch die Augen.

„Ehrlich jetzt, komm schon Kai. Außerdem würde sich Katrin freuen, wenn du mit ihr zusammen hingehst.“ Zack! Schon wieder das Thema.

Sie grinst mich bedeutsam an, was mich eigentlich nur irritiert.

„Hmm...hab trotzdem keine Lust. Sie kann doch auch ohne mich hin.“

„Mensch du faule Socke! Du gehst hin, basta! Keine Widerrede! Hab echt keine Lust mir dauernd anhören zu müssen, dass du zu wenig mit Katrin unternimmst und scheinbar muss man dir echt in Arsch treten, sonst tut sich bei dir ja nie was.“

Was bitte soll sich denn da tun???

„Hmm.“, brumme ich nur und hoffe es klingt wie eine unwillige Zustimmung, während ich den Küchentisch anstarre. Wir sitzen noch immer auf dem Boden und langsam wird mir kalt.

„Kai?“

Ich drehe den Kopf und schaue sie an. „Ja?“

„Werd nicht gleich wieder böse, aber was hältst du eigentlich von Katrin?“

„ Sie ist....ganz in Ordnung.“

„Nur in Ordnung? Sei doch mal ehrlich, sie ist immerhin deine feste Freundin.“

„Warum fragst du mich auch so komisches Zeug“, brumme ich genervt.

„Sag schon.“

„Ich weiß nicht, vielleicht muss ich mich erst an die Situation gewöhnen, mich an 'sie' gewöhnen. Sie ist ja nicht hässlich oder so und im Kopf hat sie auch was. Aber sie ist immer so forsch.“

„Forsch? Weil sie dich küssen will? Du bist schon komisch.“

„Kann schon sein...wie ist es denn bei dir und Mathias? Wieso seid ihr zusammen?“

Meine Frage scheint sie etwas zu überraschen, denn sie hebt die Augenbrauen und muss einen Moment überlegen ehe sie mir antwortet.

„Hmm...ich mag ihn sehr...weißt du.

Mathias ist nett und rücksichtsvoll, manchmal vielleicht etwas zu still. Aber mein Herz klopft ganz stark, wenn er da ist und wenn er mich berührt fängt alles an zu kribbeln...“

Verlegen schaut Sheila auf den Boden zwischen ihre Füße und knetet nervös den Saum ihres Shirts. Auf ihren Wangen sind rote Flecken.

Jetzt wirkt sie plötzlich so viel jünger als sonst.

„So ist es also, wenn man verliebt ist?“, frage ich leise, fast flüsternd.

Sie nickt. „Ja, und noch viel mehr, aber das lässt sich so schwer beschreiben.“ Sie seufzt.

„Ich glaube nicht das ich dasselbe für Katrin empfinden kann“, meine ich ehrlich und ziehe die Knie an.

„Gib nicht gleich auf. Weißt du, manchmal muss sich Liebe auch erst entwickeln.“

Irgendwie will ich ihr ja glauben, aber mit Katrin kann ich es mir trotzdem nicht vorstellen, aber ich nehme mir vor mir etwas mehr Mühe zu geben.
 


 

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Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten und essen.
 

Liebe Grüße

Die Sterne ordnen sich neu

(Kapitel ist noch nicht Beta-gelesen, Fehler sind bitte zu entschuldigen und werde noch ausgebessert ;O;)
 

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2. Die Sterne ordnen sich neu
 


 

Am nächsten Tag bin ich nach Schulschluss zusammen mit meinen beiden besten Freunden Jonas und Basti in den Jugendclub gefahren, wo wir oft zusammen abhängen, Billiard oder Dart spielen und einfach von Alltagsstress abschalten können. Heute ist es relativ leer und wir haben den Billardtisch ganz für uns alleine.

„Der Adler war heut so ein Arsch! Hat mich fünf Runden aufm Platz rennen lassen nur weil ich mal paar Minuten zu spät war.“, grummelt Basti, während er eine rote Kugel anvisiert.

Zur Erklärung, Herr Adler ist unser Sportlehrer.

„Was hast du denn auch so lange getrieben? Die Kunststunde war doch früh genug um, das hat locker gereicht um zur Halle zu laufen. Selbst Thomas, der Trödler, war halbwegs pünktlich.“ Jonas steht mit den Ellenbogen abgestützt am Rand vom Billardtisch den Kopf in den Händen, wodurch er etwas nuschelt beim reden. Seine kurzen schwarzen Haare hat er heute nach oben gegeelt.

Ich verfolge nur stumm das Gespräch zwischen den beiden und nippe hin und wieder an meiner Cola.

„Hehe, du kennst doch Sonja, die Dunkelhaarige aus der B?“ Basti grinst vielsagend. „Wir haben hinter der Halle geknutscht!“

„Und gleich entjungfert wie ich dich kenne!“

„Ne soweit ist es dann doch nicht gekommen, außerdem glaub ich im Leben net das die noch Jungfrau ist.“

„Wollen wir nachher noch ne Runde bei mir zocken?.“, werfe ich dazwischen um das Thema zu wechseln, aber die beiden haben heute wohl beschlossen mich zu ignorieren.

„Das ist so unfair! Du kriegst echt Jede ab. Kannst du mir nicht mal eine abgeben?“

„So schlecht schaust du nich aus, aber etwas Sport würde vielleicht helfen, Jonas.“ Er stößt endlich mal die Kugel an und ich schaue zu wie er trifft und sie langsam ins Loch rollt. Basti hat echt ein Talent für das Spiel.

„Ja ja ich weiß, ich bin zu dick für diese Welt, danke auch!“

„Wie wärs mit Need for Speed?“, versuche ich erneut gelangweilt.

„Sei doch nicht eingeschnappt! Du benimmst dich wie ein Mädchen Jonas, bloß weil du seltsame Komplexe hast. Laber doch endlich mal Marie an, der machst du schon ewig schöne Augen.“

„Das sagst du so einfach! Die hat doch nen Kerl, der Typ aus der A.“

„Dann halt die kleine rothaarige, wie hieß die noch?“

„Viola?“

„Ja genau die!“

„Die hat so'n hässliches Muttermahl an der Nase“, nörgelt Jonas weiter.

„Mein Gott! Dir kann man es echt gar nicht recht machen, erst meckert der feine Herr dass er keine abkriegt und dann auch noch wählerisch sein.“

„Wir könnten auch Call of Duty spielen, das haben wir lang nicht mehr...“

„Mensch Kai lass den Scheiße doch mal, das nervt! Ich weiß ja dass dich das nicht interessiert wo du doch jetzt Katrin hast, aber nimm wenigstens mal ein wenig Rücksicht auf deine beiden noch Singlefreunde.“ Ich mag es nicht wenn man mich belehrt, aber ich schlucke ein blödes Kommentar runter weil es Basti ist. Wir kennen uns schon seit der dritten Klasse und wissen wie der Andere jeweils tickt und ich weiß dass er es nicht wirklich böse meint.

Aber mich stört das ganze Gerede über Mädchen, das war doch Früher nicht so!

Mit dreizehn war das einzig wichtige Thema in unserem Leben wann der nächste Teil von Tekken raus kommt und ob das Wetter gut genug ist um schwimmen zu gehen. Wann nur hat sich das geändert? Ich habe das Gefühl irgendetwas verpasst zu haben. Jonas und Basti haben sich so verändert und ich? Ich bin irgendwie einfach stehen geblieben. Bin einfach der durchschnittliche Kai geblieben. Ich wäre gerne wieder der Dreizehnjährige, der mit seinen Freunden zusammen Frösche in Briefkästen gesteckt hat und Nachts heimlich aufgeblieben ist um dann Horrorfilme zu schauen.

„Hmm, ja stimmt.“

„Habt ihr's denn schon getrieben?“, will Jonas plötzlich wissen und sieht mich mit vor Neugier glitzernden Augen an. Mist warum muss das Gespräch denn plötzlich auf mich umschwenken? Was zum Teufel mache ich denn nur andauernd falsch?

Lügen bringt nichts bei ihm, denn dann würde er anfangen mich auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Er ist schrecklich neugierig und was sollte ich schon Antworten wenn er mich nach ihren Brüsten und so'n Kram fragt. Also lieber die Wahrheit.

„Nö.“

Überrascht werde ich angestarrt und ich schaue in mein fast leeres Colaglas um dem zu entgehen.

„Warum das denn? Lässt sie dich nicht ran?“

„Ne das jetzt auch wieder nicht. Ach ich weiß auch nicht, irgendwie läufts zwischen uns nicht so Bombe.“

„Wieso denn? Die ist doch eigentlich total offen. Zumindest kam sie mir noch nie verklemmt vor.“ Jaja, der liebe Basti hatte natürlich schon inzwischen alle Damen in der Klasse abgecheckt und weiß natürlich wie Katrin tickt. Verdammt, warum müssen die immer mit diesem Thema ankommen, es gibt auf der Welt doch noch andre Dinge als Weiber!

„Weiß auch nicht, können wir nicht über was anderes reden?“

Aber natürlich kam ich da nicht so schnell aus dem Schneider, den ganzen Abend werde ich weiter berieselt von den beiden und irgendwann bin ich so angepisst dass ich mich verabschiede mit dem Grund ich sei müde und müsse eh noch Mathehausaufgaben machen. Nicht mal mehr das Billardspielen macht noch Spaß wenn ich dauernd weiter durchlöchert werde mit nachfragen über Katrins und mein nicht vorhandenes Sex-leben.
 

Verstimmt verziehe ich das Gesicht, das ich nach oben gewandt habe um den grauen bewölkten Himmel mit Missmut zu betrachten. Na hoffentlich komme ich noch trocken nach Hause. Wann kommt denn endlich die verdammte Straßenbahn?

Ich drehe den Kopf nach links und betrachte die elektronische Anzeige. Noch sechs Minuten. Oh man.

Mit mir stehen noch ein paar andere Leute an der Station die alle auch nicht gerade glücklich aussehen über die Aussicht noch sechs weitere Minuten so herumzustehen. Eine junge Frau hört lautstark Musik über großen schwarzen Kopfhörern. Mit dem Zeigefinger dreht sie an einer Lila leuchtenden Haarsträhne herum und wippt mit den Füßen im Takt der Musik. Ihre Haare bilden einen interessanten Kontrast zu der grauen Umgebung.

Mit dem schwindenden Sonnenlicht wird es merklich kühler und ich wickle mich fester in meinen grünen Kapuzenpulli ein.

Eine Dicke Frau im schweinchenrosa Shirt blättert geräuschvoll in einer Tageszeitung. Sie hebt die Hand zum Mund um sich den Daumen abzulecken damit sie die Seiten besser umblättern kann.

Gelangweilt und irgendwie etwas angeekelt wandert mein Blick weiter und bleibt an einer großen Gestalt in einem dunklen, tadellosen Anzug hängen. Er steht ganz ruhig da, ohne mit den Fingern irgendwo herum zu fummeln oder mit dem Fuß zu wippen um die Wartezeit zu überbrücken. Sein Gesicht ist ganz glatt, keine ungeduldigen Blicke die umherwandern oder Falten auf der Stirn die zeigen würden das er schlecht Laune hat. Nein. Er starrt einfach nur geradeaus ohne dabei Gelangweilt zu wirken. Seine Haut ist hell und erstaunlich eben, ohne Pickel, Narben oder sonstige Dinge die ein Gesicht auch durchaus sehr verunstalten können. Nur ein kleiner unauffälliger Leberfleck an der Schläfe, doch er wirkt nicht unpassend oder störend. Auch über seinen ausgeprägten Kiefer spannt sich glatte Haut. Ich kann kaum einschätzen wie alt er ist...er könnte durchaus genauso alt sein wie ich, er hat nicht mal sichtbare Bartstoppeln, doch sein Anzug lässt ihn auch gleichzeitig älter wirken, zudem er verdammt groß ist. Mindestens einen Kopf größer als ich, würde ich schätzen.

Vielleicht auch größer, um das zu vergleichen müsste ich mich wohl neben ihn stellen...

kurz überlege ich tatsächlich das zu tun und scheuche den Gedanken gleich wieder weg. Das wäre einfach nur krank, oder?

Ich wüsste so gerne wie alt er ist, ich kann ihn wirklich so gar nicht einschätzen!

Er hat durchaus sehr männliche und erwachsen wirkende Gesichtszüge, aber noch nicht so ausgeprägt wie sie ein Mann hätte. Sein Gesicht...ist er siebzehn? Oder doch schon zwanzig? Hmm der Anzug lässt ihn so erwachsen wirken.

Eigentlich mag ich keine Anzüge aber ich muss zugeben...er steht ihm unheimlich gut, keine sichtbare Falten, gepflegte schwarze Schuhe dazu und ein hellblaues Hemd mit passender Krawatte. Er sieht aus als kommt er gerade aus einem Büro, ob er schon arbeitet? Nein das kann ich mir wirklich nicht vorstellen...sein Gesicht...er sieht so jung aus. Zu jung um schon zur arbeitenden Gesellschaft zu gehören. Dann kommt er vielleicht von einem Bewerbungsgespräch? Ja das wäre realistisch.

Ich werde plötzlich von links angerempelt. „Pass doch auf Bürschchen.“, murrt die dicke Frau mit dem rosa Shirt und steigt in die Straßenbahn ein die soeben eingefahren ist. War ich so in Gedanken dass ich nicht mal das gemerkt habe? Sind die sechs Minuten wirklich schon um? Muss wohl so sein...

Der Junge im Anzug steigt mit eleganten Schritten ein und ich beeile mich ihm unauffällig zu folgen bevor das warnende Tuten kommt und die Türen schließen. Ich weiß nicht warum, aber ich kann mich einfach nicht von seinem Anblick lösen. Ich will ihn weiter beobachten...

Möglichst unauffällig setze ich mich eine Sitzreihe von ihm entfernt hin und kann ihn so gut sehen. Er schaut gedankenverloren aus dem Fenster, immer noch mit diesem völlig ausdruckslosem Gesicht. Seine Augen sind faszinierend. Ich glaube ich habe noch nie einen Jungen gesehen mit solch dichten, schwarzen Wimpern.

Graue Augen, aber kein Sturmgrau...nein...sie sind grau wie Nebel. Dichter Nebel...

In seinen Augenwinkeln bilden sich kurz kleine unscheinbare Falten und seine Mundwinkel ziehen sich in die Höhe. Er grinst. Ich wüsste gerne woran er denkt. Was amüsiert ihn so sehr? Es muss eine Erinnerung sein, denn sein Blick geht noch immer ins leere, ohne einen festen Punkt draußen zu beobachten.

Er senkt den Blick und einige rabenschwarze Haarsträhnen fallen ihm in die Stirn. Es ist zwar seltsam es zu denken, aber er sieht hübsch aus. Ich finde ihn schön, auch wenn er ein Mann ist. Ob er eine Freundin hat? Er hat sicher viele Verhererinnen und kann sich vor Angeboten kaum retten.

Unter seinem Anzug kann ich eine schlanke Figur erahnen, aber nicht dünn, also nicht knochig oder so, sondern eher sportlich schlank.

Sein Blick hebt sich und er streift ganz kurz, nur für einen winzigen Augenblick mein Gesicht, ehe seine Augen weiterwandern durch die Bahn, die anderen Fahrgäste betrachtend. Hat er bemerkt dass ich ihn beobachte? Nein, sieht nicht so aus. Aber ich sollte trotzdem aufhören ehe es peinlich wird, schließlich ist das unhöflich. Hmm...warum mache ich mir plötzlich Gedanken über Höflichkeit? Ist doch sonst nicht meine Art. Muss wohl an meiner schlechten Laune liegen, wegen dem blöd gelaufenem Nachmittag mit Basti und Jonas.

Mit Bedauern bemerke ich wie der Name meiner Haltestelle an der Anzeige aufblinkt, stehe auf, drücke den Halteknopf und gehe extra zur hinteren Tür, obwohl ich eigentlich vorne raus muss.

Ob er mich bemerkt? Mein Herz klopft ganz aufgeregt.

Ich laufe langsam, die Hände in den Taschen meines Kapuzenpullis vergraben, meine Finger spielen nervös mit einer Naht. Ich sehe ihn in den Augenwinkeln, will ihn nicht zu offensichtlich anstarren, doch er schaut nicht her. Beobachtet wieder die Häuser an denen wir vorbei fahren. Die Bahn wird langsamer und ich stehe bereits an der Tür und halte mich fest, drehe unauffällig ein wenig den Kopf zur Seite. Ich will ihn noch ein letztes Mal ansehen, kann nun seine hübschen Augen aber nicht mehr erkennen. Wirklich bedauerlich...

Die Bahn hält und ich steige aus, stehe draußen vor den abgedunkelten Fenstern der Straßenbahn und sehe seine Gestalt noch immer da sitzen. Schaut er mich an? Nein, das bilde ich mir sicher ein...jetzt fährt die Bahn los und er ist weg.
 

„Die bist so still Schatz, ist was passiert?“ Mum schaut wie immer ganz besorgt drein, während sie mir etwas Reis auf meinen Teller tut.
 

Vorhin stand ich einen Moment noch völlig betäubt und verwirrt von der Situation an der Straßenbahnstation herum, ehe ich meinen Mp3 Player raus kramte und mein Hirn dann mit Musik zudröhnte. Auf dem Weg nach Hause ging mir dann doch immer wieder 'er' im Kopf herum. Sein Gesicht, seine Augen, seine langen Beine. Das hübsche Grinsen als er an etwas lustiges gedacht hatte. Ob ich ihn wiedersehen werde? Aber so etwas passiert wohl in der Realität nicht, sondern nur in Filmen. Solche Filme wie sie meine Schwester dauernd schaut.

Und auch wenn ich ihn wiedersehen würde, was dann? Einfach zu ihm gehen und fragen ob wir Freunde sein wollen? Das klingt wahrscheinlich nicht nur in meinen Ohren blöd. Außerdem hab ich doch schon genug gute Freunde, warum will ich ausgerechnet ihn kennen lernen? Das ist doch total schwachsinnig. Trotzdem...ich würde ihn gerne noch einmal treffen.

Zuhause warteten sie schon mit dem Abendessen auf mich, Sheila hatte natürlich gemault dass sie davon Fett würde, weil Mum einfach nicht nach ihrem Diätplan kochen will. Papa und ich haben ehrlich gesagt auch keine Lust da mitzuspielen.
 

„Nein, es ist nichts.“, antworte ich, doch das reicht ihr natürlich nicht aus. Nein Frauen glauben einem nie das was man sagt und wollen da immer was hineininterpretieren. Männer sind manchmal so viel einfacher gestrickt.

„Ist was mit Katrin und dir? Habt ihr euch gestritten?“

Nein, eigentlich nicht, aber so kann ich ihr wenigstens einen Grund geben mit dem sie zufrieden ist also brumme ich zustimmend.

„Hm.“

„Was...“, beginnt sie, wird aber unterbrochen.

„Lass ihn doch Inge, unsere Kinder können ihre Probleme schon alleine lösen.“ Danke Papa!

„Aber..:“

„Ma~maaa!“

„Ist ja schon gut...wie ist eigentlich die letzte Arbeit ausgefallen? Ihr habt doch Chemie geschrieben?“

Sie hat immer nur dieselben Themen, wenn es nicht meine Freundin ist dann die Schule. Denken Eltern denn dass ihre Kinder nichts anderes im Leben haben als Schule und Beziehungen? Wir sind schließlich auch Menschen mit normalen Interessen.

„Hmm, weiß noch nicht. Hab erst am Donnerstag wieder Chemie und vorher kriegen wir die Arbeiten wohl nicht zurück.“

„Hast du wenigstens gelernt?“

„Mum, du hattest mir sogar den Abend vor der Arbeit verboten mit Jonas ins Kino zu gehen weil ich lernen sollte! Du erinnerst dich?“

Ich bin immer noch etwas böse auf sie deswegen. Aber nur ein klein bisschen, denn wir sind den Tag danach mit Basti im schlepptau heimlich nach der Schule doch noch gegangen und meiner Mutter hatte ich erzählt wir sind beide bei Basti wegen einem Schulprojekt.

„Schon gut, und bei dir Sheila?“

„Was ist?“

Sie hatte die ganze Zeit jedes Reiskorn einzeln abgezählt und scheinbar dem Gespräch nicht gefolgt.

„Hast du nicht auch eine Arbeit letztens in Bio geschrieben?“

„Das war doch nur ein kleiner Leistungstest und der wurde nicht mal benotet.“

„Aber du kommst bald in die zwölfte Klasse und deine Bionoten sind wirklich nicht besonders. Frag doch deine Lehrerin ob du ein zusätzliches Referat machen kannst.“

„Meine Noten sind nicht schlecht!“, meint sie empört und lässt die Gabel sinken. „Und Kai kommt ja auch in die Elfte, warum meckerst du nicht bei ihm an den Noten rum?“

Dazu sage ich lieber nichts und als ich zu Papa schaue sehe ich auch ihn betreten auf seinen Teller starren.

„Er hat wenigstens keine Vier in Bio und was ist mit dir in Sport nur los? Muss ich dich an das Lehrergespräch erinnern? Warum machst du nicht ordentlich mit?“

„Ich bin halt nicht sportlich!“

„Aber du kannst es doch wenigstens versuchen! Drei Sechsen, und das nur weil du dich geweigert hast die Übungen mitzumachen. Das kann nicht so weiter gehen Kind!“ Das hat gesessen, Sheila läuft sofort rot an und ballt die Hände zu Fäusten.

„Ich bin kein Kind mehr! Dauernd hast du was an mir auszusetzen. Du bist so eine Glucke!“, brüllt meine Schwester, während sie plötzlich aufsteht. Ihr Stuhl kratzt dabei unangenehm über den Küchenboden.

„Das verbitte ich mir!“ Nun wird auch Mum laut.

„Ach lass mich doch in Ruhe.“ Damit stürmt Sheila raus und ich höre ihre wütenden Schritte auf der Treppe bevor sie ihre Zimmertür laut zuknallt.

Dann ist es gruselig Still. Für einen Moment höre ich nur das Ticken der Uhr. Tick tack. Tick tack...

Mum fängt aufgewühlt an den Tisch abzuräumen und Dad geht ihr dabei stumm zur Hand.

„Was ist nur los mit ihr? Ich versteh sie einfach nicht mehr. Weißt du vielleicht etwas Kai?“

„Nein...vielleicht...ich mein vielleicht ist sie nur einfach nicht gut in Sport.“

Sie schüttelt den Kopf.

„Das meine ich gar nicht. Sie ist so komisch in letzter Zeit.“

Dad legt ihr beschwichtigend den Arm um die Schultern.

„Inge, unsere Tochter wird einfach nur erwachsen. So sind Mädchen in dem Alter nun mal.“

„Aber früher hat sie mir doch immer alles erzählt und jetzt...ich kenne sie kaum noch.“

Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll und beeile mich meinen Teller raus zu räumen und schleiche mich in mein Zimmer.

Laute Musik dringt aus dem Zimmer meiner Schwester, ich bleibe davor stehen. Soll ich reingehen und mit ihr sprechen? Unsicherheit überkommt mich, denn ich kann so was einfach nicht.

Gut zureden und so. War noch nie mein Ding und ich finde da auch nie die richtigen Worte und mache es am Ende nur noch schlimmer. Wir sind nun mal keine Sechs und Siebenjährigen mehr, die sich einfach heulend im Arm halten konnten, wenn einer von uns hingefallen war und alles war vergessen.

Da waren Worte total unnötig.

Doch heutzutage ist alles anders. Jetzt sind Worte wichtig geworden. Taten und Ereignisse liegen schwerer, Familien fangen an sich zu streiten und Freundschaften und Beziehungen ändern sich, gehen auseinander oder vertiefen sich. Ich bin ein Gewohnheitsmensch, denn ich mag keine Veränderungen. Am liebsten wäre es mir ich und meine Schwester wären noch immer Kinder, würden lachend zusammen mit unseren Eltern spielen. Kein Mathias. Keine Katrin. Kein Streit. Keine Jungen in Anzügen und grauen Augen...

Ich liege an diesem Abend noch lange wach in meinem Bett, direkt an der Dachschräge unter den Fenstern und betrachte den nun klaren Nachthimmel. Die Wolken von heute Nachmittag sind lange weiter gezogen und geben einen schönen Sternenhimmel preis. Im Unterricht haben wir gelernt wie die einzelnen Sternbilder heißen, da ist zum Beispiel der kleine Waagen oder die Kassiopeia. Das große Himmels-W strahlt direkt auf mich herab, in der Mitte glänzt der Nordpolarstern hell auf.
 


 

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Wer Rechtschreibfehler findet darf sie behalten und essen!

Ich bin nicht Schwul!

3.Ich bin nicht Schwul!
 


 

„Hast du die Geschichtshausaufgaben gemacht?“, fragt mich Jonas flüsternd und ich rolle nur mit den Augen.

„Ja und ja du kannst abschreiben, aber das war das letzte Mal!“, nuschle ich verstimmt zurück.

Es ist früh am Morgen, Donnerstag, gleich beginnt die erste Stunde und ich hatte noch keinen Kaffee. Vor etwa einem halben Jahr habe ich die Vorteile von Kaffee am Morgen entdeckt und bin regelrecht süchtig danach geworden. Habe die Nacht nur furchtbar schlecht geschlafen und bin vorhin einfach nicht aus dem Bett gekommen, so blieb leider keine Zeit mehr für Kaffee.

„Du bist der Beste!“ Jonas klopft mir Kumpelhaft auf die Schulter.

„Mach einfach mal deine Hausaufgaben zur Abwechslung, dann stehst du nicht immer mit leeren Händen da. Herr Müller ist zwar keine Leuchte, aber irgendwann wird ihm das auch auffallen, dass du dieselben Texte abgibst wie ich. Was hast du denn Gestern getrieben, dass du keine Zeit hattest für die paar Aufgaben? “

Er seufzt nur und zupft an seinem Shirt herum.

„Ich…warGesternnochimFitnesscenter.“, nuschelt Jonas herum

„Was?“

„Ich war im Fitnesscenter! Soll ichs dir noch aufschreiben?“

Ich hebe beschwichtigend die Hände, während wir die Treppe zu den Unterrichtsräumen im zweiten Stock hochgehen.

„Schon gut, musst ja nicht gleich sauer werden.“ Dann runzle ich die Stirn. Moment…

„Seit wann gehst du denn in die Mukibude? Warst du doch noch nie! Basti versucht dich doch schon seit Jahren zum Sport zu bewegen und…“

„Ist ja schon gut! Ja, ich weiß, ich bin dick, danke.“ Dass er auch immer alles in den falschen Hals bekommen muss.

Jonas ist wirklich ein wenig moppelig, aber nicht eklig moppelig, sondern eher niedlich wie ein Teddy, nur findet er das nicht so toll, wenn ich ihm das sage. Wahrscheinlich denkt er dann ich will ihn verarschen, denn als Junge mit einem Teddy verglichen zu werden ist nicht gerade das was man gerne hören möchte.

„Du bist nicht dick, Jo. Nur gut gebaut, ehrlich! Komm doch einfach mal wieder mit zum schwimmen, das ist viel besser als sinnlos Gewichte zu stemmen, und mehr Spaß macht es auch.“

Wir betreten den Klassenraum in dem bereits die Hälfte unserer Klasse herum lümmelt, obwohl es noch viel zu früh ist.

„Zu spät, jetzt bin ich da schon angemeldet, das muss ich jetzt durchziehen…“, seufzt er theatralisch und lässt sich auf seinen Stuhl neben mir fallen. Gähnend packe ich schon mal meine Sachen aus und lege Jonas die Hausaufgabe vor die Nase.

„Na wenn du dir den Stress unbedingt machen willst.“ Ich schaue gedankenverloren im Klassenraum umher. Basti ist noch nicht da, schade. Katrin auch noch nicht, zum Glück.

„Das hat mit wollen nichts zu tun.“, murmelt Jonas gebeugt über mein Arbeitsheft und fleißig am schreiben.

„Ich will auch endlich mal eine Freundin abkriegen.“ Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen was ihm einen etwas verzweifelten Gesichtsausdruck verleiht. Ich stöhne nur genervt.

„Du brauchst dir ja keine Gedanken zu machen, du hast ja Katrin.“

Ich mag Jonas wirklich, aber jetzt gerade würde ich am liebsten kotzen, wenn ich das höre. Warum müssen das alle dauernd zu mir sagen? ‚Du hast ja Katrin‘, dieser Satz macht mich einfach nur wütend. Bloß weil sie jetzt meine Freundin ist, ist alles schön oder wie? Dann ist mein Leben perfekt?

Ich hab eher das Gefühl dass es nur schlimmer geworden ist, eine weitere Belastung die eine andere nur abgelöst hat, denn wenigstens stellt mir meine Mutter nicht mehr die nervige Frage ob ich schon ein nettes Mädchen kennen gelernt habe.

Meine Laune verschlechtert sich augenblicklich, als der Inhalt meiner Gedanken in einem rosa Rock durch die Tür gestakst kommt.

„Mist…“, murmle ich leise, den Kopf auf die linke Hand abgestützt. Jonas hebt verwirrt den Kopf.

„Was ist?.“

„Nichts.“ Schnell setze ich ein künstliches Lächeln auf, denn in dem Moment hat mich Katrin schon entdeckt und kommt schnell auf mich zu.

„Guten Moooorgeeen mein Schatz!“ Sie breitet die Arme aus und umarmt mich überschwänglich wie jeden Morgen, dann drückt sie mir einen feuchten Kuss auf die Lippen.

„Hi.“

Ich kann ihr schrecklich süßes Parfüm riechen und bin mir sicher das mein Lächeln, welches ich ihr schenke, irgendwie schief aussehen muss. Daran werde ich mich nie und nimmer gewöhnen können.

Sie lässt mich los und setzt sich auf die Kante unseres Tisches, direkt vor mir und aus den Augenwinkeln kann ich Jonas stierenden Blick sehen der Katrins tiefem Ausschnitt gilt. Ob ich auch mal so werde? Ich hab das Gefühl der einzig rational denkende Junge in meiner Klasse noch zu sein.

„Was gibt es?“, frage ich Katrin, da sie immer noch keine Anstalten gemacht hat auf ihren Platz zu gehen, Jonas scheint inzwischen vergessen zu haben dass er meine Hausaufgaben abschreiben wollte und stiert weiter.

Ihre Augenbrauen heben sich überrascht.

„ Nichts? Darf ich denn nicht Zeit mit meinem Freund verbringen?“

Bedächtig streicht sie ihren rosanen Rock glatt.

Ihre Stimme klingt schrecklich überdreht und sie lächelt mich süßlich an, so dass mir ganz mulmig wird.

Ihr ‚Freund‘...weiß nicht...fühlt sich immer noch seltsam an das in Verbindung mit mir zu hören. Wohl auch so eine Gewöhnungssache.

Das fällt mir wieder das Gespräch mit meiner Schwester ein.

„Du Katrin, am Wochenende ist doch Alinas Party, wollen wir uns vorher irgendwie treffen? Dann können wir zusammen hingehen.“

Wusste doch dass ihr die Aussicht als Paar hinzugehen gefallen würde, denn sie fängt sofort an glücklich zu strahlen.

„Super Idee, ich komme um...“, sie überlegt kurz und kaut dabei auf ihrer Lippe herum, „fünf Uhr zu dir? Von dir zu Alina ist es ja kürzer als andersrum.“ Erscheint mir auch sinnvoll und Mum kann ich damit auch gleich eine Freude machen.

„Klaro, holst du das Geschenk? Ich hab eh keine Ahnung was sie sich wünscht, sag mir dann einfach was es gekostet hat, dann geb' ich dir die Hälfte dazu.“

So hab ich wenigstens noch ein Problem weniger und Katrin ist Einglück sogleich Feuer und Flamme, weil sie nun noch einen Grund hat heute Nachmittag einkaufen zu gehen. Wäre auch eine mittlere Katastrophe wenn ich Alina ein Geschenk kaufen müsste.

Weiß ich was sich ein Mädchen zum siebzehnten Geburtstag wünscht? Am Ende wäre ich mit einer Vase aus dem nächstbesten Real da aufgekreuzt oder mit einem Blumentopf und Alina hätte mich sehr wahrscheinlich nie wieder zu was eingeladen.

Jonas schafft es tatsächlich noch fertig mit dem abschreiben zu werden bevor unser Lehrer durch die Tür kommt und Katrin verkrümelt sich auch endlich auf ihren Platz, als es klingelt, nicht ohne mir noch einen Kuss zu geben. Ich seufze ergeben. Kaffee wäre jetzt genau das richtige...
 

Am Nachmittag bin ich mit Basti zum schwimmen verabredet, waren wir schon länger nicht mehr. Jonas hatten wir auch versucht dazu zu bewegen mitzukommen, aber er druckste wieder nur herum und meinte er hätte schon was vor und ich nehme mal stark an er geht wieder Gewichte Stämmen in der Hoffnung es bringt ihm irgendwann mal eine Verabredung ein. Irgendwie belustigt mich ja schon die Vorstellung wie unser pummeliger Jonas verzweifelt versucht Hanteln anzuheben und ihm ein Trainer dabei sagt was er alles gerade falsch macht. Armer Jonas.

Da es heute Früh nicht so nach gutem Wetter aussah, beschließen wir in die Schwimmhalle zu gehen und dort ein paar Bahnen zu ziehen. Unter der Woche hat man wenigstens die Möglichkeit dazu, denn am Wochenende ist das Becken meist zu gut besucht um in Ruhe zu schwimmen ohne dass einem jemand den Weg kreuzt.

Das Wetter bessert sich zum Nachmittag hin schlagartig, trotzdem gehen wir in die Halle, für den See ist es dann doch noch etwas zu kühl.
 

Wir gehen zu Fuß, angestachelt durch das gute Wetter laufen wir stillschweigend und die Sonne genießend nebeneinander her. Die warmen Sonnenstrahlen prickeln angenehm auf meiner Wange und ich kann mich etwas entspannen.

„Kai?“ Basti sieht mich nicht an während er spricht und ich brumme nur fragend zurück.

„Ich...“

Meinen Kopf in seine Richtung drehend schaue ich ihn nun doch neugierig an. „Was is'?

„Ach nichts besonderes...ich hab letztens ne geile Seite entdeckt, musst dir unbedingt ma reinziehen!“ Er grinst mich vielsagend an und hebt die Augenbrauen, aber es wirkte seltsam auf mich. So gezwungen.

Irgendwie habe ich das Gefühl, Basti wollte eigentlich was ganz anderes sagen, doch ich beschließe ihn zu nichts zu drängen. Wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit und er weiß, dass er mit mir über alles reden kann, wenn er denn will, und Basti kann da ganz schön Stur sein.

„Ja...klar, schick mir einfach den Link über Skype.“

„Klar.“

Der Kies unter meinen Turnschuhen knirscht bei jedem unserer Schritte...ich mag das Geräusch irgendwie, denn ansonsten ist es ganz ruhig, außer wenn der Wind durch die Bäume raucht.

„Jonas benimmt sich schon wieder wie'n rolliger Kater.“

Er verdreht bei seinen eigenen Worten die Augen und verzieht die Lippen, und ich kann nicht anders als loszuprusten!

„Ja...haha....ja es ist scheinbar wieder soweit!“ Jetzt grinst er auch und schüttelt den Kopf, wobei ihm seine Haare in die Stirn fallen. Mit der Hand rückt er seinen Rucksack zurecht, der gerade drohte ihm von der Schulte zu rutschen.

„Weißt du noch wie er letztes Jahr versucht hat mit Fußball anzufangen? Was für 'ne Katastrophe! Mein Bruder zieht immer noch drüber her, wenn ich ihn mal sehe, ich glaub Jo wird da nie wieder hin gehen können, oh man.“

Letztes Jahr im Sommer hatte Jo, also Jonas, wieder so einen Fitnesswahn gehabt, der ihn immer überfällt, wenn er Notstand hat und er endlich Eindruck bei den Mädchen schinden will. Letzten Sommer kam er dann auf die glorreiche Idee mit Fußball anzufangen und ging zum Probespielen zum örtlichen Verein, wo Bastis Bruder spielt und tja, dort hat er dann allen bildlich vor Augen geführt, dass er für Fußball nicht mal ansatzweise Talent besitzt. Das einzige Tor was er geschafft hatte zu schießen, war ein überaus peinliches Eigentor, wo er sich auch noch volle Länge auf die Kante gepackt hat. Kein schöner Anblick, aber zum schreien komisch war es schon irgendwie.

Danach hatte er sich in den Kopf gesetzt gehabt mit Fitnesscenter anzufangen, aber mehr als reden ist nicht daraus geworden und er hörte wieder mit dem Blödsinn auf. Leider hörte er aber nicht auf uns weiterhin in den Ohren zu hängen, dass er zu dick ist um ein Mädchen kennen zu lernen. Ich selbst denke eher das es daran liegt, dass er einfach zu schüchtern ist, aber dies will er nicht hören. Er schiebt wenn es geht so ziemlich alles auf sein bisschen Übergewicht.

„Jo hat sich im Fitnesscenter angemeldet, ich glaub er will es dieses Jahr echt durchziehen. Aber wehe du erzählst ihm das ich gepetzt hab!“, warne ich ihn lächelnd.

„Uhi, na da bin ich ja gespannt. Was meinst du wie lange er durchhält? Ein, zwei Monate?“ Kurz überlege ich.

„Weiß nicht, klang als wäre es ihm dieses Mal echt wichtig. Fragt sich nur für welches Mädchen er dieses Mal das ganze Theater veranstaltet.“

„Keine Ahnung, vielleicht diese Marie.“

„Die hat doch nen Typen.“

„Da bist du aber nicht auf den neusten Stand Kumpel, Marie ist wieder auf dem Markt. Versorgt dich Katrin etwa nicht mit dem neuesten Weibertratsch?“

Ich schüttle verneinend den Kopf.

„Ne, der Mist ist mir so dermaßen egal.“

Ändert sich eh alles alle Zehn Minuten. Eben ist noch jemand glücklich vergeben, im Nächsten schon wieder getrennt. Manchmal glücklich, manchmal unglücklich. Blöd ist es immer nur, wenn Beziehungen innerhalb der Klasse auseinander brechen. Zusammengepfercht in einen kleinen Raum mit dem Ex oder der Ex und das sechs bis neun Stunden am Tag ist wirklich nicht der Hit, auch nicht für die Unbeteiligten dazwischen.

Der Fußweg verbreitert sich langsam und vor uns eröffnet sich ein großer Parkplatz.

„Ihr redet wohl nicht viel wenn ihr euch trefft, hä?“ Basti stößt mich kumpelhaft mit einer Faust gegen die Schulter, ich reibe mit der Hand über die schmerzende Stelle und unser Gang schlingert ein wenig, während wir verlegen lachen. Kommt es mir nur so vor oder ist er schon wieder so komisch? Sein Lachen klingt...falsch und seine Gesichtszüge wirken irgendwie verklemmt und er streicht sich dauernd mit der Hand durch die Haare, was ich als ein Zeichen der Unsicherheit interpretieren würde. Was ist los? Habe ich wieder etwas wichtiges verpasst? Langsam habe ich das Gefühl mit geschlossenen Augen durch die Welt zu rennen, als nächstes laufe ich noch gegen einen Laternenpfahl.

„Hör auf mit dem Blödsinn, bloß weil wir zusammen sind, sind wir nicht pausenlos am Fummeln!“ Also, zumindest ich nicht, aber das muss er ja nicht wissen. Ich habe keine Lust wieder meine Männlichkeit verteidigen zu müssen.

„Schon gut, war ja nur nen Scherz. Ach Mensch, Kai! Seh' doch alles nicht so eng. Kann ja nicht jeder so sein wie ich.“

Er zwinkert mir bedeutsam zu, ich seufze nur verhalten.

„Das wird schon Kai! Wenn du Tipps oder einen Rat brauchst, weißt ja ich steh sofort zur Stelle Kaptain!“, scherzt Basti und seine ausgestreckte, flache Hand wandert gespielt zu seiner Stirn, als wären wir bei der Armee oder so.

„Ich werde drauf zurück kommen wenn's soweit is'.“, murmle ich etwas unwillig.

Tipps in Sachen Sex mit Katrin sind zur Zeit das letzte was ich haben möchte. Was in der Zukunft passieren wird in unserer Beziehung kann und will ich nicht vorhersehen, aber gerade fühle ich mich einfach noch nicht danach. Ob Katrin das genauso sieht?

Bisher lässt sie ja keine Gelegenheit verstreichen mit mir zu fummeln, doch bisher konnte ich es gut vermeiden mit ihr längere Zeit ungestört alleine irgendwo zu sein...

Das Gespräch verebbt Einglück als wir durch den Eingang der Schwimmhalle schlurfen und ich atme tief die vertrauten Gerüche ein, wobei sich alles in mir vor Freude anspannt.

Wir ziehen uns um, Duschen und dann....endlich Wasser!

Herrlich! Es tut gut hinein zusteigen, das Gefühl der Schwebe und Leichtigkeit ist schön, angenehm und bekannt. Ich stoße mich von der Wand ab und ziehe einen Arm nach vorne, dann den anderen. Atme aus und ein, genieße das Gefühl und den Geruch. Chlor. Stimmen die an der hohen Decke widerhallen.

Neben mir kann ich Basti immer wieder kurz sehen wenn ich den linken Arm vorziehe und den Kopf dabei nach rechts wende. Er nimmt immer die zweite Bahn neben mir, da ich gerne die äußere schwimme. Er weiß es, obwohl wir noch nie drüber gesprochen haben. Ein stilles Arrangement sozusagen.

Wir schwimmen zwei Bahnen durch und dann steige ich kurz aus dem Wasser, spüre die bekannten, rauen Fliesen unter meinen nackten Füßen und fühle mich wie zu Hause.

Auch Basti klettert am Beckenrand heraus und ich kann seine Muskeln sehen die er dabei anspannt. Wir beide kennen die Halle in und auswendig, denn früher waren wir mal zusammen in einem Schwimmverein und haben hier immer trainiert mit der Mannschaft. Warum früher? Weil wir irgendwann einfach kaum noch Zeit hatten wegen der Schule und auch irgendwie keine Lust. Wir schwimmen beide wirklich gerne, aber doch nur als Hobby, zumindest geht es mir so. Wettkämpfe und so waren noch nie mein Ding. Aber ich vermisse die guten alten Zeiten trotzdem irgendwie.Es kommt mir vor als wäre es Jahrzehnte her dass wir als Kinder hier trainiert haben.

Auch nachdem wir aus der Mannschaft ausgetreten waren trafen ich und Basti uns trotzdem weiter regelmäßig zum schwimmen um fit zu bleiben und ich muss gerade neidvoll feststellen, dass er seit dem sogar noch an Muskeln zugelegt hat im Gegensatz zu mir, er war ja schon immer etwas Muskulöser als ich.

Seine großen Füße geben platschende Geräusche von sich, als er sich umdreht und zu dem kleinen Startpodest an der Spitze der Bahn geht.

An seinem Rücken glitzern kleine Wassertropfen durch das herein scheinende Sonnenlicht, laufen dabei langsam an seiner leicht gebräunten Haut am Rücken hinunter und weiter bis zur Badehose die ihm klatschnass und eng am Hintern anliegt.

Die Muskeln am Rücken bewegen sich geschmeidig im Takt mit seinen Schritten.

Langsam steigt er auf das Podest und lässt die Schultern locker kreisen, zieht seine Schwimmbrille zurecht und fährt sich durch die kurzen Haare. Wieder perlt Wasser von den nassen Spitzen seiner Haare herunter und landet auf seiner Brust. Mein Blick wandert weiter über seinen glatten Bauch.

Als Basti sich bereit zum Sprung macht, kann ich sehen wie sich seine Bauchmuskeln anspannen und in meinem Körper kribbelt es angenehm. Er springt ab und...ich erwache plötzlich aus meiner Starre, als Basti platschend ins Wasser eintaucht und zügig seine Bahn schwimmt. Mit einer bösen Vorahnung sehe ich an mir herab und entdecke das Zelt in meiner Badehose. Oh nein...

Ich hole panisch Luft und tue das erst beste was mir einfällt: ich springe ins Wasser!

Kurz tauche ich mit dem Kopf unter, schüttle mich heftig als ich wieder hoch komme und hole dann keuchend Luft. Ich strample erst etwas unbeholfen herum, als wenn ich vergessen hätte wie man schwimmt ehe ich mich wieder etwas fange.

Beruhige dich, Kai, denk an was ekliges, versuch dich abzulenken. Es hat sicher keiner gesehen. Hoffentlich. Was würde Basti nur denken wenn er gesehen hätte, wie ich mitten im Schwimmbad einen Ständer bekomme? Oh Gott! Das ganze ist mir einfach so unsagbar peinlich!

Basti ist ein Glück weit von mir entfernt und schwimmt ungestört seine Bahn und da ich immer noch nicht ganz abgekühlt bin bleibe ich auch weiter im Wasser, drehe mich aber in die andere Richtung und fange an zu schwimmen als wäre der Teufel hinter mir her.
 

Weitere zwei Stunden vergehen, ehe wir uns auf dem Weg machen zu den Umkleiden. Meine Haut riecht nach Chlor bemerke ich, als wir unter der Dusche stehen, während ich die ganze Zeit peinlich genau darauf achte Basti nicht anzusehen. Mir ist die Sache immer noch tierisch unangenehm, aber zum Glück scheint es niemand mitbekommen zu haben. Ich drehe ihm den Rücken zu und starre konzentriert die weißen Fliesen an. Einfach an nichts denken Kai…du machst einfach nur gerade eine Phase durch die sich Pubertät nennt.

Heißes Wasser prasselt mir angenehm ins Gesicht.

Vielleicht sollte ich doch endlich mal etwas mit Katrin machen und nicht jedes Mal den Schwanz ein kneifen wenn sie anfängt mich zu küssen und zu streicheln. Ich habe mich ihr einfach zu lange selbst entsagt, schließlich hatte ich davor ja auch immer nur Handarbeit betrieben, da eine andere Möglichkeit einfach nicht zur Debatte stand. Aber nun hat sich die Lage ja geändert und mein Körper sendet jetzt scheinbar einfach Signale das es langsam Zeit wird…daran muss es liegen…warum sollte ich sonst einen Ständer bei Basti kriegen? Mein bester Freund seit Kindertagen.

Es lag bestimmt einfach an der Situation und zu viel nackter Haut.

Mein Körper muss da was durcheinander gebracht haben…ich bin nicht schwul!

Nicht ich, der durchschnittliche Kai mit seiner normalen Familie, seinen normalen Hobbys und seiner normalen Freundin.

Sicher nicht!
 


 

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Wer Rechtschreibfehler findet darf sie behalten und essen!

Unverhofft kommt oft

4. Unverhofft kommt oft
 


 

Den ganzen Weg nach Hause kann ich mich kaum konzentrieren, höre Bastis Gespräch nur mit einem halben Ohr zu, obwohl ich wirklich versuche interessiert zu sein an seinen Frauengeschichten. Die Leute starren uns auch schon so skeptisch an, da wir mitten in der Straßenbahn sitzen und Basti nicht gerade leise ist.

Draußen ist es inzwischen windig geworden, die Wolken ziehen rasend schnell vorbei und einige Ladenschilder klappern laut.

Die Bahn hält an einer mir sehr bekannten Station an und ein älteres Ehepaar steigt schwerfällig aus, weswegen wir etwas länger stehen. Den Ellenbogen auf der Fensterkante abgelegt stütze ich meinen Kopf auf der linken Hand ab, Bastis Stimme rückt weiter in den Hintergrund. Mein Blick wandert über das Haltestellenschild.

Hier war es. Hier hatte ich vor ein paar Tagen gestanden mit total schlechter Laune, zusammen mit einem Lila haarigen Mädchen, einer dicken Frau und...hm ja und dieser junge Mann in dem dunklen Anzug. Dort drüben hat er gesessen und aus dem Fenster gestarrt, genauso wie ich gerade. Angestrengt versuche ich mir wieder sein Gesicht in Erinnerung zu bringen, doch es fällt mir immer schwerer, um so mehr Zeit vergeht. Wirklich bedauerlich!

Ich versuche auf andere Gedanken zu kommen, aber alles was mir dabei einfällt ist der unglaublich dämliche Vorfall von vorhin und ich starre frustriert auf die mit Grafitti beschmierte Fensterscheibe.

Eine Hand schiebt sich in mein Blickfeld, bewegt sich dabei wild auf und ab und zuerst starre ich nur verwirrt darauf, kann mit der Geste nichts anfangen und drehe den Kopf zum Besitzer der Hand. Basti grinst mich schelmisch an, seine Grübchen treten dabei stark hervor.

„Du bist ja total weggetreten, man! Was gab's denn so wichtiges, dass du selbst mich ignorierst, hm? Bin ich so langweilig geworden?“, scherzt er.

Seufzend richte ich mich auf, mein Arm fängt sofort an wild zu kribbeln und ich reibe mir den Ellenbogen. Es ist ein ekliges Gefühl, wenn einem die Gliedmaßen einschlafen

„Ne, sorry...war nur in Gedanken.“

Basti fängt ausgelassen an zu lachen und kneift mir in die Seite, so dass ich zusammenzucke und ihn nur böse anstarren kann.

„Jaaa das hat man gesehen! Du hast in letzter Zeit nur schlechte Laune, das ist selbst schon Jonas aufgefallen, und wir wissen beide, dass er ein absoluter Spätmerker ist. Das passt so gar nicht zu dir, ich kann mich nicht daran erinnern, dass unser lieber Kai mal so lange mies drauf war. Bist doch sonst nicht so. Liegt's an der Arbeit, die wir heute wieder gekriegt haben? Mach dir nichts draus, ich hab auch nur acht Punkte.“

„Ne, da hab zehn Punkte, da gibt’s nichts zu meckern.“ Merkt man, dass ich auf das Gespräch so gar keine Lust hab?

„Stress mit deiner Familie? Hat deine Schwester dir schon wieder die Konsole versemmelt?“

„Oh Gott, nein! Zumindest hoffe ich es für Sheila, dass meine playsi noch heile ist, wenn ich nach Haus komme.“

Er überlegt weiter und ich zupfe frustriert an meinem Shirt herum, da es irgendwo zwickt. Bei Gelegenheit sollte ich mal meine Eltern nerven wegen neuen Klamotten, meine werden langsam zu eng.

„Was ist es dann?“

Kann er die Fragerei nicht mal lassen? Heute ist er ja wie ein Hund der nicht von seinem Knochen ablassen kann.

Oh der tolle Kai hat endlich auch mal schlechte Laune, da muss ja was im Busch sein.

Pff, wie soll er das herausfinden, wenn ich selbst nicht mal weiß was mit mir los ist? Darf man denn nicht einfach mal grundlos schlechte Laune haben verdammt! Zuerst die scheiße in der Schwimmhalle, die mir immer noch peinlich ist, und jetzt ein nerviger Basti. Den soll man mir mal zeigen, der da noch in guter Stimmung ist.

„Nichts, mir geht’s gut.“, knurre ich. Wir sitzen zum Glück alleine auf einem Vierersitz, denn ich steh nicht so darauf von Fremden belauscht zu werden. Generell ist es recht leer in der Bahn.

Basti mustert mich skeptisch.

„Ist es wegen Katrin?“

Nicht schon wieder! Diese Worte...es macht mich einfach nur wütend!

„Ich sagte doch es ist nichts! Himmel! Reicht das denn nicht? Musst du denn immer weiter darauf herumtanzen? Mir geht’s gut, verdammte Scheiße!“

Erstaunt werde ich angesehen, verwirrt und etwas verschreckt wirkt Basti. In dem Moment wird mir bewusst, dass ich ihn angeschrien habe. Wäre an sich keine große Sache, aber ich habe Basti noch nie angeschrien. Nicht ein einziges Mal, seit wir uns kennen. Allgemein schreie ich nicht...normalerweise bin ich eher ein sehr ruhiger Typ.

Die anderen Fahrgäste mustern uns inzwischen auch ganz erschrocken. Ich schließe die Augen und reibe mir mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel, atme dann stoßend aus und merke das mein Puls in den letzten Minuten angestiegen ist durch meinen plötzlichen Wutausbruch.

„Sorry.“, murmelt er. Langsam hebt sich mein Blick, ich bemerke sein bedrücktes Gesicht und es tut mir Augenblicklich leid.

„Ich wollte dich echt nicht nerven, nur, wir erzählen uns doch sonst immer alles und in letzter Zeit bist du so komisch geworden. Wir machen uns einfach Sorgen, Jonas und ich.

Ach Kai! Du weißt doch wir sind da wenn du Hilfe brauchst, oder haben wir dir je vermittelt, dass wir dich im Stich lassen würden? Du hast uns doch auch jedes Mal geholfen wenn was war. Denk nur mal an die Aktion bei meiner Geburtstagsfeier letztes Jahr, wo du mir geholfen hast. Weißt du noch?“

„Ja...“, sage ich unwillig, „...ohne mich hätte der Typ dich zusammen gefaltet, als du mit seiner Freundin rumgemacht hast.“

„Ja, ich war das erste Mal so richtig sturzbetrunken, unfassbar.“ Er muss lachen und streicht sich durch die Haare.

„Oh man.“, fügt er noch hinzu.

Jetzt grinse ich auch, schüttle den Kopf und lehne mich dann an die Fensterscheibe. Wir schweigen für einen kurzen Moment ehe er das Gespräch wieder aufnimmt.

„Es liegt an Katrin.“ Keine Frage, eine Feststellung von ihm.

„Wie kommst du darauf?“ Meine Worte sind so leise, dass es schon fast erstaunlich ist, dass Basti mich verstanden hatte.

„Na ja, du bist erst so drauf, seit dem du mit ihr zusammen bist. Kann ich dir da irgendwie helfen? Ich mein, du weißt das ich mich in dem Bereich gut auskenne.“ Er grinst schief.

„Nein...nein das ist es nicht. Mich nervt es nur.“

„Es...nervt dich?“

„Ja, also, ich meine die ganze Situation nervt mich, das ganze Gerede mit 'Du hast ja Katrin', wenn ihr über Mädchen redet. Und Katrin selbst auch, ja.“

„Sorry Alter, aber ich versteh nur Bahnhof!“

Eigentlich will ich nicht drüber reden, aber ich muss zugeben es tut schon irgendwie gut mal zu sagen was mich beschäftigt.

„Sie nervt mich irgendwie einfach nur. Also ihre ganze Art, ihre Stimme und dann will sie dauernd nur knutschen.“ Zum Ende hin werde ich immer leiser.

„Dich nervt es, wenn sie dich küssen will? Bist du von allen guten Geistern verlassen??“

Ha! Ich wusste das Basti das nicht versteht! Basti, der tolle Weiberheld, der nie eine Gelegenheit auslässt, immer nur Sex im Kopf. Dabei ist er nur etwas älter als ich!

Basti der...moment! Was denke ich denn hier? Das ist immerhin Basti, mein bester Freund! Was nur ist mit mir los? Ich denke sonst doch nie so schlecht über meine Freunde...

Verschämt senke ich den Blick und hoffe man sieht mir meine Gedanken nicht an.

Die Anzeige der Straßenbahn kündigt meine Station an und pure Erleichterung überkommt mich. Endlich nach Hause. Langsam stehe ich auf, halte mich dabei an der kalten, gelben Stange fest um nicht umzufallen, als die Bahn abbremst.

„Was ist los Kai?“

Basti schaut mich ehrlich besorgt an, nur was soll ich ihm denn sagen? Ich weiß es ja selbst nicht so genau, aber ich bin nicht scharf darauf das Gespräch weiter in der Öffentlichkeit zu führen.

„Lass mal bei mir weiter quatschen, wir können ja später auch noch ein bisschen zocken.“ Ein wenig hoffe ich ja, dass er seine Frage vergisst, als wir schweigend zu mir nach Hause laufen, nur unterbrochen von kurzen, unverfänglichen Gesprächen.

Wir gehen in mein Zimmer, nachdem uns meine Mutter jeweils ein Glas Saft in die Hand gedrückt hat und setzen uns auf das blaue Sofa in der gegenüber liegenden Ecke vom Bett vor den Fernseher. Basti sucht sich einen Film aus den er schauen will und dann sitzen wir wieder schweigend nebeneinander, jeder in seiner Ecke mit dem Glas in der Hand. Zwischenzeitlich kommt unsere Katze an geschlichen und lässt sich schnurrend von Basti kraulen.

„Also?“, fragt er und nippt an seiner Cola.

„Was 'also'?“ Ich weiß eigentlich genau worauf er hinaus will, aber aus Trotz stell ich mich unwissend, doch Basti stöhnt nur genervt.

„Hör auf mit dem scheiß, wir sind keine Kinder mehr Kai!“

Ja ich weiß, leider.

„Sag schon, was hast du an Katrin auszusetzen? Hat sie irgendwas angestellt? Vielleicht lässt sich das ja ganz einfach aus der Welt schaffen.“

„Ich weiß es ja selber nicht...“

Auf dem Fernseher findet gerade eine Prügelei statt, auf die ich mich gerade nicht wirklich konzentrieren kann.

„Ich...habe mir das irgendwie anders vorgestellt.“

„Anders?“

„Na du weißt schon, so wie es alle immer beschreiben. Mit Schmetterlingen im Bauch und den ganzen Mist, so wie in den Liebesschnulzen meiner Schwester halt. Aber so ist es nicht bei uns, oder zumindest nicht bei mir. Manchmal nervt sie mich einfach nur, ihr Parfüm brutzelt mir die Nase weg und ihre Küsse schmecken furchtbar!“

„Schon mal darüber nachgedacht, dass Katrin vielleicht einfach nicht die Richtige für dich ist? Hört sich ja nicht gerade nach großer Liebe an, wenn ich das so höre.“

„Wenn das Liebe wäre, könnte ich auch gut drauf verzichten.“

Er runzelt die Stirn.

„Das soll wirklich nicht böse klingen oder so, also kriege das jetzt nicht in den falschen Hals, aber vielleicht solltest du mit ihr Schluss machen.“

„Und dann?“

„Wie und dann? Na dann suchen wir dir ein Mädchen, dass dir das Hirn weg pustet! Auf irgendeine musst du ja anspringen.“

„Ich glaub ich will das gar nicht, also eine Beziehung mit dem ganzen geknutsche und so. Ich bin einfach nicht der Typ dafür. Ich hab das mit Katrin doch nur gemacht damit Mum nicht mehr so viel nervt. Du kennst sie ja.“

„Das kommt bestimmt noch! Wenn du die Richtige triffst, dann wird der Funke schon überspringen. Auch wenn ich immer noch nicht ganz verstehen kann was du am Küssen auszusetzen hast, ich mein, das kann man doch auch super ohne gleich dem Mädel die ewige Liebe zu schenken. Und der Sex erst! Du weißt ja gar nicht was du alles verpasst, Alter.“

Ich zucke mit den Schultern und nippe an meinem Glas.

„Ich freue mich schon irre auf die Party am Samstag!“, wechselt er plötzlich das Thema. Erstaunt hebe ich den Kopf.

„Du kommst auch?“

„Klar! Das lass ich mir doch nicht entgehen, hab gehört da kommt eine aus der Klasse von Alinas Freund, die lässt alles mit sich machen!“, grinst Basti anzüglich.

„Super! Ich wollte schon immer mal einem Mädchen 'ne Melone an den Kopf werfen und sehen wie sie reagiert!“

Basti schüttelt sich vor lachen und auch ich kann nicht anders als breit über meinen eigenen Scherz zu grinsen.

„Du bist so ein Schwachkopf, aber anders kenne ich das auch nicht von dir!“

Wir albern auch den restlichen Film nur herum, spielen später tatsächlich noch irgendein Rennspiel, ehe Basti sich verabschiedet und ich wieder mit meinen Gedanken alleine bin.

Basti meint ich sollte lieber die Sache mit Katrin beenden und nach meiner großen Liebe suchen, Sheila ist der Meinung, dass ich einfach nur Zeit brauche um mich zu verlieben, Dad ist das eh schnuppe ob ich nun Single bin oder nicht und Mum ist wahrscheinlich mit allem Glücklich, solang ich eine Freundin habe. Und ich? Was will ich eigentlich?

Ehrlich, ich weiß es nicht...aber wenn ich Katrin fallen lasse habe ich tierische Probleme am Hals, immerhin gehen wir leider in dieselbe Klasse.

Auf welchen Rat hört man in so einer Situation? Ist es besser auf seinen besten Freund zu hören oder seiner eigenen Familie zu vertrauen?
 


 

Es ist Samstag, die Sonne scheint, draußen zwitschern die Vögel und ich...liege im Bett, versuche mich noch den letzten Tagträumen hinzugeben. Jaaa ich weiß, es ist schon längst Mittag, aber ich habe fast die ganze Nacht das neue Game, was gestern endlich mit der Post kam gezockt und bis Katrin hier auftauchen würde, habe ich noch eine menge Zeit.
 

Der Freitag ging gestern recht gut rum, sogar von Katrin hatte ich einigermaßen Ruhe, da sie vollauf beschäftigt war mit einer ihrer Freundinnen, die wohl eine Beziehungskrise mit ihrem Freund hat oder so.

Endlich mal wieder ein angenehmer Tag und dazu noch das neue Spiel. Tja manchmal hab ich auch mal Glück.
 

Irgendwann schalte ich die Glotze an und vertreibe mir so noch etwas Zeit im Bett, bis meine Schwester die Zimmertür energisch öffnet.

„Du liegst ja immer noch im Bett du faules Stinktier! Mum schickt mich und hast du mal auf die Uhr geschaut? Mathias kommt gleich und du bist noch nicht mal aufgestanden!“

Murrend rolle ich mich auf die andere Seite des Bettes.

„Lass mich doch, ich hab noch Zeit bis Katrin rein schneit. Kann ja nix dafür das dein Stecher schon so früh einreitet.“

„Er ist mein Freund, nicht mein Stecher du Schwachkopf!“

Sie schnaubt wütend, dann spüre ich wie mir die Decke weggezogen wird und ich so nur noch in Shorts im Bett liege. Hastig schlinge ich die Arme um meine nackte Brust.

„Man Sheila, lass doch den Scheiß!“

„Nichts da, ich will mich nicht wegen dir vor Mathias und seinem Bruder blamieren müssen. Du stehst jetzt auf und gehst duschen, oder ich mach dir den Abend zu Hölle!“

Bei den letzten Worten grinst sie diabolisch und verlässt mit samt meiner Decke das Zimmer, während ich mich aufsetze und immer noch etwas verwirrt die offene Tür anstarre. In solchen Momenten wünsche ich mir wieder ein Einzelkind zu sein.
 

Verstimmt schleppe ich mich dann doch unter die Dusche, ziehe mir danach eine Jeans und ein notdürftiges Shirt über das mir viel zu groß ist und schlurfe runter in die Küche um mir erst mal ein spätes Frühstück zu machen. Meine Haare sind immer noch feucht und ragen strubbelig in alle Richtungen, aber das ist mir in dem Moment total egal, genauso wie mein Schlabberlook. Schick machen kann ich mich später immer noch, wenn ich was im Magen habe.

Ich kann Stimmen aus dem Wohnzimmer hören, als ich durch den Flur laufe, die sich verdächtig nach Sheila und Mathias anhören. Von draußen rattert der Rasenmäher, was mir sagt das Dad auch schon auf den Beinen ist.

Müde die Augen reibend, betrete ich die Küche und sehe meine Mutter am Tisch sitzen, fröhlich schwatzend mit...einem schwarzhaarigen Jungen.

Geschockt bleibe ich so plötzlich stehen, dass ich mich am Türrahmen festhalten muss um nicht mein Gleichgewicht zu verlieren.

Nein...nein nein nein! Das kann gar nicht sein! Kai du bist nur Müde. Dein Kopf schläft noch, warum sonst solltest du IHN dort sitzen sehen?

Nochmal reibe ich mir über die Augen, aber er ist immer noch da.

Ich schaue nochmal hin.

Tatsächlich.

Der Junge aus der Straßenbahn, mit den schwarzen Haaren, den grauen, von dunklen Wimpern umrahmten Augen und der seiden glatten Haut. Nur diesmal ohne Anzug und mit normalen Klamotten.

„Morgen Schatz! Schön dass du auch mal aufstehst.“, begrüßt mich meine Mutter schnippisch, woraufhin der Junge plötzlich seinen Kopf in meine Richtung wendet und mich mustert. Er hatte mich scheinbar erst jetzt bemerkt.

„Hi.“, spricht er mich an mit seiner dunklen, weichen Stimme...

Blitze jagen durch meinen Körper und ich bin einfach unfähig mich von der Stelle zu rühren. Meine Atmung und meine klaren Gedanken hatten sich schon lange von mir verabschiedet.

Was zum Teufel macht er hier in unserer Küche?

In unserem Haus?

Ich kann es kaum glauben und trotzdem ist er hier.

Locker sitzt er auf einem Stuhl, den Kopf auf einer Hand abgestützt mit dem Ellenbogen auf der Tischplatte und vor sich eine dampfende Tasse mit frischem Kaffee. Seine Haare sind leicht gestylt, so dass ihm ein paar einzelne Strähnen in die Stirn fallen, was seine Augen nur noch mehr betont. Er trägt ein helles Muskelshirt und darüber ein lockeres, rotkariertes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Ein ledernes Band mit silbernem Anhänger ziert seinen Hals und mein Blick wandert wieder zu seinem Gesicht.

Er sieht so anders aus ohne Anzug und den geschniegelten Schuhen. Ganz anders, aber trotzdem ist es definitiv der Typ aus der Bahn! Darauf würde ich meinen Verstand verwetten.

Seine Lippen sind leicht gerötet, wahrscheinlich vom heißen Kaffee und gebannt sehe ich zu wie sie sich zu einem Lächeln verziehen und dann langsam bewegen. „Hi“, sagt er nochmal und mir wird bewusst das ich starre. Hastig wende ich den Blick ab zu meiner Mutter die nur gedankenverloren in einer Zeitung blättert und hoffe inständig, dass ich nicht gerade vor Scham rot geworden bin.

„Sorry wenn ich dich überrascht habe, war keine Absicht.“ Seine Augen wandern bedeutend über meine Kleidung.

Scheiße! Ich sehe aus wie der letzte Penner und es ist schon nach drei Uhr!

Super Eindruck den ich da machen muss, um die Uhrzeit erst aufzustehen war vielleicht doch ein Fehler.

„Schon...ok.“, krächze ich nur zurück. Himmel was ist mit meiner Stimme passiert? Ich räuspere mich und wiederhole meine Worte nochmal mit festerer Stimme.

Etwas nervös gehe ich zum Kühlschrank und nehme mir eine Packung Milch heraus, während meine Mutter ihre Zeitung zusammenlegt, meint sie holt schnell mal die Post und mit ihrer Tasse Kaffee aus der Küche verschwindet.

Im Hängeschrank finde ich eine Schüssel und die Müslischachtel, im Schubfach einen Löffel. Dann setze ich mich damit an den Tisch direkt gegenüber von ihm.

Unsicher schaue ich kurz auf, nachdem ich mir Milch und Müsli in die Schüssel gekippt habe. Er sitzt leicht über den Tisch gebeugt da, die Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützt und hält mit beiden Händen die Kaffeetasse umschlungen.

„Ähm...wer...also, wer bist du eigentlich? Ich hab dich hier noch nie gesehen...“

Stimmt ja auch. HIER habe ich ihn wirklich noch nicht gesehen und da ich nicht davon ausgehen kann, dass er sich überhaupt an mich erinnert, wenn er mich überhaupt damals bemerkt hatte, tue ich einfach mal so, als wenn ich ihn allgemein zum ersten Mal sehe.

Dazu auch noch das Gestottere, ich mein, warum bin ich denn eigentlich nervös? OK, eine blöde Situation war das schon gerade, aber trotzdem. Er ist doch nur irgendein Kerl, den ich zufälliger Weise mal in der Bahn beobachtet hatte. Da ist nichts dabei und trotzdem macht mich seine Anwesenheit gerade einfach nur nervös.

„Ich bin David, Mathias Bruder. Ich sitze hier nur meine Zeit ab, bis wir losgehen und deine Mutter war so lieb mir einen Kaffee zu machen. Ich fürchte mein Bruder hat gerade nur Augen für deine hübsche Schwester.“, sagt er leicht belustigt und reicht mir kurz die Hand zur Begrüßung, die ich geistesabwesend schüttle. Hmm, ein starker Händedruck und ich erwidere kräftig. Er soll ja nicht gleich denken ich sei ein Schwächling.

„Aha.“

Ich weiß die Antwort ist nicht sehr intelligent, aber gerade bin ich einfach noch nicht in der Lage konstruktive Antworten zu geben. Immer noch bin ich zu verwirrt von der ganzen Situation.

David heißt er also, und so wie er aussieht kann er doch nicht so alt sein. Zumindest keine zwanzig. Das lag wohl wirklich am Anzug, denke ich

David hebt eine Augenbraue.

„Und, hast du auch einen Namen?“

„Was? Achso, ja. Sorry, bin noch nicht ganz wach.“, gähne ich mit vorgehaltener Hand.

„Ich heiße Kai, Sheila ist meine ältere Schwester.“

„Verstehe.“

Dann ist erst mal Stille. Er trinkt seinen Kaffee, ich esse mein Müsli. Es ist ein seltsames Gefühl, mit ihm hier zu sitzen, doch er ist ganz locker. Scheint ihm nicht viel auszumachen. Ja warum sollte es ihm auch was ausmachen, er kennt mich ja gerade mal seit fünf Minuten. Wäre schon extrem, wenn er mich nach der kurzen Zeit bereits nicht leiden könnte oder so. Wir haben ja auch nur wenige Worte miteinander gewechselt.

Immer wieder streift mein Blick über Davids Gesicht. Wenn er trinkt pustet er jedes Mal kurz in die Tasse, obwohl der Kaffee mittlerweile nicht mehr heiß sein dürfte. An seinem Handgelenk trägt er eine modische Uhr, an der er manchmal gedankenverloren herum fummelt.

Plötzlich sieht er mich an und ich senke schnell den Blick und leere hastig meine Schüssel.

Ich habe das Gefühl etwas sagen nur müssen, einfach weil es so verdammt still ist, deshalb räuspere ich mich kurz verlegen.

„Und du kommst nachher mit? Zu Alinas Party mein ich.“

Er nickt.

„Ja.“

Nervös rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Kann er nicht ein wenig mehr erzählen? Oder hat er keine Lust mit mir zu reden?

„Und woher...? Also, woher kennst du Alina? Oder gehst du nur mit wegen deinem Bruder?“

Er schüttelt den Kopf.

„Nicht nur wegen Mathias, ich gehe mit Philipp in eine Klasse und wir sind befreundet.“

Er bemerkt meinen fragenden Blick.

„Philipp ist Alinas Freund.“

Da macht es Klick und ich erinnere mich an den blonden Kerl mit Brille und Hakennase von der letzten Party mit Alina.

„Ach der, ja ich weiß schon. Das heißt du gehst aufs Gymnasium?“

Hätte ich ehrlich nicht erwartet...bei den anderen Partys mit den Streberfreunden von Philipp war David sicherlich nicht dabei. Das wäre mir aufgefallen.

„Ja, elfte Klasse. Warum siehst du so überrascht aus? Sehe ich nicht klug genug aus dafür?“

Rote Flecken bilden sich augenblicklich auf meinen Wangen.

„Nein nein, so war das nicht gemeint nur...“, rede ich mich schnell raus und werde noch roter im Gesicht.

„Ich meine, du siehst nicht so aus wie die anderen Freunde von Philipp. Und auch dieses Akademikergehabe und so, das ist bei dir gar nicht.“

Er lacht, während die Kaffeetasse noch an seinen Lippen ist.

„Ich glaube, ich weiß schon was du meinst. Sie sind schon manchmal ein wenig seltsam, wenn man sie nicht gewohnt ist. Und auf welche Schule gehst du?“

„Ich geh mit meiner Schwester zusammen auf eine Realschule mit gymnasialer Oberstufe, zehnte, bald elfte Klasse.“

Es ist angenehm sich mit ihm zu unterhalten, obwohl ich am Anfang das Gefühl hatte unter Strom zu stehen.

„Also bist du Siebzehn?“, fragt er ein wenig überrascht.

„Sechzehn, ich werde bald Siebzehn. Warum?“

„Du siehst jünger aus.“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das jetzt als Kompliment verstehen soll, oder ob er mir durch die Blume sagen wollte, dass ich noch aussehe wie ein Kind.

„Hm, das kommt nur vom Outfit.“, meine ich scherzhaft und er grinst tatsächlich, sodass sich kleine Grübchen bilden.
 

„Du siehst ja immer noch aus wie aus dem Bett gekrochen! Kai, wir haben Besuch, zieh dir endlich was anständiges an!“

Sheila kommt gerade in die Küche geplatzt und zerstört damit die Atmosphäre. Zumindest kommt es mir so vor als sei da gerade etwas gewesen, eine Anspannung in der Luft die nun zerplatzt ist wie eine Seifenblase.

Verstimmt stehe ich auf und räume mein Geschirr weg.

„Ich mach ja schon, hast du nicht noch was zu tun? Mit deinem Freund rumknutschen oder so?“, gifte ich sie an. Gerade habe ich wirklich keine Lust auf geschwisterliche Toleranz, denn ich will mich weiter alleine mit David unterhalten.

Sheila zieht zischend die Luft ein.

„Halt deine Klappe! Bloß weil es bei dir nicht läuft musst du nicht dauernd auf mir rumhacken. Jetzt verschwinde und geh Mathias Bruder nicht auf die Nerven. Katrin hat angerufen, sie in in einer halben Stunde hier.“

Ich fluche still in mich hinein, werfe David einen entschuldigenden Blick zu und verziehe mich in mein Zimmer.

Ein paar anständige Sachen lassen sich dann auch noch im hintersten Teil meines Kleiderschrankes auftreiben, die nicht nach Penner oder Presswurst schreien und ich verschwinde mit einer dunklen Jeans und einem passablen Shirt im Bad.

Schnell ziehe ich mich um und versuche nach dem Zähneputzen meine Haare noch in eine ansehnliche Form zu bringen, als es auch schon unten klingelt und ich hören kann wie Katrin meine Schwester überschwänglich begrüßt. Warum zum Teufel ist sie denn jetzt schon da?! Es ist gerade mal um Vier.

Ich hätte noch eine Stunde Zeit gehabt. So ein Mist!

„Kai?“, kann ich meine Mutter rufen hören.

„Deine Freundin ist da.“

„Ja~aa, ich komm gleich, Moment!“

Als ich die Treppe runter laufe treffe ich sie im Flur an, wie sie gerade ihre Schuhe auszieht und dabei mit meiner Schwester schwatzt. Mum ist schon wieder in der Küche verschwunden und ich höre Geschirr klappern, wahrscheinlich räumt sie den Geschirrspüler aus.

„Hi Schatz! Ich konnte zum Glück ein bisschen früher herkommen als geplant. Toll was?“

Ja, ich bin begeistert...

„Hm, ja klar.“

Sie kommt zu mir, legt ihre Hand in meinen Nacken und gibt mir einen kurzen, nach Kirsche schmeckenden Kuss auf die Lippen. Ihre Hand wandert auf meinen Rücken und wir gehen ins Wohnzimmer, wo Mathias und sein Bruder sich auf den Hockern bequem gemacht hatten. Wir setzen uns auf das Sofa und die Mädchen unterhalten sich weiter angeregt. Irgendwie komme ich mir gerade tatsächlich wie das fünfte Rad am Wagen vor.

Ein Schauer durchfährt mich, das Gefühl des beobachtet werdens und als ich mich nach dem Verursacher umsehe treffe ich wieder auf graue Augen die mich mustern.

„Das ist Kai, Sheilas kleiner Bruder.“, klärt Mathias seinen Bruder auf.

„Ja ich weiß, wir hatten bereits das Vergnügen.“, meint David nur knapp.

„Katrin kennst du ja schon, sie ist seine Freundin. Feste Freundin.“

Besonders der Teil mit meiner festen Freundin betont Mathias stark, was mich ein wenig verwirrt.

Was ist daran denn jetzt nun besonderes? Katrin ist die merkwürdige Betonung des Satzes noch nicht mal aufgefallen und gibt mir nur zur Bestätigung von Mathias Worten einen Schmatzer auf die Wange.

Aber David scheint darin irgendeinen geheimen Code oder ähnliches entschlüsselt zu haben, denn er meint nur er habe verstanden, ehe das Gespräch wieder unverfänglicher wird und wir uns über verschiedene Fernsehserien unterhalten, die zur Zeit laufen.

Die ganze Zeit werde ich das Gefühl nicht los, dass das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern irgendwie...hm ja, irgendwie kalt ist.

Wenn sie Worte wechseln, dann immer nur in knappen Sätzen. Sie wirken regelrecht unsicher und kühl miteinander, als würde etwas zwischen ihnen stehen. Ob sie sich gestritten hatten?

Und noch etwas finde ich seltsam, ich weiß das Mathias ein Jahr älter ist als ich und wenn David auch in dem Alter ist und sie sind Brüder...aber Zwillinge sind sie auf keinen Fall, nicht mal zweieiig. Dafür sehen sie einfach zu unterschiedlich aus, sie wirken ja nicht mal wie Brüder. Mathias mit den blonden Haaren, Sommersprossen auf der markanten Nase und dazu grüne Augen, und dann der schwarzhaarige David.

Hm, nein, sie sehen wirklich nicht aus wie Brüder.

Aber was dann? Bei Gelegenheit werde ich das mal erfragen.
 

...

Von Märchenprinzen und Dornröschen

5.Von Märchenprinzen und Dornröschen
 


 

Bald darauf machen machen wir uns auf und ich erfahre auch gleich mal, dass uns Mathias mit dem Auto fährt, was Sheila mir mal wieder vergessen hat mitzuteilen.

Wundervoll diese Kommunikation in meiner Familie! Aber immerhin werde ich bequem hin und hoffentlich auch zurück kutschiert, da sollte ich mich lieber nicht beschweren. So wie ich meine Schwester kenne, würde sie mich auch eiskalt laufen lassen, wenn heute Abend keine Bahn mehr fährt.

Als wir das Haus verlassen und ich Mathias Wagen sehe, pfeife ich anerkennend.

„Uhi schicker Mercedes.“ Der silberne Lack glänzt sogar noch richtig neu.

„Ja, aber leider nicht meiner, der gehört meinem Vater. Der liegt dann doch etwas außerhalb meiner Preisklasse. Mein klägliches Azubi-Gehalt reicht da leider nicht. “, grinst er und öffnet die Fahrertür.

Sheila setzt sich wie selbstverständlich auf die Beifahrerseite und ich finde mich plötzlich in der Mitte der Rückbank wieder, links David und rechts Katrin.

Nicht das ich eine Wahl gehabt hätte...

„Ich find' die Offroader ja klasse.“ Ich bin kein Autofanatiker, aber einige Sachen schaut man sich ja schon hin und wieder an, oder man spricht drüber.

„Hm..mir gefallen die Coupés ganz gut, auch wenn ich einen Viertürer aus praktischen Gründen vorziehe.“

Während der Fahrt bleibt das Gespräch weiter am laufen und auch David klinkt sich irgendwann mit ein. Nur meine Schwester guckt verdrießlich aus dem Fenster und Katrin ist schon nach gerade mal fünf Minuten eingeschlafen.

Warum hat das Autofahren bei Mädchen nur diese Wirkung? Ist ja nicht gerade so, als wenn im sitzen schlafen unglaublich bequem wäre, zudem es auf dem Rücksitz recht eng ist mit drei Leuten.

Davids Oberschenkel liegt direkt an meinem und ich kann seine Körperwärme durch die Jeans spüren. Er hat unglaublich lange Beine, ob es ihm nicht zu eng ist? Seine rechte Hand hat er auf dem Knie abgelegt, sie ist ganz ruhig.

Eine lange, feine Narbe zieht sich quer über seinen Handrücken und eine kleinere Narbe schimmert am Zeigefinger. Was ihm da wohl passiert ist?

„Ich wüsste zu gerne was in deinem hübschen Köpfchen gerade vor sich geht.“

Erschrocken fahre ich zusammen, mein Kopf zuckt nach oben und ich sehe seine Augen, nur wenige Zentimeter von meinen entfernt. Verlegen rücke ich ein Stück ab und senke die Lider.

Seine Worte hallen in meinen Gedanken wider. Hübsches Köpfchen?!

„I-ich habe mich nur gefragt woher die Narbe ist.“, kommt es leise aus meinem Mund, ehe ich nachdenken kann und deute auf seine Hand. Er folgt meinem Fingerzeig mit seinem Blick und zieht die Augenbrauen zusammen.

„Ein Unfall vor ein paar Jahren. Mein... Cousin hat sich mit seinem besten Freund gestritten und dabei ging eine Scheibe zu Bruch. Einige Scherben sind leider auf mir gelandet. Tat verflucht weh! Aber das ist lange her, nicht der Rede wert.“

Aus den Augenwinkeln kann ich grüne Augen sehen, die mir aus dem Rückspiegel entgegen blitzen. Ich fühle mich unangenehm beobachtet, aber der Blick scheint nicht mir zu gelten. Nein, er gilt David.

„Tja, kommt davon wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist.“, sagt Mathias gelassen und schaut dabei wieder auf die Straße.

Was geht denn jetzt ab? Doch David verzieht nur die Lippen, lässt es ohne Erwiderung im Raum stehen. Ich könnte nie so selbstbeherrscht sein, doch da es nicht um mich geht halte ich mich da lieber raus. Wer weiß was da zwischen ihnen abgelaufen ist.

Eine erdrückende Stille senkt sich über uns, zumindest habe ich das Gefühl, denn Mathias sitzt nur verkrampft am Steuer, Sheila sagt gar nichts, Katrin pennt immer noch und David schaut verbissen aus dem Fenster.

Sein Gesicht wirkt angespannt und nachdenklich, sein dunkles Haar schimmert zudem im hereinfallenden Sonnenlicht. Kurz habe ich das Bedürfnis mit meinen Fingern einmal durch seine Haare zu streichen, werfe den Gedanken aber sofort von mir, da ich es eh nicht tun kann. Seufzend lasse ich mich tiefer in den Sitz sinken, meine Schulter berührt dabei seine und ich kann Davids angenehmen Geruch wahrnehmen. Herb und Männlich, so wie eins von diesen Calvin Klein Mämmerparfums, die furchtbar teuer sind.

Hmm, ob er tatsächlich so etwas benutzt? Fragen kann ich ihn ja schlecht, nachher glaubt er noch ich will ihn stalken.

„Wir sind da.“, brummt es von vorne, während wir vor einem Einfamilienhaus einparken.

„Weck deine Freundin lieber mal auf Kai.“

„Was? Achso ja klar.“ Unwillig wende ich mich zu Katrin um, die mit ihrem Kopf gegen die Fensterscheibe lehnt und schüttle sie unsanft an der Schulter.

„Katrin, wach werden.“

Müde schlägt sie die Augen auf.

„Hm?“

„Wir sind da.“

„Achso..“

Sheilas Gesicht taucht in der Lücke zwischen Fahrersitze und ihrem auf.

„Kai du Grobian, du hättest sie auch ruhig wach küssen können.“

„Warum?“

Sie schüttelt nur den Kopf.

„Du bist echt ein hoffnungsloser Fall.“ Sie schaut David fragend an.

„Sind alle Männer so unsensibel?“

„Ach was.“, schmunzelt er. „Ich spiele ganz gerne den Märchenprinzen, allerdings muss mein Dornröschen ein wenig mehr hermachen.“

„Schon klar“, kichert sie, wird aber rüde von Mathias unterbrochen.

„Sheila! Lass das, das ist nicht witzig.“

Wir steigen aus und werden an der Haustür auch gleich in Empfang genommen von Alina. Glückwünsche werden ausgetauscht und dann finden wir uns im Wohnzimmer wieder, wo Katrin unser Geschenk zu den anderen legt und mir wird ein Glas Cola in die Hand gedrückt.

Die meisten Gäste scheinen schon anwesend zu sein, denn das ganze Haus ist voller Leute und Musik dröhnt aus den Boxen einer teuer aussehenden Anlage in der Ecke. Zusammen mit David setze ich mich auf ein freies Stück vom Sofa und wir unterhalten uns ein wenig. Er erzählt etwa über seine Klasse und ich berichte ihm von meiner Zeit im Schwimmteam, und wieder merke ich wie angenehm leicht es ist sich mit ihm zu unterhalten. So ungezwungen.

Irgendwann gesellt sich Alinas Freund, Philipp zu uns und das Gespräch driftet komplett ab zu seiner Klasse und verschiedenen Schulprojekten, wo ich nicht wirklich verstehe worum es da geht, bis David sich fragend zu mir dreht.

„Wir haben bald ein Schulfest bei uns, wo jede AG etwas organisiert und sich vorstellt. Ist eigentlich eher so ein Tag der offenen Türen Ding, nur intern, damit man die Schüler für Nachmittägliche Aktivitäten in der Schule begeistern kann. Auch wenn das ein Gymnasium ist, die meisten sind froh wenn Schluss ist und haben keine Lust noch weiter in irgendwelchen AG's rumzuhängen. Wenn du Lust hast, kannst du gerne vorbei kommen und dir unser Projekt anschauen.“

Seine Aufmerksamkeit liegt wieder ganz bei mir und ein wenig genieße ich das Gefühl. Philipp holt sich unterdessen was zu trinken und verschwindet in der Küche.

„Hm, aber ich geh doch gar nicht auf eure Schule, dürfen Fremde da so einfach rein?“

„Das merkt eh keiner bei der Masse an Schülern.“

„Wenn das so ist, warum nicht. Wann denn?“

„Nächsten Freitag, wenn du mir deine Handynummer gibst, dann kann ich dir auch die Adresse noch schicken, die hab ich gerade nicht dabei.“

„Klar, Moment...“ Hastig krame ich mein Handy aus der Hosentasche, entsperre es und lese ihm meine Nummer vor. Leider kann ich meine nicht auswendig, einfach zu viele Zahlen zum merken.

„Soll ich dir meine eintippen?“, fragt er höflich. Schnell reiche ich ihm mein Handy, damit er seine Nummer eintippen kann, bevor er es sich wieder anders überlegt. Seine flinken Finger fliegen regelrecht über die Tastatur, dann gibt er es mir mit einem warmen Lächeln zurück.

„In was für eine AG gehst du denn?“ Jetzt bin ich neugierig geworden.

„Gamedesign, hört sich jetzt toller an als es ist. Wir probieren nur ein wenig herum, erstellen uns eigene Gamecharaktere und tüfteln mit Programmen aus wie wir am PC eigene Welten erstellen können. Langsam hab ich das mit der Vektorgrafik auch endlich raus.Wir haben einen super PC-Raum den wir nutzen dürfen, mit recht guten Rechnern und unser AG-Leiter ist auch mit Herz und Seele dabei.“

„Cool! Willst du das später mal machen?“

„Gamedesigner?“ er zuckt mit dem Schultern. „Wieso nicht, weiß aber nicht ob ich da einen Studienplatz kriegen würde. Ist halt doch recht beliebt. Und hier in der Nähe ist keine Uni die das Anbietet, ich müsste weiter in die Stadt reinziehen.“

Es ist jetzt nicht so, dass wir hier am Ende der Welt wohnen, aber hier gibt es tatsächlich nicht viele Angebote was Unis angeht. Allerdings liegt unser Kaff nur einen Sprung weit von Berlin entfernt, aber dort jeden Morgen 1-2 Stunden zu pendeln wäre auch nicht mein Ding. Habe selber ja schon mit dem Gedanken gespielt, was nach der Schule ist. Zwangsweise. Kann ja nicht ewig zu Hause wohnen, zudem mir meine Eltern schon in den Ohren hängen und Berlin klingt auch recht verlockend.

„Hört sich doch toll an. Immerhin weißt du schon was du machen willst, ich sitz da noch komplett auf dem Schlauch.“

„Ja schon, aber mein Vater will nicht das ich das Studiere. Er meint es ist Spielerei und hat keine Zukunft. Ich soll was ordentliches machen, wie Jura.“

„Aber das ist doch deine Entscheidung!“, meine ich empört.

„Sag das mal meinem Alten! Ich musste letztens zu einem Vorstellungsgespräch für ein Praktikum in einer Kanzlei. Er ist der Meinung, wenn ich mir das erst mal angeguckt habe, wird es mir schon gefallen.“ Er rümpft verstimmt die Nase.

„Oh...“

Oh! Deshalb also der Anzug. Verstehe.

„Trotzdem kann er dir nicht vorschreiben, was du zu machen hast. Ist ja immerhin dein Leben.“

„Schon, bin zwar schon Achtzehn, aber solange ich noch zu Hause wohne, ist das mit dem eigenem Leben recht schwierig.“

„Die bist schon Achtzehn?“, frage ich überrascht und er nickt.

„Ja, gerade erst geworden.“

Ich strecke ihm grinsend die Hand entgegen, wobei David nur irritiert zurückschaut.

„Alles gute Nachträglich!“

Jetzt lacht er vergnügt und ergreift nun doch meine Hand.

„Danke!“

Seine Finger legen sich bestimmt auf meine Haut und ein Schauer geht mir durch den Arm.

„Hab leider kein Geschenk...“

„Macht nichts.“

Warme, kräftige Hände. Ganz anders im Vergleich zu Katrins weichen, eiskalten Pfoten.

Ich hätte sie gerne noch länger gespürt, doch er lässt ab und greift stattdessen nach seinem Glas um etwas zu trinken.

Aus den Augenwinkeln kann ich Philipp wieder auf uns zu kommen sehen, mit einem Bier in der Hand.

„Wo hast du denn Alina gelassen?“, fragt David ihn.

„In der Küche, macht noch mit Sheila und Mathias das essen Fertig.“

„Was gibt’s denn?“, will ich wissen, da ich seit dem Müsli nichts mehr gegessen habe knurrt mein Magen langsam.

„Belegte Brötchen erst mal, nachher gibt es noch Pizza.“

„Super! Ich liebe Pizza.“

„Ist das jetzt ironisch gemeint?“, fragt Philipp misstrauisch und ich blicke ihn nur verständnislos an.

„Was? Nein, ich mag Pizza wirklich.“, antworte ich nur naiv wie ich bin.

Neben mir fängt David an vergnügt zu lachen.

„Ich glaub Kai ist viel zu unschuldig für das was du ihm andichten willst, Phil.“

Hä?!

Philipp schnaubt nur missbilligend und nippt an seinem Bier.

„Mach dir nichts draus, Phil wird in unserer Klasse gerne mal auf den Arm genommen, deshalb denkt er immer gleich, man will ihn verarschen.“

Sein Arm legt sich beschwichtigend auf meine Schulter und wieder rieselt ein Schauer unter meiner Haut, diesmal am Rücken entlang.

„Ähm, ok. Nee hatte ich eigentlich nicht vor.“

„Du bist doch Sheilas Bruder, oder?“, unterbricht uns Philipp.

„Jup.“

„Hilf uns doch kurz in der Küche, dann geht es schneller.“

Was? Nein warum denn? Ich will nicht, ist doch gerade super gemütlich hier.

„Hm, sind das dann nicht zu viele Leute? Und die Mädchen schaffen das sicher viel schneller ohne mich.“, antworte ich ausweichend.

„Du kannst mir auch gerne bei der Garderobe helfen, die platzt aus allen Nähten und ich will die Jacken erst mal ins Gästezimmer legen.“

„Ich, ähm...“ Hilfslos schau ich kurz David an, aber der nimmt nur resigniert den Arm von meiner Schulter.

„Ich lauf ja nicht weg, Phil ist so ein Tollpatsch, besser es hilft ihm jemand, als dass wir nachher Spürhunde losschicken müssen.“

„Na gut.“, sage ich unwillig und lass mich von Phil in den Flur mitziehen. An der Garderobe ist eigentlich noch genug Platz, trotzdem machen wir uns daran die Jacken ordentlich ins Gästezimmer aufs Sofa zu legen. Es ist ein recht kleines Zimmer, außer dem kleinen Sofa steht nur ein Kleiderschrank und ein Bett in der Ecke.

„Du scheinst dich gut mit ihm zu verstehen.“, meint Phil angespannt und schiebt sich seine Brille zurecht. Er steht im Türrahmen und schaut mich prüfen an.

„Ähm ja, haben uns ganz gut unterhalten.“

Was soll das hier werden?

„Pass besser bei David auf.“, sagt er plötzlich, während er eine weiße Jacke vom Haken nimmt und auf die Lehne vom Sofa legt.

„Wie meinst denn das jetzt? Mir kommt er gerade nicht vor wie ein Freizeitserienmörder.“

„Das nicht, aber...na ja er ist...also, er flirtet gerne.“

„Lass ihn doch. Schadet doch keinem.“ Verwirrt über das Gespräch nehme ich mir zwei weitere Jacken und lege sie zu den Anderen.

„Du verstehst nicht, er...“ Leicht senkt er die Stimme, wohl damit uns niemand belauschen kann.

„Also, er steht nicht auf Mädchen.“

David er....was??

„Er ist schwul?!“, platzt die Erkenntnis aus mir heraus.

„Psst, nicht dass uns noch wer hört.“ Er prüft kurz ob jemand im Flur ist, aber wir sind alleine.

Ein anderer Gedanke frisst sich sofort bei mir fest.

Kommen daher die Differenzen zwischen den beiden ungleichen Brüdern? Weil er...also nur weil er nicht auf Mädchen steht? Kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Aber Philipp scheint damit ein Problem zu haben, zumindest ist ihm die ganze Sache ersichtlich unangenehm.

„Hm ok er ist schwul, aber das spricht doch nichts dagegen befreundet zu sein? Ihr kennt euch doch auch.“

„Eigentlich will ich ihn ja auch nicht verpfeifen, nur ich finde du solltest es lieber wissen.“ Weiter sagt er nichts dazu.

Wir gehen zurück ins Wohnzimmer und ich setze mich wieder etwas durcheinander auf meinen alten Platz, während Phil sich mit David unterhält, der sich nicht von der Stelle bewegt hat. Stumm höre ich dem Gespräch zu und kann nicht umhin David heimlich nochmal genauer zu betrachten.

Er sieht nicht aus als wäre er schwul. Sein Gesicht ist sehr männlich mit dem ausgeprägten Kiefer und der geraden Nase. Die Augenbrauen sind schön geschwungen, aber sehen nicht aus als hätte er sie gezupft, wie es Mädchen tun. Aber das hat wohl nichts zu heißen, oder? Diesen klischeehaften schwulen Touch, den ich aus Filmen kenne, hat er auch nicht, soweit ich das beurteilen kann.

Auch an seinen Klamotten ist jetzt nichts auffälliges und bisher konnten wir uns auch ganz gut unterhalten, trotzdem rücke ich etwas von ihm ab, um ihn nicht versehentlich zu berühren.

Ob das überhaupt stimmt? Ist ja jetzt nicht so, als wenn ich und Phil uns gut kennen würden, nur hin und wieder mal auf einer Feier gesehen, hatte ja sogar vergessen wie er heißt.

Und wenn es stimmt? Was dann? Ändert es etwas?

Ja doch, schon irgendwie, oder? Auch wenn der Gedanke vielleicht blöd klingt, aber kann man denn mit einem Schwulen überhaupt so befreundet sein wie mit einem normalen Jungen? Hatte ja noch nie einen in meinem Freundeskreis.

Der Gedanke wäre wohl immer da. Seltsames Gefühl.

So muss sich wohl ein Mädchen fühlen, wenn sie versucht mit einem Jungen nur befreundet zu sein.

„Was ist los? Du schaust schon wieder so nachdenklich drein.“

Davids dunkle Stimme ist ganz nah an meinem Ohr und ich schrecke zusammen. „Nichts, war nur in Gedanken.“

„Na Schatz, was macht ihr hier so schönes?“ Katrin steht unvermittelt vor mir und diesmal sind die Schauer eher unangenehm. Sie hält mir ein mit Käse belegtes Brötchen hin und setzt sich wie selbstverständlich auf meinen Schoß, da das ganze Sofa schon belegt ist und auf den zwei Hockern auch schon Leute sitzen und sich ausgiebig unterhalten.

Ihr Arm schlingt sich um meinen Nacken um besseren Halt zu haben und ich kaue eine Weile auf meinem Brötchen herum. Irgendwann bekommt jeder von uns auch ein Bier in die Hand gedrückt, als sich meine Schwester mit ihrem Freund zu uns gesellt.

Philipp verkrümelt sich unterdessen zu Alina, die in einer anderen Ecke vom recht großen Wohnzimmer bei Leuten steht, die mir unbekannt sind.

Längere Zeit bleiben wir in dieser Konstellation und ein Bier nach dem anderen geht herum. Ich versuche mich allerdings zurück zu halten und habe grade erst meine zweite Flasche angebrochen. Bei dem ganzen Trubel habe ich leider keine Gelegenheit mehr alleine Mit David zu quatschen, aber trotzdem ist der Abend ganz lustig, vor allem, als endlich auch Basti auftaucht, mit Jonas im Schlepptau, wobei ich fürchte das Jo nicht ganz freiwillig hier ist.
 

Eine Hand an meiner Wange lässt mich aufsehen und dann spüre ich plötzlich Katrins weiche Lippen auf den meinen, schmecke dabei eine Mischung aus Lipgloss und Bier in dem Kuss. Normalerweise dauern unsere Küsse nicht lange, doch dieses Mal ist Katrin forscher und drückt ihren schmalen Körper enger an mich ohne den Kuss zu unterbrechen.

Kurz überlege ich von mir aus abzubrechen, aber dann spüre ich den Blick meiner Schwester auf mir und ich erinnere mich wieder an unser Gespräch. Ich hatte ihr ja versprochen mir Mühe zu geben. Einen Versuch war es ja wert.

„Das Bier ist fast alle.“, höre ich Mathias seufzen.

„Alina meinte, im Keller steht noch ein Kasten, Kai? Kannst du den nicht mit Katrin holen gehen?“, fragt meine Schwester süßlich.

Zwangsweise unterbreche ich den Kuss um zu antworten.

„Warum ich? Kann nicht Mathias g...“, will ich sagen doch dann sehe ich Sheilas Augen streng aufblitzen.

„Ok.“ Katrin springt freudig von meinem Schoß, schlingt ihre schmalen Finger um meine Hand und zieht mich aus dem Wohnzimmer in Richtung Keller.

Resigniert lasse ich mich führen und knipse das Licht an, bevor sie mich auch die Kellertreppe mit runter zieht.

„Warte doch mal, sonst stolper ich noch!“ beschwere ich mich, doch sie schenkt mir nur ein merkwürdiges Lächeln und verstärkt den Griff um meine Hand.

Gelangweilt schaue ich mich im Raum um und halte Ausschau nach dem Bier. „Wo steht denn der Kasten? Siehst du i...“

Weiter komme ich nicht, denn Katrin zieht mich zu sich, verschließt wieder mit ihren Lippen energisch meinen Mund und schlingt ihre Arme um meinen Nacken, so dass mir kurz die Luft wegbleibt. Aus Reflex erwidere ich ihren Kuss. Bier und Lipgloss.

Was zum Teufel wird das hier?

Will sie etwa...?

Hier?

Ich komme nicht dazu weiter darüber nachzudenken, was hier gerade passiert, denn schon spüre ich wie ihre rechte Hand an meinem Körper nach unten wandert und über meine Brust streicht, dann den Bauch.

Gleichzeitig fühle ich ihre kleine, warme Zunge an meinen Lippen, die sich langsam in meinen Mund drängt. Ihr Körper drückt sich fest an mich.

Die andere, freie Hand legt sich auf meine und führt sie nach oben, so dass ich ihre weichen Brüste unter meinen Fingern spüren kann, nur getrennt vom dünnen Stoff ihrer Bluse und dem BH.

Ich weiß, eigentlich sollte sich das alles wahnsinnig gut anfühlen, aber das tut es nicht. Kein Kribbeln, keine Hitze, keine Erregung.

Es ist jetzt auch nicht furchtbar schlecht, oder eklig, das nicht, aber ich komme mir gerade einfach nur fehl am Platz vor.

Wie, wenn man ins Kino geht und man merkt, man sitzt im falschen Film.

Ich höre auf den Kuss zu erwidern, doch es scheint Katrin nicht wirklich aufzufallen.

Sie geht noch ein Stück weiter und drückt ihre Hand fest gegen meinen Schritt, doch geschockt reiße ich mich endlich von ihr los, weiche zurück und wische mir angewidert den Geschmack ihres Kusses von den Lippen.

„Was wird das hier Katrin?“, frage ich atemlos und etwas zu laut.

„Ich wollte mit dir Fummeln, ist doch offensichtlich!“

„Hier?“, entgegne ich schockiert.

„Ja! Ist doch egal wo, denn woanders blockst du ja auch nur ab. Die Tür ist zu, uns wird schon niemand stören.“

Sie kommt wieder auf mich zu und will mich küssen, doch ich drücke sie unsanft weg und weiche weiter zurück.

„Was hast du denn nun schon wieder? Hab ich irgendetwas falsch gemacht? Sind dir meine Titten nicht groß genug, oder was ist es?!“, brüllt sie mir nun wütend entgegen.

„Das hat mit deinen Titten rein gar nichts zu tun!“

„Was dann, Kai? Ja, was ist es dann? Weißt du, dass du mich noch nie von dir aus geküsst hast?“

„Hm, kann sein. Weiß ich jetzt nicht mehr.“

„Oh, aber ich weiß es sehr gut. Ich dachte ja am Anfang noch, dass ich deine Schüchternheit ganz süß finde und hab mich damit abgefunden selbst die Initiative zu ergreifen, doch du blockst immer mit total bescheuerten Ausreden ab. Bin ich dir nicht hübsch genug? Hast du dich in eine Andere verliebt?“

Tränen laufen ihr die Wangen herab und ich weiß nicht was ich machen soll, fühle mich komplett überfordert mit der Situation und bleibe einfach wie erstarrt stehen.

„Ich bin nicht verliebt. War ich noch nie.“, sage ich ehrlich ohne nachzudenken.

Sie schnappt empört nach Luft.

„In mich etwa auch nicht?“

Verdammt, daran habe ich nicht gedacht.

„Ähm, ich glaube du bekommst das grade total in den falschen Hals. So meinte ich das nun auch wieder nicht.“

„Dann küss mich!“

„Was?“

„Küss mich, wenn dir was an mir liegt“, kreischt sie schon fast hysterisch, während ihr weiter unaufhörlich Tränen über die Wangen rinnen.

Meine Gedanken drehen sich rasend schnell im Kreis.

Was soll ich denn jetzt machen? Verdammter Mist!

„Vielleicht solltest du dich erst mal wieder beruhigen und dann gehen wir wieder nach oben, die wundern sich bestimmt schon wo wir bleiben...“

„Du willst mich also nicht küssen.“

„Katrin, das...“

„Du bist so ein Arschloch!“, brüllt sie und rennt schluchzend an mir vorbei, die Kellertreppe nach oben und schlägt die Tür hinter sich unsanft zu.

Stille.

Plötzlich ist es ganz ruhig um mich herum.

Aus einer Ecke kommt ein rauschendes Geräusch vom Boiler und halb verdeckt von einem alten Tiefkühler entdecke ich den Bierkasten.
 


 

...

Verrat schmeckt bitter

Wie betäubt schleiche ich in die Küche, immer noch komplett konfus. Ich bin nicht alleine, aber das fällt mir erst nach einer Weile auf. Im Schrank krame ich nach einem Glas und gieße mir etwas Leitungswasser ein, da ich keine Lust mehr habe auf Bier. Alleine vom Gedanken daran wird mir schlecht.

Der Wirbel in meinem Kopf ist immer noch da, geht nicht weg und hindert mich daran vernünftig nachzudenken. Selbst das Wasser macht es nicht erträglicher.

„Hey, was ist los? Du siehst so durcheinander aus.“ David betritt lächelnd den Raum, während die beiden Mädels, die sich bis jetzt hier drin unterhalten haben an ihm vorbei ins Wohnzimmer drängen.

Wir sind alleine, die Tür hat er geschlossen und von draußen höre ich die Stimmen der lauten Gäste und Musik. Der Song kommt mir bekannt vor, irgendwas von Adele.

„Ja.“ Ich lehne wie paralysiert am Kühlschrank und starre auf die Uhr. Gerade mal halb Zehn.

Er kommt zu mir an die Seite, stützt sich mit einem Arm direkt neben mir ab und schaut mich neugierig an. Ich starre ausdruckslos zurück.

Wieder kann ich seinen Geruch wahrnehmen, der mir so angenehm in der Nase kitzelt.

„Was ja?“

„Nichts.“ Mein Kopf rollt wieder nach vorne. Die Zeiger der Uhr haben sich noch nicht viel weiter bewegt.

Stoff raschelt und Davids Gesicht schiebt sich in mein Blickfeld, verdeckt dabei die Uhr, die farblich zu der grünen Küche passt. Alinas Eltern haben einen eigenartigen Geschmack.

Ich halte immer noch das Glas Wasser in der Hand und setze es mir an die Lippen, ohne davon zu trinken. David hebt seine rechte Hand langsam, fast fragend, doch ich stehe viel zu sehr neben mir, um zu verstehen was er meint. Dann spüre ich, wie seine kräftigen Finger durch meine Haare streichen, sanft spielen sie mit einer kurzen Strähne. Seine Augen tasten dabei mit einem ungewohnt intensiven Blick mein Gesicht ab, beobachten aufmerksam meine Reaktion.

Er ist mir ganz nah...

Unwillkürlich muss ich an Philipps Warnung denken und das sie vielleicht wirklich nicht so unbegründet war.

„Ich bin nicht schwul.“, teile ich ihm tonlos mit.

Erstaunt hebt er die Augenbrauen, nimmt dann die Hand aus meinem Haar, entfernt sich aber nicht. Bleibt einfach so stehen, die Unterarme rechts und links neben mir an den Kühlschrank gepresst.

„Ich habe eine Freundin.“ Keine Ahnung warum ich das überhaupt erwähne, zudem ich mir nicht einmal wirklich sicher bin, ob ich tatsächlich noch eine Freundin habe. Selbst wenn nicht, schwul bin ich trotzdem nicht.

Seufzend schließt er kurz die Augen und stößt sich dann vom Kühlschrank ab.

„Ok, hab verstanden. Wollte wirklich nicht aufdringlich sein, du warst nur so durch den Wind, da ist es etwas mit mir durchgegangen.“ Er lächelt mich entschuldigend an und macht Anstalten zu gehen. Schnell greife ich nach seinem Arm, berühre ihn aber nur ganz kurz.

„Nein, bleib hier.“

Mitten in der Bewegung hält er inne und wendet sich wieder zu mir, aber diesmal mit etwas Abstand als eben.

„Wir können doch trotzdem Freunde sein, haben uns ja bisher auch gut verstanden. Also was solls.“ Ich klinge lockerer als ich mich fühle.

„Stört es dich nicht?“ Abwartend mustern mich seine grauen Augen.

Ich zucke nur mit den Schultern.

„Weiß ich noch nicht.“

„Du weißt es noch nicht?“, wiederholt er mich skeptisch.

„Hatte noch nicht viel Gelegenheit drüber nachzudenken, kenne auch sonst niemanden der so ist. Bisher hast du mich nicht gestört.“

„Woher weißt du es eigentlich? Hat mein Bruder mich verpetzt, oder hat mich irgendwas verraten?“

„Weder noch, einer aus deiner Klasse hat es mir geflüstert.“

Er verzieht den Mund.

„Diese Plappermäuler, nie können die was für sich behalten.

Egal, hab eh keine Lust mich zu verstellen.“

Polternd wird die Tür plötzlich aufgerissen und eine wütende Sheila steht im Türrahmen. Ihre Augen blitzen gefährlich auf, als sie mich entdeckt.

„Kai du Vollidiot! Warum hast du das gemacht? Katrin ist total fertig wegen dir!“, wütet sie und kommt stampfend auf uns zu. Scheinbar weiß sie schon von dem Zwischenfall im Keller. Fragt sich nur wie viel sie weiß.

„Ich hab gar nichts gemacht! Sie hat da nur wieder was falsch verstanden.“

„Entschuldige dich gefälligst bei ihr!“

„Warum sollte ich? Ich hab gar nichts gemacht!“

„Genau das ist der springende Punkt du Vollpfosten! Wegen dir weint sie jetzt, hab sie erst mal bei Basti gelassen, weil ich dich zur Rede stellen wollte. Du hast sie eiskalt auflaufen lassen, obwohl ich euch sogar in den Keller geschickt hab. Was ist nur los mit dir?“

Jetzt werde ich langsam wütend, muss sie vor David so einen Aufstand machen? Und wer weiß wer noch alles zuhört! Nachher macht noch überall die Runde ich würde es nicht bringen, da hab ich nun echt keinen Bock drauf.

„Kann ja nichts dafür, wenn sie sich anbiedert wie 'ne Schlampe, da vergeht jedem der Spaß.“

„Sie hat recht, du bist ein absolutes Arschloch!“

Damit stürmt sie wieder aus der Küche und knallt geräuschvoll die Tür zu.

David sieht ihr nach und ein pfeifendes Geräusch entfährt seinen Lippen.

„Deine Schwester ist ganz schön auf Draht. Was hast du angestellt?“

„Nichts.“

„Klang aber ganz anders, irgendwas musst du ja gemacht haben.“

Soll ich es ihm erzählen? Nicht die komplette Wahrheit natürlich aber, ja warum eigentlich nicht.

„Hm, meine Freundin wollte mit mir im Keller...na du weißt schon, fummeln, nur da steh ich so gar nicht drauf. Zu ungemütlich, und dann ist das Haus voller Leute. Das hat ihr irgendwie nicht gepasst und kam mit dem Ding das ich sie nicht lieben würde und so.“

„Tust du es denn?“

„Nee, aber das spielt doch keine Rolle. Mein bester Kumpel hat dauernd Freundinnen und war noch nie in eine von denen verknallt. Versteh nicht warum sie da so einen Aufriss drum macht.“

„Na ja, ich kann's ihr nicht verdenken. Vor allem, wenn sie in dich verliebt ist, ist es schon hart. Stell dir mal vor, du liebst jemanden und der sagt dir knallhart, das er nichts für dich fühlt? Ist schon irgendwie scheiße.“

Boah nicht er auch noch! Da habe ich nun wirklich keine Lust zu.

„Ich hab keinen Bock auf so was.“, motze ich nur verstimmt.

„Ich bin so absolut kein Beziehungstyp. Habe ihr auch nie gesagt, dass es was ernstes ist, oder das ich sie lieben würde. Sie hat das einfach ein wenig falsch aufgefasst, schätze ich. Mädchen sind so anstrengend!“

„In der Beziehung kann ich dir leider nicht wirklich helfen, mit Mädchen kenne ich mich nicht aus.“

„Macht nichts.“

„Wenn du willst können wir wieder ins Wohnzimmer gehen, die andern haben vorhin Singstar angemacht und Philipp singen zu hören ist immer wieder ein Spaß!“

„Kann er so gut singen?“, frage ich naiv nach.

David fängt spöttisch an zu lachen. „Um Gottes Willen, nein. Aber das macht es gerade so lustig!“
 

Es ist fast Mitternacht und ich stehe zusammen mit Jonas auf der Terrasse und schauen ein paar Jungs im Garten dabei zu, wie sie sich einen Ball grölend hin und her werfen, natürlich vollkommen betrunken.

Drinnen wurde es mir irgendwann zu stickig, deshalb hab ich mir Jo geschnappt, der sich sowieso nur die ganze Zeit deprimiert in einen Sessel gekuschelt hatte und verstohlen ein paar Röcken nach stierte. Ich schätze, wäre er auch nur ein Fünkchen mutiger, hätte er längst ein nettes Mädchen gefunden das ihn mag, auch wenn es vielleicht nicht so eins wäre, wie er es sich vorstellt. Keins von diesem Topmodells aus seinen Träumen, aber vielleicht eine, die ihn so nimmt wie er ist. Hoffe nur, dass es ihm klar wird, bevor er sich noch komplett in irgendeine Sache verrennt.

Die frische Luft tut ungemein gut, mir wird mit jeder Minute wieder klarer im Kopf.

Da Jonas eh schon die Hälfte mitbekommen hatte, hab ich ihm inzwischen auch den Rest erzählt was im Keller gelaufen ist. Bei ihm macht es mir nicht so viel aus, ihm und Basti habe ich bisher fast immer alles anvertrauen können.

„Wie geht’s jetzt weiter?“, fragt Jonas und nippt dabei an seinem Bier.

„Hm, weiß nicht. Meinst du Katrin fängt sich wieder?“

Wir stehen am Geländer, das die Terrasse vom Garten abtrennt. Über uns hängt eine bunte Lichterkette, so dass es nicht komplett dunkel ist.

„Puh, keine Ahnung man. Mädchen sind nun mal sensibel. Frag doch Basti, er meint doch immer ein Experte in Sachen Frauen zu sein.“, meint er etwas bitter.

„Hey, sei doch nicht gleich angepisst.“

Er seufzt ergeben.

„Sorry, mich nervt nur das Basti alle Weiber zu Füßen liegen, selbst du, der es nicht mal drauf anlegt kriegt so eine tolle Frau wie Katrin ab!“

„Dafür hab ich's aber auch verdammt schnell mit ihr versaut. Ich glaub sie ist echt sauer auf mich, werde wohl später mal mit ihr reden, wenn sie sich beruhigt hat.“

„Du hast dir aber auch echt was geleistet. Ich frage mich, wie sie es überhaupt so lange bei einem Tollpatsch wie dir aushalten konnte.“, meint er scherzhaft.

„Hm, keine Ahnung, bin halt nicht so sehr der Beziehungstyp.“

„Nicht schon wieder die Masche, damit kommst du immer, wenn man dich kritisiert.“

„Aber es stimmt doch! Ich hab rein gar nichts mit ihr gemeinsam, nicht mal zum schwimmen kommt sie mit, und zocken geht auch nicht. Hab ich einmal versucht, aber sie hat nur rumgekichert, wie albern das ist und wollte nur knutschen.“, schmolle ich.

„Ich schätze da muss ich dich enttäuschen, die Zeit als wir noch im Buddelkasten saßen ist vorbei.“

„Ist mir schon klar.“

„Hast du denn gar kein Interesse dran? Ich mein, mit 'nem Mädel knutschen ist doch der Wahnsinn! Und dann hast du noch eine, die dich auch ran lässt! Ich will auch mal Titten sehen, also so richtig und echt in natura.

Hast du Katrins schon mal angefasst?“

Seine Augen glänzen regelrecht vor Neugierde, trotz der roten Flecken auf seinen Wangen, wegen der peinlichen Frage.

Ich druckse ein wenig herum, das Thema ist mir echt unangenehm und nun wirklich das letzte über das ich mich jetzt unterhalten will.

„Hm.“

„Echt? Und wie wars?“

„Keine Ahnung.“

„Das musst du doch wissen, man! So was vergisst man doch nicht!“

„Irgendwie weich halt, hab sie auch nicht richtig angefasst, sie hatte noch ihr Oberteil an.“

„Achso.“ Er klingt ein wenig enttäuscht.

Ob Jonas auf Katrin steht? Nein, eher nicht. Wird wohl nur an ihren Brüsten liegen, er starrt ihr sonst ja auch dauernd bei jeder Gelegenheit in den Ausschnitt.

„Wo ist sie eigentlich? Seit sie heulend aus dem Keller kam, hab ich sie nicht mehr gesehen.“, fragt er beiläufig.

Ich zucke mit den Schultern.

„Weiß nicht, Sheila kümmert sich wahrscheinlich um sie, nehme ich mal an. Zumindest wollte sie mich vorhin nicht sehen, als ich mich entschuldigen wollte.“

Und dabei hatte ich das sogar ernsthaft versucht. Bin ja jetzt auch kein Unmensch, nur es ging mir einfach zu schnell.

Die ganze Aktion von ihr war einfach totaler Mist. Wie kann sie das in einem Haus voller Leute tun wollen? Egal, ich wollte trotzdem bei ihr zu Kreuze kriechen, aber meine Schwester hat mich sofort aus Alinas Zimmer geworfen, wo die Beiden sich verschanzt hatten.

„Ich versteh nicht warum die da so einen Aufriss drum machen, ist ja jetzt nicht so als hätte ich die betrogen oder geschlagen. Ich wollte nur nicht in einem Haus voller Leute, noch dazu in einem ungemütlichem Keller mit ihr schlafen!“

„Jeder Andere Kerl würde seine Freundin dafür vergöttern und du beleidigst sie als Schlampe, was erwartest du?“

Schnaubend und ein wenig trotzig verschränke ich die Arme vor der Brust.

„Ich bin eben nicht wie jeder Andere! Manchmal hab ich das Gefühl ich bin der Einzige hier, der nicht andauernd nur mit seinem Schwanz denkt.“

Dabei werfe ich Jonas einen bedeutenden Blick zu.

Empört umfasst er sein Bier fester.

„Was soll das denn heißen? Jetzt bin ich der Sexgeile, oder wie? Bloß weil du es verbockt hast?“

„Du und Basti, nimmt euch doch beide nichts, Basti pennt mit jeder die nicht bei drei auf den Bäumen ist und du würdest es am liebsten, traust dich aber nicht.“

„Was kann ich dafür, wenn du so prüde bist!“

„Ich bin nicht prüde, ich denke nur nicht dauernd an Sex und poppe nicht alles was Brüste hat! Das ist ein Unterschied.“

„Tu ich auch nicht.“, meint er trocken.

„Nur wegen deiner kranken Komplexe, ansonsten würdest du doch alles bespringen!“

„Du bist echt ein Arsch!“ damit dreht er sich wütend um und geht ins Haus. Autsch, das war nun schon der Dritte, der mir das heute an den Kopf wirft. Wenn ich nicht so extrem schlechte Laune hätte, würde es mir wohl auch leid tun, aber jetzt nicht.

Ich will einfach nicht mehr...ich will wieder zurück, zu dem Zeitpunkt als das alles noch nicht wichtig war. Ich will mich nicht mehr rechtfertigen wollen, nur weil ich noch kein Interesse an Mädchen habe. Ich weiß doch selbst, dass es abnormal ist, dass ich ein Spätzünder bin, mit meinen sechzehn Jahren, wo Basti seine ersten Erfahrungen mit Mädchen schon mit Dreizehn hatte. Es frustriert mich so furchtbar, und der ganze Druck, der von meinen Freunden und meiner Familie ausgeht, macht es nicht besser.

Aber ohne Katrin würde es wieder so werden, alle wollen einen verkuppeln, oder machen doofe Sprüche. Es ist halt 'Mode' eine Freundin zu haben, oder man macht es wie Basti.

Und es ist jetzt nicht so das ich Katrin blöd finde, manchmal kann man sich auch gut mit ihr unterhalten. Zum Beispiel, wenn es um die Schule geht, da sie eigentlich ganz gute Noten hat, und trotzdem keine von diesen Strebern ist. Sie ist keine von diesen strohdoofen Puten, auch wenn sie gerne ihre Reize zur Schau trägt.

Ich sollte mich wirklich bei ihr entschuldigen und wer weiß, vielleicht müsste ich es einfach wirklich darauf ankommen lassen. Weiß ja auch nicht was dann passiert, aber aus Bastis Erzählungen kristallisiert sich halt immer heraus, dass es wahnsinnig gut ist. Auch wenn es mir wahnsinnig schwer fällt die Initiative zu ergreifen.

Die Erfahrung möchte ich ja schon irgendwann machen, vor allem wenn es wirklich so schön ist, aber nicht so. Nicht in einem Haus voller Leute, oder in dunklen Kellern. Kann sein, dass ich einfach zu sehr in einer Traumwelt leben, oder vielleicht liegt es auch an dem Einfluss meiner Schwester und meiner Mutter, aber ich stelle es mir schon irgendwie lieber romantisch vor.

Nicht so kitschig, wie viele Mädchen es wollen, aber auch nicht so...ja so brutal unromantisch. Ich glaube man versteht auf was ich hinaus will, oder?

„Kai?“

Ich drehe mich um und sehe Mathias, der in der halb geöffneten Terrassentür steht.

„Ja?“

„Wir wollen langsam los, weißt du wo mein Bruder ist?“

„Nein, ich hab ihn das letzte mal im Wohnzimmer vorhin gesehen.“

„Hm, da ist er jedenfalls nicht mehr, kannst du ihn suchen gehen? Sheila und ich helfen Alina noch dabei die leeren Flaschen in den Schuppen zu räumen.“

Wie aufs Stichwort kommen in dem Moment mein Schwesterherz und Alina, und drängelnd sich an Mathias vorbei, die Arme voller Bier- und Colaflaschen.

„Drinnen stehen noch einige, holst du die, Schatz?“, fragt Sheila an ihren Freund gewandt, wobei sie schon ganz schön angetrunken klingt. Mathias ist wahrscheinlich der einzige, der komplett nüchtern ist von uns, da er ja noch fahren muss.

„Mach ich gleich.“

Die Mädels verschwinden um die Ecke und Mathias sieht mich wieder fragend an.

„Ähm, ja klar mach ich.“ Damit wendet er sich ab und ich mache mich daran David zu suchen.

Ein kurzer Blick in den Garten sagt mir, dass er auf jeden Fall nicht unter den Jungs ist, die immer noch im Garten sich den Ball zuspielen. Also gehe ich wieder ins Haus.

Im Wohnzimmer sind immer noch einige Gäste, aber deutlich weniger als vorhin, und spielen Flaschendrehen. Das Spiel fand ich schon immer etwas albern, aber sie scheinen zumindest Spaß dran zu haben, doch hier kann ich David auch nicht entdecken.

Mein Blick in die Küche und in den Flur ist auch erfolglos.

Wo ist er denn hin? Im zweiten Stock? Da ist Alinas Zimmer, wo Katrin wahrscheinlich noch drin ist. Kann ich mir aber auch nicht vorstellen, dass er bei ihr ist und gegangen ist er sicherlich nicht ohne uns. Der einzige Ort der mir noch einfällt ist das Gästezimmer, wo unsere Jacken liegen. Ohne groß nachzudenken gehe ich den kleinen Flur entlang, stoße die Tür auf und mache das Licht an.

„Scheiße!“ Höre ich jemanden zichen und mein Blick fällt sofort auf die Ecke des Zimmers, wo das schmale Bett steht und entdecke Basti.

Basti, mein bester Freund. Basti, den ich seit meiner Kindheit kenne, mit dem ich meine Jugenweihe gefeiert habe, mit dem ich zusammen das erste Mal heimlich ein Bier getrunken habe. Basti, der jetzt zusammen mit Katrin in diesem Bett liegt. Beide nur noch mäßig bekleidet und mit rot geküssten Lippen.

Vollkommen schockiert stehe ich immer noch im Türrahmen, eine Hand am Lichtschalter.

„Kai, also, äh das ist jetzt echt nicht so...äh...“ fahrig versucht er seine Haare zu ordnen.

„Du meinst, es ist nicht so wie es aussieht?“ sage ich kalt.

Ein bitterer Kloß bildet sich in meinem Hals und ich bin erstaunt wie ruhig ich noch bin. Vollkommen kalt betrachte ich diese Szene, habe nur diesen bitteren Geschmack im Mund. Der Geschmack nach Verrat!

„So ist das also. Deshalb wolltest du also dass ich mit ihr Schluss mache. Verstehe.“

„Nein! Kai, so ist das nicht!“ Hastig ordnet er seine Klamotten und zieht sein Shirt wieder an, während Katrin wie erstarrt immer noch auf dem Bett liegt und mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Mein Blick trifft ihren und mir wird noch kälter. Eiskalt. Nordpolarkalt.

„Und du, kaum geht es nicht nach deiner Nase, poppst du mit wem Anderen, ja? Nur weil ich es nicht mit dir in einem versifften Keller treiben wollte, hm? Dabei wollte ich mich sogar entschuldigen. Oh ich bin so ein Dummkopf!“

Doch sie sagt nichts, schaut nur betroffen auf ihre Hände, die sich nervös ineinander verknoten.

„So ist das nicht Kumpel! Sie, also, sie war echt fertig wegen dir und da...“

„Ach halt doch die Klappe!“, schreie ich nun doch wütend. Meine Geschichtszüge fühlen sich ganz verkrampft an und in meinem Bauch fängt es an zu brodeln.

„Ich sehe doch was abgeht! Der tolle Basti will gleich die erste Gelegenheit nutzen mit dem einzigen Mädchen in unserer Klasse zu poppen, mit der er es bisher noch nicht getrieben hat! Scheiß doch auf seinen besten Freund, der schafft es ja eh nicht es seiner Freundin richtig zu besorgen. Herzlichen Glückwunsch! Ich könnte einfach nur kotzen, wenn ich dich sehe! Und ich dachte du wärst mein bester Freund.“ Damit drehe ich mich um und knalle die Tür mit so viel kraft wie meine zitternden Arme aufbringen können zu.

Mir ist einfach nur schlecht, und in meinem Kopf pocht es schmerzhaft.

Gedankenverloren und mit gesenktem Blick eile ich den Flur zurück, ohne wirklich zu wissen wo ich hin will und renne prompt in jemanden hinein.

„Hey hey, ganz ruhig Brauner!“

Mein Kopf zuckt nach oben und meine Augen treffen auf Nebel. „David...“, hauche ich verwirrt. Seine Augenbrauen ziehen sich fragen zusammen und mir wird bewusst, dass er mich an den Schultern festhält.

„Was ist passiert?“

„Nichts...ich will nur weg...“

Doch bevor ich etwas sagen kann höre ich wieder Bastis Stimme hinter mir, der meinen Namen ruft. Wütend mache ich mich aus Davids Griff los und drehe mich um.

„Was ist?!“, blaffe ich zurück.

„Bitte, lass uns bitte drüber reden!“

„Ich will nicht reden! Ich will nie wieder mit dir reden! Hau gefälligst ab und nimm deine Schlampe mit!“

Ich stürme an ihnen vorbei zur Eingangstür, und verlasse fluchtartig das Haus. Draußen schlägt mir der kalte Wind unangenehm entgegen, doch das ist mir egal. Ich will weg. Weit weg!

Ich gehe einige Schritte, ohne richtig zu registrieren in welche Richtung ich überhaupt laufe. Hinter mir höre ich ebenfalls Schritte, schnell folgen sie mir. In der Annahme es ist Basti drehe ich mich wieder um und will ihm die nächste Schimpftirade an den Kopf werfen, doch überraschender Weise steht nicht mein ehemals bester Freund vor mir, sondern David.

Mit seinen durchdringendem Blick mustert er mich besorgt, kommt aber nicht näher. Still ist es um uns herum und mir wird plötzlich bewusst, dass ich keine Jacke trage. Sie liegt immer noch drinnen im Haus, in dem Raum wo mein bester Freund mich gerade betrogen hat.

Mir ist etwas kalt, doch rein gehen werde ich bestimmt nicht nochmal, ich will weg. Nach Hause. Verdammt, wo bleibt Sheila nur?

„Psst, ganz ruhig. Atme erst mal durch.“, sagt David mit einer sanften Stimme. Erst jetzt fällt mir auf das ich viel zu schnell atme. Kurz schließe ich die Augen und versuche runter zu kommen, doch noch immer brodelt es in mir.

„Brauchst du etwas?“

Mit den Händen reibe ich über meine Unterarme. „Meine Jacke, sie liegt noch drinnen.“

„Warte hier, ich hol sie.“ Und schon eilt er mit federnden Schritte zurück zum Haus.

Ich bin in dem Moment einfach nur froh, dass er mich nicht gleich mit Fragen bombardiert, denn hätte er mich jetzt auch noch ausgequetscht was gerade passiert ist, ich wäre komplett ausgerastet, schätze ich.

Es dauert nicht lang bis er wieder kommt und ich fahrig meine Jacke überstreife. „Weißt du ob dein Bruder bald kommt? Wir wollten eigentlich eh gerade gehen.“

Er nickt.

„Ja, er und deine Schwester kommen gleich, habe ihnen gesagt das wir draußen auf sie warten.“

„Danke...“, flüstere ich leise.

„Keine Ursache.“

Dann stehen wir hier, es ist immer noch windig, aber nicht mehr so unangenehm wie gerade eben. Keiner von uns sagt ein Wort, trotzdem ist es keine unangenehme Stille. Er lässt mir Zeit, wartet ob ich von mir aus etwas erzählen will und ich genieße es endlich mal nicht unter Druck zu stehen.

David hat eine angenehme Art an sich, alleine seine stumme Anwesenheit beruhigt mich ungemein. Vorsichtig schiele ich zu ihm rüber, doch er steht ganz ruhig da, ganz entspannt starrt er nach oben zu den Sternen.

Ich habe plötzlich das Gefühl, dass selbst wenn ich nichts sagen würde, würde er es kommentarlose akzeptieren. Einfach so. Vielleicht ist das auch der Grund weshalb ich plötzlich von mir aus zu reden anfange. Etwas, was ich sonst eher selten mache.

„Ich habe gerade meinen besten Freund mit meiner Freundin im Bett erwischt.“, sage ich tonlos. David nimmt den Blick von den Sternen und sieht mich an, sagt aber nichts, lässt mich einfach erzählen, was ich erzählen will. Ganz ohne Druck, ohne Zwang.

„Er ist ein totaler Weiberheld, ich hätte aber nie gedacht das er so was tut. Nur wegen dem Streit mit Katrin hat er das ausgenutzt. Dabei sind...äh...waren wir noch zusammen. Also ich und Katrin. Es war doch nur ein kleiner Streit. Ich weiß nicht, aber ich fühle mich irgendwie von ihm betrogen. Wir kennen uns schon sehr lange, er ist...war mein bester Freund!“

David wartet ab, ob ich noch etwas sagen will, ehe er leise anfängt zu sprechen.

„Du bist auf deinen besten Freund sauer?“

Ich muss bitter lachen. „Und wie! Ich möchte ihn am liebsten...arg!“

„Und auf deine Freundin?“

„Weiß nicht, Ja...nein...vielleicht. Immerhin waren wir zusammen, auch wenn es nicht so Bombe lief. Aber wirklich böse bin ich nicht auf sie. Sie ist mir eigentlich egal.“

„Kurze Zusammenfassung: Du fühlst dich aber nur von deinem Freund betrogen. Es liegt dir viel an eurer Freundschaft, an Katrin aber nichts. Du fühlst dich von ihm verraten, einfach weil er dich hintergangen hat.

Also, es war nicht richtig was er getan hat, aber vielleicht solltest du wirklich mit ihm darüber reden, gerade wenn er dir als Freund wichtig ist. Und das mit deiner Freundin, nun ja, überlege doch erst mal, ob es so nicht vielleicht besser ist.“

„Hm, ja kann sein. Ich bin gerade einfach nur enttäuscht von ihm. Lass uns...lass uns über was anderes reden, ich brauche jetzt einfach nur eine Ablenkung.Bitte!“

„Ok.“

Doch wir bleiben einfach nur stumm nebeneinander stehen und hängen unseren Gedanken nach. Er Wind bringt die Büsche, die hier stehen zum rauschen und am Himmel ziehen einige Wolken rasend schnell vorüber. Der Mond ist nur eine kleine Sichel am Himmel.

„Hast du morgen schon was vor?“ Seine Stimme ist so leise und zart, dass ich einen Moment brauche um zu merken, dass er mit mir spricht.

„Nein...“, hauche ich in die Nacht hinein.

„Hast du...also nur wenn du Zeit hast, aber hast du Lust mit mir was zu unternehmen? So als Ablenkung?“

Misstrauisch schaue ich ihn an. „Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht schwul bin.“

Er schüttelt den Kopf.

„Ich will ja auch kein Date. Nur als Freunde.“ Er zuckt mit den Schultern.

„Weiß nicht.“

Morgen würde ich den ganzen Tag wahrscheinlich nur vor der Konsole, oder dem Rechner hängen, Sheila würde mich vielleicht nerven, dass ich Katrin unrecht getan hätte, Basti wird vielleicht versuchen mich anzurufen, oder sogar vorbei kommen um mit mir zu reden und meine Mutter wird anfangen mich mit Fragen zu löchern, wenn sie mitkriegt, dass ich mich von meiner Freundin getrennt habe. Wunderbare Aussichten.

„Doch, klingt eigentlich nicht schlecht, wann und wo?“

Er lächelt sanft, als er antwortet.

„Kommt darauf an, wie lange zu schläfst.“

„Das heute war 'ne Ausnahme, normalerweise stehe ich früher auf.“ brumme ich gespielt beleidigt.

„Ok, dann, wir wäre es wenn ich dich um Neun Uhr früh abhole?“

„Was so früh? Dann kann ich ja nicht mal ausschlafen!“

„Wir brauchen von hier mindestens anderthalb Stunden bis nach Berlin rein, deshalb wäre es praktisch, wenn wir früh genug losfahren.“

„Wir fahren nach Berlin? Hm, ok das ist was anderes, aber du musst mir dafür einen Kaffee bei Starbucks spendieren!“ Ich sehe ihn herausfordernd an.

„Gut, aber erst habe ich noch was anderes vor, wir können danach zu Starbucks.“, lacht er vergnügt.

„Wo gehen wir denn hin?“

„Das ist eine Überraschung.“

„Ich mag keine Überraschungen.“

„Ich sage es dir aber trotzdem nicht, nachher kneifst du noch.“

„Jetzt bekomme ich Angst.“

„Brauchst du nicht.“, versucht er mich zu beschwichtigen, aber trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl dabei.

„Kai, David, kommt ihr?“, höre ich meine Schwester rufen, die am Auto steht und uns zu winkt. Oh...sie hatte ich schon fast wieder vergessen.

Hastig laufen wir zum Auto, und mit Erleichterung stelle ich fest, dass Katrin nicht mit uns fährt. Keine Ahnung, ob sie hier bleibt, oder ob sie mit Basti fährt, aber das ist mir auch egal.

Sheila sitzt wieder vorne neben ihrem Freund, also klettere ich mit David auf den Rücksitz vom Mercedes. Jetzt wo ich sitzen kann, überkommt mich eine starke Müdigkeit und ich lasse mich erschöpft in den Sitz sinken. Der Abend war einfach furchtbar anstrengend und auch wenn ich es bisher nicht gemerkt habe, fordert mein Körper jetzt seinen Tribut ein. Ich brauche unbedingt Ruhe. Ruhe und Schlaf.

Da der Platz in der Mitte eh frei ist, weil wir nur noch zu zweit hinten sitzen, lege ich mich so bequem wie es eben geht auf die Seite und schließe entspannt die Augen, während wir fahren. Mein Kopf liegt dabei direkt neben Davids Oberschenkel und ich kann wieder diesen tollen Duft riechen. Hm, ich muss ihn wirklich mal fragen wo man das kaufen kann...

Ich bin schon fast komplett weggedämmert, als ich eine Berührung spüren kann.

Sie ist Federleicht und sanft.

Streicht über mein Haar und wandert dann sachte in meinen Nacken. Es kribbelt unter meiner Haut, doch nicht unangenehm.

Nein, das ist schön...

Unendlich zart streichen Fingerkuppen über die empfindliche Haut, und als ich nicht reagiere, nicht reagieren kann, wird die Berührung etwas fordernder und seine Hand streichelt meine Haut. Es ist angenehm entspannend, beruhigend, schön...

Warme, kräftige Hände in meinen Haaren...dann wieder im Nacken...auf meiner Wange...es kribbelt...ich muss seufzen...schön...

Auch Gurus brauchen ein System

Als mein Wecker mich aus dem Schlaf reißt, brauche ich einen Moment um mich zu erinnern warum ich mich fühle wie durch ein Drehkreuz gezogen. Mein Kopf pocht schmerzhaft in einem ungleichen Takt, und in meinen Gliedern ist eine bleierne Schwere.

Gestern war einfach ein beschissener Tag…

Ich habe mich mit Jonas gestritten, einfach aus einer schlechten Laune heraus, und darauf habe ich meine Freundin mit Basti im Bett erwischt. Gerade der Streit mit Jo und Basti lässt schwere Bitterkeit im mir wachsen.

Ich will nicht aufstehen…das Bett ist weich und warm. Hier ist kein wütender Jonas, kein verzweifelter Basti, der versucht die Situation schön zu reden.

Nur ich, mein Bett und ein Pandaplüschtier, noch aus Kindertagen, das in einer Ecke sitzt.

Hmm, Kaffee wäre jetzt schön, mit viel Zucker. Immer noch mit geschlossenen Augen strecke ich meine Beine ein wenig aus. Das tut gut…

„Na, gut geschlafen Dornröschen?“, flüstert eine Stimme nah an meinem Ohr.

Mit aufgerissenen Augen fahre ich hoch und sehe in ein grinsendes Gesicht neben meinem Kissen.

„David! Scheiße, hast du mich erschreckt!“

Müde reibe ich mir die Augen und versuche mein wild pochendes Herz zu beruhigen, während er mich weiter angrinst. Die Arme auf der Bettkante abgestützt, hockt er auf dem Boden direkt neben dem Bett.

„Was im Himmel machst du hier?“

In dem Moment wird mir auch bewusst, dass ich nur in Boxershorts vor ihm sitze und vollkommen verwuschelt aussehe, schnell ziehe ich die Decke hoch und bedecke peinlich berührt meinen nackten Oberkörper. Normaler Weise habe ich vor anderen Jungs keine Probleme damit, aber bei David ist das wohl was anderes…ob ihm so etwas gefällt? Ich habe zwar keine Brüste, aber er steht ja auch auf Kerle.

„Wir sind verabredet, du erinnerst dich? Deine Mutter hat mich rein gelassen.“

„Ach ja.“

„Klingt ja nicht sehr begeistert. Jetzt mach dich fertig, in einer halben Stunde geht’s los.“

Müde schiele ich zu meinem Wecker. „Hm, wo geht es denn nun hin?“

Er lächelt. „Wirst du noch sehen. Jetzt ab ins Bad.“

Voller Elan schiebt mich David ins Badezimmer und ich springe eilig unter die Dusche.
 

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist grün.“

„Baum?“

„Maaan sei doch nicht so unkreativ!“

„Na gut, äh...die Jacke von dem Typen dahinten?“

„Auch nicht.“

„Dann ist es doch Baum!“

Ich seufze und ziehe einen Schmollmund, was ihm nur ein Lachen entlockt.

„Mach doch mal vernünftig mit!“

Jetzt seufzt er.

„Heute früh warst du noch total muffig und jetzt zwingst du mich schon seit 'ner halben Stunde alberne Spiele zu spielen.“

„Mir ist langweilig! Bahnfahren ist jetzt nicht so spannend, und du wolltest mich nicht mit Erzählungen bespaßen, also muss ich mir doch was ausdenken!“

„Was willst du denn wissen?“

Ich zucke mit den Schultern. „Weiß nicht. Irgendwas halt. Kennen uns ja noch nicht lang. Oh siehst du den Park dahinten? Da bin ich früher immer mit Basti gewesen. Also als Kinder mein ich.“

„Warum seid ihr denn so weit gefahren nur im in einen Park zu gehen?“, fragt er verwundert nach.

„Weil man da super Drachensteigen lassen kann, und meine Tante wohnt hier in der Nähe, da waren wir manchmal am Wochenende. Ist aber lange her.“

David schmunzelt und ich schaue ihn nur verwundet an. „Was ist?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass du so aufgeweckt bist. Bist du immer so?“

„Ähm, nein. Nur wenn ich gute Laune hab, glaub ich.“

„Dann hast du wohl nie gute Laune, wenn du meinen Bruder siehst?“

„Wie kommst du denn darauf? Glaub das bloß nicht, ist wahrscheinlich eh alles auf den Mist meiner Schwester gewachsen. Wer weiß was sie ihm erzählt hat.“

„Oder er wollte nicht, dass ich mich an dich ranmache.“

„Oh...“, sage ich nur erstaunt. „Ähm, ja also....“

„Guck nicht so erschrocken.“, lacht er vergnügt. „Du bist der kleine Bruder meiner vielleicht zukünftigen Schwägerin und dann auch noch hetero. Ich weiß schon wo meine Grenzen liegen. Außerdem hab ich eh erst mal genug von Beziehungen.“

„Ähm ok...ja von Beziehungen hab ich auch erst mal die Schnauze voll. Das Gestern hat mir echt gereicht.“

„Dein bester Freund und deine Freundin, ja das kann schon an die Nieren gehen.“

„Hm ja kann schon sein, aber lassen wir lieber das Thema, darüber will ich jetzt wirklich nicht nachdenken, wo ich endlich mal wieder etwas besser drauf bin...was war es denn bei dir?“

„Was war bei mir?“, weicht er aus und ich rolle mit den Augen.

„Das mit der Beziehung.“

Jetzt wird er tatsächlich etwas verlegen, ob es ihm komisch vorkommt mit mir über so etwas zu reden? Reden Schwule nicht mit normalen über ihre Beziehungen? Na gut, ich selbst bin da wohl kein gutes Beispiel...normalerweise rede ich ja selbst auch nicht drüber und will das auch nicht von anderen wissen. Aber irgendwie interessiert es mich bei ihm doch. Mein Gott, ich muss verdammt überdreht sein, dass ich plötzlich so sensationsgeil bin!

„Weiß nicht ob du das überhaupt hören willst.“, versucht er mir wieder auszuweichen.

„Warum sollte ich es nicht hören wollen?“

„Na, normalerweise ekeln sich die meisten, wenn ich auch nur erwähne mal was mit einem Jungen gehabt zu haben.“

„Es ist schon irgendwie seltsam.“ muss ich verlegen zugeben.

„Bist du dir denn da sicher? Basti würde jetzt wahrscheinlich sagen, dass du einfach noch nicht das richtige Mädchen hattest.“

„Ja, ich bin mir sicher, da brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“, er macht eine kurze Pause. „Du hältst viel von diesem Basti, oder?“

„Na ja, er ist...war mein bester Freund. Wir kennen uns schon echt Ewig.“

„War dir denn Katrin so wichtig?“, fragt er vorsichtig.

„Nein, eigentlich nicht...“, gestehe ich ihm.

„Dann solltest du ihm vielleicht verzeihen.“

„Weiß nicht, momentan bin ich noch sauer auf ihn. Aber...Hey! Jetzt reden wir ja schon wieder darüber! Lenk nicht vom Thema ab, also was war mit deinem Ex...äh heißt das dann auch Ex-freund?“

David nickt und streicht sich Gedankenverloren durch sein dunkles Haar.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass dich das im Detail interessiert. Mit Frauengeschichten kann ich dich leider nicht unterhalten.“

„Keine Sorge, damit versorgt mich Basti mehr als mir gut tut.“, sage ich bestimmt. Kommt es mir nur so vor, oder ist ihm das tatsächlich unangenehm? Aber Warum?

„Ok...Ich weiß auch gar nicht was ich da viel erzählen soll, so was besonderes ist es nicht. Wir waren auch nicht wirklich lange zusammen. War auch kein schönes Ende und ist schon eine ganze Weile her.“

Die Ansage für die nächste Station unterbricht seine Erzählung.

„Wir sind da, los lass uns aussteigen.“

Er weicht schon wieder aus, aber natürlich lasse ich ihn nicht so leicht davon kommen und versuche ihn auszuquetschen, während wir die Treppen aus dem Bahnhof erklimmen.

Draußen gehen wir über eine Wiese und von Weitem kann ich einen Treppenaufgang sehen, wo drüber groß und deutlich die Buchstaben 'Velodrom' prangen. Da finden normalerweise Messen oder Konzerte statt.

Wollen wir da etwa hin? Ja, tatsächlich. Er steuert direkt darauf zu, und schon laufen wir die Treppen hinab.

Unsicher schiele ich zu ihm hoch.

„Wollen wir etwa da rein?“

„Türlich.“, meint David sachlich.

„Ähm, aber ich hab kein Geld, das kostet doch sicher Eintritt...“

„Keine Sorge, es ist eine kostenfreie Veranstaltung.“, beruhigt er mich.

Welche Veranstaltung ist denn bitte kostenfrei? Aber egal wie oft ich nachfrage, er sagt kein Ton darüber wo wir hingehen.

„Mhm...es riecht nach Curry...lecker! Gibts da etwa was zu essen?“

„Glaub schon, wenn du willst können wir da auch was essen.“

„Nee, ich wette das wird nicht so günstig sein. Hab nur noch 'nen Fünfer, der muss für die Fahrkarte zurück noch reichen.“

Wir gehen durch den Eingang und der Geruch nach Curry wird stärker. Einige Menschen laufen herum und bunte Plakate sind überall aufgehängt wo eine freundlich lächelnde Frau abgebildet ist, die ziemlich Indisch aussieht. Darunter steht etwas, was ich nicht verstehen kann und was sich auch ziemlich Indisch anhört.

Etwas ratlos stehen wir kurz im Eingangsbereich herum, dann zieht David mich mit sich weiter hinein ins Gebäude, wo lauter Menschen in einer langen Schlange Anstehen. Eine Mitarbeiterin sagt uns wo wir uns hinstellen sollen und fragt ob wir Gestern schon mal hier waren, was wir beide höflich verneinen. In der Luft kann ich einen schwachen, unbekannten Duft wahrnehmen, der ein wenig in der Nase kratzt. Viele verschiedene Menschen laufen hier durch die Gegend, einige Eltern mit ihren Kindern sind dabei, und vor allem sind viele Inder dabei. Teilweise sogar in diesen merkwürdigen Gewändern, wie man das aus Filmen kennt. Das diese Veranstaltung irgendwas mit Indien zu tun hat ist wohl offensichtlich, aber was genau, ist mir immer noch ein Rätsel. Da wir einige Zeit herumstehen in der Schlange, und warten wirklich nicht in meiner Natur liegt, fange ich wieder an mit David herumzualbern und über belangloses Zeug zu reden. Nichts spannendes, eigentlich schade , aber ich genieße es trotzdem ein wenig mehr über ihn zu erfahren, auch wenn wir gerade nur über seine Lieblingsband diskutieren.

Endlich bewegt sich die Schlange der wartenden Menschen voran und vorne angekommen wird uns von zwei Damen ein kleiner Zettel mit einer Nummer in die Hand gedrückt, was mich wieder verwirrt, da ich keinen blassen Schimmer habe wofür der überhaupt ist. Aber bevor ich fragen kann führt mich David eine Treppe hinauf und wir kommen in das Innere der Halle. In der Mitte ist eine große Fläche auf denen mehrere Stände aufgebaut ist, die irgendwelchen Plunder verkaufen. Die Zuschauerränge sind mit einem Zaun abgegrenzt, und werden für die....Ausstelleung, Messe? Oder was das hier ist, nicht genutzt. Am anderen Ende der Halle ist eine Bühne aufgebaut worden und davor mehrere Stühle, Die Konstruktion sieht nicht danach aus, als wenn sie üblicherweise dort steht, glaube ich zumindest. War ja noch nie hier.

Neben der Bühne stehen auf jeder Seite jeweils ein Flachbildschirm, die aber aktuell noch ausgeschaltet sind und noch eine Leinwand mit Beamer. Mit großen Lautsprechern wird die Halle mit Musik beschallt, ebenfalls Indisch. Meine Verwirrung wird irgendwie immer größer.

„Welche Nummer hast du?“, spricht mich David an und beugt sich dabei zu mir rüber um auf meinen Zettel zu schielen, den ich immer noch mit meiner Hand umklammere.

„Ähm...B2 steht da.“

„Gut, dann sind wir in derselben Gruppe, habe auch B2.“

„Und für was soll das nun sein?“

„Sei nicht so neugierig, wirst du noch sehen.“

„Ich bin nicht neugierig, nur will ich gerne vorher bescheid wissen ob ich mir Sorgen machen muss.“

Er schmunzelt nur.

„Komm, lass uns die Stände angucken!“ Seine Hand legt sich auf meine Schulter und wir schlendern zwischen den vielen Verkaufsständen hindurch, die allerlei Kram verkaufen, alles sieht irgendwie Indisch aus...

Ein Stand war vollgestopft von jeder Art von Räucherstäbchen die man sich vorstellen kann und nun ist mir auch klar woher der komische Geruch kommt. Die ganze Halle riecht danach! Bäh! Wirklich nicht mein Geschmack. Aber da bin ich scheinbar nicht der Einzige, denn David rümpft auch die Nase und wir schauen uns lieber woanders weiter um.
 

„Hmm rieche mal!“ Mir wird ein Stück Seife von David unter die Nase gehalten.

„Das riecht komisch.“ Er legt die Purpurrote Seife wieder zurück zu den anderen. Spontan greife ich nach einer Grünen.

„Die riecht besser, schau.“

„Apfel.“

„kann sein, bist du ein Seifenfetischist?“

„Nein, aber ich mag Dinge die gut riechen.“

Ich schiele ihn von der Seite an, während ich die Seife hastig zurücklege, weil uns der Verkäufer schon als potenzielle Kunden ins Auge fasst. Kaufen wollte ich sicherlich nichts.

„Deshalb auch dein Perfüm?“

Er dreht sich überrascht zu mir um.

„Du hast es bemerkt?“, fragt er ehrlich überrascht.

Wie kann man das denn bitte nicht bemerken? Also nicke ich brav.

Er lächelt. „Ja, ich mag den Geruch gern. Calvin Klein, aber sauteuer!“

Lag ich doch gar nicht so falsch.

„Basti würde mich auslachen, wenn ich so was benutzen würde. Für ihn sind Parfüms nur was für Mädels.“

„Quatsch, oder bin ich ein Mädchen?“

„Nein, aber schwul.“

Er kneift verstimmt die Lippen aufeinander.

„Hey, das war nicht böse gemeint. Mir ist das egal.“

„Dann solltest du nicht so oft drüber nachdenken was dein Freund für eine Meinung hat. Bilde dir doch selbst eine Meinung. Langsam habe ich das Gefühl du hast viel zu viel Zeit mit ihm verbracht.“

Ich runzle die Stirn und schnaufe nur verstimmt. Vielleicht hat er ja sogar recht. Ich weiß nicht. Bin ich wirklich so festgefahren? Ist mir zumindest bisher nie so aufgefallen. Meine eigene Meinung...die habe ich doch, oder?

Wir gehen weiter und kommen an einem Stand vorbei, wo lauter Steine in verschiedenen Farben herumliegen, daneben die gleichen Steine, aber als Kette oder Armband zum tragen.

David nimmt einen schwarzen in die Hand und betrachtet ihn eingehend.

Neugierig beuge ich mich zu ihm rüber. „Stehst du etwa auf so einen Esoterikkram?“

„Nein,“, meint er schlicht.

„Was machen wir denn hier? Das ganze wirkt wie als wäre das so ein Esoteriktreffen und gleich kommt der große Guru zum meditieren.“

Er legt den Stein weg. „Damit liegst du gar nicht mal so falsch. Ich dachte es könnte ganz lustig werden. War bei so was auch noch nie dabei.“, sagt er und zuckt mit den Schultern, während ich ihn ungläubig anstarre.

„Jetzt echt? Du meinst das ernst? Ich soll hier meditieren??“

„Du muss nicht. Aber das mit dem meditieren ist eher nebensächlich.“

„Und was ist es dann hauptsächlich?“

„Gestern Abend, draußen vor dem Haus, du sahst so deprimiert aus, da dachte ich du könntest eine Umarmung vertragen. War ein spontaner Einfall.“

Wären wir in einem Comic, hätte jetzt wohl irgendjemand meinen offenen Mund zugeklappt.

„Hä?“

„Lass dich einfach überraschen! Hab das auch noch nie gemacht, aber ich dachte es ist kreativer, als ins Kino zu gehen.“

Gerade bin ich mir allerdings nicht sicher, ob Kino mir nicht lieber gewesen wäre. Esoterik ist nun wirklich nicht mein Ding.

„Guck nicht so grimmig, lass dich einfach darauf ein! Ich hab mit solchen Dingen auch nichts am Hut, wie gesagt, ich dachte er wäre ganz witzig und mal was anderes.“
 

Zumindest hat er recht damit, dass es mal was 'anderes' ist. Seltsame Ideen hat er ja, aber es ist irgendwie...ja, irgendwie aufregend. Alleine dass ich hier mit ihm bin ist schon irgendwie toll. Vor einer Woche hab ich ja nicht mal geglaubt ihn überhaupt mal wieder zu sehen, und nun ist er hier und er will scheinbar tatsächlich mit mir befreundet sein. Durch seine Anwesenheit kann ich ganz die unangenehmen Gedanken an Basti, Jonas und Katrin vergraben. Und er sieht wieder so gut aus, ob es daran liegt, dass er so enge Hosen trägt? Ist ja eher untypisch. In meiner Klasse hat sich leider der Trend festgesetzt Hosen zu tragen die eher Säcken ähneln, als alles andere. Nicht ganz mein Geschmack. Aber so eng, das würde ich mir nicht trauen. Bei ihm passt das aber, es betont seine unglaublich langen Beine.

„Gefalle ich dir?“, reißt mich David aus meinen Gedanken und mir fällt auf, dass ich ihn schon eine ganze Weile gedankenverloren mustere. Gott, wie peinlich!

„Nein! Also, so mein ich das nicht nur...also mir gefällt einfach die Hose. Das ist alles.“ Er zieht eine Augenbraue nach oben und lächelt dabei verschmitzt.

„Wenn du willst, leih ich sie dir mal, wenn sie dir so gut gefällt.“

Abwehrend hebe ich die Hände und schüttle den Kopf. Die würde mir eh nicht passen..
 

„Und was jetzt?“

Wir sitzen auf den Stühlen vor der aufgebauten Bühne, irgendwo mittig, da die anderen Leute auch angefangen haben sich dort hinzusetzen. Wird schon irgendwie richtig sein, auch wenn wir uns total unwissend vorkommen inmitten dieser ganzen Esoteriker. Zumindest den Kindern, die hier auch durch die Gegend springen scheint das ganze nicht so ernst zu sein, was die Stimmung etwas auflockert.

„Weiß nicht, ich würde sagen wir warten einfach ab.“

Und das tun wir dann auch. Irgendwann werden die Bildschirme und der Beamer angeschaltet und eine Art Dokumentation wird vorgespielt, was meine Unterhaltung mit David erst mal unterbricht.

Der Bericht ist eigentlich ganz spannend. Es geht um eine Indische Frau namens Amma, die aussieht wie man sich wohl eine typische, indische Mutter vorstellt. Ein wenig mollig, dunkle Haut, aber mit einem freundlichem Lächeln und diesem komischen Punkt auf der Stirn. Es wird erzählt, dass sie ihr ganzes Leben dem trösten von Menschen gewidmet hat und mit weiß ich nicht wie vielen Projekten arme Leute unterstützt. Beeindruckend ist es schon....so etwas könnte ich nicht, so selbstlos alles aufgeben und nur anderen helfen. Ich glaube, dafür bin ich zu egoistisch. Mag auch vielleicht daran liegen, dass ich selbst noch denke zu jung zu sein, um jetzt schon entscheiden zu können was ich mal werden will. Diese Frau wusste es schon von Anfang an und ist offensichtlich damit glücklich. Langsam verstehe ich auch worum es hier auf dieser Veranstaltung geht, denn scheinbar ist diese 'Amma' hier, oder zumindest taucht sie noch auf. Tja und ratet mal wozu.

Um Menschen zu umarmen, sagt zumindest der Erzähler im Bericht.

„Das mit der Umarmung war echt ernst gemeint oder?“, frage ich David flüsternd mit einem mulmigem Gefühl im Magen.

„Klar.“

Ich muss schlucken. Oh weh...

Nachdem die Doku zu Ende ist, wird es ruhig. Nur ein Baby schreit herzergreifend. Links neben den ganzen Stühlen haben sich einige Menschen aufgestellt, und warten scheinbar auf jemanden. Das sieht so albern aus, dass ich spontan kichern muss.

„Was ist?“, fragt David neben mir verwirrt.

„Das sieht aus, als wenn die Leute erwarten, dass da gleich George Clooney oder sonst wer einmarschiert und keine kleine Inderin.“

„Ja, ich weiß was du meinst!“ Er lächelt mich vergnügt an und mein Blick wandert wieder über sein hübsches Gesicht und seine tollen Augen, und ich komme nicht umhin wieder seine langen Wimpern zu bestaunen. Untypisch für einen Mann, aber schön. Wäre ich ein Mädchen wäre ich vielleicht längst in ihn verschossen.

„Sie ist ja so eine Art Guru da in Indien, kein Wunder also, dass sie so verehrt wird. Meine Ethiklehrerin ist auch richtig von ihr begeistert. Von ihr habe ich erst von dieser Veranstaltung erfahren.“

„Im Unterricht?“

„Ja, wir hatten das als Thema angeschnitten.“

„Ein merkwürdiger Spleen.“

„Jeder braucht ein Hobby, würde ich mal behaupten.“

„Und was ist deins?“ Mir fällt erstaunt auf, dass wir darüber noch gar nicht wirklich gesprochen haben, das meine Hobbys hauptsächlich Konsolenspiele und Schwimmen sind, hatte ich ihm erzählt, aber bisher weiß ich von ihm immer noch nicht wirklich viel.

„Zumindest keine indischen Gurus.“

„Was dann? Du zockst doch gerne, oder?“

„Ja klar, will ja nicht umsonst Gamedesigner werden. Ansonsten bleibt mir leider nicht so viel Zeit für viele Hobbys, das Gym frisst viel Zeit, wenn ich es nicht grade darauf anlege sitzen zu bleiben.“

„Können ja mal zusammen was zocken.“

„Klar, gern. Oh, ich glaube da kommt sie!“

Wir recken die Hälse, doch die Menschen stehen zu dicht um irgendetwas erkennen zu können. Klar könnten wir auch aufstehen, aber keiner von uns hat Lust den sicheren Sitzplatz aufzugeben und sich in die Menschenmenge zu quetschen, zudem vorne am Beamer eh zusätzlich gezeigt wird was passiert, weil das ganze zeitgleich mit Kameras aufgenommen wird.

Amma setzt sich auf einen extra für sie aufgebauten Platz auf die Bühne, um sie herum mehrere Kinder im Schneidersitz, und neben ihr sitzt ein junger Mann mit Mikro der übersetzt was sie sagt.

Nach einer kurzen Ansprache wird tatsächlich meditiert. Meine absolut erste Meditation! Einige von den Zuschauern setzen sich dafür sogar auf den Boden. In mir bin ich zweigeteilt, denn zum einen finde ich das alles unglaublich albern und zum anderen fasziniert mich das auch. Während der Meditation haben alle die Augen geschlossen, und als ich zu David schiele, stelle ich fest, dass er mich angrinst und dann auch die Augen schließt. Es ist ganz ruhig, nur das eine Baby brüllt immer noch.

Ich kann David neben mir atmen hören und bemerke, dass die Räucherstäbchen einglück seinen Geruch nicht überdecken. Unsere Stühle stehen ganz dicht beieinander...wenn ich mein Bein etwas abspreize könnte ich seines berühren. Der junge Mann vorne spricht in einer sehr monotonen Stimmlage beruhigende Worte, die mich etwas schläfrig machen und entspannt schließe ich nun auch die Augen. Lasse mich einfach fallen.

Es ist aufregend, hier zu sein, anders. So etwas habe ich wirklich noch nie gemacht. Das Einzige, was ich mich frage, ist, wenn er wirklich so wenig Freizeit hat wegen der Schule, warum dann opfert er sie für mich? Wir kennen uns immerhin erst seit Gestern, auch wenn wir schon nach kurzer Zeit so unbefangen miteinander umgehen. Ich mag das Gefühl, ihm nichts vormachen zu müssen irgendwie. Nur dass er mich so schnell durchschaut ist ein wenig unheimlich. Aber er zwingt mir keine Geschichten auf, die ich nicht hören will, ich muss mich nicht rechtfertigen und vor allem ist es ihm scheinbar recht egal, ob ich nun eine Freundin habe oder nicht.

Irgendwas muss an ihm doch faul sein, vielleicht hat er eine Macke von der ich noch nichts weiß? Hm, gut er ist schwul. Das ist schon irgendwie nicht normal.

Früher, als wir vielleicht so um die vierzehn waren, haben Basti und ich oft lauthals darüber hergezogen, wenn wir Jungs gesehen haben die Händchen hielten, oder auch nur danach aussahen. Im Nachhinein ziemlich bescheuert, ich weiß. Aber damals war es mir egal, und mit Basti machte es sogar irgendwie Spaß. Doch über David könnte ich nie so herziehen. Ich mochte ihn schon bevor ich es wusste, und...weiß nicht. Vielleicht liegt es tatsächlich daran, dass ich ihn alleine kennen gelernt habe, ohne Vorurteile oder Bastis vorgefertigter Meinung.
 

Ein Lufthauch an meinem Ohr erschreckt mich und die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf.

„Du kannst die Augen wieder aufmachen Dornröschen.“

Meine Augen fliegen auf und David setzt sich wieder gerade hin, ohne den Blick von mir zu nehmen.

„Hör auf mich Dornröschen zu nennen! Ich bin kein Mädchen.“, schmolle ich beleidigt.

„Ich fürchte, das kann ich nicht.“ meint er grinsend. Gespielt wütend boxe ich ihn gegen die Schulter. Als Rache zerstrubbelt er mir kräftig das Haar.
 

Nach der Meditation, setzt sich Amma vor die Bühne auf den Boden und die Leute kommen nacheinander zu ihr und sie umarmt sie tatsächlich. Und das herzlich und ernst. Seltsam damit sein Leben zu verbringen.

Hinter uns sind Schilder aufgehangen mit einer Nummer, wodurch uns endlich klar ist, wofür die Zettel gedacht sind. Bei der Masse an Leute wird hier nach Nummern umarmt. Tja, auch Gurus brauchen ein System.

Da unsere Gruppe noch nicht dran ist schlendern wir nochmal ein wenig durch die Stände, bestaunen spirituelle Puppen und probieren tatsächlich aus Spaß ein paar indische Gewänder an. David sieht wirklich irre komisch aus in dem Ding!
 

„Wollen wir das echt durchziehen? Also die Sache mit dem umarmen?“, frage ich nervös, als wir wieder auf den Stühlen sitzen, weil es nichts weiter zum angucken gibt.

„Klar, warum nicht? Wenn wir schon mal da sind.“

„Weiß nicht, kommt mir komisch vor, mich von einer Fremden umarmen zu lassen, und dann der ganze spirituelle Kram dazu.“

Ein Mann neben uns beugt sich interessiert zu uns rüber.

„Das ist aber nicht gut.“

„Hä?“, frage ich wenig intelligent.

„Wenn du möchtest kann ich dir dabei helfen, dich frei zu machen von deinen Zwängen.“, meint er knallernst und gestikuliert dabei wild mit den Händen.

David presst angestrengt die Lippen aufeinander, um sich vom lachen abzuhalten.

„Ähm, also nein. Das passt schon.“

„Aber du würdest dich dann viel freier fühlen, glaub mir. Es ist nicht gut so gefangen zu leben.“

Stotternd versuche ich mich weiter herauszureden, ohne unhöflich zu werden, während David weiterhin kurz vor einem Lachanfall steht.

„Ist deine Entscheidung, aber denk darüber nach.“, meint er dann schließlich und ich bin froh das unangenehme Gespräch los zu sein. Zudem meine heutige Begleitung schon Tränen in den Augen hat, vor unterdrückter Heiterkeit. Grob stoße ich ihm den Ellenbogen in die Seite und zische ihm zu dass er aufhören soll.

„Tut mir leid, das war einfach so lustig! Und du bist niedlich, wenn du verlegen bist. Genau so.“

Durch seine Worte bin ich doch glatt nochmal rot angelaufen.

„Lass den Mist, ich bin nicht schwul.“

„Aber ich, also darf ich so was sagen.“

Unsere Nummer wird endlich angezeigt und trotz dem mulmigem Gefühl in meinem Bauch gehe ich mit ihm zusammen dahin. Wir müssen die Schuhe ausziehen und bekommen einen Infozettel in die Hand gedrückt, wo ich erfahre dass diese spirituelle Umarmung Darshan genannt wird, und eigentlich eine Segnung ist. Oh man, dabei ging mir bisher sogar die Kirche am Hintern vorbei und jetzt lasse ich mich Indisch segnen.

Wir setzen uns auf zwei nebeneinander gestellte Stühle, vor uns sind in derselben Konstellation Stühle aufgestellt. Wie eine Warteschlange, nur im Sitzen. Wenn vorne Platz ist, setzt man sich einen Stuhl nach vorne.

Ein Mann, scheinbar ein Mitarbeiter, geht zu dem Pärchen das vor uns sitzt und fragt sie ob sie sich denn als Paar segnen wollen, ansonsten müssten sie sich anders herum setzen. Spontan wende ich mich flüsternd an David.

„Was machen die eigentlich bei schwulen? Da sieht man ja nicht ob sie ein Paar sind, oder nicht.“

„Weiß nicht, vielleicht muss man das dann ansagen. Wieso? Willst du dich mit mir als Paar segnen lassen?“, grinst er mich belustigt an. Ich werde wieder rot.

„Nein!“, sage ich hastig. „War nur eine Frage die mir im Kopf herumschwirrte.“

Wir rücken immer weiter vor, bis wir endlich dran sind. Ein Mitarbeiter schiebt uns vor und meint wir sollen uns hinknien, was wir dann auch tun. Zuerst komme ich dran, vor mir ist noch eine ältere Frau die gerade umarmt wird. Dann  bin ich plötzlich direkt vor Amma, sie sieht mich an mit einem unglaublich durchdringendem Blick, dass man das Gefühl hat sie weiß sofort was in dir vorgeht, welche Sorgen du hast. Wirklich gruselig...

Mein Kopf wird an ihre rechte Schulter gedrückt und ich kann ihre mütterliche Hand an meinem Hinterkopf spüren. Sie riecht auch nach Räucherstäbchen, und an ihrem weißen Gewand sind Reste von Schminke zu sehen, die von den Frauen stammen musste, die sie auch so an sich gedrückt hatte.

Ihre Stimme ist nah an meinem Ohr und flüstert mir Worte zu, die ich nicht verstehen kann. Es hört sich aber schön an. Im Hintergrund läuft noch immer diese indische Musik, nur ein anderes Lied, es ist langsam und soll wohl auch beruhigend wirken.

Amma lässt mich los und drückt mir mit ihrer Linken etwas in die Hand, doch die Mitarbeiter haben es scheinbar eilig, weil so viele Leute hinter mir warten, dass ich erst nachschauen kann, als ich aus dem Gedränge raus bin. Ein rotes Rosenblatt und ein Bonbon liegen in meiner Handfläche.

„Hast du auch ein Bonbon bekommen?“ David steht hinter mir und sieht mir über die rechte Schulter. Ich drehe meinen Kopf zu ihm herum und zeige dabei meine Ausbeute. „Jup“

Ich bin gerade am Auspacken vom Bonbon, als mich David fragt ob wir tauschen wollen, weil er kein Ananas mag. Mir ist das egal, also zucke ich nur die Schultern und halte es ihm hin, doch anstatt es einfach mit der Hand zu nehmen, spüre ich plötzlich seine Lippen an meinen Fingern. Mit der Zunge streicht er kurz über meine Fingerkuppen, bevor er sich das Bonbon in den Mund schiebt.

„Bäh! Das ist voll eklig, David!“ Aus Rache wische ich meine Finger an seiner Jacke ab. Selbst schuld, wenn er seinen Speichel bei mir ablädt.

„Sag das nochmal.“

Ungläubig schaue ich ihn an. „Was? Das du eklig bist? Wieso kannst du nicht wie jeder normale Mensch deine Hände benutzen.“, schmolle ich nur.

„Nein das mein ich gar nicht. Meinen Namen, du hast mich mal beim Namen genannt.“

„Ja und?“

„Hört sich schön an.“

„Jetzt wirst du mir unheimlich, lass das, oder ich überlege es mir doch nochmal anders mit Freitag.“

Er schwult mich schon den ganzen Tag so an, ist euch doch bestimmt auch aufgefallen, oder hab ich Wahnvorstellungen?
 

Da außer den Ständen nicht wirklich was los ist, die Umarmung schon vorbei ist und ich weder genug Geld für eine Massage noch für was zu Essen habe, verziehen wir uns und fahren noch etwas in die Stadt. Wir laufen über den Alexanderplatz, sitzen dort sogar einige Zeit am Brunnen und genießen die Mittagssonne und schauen einigen Tänzern zu, die sich dort mit ihrem Sammelhütchen platziert haben um Passanten nach Geld zu fragen.

David spendiert mir auch wie versprochen einen Kaffee bei Starbucks. Oh wie ich den Kaffee da liebe! Hmmm...himmlich!

Doch bald machen wir uns wieder auf den Rückweg zwangsweise. Ich wäre gerne noch länger geblieben, aber wir müssen unseren Regionalzug bekommen Richtung Erkner. Lust auf Zuhause habe ich wirklich nicht, aber es ist schon zu spät um noch was anderes zu unternehmen und David meint, er müsste eigentlich noch Hausaufgaben machen, was mir ein schlechtes Gewissen einbringt, denn meinetwegen hat er sie ja Heute bisher nicht machen können. Der Tag war wirklich....interessant
 

„Wo warst du so lange? Es gibt Abendessen, mach hinne, deine Mutter ist schon ganz ungeduldig.“, werde ich von Dad im Flur begrüßt. Ich schnuppere in die Luft. „Das riecht gut! Gibt es Nudeln?“

Nach der ganzen Rennerei, habe ich echt einen Bärenhunger!

„Ja.“, ruft er über seine Schulter, während er in die Küche geht.

Meine Schwester ist die ganze Zeit beim Essen mürrisch und wirft mir immer wieder tödliche Blicke zu, was mich grübeln lässt. Hab ich irgendwas angestellt? Nicht das ich wüsste. Also ignoriere ich sie einfach mal konsequent.

„Kai? Wir haben doch bald die kleine Familienfeier, wir würden uns freuen wenn du deine Freundin mitbringst. Deine Großeltern kennen sie doch noch gar nicht.“

Ach, da war natürlich auch noch die dumme Katrin-Sache. Mum will wahrscheinlich nicht lange fackeln und sie so schnell wie möglich in die Familie integrieren, in der Hoffnung sie bleibt. Gut, da gibt’s leider nur ein Problem...

„Tja Brüderchen, ja lade doch Katrin ein. Ich wette sie wird vor Freude ganz aus dem Häuschen sein!“, säuselt Sheila ironisch. Dumme Kuh! Warum glauben eigentlich alle ich bin schuld?

Mum schaut verständnislos zwischen uns hin und her.

„Was ist denn los?“

„Nichts weiter, Katrin und ich haben Schluss gemacht, das ist alles.“

Geschockt schaut sie mich an.

„Aber warum denn das, Schatz? Soll ich vielleicht mal mit ihr reden? Oh Spätzchen, es tut mir so leid!“

Geht ihr das wirklich so nah? Ist ja jetzt nicht so, als wären wir furchtbar lange zusammen gewesen. Und oft war Katrin ja nicht hier.

„Ähm, nee Mum, das passt schon. Mach dir keine Sorgen.“

Sheila schnauft nur abfällig, sagt aber nichts weiter.

„Aber...“

„Mum! Wirklich! Es ist in Ordnung. Ich werde schon wen anderes finden, das hat einfach nicht gepasst.“, beruhige ich sie schnell, bevor sie weiter nachhakt.

Den Sternen so nah

Montag in der Schule ist es alles andere als angenehm.

Jonas ist immer noch ein wenig böse auf mich, aber nicht allzu sehr. Er schmollt die ersten Stunden, redet aber zum Nachmittag wieder wie immer mit mir. Bei Basti sieht die ganze Sache anders aus. Als ich gestern Abend auf mein Handy schaute, waren da fünf verpasste Anrufe und eine SMS von ihm drauf, doch ich habe sie geflissentlich ignoriert. Ich will mit ihm nicht reden, zumindest jetzt noch nicht.

Er versucht mich zwar anzusprechen, doch ich kann ihn abwimmeln und seit dem lässt er mich vorerst in Ruhe. Ich bin immer noch wütend auf ihn, er soll mich in Frieden lassen.

Mit Katrin ist es noch merkwürdiger, da ich immer noch beleidigt bin. Vielleicht benehme ich mich wirklich kindisch, aber wer würde anders fühlen, wenn die eigene Freundin einen betrügt, nur weil man nicht mit ihr fummeln wollte. Sich gleich an den nächst Besten zu schmeißen...und dann auch noch Basti! Das ist für mich einfach das verhalten einer Schlampe. Hätte ich von ihr tatsächlich nicht erwartet, was es noch schlimmer macht. Vielleicht lag ihr auch gar nichts an mir als Person, sondern war nur an mir als Junge interessiert. Ein weiblicher Basti sozusagen. Dann passen die beiden ja echt perfekt zueinander…

Man merkt, dass ich immer schlechtere Laune bekomme, um so mehr ich darüber nachdenke, oder? Aus dem Grund lass ich es für den Rest des Tages sein und beschließe mich irgendwie zu beschäftigen. Doch dann stoße ich auf das nächste Problem. Jonas hat keine Zeit, da er wieder in die Muckibude geht, er scheint es ja tatsächlich mal ernst zu meinen damit, und sonst bleibt mir nicht so viel Auswahlmöglichkeit. Auf Schwimmen habe ich alleine keine Lust, zocken mit Basti entfällt ebenso, und mit Katrin hatte ich schon keine Lust was zu unternehmen, als sie noch meine Freundin war. Aus Mangel an Ideen gehe ich tatsächlich sogar einkaufen ohne zu murren, weil mich Mum gefragt hat, da sie noch länger im Salon heute Arbeitet. Sie ist Frisörin, und scheinbar ist eine Kollegin krank.

Doch danach sitze ich wieder in meinem Zimmer, mit demselben Problem. Arg, was hab ich denn früher nur gemacht? Tja, die Antwort ist wohl klar, mit Basti und Jonas rumgehangen.

Ich zocke ein bisschen am PC, aber auch daran verliere ich schnell mein Interesse, und nachdem ich auch im TV alle Programme einmal durch gezappt habe, weiß ich wieder nicht was ich machen soll. Ich brauche definitiv mehr Freunde...David!

Plötzlich bin ich ganz aufgeregt, hüpfe vom Sofa, grabe mein Handy aus meiner Schultasche und rufe ihn sogleich an. Schon nach den dritten Tuten geht er ran.

„Hey, Kai! Schön, dass du anrufst. Was gibt’s?“

Im Hintergrund höre ich mehrere Stimmen.

„Störe ich gerade?“, frage ich ein wenig verlegen, denn ich hatte gar nicht daran gedacht, dass er etwas zu tun haben könnte und vielleicht auch gar keine Zeit hat.

„Was? Ach, nein nein. Mein Bruder hat nur ein paar Freunde eingeladen, deine Schwester ist übrigens auch hier.“ Die Stimmen werden leiser und ich kann hören wie er eine Tür schließt.

„So ist schon besser.“

„Ähm...“ Ich weiß gar nicht richtig was ich sagen soll. Scheinbar hat er zu tun, da mag er sicher nicht seine Zeit mit mir vergeuden.

„Was ist los?“, fragt er besorgt, als ich nichts weiter sage.

„Nichts! Also, na ja. Ich langweile mich etwas.“, murmle ich möglichst gelassen. Zumindest hoffe ich, dass man nicht heraushört, das ich etwas nervös bin. Wir kennen uns ja noch kaum und das macht mich etwas befangen.

„Und da dachtest du, du rufst mich an?“

„Hm.“, gestehe ich ihm und werde wieder verlegen.

„Was ist mit deinen Freunden?“

Aus seiner Frage kann ich nicht wirklich heraushören, ob ich ihn nerve, aber trotzdem komme ich mir blöd vor.

„Jonas hat zu tun und Basti...na ja du weißt ja.“

Klingt das nicht armselig? Ja oder? Jetzt muss er doch denken ich hätte kaum Freunde und nachher glaubt er noch ich hätte ein gestörtes Sozialverhalten, oder es gibt sonst welche Gründe weshalb man nicht mit mir befreundet sein sollte. Will er überhaupt mit mir befreundet sein? Aber Gestern sah das zumindest danach aus.

Verwirrt schüttle ich die wirren Gedanken aus meinem Hirn.

„Also, ich wollte dich auch gar nicht stören, ihr habt sicher noch was vor. Wir sehen uns ja Freitag.“, will ich schon ausweichend antworten, um das Gespräch zu beenden, doch David geht nicht auf diesen Wink ein.

„Mit denen? Sicher nicht. Mit meinem Bruder und seinen Freunden den Abend zu verbringen ist sicher kein Spaß.“

Jetzt klingt er tatsächlich etwas bedrückt, wegen seinem Bruder, nehme ich an.

„Dann hast du Zeit?“

„Für dich? Sicher.“ Jetzt werde ich ungewollt rot. Peinlich! Aber er kann mich ja zum Glück nicht sehen.

Es tut gut seine Stimme zu hören und er hat nichts dagegen, als ich frage ob er Lust hat vorbei zu kommen zum zocken. Und jetzt freue ich mich sogar doch noch auf den Abend!

Und er wird schön. Es ist niemand zu Hause, also öffne ich ihm die Tür, als es klingelt und wir setzen uns dann mit Getränken und Chips vor die Konsole.

Und schon ist Basti vergessen, und auch David scheint seine Probleme mit seinem Bruder aus seinem Kopf verbannt zu haben, so ausgelassen redet und lacht er mit mir. Boxt mich gegen die Schulter, wenn ich ihn ärgere und ich will gar nicht dass der Abend endet.

Erst als es schon wirklich spät wird, und wir von unten Lärm hören, da meine Mutter und Sheila heim gekommen sind, macht sich David auf den Weg nach Hause.

An der Tür bleibe ich kurz mit ihm stehen und sehe ihn unsicher an.

„Danke, das du rum gekommen bist.“

Er lächelt mich offen an. Ich mag das.

„Keine Ursache. Ruf mich an, wenn dir wieder langweilig ist.“ Zum Abschied wuschelt er mir kurz durchs Haar und ich sehe ihm noch kurz nach, ehe ich die Tür schließe.

„Wer war das?“, fragt Mum interessiert, als sie in den Flur tretet.

„David, du weißt schon, Mathias Bruder.“

„Ach ja, der nette junge Mann von Samstag.“, erinnert sie sich.

„Hm. Ja, nett.“, sage ich etwas unwirsch. Immer noch in Gedanken an ihn.

„Komm Schatz, auch wenn dein Vater auf Geschäftsreise ist, können wir ja trotzdem gemeinsam zu Abend essen. Sheila deckt schon den Tisch.“

„Hm, ich komm gleich.“
 

Die folgenden Tage wird es nicht viel besser in der Schule. Jonas hat dauernd zu tun, Katrin ignoriert mich, genauso wie ihre Freundinnen, mit denen ich eh noch nie viel zu tun hatte, und Basti hält auch erst einmal Abstand. Wir haben noch nie so lange nicht miteinander gesprochen. Natürlich hatten wir auch als Kinder streit, nur noch nie in diese Ausmaß. Ich will nicht mit ihm reden und ihm scheint es zur Zeit genauso zu gehen. Es ist mir egal...

Dafür Telefoniere ich jeden Tag inzwischen mit David. Manchmal ruft er mich an, oft genug tue ich es. Es tut gut ihm von meinen Frust von der Schule zu erzählen, er erzählt mir wiederum immer wenn er streit mit seinem Bruder hatte.

Wenn es besonders schlimm ist, kommt er bei mir vorbei und wir zocken, oder gehen weg.

Noch eine Sache die ich faszinierend finde an ihm, denn wenn David von weggehen spricht, meint er nicht das wir in eine Disko gehen, ins Kino oder Feiern. Die Dinge die normale Typen eben machen.

Den einen Tag schleppt er mich zu einer Vorlesung über Animismus. Ein Typ steht dort auf der Bühne in einem riesigen Vorlesungssaal und erzählt den Zuschauern eine recht spannende Geschichte über eine Reise durch Kanada, von Walen, aggressiven Seelöwen und das er Tanzen musste um diesen zu entkommen. Er stellt uns die Frage, woher man wissen kann, wie die andere Seite eines Baumes aussieht, wenn man sie nicht sehen kann. Solche Sachen halt. Am Ende der Vorlesung habe ich immer noch nicht ganz verstanden was Animismus ist, aber das was der Typ erzählte war schreiend komisch gewesen! Ich lache gerne mit David zusammen, denn wenn er lacht, dann klingt es nicht gezwungen laut oder unterdrückt. Das gefällt mir ungemein.

Am Freitag gehe ich zu seinem Schulfest mit den Projekten, und er zeigt mir einige seiner Bilder, die er schon gezeichnet hat. Ich muss neidvoll feststellen das er das richtig gut kann! Mehr als ein Strichmännchen würde ich nicht zustande bringen, aber Davids Zeichnungen sind sogar für meine ungeübten Augen gut. Hätte ich ehrlich nicht erwartet, denn er sieht nicht aus wie einer dieser typischen Künstler, die man so kennt.

Klischee lässt grüßen. Ich weiß, ich bin manchmal einfach viel zu Oberflächlich.

Doch durch David lerne ich die Dinge anders zu sehen, als bisher. Vieles über das ich bis jetzt eine vorgefertigte Meinung hatte, ist gar nicht so wie gedacht, stelle ich wieder fest.

Philipp ist auch da und wirft uns merkwürdige Blicke zu, als wir zusammen die Präsentation seiner AG begutachten.

Nach dem Wochenende kann ich mir auch endlich mal seinen Namen merken.

David ist gerade in einem Gespräch mit einem anderen aus seiner Klasse vertieft, als er mich anspricht. „Hallo Kai.“, begrüßt er mich höflich.

„Hi Phil.“

Peinlich schweigend stehen wir einen Moment herum. Ich weiß nicht wirklich worüber ich mich mit ihm unterhalten soll.

„Wusste gar nicht das du auch kommst.“ meint er schließlich.

„David hat mich eingeladen. Stört doch nicht, oder?“, frage ich vorsichtig.

„Natürlich nicht, aber lass dich nicht von den Lehrern erwischen.“

„Okay. Ähm...wie geht’s Alina?“, versuche ich das Gespräch am laufen zu halten. „Ganz gut. Aber du gehst mit ihr doch auf eine Schule? Seht ihr euch nie?“ Er runzelt fragend die Stirn.

„Nee nicht wirklich. Sehe sie nur recht selten, sie hockt ja immer mit Sheila rum.“

„Achso, dachte nur.“ Er schien ganz glücklich mit der Antwort.

„Keine Angst, ich spann sie dir nicht aus.“, sage ich aus einem Impuls heraus, da mir seine komischen Blicke aufgefallen sind.

Er lächelt. „Gut. Sonst könntest du auch was erleben!“, meint er nicht ganz ernst.

Ob er mich etwa als Rivalen sieht, nur weil ich mit Alina auf eine Schule gehe? Ist doch Schwachsinn.

„Hey Phil, mein Sonnenschein!“, spricht uns plötzlich jemand an den ich nicht kenne. Ich drehe mich zu der frechen Stimme um und sehe einen Jungen auf uns zukommen, blond, schlank, etwas größer als ich und wirklich gut aussehend. Also ich meine nicht einfach nur hübsch, sondern richtig attraktiv! Ein Schönling, genauso wie David, aber etwas Puppenhaft. Und er scheint ein extrem sonniges Gemüt zu haben, so wie er breit grinsend vor uns zu stehen kommt.

„David steht da hinten.“, grummelt Philipp verstimmt und ich sehe wie er dem Blonden einen bitterbösen Blick zuwirft.

„Ach, ist unserm Phil eine Laus über die Leber gelaufen? Oder hat es dir deine Freundin nicht richtig besorgt?“ Der Junge verzieht seinen Mund zu einer kindlichen Schnute. Zuerst dachte ich noch, dass er einfach nur frech ist, doch jetzt blitzt etwas herablassendes in seinen Zügen durch. So wie ich David auf den ersten Blick sympathisch fand, genauso unsympathisch finde ich den Blonden nun auf den ersten Eindruck.

„Nein, du bist mir über den Weg gelaufen.“, meint Phil nur.

Der Blonde lacht amüsiert und geht beinahe schon stolzierend an uns vorbei auf David zu, der sein Gespräch unterbricht, als der Junge einen Arm um seine Schultern legt.

Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachte ich die Szene.

„Wer war das?“, frage ich Phil. Seine Gesichtszüge sind angespannt.

„Gabriel.“, meint er knapp.

„Und du magst ihn nicht?“

„Offensichtlich.“

„Warum?“, frage ich vorsichtig nach.

„Er ist ein Arschloch.“, antwortet er schlicht.

„Hm.“ Ich bin zwar immer noch nicht schlauer, aber ich merke das Philipp nicht weiter darüber reden will und sich schließlich ein paar anderen Schülern zuwendet, die gerade den Raum betreten haben, um ihnen sein Projekt vorzustellen.

Etwas verloren bleibe ich erst mal stehen und schiele unauffällig zu David hinüber, der sich jetzt ausgiebig mit diesem Gabriel unterhält. Sie scheinen sich zu kennen. Zumindest gehen sie recht ungezwungen miteinander um. Gabriel trägt eine wirklich recht enge Jeans und eine dunkle Sonnenbrille hatte er sich bis auf die Stirn hochgeschoben, wahrscheinlich damit ihm seine fast kinnlangen, blonden Strähnen nicht in die Augen fallen.

Strahlend sieht er David an, der über etwas lacht was Gabriel ihm wohl gerade erzählt hat.

Ein brennendes Gefühl entsteht in meinem Magen. Ist das sein Freund? Aber er hatte gesagt, dass er genug von Beziehungen hätte. Doch schließt das gleich auch komplett aus? Ich bin verwirrt.

Unsicher gehe ich zu der Gruppe, stelle mich an Davis andere Seite mit etwas Abstand. Dieser lächelt mich an, als er mich bemerkt und der Blonde beugt sich vor um mir einen abschätzenden Blick zuzuwerfen.

„Wen hast du denn da auf gegabelt Tiger?“

Tiger?! Warum im Himmel nennt er David so?

„Darf ich vorstellen? Kai, das ist Gabriel, mein bester Freund und Klassenkamerad.“

Ah ja. Bester Freund.

„Und Kai ist der kleine Bruder von Sheila.“

„Die Schnecke deines Bruders?“

„Richtig.“

Gut dann wären schon mal die Fronten geklärt.

„Niedlich.“, spottet Gabriel und sein Arm legt sich wieder fester um Davids Schultern.

Oder auch nicht. Gott, wie kann David nur mit so einem Typen befreundet sein? Oder ist da doch mehr? Das wäre ja noch schlimmer.

„Hi.“ grüße ich trotzdem artig.

„Etwas mundfaul der Kleine, hm?“, sagt Gabriel zu David gewandt.

Ich mag es nicht, wenn über mich spricht, als wäre ich nicht anwesend.

„Ich bin nicht klein.“

Gabriel verzieht den Mund zu einem breiten grinsen.

„Lass dich nicht ärgern, Gabriel ist eigentlich ein ganz guter Kerl.“, meint David nachsichtig und lächelt mich freundlich an, wobei ich Gabriels Blick bemerke der uns aufmerksam beobachtet. Guter Kerl. Pfff!

Ich hab schlechte Laune und das bessert sich auch in der nächsten Stunde nicht, denn Gabriel bleibt die ganze Zeit bei uns, schmeißt sich wie eine Klette an David während dieser mir seine Schule zeigt und wir wieder zurück zu seiner AG gehen. Der Blonde wird mir mit jedem Satz den er von sich gibt unsympathischer und noch mehr stört es mich, dass ich einfach nicht mitreden kann wenn sich die beiden unterhalten.

Meine Laune erreicht ihren Tiefpunkt, als ich plötzlich auch noch alleine mit Gabriel bin, weil Davids Lehrer was mit ihm besprechen will wegen irgendeiner Hausaufgabe.

„Lass die Finger von David.“, zischt mich Gabriel plötzlich an. Seine Stimme hat jeden Klang seiner Frechheit verloren und ist beinahe kalt.

„Bitte?“, sage ich verblüfft.

„Ich bin nicht blind, so wie du ihn anstarrst fallen dir ja beinahe die Augen raus.“

Hat der ein Rad ab? Gut, blöde Frage. Natürlich hat er das.

„Ich starre ni...bist du schwul oder was?“

Er lacht geringschätzig und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Das geht dich nichts an.“

„Schön, dich auch nicht.“

„Ah ja.“

„Ja!“

Trotzig stehen wir schweigend nebeneinander. Na gut, ich trotze. Gabriel lächelt nur übertrieben arrogant.

Ich fasse es nicht! Der Kerl hält mich tatsächlich für schwul? Und er glaubt ich will etwas von David! Dieser...arg!

„Ich bin nicht schwul!“, knurre ich ärgerlich. Warum muss ich das in letzter Zeit dauernd klar stellen?

Gabriel grinst überheblich. Blöder Sack!

„Na dann brauchst du ja nicht zu starren.“

„Ich starre nicht.“, versuche ich mich zu rechtfertigen.

„Was willst du von David?“

„Was meinst du?“

„Tu nicht so unschuldig. Wenn du ihn nicht fürs Bett willst, was dann?“

Bitte was? Sehe ich aus wie irgendein kriminelles Arschloch?

„Schon mal was von Freundschaft gehört?“

Gabriel schnaubt abfällig. „David hat mich, er braucht keine anderen Freunde.“

Jetzt klingt er eifersüchtig und seine Worte schockieren mich etwas.

„Was gibt dir das Recht so über ihn zu bestimmen? Er kann befreundet sein mit wem er will!“

„Mich dich nicht ein Knirps!“

Ich will gerade etwas entgegnen, als David lächelnd auf uns zu kommt und ich die Worte mühsam hinunterschlucke.

„Hey, ich hoffe es ist dir nicht zu langweilig.“ fragt er mich mit seiner sanften Stimme. Seine schönen Augen wandern abschätzend über mein Gesicht.

„Schon okay.“, meine ich etwas verlegen.

Meine Wut verraucht regelrecht wenn er mich so anschaut und lächelt.

„Es ist eh schon spät, wir packen nur noch zusammen und dann können wir gehen.“

„Hm, gut.“

Seine Hand streicht kurz durch meine Haare, ehe er sich daran macht seinen Mitschülern beim Aufräumen zu helfen. Ich höre wie Gabriel wieder abfällig schnaubt und beschließe ihn einfach zu ignorieren.
 

„Wie hat es dir gefallen?“ , fragt David, als wir nebeneinander laufen, auf den Weg zur Straßenbahn.

„Gut.“, sage ich knapp. Irgendwie fühle ich mich ausgelaugt und immer noch gereizt durch Gabriels Anfeindungen.

„Phil schien sich auch gefreut zu haben dich wieder zu sehen.“

„Hm.

„Tut mir leid, wenn du dich zwischenzeitlich gelangweilt hast.“

„Schon okay.“

David bleibt plötzlich stehen und als ich mich zu ihm umdrehe bemerke ich seinen kritischen Blick der auf mir ruht.

„Was ist los?“, fragt er mich geradeheraus. Mir ist es etwas unangenehm, weil ich ihm eigentlich nicht unbedingt sagen will was los ist.

„Nichts.“, antworte ich ausweichend, doch ich merke schon an seinem Blick das er mir nicht glaubt.

„Sag schon. Habe ich irgendwas falsches gesagt? Du bist die ganze Zeit schon so.“ Ich schüttle den Kopf und schaue zu ihm hoch in seine grauen Augen, die mich so besorgt mustern. Ich mag seine Augen.

„Nein...es ist nur...also.“

„Ja?“

Ich seufze. Und schließe kurz die Augen.

„Gabriel.“, sage ich schlicht. Bestürzt sieht er mich an.

„Hat er was angestellt?“

„Nein, also nicht direkt. Er ist nur so...hmm na ja“

„Ich weiß was du sagen willst, Er ist sehr...gewöhnungsbedürftig. Aber eigentlich ein ganz guter Kerl.“

Schon wieder sagt er das.

„Wie lange kennt ihr euch schon?“

Er überlegt kurz. „Eine ganze Weile, ich weiß gar nicht genau wie lang. Aber er ist wirklich ganz anders, wenn man ihn erst mal kennt. Er hat viel durchgemacht weißt du? Aber ich bin mir sicher, dass ihr euch schon verstehen werdet.“

Scheinbar plant er eine längerfristige Freundschaft mit mir ein, und das schließt wohl ein, dass ich mit seinen Freunden klarkommen werde...irgendwann.

In meinem Bauch kribbelt es ganz arg.

„Hm...weiß nicht. Warst du mal mit ihm zusammen?“, frage ich ihn vorsichtig und hoffe ich klinge nicht allzu sehr interessiert.

Überrascht sieht er mich an. „Nein, wie kommst du denn darauf?“

„Na ja, dachte nur, ihr kennt euch so gut und es könnte ja sein.“

Jetzt lacht er. „Nein, wirklich nicht. Er ist nicht mein Typ und ich auch nicht seiner.“

„Okay“

Damit war das Thema erst mal beseitigt. Also für ihn zumindest. Mir geht die Sache nicht aus dem Kopf.
 

Es ist Samstagnachmittag und ich komme gerade aus der Dusche, als ich mein Handy klingeln höre. Hastig krame ich danach und gehe ran ohne aufs Display zu schauen.

„Ja Hallo?“

„Hi, ich bin's“, höre ich Davids Stimme sagen. Ein Lächeln schleicht sich sogleich auf mein Gesicht.

„Hey, was gibt’s?“

„Hast du Lust vorbei zu kommen? Meine Eltern sind nicht da und Mathias ist mit deiner Schwester weg. Also haben wir Sturmfrei.“

„Zu dir?“, frage ich etwas verblüfft und raufe mir meine noch feuchten Haare.

„Klar. Also nur wenn du Lust hast.“

Mein Herz pocht aufgeregt. „Ja!“, antworte ich ganz enthusiastisch. Als ich David lachen höre, räuspere ich mich peinlich berührt.

„Also ich mein, ja klar. Warum nicht. Hab ich eh nichts weiter vor.“

„Gut, ruf mich an wenn du an der Straßenbahnstation bist, dann hole ich dich da ab.“ Ich nicke.

„Super, ist auch nötig, denn ich hab nämlich einen Orientierungssinn wie 'nen Teelöffel.“ , gestehe ich ihm.

Schnell mache ich mich fertig und nicht mal eine Stunde später bin ich bei ihm. Er führt mich in sein Zimmer und geht nochmal in die Küche um etwas zu trinken zu holen. Neugierig sehe ich mich solange um und entdecke einige Zeichnungen die er an seine Wand gepinnt hat. Diesmal sind es keine fantasievoll gestaltete Spielcharaktere, sondern reale Menschen. Eine Zeichnung fällt mir besonders auf, da der Junge darauf schlafend auf einem Bett liegt. Eine weiche Decke bedeckt seinen nackten Körper zum Großteil, was mich etwas erröten lässt.

Er liegt auf der Seite, seine Haare sind ganz zerstrubbelt und auf seinem Gesicht liegt ein seliger Ausdruck als hätte er gerade...oh...oh!

Mit flammenden Wangen drehe ich mich weg. Keine gute Idee, wie ich merke als ich in der hinteren Ecke des kleinen Zimmers sein schmales Bett sehe. Moment...

Kurz werfe ich nochmal einen Blick auf das Bild. Doch, ich habe mich nicht geirrt! Das auf der Zeichnung ist sein Bett. Oh Gott!

„Ich hoffe Cola ist okay?“ David kommt ins Zimmer und sieht mich kurz fragend an, in der Hand zwei gefüllte Gläser.

„Äh...sicher.“, stottere ich verlegen. Einglück bemerkt er meine Unsicherheit gar nicht und reicht mir das Glas.

„Wollen wir was gucken?“ Er zeigt auf seinen Fernseher an der gegenüberliegenden Wand vom Bett. Ich nicke. „Gut, such du aus, im Schrank hab ich 'ne Menge DVD's“

Ich krame etwas herum, kann mich aber nicht wirklich entscheiden, dann ziehe ich wahllos eine DVD raus, deren Titel mir gar nichts sagt.

„Hast du was gefunden?“, fragt mich David.

„Weiß nicht, was ist das hier für einer? Ist der gut?“

Fragend halte ich ihm das Cover entgegen.

„Sommersturm?“ Er fängt an zu schmunzeln. „Ne ich glaube das ist nichts für dich.“

„Warum nicht?“, frage ich verblüfft.

„Lies die Inhaltsangabe.“, meint er schlicht.

Kurz überfliege ich den Text und begreife. „Oh...“, hauche ich peinlich berührt.

Sein Lächeln wird noch breiter.

Von allen Filmen die ich hätte aussuchen können greife ich nach einer coming out Geschichte über einen schwulen Jungen. Ganz große Klasse...

Schnell lege ich ihn zurück und nehme lieber einen Film den ich kenne. Iron Man. Solider Film. Kann ich zumindest nichts falsch machen.
 

Nach einer Stunde merke ich dann doch, dass man damit was falsch machen kann, denn der Film ist grade mal zur Hälfte vorbei. Wir sitzen nebeneinander auf Davids Bett mit dem Rücken an der Wand. Sein Zimmer ist wirklich klein, vielleicht gerade mal Zwölf Quadratmeter. Dabei ist das Haus nicht gerade klein, also warum bekommt er das kleinste Zimmer? Vorhin als er mir kurz das Haus zeigte, habe ich auch ein Gästezimmer bemerkt und selbst das schien größer zu sein. Seltsam...

„Träumst du?“, fragt er mich plötzlich.

„Hm, nein. War nur in Gedanken.“

„Das bist du häufig.“

„Kann sein.“ Ächzend setze ich mich kurz anders hin, als ich merke wie mein Fuß langsam einschläft. In meinem Magen grummelt es leise.

„Hast du Hunger?“

„Nein.“, lüge ich, denn ich möchte ihm keine Umstände bereiten. Irgendwie habe ich schreckliche Angst, dass er irgendwann merkt wie schrecklich langweilig ich eigentlich bin und er keine Lust mehr hat mit mir befreundet zu sein. So wie er aussieht könnte er jede Menge cooler Freunde haben. Und ich zähle sicherlich nicht dazu. Ich weiß sowieso nicht was er an mir findet. Er ist gutaussehend, klug und schwul. Ich bin langweilig, normal und hetero.

„Ich wüsste zu gerne was in deinem hübschen Köpfchen vor sich geht wenn du mit der Nase zuckst.“ Seine Augen mustern mich intensiv und ich ziehe unsicher die Knie an und schlinge meine Arme darum.

„Ich zucke nicht mit der Nase.“

Er lächelt. „Oh doch. Wie ein kleines Kaninchen.“

Seine Hand schnellt plötzlich vor und zwickt mir in die Nase, so dass ich vor Schreck die Augen zu kneife. „Hey!“, protestiere ich.

„Komm lass uns was essen, ich kann mich auch nicht mehr auf den Film konzentrieren.“, meint er, schaltet den Fernseher aus und steht auf, wobei er mich mitzieht.

Unten in der Küche buddeln wir uns etwas ratlos durch die Fächer, können uns aber nicht so recht entscheiden. Selbst die Küche ist glaube ich sogar größer als sein Zimmer. Und sieht unglaublich luxuriös aus, also soweit ich das beurteilen kann. Zumindest sieht hier alles recht teuer aus. Seine Eltern müssen echt gut verdienen, schätze ich.

„Wie wäre es mit Pasta?“, fragt er mich, während er seinen Kopf in den Kühlschrank steckt. „Hm aber wir habe keinen Käse mehr.“

Ich zucke nur mit den Schultern. „Mir eigentlich egal.“

„Dann doch lieber was anderes?“ Er schließt nachdenklich den Kühlschrank.

„Auf was hast du denn Lust?“, frage ich ihn einfach. Seine Augen blitzen mir regelrecht entgegen und ich grinse unsicher. Hab ich gerade was falsch gemacht?

„Du bist süß.“, schmunzelt David und streicht mir wieder mal durchs Haar.

Ich bin was? Warum sagt er dauernd so einen Blödsinn? „Willst du mich absichtlich ärgern?“, frage ich nach.

„Was meinst du?“

Ich druckse ein wenig herum. „Dauernd sagst du so merkwürdige Sachen.“

„Das ist nicht merkwürdig, ich bin nur ehrlich. Du bist es nicht gewöhnt wenn man dir Komplimente macht hm? Aber zurück zum Thema. Wie wäre es mit Auflauf? Aber wir müssten dann nochmal einkaufen gehen.“

„Okay.“
 

„Warum fahren wir eigentlich so weit? Hätten wir nicht zu Kaisers gehen können?“, murre ich etwas unwillig, weil David darauf bestand das wir in da kleine Einkaufzentrum in der Nähe fahren.

„Schon, aber wir haben doch noch Zeit und im Center läuft gerade eine Ausstellung zu der ich eh mit dir gehen wollte. Willst du nicht?“

„Schon okay.“ Er schmunzelt.

„Ja ja, schon okay.“

Wir steigen aus der Bahn und ich kann schon das Center sehen, das an einem Samstag natürlich voller Leute ist. Paare, Familien und Freunde.

Und David ist mit mir hier.

Nur mit mir.

Ein wenig fühle ich mich schon geschmeichelt, zumal einige Mädchen an denen wir vorbei kommen uns, besser gesagt ihm, unverhohlen hinterher starren.

Wäre er mit Gabriel hier, wären die Mädels wahrscheinlich schon in Ohnmacht gefallen.

„Warum gehst du eigentlich nicht mit Gabriel weg?“

Nicht das ich nicht mit ihm weggehen will, ganz im Gegenteil. Aber wenn er so gut mit dem Blonden befreundet ist, warum unternimmt er so viel mit mir?

„Dahin wo er mit mir gehen will, will ich nicht hin. Ich würde sagen da laufen unsere Interessen ein wenig in verschiedene Richtungen.“

„Und das heißt?“

„Das ich nicht gerne bedeutungslosen Sex mit fremden Männern in schmutzigen Clubs habe.“, sagt er mit harter Stimme.

„Oh...“ Ich weiß nicht wirklich was ich darauf antworten soll. Anscheinend habe ich einen wunden Punkt getroffen.

„Tut mir leid.“

Er sieht mich verblüfft an. „Dir brauch das nicht leidtun! Du kannst doch nichts dafür. Gabriel ist eben sehr speziell.“

„Aber es scheint dich schon zu stören.“

„Würde es dich denn nicht, wenn dein bester Freund so was machen würde?“

Unwillkürlich muss ich an Basti denken und ein harter Klumpen bildet sich in meinem Hals. „Okay, du hast gewonnen.“

Ich will das Thema wechseln, da ich mir blöd vorkomme über Basti oder Gabriel zu reden, weshalb ich ihn frage wer das eigentlich auf dem einen Bild ist.

„Welches Bild?“

„Das an der Wand. Mit dem Jungen...der schläft.“ Ich werde etwas rot bei der Erinnerung daran.

„Achso das. Nur ein alter Freund meines Bruders. Aber wir haben schon länger keinen Kontakt mehr.“

Das klingt so harmlos, aber die Zeichnung ist alles andere als harmlos. Oder habe ich nur zu viel Fantasie? „Warst du mit ihm zusammen?“

„Willst du das wirklich hören?“

„Ja, warum nicht?“

„Du bist nicht schwul.“, erinnert er mich an meine eigenen Worte.

Autsch. Irgendwie ein blödes Gefühl mit dieser Ablehnung in seiner Stimme.

„Das ist doch unwichtig.“

„Ach ja?“

„Ja.“

Er schüttelt schmunzelnd den Kopf. „Ich glaub du bist die erste Hete, die nicht schreiend davon läuft und etwas über mein Liebesleben wissen will.“

„Ähm.“ Was soll ich denn darauf sagen? Irgendwie stört es mich, wenn er Hete sagt. Es klingt schon wieder so abweisend.

„Wir waren kurz zusammen. Ist aber schon länger her und das Ende war nicht schön.“, antwortet er schließlich mit belegter Stimme. Er sieht mich nicht an und   der Nebel in seinen Augen scheint dichter zu werden. „Was ist passiert?“

Doch er schüttelt nur ablehnend den Kopf. „Ein andern mal. Das ist kein Gespräch was man im Einkaufcenter führen sollte, außerdem will ich den Tag mit dir genießen!“

Er greift nach meinem Arm und zieht mich durch den Eingang des Centers. Es gibt tatsächlich eine Ausstellung, aber scheinbar für Kinder. So mit optischen Experimenten, rätseln und dergleichen.

Wir bleiben an einer Wassersäule stehen, wo man an einer Kurbel drehen muss. Im Innern ist ein kleiner Propeller, der sich darauf schnell zu drehen beginnt und ein Strudel entstehen lässt. Einige Kinder spielen an einem Gestellt mit verschiedenen Kugeln herum. „Ist das nicht für Kinder gedacht?“

„Nein, das ist für jedes Alter konzipiert. Schau dahinten.“ Er deutet auf ein Seniorenpärchen weiter entfernt, das faszinierend vor einem großen Spiegel steht.

„Uhi“

„Komm lass uns das mal ausprobieren!“. Er greift wieder nach meinem Arm und steuert auf zwei Stühle zu, die sich gegenüber stehen, dazwischen befindet sich ein Tisch mit einem kleinen Vorhang als Sichtschutz in der Mitte, wodurch ich David nicht mehr sehen kann, als wir uns setzen.

„Was soll man denn machen?“, frage ich verwundert.

„Du nichts, ich schreibe.“

„Schreiben?“

„Ja, guck dir mal die Tafel vor dir an, das ist das Alphabet in Blindenschrift. Ich schreibe jetzt etwas und du musst ertasten, was ich geschrieben habe.“

Dann höre ich einige Geräusche, als wenn er etwas zusammen stecken würde.

„Wie schreibst du denn das, wenn ich das ertasten soll?“ Schrift auf Papier kann man ja schlecht ertasten.

„Auf meiner Seite ist ein Brett mit Löchern, da stecke ich die Buchstaben ab.“

„Aha.“ Wieder dieses Geräusch.

„Bist du fertig?“, frage ich nach einer Weile, da mir langweilig wird.

„Moment...jetzt.“ Ich kann hören wie er das Brett dreht und dann an den Vorhang schiebt. Nervös strecke ich meine Hände vor, dringe unter den Stoff durch und ertaste das kalte Brett. Orientierungslos versuche ich mit meinen Fingerspitzen auf der glatten Fläche den Anfang zu finden. Erfolglos.

„Warte, ich helfe dir.“ Plötzlich spüre ich seine warmen Hände auf den meinen. Sanft streichen sie über meine Haut und führen mich über eine Stelle, wo ich eine Erhebung erfühlen kann. „Da musst du anfangen.“

Meine Haut kribbelt unter seinen Berührungen, doch er nimmt seine Hände nicht fort. Vorsichtig taste ich mich weiter und brauche eine Weile um das System zu verstehen., trotz der Tabelle. Seine führende Berührungen stehlen mir zusätzlich die Konzentration.

„S...L...E...nochmal E?“

„Ja, weiter.“

„Ähm, P? I...N...G. Sleeping?“

„Der Kandidat hat fünfzig Punkte.“, scherzt er und ich kann ein Grinsen in seiner Stimme mitschwingen hören.

„Nur fünfzig?“, schmolle ich gespielt.

„Ja, für die vollen Hundert musst du den Rest auch noch herausfinden.“

„Okay...“ Einer seiner Finger, ich nehme an der Daumen, schmiegt sich an meine Haut und streicht meinen Zeigefinger entlang.

„B...nochmal E...A...U...D...“

„Nicht ganz.“

„Ah T, nicht D.“

„Weiter.“

Es fällt mir immer schwerer, und David weiß es. Er macht es mit Absicht! Er will mich verwirren, aber warum?  Ich bin ein furchtbar schlechter Verlierer, selbst wenn es um so kleine Spielchen geht. Also verbietet es mir schon mein Stolz einfach abzubrechen, oder mich wegen seiner unfairen Methoden zu beschweren.

„Einer noch.“

„Y! Also, Beauty? Sleeping Beauty?“

„Hundert Punkte, Dornröschen!“ Und dann spüre ich seine Lippen auf meinem Handrücken, aber nur kurz, flüchtig, ehe ich sie erschreckt wegziehe und aufspringe. Verwirrt und etwas verdutzt sehe ich in sein Gesicht, in der Hoffnung zu erkennen was das eben sollte, doch David schaut mich nur belustigt an. An seiner Miene kann man es allerdings ablesen. Es war ein Scherz. Schon wieder! Warum macht er andauernd diese Sachen mit mir?

Er hebt beschwichtigend die Hände. „Keine Angst, ich wollte dich nicht beißen.“

Das beruhigt mich allerdings nicht wirklich, denn immer noch kribbelt die Haut, an der Stelle wo seine Lippen eben noch lagen wie wild. In meinem Hals bildet sich ein Knoten, was mich am sprechen hindert.

Er merkt es, glaube ich, denn er steht seufzend auf und wir gehen schweigend weiter zum nächsten Spiel.
 

Wir bleiben länger als gedacht im Center, schlendern durch einige Läden und schauen uns die komplette Ausstellung an, die ja eher zum mitmachen gedacht ist, als nur zum angucken.

Dann machen wir uns auf den Weg zu Kaisers, endlich, denn ich habe langsam wirklich Hunger! Draußen hat es schon lange angefangen zu dämmern.

„Was brauchen wir denn?“

„Nudeln haben wir noch, also Sahne, Käse, Schinken, und magst du Champignons?“ Ich nicke.

„Gut, dann noch Champignons. Tomaten könnten wir auch noch reinschnibbeln, die haben wir allerdings auch noch zu Hause.“

Er geht voran und ich folge ihm, da ich mich im Laden nicht auskenne, doch er scheint schon öfter hier gewesen zu sein, so zielstrebig wie er sich bewegt. Er trägt wieder die enge Jeans, die er auch auf Alinas Geburtstag an hatte, aber er könnte wohl fast alles tragen ohne scheiße auszusehen. Das ist bei mir anders, ich sehe immer nur durchschnittlich aus, egal was ich trage. Nun ja, nicht ganz egal, denn sicher würde ich in solchen Hosen einfach lächerlich wirken.

An der Kasse müssen wir nicht lange warten und eine junge Kassiererin schiebt gerade unsere Waren über das Band, als mich David zu sich zieht und mir verspielt durch die Haare streicht. Er macht das in letzter Zeit immer häufiger, aber es stört mich nicht. Die Kassiererin wirft uns allerdings komische Blicke zu und grinst uns schließlich offen an.

„Ihr seid ein süßes Paar“, sagt sie völlig ungeniert, was mir ein erschrockenes Keuschen entlockt.

David schaut erst überrascht, dann strahlt er sie an.

„Aber wir....“, will ich etwas entgegnen, doch David unterbricht mich eilig.

„Danke.“ Wir packen unsere Sachen in einen Rucksack und als wir draußen sind spreche ich ihn darauf an.

„Warum hast du ihr nicht gesagt, das wir kein Paar sind?“

„Warum sollte ich? Oder kennst du sie?“

„Nein.“

„Dann lass ihr doch ihren Glauben.“

„Warum?“ Ich versteh es nicht.

„Warum willst du sie in Verlegenheit bringen und sie auf ihren Irrtum hinweisen? Lass sie doch. Manchmal sind Träume schöner als die Wirklichkeit.“

Er sagt es, als stecke da noch mehr hinter seinen Worten, doch was genau wird mir nicht klar.

„Denk nicht so viel über das nach was andere über dich denken. Eins der ersten Dinge die man lernt, wenn man etwas anders ist. Leb' ein bisschen.“

„Das tu ich doch gar nicht.“, sage ich zwar, aber insgeheim weiß ich das er schon recht hat.

„Oh doch.“

„Ein bisschen vielleicht.“

„Lass uns laufen, die Tram fährt eh nur noch im Dreißigminutentakt. Ist doch ganz schön spät geworden.“

„Wie spät ist es denn?“

Er schaut auf seine Armbanduhr. „Fast Zehn.“

„Oh, schaffen wir das dann noch mit dem Kochen?“

„Hast du noch was vor?“

„Nein.“

„Na dann.“
 

„Schau mal!“, ruft David, als wir über eine Brücke laufen, die über einen kleinen Fluss führt. „Eine Party.“, stelle ich fest, als ich seinem Fingerzeig mit den Augen folge. „Ja ich glaube sogar eine Hochzeit.“

„Lass mal irgendwo eine Pause einlegen.“, bitte ich ihn.

„Meine Füße sind vom vielen Laufen ganz wund.“

Er stimmt zu und aus Ermangelung an Möglichkeit setzen wir uns auf die Schaukeln eines Spielplatzes an dem wir vorbei kommen. Von hier aus können wir deutlich die Musik hören, die von der Feier zu uns herüber weht. Einen kleinen Anlegesteg gibt es hier auch, wo einige Boote angebunden sind. Jemand hatte einige Lichterketten aufgehängt, wahrscheinlich ein Überbleibsel der Hochzeitsfeier, denn eines der Boote ist so festlich geschmückt, wie man es normalerweise von einem Auto erwartet, in dem das Brautpaar abfährt.

Neben mir höre ich Davids Schaukel knarzen, als er sich leicht vom Boden abstößt.

„Hast du jemals vor zu Heiraten?“, frage ich ihn unvermittelt aus einer Laune heraus.

„Wie kommst du denn jetzt darauf?“

Ich zucke mit den Schultern. „Weiß nicht. Aber es gehört doch zur Lebensplanung dazu, oder? Eine Frau finden, Heiraten, Kinder kriegen.“

„Und dann willst du einen Baum pflanzen und ein Haus bauen oder wie?“, gluckst er. Ich lege den Kopf schief.

„Vielleicht.“

„Also das mit den Kindern geht schon rein biologisch bei mir nicht. Aber Heiraten wäre schon möglich. Na ja, oder zumindest eine 'eingetragene Lebenspartnerschaft'.“

„Oh, daran habe ich gar nicht gedacht. Sorry.“

„Schon gut, Kleiner.“

„Ich bin nicht klein, du bist nur größer als ich.“, sage ich halbherzig.

Inzwischen ist es schon richtig dunkel um uns geworden und ich kann das Wasser sachte gegen die Bäuche der Boote platschen hören.

„Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen. Heiraten meine ich.“

Ich schaue nachdenklich zu Boden. Sein ganzes Leben nach einer Frau richten stelle ich mir irgendwie komisch vor. Was finden nur alle daran? Selbst meine Mutter schwärmt dauernd von ihrer Hochzeit mit Dad.

„Na ja, zuerst kommt der Antrag, dann das obligatorische 'ja, ich will' und dann tanzt ihr. Oh und den Kuss darfst du natürlich nicht vergessen! Fertig.“

Ich schüttle nur den Kopf über seine Worte.

„Der Ablauf ist mir schon klar, aber ich kann mir das so kaum vorstellen.“

Ich höre seine Schaukel wieder knarzen und Kleidung raschelt, als sich plötzlich sein Gesicht vor meines schiebt. Graue Augen schauen in meine.

„Das mit dem Antrag überspringen wir einfach mal würde ich sagen.“ Er grinst mich schelmisch an.

Er räuspert sich und verbeugt sich dann sehr vornehm vor mir.

„Werte Dame, darf ich sie zu einem Tanz auffordern?“

Erst will ich erbost widersprechen, doch dann zucke ich nur mit den Schultern und versuche mich auf sein Spiel einzulassen. Warum nicht?

„Na gut, tretet mir aber nicht auf die Füße, werter Herr...“

„Siegfried von Unruh. Aber Sie können mich Siegfried nennen, wo wir doch schon verheiratet sind. Und keine Sorge, ich bin des Tanzens durchaus mächtig.“

Belustigt greife ich elegant nach seiner ausgestreckten Hand und lasse mich auf die Füße ziehen. „Nun Gut, Sir Siegfried.“

„Wie ist ihr werter Name holde Maid?“

„Solltet ihr dies nicht wissen, wo wir doch schon so eng verbunden sind?“

„Verzeiht, er ist mir bei Ihrem Anblick wohl entfallen, so sehr habt ihr mich in Euren Bann gezogen.“ Seine Mundwinkel zucken leicht, doch er schafft es tatsächlich halbwegs ernst zu bleiben.

Seine Hand legt sich sanft auf meine Taille, die andere erfasst meine noch freie Hand, seine Finger schieben sich dabei zwischen meine.

„Dann nennen Sie mich einfach Dornröschen. Wir müssen uns beeilen, ehe meine Eltern nach mir suchen.“

Langsam finde ich sogar gefallen an dem Spiel, kann aber ein Grinsen nicht verkneifen. Die Musik von neben an ändert sich und wird langsamer.

„Das heißt sie wissen nichts von dieser Soirée?“

„Oh, wohl kaum. Ich fürchte, ich werde Hausarrest bekommen.“

Der Sand unter unseren Füßen macht es etwas schwer sich zu bewegen, doch er stört sich nicht daran und ergreift die Führung. Er kann es wirklich. Tanzen meine ich.

Ich allerdings nicht, sodass es eigentlich nur eine Frage der Zeit war, als ich plötzlich stolpere und mit einem leisen Schrei nach hinten falle. Vor Schreck klammere ich mich an David der lachend neben mir im Sand landet. Wir sehen uns an und dann muss auch ich lachen. Einen Moment liegen wir so da, bis ich wieder seine Stimme höre. Ganz nah an meinem Ohr. „Liebliches Dornröschen, ich fürchte ich muss mir ein Versprechen einholen, das ihr mir gabt.“

„Und dieses wäre?“

„Ihr verspracht mich zu lieben und zu ehren, doch einen Kuss bekam ich nie.“

„Ist das so?“, flüstere ich. Ist das immer noch ein Spiel? Ich fühle mich wie betäubt.

Ich höre wie er sich aufsetzt und dann beugt er sich vor zu mir. „Ja“, haucht David.

Er ist direkt über mir und schaut mich mit einem seltsamen Blick an. Das Lächeln, das ich so an ihm mag erlischt von seinen Lippen und in seinen klaren, grauen Augen, die mich so eindringlich mustern, liegt eine unausgesprochene Frage, die ich nicht kenne, nur erahnen kann.

Die Lichterketten um uns herum spiegeln sich in seinen Pupillen wider wie Sterne, und so wirkt es, als würden seine Augen zu dem Sternenhimmel über uns dazu gehören.

Eine Kette baumelt von seinem Hals schwebend zwischen uns, und als er sich tiefer hinab beugt kann ich das kalte Metall durch den Stoff des Shirts auf meiner Brust fühlen und dann...seine Lippen auf den meinen.

Sanft streichen sie darüber, schmusen mit leichtem Druck. Sie sind weich und rau zugleich.

Männerlippen.

Davids Mund... Es kribbelt in meinem Bauch, in meinem Rücken und Hitze steigt mir in die Wangen, als ich ohne wirklich nachzudenken den Kuss leicht erwidere. Nur ganz leicht, vielleicht bemerkt er es nicht einmal.

Mein Herz pocht so wie wild in meiner Brust, dass ich angst habe es würde zerspringen! Meine Hände graben sich in den Grund unter mir und fühlen den kühlen Sand, der sofort zwischen meinen Fingern davon rieselt.

Zuckersand nannten wir das als Kinder.

Ich kann seinen Atem auf meiner Wange spüren, der genauso heftig geht wie mein eigener. Davids Lippen fühlen sich so gut an...ich spüre alles so intensiv, als wäre dies mein erster Kuss. Nichts anderes fühle ich in dem Moment.

Nur ihn!

Der Kuss wärt nur ein paar Sekunden, und doch, habe ich das Gefühl schon seit Minuten hier im weichen Sand zu liegen. Doch dann zieht er sich zurück, fährt mit seinen Händen durch sein dichtes Haar und schließt gequält die Augen.

Verwirrt finden meine Finger den Weg zu meinen Lippen und betasten diese, als würde es mir verstehen helfen. Mein Herz klopft noch immer stark in meiner Brust.

Er hat mich geküsst.

„Wir sollten gehen, es ist spät.“, höre ich seine monotone Stimme.

Da ich unfähig bin zu antworten, nicke ich nur und stehe ebenfalls auf.

Den ganzen Weg zu ihm nach Hause schweigen wir. Ich weiß eh nicht was ich sagen könnte. Immer wieder schwirrt diese eine Erkenntnis durch mein zermartertes Hirn. Er hat mich geküsst...

Immer wieder diese Worte. Ich kann an nichts anderes denken! Und noch etwas anderes bahnt sich seinen Weg nach draußen, ausgebrochen aus den tiefen Winkeln meines Herzens.

Er hat mich geküsst...und ich mochte es!
 

*

Schwul oder nicht schwul, das ist hier die Frage

Soll ich mit ihm reden? Oder das Thema lieber totschweigen?

Beides erscheint mir so gut wie unmöglich.

Meine Hände sind kalt und in meinem Nacken spüre ich Schweißperlen an meiner Haut langlaufen. Ich bin unendlich nervös!

Was soll ich tun, was soll ich sagen? Mein Hals ist wie zugeschnürt!

Wir sind fast bei ihm zu Hause und haben noch immer kein Wort miteinander gesprochen, sogar ein Sicherheitsabstand ist zwischen uns, doch ob er oder ich ihn entstehen ließ weiß ich gar nicht so genau. Vielleicht sind wir beide Schuld.
 

Ich sollte es ihm sagen, ihm sagen das ich nicht nachgedacht habe, als ich den Kuss erwiderte, doch was ist, wenn er es wirklich nicht gespürt hatte? Dann würde ich durch meine Worte ihn erst darauf bringen, dass ich mitgemacht habe. Oh nein! Also doch lieber schweigen. Aber was denkt er dann von mir? Von unserer Situation? Er weiß doch, dass ich nicht schwul bin! Warum hat er das getan? War es ein Scherz? Hatte er unser Spiel zu ernst genommen? Oder habe nur ich das zu ernst genommen?

Ich bin ganz verwirrt...
 

„Sag etwas, die Stille macht mich wahnsinnig!“, sagt David plötzlich und als ich erschreckt aufblicke, bemerke ich, dass wir bereits vor seiner Haustür stehen und er in seiner Hosentasche nach einem Schlüssel kramt.

Mein Herz macht einen Satz. Was soll ich denn sagen? Ich weiß es nicht.

Ich...ich...

„Ich bin nicht schwul!“, meine Stimme ist so hoch und schrill wie nie zuvor.

Er stockt kurz, schüttelt dann betrübt den Kopf und lacht freudlos auf.

„Ich bin nicht schwul...“, krächze ich noch einmal mit geweiteten Augen. Ich habe das stetige Gefühl mich rechtfertigen zu müssen. Doch für was? Ich habe doch eigentlich gar nichts getan. Er war es. Er hat mich geküsst. Einfach so!

„Natürlich, vergiss es einfach, okay?“

Zischend hole ich Luft und stoße sie wieder aus, als ich ebenfalls ein „okay“ hauche, mit meinen Gedanken ganz weit weg.
 

David schließt die Tür auf und als wir unseren Einkauf in die teuer eingerichtete Küche bringen, stoßen wir auf Sheila und Mathias. Überrascht bleibe ich verwirrt stehen.

„Oh, hey Brüderchen! Was machst du denn hier?“

Das gleiche wollte ich gerade fragen.

„War mit David....einkaufen, wollen kochen.“, murmle ich monoton.

Sie schaut an mir vorbei, als wenn sie David jetzt erst bemerken würde und runzelt die Stirn.

„Achso.“ Ihr Lächeln wirkt künstlich.

„Wolltet ihr nicht weg?“, fragt David seinen Bruder mit fester Stimme.

„Wir wollten ins Kino, haben uns aber umentschieden. Warum? Stören wir?“, seine Worte klingen beinahe lauernd. Seltsam.
 

Die Stimmung ist so angespannt im Raum. Ich bin immer noch nervös und Davids Laune scheint auch im Keller zu liegen.

Bevor David etwas sagen kann komme ich ihm zuvor. „Nein, ihr stört nicht! Magst du mir nicht helfen Sheila? Ich wollte gleich anfangen das Gemüse zu schneiden.“, versuche ich die Situation aufzulockern und stelle die Lebensmittel auf die blank polierte Anrichte. Ich fühle mich merkwürdig ertappt, dabei kann sie nicht wissen, was gerade noch zwischen mir und ihm war.

„Ähm...“, sie wirft einen komischen Blick zu Mathias.

„Ja sicher.“, meint sie schließlich und ich reiche ihr Brett und Messer, während ich schon mal anfange das Gemüse zu waschen.
 

„Ich zieh mich kurz um.“ , murmelt David mir zu und verschwindet auf sein Zimmer, während Mathias ohne Worte ins Wohnzimmer geht.

„Au, heiß!“, zische ich erschreckt, weil ich das Wasser zu heiß aufgedreht habe, ohne es zu merken.

„Was ist?“, fragt Sheila besorgt.

„Nichts, hab nur nicht aufgepasst.“

Dann wird es still. Ich wasche weiter Gemüse, Sheila schneidet Tomaten.

Ich schnappe mir ein Messer und helfe ihr.

Das einzige Geräusch ist das andauernde 'plock', wenn die Schneide des Messers auf das Brett trifft.

Wenn die Beiden hier sind werde ich wohl heute keine Gelegenheit mehr haben mit David zu reden. Aber was ist, wenn ich das gar nicht mehr muss? War das kurze Gespräch vor der Tür denn endgültig?

Plock.

Der Kuss, Davids Mund auf meinem. Es fühlte sich so anders an, so lebendig. Nicht zu vergleichen, wenn Katrin mich geküsst hatte.

Plock.

Wie soll ich damit umgehen? Was, wenn er etwas für mich fühlt?

Plock.

Nein das ist Unsinn. Ich bin unmöglich sein Typ. Nicht wenn er Freunde wie Gabriel hat, oder der hübsche Junge auf der Zeichnung. Sein Ex.

Plock. Plock. Plock....
 

„Kai?“, fragt mich Sheila unvermittelt.

„Hm?“

„Hast du schon mal darüber nachgedacht von hier wegzuziehen?“

Ich halte inne und sehe verwirrt zu Sheila.

„Wie meinst du das denn?“

„Na nach der Schule, willst du denn hier bleiben?“

„Weiß nicht, hatte mal an Berlin gedacht. Aber nicht wirklich ernsthaft.“

„Achso.“

„Warum fragst du? Willst du weg?“

Sie hat inzwischen aufgehört die Tomaten zu schneiden und starrt nachdenklich auf ihr Brett. „Ja, eigentlich schon. Ich würde gern studieren, vielleicht in Hamburg.“, mit jedem Wort wird sie leiser und als ich ihr ins Gesicht schaue wirkt sie sehr bedrückt.
 

„Dann mach das doch, spricht doch nichts dagegen.“, antworte ich unsicher geworden.

„Mathias will nicht. Er hat hier seine Ausbildung und eine Chance von seiner Firma übernommen zu werden. Er hat mir vorhin erst davon erzählt und dann haben wir uns irgendwie...gestritten, weil ich ihm sagte, dass ich nicht hier bleiben will. Wir haben uns noch nie gestritten Kai.“

Sie seufzt leise. „Ich weiß nicht was ich machen soll.“

„Das ist doch noch so lange hin.“, ich zucke nur mit den Schultern. „Außerdem, vielleicht hast du ja bis dahin einen neuen Traummann der mit dir nach Hamburg geht. Oder du bleibst doch hier. Vielleicht wird er ja auch bei seiner Arbeit gar nicht übernommen. Weiß man ja nie.“
 

Sie macht ein furchtbar betroffenes Gesicht und für einen Moment habe ich Angst, dass sie anfängt zu weinen.

„Was ist los?“

Sie schüttelt vehement den Kopf. „Schon gut, du hast sicher Recht. Mein kleiner Bruder mit seinen Lebensweisheiten.“, sagt sie mit einem angestrengtem Lächeln. Trotzdem, wieder habe ich das Gefühl etwas stimmt nicht. Ist es das was Mum letztens meinte?

Plötzlich habe ich den überwältigenden Drang ihr auch zu erzählen was mich beschäftigt. Bisher habe ich das noch nie wirklich gemacht, weil es nichts gab was mir so Kopfzerbrechen bereitete. Aber dann sehe ich ihr ins Gesicht und merke wie sie weit weg mit ihren Gedanken ist und meine Entschlossenheit schwindet auf den Nullpunkt. Nein, die Sache muss ich wohl alleine durchstehen.
 

Den restlichen Abend geht mir David aus dem Weg, am Anfang fällt es mir noch nicht so auf, doch dann wird es immer deutlicher. Wenn ich in der Küche bin, geht er ins Wohnzimmer. Wenn ich auf dem Sofa sitze, setzt er sich auf den Sessel. Wenn ich ihn anschaue, weicht er aus. Es wurmt mich furchtbar! Aber ich kann ihn unmöglich darauf ansprechen wenn Mathias und Sheila mit im Raum sind, also verschiebe ich meine Frage notgedrungen. Diese eine Frage vor der ich Angst habe sie auszusprechen, aber zu wichtig ist um sie für mich zu behalten. Die Frage die mein Herz schneller schlagen lässt.

Warum hast du mich geküsst David?
 

Es ist spät als wir uns auf dem Weg nach Hause machen. Weil keine Bahnen mehr fahren fährt uns Mathias mit dem Auto Heim, worüber ich wirklich froh bin.

Er fährt gerade auf unsere Auffahrt und Sheila steigt ohne Worte aus und verschwindet in der Haustür, ehe ich mich komplett abgeschnallt habe.

„Kann ich dich was fragen Kai?“, spricht mich Mathias leise an, ohne mich anzusehen. Verwundert blicke ich auf, kann aber nur seinen Hinterkopf anstarren. „Ähm, sicher.“

„Weißt du, ob mit Sheila etwas ist?“

„Na ihr habt euch doch gestritten. Mädchen sind halt nachtragend.“

Ich versteh die Frage ehrlich gesagt gar nicht.

„Sie hat dir von dem Streit erzählt?“

Ertappt lächle ich schief. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht daran gedacht, dass ich nicht plaudern darf. Aber sie hat ja nicht gesagt, dass es ein Geheimnis ist, oder?

„Ähm, ja. Aber nur flüchtig.“ Ich zucke mit den Schultern, als er sich zu mir umdreht.
 

„Sie verhält sich schon länger so seltsam. Der Streit heute war...vielleicht nur ein Funke. Ich weiß einfach nicht was los ist und sie will mir nichts sagen. Sie meint es wäre nichts, aber ich bin nicht so blöd und gefühllos um es nicht zu merken. Ich dachte, sie hätte dir vielleicht etwas erzählt. Du bist schließlich ihr Bruder.“

„Hm, ne sorry Mann. Da kann ich dir echt nicht helfen.“

Mathias schaut nur etwas enttäuscht. Fahrig greife ich nach meiner Tasche und bin schon halb aus der Tür, als er mich zurückhält.

„Warte kurz.“

„Ja?“, frage ich ihn verwirrt. Was will er denn noch? Hat er immer noch nicht kapiert, dass ich ihm wegen Sheila nicht weiterhelfen kann? Nervig. "Ich würd gerne noch kurz mit dir über etwas reden." Sein ernst dreinblickenden Augen starren mich fast schon feindselig an, habe ich plötzlich das Gefühl.

„Es ist wegen meinem Bruder, David.“

Wenn er von seinem Bruder spricht wird er schon David meinen, denke ich sarkastisch.
 

„Was soll mit ihm sein?“, ich versuche lässig zu wirken, auch wenn in meiner Brust ein Knoten sitzt, da wieder das Bild in meinem Kopf auftaucht wie David über mir ist, kurz bevor unsere Lippen sich berühren.

„Ihr unternimmt in letzter Zeit recht viel miteinander. Und du bist schließlich Sheilas kleiner Bruder, da kann ich dich nicht ins offene Messer laufen lassen.“

„Hä?“

Verwirrt lasse ich den Griff der Autotür los, die schon halb offen steht.

„David ist schwul.“

Ach ne...mal was ganz neues.

„Ich weiß.“

Mathias runzelt die Stirn und in seinem Blick sehe ich, dass ihn meine Antwort überrascht.

„Seit wann?“

„Seit Alinas Party, aber das ist doch egal, ist ja nicht so als sei er giftig.“

Ist meine Meinung. Seine scheinbar nicht, denn er schaut, als wäre sein Bruder tatsächlich mit Gift getränkt.

„Wenn du es schon weiß, erleichtert es die Sache etwas. Sei ehrlich, gehst du aus Mitleid mit ihm weg? Er hat nicht wirklich viele Freunde hier, seit er den Fehler gemacht hat sich als Schwuchtel zu outen.“
 

Meine Hände ballen sich zu wütenden Fäusten und überrascht merke ich, dass ich ihn tatsächlich für diese Worte schlagen würde. Sein eigener Bruder!

Mit verengten Augen starre ich ihn an, und jede Sympathie, die ich bisher für ihn empfunden hatte ist verflogen.

„Ich hab kein Mitleid. Wir sind Freunde!“

Er lacht trocken auf. „Ja, das hat Leon früher auch immer gemeint.“

„Leon?“

„Ich schätze ich muss dir da was über den ach so tollen David erzählen, um dir die Augen zu öffnen.

Wir kamen früher überraschender Weise ganz gut miteinander aus, bis David hinter meinem Rücken angefangen hat meinen besten Freund zu bedrängen. Leon war viel zu naiv um zu verstehen, dass David ihn nur flachlegen will! Einen Kerl! Total abartig.“
 

„Schon mal überlegt, ob sie sich verliebt haben?“ Die liebevolle Zeichnung aus Davids Zimmer kommt mir in den Sinn. Seine Worte wirken auf mich so verletzend. Ich will nicht, dass er so über David spricht!

„Quatsch! Er konnte es nur nicht sehen, dass ich Freunde hatte, die zu mir standen. Das war damals kurz nach seinem Outing und er musste sogar die Schule wechseln, weil er so dumm war und es auch in seiner Klasse breitgetreten hatte. Selbst Schuld, oder?“

„Meinst du das echt? Vielleicht wollte er nur frei sein.“

„Nein, er war schon immer so, immer denkt er nur an sich. Nicht einmal hat er daran gedacht was er seiner Familie damit antut! Mein Vater hatte einen Ruf zu verlieren, und ich ging damals auch noch zur Schule. Wie sollte ich meinen Freunden erklären, dass ich eine Schwuchtel als Bruder habe, weil mein Vater fremd gegangen ist? Er hätte es für sich behalten sollen, das wäre einfacher gewesen, für alle.“ Er spuckt diese Worte mit so viel Hass aus, dass es mich zittern lässt.

Sei still!
 

Meine Handinnenflächen fangen bereits an zu schmerzen, so sehr drücke ich meine Fingernägel ins weiche Fleisch.

„Vielleicht wäre es einfacher, aber es ist doch seine Entscheidung.“

„Hey, ich will dich nur vor schlimmerem bewahren! Ich kenne David, er hat keine normalen Freunde. Hat er dich etwa noch nicht angemacht? Würde mich überraschen. Er spielt gerne mit naiven Typen.“

Ein bitterer Stich in meinem Herzen. Nein! Er soll aufhören damit! Ich will nicht hören, dass David mit mir spielt. So ist es nicht mit ihm...

„Ich bin nicht naiv! David und ich sind Freunde, mehr nicht.“

„Jetzt noch. Was meinst du denn, was passiert, wenn er sich einen Spaß daraus macht dich vor deinen Freunden anzumachen? Du wirst überall verschrien sein! Was wird wohl passieren, wenn deine Freunde merken, dass du einen schwulen Freund hast?“
 

Es ist bitter, aber genau derselbe Gedanke hat sich in den vergangenen Tagen selbst immer wieder in meinen Kopf geschummelt.

Was wird Basti denken? Und Jonas? Der Rest der Klasse?

„Sie werden David schon akzeptieren.“

„Sicher?“

„Was willst du eigentlich von mir?“, rufe ich wütend. „Wir sind Freunde, und David ist schwul, na und? Das ist doch nicht wichtig! Er ist klasse. Man kann mit ihm super abhängen. Ich finde du urteilst zu oberflächlich über ihn. Du bist doch sein Bruder!“

„Halbbruder. Wir sind nur zur Hälfte verwand, und er wohnt auch erst seit ein paar Jahren bei uns. Sicher wäre er heute anders, hätte seine Mutter ihn nicht vernachlässigt. Er hätte gar nicht erst zu uns kommen sollen. Er macht unsere Familie kaputt, selbst vor der Familie meiner Freundin macht dieses Aas nicht halt. “

„Du spinnst!“

„Nein, ich bin nur nicht bescheuert! Er hat dich doch schon komplett in seinem Bann. Er manipuliert dich, merkst du es nicht? Er will nur wieder einen Keil zwischen mir und Sheila treiben. Wie Damals mit Leon. Er ist wie ein kleiner, eifersüchtiger Bengel, der es nicht ertragen kann was ich habe! Und weil er mit Mädchen nichts anfangen kann, versucht er es mit dir.“

Er ist verrückt! Der Hass auf David brennt regelrecht in seinen Augen. Ich kann sagen was ich will, es ist als würde man gegen eine Wand rennen. Sinnlos.

Er meint es ernst. Er glaubt das was er da sagt.

Ich will nur noch weg...
 

„Lass David und mich in Ruhe, Ich weiß schon was ich mache, ich brauch keinen Beschützer.“, sage ich mit unterdrückter Wut und greife endgültig nach der Tür um endlich zu verschwinden.

„Sei nicht Stur.“

„Sheila hat dich nicht verdient!“ Damit schlage ich die Autotür zu und stapfe zum Haus ohne mich nochmal umzudrehen.

Leise gehe ich nach oben. Die Wut hat einen schweren Klumpen in meinem Bauch entstehen lassen. David ist nicht so! Dieser Mathias ist Eifersüchtig. Auf den kleinen Jungen, der damals in seine Familie gestolpert ist und alles veränderte. Anders kann es nicht sein.

Ich will so gerne David danach fragen. Ich will wissen was passiert ist, warum er bei ihnen wohnt, was mit seiner Mutter ist, was damals mit Leon passierte. Sie sprechen immer von 'war'. Beide, David und Mathias. Was ist aus dem Jungen geworden?

Leon...der Junge der mit David geschlafen hat. Ihn berührt hat. Die Lippen geküsst hat, die auch mich geküsst haben.

Meine Wangen fangen an zu glühen.
 


 

Sonntag.

Ich drehe durch!

Wirklich!

Auf nichts kann ich mich konzentrieren. Der Versuch alleine ist schon überflüssig. Ich will mit ihm reden, mit David. Aber immer wieder, wenn ich das Telefon in die Hand nehme und seine Nummer wähle, bringe ich es nicht über mich. Ich kann nicht...mein Kopf tut weh, wenn ich an Mathias Anschuldigungen denke. Waren seine Berührungen, der Kuss, etwa wirklich eine Masche? Ein Spiel? Warum? Ich will es wissen, aber ich traue mich nicht ihn zu fragen.

Diese harschen Worte. Ich weiß ich sollte sie nicht ernst nehmen, trotzdem sticht es überall in mir.

Sorgen mache ich mir auch über das, woran ich schon vor dem Gespräch geknabbert habe.

'Was wird wohl passieren, wenn deine Freunde merken, dass du einen schwulen Freund hast?'

Das wird sich zeigen müssen, schätze ich. Sicherlich werde ich meine Freundschaft mit ihm nicht verheimlichen. Vor niemandem.

Und dann die andere Sache, der Kuss.

Ich muss mit ihm reden!

Endlich ringe ich mich doch dazu durch und wähle. Freizeichen. Es tutet weiter. Und weiter...

Es geht niemand ran. Scheiße!

Frustriert lege ich wieder auf und gehe duschen.
 

Meine Haut ist schon ganz schrumpelig, weil ich mir so lange Zeit gelassen habe und die lasse ich mir weiterhin. Ich habe eh nichts vor, also ziehe ich mich an, rasiere meine wenigen Stoppel und föhne meine langweiligen Haare, die schon wieder viel zu lang geworden sind. Ich sollte mal wieder zum Frisör, wenn ich lange Haare habe dann locken die sich immer und ich sehe aus wie früher als Kind, wo Mum immer der Meinung war, mit Locken sähe ich aus wie ein kleiner Engel. Peinlich, welcher Kerl will schon aussehen wie ein Engel?
 

Dann trolle ich mich endlich aus dem Badezimmer, doch als ich die Tür zu meinem kleinen Reich öffne blicke ich in ein paar nebelgrauer Augen. Erschrocken schnappe ich nach Luft. „Du hier?“

David lächelt verlegen. „Deine Vater hat mich reingelassen, und ich dachte ich warte hier, als ich die Dusche hörte.“

„Äh, ja klar.“, meine Stimme hat sich schon wieder verabschiedet. Er ist hier, schießt es mir durch den Kopf. Doch meine Entschlossenheit ist weg und ich bin einfach nur nervös.

„Es tut mir leid, Kai.“

„Was?“ Ich bin verwirrt. Was tut ihm leid?

„Gestern, der Kuss. Ich bin hier um mich zu entschuldigen. Ich...es war falsch und ich kann verstehen, dass du mich nicht mehr sehen willst und-“

„Wie kommst du darauf, dass ich dich nicht mehr sehen will?“, unterbreche ich ihn ehe ich nachdenken kann. Irgendwas läuft gerade falsch. Ganz falsch!

Er stockt.

„Ich dachte weil, na ja. Ich hätte es nicht tun dürfen. Es war nicht richtig. Ich wollte unsere Freundschaft nicht kaputt machen. Es ist besser wenn ich gehe, wir sollten uns vielleicht nicht mehr so oft sehen.“

Nein! Nein, nein, nein! Schmerzen bilden sich in meinem Körper, bei jedem Wort das er spricht. Er darf nicht gehen...

„Nein bleib, bitte.“

„Aber...“

„Warum hast du es getan? Ist es wegen...Mathias?“
 

Mein Herz bollert mit voller Kraft in meiner Brust. Meine Lippen sind wie ausgetrocknet. Ich will ihn ablenken, hier halten. Wenn ich Fragen stelle bleibt er und muss sie beantworten, richtig?

„Mathias? Was soll mein Bruder damit zu tun haben?“

„Er hat gemeint... Also, Leon und du. Und jetzt hat er Sheila und sie ist ja ein Mädchen. Also äh.“, stammel ich zusammenhanglos.

„Leon? Was hat er von Leon erzählt?“, fragt er barsch nach und greift nach meiner Schulter. Erschreckt weiche ich zurück und wische meine schweißnassen Hände an meiner Hose ab. Plötzlich bereue ich es, das Thema angesprochen zu haben. Aber ich will es wissen. Und ich will nicht, dass er geht.
 

„Dass du ihm seinen besten Freund weggenommen hast.“, antworte ich schüchtern. David rauft sich die Haare und läuft einmal quer durchs Zimmer, bis er sich auf dem Sofa fallen lässt. Ich stehe immer noch völlig idiotisch im Raum herum und lasse mich auf den Schreibtischstuhl fallen.

Es herrscht Stille zwischen uns, in der er anscheinend darüber nachdenkt was er sagen soll. Ich wage es nicht auch nur einen Ton von mir zu geben.

„Erinnerst du dich an die Zeichnung in meinem Zimmer?“ Stechende Augen, die mich durchdringen anstarren. Ich nicke.

„Das ist Leon. Mein Ex. Mathias bester Freund, zumindest früher.“

Schon wieder werde ich gemustert. „Du willst es wirklich wissen?“

„Ja, so schlimm kann es doch gar nicht sein, oder?“

„Nein, es ist nicht schlimm. Es tut nur weh daran zu denken. Es ist so lange her.

Gut, ich erzähl es dir, aber es ist keine schöne Geschichte.“

„Schon okay.“, flüstert meine Stimme.
 

Er atmet tief durch, rauft sich die Haare, um dann seine Hände auf den Knien abzustützen.

„Es fing vor etwa vier Jahren an, die Sache mit Leon."

Man merkt wie er versucht möglichst sachlich zu klingen, doch ich kann die Gefühle hinter seiner Maske sehen.

"Ich hatte mich damals noch nicht richtig in die Familie von meinem Vater eingelebt.

Mathias und ich sind Halbbrüder, weil mein Vater während der Schwangerschaft seiner Frau eine Krise hatte und ihr fremdgegangen ist."

Kurz stockt seine Erzählung, als müsste er sich überwinden.

"Meine Mutter war schon früher psychisch labil und irgendwann wurde es so schlimm, dass sie nicht mehr zurechnungsfähig war. Eben hat sie noch das Essen vorbereitet im nächsten Moment wollte sie mich aus dem Fenster werfen.“

Geschockt ziehe ich so heftig Luft in meine Lungen, dass ich Husten muss.
 

„Sie kam in eine Klinik und ich zu meinem Vater. Da war ich gerade mal Dreizehn. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber schon, dass ich schwul bin, es war mir schon recht früh klar und davor hatte ich auch nie Probleme damit. Weißt du, meine alte Schule war sehr tolerant, so dass ich nicht nachgedacht habe, dass es in meinem neuen Zuhause ganz anders laufen könnte. Ich war so ein Idiot.“

„Also hast du dich geoutet.“ Das wusste ich ja schon von Mathias.

Er nickt, seine Augen beobachten mich die ganze Zeit, als warte er darauf, dass ich die Flucht ergreife.

„Ja. Alle haben sich von mir abgewendet. Sogar meine eigene Familie! Es sind solche Heuchler, immer nur den Schein aufrecht erhalten. Immer nach Außen hin perfekt sein. Ich habe da einfach nicht hineingepasst, tue ich immer noch nicht. Und dann kam Leon, der Einzige, der mich so akzeptierte wie ich bin. Ich habe mich furchtbar in ihn verliebt.“ Verlegen wendet er den Kopf zur Seite und ich kann stürmische Trauer in seinen Zügen sehen. Ich würde ihn so gerne trösten, aber ich fühle mich so befangen.
 

„Na ja, ich habe mich dann mit ihm heimlich getroffen, wir wollten es vor allen verheimlichen. Mathias hat uns dann erwischt, als wir dachten, es wäre niemand zu Hause.“ Sein Gesicht verkrampft sich. Er hebt eine Hand und streicht über die Narbe an seinem Handgelenk.

„Er war so wütend. Und Leon hat versucht ihn zu beruhigen, doch er war so außer sich und hat nur geschrien wie abartig wir sind. Er ging auf Leon los, ich wollte ihn aufhalten, dabei ging eine Scheibe zu Bruch und die Scherben zerschnitten mir das Handgelenk.“

Meine Augen wandern zu der Narbe. Oh Gott...

„Ich wäre beinahe verblutet damals. Im Krankenhaus bin ich erst wieder aufgewacht und ich sah Leon neben dem Bett, zum letzten Mal. Er war selbst noch so jung. Er konnte das alles nicht mehr ertragen und beschloss mir zu sagen, dass er eh bald weggeht, auf ein Internat, und wir das lieber lassen sollten. Das mit dem Internat, hatte er wohl schon eine Weile vor mir geheim gehalten. Seine Stimme klang so kalt dabei, und ich lag im Krankenhaus und konnte ihn nicht aufhalten. Er ging und ich habe ihn nie wieder gesehen.“
 

Mein Herz schlägt schmerzhaft in meiner Brust und ein verzweifeltes Gefühl schleicht durch meine Adern und Muskeln. Ich sehe es vor mir. Der junge David in diesem weißem Bett und Leon, der daneben stand und ihm eiskalt diese Worte zuwarf, dann das Zimmer verließ, um den verwirrten und weinenden Jungen zurückzulassen. Für immer. Zurückgelassen ohne Freunde, in eine Familie geworfen, die ihn nicht wollte.

Ein neues, intensives Gefühl gesellt sich zu den Schmerzen in meinem Bauch. Es ist heiß und brennend. Heiße Wut auf die Leute, die David wehgetan haben, ihn verlassen haben. Auf Mathias, seinen Vater, die falschen Freunde und auch Leon. Und jetzt dachte David auch noch ich würde ihn auch liegen lassen, nur wegen einem Kuss? Ich muss es klarstellen, ich muss....

„Ich gehe nicht weg.“

Davids Augen brennen sich in meine. Meine Frage von vorhin ist immer noch nicht beantworte, doch ich habe Angst mich falsch auszudrücken.

„Mathias glaubt, du würdest ihn und Sheila durch mich auseinanderbringen wollen.“

„Das ist Unsinn! Bitte glaub das nicht.“

„Tu ich nicht.“ Nicht mehr, aber von meinen vorherigen Zweifeln muss er nichts wissen.
 

„Ich will dich nicht als Freund verlieren, die letzten Tage waren wirklich toll. Nur ignoriere mich nicht mehr, wie gestern Abend.“

„Und der Kuss?“, fragt er ungläubig.

„Das...also, das ist okay. Ich bleibe trotzdem. Wir sind doch Freunde.“

Ich hoffe ich klinge nicht so naiv, wie ich mich fühle.

„Wenn du bei mir bleibst, weiß ich nicht ob ich mich zurückhalten kann.“

Mein Atem stockt. „Wie meinst du das?“, hauche ich.

Er steht auf und kommt auf mich zu. Mit jedem Schritt den er näher kommt schlägt mein Herz schneller. Unschuldig blicke ich zu ihm auf, als David mein Gesicht in die Hände nimmt und seine wundervollen grauen Augen mich durchdringen.
 

„Ich mag dich, Kai. Und ich weiß nicht ob ich das kann.“

An meiner Wange kann ich spüren wie seine Hände zittern.

„Warum versuchst du es nicht?“

Er schüttelt den Kopf. „Ich mag dich vielleicht zu sehr um nur ein Freund zu sein. Wenn ich dich sehe, will ich dich berühren, gerade jetzt würde ich dich gerne küssen.“

Mein Herz setzt aus, so sehr setzen seine Worte mir zu. In meinem Kopf entsteht ein Wirbel.

„Solange wir Freunde bleiben.“, versuche ich es weiter, doch David lacht spöttisch. „Du willst weiter mit mir befreundet sein, auch wenn ich dich küsse?“

„Ich weiß nicht, wenn ich dir damit helfen kann? Es ist ja nicht so, als würden wir miteinander schlafen.“ Meine Wangen brennen heiß bei dem Gedanke.

„Oh Kai...du weißt doch gar nicht was du da sagst. Das kannst du doch nicht ernst meinen?“

„Warum nicht? Es ist meine Entscheidung und ich will dass wir weiter Freunde bleiben, und wenn die Bedingung dazu ist, dass du mich kü...küsst, dann ist das...okay. Ich werde es überleben. Denke ich.“ Ich versuche zu grinsen, doch es wirkt eher gequält und an seinem Blick sehe ich, dass er mir nicht glaubt. Wie auch? Ich glaube mir ja selber nicht.
 

Dann kommt er mir plötzlich näher und ich spüre seine Lippen gegen meine drücken. Sanft bewegen sie sich. Es kribbelt überall. Oh Gott! Das Kribbeln wird beinahe schmerzhaft und meine Füße bohren sich in den weichen Teppich.

Ich bin ein völliges Nervenbündel und weiß gar nicht wie ich reagieren soll! Davids Lippen sind ganz warm und eine seiner Hände hat sich in meinen Nacken verirrt um dort mit meinen Haaren zu spielen. Es fühlt sich schön an...er fühlt sich schön an! Vielleicht ist es wirklich nicht so schlimm. Was ist schon dabei? Ich bin ja nicht schwul und solang es niemand sieht.

Und David würde bei mir bleiben, wir würden wieder zusammen was unternehmen. Er würde mich wieder küssen.

Vielleicht...wenn ich erwidern würde, vielleicht würde er es mir dann glauben. Gerade als ich mich dazu durchringen will weicht er von mir und sieht mich wieder mit diesen schönen Augen verunsichert an. Als wolle er meine Reaktion abschätzen.

„Du rennst nicht weg.“

„Warum sollte ich das?“

Wir sprechen beide ganz leise und atemlos.

„Weil ein Kerl dich küsst. Du magst Mädchen.“, erinnert er mich.

„Dich mag ich auch.“

„Aber nicht so wie ich! Kai, das wird nie was werden.“

Tief in mir bildet sich dieses eklige Gefühl von tiefer Verzweiflung.

„Bitte!“

Die Hand, die immer noch in meinem Nacken liegt verschwindet und er geht einige Schritte von mir weg, rauft sich dabei die Haare und wirft mir immer wieder undeutbare Blicke zu, als habe er mit irgendetwas zu kämpfen, das ich nicht verstehe.

Schließlich höre ich seine Zustimmung. „Okay, aber ich kann dir nichts versprechen. Ich werde es versuchen, als Freunde.“

Erleichtert lächle ich ihn an und er zurück. „Das ist so vollkommen verrückt.“, lacht er.

„Ja, verrückt.“, bestätige ich grinsend.

Aber er bleibt bei mir.
 

Danach wird es seltsam. Das Gespräch, der Kuss. Das alles wirbelt in meinem Kopf ohne das ich es festhalten und ordnen kann. Ich weiß nicht was ich tun und denken soll. Wie soll ich mich verhalten? Es ist anders, als die letzten Tage. Da ist etwas zwischen uns, nur ich kann noch nicht definieren was es ist.

David ist am Anfang noch befangener als ich, doch nachdem wir uns was zu Essen gemacht haben und vor der Konsole sitzen taut er wieder auf. Er wirkt wieder wie der David den ich kenne und das hilft mir auch meine Befangenheit wieder zu verlieren. Es ist wie immer. Fast. Außer einer Sache.
 

Als wir ein Autorennspiel ausprobieren, sitzt er näher neben mir als sonst. Immer wieder berührt er mich, am Arm, Bein oder er streicht mir durchs Haar. Gerade diese Berührung ist mir bereits so vertraut, dass ich sie kaum noch als außergewöhnlich betrachte.

Doch weiter passiert nichts. Keine Küsse. Nichts ungewöhnliches.

Alles ist wieder beim Alten...
 

*

Weil das Leben kompliziert ist

„David, was willst du trinken?“, rufe ich aus der Küche und seine dunkle Stimme antwortet mir sogleich aus dem Flur. „Habt ihr Cola da?“

„Türlich.“ David taucht in der Küchentür auf und ich spüre seinen Blick auf mir.

„Ich geh schon mal nach oben.“, teilt er mir mit.

„Hm-mh.“

Und schon ist er weg und ich höre nur noch seine durch den Boden gedämpften Schritte als er die Treppe hochgeht.
 

Wir sind bei mir zuhause, die Schule ist gerade rum und als ich nach Hause ging hatte er mich auf dem Weg abgefangen. Lächelnd stand er da, als ich um die Ecke bog und kam mir entgegen.

Genauso wie gestern.

Und davor den Tag.

Und sowieso schon die ganze Woche.

Ich mag es…

Ich mag es, dass er bei mir ist. Bei meinem unsozialen Leben hätte ich eh keine Alternative gewusst was ich sonst hätte machen sollen. Auch wenn ich langsam ein schlechtes Gewissen bekomme, weil ich seine ganze Freizeit beanspruche.
 

Unglücklich muss ich an Gabriel denken und seine seltsame Drohung. Ob er davon weiß, dass David schon die ganze Woche jeden Tag bei mir ist? Bestimmt, sie sind ja Freunde, also wird er Gabriel das wohl erzählen. Oder?

Die Ereignisse vom Sonntag nagen immer noch an mir, doch da seit dem nichts Außergewöhnliches passiert ist, versuche ich es in den Hintergrund zu drängen. Weg, weit weg damit. Weg weg weg!
 

Ich komme mir echt vor als hätten wir ’ne sprichwörtliche Leiche im Keller, die dort seit Sonntag liegt und vor sich hinverwest. Am Montag habe ich mich ganz schön erschrocken als er nach der Schule vor meiner Tür stand und mich begrüßte als wäre nie was gewesen. Ich weiß nicht was ich erwartet habe. Habe ich was erwartet?
 

Er war wie immer, also so wie vor dem…Wochenende. Vor dem Gespräch. Vor dem...Kuss!

Verdammt, er hat mich geküsst. So richtig.

Keiner von uns hat das Thema bislang noch mal angeschnitten, ja David scheint es regelrecht ignorieren zu wollen. Hat er ein schlechtes Gewissen? Vielleicht. Oder ich interpretiere einfach zu viel herein. Was will ich eigentlich? Es ist doch so wie ich wollte. Wir sind Freunde. So ganz normal eben. So wie Basti und ich früher.

Oder?

Aber David ist nicht Basti. Nein, definitiv nicht. David ist...David.

Ach das macht mich total wuschig. Verdammt. Denken sollte verboten werden.

Aus Hirn, aus! Was wollte ich noch mal tun? Ach ja, die Cola…
 

Unwirsch greife ich zwei Gläser und die Coke bevor ich mich auf den Weg in mein Zimmer mache, wo bereits David wartet und mich auf seine ganz eigene Art anlächelt.
 

Und dann, ja dann lernen wir. Ernsthaft, ich hinke in Geschichte ganz schön nach und er muss auch noch für irgendeine Klausur lernen. Und ich habe schon seit Tagen nicht mehr wirklich gelernt weil ich nur mit David unterwegs war. Also sitzen wir gemeinsam auf dem Boden und wühlen uns durch Bücher und Arbeitsblätter. Leichte Falten sind auf seiner Stirn als er sich verbissen auf seinen Lehrtext konzentriert und er kaut nervös auf einem Bleistift herum mit seinen perfekten Zähnen. Dann seufzt er resigniert, lässt das Blatt sinken und landet kurz darauf mit seinem Rücken auf meinem Teppich und starrt die Decke an.

„Ich hasse Geschichte.“

„Hm. Ich würd’ dir ja helfen, aber ihr seit im Lernstoff viel weiter fortgeschritten als wir.“
 

Er seufzt erneut und dreht dann seinen Kopf zu mir und starrt mich an. Ich bekomme eine Gänsehaut bei seinem Blick, so durchdringend sieht er mich an. Will er mir etwas sagen? Etwas tun? Oder habe ich einfach nur was im Gesicht? Vorsichtig schiele ich zu meinem Spiegel am Kleiderschrank, aber ich kann nichts entdecken.

„Macht nichts.“, murmelt er leise.
 

David bleibt weiterhin liegen und da seine grauen Augen auf mir ruhen kann ich mich ebenfalls nicht mehr wirklich auf das Arbeitsblatt konzentrieren.

„Hast du mit ihm geredet?“

Ich weiß worauf er anspricht. Basti.

Denn wir haben immer noch nicht miteinander gesprochen, außer man bezeichnet den lapidaren Streit den wir sogar am Mittwoch hatten als reden.

Basti und ein paar Idioten, die ich noch nie leiden konnte, mit denen aber Basti schon früher hin und wieder rum gehangen hatte haben sich in der Pause im Klassenraum über irgendeine Story das Maul zerrissen die wohl durch Facebook die Runde in der Schule gemacht hat. War mir erst so ziemlich scheißegal, bis ich rausgefunden habe worum es da ging.
 

Aus der Parallelklasse hat wohl ein Mädel ihren Freund fröhlich knutschend mit ’nem anderen Typen vorgefunden. Ich kenn weder das Mädchen noch den Typen, aber als dann Kommentare in der Runde fielen wie, „Wie kann die Schwuchtel es wagen sich an den Freund von ihr ranzumachen?“ bin ich irgendwie wütend geworden.
 

Jetzt nicht weil Worte wie „Schwuchtel“, „Tunte“ und schlimmeres fielen, die ich nie aus Bastis Mund erwartet hätte.

Na ja ein bisschen wütend war ich schon vielleicht. Immerhin ist David ja auch schwul und seit ich ihn kenne bin ich irgendwie überempfindlich bei solchen Anfeindungen. David ist schließlich okay.

Nein, eigentlich ging es mir darum, das Basti doch genau dasselbe gemacht hat! Gut er hat nicht mit ’nem Kerl rum gemacht, aber er hat sich an die Freundin von jemand….von mir ran gemacht. Diese Doppelmoral ist doch zum kotzen!

Und tja, das habe ich ihm an den Kopf geworfen. Nicht so direkt. Aber ich denke er hat’s verstanden. Allerdings ist seit dem komplett schicht im Schach.

So haben wir uns noch nie so heftig zerstritten. Nicht einmal seit wir uns kennen. Wäre diese dumme Sumpfkuh von Katrin nur nie gewesen…ich wusste das es ne absolut blöde Idee war!
 

Und Jonas scheint sich da komplett raushalten zu wollen. Vielleicht ist er auch nur verwirrt weil er nicht weiß auf welcher Seite er stehen soll.

Ach das ist doch alles Käse! Aber immerhin habe ich David.

David dem ich alles erzählen kann, bei dem ich mich auskotzen kann. Habe ja auch sonst irgendwie keinen. Gott ich habe echt ein beschissenes Sozialleben, da ist ja jeder Einsiedler besser dran! Aber irgendwie…keine Ahnung aber irgendwie reicht mir David. Ich weiß nicht wie es plötzlich kam aber zurzeit habe ich einfach das Gefühl niemand anderen zu brauchen. Nicht Basti, nicht Jonas und auch nicht meine nervige Schwester die sowieso in letzter Zeit so abweisend ist. Allerdings weiß ich nicht ob es an mir oder David liegt, denn er ist in letzter Zeit so oft bei mir, dass sie mich kaum alleine zu Gesicht bekommen hat. Aber auch wenn es so wäre, soll sie doch schmollen und zu ihrem Freund gehen.
 

Mathias hat sich im Übrigen auch schon eine ganze Weile nicht hier blicken lassen.

„Ich glaube er will mir aus dem Weg gehen“, sagte David gestern erst zu mir als wir auf das Thema kamen.

„Lass ihn doch, dein Bruder hat eh nicht mehr alle Latten am Zaun!“, meinte ich nur, woraufhin mir David erst einen überraschten Blick aufgrund meiner plötzlichen Abneigung gegen Mathias zuwarf und mich danach anlächelte als hätte ich gerade irgendwas überwältigend tolles gesagt.

Ich muss dazu anmerken, dass ich ihm nichts davon erzählt habe was genau sein Bruder wirklich gesagt hatte an dem Samstagabend. Es ist schon so schlimm genug und ich kann immer noch nicht glauben dass er wirklich so über seinen kleinen Bruder denkt.
 

„Du machst schon wieder so ein Gesicht.“, spricht mich David unvermittelt an.

„Hat Basti heute wieder was Dummes gesagt?“

Ich schüttle den Kopf lächle ihn entschuldigend an.

„Nein, ich war nur in Gedanken, ich werd noch mit ihm reden nur gerade…ich weiß auch nicht. Ich möchte ihn gerade nicht sehen.“

„Vermisst du ihn nicht? Er war ja immerhin dein bester Freund.“

Resigniert schaue ich in sein undurchdringliches Gesicht, doch ich kann nichts herauslesen. Er trägt wieder eine Maske. Inzwischen erkenne ich den Unterschied. Sein Gesicht ist so emotionslos wenn er mit anderen spricht. Als wäre seine Haut tatsächlich aus Marmor. Doch wenn er mit mir redet ist es anders. Keine Maske. Zumindest nicht immer.
 

„Doch schon, aber gerade…“ brauche ich nur dich.

Ach Mist das klingt doch total schwul.

„…gerade habe ich einfach kein Bock auf seine dummen Sprüche. Lass uns einfach weiterlernen, ja? Meine Eltern kommen bald nach Hause und dann ist’s eh wieder viel zu laut um vernünftig zu büffeln.“

Er schaut mich einen Moment prüfend an eher er nickt und wir uns wieder auf unsere Texte konzentrieren. Jeder für sich.
 


 

„Kai?“ Es klopft an meiner Tür.

„Was is?“ rufe ich zurück, während meine Mutter auch schon die Tür öffnet und herein schielt.

„Es gibt bald Abendbrot.“

David und ich sitzen inzwischen vor der Konsole und ich drücke auf Pause, damit ich nicht gleich meinen Rennwagen gegen die nächste Leitplanke ramme.

„Oh hallo David, ich wusste gar nicht dass du auch da bist“, meint sie und lächelt ihn freundlich an.

Ich weiß überhaupt nicht warum sie so überrascht tut, ist ja nicht so als wäre er nicht schon die ganze Woche hier gewesen, oder?

„Isst du mit?“, fragt sie ihn.

„Ähm, klar, gerne.“

„Gut, fünf Minuten noch, ja Schatz?“, wendet sie sich mit hochgezogenen Augenbrauen an mich.

„Okay, sind gleich unten.“, murmle ich zurück und wir sind bereits wieder voll im Spiel vertieft als sie die Tür schließt.
 

Dieses Mal sind wir sogar eine recht große Runde beim Abendbrot. Dad kam heut früher von der Arbeit und selbst Sheila hat sich mal von ihrem Freund losgesagt.

Allerdings wirft sie uns sofort merkwürdige Blicke zu als wir uns gemeinsam an den Tisch setzen. Scheinbar hat sie auch noch nicht mitbekommen das wir Besuch haben.

Ist mir aber egal. Soll sie doch rum spinnen wenn sie will. Und mir immer vorhalten ich bin unreif, aber selber sich so kindisch verhalten. Pah!
 

Kurz nachdem ich David an der Tür verabschiedet habe und wieder auf den Weg in mein Zimmer bin versperrt mir Sheila den Weg.

Mit abschätzigem Blick steht sie da und mustert mich kritisch.

„Was ist jetzt schon wieder?“ kann sie mich nicht mal in Ruhe lassen?

„Er war heute schon wieder hier.“ Eine Feststellung, keine Frage.

„Wer?“ Ich weiß von wem sie spricht, aber sie hat angefangen.

„Na David!“, sagt sie Augen rollend.

„Und?“

Ich will mich an ihr vorbeidrängen aber sie verstellt mir wieder den Weg.

„Was zum Teufel ist dein Problem?“, fahre ich sie unfreundlich an und in ihrem Gesicht kann ich erkennen, dass sie mit so einer heftigen Reaktion nicht gerechnet hat.

„Kai, David ist nicht der für den du ihn hältst.“

Meint sie das jetzt ernst? Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sehe ich sie erwartungsvoll an. Was kommt jetzt? Wieder eine Warnung weil er schwul ist? Dabei müsste sie eigentlich wissen dass ich es weiß. Ihr Freund hat mich ja schon am Sonntag fleißig vorgewarnt.

„Und wie kommst du darauf?“

„Mathias sagt…“

„Es ist mir egal was Mathias sagt!“ Verdattert starrt sie mich an. Hm normaler Weise kontert sie doch immer. Aber gerade jetzt habe ich Angst dass sie gleich anfängt zu weinen.
 

„Hör mal…“, sage ich beschwichtigend. „..ich weiß ja das Mathias nicht so grün mit seinem Bruder ist und so. Aber wir sind Freunde und mag ja sein dass du hinter Mathias stehst, aber das ist kein Grund ihn die ganze Zeit anzufeinden.“

„Ich feinde ihn nicht an.“ Sie hat sich wieder etwas gefangen und schaut mich ernst an.

„Pass einfach auf okay?“ Jetzt lässt sie wieder die große Schwester raushängen. Man ist das nervig.

„Hm“

Wortlos geht sie in ihr Zimmer und ich kann endlich in meins.
 

Reagiere ich über? Ich weiß nicht, aber mich nervt es vor allen und jeden rechtfertigen zu müssen warum ich mit David befreundet bin. Warum machen alle da so einen Terz drum? Ist ja nicht so als wenn er in seiner Freizeit gerne seine Nachbarn im Garten verscharrt oder bei der Mafia arbeitet. Er ist doch nur ein ganz normaler Typ. Der, zugegeben, auf andere Typen steht aber mein Gott. Ist ja kein Weltuntergang und wir wohnen jetzt nicht so weit in der Pampa, dass er ne Attraktion darstellt. Gabriel ist doch auch schwul. Oder? Und ich wette in meiner Schule gibt’s auch ne ganze Menge, auch wenn keiner den Mund aufmacht, was ich durchaus verstehen kann. Wäre auch nicht scharf drauf das alle mit dem Finger auf mich zeigen und Homo brüllen.
 

Mich nervt das alles und am liebsten wäre ich jetzt bei David um ihm das zu sagen, aber mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest das er sicher schon schläft. Kann er ja nichts für dass ich einfach nicht einschlafen kann weil mein Kopf die ganze Zeit summt.

Ich drehe mich um und versuche das alles aus meinem Kopf zu verbannen, schließlich habe ich vor Morgen wenigstens ein Problem vielleicht aus der Welt zu schaffen.
 

Geschichte ist furchtbar, hab ich das schon erwähnt? Auf jeden Fall quäle ich mich ziemlich mühsam durch die letzte Unterrichtsstunde heute und bin froh als es endlich klingelt. Eifrig packen alle ihre Sachen zusammen um ins Wochenende zu verschwinden nur ich trödele mit Absicht etwas, da Basti auch nicht der schnellte ist. Mit Magenschmerzen schiele ich nervös zu ihm rüber.

Ich will das nicht.

Ich hasse unangenehme Gespräche. Vor allem solche. Man, als wir noch Kinder waren war die Welt so einfach, warum muss nur alles plötzlich so kompliziert sein? Erwachsen zu werden ist einfach totaler Mist. Kann gar nicht verstehen warum sich immer alle so darum reißen endlich Achtzehn zu sein.
 

Unsicher gehe ich einen Schritt auf ihn zu und er sieht mich abschätzend an. Kurz vor Unterrichtsende hatte ich ihm einen Zettel zugeworfen, dass es bitte noch warten soll.

Wir schweigen uns immer noch an, als wir vom Lehrer hinausgescheucht werden und Wortlos laufen wir ein Stück über den Schulhof bis vor das Hauptgebäude.

Ich sollte was sagen, aber was? Ich bin nervös und schlucke mehrmals, aber bekomme kein Wort raus. Ach verdammt Kai, reiß dich zu…

„Sorry.“, kommt es unvermittelt von Basti. Er sieht an mir vorbei und tritt unsicher von einem Fuß an den anderen.
 

Pfeifend stoße ich die eben eingeatmete Luft wieder aus.

Sorry? Soll das jetzt alles entschädigen? Ein einfaches Sorry?

„Es tut mir leid, okay? Ich war ein Idiot.“ Er lächelt unsicher.

„Lieber spät als nie, hm?“, meine ich etwas trotzig und Basti sieht mich unwirsch an.

„Man Kai, weißt du ich habe das ja nicht aus Absicht getan, okay? Es tut mir leid, ich hätte es nicht machen sollen, aber nachdem was passiert ist, als du dich mit ihr gestritten hast und dann hat sie sich bei mir ausgeheult und dann ist es einfach….passiert. Ich hatte bestimmt nicht vorher geplant gehabt mit ihr zu knutschen, man. Es tut mir echt leid.“
 

Wie ein getretener Hund steht er vor mir und ich merke dass er mir immer noch nicht in die Augen sieht, aber ich habe ein Recht zu schmollen und ihn waten zu lassen in seinem Elend.

Und er watet weiter. Ach verdammt ich kann ihn nicht so sehen. Es ist immerhin Basti. Der Basti den ich bereits im Sandkasten mit Dreck beworfen habe.
 

„Fahren wir ein Stück zusammen?“, frage ich ihn tonlos. Haben eh fast denselben Heimweg.

Überrascht sieht er auf und schaut mir nun doch in die Augen. Abschätzend, um heraus zu finden ob ich noch böse bin nehme ich an.

Er nickt und wir machen uns auf den Weg.

„Ist alles wieder gut?“, fragt er mich vorsichtig.

„Hm, weiß ich noch nicht.“ Ich weiß es wirklich nicht. Ich möchte noch wütend sein, trotzig. Aber ich weiß ich sollte es nicht, weil es eigentlich keinen Grund mehr gibt. David hatte recht mit dem was er gesagt hatte. Ich bin nicht sauer auf ihn weil Katrin mich mit ihm betrogen hat sondern weil er mich mit Katrin betrogen hat. Sozusagen.
 

„Weißt du, ich wusste nicht das es dir doch so ernst mit ihr ist, weil du mir erzählt hast, na ja du weißt schon, das du dich nicht so sehr für sie interessierst. Und, wirklich man, ich werd sie nie wieder anrühren! Ehrenwort!“

„Ach lass stecken, Katrin kann mir gestohlen bleiben.“

„Sicher?“

„Sicher.“

„Und jetzt?“ Fragend sieht er mich an. Wie meint er das jetzt? Was und jetzt?

„Und jetzt….gehen wir am besten erstmal zu mir, wenn du Lust hast.“

Basti atmet erleichtert aus, als hätte er Steine mit sich herumgetragen, die jetzt Stück für Stück von ihm abfallen.
 

Als ich das sagte habe ich aber eine Kleinigkeit vergessen. Und zwar das ein gewisser schwarzhaariger Junge mit einem umwerfendem Lächeln auf mich wartet während wir um die Ecke biegen. In mir drin wird es ganz warm, als er auf mich zu kommt. Doch dann stocke ich, da ich Bastis verwirrtem Blick begegne.

Ach ja…er weiß ja gar nichts von David. Schließlich kenne ich ihn erst seit der Sache mit Katrin und mit Basti habe ich ab da nicht mehr gesprochen gehabt. Plötzlich bin ich wirklich nervös. Was wird er denken? Mir fallen wieder die dämlichen Sprüche ein die er letzten Mittwoch abgelassen hat und mir wird ganz flau im Magen. Ich denke nicht dass David ihm das gleich auf die Nase binden wird, doch was wird Basti sagen, wenn er es raus findet?
 

David ist schon fast bei uns und ich bin hin und hergerissen von den widersprüchlichen Gefühlen in mir. Wenn das so weitergeht übergebe ich mich gleich!
 

„Wer ist das?“, fragt mich Basti unschuldig.

„Ich äh….“ Meine Stimme versagt mir grad den Dienst und ich muss mich räuspern.

„Das ist David. Er war auch auf der Party von Alina.“

„Ah ja, stimmt.“

Ein Erkennen huscht über sein Gesicht. Entweder hat er ein besseres Gedächtnis was Gesichter angeht als ich oder David hat diese einzigartige Wirkung einfach auch bei anderen Menschen die ihn unvergesslich werden lässt.
 

David indessen lächelt immer noch, aber jetzt wirkt es etwas aufgesetzt.

„Hey, ich wusste nicht dass du heute Besuch hast, sonst wäre ich nicht gekommen.“ Na ja ich wusste es ja auch bis vorhin noch nicht. Außerdem haben wir uns ja nicht direkt verabredet, so dass es nichts zum absagen gab, oder?

„War spontan, macht aber nichts wir können auch zu dritt zu mir.“, schlage ich vor.

„Okay.“

Die beiden sehen sich abschätzig an und ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Ob das gut geht?

„Hi, ich bin David und du bist Basti nehme ich mal an.“ Jetzt ist er plötzlich wieder so unnahbar. Etwas kühl. Ich mag das nicht, er soll wieder der David sein den ich kenne.

„Ja bin ich. Hey ich hab dich doch auf Alinas Party gesehen, oder? Bist du mit ihr befreundet?“

Will Basti ihn aushorchen? Irgendwie behagt mir das nicht.

„Nicht direkt, ich gehe mit ihrem Freund Philipp in eine Klasse.“

„Achso.“
 

Gemeinsam schlendern wir zu meinem Haus und machen es uns mit Getränken und was zu Knabbern in meinem Zimmer bequem.

Also zumindest machen es sich die Beiden bequem. Ich hab eher das Gefühl auf glühenden Kohlen zu sitzen die jeden Augenblick explodieren könnten. Man Kai, reiß dich zusammen!

Wir unterhalten uns. Also eher redet Basti, ich bin still und David stellt einen neuen Rekord in Einsilbigkeit auf.

Als David kurz auf die Toilette verschwindet sieht mich Basti merkwürdig an, was mich noch nervöser macht.

„Seit wann seit ihr beste Freunde?“, fragt er trocken und ein wenig….angepisst?

„Seit ich meine Freizeit nicht mehr für Katrin aufopfern musste.“ Ich sehe ihn bedeutungsvoll an.

„Oh.“

Ja, oh. Deine Schuld, also hör auf so angepisst zu schauen.

„Man Kai, willst du mir das jetzt ewig nachhängen?“

„Vielleicht?“

„Sei nicht kindisch!“

„Dann hör auf misstrauisch zu sein, ich bin nun mal jetzt mit David befreundet, Punkt. Was dagegen?“

Man ich hab echt keine Lust vor ihm mich auch noch rechtfertigen zu müssen. Doch sein Blick wird plötzlich weicher und er schaut mich entschuldigend an.

„Nee sorry, war vielleicht unangebracht. Kann ja verstehen dass du nicht zu Hause versauerst und Däumchen drehst.“, grinst er schief.

„Hm.“
 

Plötzlich geht die Tür auf und David kommt wieder ins Zimmer. Kurz treffen sich unsere Blicke und er sieht mich undefiniert an. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Kurz aber heftig. Was war das?

Keine Ahnung denn es ist so schnell vorbei wie es gekommen ist und schon sind wir wieder in eine Unterhaltung vertieft, diesmal entspannter, Basti ist nicht mehr so lauernd und ich hoffe es bleibt so. Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen.

„Du kannst zeichnen?“, fragt Basti interessiert nach, als wir zu dem Thema Hobbys kommen.

„Ein wenig, ja.“, meint David sachlich.

„Du untertreibst total! Er kann wahnsinnig gut zeichnen, das musst du mal sehen!“ Bin ich ein wenig zu euphorisch? Ach scheiß drauf.

„Stehen die Mädchen auf so was?“

Pfft, war ja klar. Das einzige was den wiedergeborenen Casanova interessiert.

„Möglich, gibt bestimmt welche.“

„Steht deine Freundin denn drauf?“

Ach du Scheiße. Super. War ja klar dass wir irgendwann auf dieses Thema kommen.

David lächelt allerdings nur souverän. Hat er meinen verzweifelten Blick bemerkt?

„Ich hab keine, also nein.“

Basti sieht überrascht aus. Warum?

„Sorry man.“

„Ich werd’s überleben.“ Wieder treffen sich unsere Blicke und mir fällt wieder unsere kleine…Vereinbarung ein.
 

Ob er auch gerade daran denkt? Quatsch warum auch. Er gibt sich ja Mühe. Immerhin ist nach dem Kuss am Sonntag nichts mehr passiert. Was auch gut so ist. Ich steh schließlich nicht auf Typen. Was hat mich nur geritten an dem Tag?

Lass uns Freunde sein und wenn keiner hinsieht darfst du mich abschlabbern. Grandiose Idee. Aber was wäre die alternative gewesen? Hätte er wirklich unsere Freundschaft beendet? Einfach so nach nur so kurzer Zeit? Ich will nicht dass er wieder geht.

Heftig wird es mir bewusst als ich ihn ansehe, wie er dasitzt in meinem Zimmer und gestikulierend Basti irgendwas erklärt, was mit einem Spiel zu tun hat welches er letztens gezockt hat. Seine schwarzen Haare fallen ihm immer wieder in die Stirn und seine grauen Augen wandern zwischendurch zu mir rüber, auch wenn er mit Basti spricht.
 

Sein Geruch hängt in der Luft und überdeckt alles andere.

Was wenn er es wieder tut? Mich küssen meine ich. Was mache ich dann? Es über mich ergehen lassen und hoffen das er irgendwann den Spaß dran verliert? Ich komm mir vor wie eine Witzfigur. Das ist doch Irrsinn diese Vereinbarung. Aber vielleicht hat er sie ja tatsächlich schon wieder vergessen, oder es war ein schlechter Scherz. Obwohl ich letzteres nicht glaube, denn letzten Sonntag da…war David einfach nur David.

Ohne Maske.
 


 

Es ist Abend, David und Basti sind schon lange nach Hause gegangen und ich liege gelangweilt auf meinem Bett und weiß nicht so richtig was mit mir anzufangen. Auf Zocken habe ich keine Lust, im TV kommt nur Stuss und zum lernen bringen mich heute keine zehn Pferde mehr! Ein bisschen bin ich ja froh das Basti weg ist. David hätte noch bleiben können, aber das konnte ich ihm schlecht sagen, vor allem nicht vor Basti. Ich glaube der ist sowieso ein bisschen angepisst wegen ihm. Als hätte ich Basti einfach gegen David ausgetauscht. Schließlich musste er mich bisher nur mit Jonas teilen. Tja, werd erwachsen Basti, das sagen mir auch dauernd alle, also warum soll nur ich drunter leiden.

Was mir Sorgen bereitet ist allerdings Sheila. Sie hat schon wieder so komisch geguckt als sie meinen Besuch sah. Schien aber beruhigter, da wir zu dritt waren. Ich bin mir nicht sicher ob sie tatsächlich einfach nur David nicht leiden kann oder angst hat das er etwas Komisches mit mir anstellen könnte.

Plötzlich klingelt mein Handy und ich schrecke aus meinen Gedanken. Es ist fast zwanzig Uhr, wer ruft mich denn jetzt noch an?

Verwirrt sehe ich Davids Namen auf dem Display und gehe sofort ran.

„Hey.“

Stille. Ich bin mir aber sicher jemand atmen zu hören.

„David?“

„Sorry dass ich so spät anrufe.“

„Ist schon okay. Geht’s um was Bestimmtes?“

„Kann ich vorbei kommen?“

„Jetzt noch?“, frage ich überrumpelt. Morgen ist zwar Samstag aber trotzdem.
 

„Ja. Also nur wenn es möglich ist.“

Ich muss stutzen. Irgendwas ist anders…

„Geht’s dir gut?“

„Ich…kann ich einfach vorbei kommen?“

„Ähm, klar ich denke schon. Wann bist du denn da?“ Ich schaue noch einmal auf die Uhr. Wenn er jetzt losfährt dauert es sicher noch eine Weile.

„Ich stehe vor deiner Tür:“

„Was?“ Ich springe auf um hastig aus dem Fenster zu schauen und kann draußen im Schein der Außenleuchte tatsächlich eine Gestalt sehen, die auf dem Gehweg vor dem Haus herumsteht.

„Warte, ich komm runter und lass dich rein.“

„Danke…“

Schnell schiebe ich mein Handy in die Hosentasche und hechte die Treppe hinunter. In der Küche kann ich meine Mutter entdecken, die gerade die Reste vom Abendbrot zusammenräumt und informiere sie noch schnell dass ein Freund kurz vorbei kommt.

„Macht aber nicht zu lange, ja?“

„Ja ja.“

Und schon bin ich an der Tür, reiße sie auf und sehe David bedrückt und mit hängenden Schultern davor stehen.

„Was ist passiert?“ Er sieht furchtbar aus, seine Augen sind ruhelos und er wirkt total durcheinander.

„Kann ich mit hochkommen?“ Seine Augenbrauen ziehen sich merkwürdig zusammen und seine Hände hat er nervös in den Hosentaschen vergraben.

„Klar.“ Auf den Weg nach oben komme ich nicht umhin ihn pausenlos anzustarren. Ich will wissen was passiert ist.

Jetzt.

Sofort. Ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Brust breit.
 

Schnell schließe ich die Tür hinter uns und David setzt sich aufs Bett, die Ellenbogen auf seine Knie gestützt vergräbt er das Gesicht in seine großen Hände. Es quält mich ihn so zu sehen, doch ich weiß nicht was ich machen soll, also bleibe ich unnütz stehen. Sonst ist er immer der Coole von uns Beiden, ihn so zu sehen verunsichert mich.

„David?“

Er sieht nicht auf.

„Willst du reden?“

„Ja…nein…ich weiß nicht.“

Ich gehe langsam auf ihn zu.

„Okay, sag mir bescheid wenn du reden willst, ja?“

Er sieht auf, wir sehen uns einige Sekunden schweigend an.

„Danke.“

Beruhigend lächle ich ihn an. „Schon gut.“

Alles in mir schreit danach zu fragen aber…ich will ihn nicht bedrängen. Ich habe da eh schon so einen Verdacht.
 

Wir sehen uns irgendeinen dummen Film im TV an zur Ablenkung, da es ihm gut zu tun scheint. Er hat immer noch nichts gesagt und ich traue mich nicht nachzufragen. Es ist schon 22:00 Uhr.

„Schläfst du heut hier?“, frage ich ihn möglichst unbefangen.

Er zuckt nur mit den Schultern.

„Wenn ich darf.“

„Türlich, ich muss nur kurz meinen Eltern bescheid sagen…“
 

Mein Vater ist noch auf und hat wie erwartet nichts dagegen dass ein Freund hier schläft, also krame ich die Matratze und frische Bettwäsche aus dem Schrank um alles vor meinem Bett auf den Boden zu platzieren. David schaut mir nur stumm dabei zu, sieht aber nicht mehr ganz so fertig aus wie vorhin.

„Willst du vorher ins Bad?“, frage ich ihn.

„Mach ruhig, ich geh danach.“

„Gut.“

Dann sitzen wir wieder auf meinem Bett mit dem Rücken an die Wand gelehnt und schauen den Film noch zu Ende.

„Kai?“

„Hmm.“

„Was denkst du über mich?“

Fragend wende ich ihm mein Gesicht zu.

„Keine Ahnung.“

Er sieht mich ernst an, ich schlucke nervös. Was soll ich denn sagen?

„Ähm na ja, wir kennen uns ja noch nicht lange und ich denke du bist okay. Verstehen uns ja gut. Wieso fragst du?“

„Mein Bruder er…wir haben gestritten.“

„Wieso diesmal?“

„Er hat mich darauf angesprochen, dass ich so oft bei dir bin. Sei bitte nicht sauer aber ich glaube deine Schwester hat ihn gebeten mit mir zu reden.“

„Scheiße, ich dreh ihr noch den Hals um.“, sage ich ehrlich wütend.

Was glaubt sie eigentlich sich überall einmischen zu müssen, diese…

„Er hat mir gedroht es deinen Eltern zu sagen.“

„Was?“

„Das ich schwul bin.“

„Warum sollte er das tun?“

„Er kann mich nicht davon abhalten mit dir befreundet zu sein, aber deine Eltern schon.“ In meinem Magen bilden sich wieder große klumpen und wir wird ganz unwohl.

„Oh.“

„Hmm“ Er schaut wieder zum Fernseher und ich kann die widersprüchlichen Gefühle in seinem Gesicht sehen. Angst, Wut, Traurigkeit, Verzweiflung.

„Ich glaube nicht das meine Eltern mir deswegen den Umgang mit dir verbieten.“, meine ich, glaube aber ehrlich gesagt nicht an das was ich sage. Ich habe schlichtweg keine Ahnung wie meine Eltern reagieren würden. Ist ja nicht so als wäre das Thema schon mal bei uns aufgekommen.

„Ich hoffe es. So wie wir uns angebrüllt haben, weiß ich nicht ob das nur eine Drohung von ihm war.“

„Habt ihr euch geprügelt?“ Musternd überfliege ich noch mal sein Gesicht, kann aber keine Verletzungen entdecken.

„Fast. Wäre ich nicht gegangen, hätte ich ihn vielleicht geschlagen. Wer weiß.“

Gedankenverloren schalte ich den störenden Fernseher aus. Jetzt ist es still und dunkel.

„Nur wegen mir?“ Ein wenig fühle ich mich schlecht, weil ich ihm solche Probleme bereite.

„Nein, weil mein Bruder ein Idiot ist. Gib dir keine Schuld daran.“

„Meine Schwester ist nicht viel besser.“, sage ich ernst und er lacht trocken auf.

"Na da haben sich ja Zwei gefunden."

"Ja..."

„Warum muss immer alles so kompliziert sein?“, fragt er ins Leere.

„Weiß nicht, aber das ist echt beschissen.“

„Ist es.“

„Hmm.“

Stoff raschelt als David sich etwas aufrichtet. Seine Augen funkeln in der Dunkelheit.

„Kai?“

„Ja?“

„Es tut mir leid.“

„Was?“

„Das mit dem Kuss.“

Und schon hat er die Leiche aus dem Keller geholt. In meinem Bauch kribbelt es ganz arg.

„Schon okay. Passiert.“ Seine grauen Augen mustern mich durchdringend und in meinem Kopf ist es ganz leer.

Wieder raschelt Stoff als er sich etwas näher zu mir hinbeugt ohne den Blick von mir zu nehmen und dann spüre ich seine Hand an meiner Wange.

„Ich meine nicht den von letzter Woche.“

Er ist mir ganz nah…so nah.

Und dann spüre ich abermals seine Lippen an meinen, sanft drücken sie dagegen, während er mit seiner Hand die Konturen meines Gesichtes entlang streicht, über mein Ohr tastet und in meinem Nacken liegen bleibt.
 

David, was tust du?
 

Es kribbelt, überall. Und mir wird ganz heiß. Mein Herz bollert in einem starken, ungewohnten Rhythmus.

Ich spüre seine Lippen viel zu intensiv, fühle wie sie fordernder werden, sich immer wieder erneut gegen meine bewegen und bin zu verwirrt und überwältigt um irgendwie reagieren zu können. Sein Körper drückt sich näher an meinen und schiebt mich mühelos nach hinten, so dass er jetzt über mir liegt. Er ist mir so nah, ich kann seine Wärme spüren, rieche den Duft seiner Haare, fühle seine Hände die nun auf meinem Bauch liegen und sanft darüber streichen. Finger, die zaghaft meine Taille erkunden.

Scheiße bin ich nervös. Ich sollte etwas tun, aber meine Hände liegen nur nutzlos neben meinem Kopf auf der Decke, wollen sich nicht bewegen und mir wird ganz schwindelig als seine feuchte, raue Zunge fordernd über meine Unterlippe streicht und sich dann bestimmt in meinen Mund schiebt. Unsere Zungen berühren sich leicht und ich kann ihn schmecken...David.

Ich glaube ich sterbe!
 

Dann entfernt er sich plötzlich von mir und wir starren uns ans. Er ist immer noch über mir und ich spüre die schwere seines Körpers, aber etwas hat sich verändert an der Art wie er mich betrachtet.

Ich starre zurück. Wie ein Reh das von Scheinwerfern angestrahlt wird fühle ich mich und mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Seine Gesichtszüge verhärten sich, er wirkt unsicher, verzweifelt. Zähne die auf seine Lippe beißen. Ich spüre seinen heißen Atem im Gesicht.
 

Was hast du getan David?
 

„Scheiße.“ Er rappelt sich auf und fährt sich mit seinen Händen durchs dunkle Haar. Er hinterlässt eine merkwürdige Leere. Meine Lippen fühlen sich heiß an, ich kann nichts sagen. Kann nie wieder sprechen.

„Es tut mir leid.“ Dann legt er sich auf die Matratze am Boden, wendet mir seine breiten Schultern zu und sagt ebenfalls nichts mehr.

Stille hüllt mich ein und ich kann nur weiter wie betäubt seinen Rücken anstarren. Irgendwann bin ich wieder fähig mich zu regen und meine Finger streichen sacht über die wundgeküssten Lippen.
 

Warum hast du das getan?

Brot ohne Arme

Tick tack tick tack.
 

Es ist Nacht, glaub ich. Könnte aber auch schon Morgen sein. Ich traue mich nicht die Augen zu öffnen. Was ich nicht sehe ist nicht da.
 

Tick tack tick tack.
 

Die Uhr geht mir auf die Nerven und ich kneife meine Augen fest zusammen.
 

Tick tack tick tack.
 

Leise Geräusche. Tappende Schritte. Stoff der raschelt. Vögel die draußen herumpiepsen.

So ist es gut, so kann es bleiben.
 

Tick tack tick tack.
 

Ehrlich gesagt, habe ich gar keine Uhr im Zimmer. Das Ticken ist nur in meinem Kopf. Tick tack.

Es will mir etwas sagen und ich weiß leider auch was. Meine Augen kneifen sich noch fester zusammen. Was ich nicht sehe ist nicht da. Tick tack…

Ich bleibe einfach liegen, genau. Nicht wach werden, träum weiter. Verrückte Träume habe ich da in letzter Zeit, man man man…
 

Tick tack tick tack.
 

Sie läuft davon, die Zeit, die ich habe.

Spüre ich Angst? Vielleicht. Weiß nicht.

Wenn ich aufwache, könnte alles nur ein Traum gewesen sein. Ist das Wunschgedanke oder Panik?

Genau, weiter schlafen. Wenn ich schlafe, muss ich nicht mit ihm reden.
 

Tick tack tick tack.
 

Wieder ein Geräusch und Davids Geruch der mir in die Nase steigt. Hmm davon würde ich gerne eine ganze Flasche haben wollen.

„Wach auf, Dornröschen.“
 

Tack.
 

Seine Stimme jagt Schauer durch die Fingerspitzen und mein tanzendes Herz wird ganz wild in meiner Brust. Es kann nicht anders. Vielleicht leide ich ja an einer Krankheit? Ich sollte damit mal zum Arzt…

„Du kannst nicht ewig liegen bleiben.“

„Doch. Siehst du ja. Ich bleibe einfach für immer hier liegen.“

Er lacht leise.

„Irgendwann musst du aufstehen.“

„Nein.“, sage ich trotzig und vergrabe mein Gesicht im Kissen.

„Du musst irgendwann was essen.“ Ich kann sein Grinsen regelrecht hören.

„Der Prinz wird mir schon was vorbei bringen.“

„Prinz?“

„Na wenn ich schon Dornröschen bin…“

„Und die Schule?“

„Wird Überbewertet. Muss eh Gold spinnen im Turm.“

„Das kannst du doch gar nicht.“

„Sei nicht so kleinlich.“

Ich kann spüren, wie David sich auf die Bettkante setzt und fest einatmet.

„Wir sollten reden.“
 

Jetzt tut es wieder tanzen, mein Herz. Aber diesmal in einem anderen Tackt. Verräterisches, kleines Ding.

„Klar warum nicht, reden ist eine gute Sache, früher da hatten wir einen Priester in der Nachbarschaft, der hat auch immer viel geredet. Einmal da…“

„Kai! Ich meine das ernst.“ Ich weiß, aber ich will nicht.
 

Trotzig gucke ich die Matratze an und kaue auf meiner Unterlippe herum. Laken, schön weiß. Baumwolle schätze ich…

„Ignoriere mich nicht und schau mich an.“

Muss ich das? Was, wenn ich es einfach nicht mache?
 

Seine Hand schiebt sich unter mein Kinn und lenkt meinen Blick in seine Richtung, zwingt mich in seine schönen Augen zu sehen, die so undurchsichtig wie Nebel sind.

„Hey, wir könnten Frühstücken, magst du Pfannkuchen? Meine Mutter macht die besten und wir könnten…“

„Kai!“

„…gut dann keine Pfannkuchen, vielleicht Rühreier? Müsli? Um die Ecke gibt es auch eine tolle Bäckerei mit bunten Donuts die aussehen wie Mikey Mouse, Goofy gibt es auch. Du magst doch Comics? Wenn nicht, ist auch nicht so schlimm, die ohmnommpf!“
 

Davids Hand drückt meine Wangen unangenehm zusammen und ich muss zwangsweise aufhören zu reden. Das war fies.

„Halt einfach die Backen.“, grinst er. Ich versuche zurück zu grinsen, was reichlich daneben aussieht wenn jemand einem die Finger in die Wangen drückt. Warum will er reden? Geht doch auch ohne. Blöder David, blöde Hand, blöder….Kuss. Davids Hand lässt mich los und streift über seinen Nacken, als wäre er verspannt.

Mein Gesicht schmerzt ein bisschen.
 

„Das mit Gestern, also..“

„Wir müssen nicht darüber reden.“, schlage ich nicht ganz uneigennützig vor.

„Doch, müssen wir.“ Ein kurzer Blick aus dem Fenster dann sieht er mich wieder an.

„Ich will mich entschuldigen. Das hätte ich nicht tun dürfen.“

„Schon okay.“ Mit einem Schulterzucken will ich die Sache abtun, aber er lässt nicht locker.
 

„Nein eben nicht! Ich will dich nicht bedrängen und diese Anspannung ertrage ich auch nicht. Aber vor Allem möchte ich nicht, dass du mir ausweichst. Ich weiß ja, dass du das nicht willst.“

David schluckt trocken. Ein Knoten liegt in meiner Brust.

„Ich bin einfach ein triebgesteuerter Idiot, der sich nicht zusammen reißen kann.“

Und was bin dann ich? Eine heterosexuelle Witzfigur, die sich von ’nem Typ küssen lässt und es auch noch toll findet.

„Deine Schwester hat vielleicht recht, wenn sie besorgt ist.“

„Jetzt redest du Stuss.“

„Mag sein. Was machen wir jetzt?“

„Wir könnten Mau-Mau spielen?“, frage ich unschuldig lächelnd.

„Kai! Sei doch mal ernst.“ Er stöhnt etwas genervt auf.

„Gut, dann kein Mau-Mau.“ Ist eh ein blödes Spiel.
 

„Wir sollten es einfach vergessen. Das war das letzte Mal, versprochen. Ab jetzt reiße ich mich zusammen.“

„Letztes Mal? Wir haben doch noch nie zusammen Mau-Mau gespielt.“

„Verdammt, jetzt hör mit dem Unsinn auf!“

„Okay.“

Ein unruhiges Blinken lenkt mich ab und ich sehe Davids Handy auf dem Nachttisch liegen. Er muss es auf lautlos geschaltet haben.

„Dein Handy klingelt.“

Irritiert schaut er auf.

„Warte kurz.“, und dann geht er Stirn runzelnd aus dem Zimmer um mit meinem Retter, äh, dem Störenfried alleine zu telefonieren.

Toll.
 

„Wer war es?“, frage ich ihn beiläufig. Nebenbei räume ich bereits die Matratze zusammen. War auch schon im Bad, hab mich umgezogen. War scheinbar ein langes Gespräch.

„Gabriel.“

Ich werde hellhörig.

„Was wollte er?“

„Hm ich glaube er ist etwas zornig. Auf seine Weise.“

„Wieso?“

„Ich versetze ihn schon die ganze Woche.“

„Oh. Tja, dann solltest du was mit ihm unternehmen.“, antworte ich etwas bedrückt.

Eigentlich will ich dass er hier bleibt.

„Der Meinung ist er auch, und sieht nicht so aus, als hätte ich da eine Wahl. Hast du nicht Lust mit zu kommen?“
 

„Ich?“

„Nein, deine Schwester.“, meint er trocken. „Natürlich du!“

„Jetzt?“

„Nein, wenn dann erst heute Abend. Er will in einen Club.“

„Ähm, meinst du das ist wirklich eine gute Idee wenn ich da mitgehe?“ Von David habe ich eine ungefähre Vorstellung welche Clubs Gabriel normaler Weise so besucht. Ist ja nicht so als leide ich unter Alzheimer.

Er verdreht die Augen.
 

„Keine Sorge. Nicht so einen Club. Es kommen auch ein paar Freunde von mir.“ Er lächelt. Hm mach weiter, ich mag es wenn du lächelst.

„Okay, aber wehe ich stehe nachher in einer Schwulenbar!“

„Dafür bist du eh zu klein, die würden dich gar nicht reinlassen.“, scherzt er und strubbelt mir durchs Haar. Ich strecke ihm die Zunge raus. Idiot…
 


 

„Ich würde es verstehen wenn du sauer auf mich bist.“ Eine leichte Briese weht David durch das gestylte Haar.

„Bin ich aber nicht.“

„Ist also alles wieder in Ordnung, ja?“

„Sicher.“

Eigentlich nicht, aber so ist es die beste Lösung.

„Und wenn es noch mal passiert?“

„Keine Ahnung, dann lässt du es einfach. Frag mich doch nicht so einen Unsinn, willst du dass ich dir zur Sicherheit verspreche dir eine reinzuballern, wenn es soweit ist?“

„Vielleicht?“

„Okay, hiermit schwöre ich feierlich, ich bin ein Tunichtgut. Ach ne falscher Film. Nochmal.“ Ich salutiere vor ihm.

„Hiermit gelobe ich…“

„Kai, du spinnst schon wieder rum.“

Ich grinse ihn an. „Ich weiß. Hey da vorne ist es schon, oder?“
 

Aufgeregt zeige ich auf ein Gebäude nicht weit entfernt. Es ist nicht sehr groß. Von Innen dringt Musik und davor steht ein großer, blonder Typ der mit den Armen wedelt.

„Toll, da ist der nächste Spinner.“, raunt David.

Er hat irgendwie heute nicht so gute Laune, liegt bestimmt daran, dass ich einem ernsten Gespräch noch immer versuche auszuweichen. Aber ich kann irgendwie nicht anders. Er soll mich einfach damit in Ruhe lassen und gut ist.

Wir stoßen zu der kleinen Gruppe dazu, die um Gabriel herum vor dem Club steht. Er war es übrigens der uns so komisch zu gewunken hat.
 

„Schau mal, ich hab es geschafft Sammy abzuschleppen.“

Er grinst uns zu und zieht einen Jungen zu sich heran, den ich noch nicht kenne. Klein, braune Locken, treudoofe Augen.

„Der Schwachkopf ist einfach in meine Wohnung gestürmt und hat mich entführt! Schon mal dran gedacht das ich heute noch ein Date gehabt haben könnte?“, beschwert er sich grummelnd.

„Dein Fernseher kann warten, Herzchen. Heute wird gefeiert.“
 

David lacht, Gabriel grinst frech. Was ist Gabriel nur für ein Typ? Macht blöde Witze auf der einen Seite, und flüstert mir böse Drohungen auf der Anderen. Ich kann ihn nicht einschätzen.

Die Anderen mustern mich interessiert und David klärt sie sogleich auf.

„Leute, das ist Kai, ein Freund von mir.“

Ich lächle möglichst freundlich in die Runde. Erster Eindruck und so, soll ja viel ausmachen.
 

„Unser Lockenkopf hier ist Samuel. Oder Sam. Tu ihm den gefallen und nenn ihn nicht Sammy.“

Sams treue Hundeaugen lächeln mich freudig an. Ob er mit den Schwanz wedeln würde, wenn er ein Hund wäre? Okay das war fies. Aber er hat wirklich etwas von ’nem kleinen Beagle oder so.

„Das hier ist Jan.“
 

Jan ist blond, zierlich und hat komische Klamotten an, als würde er versuchen so maskulin wie möglich aus zu sehen und erreicht damit aber genau das Gegenteil. Er bräuchte nicht mal ein Schild um allen mitzuteilen dass er schwul ist. Das wäre dann schon der Dritte auf den ich treffe, und irgendwie habe ich das Gefühl ich ziehe das an wie ein Magnet in letzter Zeit, immerhin hatte ich vorher noch nie mit solchen Dingen zu tun.
 

Ich reiche ihm die Hand und er schlägt ein, versucht aber dabei lässig und männlich zu wirken. Ich muss fast ein bisschen schmunzeln, aber er gibt sich wenigstens Mühe.

„Und das ist Abby. Also eigentlich Abbigail, aber wir nennen sie alle nur Abby.“

Mit den Händen in den Hosentaschen steht sie lässig da, kaut auf einem Kaugummi herum und mir fallen sofort ihre absolut unweiblichen Schuhe auf. So Cowboystiefel mäßig.
 

„Verfickte Scheiße, du bist echt süß.“

„Äh, danke.“ Verdutzt schaue ich sie an.

„Sie ist unsere Quoten Lesbe!“, mischt sich Gabriel Zähne blitzend ein. „Du Kannst mich mal!“, beschwert Abby sich grob.

„Hab dich auch lieb.“

„Hör nicht auf den, ich bin nicht Lesbisch. Fick dich Gab.“

„Das überlass ich lieber anderen.“, gibt er ungerührt zurück und leckt sich demonstrativ über die Lippen…

Ein wenig werde ich rot bei seinen Worten. Das der solche Sachen einfach so selbstverständlich rausposaunen kann… Ob die sich immer so unterhalten? Ich glaube ich bin noch nie so einer bunten Truppe begegnet. Könnte doch noch ganz witzig werden.
 

„So nachdem die Vorstellungsrunde vorbei ist…“

„Hey, du hast die wichtigste Person vergessen. Mich.“

Davids rechte Augenbraue wandert nach oben.

„Er kennt dich schon.“

„Und? Hi, mein Name ist Gabriel, wie der Engel, nur nicht so unschuldig. Ich bin Achtzehn Jahre, fünf Monate und zwölf Tage alt, gehe aufs gleiche Gymnasium wie der Schönling da neben dir und sehe offensichtlich unverschämt gut aus. Meine Hobbys sind Matratzensport und…Hey!“ Abby schiebt ihn grob zu Seite.
 

„Hör auf ihn mit deinem Scheiß zu verschrecken.“ Sie wendet sich mit blitzenden Augen mir zu, dabei fällt mir auf das sie gar nicht geschminkt ist. Ungewohntes Bild, kenne ja nur die Mädchen aus meiner Schule und da ist Schminken so eine Art Leistungssport geworden.

„Hast du ’ne Freundin?“

„Ähm nein.“ Hilflos werfe ich David einen Blick zu, doch er findet das scheinbar total witzig.
 

„Vielleicht hat er ja auch einen Freund? Bei dir müssen alle immer gleich Hetero sein, Abby.“, sagt Gabriel trotzig. Was soll der Mist, ich hatte ihm doch schon mal gesagt das ich nicht…

„Keine Sorge, er ist nicht schwul.“, beruhigt David sie. Klang das jetzt zynisch oder habe ich mir das eingebildet?

„Scheiß die Wand an, ernsthaft?“

Bevor ich antworten kann, mischt sich Gabriel schon wieder ein. „Sei nicht so ordinär, oder willst zu den Kleinen verschrecken?“

„Als wenn ich hier diejenige bin die…“

„Hey, lasst uns doch reingehen.“, fällt ihnen Jan plötzlich verärgert ins Wort.

„Können wir nicht doch lieber woanders hingehen?“, meckert Gabriel und verzeiht sein hübsches Puppengesicht.

„Wir könnten doch ins Guilty gehen.“

„Nein!“ Rufen Sam, Jan und Abby im Chor, wobei letztere noch ein „verfickt!“ hinten dranhängt. David schenkt mir einen bedeutungsvollen Blick, Gabriel schmollt. Dabei schleicht sich die Vorstellung in meinen Kopf, wie Gabriel sich einfach auf den Boden schmeißt, als sei er ein Fünfjähriger im Supermarkt und schreit, weil man ihm keine Süßigkeiten kauft. Das wäre lustig. Ich muss leise kichern. David wirft mir komische Blicke zu.
 


 

Drinnen steuern wir zuerst die Bar an und jeder holt sich ein Bier, außer Sam, der wohl auf Alkohol lieber verzichtet, laut Gabriel wohl weil er zu prüde ist. David erzählt mir aber, dass Sam einfach nur nicht gern Alkohol trinkt. Gabriel fällt auch aus der Reihe, der holt sich nämlich irgendwas exotisch Aussehendes. Einen knallbunten Cocktail mit Schirmchen. Passt aber zu ihm.

Die Musik ist ganz gut, und ich komme nicht umhin ein wenig mit dem Fuß mitzuwippen.
 

„Ist das nicht ein Lied von Nirvana?“, frage ich an David gewandt.

„Eine aufgepeppte Version, ja. Die spielen hier ziemlich alles bunt durcheinander.“

Jan steht direkt neben mir und seine Augen suchen gezielt die tanzende Masse ab.

„Hey guck mal, die sehn doch scharf aus.“ Sein Ellenbogen stößt mich kurz an, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Nickend zeigt er zu einer Gruppe Mädchen, die sich im Takt der Musik anzüglich bewegen und hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen.

Ich bin etwas überrascht.
 

„Meinst du die Mädels?“

„Klar, wen denn sonst?“

„Aber ich dachte, na ja…“

„Was?“

„Ich dachte du wärst schwul.“

Er stöhnt frustriert auf, Gabriel und Abby fangen an zu lachen und klatschen sich feierlich ab.

„Man wieso denkt eigentlich jeder ich bin schwul? Das ist total unfair!“, beschwert sich Jan lautstark.

Verdammt wie peinlich, ich und mein lautes Mundwerk.

„Oh sorry, wirklich. War keine Absicht.“

„Mach dir nichts draus, das passiert ihm dauernd.“, klärt mich David auf.

Jan klingt echt verzweifelt.

„David, ja sogar Gabriel, werden dauernd von hübschen Mädchen angegraben und mich halten immer alle für schwul. Das Leben ist echt scheiße.“

„Hartes Los.“ Ein wenig muss ich grinsen, dabei kenne ich sein Problem ja nur zu gut.

„Ja, Mann, und wie!“

Irgendwie tut er mir leid.
 

Nachdem wir das Bier ausgetrunken haben, mischen wir uns etwas unter die Tanzenden. Na ja, also die anderen tanzen, ich zappel nur ein wenig unbeholfen in der Gegend rum. Abby dreht richtig auf und tanzt sogar David ein wenig an. Aber alles freundschaftlich, nicht anzüglich. Sam scheint ein wenig schüchtern zu sein. Er ist wahrscheinlich eher der Typ, den man übersieht, wenn daneben David und Gabriel tanzen.

Wobei sich Gabriel kurz danach absetzt. Wo er hin ist, erfahre ich erst, als ich später wieder mit David an der Bar stehe und wir uns unterhalten, denn aus den Augenwinkeln sehe ich plötzlich Gabriels Puppengesicht auf der Tanzfläche, wie er mit einem fremden, zugegeben sehr attraktiven Typen, wild herumknutscht.
 

Ich beuge mich zu David, da die Musik sehr laut ist. „Ich dachte das wäre ein normaler Club?“

„Ist es doch auch. Wieso fragst du?“

„Dein Kumpel hat sich da was geangelt.“

Er seufzt schwer. „Typisch.“

„Und die Leute hier drinnen haben gar kein Problem damit?“ Ich sehe ihn lauernd an. Wäre ich mit Basti und Jonas in einem Club und zwei Jungen würden sich wild knutschend um den Hals fallen, würden die Beiden sich sicher ganz anders verhalten, als die Leute hier.

„Okay, du hast mich erwischt. So ganz normal ist der Club wirklich nicht.“ Ich stöhne genervt auf. „David! Ich hab doch gesagt ich will nicht in einen von euren Schwulenclubs!“

„Das ist auch keiner. Also kein Richtiger. Hier kommt jeder her, egal ob hetero, schwul oder lesbisch. Ich bin schon froh, dass Gabriel sich noch auf diesen Schuppen mit uns einigen kann. Außerdem würden sonst Jan und Abby nicht mehr mitkommen können.“

„Und Sam?“

„Der ist zwar stockschwul, aber ein totaler Couchpotato.“

„Sieht man ihm gar nicht an. Das er schwul ist mein ich.“ Sam wirkt überhaupt nicht so, er ist ja praktisch das genaue Gegenteil von Gabriel oder Jan.

David lacht vergnügt.

„Hast du es mir denn angesehen? Und denke mal an Jan und Abby. So etwas kann man nicht nur vom Aussehen her beurteilen.“

„Stimmt. Tut mir leid.“ Ich bin etwas verlegen. Er wuschelt mir nur durch die Haare, anstatt was dazu zu sagen.
 

„Reiß dich mal von deinem Kleinen los, David, ich hab da was Leckeres für dich.“ Plötzlich steht Gabriel vor uns und ich zucke zusammen vor Schreck. Er greift David am Arm und zieht ihn in die tanzende Menge. Unglücklich sehe ich ihm hinterher und bin etwas angepisst, weil die Beiden mich einfach alleine stehen lassen. Also starre ich möglichst grummelig vor mich hin und verfolge mit gedrückten Gefühlen, wie die Beiden zu dem Kerl gehen, mit dem Gabriel bis eben noch rumgefummelt hat.
 

Neben ihm steht eine jüngere Ausgabe von diesem und der Blondschopf stellt ihm scheinbar mit viel zu viel Gestik David vor. Scheiße, was sagen die da? Die Musik ist viel zu laut, kann die nicht mal einer abstellen? Nervös wippe ich mit dem Fuß. David lächelt den Typen an mit seinem typischen Charm und dieser grinst total behämmert zurück.

Soll das etwa erotisch wirken? Der ist doch nicht viel attraktiver als ein Brot mit Armen. Jetzt grabbelt er David an. Wie der Typ wohl ohne Arme aussehen würde? Vielleicht erkennt dann David dass der hässlich ist und Gabriel verkauft den Kerl an jemand anderen.

Ich könnte mich ja mal als Marktschreier versuchen. Brot, kaufen Sie Brot, jetzt auch ohne Arme.
 

Mein Blick wird versperrt. Ich ärgere mich schon und versuche an der Person vorbei zu gucken, bis mir auffällt, dass Abby vor mir steht.

„Du guckst so verfickt angepisst, was passiert?“

„Nee schon gut.“

„Dahinten sind Jan und Sam, kommst du mit oder willst du hier alleine weiter rum stehen?“

„Okay.“, sage ich widerwillig, weil ich mir sonst blöd vorkomme, und werde gleich von ihr mitgezogen. Das Mädel hat einen verdammt festen Griff.
 


 

„Und du wohnst hier in der Gegend?“, fragt Abby mich gerade mit klimpernden Augen, was ungeschminkt irgendwie seine Wirkung verfehlt. Wir stehen etwas abseits, wo die Musik nicht so laut schallt, und unterhalten uns schon eine ganze Weile. Nachdem mir irgendein dämlicher Typ auf den Fuß getreten ist hatte ich keine Lust mehr zu tanzen.

„Nicht ganz, zu mir nach Hause braucht man von hier mindestens eine halbe Stunde. Und du?“

„Zwei Straßen weiter ist eine KFZ-Werkstatt, ist die von meinem Dad, wir wohnen direkt darüber. Hast du Geschwister?“

„Nur eine nervige Schwester, und du?“

„Drei Brüder. Aber mein ältester Bruder wohnt nicht mehr bei uns, ist in so ein verficktes Kaff gezogen wegen seiner Freundin. Jetzt wohnen wir nur noch zu viert.“ Sie nippt gelassen an einem Bier.

„Und deine Mutter?“

„Abgehauen als ich klein war. Mach nicht so ein scheiß Gesicht, Ist schon eeewig her und es juckt mich nicht.“ Sie grinst. An ihre Ausdrucksweise muss ich mich immer noch etwas gewöhnen, weil man nie weiß, ob sie es jetzt nur so dahin sagt oder sie es tatsächlich scheiße findet.
 

„Hey ihr.“ Jan ist zu uns rübergekommen und sieht reichlich gekränkt aus.

„Abgeblitzt?“, frage ich neugierig nach. Er ging vorhin mit der festen Absicht, bei einem Mädchen heute Nacht noch zu landen auf Baggertour. Erst wollte er mich unbedingt dabei haben, aber auf so was habe ich nun wirklich keine Lust. Bin ja nicht Basti. Oder Gabriel.

„Weiß nicht, die Eine sah schon ein wenig interessiert aus.“, sagt er leicht hoffnungsvoll.

„Meinst du die da?“ Abby zeigt auf das hübsche Mädchen mit dem Jan gerade noch gesprochen hat, welches nun aber ziemlich anzüglich mit einer attraktiven Braunhaarigen tanzt. Kurz schauen sie sich in die Augen, bevor ihre Münder wild übereinander herfallen.

„Ach verdammt. Gott hasst mich.“, flucht Jan neben mir.
 

Abby unterhält sich weiter mit mir, was ich gerade ganz angenehm finde. Sie ist irgendwie ganz cool. Nicht so langweilig wie die Schnäpfen an meiner Schule. Jan bläst Trübsaal und nuckelt gedankenverloren an einem neuen Bier herum, was er sich zwischenzeitlich geholt hat.
 

„Na, ganz alleine hier?“

Ein gut gebauter Typ quatscht Jan plötzlich von der Seite an. Der arme Jan bekommt ganz große Augen und bringt kein Wort heraus.

„Ich heiße Kevin, Lust auf ein Bier? Ich gib dir eins aus.“

„Äh, ich äh…bin nicht schwul!“

„Ein normales Nein hätte auch gelangt.“

„Er ist wirklich nicht schwul.“, steht ihm Abby grinsend zur Seite.

Der Typ mustert Jan ausgiebig einmal von oben bis unten.

„Und du bist dir sicher?“

„Ja verdammt!“

„Schon gut, bin ja schon weg.“
 

Mit verzweifeltem Blick wendet Jan sich wieder uns zu.

„Seht ihr? Ich hab’ doch gesagt, dass Gott mich hasst!“ Abby und ich können uns kaum halten vor Lachen und liegen uns prustend in den Armen.

„Das ist nicht lustig.“

„Doch, und wie!“ Abby wischt sich schon die aufkommenden Lachtränen weg.

„Du hättest dein Gesicht sehen sollen.“, ziehe ich ihn weiter auf.

„Scheiße, das muss ich Gabriel erzählen.“

„Ich warne dich Abby, wenn du das tust!“ Er verschränkt die Arme. Vielleicht, weil er denkt dann bedrohlicher zu wirken, aber das macht es nur lustiger!

Abby streckt ihm nur die Zunge raus und läuft davon.

„Verdammt, Abby!“ Und schon ist Jan auch weg.
 


 

Die Lichter blitzen, wandern herum über die tanzenden und zuckenden Leiber. Die Musik dröhnt in den Ohren der Anwesenden und gibt den Takt vor. Inmitten der Masse bewegen sich zwei Körper zu diesem Takt, reiben sich anzüglich aneinander. Hände die ihren Weg an die Hüften des jeweils Anderen finden. Blicke die verführerisch ausgetauscht werden. Dann beugt sich einer der Beiden näher heran und erobert spielerisch die Lippen des Anderen.

Und ich weiß, dass diese Lippen weich und rau zugleich sind.

Scheiße ist mir schlecht.
 

„Spannerst du?“ Ich zucke ertappt zusammen.

„Verdammt, erschreck mich nicht so!“ Gabriels Augen funkeln mich amüsiert an.

„Hat’s dir etwa gefallen?“ Dazu grinst er auch noch anzüglich.

„Halt die Klappe.“

„Sorry, ich wusste nicht, dass unser Prinzesschen schlechte Laune hat.“

„Ich habe keine schlechte Laune.“

„Bist du dir sicher?“ Ich schaue ihm direkt in die Augen und wende mich ab.

„Weißt du Kleiner, ich dachte David könnte das mal gebrauchen.“

„Was? Das du ihm einen neuen Stecher besorgst?“

„Eifersüchtig?“, grinst er.

„Nein.“, sage ich zornig.

„Dann tu nicht so, als würde dich das mitnehmen.“

„Ich tu nicht so! Ich mach mir nur Sorgen, bin ja schließlich auch mit ihm befreundet. Und wer weiß, was der Typ ihm antun kann. David wurde schon mal das Herz gebrochen. Du, als sein Freund, müsstest das doch wissen.“

"Ich kenne ihn länger als du, also belehr mich nicht." Sein Puppengesicht verdunkelt sich etwas.

„Und hey Kleiner…“ Gabriel beugt sich näher zu mir. „…er braucht jemanden zum ficken und nicht fürs Herz. Sei nicht so verklemmt.“ Er lehnt sich wieder zurück.

“Hach ja, Jungfrauen sind wirklich anstrengend.“, säuselt er künstlich.
 

Mein Gesicht schaltet auf Rot. Richtig Rot! Aus mehreren Gründen. Zum einen würde ich gerne Gabriel mit Anlauf ins Gesicht springen. Zum Anderen würde ich mich auch gerne um den Typen kümmern, der an Davids Lippen hängt, während ich mich selbst dafür hasse dies tun zu wollen. Dann wären da noch Gabriels Worte, da ich mir unwillkürlich David beim Sex vorstellen muss. Und die Demütigung wegen dem Spruch mit der Jungfrau. Kann der Typ so was riechen, oder hat David ihm das erzählt? Warum erzählt der ihm sowas?

Viel zu viele Gefühle sind in mir.

Wut, Verzweiflung, Hass, Erregung und Demütigung in einem Kopf.
 

Aus der reinen Unfähigkeit irgendwas tun zu können stürme ich nach Draußen. Der frische Wind pfeift an mir vorbei und tut unendlich gut. Ich muss mich beruhigen…

Ein paar mal laufe ich hektisch im Kreis und schwinge die Arme sinnlos umher.

Einatmen. Ausatmen. Augen schließen. Hmm schon besser. Aber der widerliche Klumpen in meinem Magen will nicht weggehen.

„Kai?“ Jans Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehe sehe ich auch Abby, die Jan beim rauchen Gesellschaft leistet.

„Alles okay?“

„Hmm geht schon.“

„Ist was passiert?“, fragt Abby besorgt.

„Nein.“, antworte ich viel zu schroff.

„Verfickte Scheiße, erzähl einfach.“

Jan zieht an seiner Zigarette und Abby starrt mich weiter zu Boden.

„Es ist Nichts. Nur…Gabriel hat halt Mist erzählt, da bin ich wütend geworden. Ist aber schon wieder okay.“

„Gabriel kann manchmal echt scheiße sein. Soll ich ihm eine reinhauen?“

„Was? Nein! Ich werd’s überleben.“ Beschwichtigend hebe ich die Hände. Will ja nicht an einer Schlägerei Schuld sein, auch wenn die Vorstellung, wie Abby Gabriel eine reinzimmert wirklich reizend ist….nein! Aus!

„Sicher?“

Ich nicke.

„Puh, ein Glück. Gabriel ist nicht zimperlich, aber wenn es um sein Gesicht geht, Mann, das will ich lieber nicht ausprobieren.“, meint sie halbernst.

„Er hätte es eh wieder am nächsten Tag vergessen, sobald ihm einer das Hirn rausgevögelt hat.“, kommentiert Jan trocken und zuckt mit den Schultern.

„Er ist halt so.“

„Hmpf. Ich glaube ich werde nach Hause fahren. Ist eh schon spät.“
 

„Mann, ich weiß was du meinst, bin auch total runter. Ich glaub ich werde mitkommen.“ Jan zieht ein letztes Mal an seiner Zigarette und drückt sie an einem Mülleimer aus.

„Bleibst du noch Abby?“, fragt er.

„Ich komme auch mit.“ Sie läuft zwischen uns und legt die Arme über unsere Schultern. Bei ihrer Körpergröße auch kein Problem. Abby ist ein richtiges Mannsweib, wie aus dem Buche. Allerdings ohne Muskeln, einem wirklich hübschen Gesicht und einer schlanken, fraulichen Figur. Gemeinsam verlassen wir diesen schrecklichen Ort und in meinem Kopf spukt weiter dieses Bild von David herum, der einen Anderen küsst.
 


 


 


 

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PS
 

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich mag Abby :3

Weil sich die Welt weiter dreht

*
 

Ich weiß nicht ob ich jemals so schlecht geschlafen habe in meinem Leben wie in dieser Nacht. Träume können schön sein. Manchmal sind sie aber auch nur grausam. Brote mit Puppengesichtern verfolgen mich und eine monströse Abby beschützt uns, in dem sie der Gestalt die Arme abhakt.

Ich schlafe, für eine kurze Zeit, nur um wieder aufzuschrecken. In meinem Kopf ist ein Strudel von Gedanken und Gefühlen. Er zieht mich mit in die endlose Leere und hinterlässt nur einen widerlichen Geschmack.

Was David wohl gerade tut? Wälzt er sich zusammen mit dem Jungen durch die Laken? Oder habe ich zu viel Fantasie? Und auch wenn, es sollte mich nicht stören, er kann doch machen was er will…er hat keine Verpflichtungen an mich. An einen Freund. Nur ein Freund…

Aber es tut weh, die Vorstellung. Die Bilder.

Mein Herz tut weh…

Ich will nicht. Das ist zu viel für meine Welt, die doch normal ist, normal sein sollte.

Als Kind hatte ich einen Kassettenrekorder, der bestimmt immer noch irgendwo in meinem Schrank liegt. Unsere Oma brachte uns immer tolle Hörspiele für Kinder mit. Ich habe diese Geschichten geliebt und wenn dort etwas Schreckliches passiert ist, habe ich einfach wieder zurückgespult an den Anfang, als alles noch toll war. Eine Welt ohne Probleme, ohne Sorgen.

Ich will das jetzt auch tun. Einfach so. Zurückspulen an den Anfang, als ich David in unserer Küche sitzen sah. Als die Welt noch in Ordnung war und noch nicht diese seltsamen Gefühle in meinem Herzen tobten, die ich nicht verstehen kann…
 

Den ganzen Morgen bin ich unkonzentriert, weiß nicht was ich mit mir anfangen soll. Meine Mutter wirbelt durchs Haus und ist mit putzen und kochen beschäftigt, da unsere Familie heute Besuch erwartet. Mum liebt Familienfeiern einfach, noch viel mehr, wenn sie voller Stolz vor der versammelten Familie ihren zukünftigen Schwiegersohn präsentieren kann.

Ich weiß nicht ob sie unglücklich ist, dass ich keine Freundin habe, die sie vorstellen kann. Bestimmt, aber sie lässt es sich nicht anmerken. Ich hoffe sie ist genug damit beschäftigt Sheila und Mathias zu betuddeln.
 

Leider komme ich trotzdem nicht dazu den Trauerklos im Bett zu spielen, da Mum mich dazu drängt aufzustehen. Heute ist Familienfrühstück angesagt, mit der ganzen Familie. Also muss ich. Sheila auch, die genauso verschlafen aussieht. Wir schauen uns an und tauschen vielsagende Blicke aus. Stumme Worte, die so was sagen wie: Fällt dir auch keine gute Ausrede ein um wieder ins Bett zu kriechen?

Manchmal funktioniert dieses Geschwisterding doch noch zwischen uns, auch wenn wir uns verändert haben.
 

Es ist immer noch Vormittag, ich sitze auf dem weichen Rasen in unserem Garten. Dad’s Lieblingshobby ist es den ganzen Tag über den Rasen zu schleichen und alles auszureißen was nicht dahingehört. Sogar kleine, unschuldige Gänseblümchen, die noch ihr ganzes Leben vor sich gehabt hätten.

„Weil ich das mache, ist der Rasen so gut gepflegt, merk dir das Junge. Später wirst du deinen eigenen Rasen pflegen müssen.“, hatte Dad mal in einem seiner Rasengespräche gesagt, als ich ihn bat doch wenigstens die Gänseblümchen stehen zu lassen, da ich sie mag.

Ich will gar keinen Rasen pflegen müssen. Den ganzen Tag kleine Blumen aus der Erde reißen. Viel zu anstrengend. Ich will einfach hier bleiben, bei Dad, und ihn das machen lassen, wenn er doch so viel Freude daran hat.
 

Unschlüssig sehe ich auf mein Handy. Soll ich ihn anrufen? Vorhin war ich kurz am PC, um zu sehen ob er bei Facebook online ist. Aber David war nicht online. Sowieso ist das nicht so mein Ding, da ich lieber direkt mit meinen Freunden rede.

Aber wenn ich ihn anrufe störe ich vielleicht. Was sollte ich auch fragen? Hey, sorry dass ich gestern so schnell abgehauen bin. Wie war der Abend noch, hoffe der Sex war gut? Oder, Morgen Schatz, ich glaube ich fühl doch was für dich, lass das Brot fallen, komm rüber und wir treiben es wie die Karnickel.

Oje, Kai, schalt mal wieder einen Gang runter.
 

Ich weiß doch noch nicht einmal, was ich fühle. Ich kann nicht plötzlich schwul sein. Was würden Basti und Jonas dazu sagen? So was geht nicht von einen Tag auf den anderen. Außerdem ist das vielleicht auch gar nicht so. Ich bin einfach nur verwirrt. Die Küsse, Davids komische Komplimente.

Ja, vielleicht bin ich auch einfach tief in meinem Herzen ein super brutaler Macho und finde es toll wenn andere mir Komplimente machen.

Und Schweine können fliegen.
 

Schließlich ringe ich mich doch dazu durch und wähle seine Nummer, und bin enttäuscht als seine Mailbox rangeht. Verdammt!

Eine freundliche Telefonstimme bittet mich eine Nachricht zu hinterlassen. Ich will aber keine Nachricht hinterlassen. Ich will mit ihm reden.

Verstimmt lege ich auf und verkrümel mich in mein Zimmer.
 

Leider dauert es nicht lange und ich habe wieder das Handy in der Hand und klicke mich frustriert durch meine kurze Nummernliste, bis ich bei Abbys Nummer hängen bleibe. Gestern habe ich noch mit Jan und Abby Telefonnummern ausgetauscht um in Kontakt zu bleiben.

Kurzerhand drücke ich auf wählen. Warum auch nicht?
 


 

„Sag mal kennst du eigentlich Freddy Lehma?“

„Du meinst den Schwimmer? Ja, habe mir mal ein Wettkampfvideo angesehen, wo er bei war.“

„Privat kennst du ihn nicht zufällig?“, säuselt Abbys Stimme durchs Telefon.

„Abby! Ich war nur mal in einem Verein, und das ist Jahre her! Ich kenne keine berühmten Sportler.“

„Verdammt, der ist verfickt niedlich.“

Ich muss lachen bei ihren Worten. Abby steht total auf den niedlichen Typ. Hätte ich nicht erwartet, bei ihrer robusten Art könnte man meinen sie wollte sich am liebsten einen Bodybuilder als Freund angeln. Aber so ist sie nicht. Nein, bei ihr müssen die Jungs möglichst klein, süß und unschuldig aussehen.

Bei dem Gedanken schiele ich an mir herunter und erinnere mich etwas unglücklich daran, dass sie auch mich gestern süß fand. Nicht gerade ein Kompliment, wenn man bedenkt auf welche Typen sie steht.
 

Wir telefonieren bestimmt schon fast eine Stunde, und mir geht es besser. Abbys Art zu reden ist toll und ich glaube ich habe mich noch nie so offen mit einem Mädchen unterhalten. Man braucht einfach kein Blatt vor den Mund zu nehmen und bei einigen ihrer Ausdrücke bekomme sogar ich rote Ohren.

„Hey, was machst du heute eigentlich noch so?“, frage ich sie weil mir spontan eine Idee kommt.

„Eigentlich wollte ich noch mit Tobi an seinem Auto rumschrauben, aber der hat sich heute früh auf die Fresse gelegt und den Fuß verstaucht.“

„Also hast du Zeit?“

„Jup.“

„Hast du nicht Lust vorbei zu kommen? Wir haben heute so eine ätzend langweilige Familienfeier und ich glaube alleine steh ich das nicht durch.“

„Klar komm ich.“

Und damit ist es beschlossen. Ich gebe ihr meine Adresse durch und gegen Mittag mache ich mich auf den Weg zur Straßenbahnstation, weil ich ihr versprochen habe sie abzuholen.
 


 

„Hallo Kai!“, ruft mir Abby fröhlich entgegen, als sie aus der Bahn steigt. Ihre braunen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden und sie trägt heute ganz ähnliche Sachen wie gestern. Ein kariertes Hemd, Jeanshose und einen breiten Ledergürtel, der stark an ‚wild west’ erinnert.

Lachen springt sie auf mich zu und nimmt mich stürmisch in den Arm, als hätten wir uns ewig nicht gesehen.

„Du erwürgst mich Abby!“, meine ich halbernst und muss ebenfalls lachen.

„Hey, geht es wirklich klar, dass ich komme? Ist ja immerhin eine Familienfete.“ Wir machen uns auf den Weg zu mir und Abby hat sich wie selbstverständlich bei mir untergehakt.

„Ja, meine Ma hat nichts dagegen. Aber pass auf, sie ist ein wenig komisch, wenn es darum geht dass ich Mädchen mitbringe. Es Kann sein, dass sie dich deshalb anspricht.“

Ich hatte meine Eltern vorhin noch schnell gefragt und Mum hat sich, milde gesagt, total erfreut, weil ich in Eigeninitiative ein Mädchen mitbringen will. Ich hoffe sie hat verstanden, dass Abby nur eine Freundin und nicht meine feste Freundin ist.

„Ach, und es wäre toll wenn du nicht erwähnst das David…nun ja...schwul ist.“

Erstaunt sieht sie mich an und mir ist es etwas unangenehm.

„Weiß sie es nicht? David meinte, ihr macht viel zusammen.“

„Nein, ich weiß nicht wie meine Eltern reagieren würden, deshalb will ich es erstmal nicht breittreten. Du kennst das doch bestimmt, ich mein du wohnst doch in einem Männerhaushalt.“

Sie lacht. „Verfickt, mein Vater wartet mit gierigen Fingern darauf dass ich ihm eine Schwiegertochter vorstelle.“

„Nicht dein Ernst?“

„Doch.“

„Dein Dad ist cool. Ich wette meiner würde da nicht so locker drauf reagieren.“

„Ich glaube damit kann er einfach besser umgehen. Er hat’s nicht so mit dem ganzen Mädchenkram. Zu meinem letzten Geburtstag hab ich ein Dremelset bekommen.“

„Okay, aber das geht doch noch.“

„Stell dir mal vor deine Eltern schenken dir ein Schminkset.“

„Oje.“

„Genau.“
 


 

Zuhause ist inzwischen das Haus rappelvoll. Meine Großeltern sind mal wieder viel zu früh dagewesen, aber inzwischen sind auch meine zwei Tanten und mein Onkel samt Kind und Kegel da. Ich mag meinen Onkel, er ist so ein verrückter Kauz, der an Verschwörungstheorien glaubt und Star Trek für Pflichtlektüre hält. Dafür ist er nicht so verschroben und will mir seit ich acht bin einen Ohrring aufquatschen, was ich aber jedes Mal ausschlage. Einmal habe ich sogar kurz überlegt. Aber wirklich nur einen winzig kurzen Moment. Der Grund? Der Blick meiner Mutter wäre einfach göttlich gewesen!

Aber das war es dann doch nicht wert, und mit vierzehn kommt man schon mal auf so dumme Ideen. Na gut, mit sechs wollte ich mal rosa Haare haben, weil ich den rosaroten Panther so toll fand und wäre meine Mutter nicht gewesen, hätte ich wohl die Fotos meiner Schuleinweihung verbrennen müssen.
 

Lautes Fußgetrappel kommt uns entgegen, als wir durchs Wohnzimmer gehen, da von hier aus die Terrassentür nach draußen führt.

„Kaiii!“, kreischt eine kleine, mir sehr bekannte Stimme.

„Oh ihr seid aber süß.“, begrüßt Abby meinen kleinen Cousin und einen weiteren Jungen, der uns mit einem von Schokolade verschmierten Mund angrinst.

„Bist du seine Freundin? Hallo, ich heiße Maik. Und du?“, fragt mein Cousin mit dieser typischen quitschigen Stimme. Ich werde etwas verlegen.

„Das ist Abby, und jetzt hört auf meinen Besuch zu nerven.“

Doch Maik zieht sofort die Kleinkindnummer ab mit Schmollmund und bitterbösem Blick. Das ist voll unfair, wenn ich das machen würde, würden mich alle für grenzdebil halten. Kinder haben es da echt gut.

„Das ist mein kleiner Cousin.“, kläre ich Abby auf.

„Ich bin schon fünf!“, sagt er stolz.

„Trotzdem noch klein.“ Er streckt mir die Zunge raus und ich kneife ihm scherzhaft in die Nase.

„Und wer ist das?“, frage ich meinen Cousin und deute auf den anderen Jungen, der immer noch schüchtern neben uns steht und gar nichts sagt. Maik war ja schon immer ein Plappermaul, das kann schon mal etwas einschüchternd sein.

„La…Laonäl.“ In dem Moment kommt meine Tante in einem geblümten Sommerkleid herein um uns zu begrüßen und die beiden Kleinen stürmen auf sie zu. Lächelnd gibt sie uns die Hand.

„Er heißt eigentlich Lionel, aber ihm fällt es schwer den Namen auszusprechen. Die Beiden gehen in denselben Kindergarten. Oh, und du bist?“, fragt sie an Abby gewand.

„Hi, ich bin Abby, eine Freundin von Kai.“

„Freut mich, ich heiße Carola. Ach ja, Kai, weißt du wo die Kuchenteller sind?“

„Ähm, der hinterste Schrank in der Küche.“

Damit ist meine Tante auch schon verschwunden, nur die beiden Kleinen stürmen wieder zu uns zurück.

„Willst du gar nichts sagen?“, frage ich Lionel, doch er schüttelt nur schüchtern den Kopf.

„Kaii, spielst du mit uns? Du Auch!“, wendet er sich mit großen, kindlichen Augen an Abby und es dauert eine Weile eh wir uns von den Kindern loseisen können.
 

Abby schlägt sich erstaunlich gut, und versucht sogar ihren Wortschatz im Zaum zu halten aufgrund der Kinder, denn davon gibt es insgesamt drei, da meine andere Tante ebenfalls ihre kleine Tochter mitgebracht hat, die nur ein Jahr älter ist als mein Cousin.

Meine Tanten sind viel jünger als meine Mutter und haben recht spät erst selber Kinder bekommen, deshalb der große Altersunterschied. Aber mich stört es nicht, wenn meine Cousins noch so klein sind. Nur Sheila meckert manchmal, weil sie schon gerne eine Cousine in ihrem Alter gehabt hätte.
 

Irgendwann stößt Mathias dann zu uns und ich bin etwas überrascht, als mich Abby fragt wer das ist.

„Davids Bruder, kennst du ihn nicht?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nein, also David hat glaube ich mal einen Bruder erwähnt, aber ich war noch nie bei ihm zu Hause. Wir kennen uns noch nicht so lange. Aber sag mal, er sieht ihm gar nicht ähnlich, oder?“

„Sie sind auch nur Halbbrüder.“

„Was flüstert ihr denn da? Ach die Jugend von heute, immer nur am tuscheln. Aber eine hübsche Freundin hast du da, mein Kind. Wie war noch dein Name?“, mischt sich meine Oma plötzlich ein und rückt ihre dicke Brille zurecht.

„Abigail, aber alle nennen mich Abby.“

„Wirklich eine schöne junge Dame hast du da. Und so höflich.“ Sie kennt ja auch Abbys Wortschatz noch nicht.

„Ach Emma, lass doch den Jungen, er ist schon ganz verlegen.“, wirft nun Opa ein, und auch die anderen lachen schon amüsiert. Dad beugt sich plötzlich zu uns rüber und lächelt verschmitzt.

„Halt durch Junge, deine Schwester hat das auch schon durch.“

Meine Mutter lacht hell auf und ich ahne schon wieder böses.

„Ja, unser Kai ist jetzt auch schon bald ein Mann. Aber versprich mir nicht zu übertreiben, ja? Noch will ich nicht Oma werden.“

Meine Wangen glühen und auch Abby ist die Situation offensichtlich peinlich. Zumindest schenkt sie mir ein schiefes Lächeln.

„Ma, so ist das nicht, Abby ist nur eine Freundin.“

„Ach ja? Schade, aber wo nichts ist kann ja noch was werden. Unser Kai ist leider viel zu schüchtern. Ich fürchte, dass wird nie was, wenn die Mädchen nicht von selbst die Initiative ergreifen.“, seufzt meine Mutter theatralisch und zwinkert Abby zu. Ich rolle nur mit den Augen.

„Dein Kai ist anwesend, Mum. Und wir sind wirklich nur Freunde.“ Verzweifelt schaue ich zu meinem einzigen Onkel, der sofort zu verstehen scheint.

„Äh…Charlotte, hast du nicht noch ein Stück von deinem fantastischen Erdbeerkuchen?“ Onkel Klemens, der Retter in der Not.

„Ja, sicher. Ich hol dir noch ein Stück. Mit Sahne?“
 

Am Nachmittag wird es etwas entspannter, meine Tante tauscht mit meiner Mutter irgendwelche Rezepte aus, Vater und Opa führen Rasengespräche und mein Kopf schwirrt von Erklärungen durch Onkel Klemens, der uns versucht zu beweisen, dass Star Trek Vorreiter war für alle möglichen Erfindungen.

Die Kinder tanzen auf dem Rasen, weil Dad Musik angemacht hat, sein zweites, großes Hobby. Marie, meine andere kleine Cousine, versucht die ganze Zeit mit Maik zu tanzen, doch er blockt ab und sie läuft schmollend zu ihrer Mutter, während Maik nur Augen für seinen Freund hat.

Beide Jungen halten sich gegenseitig an den Schultern und stolpern etwas unbeholfen herum, wahrscheinlich in dem Versuch einen Walzer zu imitieren. Aber sie sehen glücklich dabei aus und ihre glänzenden Augen lachen.

„Du lächelst so selig.“, flüstert Abby neben mir. Erschrocken merke ich, dass sie ebenfalls Maik und Lionel beobachtet.

„Die Beiden sind aber auch süß zusammen.“

„Ja…“, flüstere ich zurück. „…in dem Alter können sie wenigstens noch so unbeschwert miteinander umgehen.“

„Später nicht mehr?“

„Nein…da ist alles so…kompliziert.“

„Das muss es aber nicht sein.“

„Aber es ist so. Und man kann es nicht ändern.“

„Verfickt, natürlich kann man das ändern. Man braucht nur Mut. “

„Hmm vielleicht hast du ja recht.“

„Klar hab ich das. Das musst du noch lernen Kai, Abby hat immer recht.“ Sie grinst mich herzlich an, und ich bin etwas traurig, weil sie noch nicht einmal weiß, worüber ich rede.
 

Aus den Augenwinkeln sehe ich Marie, wie sie am Kleid ihrer Mutter herumzupft.

„Was ist denn Schatz?“

„Mama, Maik will nicht tanzen. Er tanzt immer nur mit dem doofen Lionel.“

Sie steht auf und geht auf das tanzende Pärchen zu. „Maik? Willst du denn nicht mit Marie tanzen?“, fragt sie sanft.

„Nö.“, sagt er trotzig.

„Warum denn nicht?.“

„Ich will nicht.“

„Aber du kannst nicht immer nur mit deinem Freund tanzen.“

„Warum nicht?“, fragt Maik mit seiner kindlichen Unschuld.

„Weil Jungs nun mal mit Mädchen tanzen sollten. Ein Junge tanzt nicht mit einem anderen, das gehört sich nicht.“

Mir wird ganz flau im Magen.

„Mädchen sind aber doof.“

Mein Opa lacht laut auf. „Ja ja, in dem Alter finden sie noch Mädchen doof und in ein paar Jahren bekommt man sie kaum wieder von ihren Röcken los.“

Allgemeines Gelächter. Außer ich. In mir lacht nichts. Ich finde das nicht lustig. Warum muss das so sein? Maik sollte mit so vielen Jungen tanzen können, wie er will. Warum dreht sich die Welt nur immer wieder gleich?

„Lass ihn doch mit Lionel tanzen.“ Mein Mund bewegt sich, ohne dass ich vorher darüber nachgedacht habe.

„Er ist erst fünf, da ist nichts dabei.“

Abby nickt um meine Worte zu bekräftigen, und ich kann regelrecht ihre Gedanken lesen: "Da hat er, verfickt noch mal, recht."

„Nein nein, das kommt gar nicht in frage, was sollen denn die Nachbarn von deiner Familie denken? Wo kommen wir denn da hin! Knaben die mit Knaben tanzen, also wirklich.“ Mein Opa schüttelt allwissend den Kopf und in meinem Magen rutscht der Kloß noch etwas tiefer.

Meine Lippen pressen sich schmerzhaft aufeinander.

„Willst du noch etwas vom Salat?“, fragt mich meine Mutter, die anscheinend kein Problem an dem ganzen Gespräch sieht.

Ich verneine gepresst. Mir ist der Appetit vergangen.
 


 

Als es spät wird und alle sich aufbruchsfertig machen, verabschiede ich auch Abby an der Tür. Der Rest des Nachmittags ist irgendwie nur mäßig vergangen und selbst Abby hat es nicht geschafft mich wieder aus meinen trüben Gedanken zu holen, die mich schon die ganze Zeit quälen.

„Hey hast du nicht mal Lust mich zu besuchen? Ich kann dir unsere Werkstatt zeigen.“ Ich öffne ihr gerade die Haustür, während sie nach ihrem Rucksack greift.

„Ja klar.“

Ich glaube Abby merkt dass mich etwas beschäftigt, doch sie fragt nicht weiter nach.

„Gut, dann ruf mich einfach an.“

„Klar, mach ich.“ Ich versuche ein Lächeln und sie klopft mir kumpelhaft gegen die Schulter. Dann geht sie und ich höre noch wie sie zu sich selbst murmelt.

„Leck mich, endlich kann ich wieder normal reden.“

Jetzt muss ich doch grinsen. Verrückte Abby.
 

Als ich gerade die Treppe hoch in mein Zimmer gehen will höre ich Mum aus der Küche rufen und seufze frustriert.

„Was ist denn?“

Sie steht vor dem Geschirrspüler und räumt gerade die letzten Teller ein.

"Ich wollte nur wissen, wie dir die Feier gefallen hat?"

"Hmm war okay.", nurmle ich ausweichend.

„Abby scheint ein nettes Mädchen zu sein.“, kommt sie gleich auf den Punkt.

„Mum, bitte! Ich hab dir schon tausend Mal gesagt…“

„Ja, ich weiß, Spatz, aber gebe ihr wenigstens eine Chance, ja? Sie ist ein wirklich nettes Mädchen, auch wenn sie vielleicht ein wenig alt ist.“

„Sie ist erst Neunzehn, das ist nicht alt.“ Sie hat mir ihr Alter bereits heute früh am Telefon verraten, als wir die üblichen Themen durchgegangen sind wie Hobbys, Lieblingsband und so weiter.

„Aber immerhin ist sie schon volljährig.“

„Das ist David auch.“

„Schatz, du weißt doch worauf ich hinaus will. Sie ist viel älter als du, passt einfach auf, okay?“

„Mum, wir sind nicht zusammen.“

„Schon gut, Schatz, aber falls sich das ändert, nun ja. Du weißt dass dein Vater und ich immer für dich da sind, falls du fragen hast.“ Sie lächelt mich herzlich an, und für einen Augenblick kann ich ihr schon nicht mehr böse sein, dass sie mir gerade ein Aufklärungsgespräch aufdrängt.
 

„Und sollte es wirklich nicht passen. Nun ja.“ Sie ringt etwas nervös mit den Händen und verwirrt ziehe ich die Stirn kraus.

„Weißt du, Katrin würde sich vielleicht wirklich freuen, wenn du sie mal wieder anrufst.“ Nicht schon wieder diese Sumpfkuh. Die soll sich verziehen und Heu kauen gehen.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Nun, Gestern, als du nicht da warst, da rief sie an und…“

„Sie hat hier angerufen???“, platze ich aufgrund dieser total surrealen Information dazwischen.

„Ja, gestern. Und ich habe mit ihr geredet und ich denke, dass ihr noch was an dir liegt. Du solltest sie mal anrufen Kai. Vielleicht könnt ihr ja euren Streit beilegen.“

Mir wird wieder schlecht und ich glaube alle Farbe ist aus meinem Gesicht gewichen.

„Hat die Sumpf…äh hat Katrin dir etwas davon erzählt?“

„Nein, aber sie klang ein wenig bedrückt. Willst du mir nicht erzählen was passiert ist, Schatz?“

„Mum, also…weißt du, das ist so ein Jungending. Das verstehst du nicht.“ Sie schaut etwas gekränkt und stellt einen dreckigen Teller gedankenverloren in die Spüle, anstatt in den Geschirrspüler, wo er eigentlich hingehört.

„Willst du vielleicht mit deinem Vater darüber reden?“

„Ma, es ist nichts, okay? Ich geh jetzt ins Bett.“, meine ich verlegen und marschiere aufgewühlt die Treppe hoch.

Es verletzt mich etwas, sie so enttäuscht zu sehen, doch ich weiß nicht was ich sonst machen soll. Ihr kann ich wohl unmöglich erzählen was mich wirklich bedrückt. Meinem Vater, oder Sheila genauso wenig.
 

Ich greife gerade nach der Türklinke meiner Zimmertür als ich meine Schwester hinter mir höre.

„Kai? Kann ich kurz mit dir reden?“

Verblüfft drehe ich mich um und sie winkt mich zu sich ins Zimmer.

„Weswegen denn?“

Jetzt beginnt auch sie mir bedrückte Blicke zuzuwerfen. Was ist nur heute für ein schrecklicher Tag?

„Ich wollte mich entschuldigen.“, meint sie ernst.

„Okay. Ähm, weswegen?“ Ist ja nicht so als wäre die Liste sonderlich klein wofür ich eine Entschuldigung von ihr verdient hätte. Das reicht von meinem Schaukelpferd, welches sie mir mit vier Jahren zertrümmert hat, bis zu der Aktion von Freitag mit Mathias Drohung.

„Es tut mir wirklich leid. Ich wollte nicht, dass es so ausartet, nur…ich habe mir Sorgen gemacht, dass er dich anmacht oder so und dann habe ich Mathias gebeten mit ihm zu reden.“

„Und das nur weil er schwul ist? Du hattest wirklich keinen Grund dazu. David ist in Ordnung.“

„Ich habe vielleicht etwas überreagiert.“

„Etwas?“

„Ja okay, vielleicht nicht nur etwas. Aber ich habe mir halt Sorgen um mein kleines Brüderchen gemacht. Ich werde noch mal mit Mathias reden wegen David. Mach dir darum keine Gedanken.“ Ihr Lächeln, welches sie mir zuwirft ist etwas schief, aber ich kann sehen, dass sie es tatsächlich ehrlich meint.

„Ich bin gar nicht mehr so klein. Ich kann auf mich selbst aufpassen.“, murmle ich noch etwas verstimmt.

„Ja das sehe ich.“ Sheila sieht mich skeptisch an, grinst dann aber wieder.

„Stehst jetzt auf Ältere, hmm?“

„Was? Nein, so ist das wirklich nicht!“, wehre ich ab, doch sie geht gar nicht darauf ein.

„Ja ja, schon klar, du willst mir nichts erzählen. Aber wehe ich werde jetzt schon Tante, klar? Dafür bin ich noch viiiieel zu jung!“, säuselt sie, indem sie die Stimme meiner Mutter imitiert.

„Blöde Kuh!“ Ich werfe ihr lachend ein Kissen zu und sie wehrt es schreiend ab.

„Selber, und werfen tust du wie ein Mädchen!“
 


 

Seufzend klicke ich mich schon wieder durch mein Handy, und das bereits seit einer Stunde. Drei weitere Male habe ich versucht David anzurufen, aber immer nur die Mailbox. Warum ist sein Handy aus? Langsam mache ich mir Sorgen ob etwas passiert ist. Aber dann hätte Mathias vorhin was erwähnt, oder? Also ist alles okay. Hoffe ich…

Vielleicht ist der Junge aus dem Club ja noch bei ihm und er hat deshalb vergessen sein Handy anzuschalten. Bestimmt sind sie vollauf miteinander beschäftigt, denke ich grimmig.
 

Schnell will ich die Bilder aussperren, doch es geht nicht. Sie sind da. Genauso die Gedanken, denen ich schon den ganzen Tag aus dem Weg gehe. Scheiße...Jetzt stelle ich es mir schon wieder vor.

David, wie er jemand anderen berührt, zärtlich und leidenschaftlich. Wie es sich wohl anfühlt? Bei dem letzten Kuss von ihm hat er mich auch berührt, doch ich war zu verwirrt, um es wirklich zu spüren. Betrübt streiche ich mir durch die Haare, so wie es sonst nur David macht.

Irgendwie vermisse ich seine Berührungen, die liebevolle Art, wenn er mir durch die Haare fährt.

Sein letzter Kuss. War er das wirklich? Der Letzte? Was ist, wenn er diesmal sein Versprechen hält und mich nie wieder streichelt, oder küsst… Will ich es denn überhaupt, von ihm geküsst werden?
 

Ich weiß immer noch nicht was ich tun soll. Es ist da, in meinem Kopf, die Gewissheit, dass nicht alles eine Lüge ist, was mein Körper mir vorspielt. Ich fühle etwas. Irgendetwas, doch ich kann es immer noch nicht definieren. Der Gedanke allein, dass David, ein Junge, jedes Mal, wenn er mich küsst, dieses Kribbeln tief in mir auslösen kann, lässt mich erschrecken.

Scheiße, was ist nur mit mir los? Warum waren nicht einfach Katrins Küsse so…intensiv und schön, wie die Seinen es sind. Das wäre um so vieles einfacher. Nicht so kompliziert. Es würde passen und niemanden stört es. Mum würde sich freuen, Opa und Oma währen stolz wie Otto und Dad könnte weiter beruhigt seine Rasengespräche mit den Nachbarn führen.
 

Doch mit David wäre es anders. Niemand würde es verstehen, nicht mal ich selbst tue das ja. Will ich es denn wirklich? Was ist, wenn ich dann doch merke, dass alles nur eine verwirrte Phase, eine verrückte Lüge ist? Ich kann ja schlecht einfach ausprobieren, ob ich schwul bin, und dann hinterher sagen: „Sorry, habe mich doch geirrt.“

Das kann ich nicht riskieren. Abby hat diesmal leider nicht recht. Es ist zu kompliziert und ich kann es nicht ändern.

Jungs tanzen nun mal nicht mit Jungs.
 

*



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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von: abgemeldet
2015-04-05T18:11:08+00:00 05.04.2015 20:11
TT^TT man,das Ende vom Kapi ist so deprimierent
Aber Abby ist wirklich cool und ihr letzter Satz beim Verabschieden war einfach klasse.
Nur ich frag was David die ganze Zeit treibt,mhm....hoffentlich finde ich das bald heraus^^
(übrigens wieder ein super Kapi ;3)
Von: abgemeldet
2015-04-03T09:09:03+00:00 03.04.2015 11:09
Ui,ui,ui wiedermal ein tolles Kapi^^
Ich mag die ganzen neuen Leute
und endlich mal wieder neue Gesichter.
Mein Liebling ist bis jetzt von den Neuen auf jedenfall Abby <3 die ist irgendwie cool
Aber bei David weiß ich grad nicht so recht,
also man kann verstehen das er auch mal wieder Luft rauslassen muss (sozusagen)
aber am liebsten würde ich ihn von dem Fremden wegreißen und auf Kai schmeißen..NYA!!
Ich freu mich auf jedenfall auf das nächste Kapitel,hoffe es kommt bald^^
Deine Geschichte konnte mich überzeugen und ich werde jedenfalls weiterhin treu weiterlesen ;3

LG Yuki
Antwort von:  ellenorberlin
03.04.2015 11:13
Hehe das ist toll =^-^= Ich werd mir Mühe geben, dir bald wieder neuen Lesestoff zu geben.
Bis dahin, ich habe noch ein paar andere FF's die dir gefallen könnten. Schau mal bei Leben und Lieben rein ;P
Liebe Grüße!
Antwort von: abgemeldet
03.04.2015 11:14
okay werd ich machen :3
Von: abgemeldet
2015-04-03T08:37:13+00:00 03.04.2015 10:37
Pyaaaww!! x0x
Erstmal verschnaufen, man war das ein aufregendes Kapitel
Aber Doof ist es schon, dass Mathias es Kais Eltern sagen will.
Kann er seinen (Halb)Bruder nicht mal in Ruhe lassen,man der nervt
und jetzt ist auch noch Sheila auf seiner Seite,
dabei fand ich die bis jetzt gar nicht mal so schlimm..ARG!! >.<
Und das mit dem Kuss....Also ich persönlich schlage hier Räder (oder versuche es zumindest),
weil ich das total feiere,aber David ist hiingegen total verzweifelt,mannn..
Naja,ab zum nächsten Kapitel^^
Von: abgemeldet
2015-04-02T21:42:37+00:00 02.04.2015 23:42
Ah WAOOWWW!!!!!
Das ist bist jetzt mein absolutes Lieblingkapi <3<3<3
OMG soo rührend und cool und NYAAAAAAAAA!!
Ehrlich!Danke,dass du so eine tolle Geschichte geschrieben hast (und immernoch weiterschreibst)
Ich fühl mich grade wie auf Wolke 7
Wirklich richtig tolles gefühlvolles Kapitel,ich könnte heulen TT^TT so toll
Von: abgemeldet
2015-04-02T20:43:21+00:00 02.04.2015 22:43
YAYYY!!<3
Endlich geküsst!Herzlichen Glückwunsch *mit Konfetti durch die Gegend werf*
Man war das wiedermal ein himmlisches Kapi,man ich liebe diese Geschichte <333
Antwort von:  ellenorberlin
02.04.2015 22:46
Das freud mich total X///D bei solchen Kommis schreibt man doch gerne FF's =^-^=
hehe, es wird noch besser, lies schnell weiter xD~
Von: abgemeldet
2015-04-02T20:09:20+00:00 02.04.2015 22:09
Awww >3<
Was für ein tolles Kapitel,diese Amma ist wirklich toll
und ich hätte jetzt nicht gedacht das er ihn zu so etwas mitnimmt,
geschweigeden wusste ich nicht mal,dass es solche Veranstaltungen gibt.
Mannn...
aber die Mutter musste mal wieder die Stimmung vertreiben
und Sheila ist auch nicht ganz fair,weiß sie überhaupt,was mit Basti passiert ist?
Naja..TO THE NEXT CHAPTER X3
Von: abgemeldet
2015-04-02T19:35:38+00:00 02.04.2015 21:35
Awww<3
Man ist da was los gewesen,ein richtig turbolentes Kapitel
Und ich hätte jetzt wirklich nicht,dass Basti mit Katrin schläft (doofer Basti ò^ó)
Aber die gute Nachricht ist:
David und Kai sind sich endlich näher gekommen <3 (Go David!!)
Von: abgemeldet
2015-04-02T19:01:49+00:00 02.04.2015 21:01
bam bam bammm...
Man was für eine Wendung
Irgendwie tut mir Katrin ja auch leid,
aber irgenwie...mochte ich die noch nie so richtig
Ich hoffe aber trotzdem,dass sie sich damit abfindet.
Von: abgemeldet
2015-04-02T17:47:37+00:00 02.04.2015 19:47
Yay!David heißt er also,hehe~
Vielleicht sagt Mathias das ja,um seinen Bruder zu warnen oder so
Ihm Sinne von:,,kannst du nicht haben,ihr Teddy Bär Ò^Ó!´´
wieso Teddy Bär?Keine Ahnung,weiter lesen :3
Von: abgemeldet
2015-04-02T17:19:25+00:00 02.04.2015 19:19
hehehe 0U0
Das kann ja noch interessant werden~
Antwort von:  ellenorberlin
02.04.2015 19:42
Hehe du bist süß XD Danke für die Kommis und viel Spaß beim Lesen ^^


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