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How I met my love

von

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Schwul oder nicht schwul, das ist hier die Frage

Soll ich mit ihm reden? Oder das Thema lieber totschweigen?

Beides erscheint mir so gut wie unmöglich.

Meine Hände sind kalt und in meinem Nacken spüre ich Schweißperlen an meiner Haut langlaufen. Ich bin unendlich nervös!

Was soll ich tun, was soll ich sagen? Mein Hals ist wie zugeschnürt!

Wir sind fast bei ihm zu Hause und haben noch immer kein Wort miteinander gesprochen, sogar ein Sicherheitsabstand ist zwischen uns, doch ob er oder ich ihn entstehen ließ weiß ich gar nicht so genau. Vielleicht sind wir beide Schuld.
 

Ich sollte es ihm sagen, ihm sagen das ich nicht nachgedacht habe, als ich den Kuss erwiderte, doch was ist, wenn er es wirklich nicht gespürt hatte? Dann würde ich durch meine Worte ihn erst darauf bringen, dass ich mitgemacht habe. Oh nein! Also doch lieber schweigen. Aber was denkt er dann von mir? Von unserer Situation? Er weiß doch, dass ich nicht schwul bin! Warum hat er das getan? War es ein Scherz? Hatte er unser Spiel zu ernst genommen? Oder habe nur ich das zu ernst genommen?

Ich bin ganz verwirrt...
 

„Sag etwas, die Stille macht mich wahnsinnig!“, sagt David plötzlich und als ich erschreckt aufblicke, bemerke ich, dass wir bereits vor seiner Haustür stehen und er in seiner Hosentasche nach einem Schlüssel kramt.

Mein Herz macht einen Satz. Was soll ich denn sagen? Ich weiß es nicht.

Ich...ich...

„Ich bin nicht schwul!“, meine Stimme ist so hoch und schrill wie nie zuvor.

Er stockt kurz, schüttelt dann betrübt den Kopf und lacht freudlos auf.

„Ich bin nicht schwul...“, krächze ich noch einmal mit geweiteten Augen. Ich habe das stetige Gefühl mich rechtfertigen zu müssen. Doch für was? Ich habe doch eigentlich gar nichts getan. Er war es. Er hat mich geküsst. Einfach so!

„Natürlich, vergiss es einfach, okay?“

Zischend hole ich Luft und stoße sie wieder aus, als ich ebenfalls ein „okay“ hauche, mit meinen Gedanken ganz weit weg.
 

David schließt die Tür auf und als wir unseren Einkauf in die teuer eingerichtete Küche bringen, stoßen wir auf Sheila und Mathias. Überrascht bleibe ich verwirrt stehen.

„Oh, hey Brüderchen! Was machst du denn hier?“

Das gleiche wollte ich gerade fragen.

„War mit David....einkaufen, wollen kochen.“, murmle ich monoton.

Sie schaut an mir vorbei, als wenn sie David jetzt erst bemerken würde und runzelt die Stirn.

„Achso.“ Ihr Lächeln wirkt künstlich.

„Wolltet ihr nicht weg?“, fragt David seinen Bruder mit fester Stimme.

„Wir wollten ins Kino, haben uns aber umentschieden. Warum? Stören wir?“, seine Worte klingen beinahe lauernd. Seltsam.
 

Die Stimmung ist so angespannt im Raum. Ich bin immer noch nervös und Davids Laune scheint auch im Keller zu liegen.

Bevor David etwas sagen kann komme ich ihm zuvor. „Nein, ihr stört nicht! Magst du mir nicht helfen Sheila? Ich wollte gleich anfangen das Gemüse zu schneiden.“, versuche ich die Situation aufzulockern und stelle die Lebensmittel auf die blank polierte Anrichte. Ich fühle mich merkwürdig ertappt, dabei kann sie nicht wissen, was gerade noch zwischen mir und ihm war.

„Ähm...“, sie wirft einen komischen Blick zu Mathias.

„Ja sicher.“, meint sie schließlich und ich reiche ihr Brett und Messer, während ich schon mal anfange das Gemüse zu waschen.
 

„Ich zieh mich kurz um.“ , murmelt David mir zu und verschwindet auf sein Zimmer, während Mathias ohne Worte ins Wohnzimmer geht.

„Au, heiß!“, zische ich erschreckt, weil ich das Wasser zu heiß aufgedreht habe, ohne es zu merken.

„Was ist?“, fragt Sheila besorgt.

„Nichts, hab nur nicht aufgepasst.“

Dann wird es still. Ich wasche weiter Gemüse, Sheila schneidet Tomaten.

Ich schnappe mir ein Messer und helfe ihr.

Das einzige Geräusch ist das andauernde 'plock', wenn die Schneide des Messers auf das Brett trifft.

Wenn die Beiden hier sind werde ich wohl heute keine Gelegenheit mehr haben mit David zu reden. Aber was ist, wenn ich das gar nicht mehr muss? War das kurze Gespräch vor der Tür denn endgültig?

Plock.

Der Kuss, Davids Mund auf meinem. Es fühlte sich so anders an, so lebendig. Nicht zu vergleichen, wenn Katrin mich geküsst hatte.

Plock.

Wie soll ich damit umgehen? Was, wenn er etwas für mich fühlt?

Plock.

Nein das ist Unsinn. Ich bin unmöglich sein Typ. Nicht wenn er Freunde wie Gabriel hat, oder der hübsche Junge auf der Zeichnung. Sein Ex.

Plock. Plock. Plock....
 

„Kai?“, fragt mich Sheila unvermittelt.

„Hm?“

„Hast du schon mal darüber nachgedacht von hier wegzuziehen?“

Ich halte inne und sehe verwirrt zu Sheila.

„Wie meinst du das denn?“

„Na nach der Schule, willst du denn hier bleiben?“

„Weiß nicht, hatte mal an Berlin gedacht. Aber nicht wirklich ernsthaft.“

„Achso.“

„Warum fragst du? Willst du weg?“

Sie hat inzwischen aufgehört die Tomaten zu schneiden und starrt nachdenklich auf ihr Brett. „Ja, eigentlich schon. Ich würde gern studieren, vielleicht in Hamburg.“, mit jedem Wort wird sie leiser und als ich ihr ins Gesicht schaue wirkt sie sehr bedrückt.
 

„Dann mach das doch, spricht doch nichts dagegen.“, antworte ich unsicher geworden.

„Mathias will nicht. Er hat hier seine Ausbildung und eine Chance von seiner Firma übernommen zu werden. Er hat mir vorhin erst davon erzählt und dann haben wir uns irgendwie...gestritten, weil ich ihm sagte, dass ich nicht hier bleiben will. Wir haben uns noch nie gestritten Kai.“

Sie seufzt leise. „Ich weiß nicht was ich machen soll.“

„Das ist doch noch so lange hin.“, ich zucke nur mit den Schultern. „Außerdem, vielleicht hast du ja bis dahin einen neuen Traummann der mit dir nach Hamburg geht. Oder du bleibst doch hier. Vielleicht wird er ja auch bei seiner Arbeit gar nicht übernommen. Weiß man ja nie.“
 

Sie macht ein furchtbar betroffenes Gesicht und für einen Moment habe ich Angst, dass sie anfängt zu weinen.

„Was ist los?“

Sie schüttelt vehement den Kopf. „Schon gut, du hast sicher Recht. Mein kleiner Bruder mit seinen Lebensweisheiten.“, sagt sie mit einem angestrengtem Lächeln. Trotzdem, wieder habe ich das Gefühl etwas stimmt nicht. Ist es das was Mum letztens meinte?

Plötzlich habe ich den überwältigenden Drang ihr auch zu erzählen was mich beschäftigt. Bisher habe ich das noch nie wirklich gemacht, weil es nichts gab was mir so Kopfzerbrechen bereitete. Aber dann sehe ich ihr ins Gesicht und merke wie sie weit weg mit ihren Gedanken ist und meine Entschlossenheit schwindet auf den Nullpunkt. Nein, die Sache muss ich wohl alleine durchstehen.
 

Den restlichen Abend geht mir David aus dem Weg, am Anfang fällt es mir noch nicht so auf, doch dann wird es immer deutlicher. Wenn ich in der Küche bin, geht er ins Wohnzimmer. Wenn ich auf dem Sofa sitze, setzt er sich auf den Sessel. Wenn ich ihn anschaue, weicht er aus. Es wurmt mich furchtbar! Aber ich kann ihn unmöglich darauf ansprechen wenn Mathias und Sheila mit im Raum sind, also verschiebe ich meine Frage notgedrungen. Diese eine Frage vor der ich Angst habe sie auszusprechen, aber zu wichtig ist um sie für mich zu behalten. Die Frage die mein Herz schneller schlagen lässt.

Warum hast du mich geküsst David?
 

Es ist spät als wir uns auf dem Weg nach Hause machen. Weil keine Bahnen mehr fahren fährt uns Mathias mit dem Auto Heim, worüber ich wirklich froh bin.

Er fährt gerade auf unsere Auffahrt und Sheila steigt ohne Worte aus und verschwindet in der Haustür, ehe ich mich komplett abgeschnallt habe.

„Kann ich dich was fragen Kai?“, spricht mich Mathias leise an, ohne mich anzusehen. Verwundert blicke ich auf, kann aber nur seinen Hinterkopf anstarren. „Ähm, sicher.“

„Weißt du, ob mit Sheila etwas ist?“

„Na ihr habt euch doch gestritten. Mädchen sind halt nachtragend.“

Ich versteh die Frage ehrlich gesagt gar nicht.

„Sie hat dir von dem Streit erzählt?“

Ertappt lächle ich schief. Ich habe ehrlich gesagt gar nicht daran gedacht, dass ich nicht plaudern darf. Aber sie hat ja nicht gesagt, dass es ein Geheimnis ist, oder?

„Ähm, ja. Aber nur flüchtig.“ Ich zucke mit den Schultern, als er sich zu mir umdreht.
 

„Sie verhält sich schon länger so seltsam. Der Streit heute war...vielleicht nur ein Funke. Ich weiß einfach nicht was los ist und sie will mir nichts sagen. Sie meint es wäre nichts, aber ich bin nicht so blöd und gefühllos um es nicht zu merken. Ich dachte, sie hätte dir vielleicht etwas erzählt. Du bist schließlich ihr Bruder.“

„Hm, ne sorry Mann. Da kann ich dir echt nicht helfen.“

Mathias schaut nur etwas enttäuscht. Fahrig greife ich nach meiner Tasche und bin schon halb aus der Tür, als er mich zurückhält.

„Warte kurz.“

„Ja?“, frage ich ihn verwirrt. Was will er denn noch? Hat er immer noch nicht kapiert, dass ich ihm wegen Sheila nicht weiterhelfen kann? Nervig. "Ich würd gerne noch kurz mit dir über etwas reden." Sein ernst dreinblickenden Augen starren mich fast schon feindselig an, habe ich plötzlich das Gefühl.

„Es ist wegen meinem Bruder, David.“

Wenn er von seinem Bruder spricht wird er schon David meinen, denke ich sarkastisch.
 

„Was soll mit ihm sein?“, ich versuche lässig zu wirken, auch wenn in meiner Brust ein Knoten sitzt, da wieder das Bild in meinem Kopf auftaucht wie David über mir ist, kurz bevor unsere Lippen sich berühren.

„Ihr unternimmt in letzter Zeit recht viel miteinander. Und du bist schließlich Sheilas kleiner Bruder, da kann ich dich nicht ins offene Messer laufen lassen.“

„Hä?“

Verwirrt lasse ich den Griff der Autotür los, die schon halb offen steht.

„David ist schwul.“

Ach ne...mal was ganz neues.

„Ich weiß.“

Mathias runzelt die Stirn und in seinem Blick sehe ich, dass ihn meine Antwort überrascht.

„Seit wann?“

„Seit Alinas Party, aber das ist doch egal, ist ja nicht so als sei er giftig.“

Ist meine Meinung. Seine scheinbar nicht, denn er schaut, als wäre sein Bruder tatsächlich mit Gift getränkt.

„Wenn du es schon weiß, erleichtert es die Sache etwas. Sei ehrlich, gehst du aus Mitleid mit ihm weg? Er hat nicht wirklich viele Freunde hier, seit er den Fehler gemacht hat sich als Schwuchtel zu outen.“
 

Meine Hände ballen sich zu wütenden Fäusten und überrascht merke ich, dass ich ihn tatsächlich für diese Worte schlagen würde. Sein eigener Bruder!

Mit verengten Augen starre ich ihn an, und jede Sympathie, die ich bisher für ihn empfunden hatte ist verflogen.

„Ich hab kein Mitleid. Wir sind Freunde!“

Er lacht trocken auf. „Ja, das hat Leon früher auch immer gemeint.“

„Leon?“

„Ich schätze ich muss dir da was über den ach so tollen David erzählen, um dir die Augen zu öffnen.

Wir kamen früher überraschender Weise ganz gut miteinander aus, bis David hinter meinem Rücken angefangen hat meinen besten Freund zu bedrängen. Leon war viel zu naiv um zu verstehen, dass David ihn nur flachlegen will! Einen Kerl! Total abartig.“
 

„Schon mal überlegt, ob sie sich verliebt haben?“ Die liebevolle Zeichnung aus Davids Zimmer kommt mir in den Sinn. Seine Worte wirken auf mich so verletzend. Ich will nicht, dass er so über David spricht!

„Quatsch! Er konnte es nur nicht sehen, dass ich Freunde hatte, die zu mir standen. Das war damals kurz nach seinem Outing und er musste sogar die Schule wechseln, weil er so dumm war und es auch in seiner Klasse breitgetreten hatte. Selbst Schuld, oder?“

„Meinst du das echt? Vielleicht wollte er nur frei sein.“

„Nein, er war schon immer so, immer denkt er nur an sich. Nicht einmal hat er daran gedacht was er seiner Familie damit antut! Mein Vater hatte einen Ruf zu verlieren, und ich ging damals auch noch zur Schule. Wie sollte ich meinen Freunden erklären, dass ich eine Schwuchtel als Bruder habe, weil mein Vater fremd gegangen ist? Er hätte es für sich behalten sollen, das wäre einfacher gewesen, für alle.“ Er spuckt diese Worte mit so viel Hass aus, dass es mich zittern lässt.

Sei still!
 

Meine Handinnenflächen fangen bereits an zu schmerzen, so sehr drücke ich meine Fingernägel ins weiche Fleisch.

„Vielleicht wäre es einfacher, aber es ist doch seine Entscheidung.“

„Hey, ich will dich nur vor schlimmerem bewahren! Ich kenne David, er hat keine normalen Freunde. Hat er dich etwa noch nicht angemacht? Würde mich überraschen. Er spielt gerne mit naiven Typen.“

Ein bitterer Stich in meinem Herzen. Nein! Er soll aufhören damit! Ich will nicht hören, dass David mit mir spielt. So ist es nicht mit ihm...

„Ich bin nicht naiv! David und ich sind Freunde, mehr nicht.“

„Jetzt noch. Was meinst du denn, was passiert, wenn er sich einen Spaß daraus macht dich vor deinen Freunden anzumachen? Du wirst überall verschrien sein! Was wird wohl passieren, wenn deine Freunde merken, dass du einen schwulen Freund hast?“
 

Es ist bitter, aber genau derselbe Gedanke hat sich in den vergangenen Tagen selbst immer wieder in meinen Kopf geschummelt.

Was wird Basti denken? Und Jonas? Der Rest der Klasse?

„Sie werden David schon akzeptieren.“

„Sicher?“

„Was willst du eigentlich von mir?“, rufe ich wütend. „Wir sind Freunde, und David ist schwul, na und? Das ist doch nicht wichtig! Er ist klasse. Man kann mit ihm super abhängen. Ich finde du urteilst zu oberflächlich über ihn. Du bist doch sein Bruder!“

„Halbbruder. Wir sind nur zur Hälfte verwand, und er wohnt auch erst seit ein paar Jahren bei uns. Sicher wäre er heute anders, hätte seine Mutter ihn nicht vernachlässigt. Er hätte gar nicht erst zu uns kommen sollen. Er macht unsere Familie kaputt, selbst vor der Familie meiner Freundin macht dieses Aas nicht halt. “

„Du spinnst!“

„Nein, ich bin nur nicht bescheuert! Er hat dich doch schon komplett in seinem Bann. Er manipuliert dich, merkst du es nicht? Er will nur wieder einen Keil zwischen mir und Sheila treiben. Wie Damals mit Leon. Er ist wie ein kleiner, eifersüchtiger Bengel, der es nicht ertragen kann was ich habe! Und weil er mit Mädchen nichts anfangen kann, versucht er es mit dir.“

Er ist verrückt! Der Hass auf David brennt regelrecht in seinen Augen. Ich kann sagen was ich will, es ist als würde man gegen eine Wand rennen. Sinnlos.

Er meint es ernst. Er glaubt das was er da sagt.

Ich will nur noch weg...
 

„Lass David und mich in Ruhe, Ich weiß schon was ich mache, ich brauch keinen Beschützer.“, sage ich mit unterdrückter Wut und greife endgültig nach der Tür um endlich zu verschwinden.

„Sei nicht Stur.“

„Sheila hat dich nicht verdient!“ Damit schlage ich die Autotür zu und stapfe zum Haus ohne mich nochmal umzudrehen.

Leise gehe ich nach oben. Die Wut hat einen schweren Klumpen in meinem Bauch entstehen lassen. David ist nicht so! Dieser Mathias ist Eifersüchtig. Auf den kleinen Jungen, der damals in seine Familie gestolpert ist und alles veränderte. Anders kann es nicht sein.

Ich will so gerne David danach fragen. Ich will wissen was passiert ist, warum er bei ihnen wohnt, was mit seiner Mutter ist, was damals mit Leon passierte. Sie sprechen immer von 'war'. Beide, David und Mathias. Was ist aus dem Jungen geworden?

Leon...der Junge der mit David geschlafen hat. Ihn berührt hat. Die Lippen geküsst hat, die auch mich geküsst haben.

Meine Wangen fangen an zu glühen.
 


 

Sonntag.

Ich drehe durch!

Wirklich!

Auf nichts kann ich mich konzentrieren. Der Versuch alleine ist schon überflüssig. Ich will mit ihm reden, mit David. Aber immer wieder, wenn ich das Telefon in die Hand nehme und seine Nummer wähle, bringe ich es nicht über mich. Ich kann nicht...mein Kopf tut weh, wenn ich an Mathias Anschuldigungen denke. Waren seine Berührungen, der Kuss, etwa wirklich eine Masche? Ein Spiel? Warum? Ich will es wissen, aber ich traue mich nicht ihn zu fragen.

Diese harschen Worte. Ich weiß ich sollte sie nicht ernst nehmen, trotzdem sticht es überall in mir.

Sorgen mache ich mir auch über das, woran ich schon vor dem Gespräch geknabbert habe.

'Was wird wohl passieren, wenn deine Freunde merken, dass du einen schwulen Freund hast?'

Das wird sich zeigen müssen, schätze ich. Sicherlich werde ich meine Freundschaft mit ihm nicht verheimlichen. Vor niemandem.

Und dann die andere Sache, der Kuss.

Ich muss mit ihm reden!

Endlich ringe ich mich doch dazu durch und wähle. Freizeichen. Es tutet weiter. Und weiter...

Es geht niemand ran. Scheiße!

Frustriert lege ich wieder auf und gehe duschen.
 

Meine Haut ist schon ganz schrumpelig, weil ich mir so lange Zeit gelassen habe und die lasse ich mir weiterhin. Ich habe eh nichts vor, also ziehe ich mich an, rasiere meine wenigen Stoppel und föhne meine langweiligen Haare, die schon wieder viel zu lang geworden sind. Ich sollte mal wieder zum Frisör, wenn ich lange Haare habe dann locken die sich immer und ich sehe aus wie früher als Kind, wo Mum immer der Meinung war, mit Locken sähe ich aus wie ein kleiner Engel. Peinlich, welcher Kerl will schon aussehen wie ein Engel?
 

Dann trolle ich mich endlich aus dem Badezimmer, doch als ich die Tür zu meinem kleinen Reich öffne blicke ich in ein paar nebelgrauer Augen. Erschrocken schnappe ich nach Luft. „Du hier?“

David lächelt verlegen. „Deine Vater hat mich reingelassen, und ich dachte ich warte hier, als ich die Dusche hörte.“

„Äh, ja klar.“, meine Stimme hat sich schon wieder verabschiedet. Er ist hier, schießt es mir durch den Kopf. Doch meine Entschlossenheit ist weg und ich bin einfach nur nervös.

„Es tut mir leid, Kai.“

„Was?“ Ich bin verwirrt. Was tut ihm leid?

„Gestern, der Kuss. Ich bin hier um mich zu entschuldigen. Ich...es war falsch und ich kann verstehen, dass du mich nicht mehr sehen willst und-“

„Wie kommst du darauf, dass ich dich nicht mehr sehen will?“, unterbreche ich ihn ehe ich nachdenken kann. Irgendwas läuft gerade falsch. Ganz falsch!

Er stockt.

„Ich dachte weil, na ja. Ich hätte es nicht tun dürfen. Es war nicht richtig. Ich wollte unsere Freundschaft nicht kaputt machen. Es ist besser wenn ich gehe, wir sollten uns vielleicht nicht mehr so oft sehen.“

Nein! Nein, nein, nein! Schmerzen bilden sich in meinem Körper, bei jedem Wort das er spricht. Er darf nicht gehen...

„Nein bleib, bitte.“

„Aber...“

„Warum hast du es getan? Ist es wegen...Mathias?“
 

Mein Herz bollert mit voller Kraft in meiner Brust. Meine Lippen sind wie ausgetrocknet. Ich will ihn ablenken, hier halten. Wenn ich Fragen stelle bleibt er und muss sie beantworten, richtig?

„Mathias? Was soll mein Bruder damit zu tun haben?“

„Er hat gemeint... Also, Leon und du. Und jetzt hat er Sheila und sie ist ja ein Mädchen. Also äh.“, stammel ich zusammenhanglos.

„Leon? Was hat er von Leon erzählt?“, fragt er barsch nach und greift nach meiner Schulter. Erschreckt weiche ich zurück und wische meine schweißnassen Hände an meiner Hose ab. Plötzlich bereue ich es, das Thema angesprochen zu haben. Aber ich will es wissen. Und ich will nicht, dass er geht.
 

„Dass du ihm seinen besten Freund weggenommen hast.“, antworte ich schüchtern. David rauft sich die Haare und läuft einmal quer durchs Zimmer, bis er sich auf dem Sofa fallen lässt. Ich stehe immer noch völlig idiotisch im Raum herum und lasse mich auf den Schreibtischstuhl fallen.

Es herrscht Stille zwischen uns, in der er anscheinend darüber nachdenkt was er sagen soll. Ich wage es nicht auch nur einen Ton von mir zu geben.

„Erinnerst du dich an die Zeichnung in meinem Zimmer?“ Stechende Augen, die mich durchdringen anstarren. Ich nicke.

„Das ist Leon. Mein Ex. Mathias bester Freund, zumindest früher.“

Schon wieder werde ich gemustert. „Du willst es wirklich wissen?“

„Ja, so schlimm kann es doch gar nicht sein, oder?“

„Nein, es ist nicht schlimm. Es tut nur weh daran zu denken. Es ist so lange her.

Gut, ich erzähl es dir, aber es ist keine schöne Geschichte.“

„Schon okay.“, flüstert meine Stimme.
 

Er atmet tief durch, rauft sich die Haare, um dann seine Hände auf den Knien abzustützen.

„Es fing vor etwa vier Jahren an, die Sache mit Leon."

Man merkt wie er versucht möglichst sachlich zu klingen, doch ich kann die Gefühle hinter seiner Maske sehen.

"Ich hatte mich damals noch nicht richtig in die Familie von meinem Vater eingelebt.

Mathias und ich sind Halbbrüder, weil mein Vater während der Schwangerschaft seiner Frau eine Krise hatte und ihr fremdgegangen ist."

Kurz stockt seine Erzählung, als müsste er sich überwinden.

"Meine Mutter war schon früher psychisch labil und irgendwann wurde es so schlimm, dass sie nicht mehr zurechnungsfähig war. Eben hat sie noch das Essen vorbereitet im nächsten Moment wollte sie mich aus dem Fenster werfen.“

Geschockt ziehe ich so heftig Luft in meine Lungen, dass ich Husten muss.
 

„Sie kam in eine Klinik und ich zu meinem Vater. Da war ich gerade mal Dreizehn. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber schon, dass ich schwul bin, es war mir schon recht früh klar und davor hatte ich auch nie Probleme damit. Weißt du, meine alte Schule war sehr tolerant, so dass ich nicht nachgedacht habe, dass es in meinem neuen Zuhause ganz anders laufen könnte. Ich war so ein Idiot.“

„Also hast du dich geoutet.“ Das wusste ich ja schon von Mathias.

Er nickt, seine Augen beobachten mich die ganze Zeit, als warte er darauf, dass ich die Flucht ergreife.

„Ja. Alle haben sich von mir abgewendet. Sogar meine eigene Familie! Es sind solche Heuchler, immer nur den Schein aufrecht erhalten. Immer nach Außen hin perfekt sein. Ich habe da einfach nicht hineingepasst, tue ich immer noch nicht. Und dann kam Leon, der Einzige, der mich so akzeptierte wie ich bin. Ich habe mich furchtbar in ihn verliebt.“ Verlegen wendet er den Kopf zur Seite und ich kann stürmische Trauer in seinen Zügen sehen. Ich würde ihn so gerne trösten, aber ich fühle mich so befangen.
 

„Na ja, ich habe mich dann mit ihm heimlich getroffen, wir wollten es vor allen verheimlichen. Mathias hat uns dann erwischt, als wir dachten, es wäre niemand zu Hause.“ Sein Gesicht verkrampft sich. Er hebt eine Hand und streicht über die Narbe an seinem Handgelenk.

„Er war so wütend. Und Leon hat versucht ihn zu beruhigen, doch er war so außer sich und hat nur geschrien wie abartig wir sind. Er ging auf Leon los, ich wollte ihn aufhalten, dabei ging eine Scheibe zu Bruch und die Scherben zerschnitten mir das Handgelenk.“

Meine Augen wandern zu der Narbe. Oh Gott...

„Ich wäre beinahe verblutet damals. Im Krankenhaus bin ich erst wieder aufgewacht und ich sah Leon neben dem Bett, zum letzten Mal. Er war selbst noch so jung. Er konnte das alles nicht mehr ertragen und beschloss mir zu sagen, dass er eh bald weggeht, auf ein Internat, und wir das lieber lassen sollten. Das mit dem Internat, hatte er wohl schon eine Weile vor mir geheim gehalten. Seine Stimme klang so kalt dabei, und ich lag im Krankenhaus und konnte ihn nicht aufhalten. Er ging und ich habe ihn nie wieder gesehen.“
 

Mein Herz schlägt schmerzhaft in meiner Brust und ein verzweifeltes Gefühl schleicht durch meine Adern und Muskeln. Ich sehe es vor mir. Der junge David in diesem weißem Bett und Leon, der daneben stand und ihm eiskalt diese Worte zuwarf, dann das Zimmer verließ, um den verwirrten und weinenden Jungen zurückzulassen. Für immer. Zurückgelassen ohne Freunde, in eine Familie geworfen, die ihn nicht wollte.

Ein neues, intensives Gefühl gesellt sich zu den Schmerzen in meinem Bauch. Es ist heiß und brennend. Heiße Wut auf die Leute, die David wehgetan haben, ihn verlassen haben. Auf Mathias, seinen Vater, die falschen Freunde und auch Leon. Und jetzt dachte David auch noch ich würde ihn auch liegen lassen, nur wegen einem Kuss? Ich muss es klarstellen, ich muss....

„Ich gehe nicht weg.“

Davids Augen brennen sich in meine. Meine Frage von vorhin ist immer noch nicht beantworte, doch ich habe Angst mich falsch auszudrücken.

„Mathias glaubt, du würdest ihn und Sheila durch mich auseinanderbringen wollen.“

„Das ist Unsinn! Bitte glaub das nicht.“

„Tu ich nicht.“ Nicht mehr, aber von meinen vorherigen Zweifeln muss er nichts wissen.
 

„Ich will dich nicht als Freund verlieren, die letzten Tage waren wirklich toll. Nur ignoriere mich nicht mehr, wie gestern Abend.“

„Und der Kuss?“, fragt er ungläubig.

„Das...also, das ist okay. Ich bleibe trotzdem. Wir sind doch Freunde.“

Ich hoffe ich klinge nicht so naiv, wie ich mich fühle.

„Wenn du bei mir bleibst, weiß ich nicht ob ich mich zurückhalten kann.“

Mein Atem stockt. „Wie meinst du das?“, hauche ich.

Er steht auf und kommt auf mich zu. Mit jedem Schritt den er näher kommt schlägt mein Herz schneller. Unschuldig blicke ich zu ihm auf, als David mein Gesicht in die Hände nimmt und seine wundervollen grauen Augen mich durchdringen.
 

„Ich mag dich, Kai. Und ich weiß nicht ob ich das kann.“

An meiner Wange kann ich spüren wie seine Hände zittern.

„Warum versuchst du es nicht?“

Er schüttelt den Kopf. „Ich mag dich vielleicht zu sehr um nur ein Freund zu sein. Wenn ich dich sehe, will ich dich berühren, gerade jetzt würde ich dich gerne küssen.“

Mein Herz setzt aus, so sehr setzen seine Worte mir zu. In meinem Kopf entsteht ein Wirbel.

„Solange wir Freunde bleiben.“, versuche ich es weiter, doch David lacht spöttisch. „Du willst weiter mit mir befreundet sein, auch wenn ich dich küsse?“

„Ich weiß nicht, wenn ich dir damit helfen kann? Es ist ja nicht so, als würden wir miteinander schlafen.“ Meine Wangen brennen heiß bei dem Gedanke.

„Oh Kai...du weißt doch gar nicht was du da sagst. Das kannst du doch nicht ernst meinen?“

„Warum nicht? Es ist meine Entscheidung und ich will dass wir weiter Freunde bleiben, und wenn die Bedingung dazu ist, dass du mich kü...küsst, dann ist das...okay. Ich werde es überleben. Denke ich.“ Ich versuche zu grinsen, doch es wirkt eher gequält und an seinem Blick sehe ich, dass er mir nicht glaubt. Wie auch? Ich glaube mir ja selber nicht.
 

Dann kommt er mir plötzlich näher und ich spüre seine Lippen gegen meine drücken. Sanft bewegen sie sich. Es kribbelt überall. Oh Gott! Das Kribbeln wird beinahe schmerzhaft und meine Füße bohren sich in den weichen Teppich.

Ich bin ein völliges Nervenbündel und weiß gar nicht wie ich reagieren soll! Davids Lippen sind ganz warm und eine seiner Hände hat sich in meinen Nacken verirrt um dort mit meinen Haaren zu spielen. Es fühlt sich schön an...er fühlt sich schön an! Vielleicht ist es wirklich nicht so schlimm. Was ist schon dabei? Ich bin ja nicht schwul und solang es niemand sieht.

Und David würde bei mir bleiben, wir würden wieder zusammen was unternehmen. Er würde mich wieder küssen.

Vielleicht...wenn ich erwidern würde, vielleicht würde er es mir dann glauben. Gerade als ich mich dazu durchringen will weicht er von mir und sieht mich wieder mit diesen schönen Augen verunsichert an. Als wolle er meine Reaktion abschätzen.

„Du rennst nicht weg.“

„Warum sollte ich das?“

Wir sprechen beide ganz leise und atemlos.

„Weil ein Kerl dich küsst. Du magst Mädchen.“, erinnert er mich.

„Dich mag ich auch.“

„Aber nicht so wie ich! Kai, das wird nie was werden.“

Tief in mir bildet sich dieses eklige Gefühl von tiefer Verzweiflung.

„Bitte!“

Die Hand, die immer noch in meinem Nacken liegt verschwindet und er geht einige Schritte von mir weg, rauft sich dabei die Haare und wirft mir immer wieder undeutbare Blicke zu, als habe er mit irgendetwas zu kämpfen, das ich nicht verstehe.

Schließlich höre ich seine Zustimmung. „Okay, aber ich kann dir nichts versprechen. Ich werde es versuchen, als Freunde.“

Erleichtert lächle ich ihn an und er zurück. „Das ist so vollkommen verrückt.“, lacht er.

„Ja, verrückt.“, bestätige ich grinsend.

Aber er bleibt bei mir.
 

Danach wird es seltsam. Das Gespräch, der Kuss. Das alles wirbelt in meinem Kopf ohne das ich es festhalten und ordnen kann. Ich weiß nicht was ich tun und denken soll. Wie soll ich mich verhalten? Es ist anders, als die letzten Tage. Da ist etwas zwischen uns, nur ich kann noch nicht definieren was es ist.

David ist am Anfang noch befangener als ich, doch nachdem wir uns was zu Essen gemacht haben und vor der Konsole sitzen taut er wieder auf. Er wirkt wieder wie der David den ich kenne und das hilft mir auch meine Befangenheit wieder zu verlieren. Es ist wie immer. Fast. Außer einer Sache.
 

Als wir ein Autorennspiel ausprobieren, sitzt er näher neben mir als sonst. Immer wieder berührt er mich, am Arm, Bein oder er streicht mir durchs Haar. Gerade diese Berührung ist mir bereits so vertraut, dass ich sie kaum noch als außergewöhnlich betrachte.

Doch weiter passiert nichts. Keine Küsse. Nichts ungewöhnliches.

Alles ist wieder beim Alten...
 

*



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2015-04-02T21:42:37+00:00 02.04.2015 23:42
Ah WAOOWWW!!!!!
Das ist bist jetzt mein absolutes Lieblingkapi <3<3<3
OMG soo rührend und cool und NYAAAAAAAAA!!
Ehrlich!Danke,dass du so eine tolle Geschichte geschrieben hast (und immernoch weiterschreibst)
Ich fühl mich grade wie auf Wolke 7
Wirklich richtig tolles gefühlvolles Kapitel,ich könnte heulen TT^TT so toll


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