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Blick in die Karten: Yu-Gi-Oh! - Der verschollene erste Anime Yu-Gi-Oh!, Anime-Review

Autor:  Jitsch

Blick in die Karten Masterpost

Chronologisch an dieser Stelle richtig stelle ich nun die erste Anime-Adaption von Yu-Gi-Oh! vor. Diese wurde 1998 von Toei Animation produziert, dem Studio, das auch hinter Erfolgsserien wie Sailor Moon, Digimon oder Pretty Cure steht. Die Umsetzung des Yu-Gi-Oh! Manga war aber anscheinend nicht besonders erfolgreich, da sie nur 27 Episoden umfasst und das Studio die Rechte an einer weiteren Anime-Umsetzung des Stoffs aufgab.

Titel: [GiŌ] (Japan)
Yu-Gi-Oh! (Rest der Welt)
Studio: Toei Animation
Ausstrahlung: 1998 (Japan)
Episoden: 27

 

Legale Verfügbarkeit

Vergesst es. Bei Toei tut man geradezu so, als gäbe es die Serie nicht. Seit der Veröffentlichung kurz nach der Ausstrahlung gab es keine Anstrengungen, sie den Fans verfügbar zu machen. Auf legalem Wege bekommt man die Serie selbst in Japan nur noch gebraucht auf Videokassette.

Synopsis

Yūgi Mutō ist wegen seiner Körpergröße und Freundlichkeit als Mobbingopfer geradezu prädestiniert. Doch eines Tages setzt er das so genannte Millenniumspuzzle zusammen und ein Wunsch geht in Erfüllung – er findet in seinen ehemaligen Peiniger Jōno’uchi einen echten Freund und bald bildet sich um ihn herum eine Gruppe, die außerdem noch aus seiner Kindheitsfreundin Anzu, dem gescheiterten Schülerratspräsidenten Honda und der verrückten Miho besteht. Und wenn es hart auf hart kommt, ergreift sein Anderes Ich von ihm Besitz, um es denen heimzuzahlen, die ihm oder seinen Freunden etwas anhaben wollen. Dabei macht er sich allerdings nicht nur Freunde…

Über die Story

Der Anime basiert grob auf den ersten 60 Kapiteln des Manga (den ich hier vorgestellt hatte), ist aber keine vorlagengetreue Umsetzung. Das merkt man allein schon daran, dass Toei der Clique von Yūgi einen weiteren Charakter (Miho) hinzugefügt hat. Es gibt aber auch inhaltlich eine ganze Reihe von Änderungen.

 
Zwei beispielhafte Auseinandersetzungen mit fiesen Typen

Zunächst einmal hat Toei doch einiges an Brutalität herausgenommen. Das lässt sich am Beispiel der ersten Episode gut zeigen, wo im Manga ein Spiel gespielt wird, in dem mit einem scharfen Messer Geldscheine aufgepikst werden müssen, unter denen die eigene Hand liegt. Im Anime macht man daraus ein Kartenspiel. Manche Epsioden, gerade aus den ersten zwei Mangabänden, haben es gar nicht in den Anime geschafft. Deutlich wird die Abschwächung auch an Death-T, wo die Konsequenzen für verlorene Spiele weit abstrakter, wenn auch bei genauem Nachdenken immer noch tödlich, sind. Waffen wie Messer oder Elektroschocker sind im Anime gar nicht zu finden (seltsamerweise aber eine Pistole). Auch Prügeleien werden im Anime weniger detailliert, aber immerhin überhaupt gezeigt.

Bezüglich der Spiele hat Toei ohnehin fast alle irgendwie geändert. Das Drachenkartenspiel aus dem Manga wird im Anime zum Beispiel mit Mah-Jongg-ähnlichen Steinen gespielt, das Rätsel des Bombenlegers im Freizeitpark mit bunten Luftballons statt mit Karten. Episoden, die nicht auf dem Anime basieren, fügen sich in Puncto Spiele gut ein, die Macher sind in Puncto Spiele also durchaus kreativ gewesen.


Eine von Kaibas Top Vier - Eins der Spiele in Death-T

Inhaltlich ist der Anime episodisch aufgebaut, wie der Manga in den als Vorlage dienenden Kapiteln. Eine Episode erzählt jeweils eine in sich abgeschlossene Story, Ausnahmen davon sind eine Doppelfolge über das Auftauchen von Shadi sowie die letzten 7 Episoden, die die Death-T Spiele von Kaiba und das Rollenspiel gegen Bakura beinhalten. Da viele Mangakapitel nicht so viel Story hergeben, werden sie teils massiv ausgebaut, in dem neue Charaktere dazugeschrieben werden. Zuletzt gibt es auch einige Folgen, die gar keine Manga-Vorlage besitzen, unter ihnen die über die Staffel verstreuten Auseinandersetzungen mit Kaibas „Top Vier der Spiele“. Hierdurch wird es auch, wenn man den Manga gelesen hat, nicht vorhersehbar.

Kaiba ist der rote Faden, der sich durch die Staffel zieht: Die erste Auseinandersetzung mit ihm spielt sich schon in der 3. Episode ab statt erst im zweiten Mangaband, und es wird regelmäßig gezeigt, wieder gegen Yūgi intrigiert. Das kann den Eindruck allerdings nicht durchbrechen, dass der Anime in Puncto Story sehr dünn ist – was daran liegt, dass dieser Teil des Manga im Hinblick auf die Gesamtstory allenfalls eine Art Prolog ist.

Eine Änderung ist besonders mysteriös. Im Manga wird Anzu im Shadi-Arc vom Anderen Yūgi gerettet, was ihr den ersten Hinweis liefert, dass der mysteriöse Retter in den sie verknallt ist eigentlich Yūgi ist. Im Anime ist es aber der normale Yūgi, den sie sieht. Damit Anzu in Death-T trotzdem schon eine Ahnung von Yūgis anderem Ich hat, wird entgegen der Manga-Chronologie in der 13. Episode ein Plot aus dem 1. Mangaband benutzt und so verändert, dass sie ihren Hinweis erhält.

Insgesamt ist diese Adaption wohl deshalb nicht sehr erfolgreich gewesen, weil sie die kompromisslose Brutalität des Manga (die ein älteres Publikum evtl interessant fände) stark verwässert, aber auch nicht wirklich kinderfreundlich ist (ich würde es frühestens 12-Jährigen vorsetzen). Oder auch, weil die Serie keine gute Vorlage für Merchandise bietet, was bis heute bei den bekanntesten Franchises, wie Digimon oder Pretty Cure, Toeis Haupt-Standbein ist.

Über die Charaktere

Auch über die Charaktere gibt es einiges zu sagen, ohne dass ich mich gegenüber der Analyse des Manga wiederholen müsste. Interessant ist insgesamt, dass die Charakterdesigns wahnsinnig bunt sind. Haarfarben wie hellviolett oder knallgrün sind hier völlig normal. Rätselhaft ist die Farbwahl ohnehin, zum Beispiel sind die Schuluniformen der Mädchen in einer Kombination aus knalligem Orange und helltürkis gehalten – obwohl es seit dem ersten Kapitel Farbillustrationen zum Manga gibt, die sie in rosa und hellblau darstellen. Man gewöhnt sich dran, aber es ist schon anstrengend für’s Auge.  


Jōno’uchi und Honda finden den verprügelten Yūgi - Anzu, Honda und Miho arbeiten bei Burger World

Yūgi, Jōno’uchi und Anzu haben im Anime sonst kaum Veränderungen zum Manga. Überraschend hat man sogar Jōno’uchis alkoholabhängigen Vater in der Serie gelassen. Allerdings wird sowohl bei Jōno’uchi als auch bei Anzu der Anlass verwässert, wie sie sich mit Yūgi anfreunden. In der ersten Folge fehlt die Schlüsselszene, in der Yūgi sich vor Jōno’uchis Augen an dessen Stelle verprügeln lässt und dort der Anlass ist, dass Jōno’uchi ihm das geklaute letzte Teil des Millenniumspuzzle überhaupt zurückgibt. Im Anime wird Yūgi später, in Jōno’uchis Abwesenheit, verprügelt und nur von ihm gefunden. Bei Anzus Schlüsselepisode gerät deren Sorge, man könnte sie wegen ihres Nebenjobs der Schule melden, dadurch ins Hintertreffen, dass Miho und Honda aus völlig banalen Gründen als ihre Kollegen jobben. Das aufgebaute Vertrauen, weil Jōno’uchi und Yūgi sie nicht verraten, gilt damit auch für Honda und Miho – die Episode erklärt den Zugang Anzus zur Clique schlechter als im Manga.

A propos Miho – diese war im Manga ein Nebencharakter, ein nettes höfliches Mädchen in das sich Honda verknallt hatte, und kam nur in einem Kapitel vor. Im Anime ist sie ein Charakter mit einer völlig eigenen Denkweise, das sich schnell für alles Mögliche begeistert (vor allem materielle Güter) und bei der man nie wirklich weiß, ob sie doof ist oder nur so tut. Mit ihrer überkandidelten Art stiehlt sie den vergleichsweise normalen Charakteren regelmäßig die Show. Man muss aber loben, dass sie auch in den stark auf dem Manga basierenden Episoden, gerade dem RPG gegen Bakura, gut eingebaut wurde und dort eine sinnvolle Rolle erhält, ohne dass sie das Geschehen völlig verändert.

Auch bei Honda wurde ein bisschen gedreht. Statt einem Mitläufer von Jōno’uchi ist er Mitglied im Schülerrat als „Verschönerungs-Beauftragter“, worauf zu Beginn oft herumgeritten wird. Außerdem macht er sich regelmäßig zum Affen, weil er jede von Mihos Launen mitträgt. Im Manga ist er ein unauffälliger, aber ernster Typ, im Anime macht man ihn fast ausschließlich zur Witzfigur.

Weitere Charaktere bleiben unwichtig und sind wie im Manga größtenteils Fieslinge, deren schlechte Eigenschaften einfach mal so dahin gestellt werden, ohne dass man Hintergründe erfährt. Es geben sich Verbrecher, fanatische Sammler und Kontrollfreaks die Klinke in die Hand.


Miho - Kaiba

Seto Kaiba wird hier von Anfang an als machtgieriger Sohn aus reichem Hause dargestellt. Etwas früher als im Manga, aber spät in der Serie, werden Hinweise gestreut, dass er nicht immer so war und irgendwas ihn verdorben hat. Es ist aber keine Zeit mehr für die im Manga von Mokuba erzählte Hintergrundgeschichte, wie er dazu kam, von Gozaburō Kaiba adoptiert zu werden. Dass er überhaupt adoptiert ist, gerät zu einem Nebensatz. Zudem wurde das Trauma, das er durch die Bestrafung des anderen Yūgi bei der ersten Konfrontation erlitten hat, nicht thematisiert, was verschwimmen lässt, dass er die Hologrammboxen hauptsächlich konstruiert, um anderen (wie Yūgis Großvater und später Mokuba) ein ähnliches Trauma zufügen zu können. Als Bösewicht bleibt er so ziemlich blass.

Seine „Top Vier“ sind allesamt Toei-Eigencharaktere, die sich größtenteils gut in die Serie einfügen. Eine Ausnahme bildet Fuwa Ryūichi, denn sein unverschämtes Glück, das Yūgi letztlich nur mit einem Trick aushebeln kann, wirkt untypisch für die Serie, in der sonst Geschick und Strategie wichtig sind.

Mehr Eindruck als Bösewicht hinterlässt der Andere Bakura, der in den letzten drei Episoden erst auftritt und sich als sehr gerissen präsentiert. Das ist aber 1:1 zum Manga.

Über die Spiele

Wie schon der Manga präsentiert der Anime eine große Vielfalt von Spielen. Die meisten von ihnen sind eher simpel und damit für den Zuschauer leicht nachvollziehbar. Spannend bleibt hier vor allem, wie sich Yūgi hier immer wieder behauptet, obwohl die Spiele regelmäßig so aufgebaut sind, dass der Gegner vermeintlich im Vorteil ist. Dabei wird eine bunte Mischung geboten: Manche sind Kartenspiele, in anderen geht es um Geschicklichkeit und Timing und wieder andere fordern, den Gegner zu durchschauen und seine Strategie vorherzusehen.

 
Das Drachenblock-Spiel - ein Duel Monsters Duell

Besonders sticht das Spiel Duel Monsters hervor, das den Erfolg des Franchise bis heute ausmacht. Paradoxerweise heißt es im Anime zwar „Duel Monsters“, die Kartenrückseiten schmücken aber die Buchstaben „M“ und „W“, was für „Magic and Wizards“ steht, wie das Spiel im Manga heißt. Duel Monsters wird im Anime öfter als im Manga gespielt, vor allem gegen die „Top Vier“. Allerdings sind die Regeln in der Anime-Variante schwer nachvollziehbar. Es wird auf einem Spielfeld gespielt, das verschiedene Landschaften darstellt, die Monstern einen Elementvorteil geben können. Dazu kommen noch Sonderregeln, die auf den Karten selbst nicht vermerkt sind. Die allgemeinen Regeln sind zudem nicht, wie man sie aus dem späteren Anime und dem realen Kartenspiel kennt: Es gibt keine Tributbeschwörung (auch ein Blue-Eyes White Dragon kann einfach so beschworen werden) und keine eigene Zauber-/Fallenkartenzone. Anscheinend muss man sich zudem aussuchen, ob man eine neue Karte zieht oder angreift. Nachspielbar ist das nur schwer, zumal viele Züge schnell übersprungen werden. Vielleicht ist auch das ein Grund für den Nichterfolg der Serie: Das Spiel wurde einfach nicht so ausgearbeitet, dass man es im realen Leben als Merchandise hätte verkaufen können.

Fazit

Der Toei-Anime ist die einzige animierte Version der frühen Geschehnisse aus dem Manga, ersetzt dessen Lektüre aber aufgrund vieler Änderungen nicht wirklich. Andererseits bleibt er dadurch auch für Manga-Kenner interessant. Der Vollständigkeit halber kann man ihn sich anschauen, aber wirklich verpassen tut man nichts, wenn man darauf verzichtet.

Blick in die Karten Masterpost

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Datum: 14.06.2016 16:07
Interessanter Beitrag!
Den Manga habe ich teilweise gesehen, aber diesen Anime bisher noch nie gesehen - wenn alles so stark verwässert ist, werde ich es wahrscheinlich auch nicht tun, aber es war sehr spannend zu erfahren, dass der auch in Japan kaum mehr zu finden ist :B
Danke für deine Mühe und Arbeit! : D


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Datum: 15.06.2016 20:04
Wie cool ist das denn, dass jemand über Season Zero schreibt?! :D

Es ist bestimmt zehn Jahre her, seitdem ich sie mir reingezogen habe und obwohl sie so schräg war (besonders farblich, wie du bereits erwähnt hast), hat sie mir trotzdem irgendwie Spaß gemacht. Allerdings habe ich auch eine kleine Schwäche für Retro.

Besonders mochte ich übrigens die Stimme, die man für den anderen Yugi gewählt hatte. So sanft und ruhig - hat mich in Kombination zu seiner etwas grausamen Art sehr fasziniert. Ist mir deswegen gut im Gedächtnis geblieben.
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Datum: 16.06.2016 17:47
Ich hab etwas gebraucht, um mit der ersten Animeserie warm zu werden (ähnlich wie in den ersten Mangakapiteln lag das wohl ua an der Augenkrebs-Optik^^), aber inzwischen hat der bei mir einen ganz eigenen Stein im Brett als das verdrehte, kuriose Schmankerl das er ist.
Es fällt mir schwer, ihn mit dem Canon der 2. Serie zu vereinbaren (das funktioniert im in sich geschlossenen Manga natürlich besser), aber da einzelne, veränderte Flashbacks auf die Season Zero verweisen, wie zum Beispiel Anzus Nebenjob bei Burgerworld, stelle ich mir das einfach für alle passenden Aspekte der Vorgeschichte so vor.

And crawling, on the planet's face...
Some insects... called the human race...
Lost in time... And lost in space...
And meaning.
...meaning...


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