Kapitel 11
Okay, Sugawaras Tipps waren an sich sinnvoll und wirklich logisch. Aber schwerer umzusetzen, als er es sich gedacht hat. Sawamura steht neben dem Mädchen, das seine Gedanken seit Tagen beherrscht. Und auch jetzt gerade bekommt er fast nicht mit, was um ihn herum vor sich geht. Er versucht sich zusammenzureißen, nichts unbedachtes zu tun, doch das fällt ihm tatsächlich sehr schwer.
“Sawamura?”
Ihre Hand berührt ihn und sofort zuckt er zusammen. Mit großen Augen starrt er sie an, kann in ihren Augen erkennen, dass sein Verhalten sie verletzt hat.
“W-was?”
Sie deutet zum Schiedsrichter, auf den er seine Aufmerksamkeit sofort richtet. Der Mann hat eine Augenbrauen nach oben gezogen.
“Alles bei Ihnen in Ordnung?”, fragt er mit rauer Stimme. Sawamura nickt.
“Ja, alles okay. Gut. Dann kann es ja losgehen. Kopf oder Zahl?”
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Von wegen alles okay! Wütend über sich selbst beißt Sawamura seine Zähne aufeinander und knirscht damit. Sein Blick ist auf den Volleyball gerichtet, der gerade neben ihm auf dem Boden gelandet und dann aus dem Spielfeld gesprungen ist. Er war zu langsam, nicht konzentriert genug. Er bekommt nichts auf die Reihe, überhaupt nichts! Es war schon die restliche Woche nicht lustig, insgesamt hatten sie nur noch zwei Mal trainieren können und jedes Mal war es chaotisch. Aber das jetzt? Es sollte klappen. Sein Plan ist wie bereits letztes Jahr gewesen, sich jetzt einfach auf das nächste Spiel konzentrieren. All seine Mühe und Kraft, alle seine Gedanken nur darauf zu konzentrieren. Sich damit auch irgendwie abzulenken. Aber stattdessen? Stattdessen ist sein Kopf wie leer gefegt, wenn er Michimiya wahrnimmt. Zu dumm nur, dass sie beide miteinander spielen müssen! Er sieht sie die ganze Zeit über. Und wenn er sie nicht sieht, dann weiß er, dass sie hinter ihm ist. Was soll das eigentlich noch werden? Sie nimmt alles von ihm ein - seine Gedanken, seine Gefühle. Wie macht sie das? Und warum ist das eigentlich so? Nein. Er beißt seine Zähne noch fester aufeinander, geht leicht in die Knie und ballt seine Hände zu Fäusten. Er muss sich jetzt auf das Spiel konzentrieren. Immerhin geht es hier um das Finale! Das ist wichtiger als alles andere!
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25 zu 16 - den ersten Satz haben sie mit ordentlichem Abstand verloren. Alles in Sawamura ist angespannt, während er die Tafel mit dem bisherigen Ergebnis ansieht. Die beiden Zahlen verhöhnen ihn. Und es ist ihm zudem bewusst, dass er mit Hauptursache dafür ist, dass es so gelaufen ist. Wütend ballt er seine Hände zu Fäusten.
“Noch ist nichts verloren”, erklingt neben ihm leise. “Wir haben immer noch eine Chance, zu gewinnen.”
Kaum dass er ihre Stimme vernimmt, wird er sich zum wiederholten Male heute ihrer Nähe bewusst und sein Herz macht wieder diesen eigenartigen Satz.
“Es … tut mir leid”, murmelt er, weigert sich aber, sich zu ihr umzudrehen.
“Das muss es nicht, Sawamura. Wir spielen zusammen, nicht du allein.”
Ihre Hand berührt für einen kurzen Moment seinen Unterarm und hinterlässt ein prickelndes Gefühl, als sie wieder zurück gezogen wird.
“Trotzdem”, presst er zwischen seinen zusammen gebissenen Zähnen hervor, “ich werde mir im nächsten Satz mehr Mühe geben.”
Nun dreht Sawamura seinen Kopf doch zur Seite, um sofort wieder zu erstarren, denn die neben ihm Stehende sieht ihn in diesem Moment auch an. Kaum dass ihre Blicke aufeinander treffen, zieht sich wieder einmal alles in ihm zusammen. Warum löst sie das plötzlich in ihm aus? Das hat sie früher doch auch nicht, da war alles normal! Was ist das nur? Warum überfordert es ihn so, von ihren Gefühlen ihn betreffend zu wissen?
Ein lauter Pfiff reißt ihn aus seinen Gedanken.
“Oh, es geht weiter.” Michimiyas Blick richtet sich erst auf das Volleyballfeld, ehe sie ihn noch einmal ansieht und schief grinst. “Gewinnen wir, ja?”
Sofort nickt ihr Teampartner.
“Ja.” Doch sicher ist er sich mit dieser Aussage nicht. Er hat es bereits im ersten Satz nicht geschafft, sich zusammen zu reißen. Wie soll er es jetzt schaffen? Doch er muss es einfach. Er ist es ihr schuldig. Er ist ihr noch viel mehr schuldig! Tief Luft holend folgt er ihr auf das Feld.
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Punkt. Für die Gegner. Schon wieder.
Unsicher richtet sich Michimiyas Blick auf den zweiten Part ihres Teams. Dass dieser nicht zufrieden ist, kann sie ihm auch von hinten ansehen. Sawamura wirkt angespannt, schon den ganzen Tag über. Und auch schon die letzten Tage. Seit Mittwoch ist er so seltsam. Er kann sie kaum noch ansehen, versucht ihr aus dem Weg zu gehen, weicht ihr aus. Miteinander geredet haben sie auch nicht wirklich, zumindest nicht so offen und ehrlich wie die letzten Wochen über. Wobei, sind es ehrliche Gespräche? Sie hat ihm ihre Gefühle immer noch nicht gestanden, gilt das dann als unehrlich? Doch egal wie, sie vermisst es. Die letzten Wochen waren schön und sie hat es genossen, Zeit mit ihm zu verbringen, ihrem Schwarm so nahe sein zu dürfen. Sein Verhalten die letzten Tage macht ihr Sorgen. Warum ist er, wie er ist? Hat sie ihm etwas getan? Hat er sie bereits satt? Auf einmal dreht er seinen Kopf, sieht sie direkt an. Sie versteift sich. Sein Blick … was hat er jetzt? So hat er sie noch nie angesehen. Nicht so intensiv. Ihr Herz nimmt einen Schlag zu. Als er sich zu ihr dreht und auf sie zukommt, verdoppelt sich das Tempo erneut. Und dann tut er etwas, das alles zuvor gewesene in den Schatten stellt.
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Ein paar Minuten zuvor
Nein, nein, nein! Dieser Punkt gehört nicht den Gegnern. Sawamura springt zum Blocken nach oben.
“Berührt”, ruft er zu seiner Partnerin nach hinten, als der Volleyball seine Hand streift. Schon springt Michimiya zum Ball und rettet ihn. Er fliegt in die Luft, so dass er ihn annehmen und spielen kann. Sie läuft zum Netz, springt in die Höhe und erwischt den Ball mit der Handfläche, schmettert ihn auf den gegenüberliegenden Boden. Punkt für sie beide. Jubelnd reißt sie ihre Hände in die Höhe und blickt nach hinten zu Sawamura, der zufrieden grinst. Doch kaum, dass er sie ansieht, weicht das Grinsen wieder. Sie sieht einfach so … so … anders aus. Anders, als er sie bisher betrachtet hat. Das strahlende Lächeln auf ihren Zügen bringt alles an ihr regelrecht zum Leuchten. Ihre Augen, ihr ganzer Ausdruck. Einfach alles. Warum ist das plötzlich so? Es kann doch nicht sein, dass sich alles an ihr plötzlich geändert hat. Sie muss früher doch auch schon so gewesen sein … Er hebt ihr einen Daumen entgegen und zwingt sich, sein eigenes Lächeln wieder zurück zu holen.
“Gut gemacht”, richtet er dabei an sie. Sie hat es gut gemacht. Und auch wenn es nun erst 10 zu 14 für sie steht, war es ein Punkt. Ein Punkt den sie brauchen, um die Gegner einzuholen und auch zu überrunden. Doch auch wenn er das jetzt gesagt hat, ihr strahlendes Lächeln ist bereits wieder gewichen.
“Danke”, murmelt sie und weicht seinem Blick aus. Sie tritt ans hintere Ende des Feldes, da sie nun Aufschlag hat.
Seufzend geht auch Sawamura an seinen Platz, richtet seine Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Netzes … okay, nein. Er richtet zwar seinen Blick dorthin, aber seine Aufmerksamkeit ist hinter sich bei ihr. Die Frage von zuvor kehrt zurück. Warum sieht er sie plötzlich so anders? Nur, weil er von ihren Gefühlen weiß? Das ist doch schwachsinnig. Zudem weiß er ja immer noch nicht, was er will und … Gleichzeitig mit dem Pfiff und gleich darauf dem Geräusch, als Michimiya den Aufschlag macht, kommt das Verständnis. Mit geweiteten Augen richtet er sich auf und alles andere rückt endgültig in den Hintergrund. Er empfindet etwas für sie. Ob er wirklich in sie verliebt ist, das ist ihm gerade nicht klar. Die Gefühle letztes Jahr waren lodernder, doch sie waren auch verhältnismäßig schnell erloschen. Das hier, das was er für Michimiya empfindet, das ist anders. So anders, dass er es nicht erkannt hat. Aber warum sonst sollte er plötzlich so verunsichert sein, was sie angeht? Wenn er keine Gefühle für sie hätte, dann wäre er einfach zu ihr gegangen und hätte mit ihr darüber geredet, so ist er. Er klärt immer alles ab. Aber mit ihr? Mit Michimiya war das nicht so einfach. Sein Herz machte Sätze in ihrer Gegenwart. Ihm ist jetzt so richtig klar, wie hübsch sie ist - nein, wie schön sie schon immer war! Er fühlt sich wohl bei ihr. Sie sind Freunde gewesen, er mag sie, hat er schon immer. Aber das hat sich gewandelt. Zu mehr.
“Sawamura!”, erklingt ihre Stimme in dem Augenblick hilflos hinter ihm, schon fast panisch.
Sein gerufener, gebrüllter Name bringt ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie sind in einem Spiel! Mittendrin! Sein Blick hebt sich, scannt die Umgebung in Millisekunden und schon reagiert er, aber zu spät. Er sprintet nach vorne, springt ab, doch er war zu weit entfernt vom gegnerischen Angreifer. Der Volleyball kommt mit einem lauten Schlag auf dem Boden auf und fliegt dann ins Aus. Punkt, erneut für die Gegner. 10 zu 16.
Sawamura runzelt seine Stirn. Er darf sich nicht weiter ablenken lassen. Und er weiß, was es ist, was ihn ablenkt. Und das muss er nun dringend aus dem Weg schaffen. Sein Blick richtet sich über seine Schulter auf Michimiya, ehe er direkt auf sie zugeht und direkt vor ihr stehen bleibt.
