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Requiem

Teil Drei der BtB Serie
von

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Just a moment

Stille. Die Art, die zu einem gestohlenen Augenblick gehörte. Einem kostbaren Augenblick. Denn Neji wusste, dass sich dieser ganz besondere Fall, den Schattenninja bis zu einer sprachlosen Schockstarre zu überraschen, niemals wiederholen würde. 

 

Shikamaru würde es niemals ein zweites Mal geschehen lassen; er würde diesen Moment genauestens katalogisieren und das nächste Mal vorbereitet sein. 

 

‚Bis zum nächsten Mal, Nara?‘

 

‚Verlass dich drauf.‘

 

Neji legte die Hände auf den Schenkeln ab und stählte sich im selben Atemzug. Es brauchte eine ganze Menge an Zurückhaltung, sitzen zu bleiben; zentriert zu bleiben. Seltsam, wie in der Vergangenheit diese seltene Erfahrung, den Schattenninja so unvorbereitet zu erwischen, immerzu ein tiefes und berauschendes Gefühl der Befriedigung in ihm hervorgerufen hatte. Und Neji hätte dem Drang vielleicht auch nachgegeben; wenn er nicht die Panik gesehen hätte, die direkt unter der Oberfläche der Augen des Schattenninjas hindurch huschte. 

 

Klickend schloss sich die Tür und durchbrach den Zauber. 

 

Shikamaru blinzelte rasch angesichts des Geräuschs, drehte sich halb und blinzelte etwas mehr, was ihn äußerst desorientiert wirken ließ. „Du hast das Schwein geschickt…“, sagte er unbeholfen und vollkommen unnötig. 

 

Aus deinem Spiel geworfen.

 

Das Lächeln des Hyūga spannte sich an, um nicht noch breiter zu werden. Bedächtig griff er nach seinem Tee und tat so, als würde er daran nippen, um die Gelegenheit zu ergreifen, seinen Blick langsam über Shikamaru wandern zu lassen. Er machte sich wieder mit jeder einzelnen schlanken und sehnigen Kontur vertraut – fühlte den Stich und das Ziehen hinter seinen Rippen, die die bittere Bedeutungslosigkeit von Distanz und Zeit offenbarten. 

 

Jedes Mal.

 

Shikamaru begab sich zu dem Tisch und seine Anspannung verriet sich durch den Winkel, in dem er langsam die den Abstand überbrückte; er bewegte sich gerade links der Mitte und vermied energisch den scharfen Strahl von Nejis kühlem und unbeirrbarem Blick. Mit leicht gedrehtem Körper setzte er sich und spähte aus dem Augenwinkel zu ihm. „Würdest du damit aufhören? Man begutachtet mich sowieso schon von allen Seiten.“

 

„Und ist diese genaue Musterung denn gerechtfertigt?“

 

Überraschenderweise hielt Shikamaru diesmal den Augenkontakt. „Ist das deine Art mich zu fragen, ob ich mich in kalten tiefen Wassern befinde?“

 

Neji hielt das zusammengezogene Starren und spürte deutlich, wie der Pulspunkt seinem Kiefer pochte. „Ja.“

 

Nach ein paar angespannten Sekunden seufzte Shikamaru leise durch die Nase und lächelte leicht. „Jo. Dachte ich mir.“

 

Es war keine Antwort auf Nejis Frage…und es warnte ihn eindringlich davor, noch weitere zu stellen. Der Hyūga wusste es besser als zu drängen, wenn Shikamaru ihn bereits auf halbem Weg getroffen hatte. Und er wusste es ebenso besser als fade Höflichkeiten auszutauschen. „Team 10 wurde einer Mission zugewiesen“, sagte er. 

 

Shikamarus Augen wurden kaum sichtbar einen Hauch schärfer, bevor der Schattenninja in seine abgestumpfte Haut schlüpfte, sich zur Seite neigte, während er die Ellbogen aufstellte und die Finger gegen seine Schläfe drückte. „Schön, sag mir, was ich wissen muss.“

 

Neji griff in die Falten seiner Robe, zog ein zusammengefaltetes Dokument hervor und schob es über den schmalen Tisch, wobei er auf halbem Weg erstarrte, als Shikamaru ihm die Hand entgegenstreckte, um es zu nehmen. Sofort fielen seine blassen Augen auf verletzte scharlachrote Haut und ohne überhaupt nachzudenken reagierte Neji. Er umfasste das Handgelenk des Schattenninjas und spürte, wie der Puls unter seinen Fingern einen wilden Satz machte. 

 

Shikamaru warf ihm einen Blick zu, der quasi ‚Zur Hölle?‘ schrie. 

 

Stirnrunzelnd räusperte sich Neji. „Was ist mit deiner Hand passiert?“

 

„Heißer Kaffee. Langweilige Geschichte.“ Vorsichtig befreite Shikamaru sein Handgelenk, entfaltete das Dokument zwischen zwei steifen Fingern und überflog den Text, während sich seine Brauen tief zusammenzogen. „Kusagakure?“

 

„Potentielle S-Rang Aktivitäten.“

 

Shikamarus Augen zuckten rasiermesserscharf nach oben. „Akatsuki?“

 

„Nein“, erwiderte Neji und versuchte zu entschlüsseln, ob die Linie, die sich zwischen die Brauen des Schattenninjas schnitt, auf Verwirrung oder Enttäuschung zurückzuführen war. Er konnte all die Fragen spüren, die seinen Rachen hoch stiegen, die Spannung, die unter seiner Haut entlang kroch und das Kribbeln in seinen Fingerspitzen; den Drang, die Hand nach dem Nara auszustrecken. Mit viel Mühe zog er sie von seiner Tasse zurück, legte sie in seinen Schoß und krümmte krampfhaft die Finger. 

 

Währenddessen waren Shikamarus Augen wieder auf das Papier gerichtet und seine Brauen hoben sich. „Zwei Millionen Ryō, huh?“

 

„Anreiz genug“, sagte Neji. „Wenn es zu einem Krieg kommt, dann müssen wir auf die Kosten vorbereitet sein.“

 

„Jo“, murmelte Shikamaru und sein wandernder Blick hielt am Ende des Blattes inne; zusammen mit seinem Atem. „Zu blöd, dass man kein Preisschild an ein Leben hängen kann.“

 

Neji beobachtete ihn und die kühle Fassade löste sich von seinem Gesicht, als sich Shikamarus Augen anzuspannen begannen und seine Atmung stoßweise wurde. „Shikamaru…“

 

Nicht!“, knurrte Shikamaru und zerknüllte das Papier in seiner Hand, als er die Lider aufeinanderdrückte. Scharf sog er die Luft ein und hob eine Faust, deren Knöchel weiß hervor traten, bevor er einen langsamen und steten Atem ausstieß. „Nicht.“

 

Sofort zog sich Neji mit steif aufgerichteter Wirbelsäule, zusammengepressten Lippen zurück und griff mit seinen Augen allein nach dem Schattenninja. Das, genau dieser Moment – jetzt – war das, was er an Asumas Begräbnis hatte vermeiden wollen. Die Qual, nicht zu wissen, was er sagen sollte; die Qual, nicht zu wissen, was er tun sollte. Die Qual, durch Gewohnheit und Zurückhaltung dazu gezwungen zu sein, sich zurückzulehnen und zuzusehen, zu warten…und sich bei allem auf dieser Welt zu wünschen, dass das Leben nicht so war wie es war und immer sein würde; Menschen fortstehlend, sie trennend, ob nun durch die grausame Hand des Todes oder durch die eiserne Faust erzwungener Distanz. 

 

Distanz…

 

Er zwang sich selbst dazu, diese Distanz jetzt mit straffem Körper und festem Gesichtsausdruck zu wahren. 

 

Mit immer noch geschlossenen Augen presste sich Shikamaru eine Faust gegen die Lippen und sein Ellbogen war dabei ein starrer Punkt, der sich in den Tisch drückte, als er sich gegen das leiseste Zittern wehrte. Seine Schultern hoben und sein Körper verkrampfte sich – und dann bebten seine Nasenflügel und stießen den angestauten Atem in einem einzigen kontrollierten Strom aus. Beinahe sofort danach öffneten sich seine Augen; undurchsichtig wie Obsidian und auf die Mitte des Tisches fixiert.

 

„Rede“, raunte er rasch und rau. 

 

Ein Stich grub sich tief hinter Nejis Rippen, doch er zog die Riemen um sein Herz straffer und tat wie ihm geheißen. „Ich werde diese Mission nach Kusagakure anstelle von Kakashi-senpai anführen. Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob Kusagakure in den illegalen Handel durch Chakra gestärkter Exemplare verwickelt ist.“

 

„Exemplare?“, krächzte Shikamaru und räusperte sich. „Menschlich?“

 

Neji schüttelte den Kopf. „Unbekannt. Könnte tierisch oder menschlich sein. Wir sind uns auch nicht sicher, ob dieser illegale Handel nur innerhalb von Kusagakure stattfindet, oder ob es über die Grenzen hinaus geht. Gemessen an dem S-Rang Niveau können wir davon ausgehen, dass das Risiko besteht, dass es eine endemische Operation wird. Ich würde deinen Ratschlag bei der Zusammenstellung eines Teams sehr zu schätzen wissen.“

 

Shikamarus Stirnrunzeln wurde tiefer, als seine Augen arbeitend vor und zurück zuckten, um die Informationen anzuordnen und erneut durchzugehen. Er nickte langsam, sagte aber nichts. 

 

Neji wartete einen Herzschlag, bevor er fortfuhr. „Unter Berücksichtigung all der unbekannten Faktoren, möchte ich eine Mischung stationärer und offensiver Einheiten. Das könnte sich als Suchen und Sichern herausstellen, aber wir können ein Suchen und Zerstören nicht ausschließen.“ Bedächtig spähte er auf das zerknitterte Papier in Shikamarus Faust, um sich davon abzuhalten, auf die zerknitterten Linien zu stieren, die sich in die Augenwinkel des Schattenninjas bissen. „Unser Klient ist ein Mitglied des Hofes des Daimyōs. Wir werden uns bei den Ruinen der alten Kannabi Brücke mit seinen Leuten treffen. Nächste Woche brechen wir auf.“

 

Was bedeutete, dass Neji schnell handeln musste, um sich all seine nötigen Spieler zu sichern; besonders da alle verfügbaren Chūnin für Missionen von Nijū Shōtai Jōnin weggeschnappt wurden, die zusätzliche Teams benötigten. 

 

Wie immer war Zeit von entscheidender Bedeutung. 

 

Und dennoch; während er Shikamaru jetzt so beobachte und sein scharfes Profil musterte, das im weichen Laternenlicht noch markanter war, strömte Geduld wie ein Bach durch Neji…wusch die Glut der Dringlichkeit fort…und brachte all diese kostspieligen Lügen mit sich, die er zu glauben liebte…die grausame Illusion, dass die Zeit langsamer wurde…still stand…

 

Nur ein Augenblick.

 

Gestohlen; wie immer – und was wäre dieses Mal der Preis? Neji stählte sich dagegen, das zu beantworten, darüber nachzudenken. Stattdessen hielt er seinen Blick beständig auf Shikamaru gerichtet, nahm seinen Tee auf und tat noch einmal so, als würde er trinken, um dem Schattenninja einen Moment zu geben, seine Gedanken zu sammeln. 

 

Was geht in diesem Verstand von dir vor sich?

 

Die so banale Frage wurde von einer Flutwelle weit dringlicherer Sorgen beiseite geschoben; Sorgen, die aller Wahrscheinlichkeit nach viel schmerzhaftere Antworten herauf beschwören würden.

 

Wo bist du, Nara? Rennst du weg? Bist du kurz davor? Stehst du am Abgrund?

 

Energisch biss Neji den Drang zu sprechen zurück und die Muskeln in seinem Kiefer zuckten dabei hart. Er suchte nach einem Erdungspunkt, einem meditativen Zustand halb zwischen erweitertem Bewusstsein und fester Distanziertheit, während er Shikamaru durch den Dampf musterte. 

 

Es war schwer zu sagen, ob der Schattenninja in dem Moment versunken oder vollkommen davon abwesend war. Seine Brauen hatten sich über verengten Augen zu einem scharfen V zusammengezogen und der Atem rauschte in einem abgehackten Rhythmus aus seiner Nase und strich dabei über kreideweiße Knöchel – ein-und-aus, ein-und-aus – die Faust noch immer an seinen Mund gepresst. 

 

Es schien eine lange und erschöpfende Zeit zu dauern, bevor Shikamaru schließlich sein Kinn hob und leise in die Stille sprach: „Lass mich drüber schlafen.“

 

Neji schmunzelte leicht. „Ich habe nichts weniger von dir erwartet, Nara.“

 

Langsam sah Shikamaru auf und sein Blick wurde im Laternenlicht so weich, dass die brandyfarbenen Partikel, die tief in den Schatten seiner Augen schwebten, beinahe golden erschienen. Seine Lippen hoben sich in dem kleinsten Anzeichen eines Lächelns. „Es tut gut, dich zu sehen, Neji.“

 

Eine Grube öffnete sich in Nejis Brust und schluckte alle Luft aus seinen Lungen. Seine Rippen dehnten sich gegen den wachsenden Druck aus. Kopfschüttelnd atmete er leise aus. „Worte sind…“ Er brach ab und alles, was er in sich hatte, um es zu sagen, war… „Schwierig“, gestand er.

 

Shikamarus Augenbraue zuckte; es war eine schwache Imitation seines üblichen charakteristischen Bogens. „Jo. Aber du bist viel eloquenter und ich viel zu faul, um es überhaupt zu versuchen.“

 

Neji lachte; fühlte, wie das vibrierende Geräusch etwas von der Anspannung in seiner Brust löste. „Zumindest das hat sich nicht verändert.“ Doch er ernüchterte rasch und verband wieder ihre Blicke. „Und mir tut alles leid, das sich verändert hat.

 

Eine kurze Pause entstand, als Shikamaru erneut seine Faust gegen seine Lippen klopfte und versuchte, sich an seinem Lächeln festzuhalten. „Ich fühle einen mächtigen Sprung, der auf dem Weg ist, Hyūga“, sagte er gedehnt, doch der Schmerz in seinen Augen drängte sich an die Oberfläche und zerschmetterte den schwachen Versuch von Humor. „Und ich bin viel zu erledigt, um uns aus diesen kalten tiefen Wassern zu zerren.“

 

Neji lehnte sich nach vorn und fing sich gerade noch rechtzeitig, als er einen Arm über die Kante des Tisches legte und sich so selbst dabei blockierte, noch weiter zu gehen. So gut es ging verbarg er den Ausrutscher, indem er seinen Körper neigte und auf seinen Ellbogen stützte, wobei er eine Leichtigkeit vortäuschte, die er keineswegs verspürte. Er trommelte leicht mit den Fingern; ein beweiskräftiges Tippen. 

 

Ein leises Lachen schwebte über den Tisch. „Verdammt. Was für eine rettende Parade. Du kannst einfach nicht lässig oder beiläufig sein, oder?“

 

Neji verzog leicht das Gesicht über die Offensichtlichkeit dieser Aussage. „Es entzieht sich mir.“

 

„Jo. Ist fast schon schmerzhaft, dabei zuzusehen.“

 

So wie bei dir…, dachte Neji und kämpfte hart darum, den Augenkontakt nicht zu unterbrechen. Und auf einmal sprang der Drang, sich zu rechtfertigen völlig ungebeten nach oben und flog sofort von seinen Lippen. „Ich habe uns nicht hierfür eingeschrieben, Shikamaru.“

 

Der Schattenninja warf ihm einen gespielt zweifelnden Blick zu. „Ja, ich dachte auch nicht, dass du so ein abartiger Sadist bist.“

 

„Nicht wirklich. Ich bevorzuge es einfach, eine dramatischere Wirkung zu erzielen.“

 

Shikamaru schmunzelte und dieses gerissene Grübchen schnitt sich dabei in seine Wange. Er senkte ein wenig die Augen. „Also was hat es damit auf sich, dass du auf einmal Kakashi-sensei usurpierst?“

 

„Usurpieren?“ Neji zog eine Grimasse und mochte es gar nicht, wie Kibas Gesicht in seinem Geist aufploppte, begleitet von dem hallenden Heulen von ‚Hoheit‘. „Ich bin mir nicht sicher, was bei dieser Entscheidung ausschlaggebend war.“

 

„Deine makellose Erfolgsbilanz?“, scherzte Shikamaru, doch seine Augen behielten diese scharfe, spekulative Kante bei, die auf Teile und Puzzle und Möglichkeiten hindeutete. „Schätze, du bist inzwischen ganz oben angekommen.“

 

Wohl kaum.

 

Er befand sich auf der untersten Sprosse eines Leiterspiels, und spielte mit einem Schicksal, das weniger sicher war als der Tod und weitaus deprimierender. Kontrolle, Freiheit und der potentielle Verlust von beidem. Er hatte seine Kontrolle in die zuckenden Hände eines Tokujō Sadisten gelegt und sein Leben praktisch einem militärischen Strategen überlassen, der geradezu darauf versessen war, seinen Kampf um Freiheit so zermürbend wie nur irgend möglich zu machen. Was für eine Schande, dass er kein Masochist war; zumindest wäre er dann in der Lage gewesen, darüber zu lachen. 

 

Götter, wie ironisch ist das eigentlich? Die Kontrolle aufzugeben, für die ich beinahe gestorben wäre, um eine zweite Chance im Leben zu bekommen…

 

Und was für ein Leben er gewählt hatte. 

 

Zumindest konnte ich wählen.

 

Und das war doch genau der Punkt, oder nicht? Die Chance zu ergreifen, die sein Vater hatte verstreichen lassen. Und für welchen Zweck hatte Hizashi sie aufgegeben? Welchen Sinn? Welches Selbstgefühl? Um für Kameraden zu sterben, ja. Aber vom Käfig des Lebens in das Gefängnis des Todes zu springen ohne jemals Freiheit geschmeckt zu haben, ohne diesem weggeworfenen Leben jemals einen Wert gegeben zu haben? Was war das schon? Nicht bedeutungsvoller als ein nobles Opfer, das von einem edelmütigen Sklaven erbracht wurde. 

 

Und ich weigere mich, auf diese Weise zu sterben.

 

„Du siehst alle Arten von tiefsinnig aus, Hyūga.“

 

Neji blinzelte. „Was?“

 

Shikamaru legte den Kopf schief, senkte die Faust von seinem Mund und legte seinen Arm zwischen ihnen auf dem Tisch ab. „Du siehst aus, als würdest gleich wieder einen gewaltigen Satz machen. Hast du mich damals nicht gehört?“

 

Während er auf Shikamarus Arm stierte, der parallel und so nah an seinem ausgestreckt dalag, widerstand Neji dem Drang, den gewaltigen Satz zu erwähnen, den der Schattenninja gerade gemacht hatte, indem er die Distanz auf die unschuldigste Weise geschlossen hatte. 

 

Unschuldig? Beabsichtigt?

 

Es war immer schwer zu sagen.

 

„Hörst du mich überhaupt, Neji?“

 

Räuspernd hob Neji seine Hand und zog sie fort, wobei er zusah, wie sein Schatten in einer phantomhaften Berührung über die Haut des Naras strich. „Nein“, sagte er, krümmte die Fingerspitzen über seine Teetasse und drehte sie in einem langsamen Kreis. „Mein steinhartes Ego steht direkt zwischen meinen Ohren und meinem Hirn.“

 

Shikamaru saugte an seinen Zähnen und hielt etwas in sich, was vermutlich ein Lachen gewesen wäre. Mit einem leichten Kopfnicken gab er nach. „Verdammt. Das erklärt einiges. Sag mir, dass daran auch irgendwas Gutes ist.“

 

„Ich habe einen diamantharten Schädel.“

 

Und da war es. Dieses leise Lachen. Rauchig und tief, gefolgt von diesem Blut aufwühlendem Klang eines Honig-und-Rauch gedehnten Sprechens. „Sag bloß. Ich glaube, ich habe immer noch einen Blutsturz von deiner letzten Hyūga Kopfnuss.“

 

Neji zog leicht das Kinn zurück, doch er war eher amüsiert statt gekränkt. „Ich habe niemals dein Blut vergossen“, verteidigte er sich. 

 

Schnaubend schossen Shikamarus Brauen nach oben. „Hast du jetzt auch noch ein selektives Gedächtnis? Du hast mein Blut vergossen und mir eine Gehirnerschütterung verpasst.“

 

„Das war wohl kaum ein Blutsturz, Nara. Es hat ja nicht mal eine Narbe gegeben.“

 

„Oh ich bin bereits vernarbt; mental vernarbt fürs Leben.“

 

Neji beugte sich vor; ein unbewusster Versuch, sein Lachen zu ersticken. Doch das Lächeln brach sich trotzdem Bahn, schnitt das Eis von seinem Gesicht; es war wie ein fremder Schmerz, der sich über seine Wangenknochen zog. Er hatte nicht mehr auf diese Weise gelächelt, seit…

 

Dem letzten Mal, als ich mit dir zusammen war. 

 

Es war ein trauriger und ernüchternder Gedanke. Rasch lehnte er sich fort und fuhr sich mit einer Hand durch die dunklen Strähnen, die sein Gesicht einrahmten, bevor er sie mit einem leisen Seufzen und kopfschüttelnd fallen ließ. Wenn es um Shikamaru ging, dann stand er immerzu an einer Kreuzung; Meilen von dort entfernt, wo er sein musste – sowohl mental als auch emotional. 

 

Für einen Moment musterte Shikamaru ihn. „Ich kann aus der Mission aussteigen.“

 

Scharfsinnig wie immer…

 

Neji schmunzelte bitter. Wie so vieles kommuniziert werden konnte und dennoch für immer unausgesprochen blieb, überraschte oder ärgerte den Hyūga immer wieder. Doch was ihn mehr störte als Shikamarus scharfe Augen, war die Andeutung, dass er sich nicht unter Kontrolle halten könnte. Er spürte, wie sich seine kühle Miene über sein Gesicht fror und etwas Wärme aus seinen Zügen stahl. 

 

„Das ist keine Option“, sagte er. „Und selbst wenn es das wäre, bleibt immer noch die Tatsache, dass du und ich unsere Pflicht und unsere getrennten Leben hatten, lange bevor wir diese…“ Er suchte nach einem Wort und spuckte es ohne nachzudenken aus: „Ablenkung hatten.“

 

„Ablenkung…“, schnaubte Shikamaru beinahe schon knurrend und sah zur Seite des Tisches. „Das ist ja mal ein abartiges Wieselwort.“

 

Neji mahlte bei dieser blasierten Erwiderung mit den Kiefern, als er fühlte, wie sich alte Wunden öffneten. Herausfordernd hob er das Kinn. „Bestreitest du es?“

 

Shikamarus Augen zuckten angesichts des samtenen Tonfalls. „Nein“, sagte er weich und verband erneut ihre Blicke. „Ich bestreite es nicht.“

 

„Genau“, sagte Neji. „Aber du wirst es lernen. Und um der Mission willen vertraue ich darauf, dass du tun wirst, was auch immer notwendig ist.“

 

„Notwendig…?“ Shikamarus hauchte das Wort, während er den Arm über den Tisch zog und seine Stimme noch leiser wurde. „Danke für den Spickzettel der Akademie, Hyūga. Aber ich habe die Klasse bereits bestanden.“

 

„Dann kennst du auch die Regeln“, fuhr Neji fort und nutzte jede Unze seiner Selbstbeherrschung, um seine nächsten Worte nicht hinunter zu schlucken, sondern sie in einem flachen Tonfall hervor zu zwingen. „Diese Mission ist mehr als nur eine direkte Anweisung der Hokage; sie ist eine Gelegenheit zu beweisen, dass persönliche Gefühle und vergangene Übertretungen keinen Einfluss darauf haben, wer wir jetzt sind und was wir tun müssen.“

 

Was auch immer noch an Wärme geblieben war; sie erstarb schlagartig wie eine erstickte Flamme in Shikamarus Augen und die goldenen Sprenkel verschwanden im Schatten. „Du hast nie einen direkten Befehl oder eine Mission gebraucht, um das zu beweisen.“

 

Der verbale Schlag prallte von den Schilden um Nejis Herz ab und löste einen unmittelbaren und verheerenden Gegenschlag aus. „Nein. Aber du hast das immer gebraucht.“

 

Ein direkter Treffer. 

 

Shikamaru saß regungslos da; sprach nicht, atmete nicht. 

 

Und erst dann registrierte Neji wirklich, welche Wirkung seine Worte hatten. Aber jetzt war es – wie immer – zu spät, um sie zurück zu nehmen; zu spät, um so zu tun, als wären sie nicht dazu gedacht gewesen, zu verletzen, zu schockieren, ebenso viel Kummer auszuteilen, wie er immerzu durch Shikamarus scharfe Zunge und Schnellfeuer-Konter hatte einstecken müssen. 

 

Aber es lag keine Befriedigung darin; kein Erzielen eines Ausgleichs, nur der dumpfe Schmerz von -

 

Distanz. 

 

Nach einer langen Pattsituation kräuselten sich die Lippen des Schattenninjas zu einem bitteren Schmunzeln. Es war seine einzige Antwort, außer dass er noch die Missionsbeschreibung in seiner Hand zerknüllte und mit einem Schwung auf die Füße kam, mit dem er sich gleichzeitig abwandte. Es war eine erzwungene Bewegung; zu entspannt, um echt sein zu können und es war eine, die Neji sofort erkannte - sie zeigte, dass Shikamaru gegen den verzweifelten Drang ankämpfte, aufzuspringen und wegzurennen. 

 

‚Lass ihn nicht wegrennen.‘

 

Gnadenlos zertrümmerte er diesen Gedanken – immerhin gehörte er nicht zu ihm – und ohne sich zu erheben, um dem Schattenninja zu folgen, hielt er seine Stimme sehr ruhig und sehr leise. „Was glaubst du, wo du hingehst?“

 

Shikamaru ließ sich nicht einmal herab, sich umzudrehen. „Ich muss mir diese Scheiße nicht anhören. Und selbst wenn, dann muss ich sie mir ganz sicher nicht von dir anhören.“

 

„Setz dich hin, Nara.“

 

Der kalte autoritäre Tonfall ließ Shikamaru augenblicklich innehalten. Er wirbelte auf dem Absatz herum und warf Neji einen fassungslosen Blick zu, der von dem dunkelsten Anflug von Belustigung übertüncht wurde. „Spielst du gerade ernsthaft deinen Rang gegen mich aus?“

 

Gefasst sah Neji zu ihm hoch. Er mochte Shikamarus Vorteil der Höhe nicht, war aber auch nicht willens, seine kühle Haltung für reines Getue zu opfern. „Wir sind hier noch nicht fertig.“

 

„Ich schon.“

 

„Ich nicht.“

 

„Zu blöd.“

 

„Setz dich hin.“

 

„Fick dich ins Knie.“

 

Jetzt stand Neji auf; er strahlte völlige Kontrolle auf, als er sich mit kraftvollen Gliedern zu seiner vollen Größe aufrichtete. Über den niedrigen Tisch hinweg standen sie sich gegenüber; Shikamaru bereits halb der Tür zugewandt – eine unverhohlene Beleidigung oder ein strategisches Manöver. Bei dem Schattenninja konnte man das nie so genau wissen und das hatte ihn immer zu einem unwiderstehlichen Gegner gemacht – einer Herausforderung, die einen in den Wahnsinn trieb.

 

Neji versuchte es erneut. „Setz dich hin, Shikamaru.“

 

Doch Shikamaru hob nur eine Braue. „Glaubst du wirklich, dass es deiner Aussage irgendein Gewicht verleiht, nur weil du aufgestanden bist?“

 

„Das kommt darauf an, ob du immer noch stehst, wenn ich mich das nächste Mal wiederhole.“

 

Beide von Shikamarus Brauen wanderten bis zu seinem Haaransatz und ein raues Lachen rasselte in seiner Kehle, als etwas Unbestimmbares hinter seinen Augen aufflackerte; heiß und wild – ein blitzartiges Flimmern, an das sich Neji durch weit intimere Begegnungen erinnern konnte.

 

Es ließ ihn innehalten – ließ ihn zögern. 

 

Sehr langsam wandte sich Shikamaru ihm zu und als er das tat, fing Neji an der Peripherie seines Sichtfeldes synchronisierte Bewegungen auf. Schatten bewegten sich in spektraler Nachahmung der langsamen Drehung des Nara und krochen in einem zunehmenden Pulsieren über die Wände. 

 

Was zur Hölle?

 

Und dann, in diesem kaum vorhandenen Moment – einem Moment der nicht länger andauerte, als der Schatteninja brauchte, um sich umzudrehen – realisierte der Hyūga, dass da etwas subtil Anderes an der Art und Weise war, wie Shikamaru aussah – nein, wie er sich anfühlte. Doch er konnte es nicht auf irgendetwas Physisches festlegen. Es war mehr die Aura, die der andere Ninja ausstrahlte. Sie ging über die straff gezogenen Muskeln, die Intensität dieser Augen und der Schärfe der Intelligenz hinter ihnen hinaus; ja, es ging tiefer, viel tiefer. 

 

Und Neji wurde abrupt vollkommen regungslos, als er mit stockendem Atem identifizierte, was es war. 

 

Sein Chakra ist anders.

 

Dichter. Dunkler. Neji hatte das schonmal gefühlt, genauer gesagt sogar zweimal; und beide Male war Shikamaru dabei unter ihm festgenagelt gewesen. Das letzte Mal, dass er diese seltsame Manifestation erlebt hatte, war im Ryokan gewesen, als sie gegeneinander gekämpft hatten. Wirklich gekämpft. Nur hatte er damals sein Byakugan gebraucht, um es entdecken zu können. Jetzt spürte er es vollkommen intuitiv; eine fast schon zähflüssige Energie, eine greifbare Kraft. 

 

Finde es. 

 

Die Venen an seinen Schläfen traten wie Drähte hervor; sofort blutete die Welt zu einem glühenden Monochrom aus und seine Sicht zog sich zusammen, bevor sie sich ausdehnte und mikroskopische Details in einem Netzwerk konzentrierten Chakras aufflammten. Aber fast sofort verdunkelten sich diese Pfade zu einem undeutlichen Nebel, als würde Shikamaru die verschleiernde Wirkung eines Barrierejutsus einsetzen. 

 

Kami…maskiert er sein Chakra?

 

Eine weitere eiskalte Flut der Erinnerung.

 

‚Ich weiß nicht, wie du gelernt hast, dein Chakra so maskieren zu können, aber es wird mich nicht davon abhalten, dich zu finden.‘

 

Und das hatte es auch nicht. Aber jetzt? Er starrte Shikamaru an und sein durchdringender Fokus taumelte verwirrt, als die Vergangenheit die Gegenwart überlagerte.

 

‚Ich habe mein Chakra nicht verloren.‘

 

‚Nein, aber du hast die Kontrolle darüber verloren. Und ich bezweifle, dass es dir überhaupt bewusst ist, was im Moment damit passiert.‘

 

Energisch wischte er die Erinnerung beiseite und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart, nur um festzustellen, dass die Netzwerkpfade des Schattenninja sichtbar und klar waren, die Tenketsu geladen mit Chakra, aber nicht verdorben von etwas Unheimlicherem als Geschwindigkeit; da war nichts außer eine beschleunigte Zirkulation. Nichts Dunkles, nichts Unheilvolles. 

 

Hatte er sich das gerade eingebildet?

 

Nein.

 

Und dennoch fand er keinerlei Beweise, die seine vorherige Intuition unterstützten. Er war sich auch nicht sicher, was ihn mehr verstörte, der Mangel an Beweisen oder die Fehler in seiner Wahrnehmung. Entsetzt überprüfte Neji sein eigenes Chakra und suchte nach Blockaden. 

 

Was stimmt nicht mit mir?

 

Als wäre sein Ausrutscher mit Ino nicht bereits beunruhigend genug gewesen – und jetzt auch noch das? Hatte Ibiki in seinem Hirn irgendetwas geändert? Oder schlimmer – hatte er irgendetwas dort hinein gepflanzt? Nahm er jetzt Realitäten wahr, die gar nicht existierten?

 

Götter, ich klinge total paranoid.

 

Doch er fühlte es auch…wie diese Kontrolle abrutschte. Er war daran gewöhnt, dass sein Körper ihn gelegentlich im Stich ließ; aber niemals sein Verstand. Gott, das könnte er nicht ertragen. Bei dem Gedanken daran wurde ihm speiübel und es ließ ihn fassungslos zurück. Als er sein Byakugan deaktivierte, stellte er fest, dass Shikamaru ihn unbeirrt musterte; die vorherige Bedrohung war aus diesen dunklen Augen verschwunden und fort aus seiner Aura. 

 

Wenn es überhaupt da gewesen ist…

 

Alles, was zurückblieb, war eine erschöpftes Schweigen. Und der verzweifelte Drang, sich zu erden. 

 

Den Kopf wieder gerade zu rücken.

 

Da er seinen Sinnen im Moment nicht traute, zögerte Neji, als er geradezu spürte, wie sie ihn anschrien. Viel zu spät bemerkte er eine seltsame Empfindung der Schwerelosigkeit, die sich um ihn legte; ein komisch kribbelnder Fluss, der alle Energie aus seinen Gliedern raubte, sie hinunter zerrte zu den Sohlen seiner Füße und dort zu einer sichtbaren Masse erstarren ließ. Und bevor er sich der abrupten Lahmlegung seiner motorischen Funktionen widersetzen, oder die Masse aus Energie als seinen eigenen Schatten identifizieren konnte, musste er feststellen, dass er vollkommen bewegungsunfähig war. 

 

Schattenbesitz.

 

Weiße Augen flogen weit auf. Wie zur Hölle hatte der Nara das geschafft?

 

Indem er durch den Spalt geschlüpft ist…

 

Durch den Spalt zwischen Paranoia und Zögern. 

 

Du Narr.

 

Er hatte all seine Wachsamkeit so gut wie fallen gelassen und sich selbst weit offen gelassen, während er völlig arrogant angenommen hatte, dass sich Shikamaru nicht die Mühe machen würde, sich diesen Treffer zu holen. Vergangene Erfahrung diktierte eigentlich Faulheit und Vermeidung. Die einzige Zeit, zu der Shikamaru vielleicht einen Kampf provozieren würde, wäre nur dann, wenn er die Notwendigkeit verspürte, ernsthaft Dampf abzulassen. Doch als Neji den Schattenninja anfunkelte, sah er keinen Zorn, keine Aggression.

 

Also was dann?

 

Er spürte, wie sich sein Körper bewegte und Shikamarus Schritte durch den Raum spiegelte, bis der Schattenninja stehen blieb und sie nur noch zwei Schritte voneinander entfernt waren. Ohne ein Wort beäugten sie sich und ihre Brustkörbe hoben sich unter dem Widerstand eines Tauziehens, während die Luft zunehmend dichter wurde und ihnen das Atmen erschwerte. 

 

Verdammt.

 

Nejis Muskeln brannten, als sie gegen die Paralyse ankämpften, die alles bewegungslos machte außer sein Gesicht – der einzige Teil von ihm, den er verzweifelt nicht zu bewegen versuchte. Ein einziger Gesichtsausdruck würde ihn mehr verraten als sein Körper. 

 

Zur Hölle damit.

 

Er sammelte sein eigenes Chakra und versuchte, es durch seine Tenketsu-Punkte zu drängen. Er schaffte es, Shikamarus Griff lange genug zu durchbrechen, um eine leichte Reibung zu erzeugen und einen Konterpunkt zu erschaffen. Ein blauweißes Glühen erschien auf der Oberfläche seiner Haut. 

 

Schweiß brach auf Shikamarus Stirn aus. 

 

Langsam schaffte es Neji, seine Finger zu krümmen, fühlte aber einen heftigen Krampf, der seine Muskeln packte und Spasmen über seine Kniesehnen, Schenkel und seinen unteren Rücken sandte. „Lass los“, sagte er. 

 

Keuchend trat Shikamaru einen weiteren Schritt nach vorn, sodass sich ihre Brustkörbe beinahe berührten. Langsam legte er seinen Mund dicht an Nejis Ohr und zwang den Hyūga, die Bewegung nachzumachen. Die Nähe von Lippen an Haut sorgte dafür, dass sich die feinen Härchen an Nejis Nacken aufstellten und es jagte eine vertraute Statik über seine Nervenenden, die elektrische Signale und chemische Hitze explodieren ließ. 

 

„Du hast gezögert“, murmelte Shikamaru verführerisch leise. „Du zögerst nie.“

 

Energisch ignorierte Neji die Wärme von Shikamarus Atem, der ihm eine Gänsehaut bescherte und über seinen Hals geisterte. Der Hyūga bleckte die Zähne gegen das gepiercte Ohr und kämpfte den Drang zurück, seine Zähne in der blassen Haut zu versenken. „Ich habe nicht gezögert“, erwiderte er. „Ich habe mich zurückgehalten.“

 

„Nein. Du hast gezögert.“

 

Neji stierte über die Schulter des Schattenninjas und war froh, dass Shikamaru nicht seine Augen sehen konnte. Denn er wusste, dass der Stahl in seinem Blick widerwilligen Respekt zeigte. Er hatte Shikamaru bereits des Öfteren dafür verspottet, es niemals auszunutzen, wenn er sich offen ließ oder sich Treffer zu holen, wenn er die Chance dazu hatte. 

 

Zögere niemals.

 

Shikamarus Lippen strichen zärtlich über seine Schläfe und bewegten sich geräuschlos. 

 

Mit einem unterdrückten Erschauern schloss Neji die Augen. „Was?“, knurrte er, doch es war viel weicher, als er es beabsichtigt hatte. 

 

Er spürte, wie sich der Mund des Schattenninja gegen seine Haut bog; ganz leicht, aber so bedeutsam. „Ich habe gesagt, ich mache einen Spaziergang.“

 

Neji schnaubte – aber schon wieder klang es nicht ansatzweise so, wie er es beabsichtigt hatte oder es gebraucht hätte. Sein Chakra verblasste und die Spannung blutete fort. „Lügner“, beschuldigte er noch weicher. 

 

Und Shikamaru bestritt diese Anschuldigung nicht; machte überhaupt nichts, außer für ein paar stumme Herzschläge sanft gegen Nejis Schläfe zu atmen. Und dann wich er zurück und zog Neji einen Schritt nach dem anderen mit sich; ihre Schatten immer noch miteinander verbunden.

 

Blasse Augen richteten sich wachsam auf Shikamarus Gesicht. „Sei vorsichtig…“, warnte er, war sich aber nicht sicher, wen genau er ansprach; Shikamaru, oder sich selbst. 

 

„Ich bin immer vorsichtig“, erwiderte Shikamaru und bewegte sich mit einem langsamen Gleiten seiner Fersen, die wispernd über den Tatamiboden glitten. Er schien beinahe von Neji zu erwarten, sich zu widersetzen.

 

Zu kämpfen.

 

Aber Neji kämpfte nicht. Zumindest nicht mit seinem Körper. Stattdessen bekämpfte er einen viel tiefer sitzenden Zug, an viel tiefer liegenden Orten, dieselbe Vorsicht, die in seinen Mondaugen ein- und ausging.

 

Shikamaru blinzelte hypnotisch langsam und bewegte seine Finger. 

 

Nejis Hand ahmte ihn bis zum forschenden Drehen des Handgelenks nach; wie ein Gefangener, der seine Handschellen testete. Zu jeder anderen Zeit hätte ihn der Gedanke an Ketten in unmittelbare Raserei versetzt. 

 

Aber diesmal nicht. 

 

Er spürte ein zaghaftes Ziehen an dem Schatten; wie ein Kind vermutlich an der Hand eines Erwachsenen zupfte. Er leistete keinerlei Widerstand. Und als sich Shikamaru umwandte, um davon zu laufen, bewegte sich Neji exakt in seinen Fußabdrücken. 

 
 

~❃~
 

 

‚Du verweigerst diese Mission, Senpai?‘

 

‚Nein. Ich beantrage, dass sie jemand anderem übergeben wird.‘

 

‚Also verweigerst du diese Mission total. Verdammt, ich muss jetzt auch mal den Jōnin machen. Also, warum verdrückst du dich?‘

 

‚Das geht nur meinen Therapeuten und mich was an.‘

 

‚Urkomisch. Ist dein Therapeut zufällig auch noch Tsunade-sama? Denn sie wird uns beiden den Schädel einschlagen, wenn sie rausfindet, dass ich an den Missionsbeschreibungen rumspiele.‘

 

‚Ich bitte hier nicht um einen Gefallen, Kotetsu. Ich habe das bereits mit der Hokage geklärt.‘

 

‚Ja klar, so wie du deine kleine Schatzsuche in den Archiven geklärt hast?‘

 

‚Ich habe den Hund gefunden, wenn es das ist, was du meinst.‘

 

‚Du weißt, dass das nicht das ist, was ich meine. Und ich weiß, dass es nicht das ist, was du da unten gemacht hast.‘

 

‚Ah, aber sieh mal, ich weiß, dass du denkst, du wüsstest, was ich gemacht habe. Aber du solltest dir da besser sicher sein, denn was du denkst zu wissen und was du dich entscheidest zu meinen, sind zwei verschiedene Dinge.‘

 

‚…Sag das nochmal. Ganz langsam.‘

 

‚Kotetsu.‘

 

‚Tz. Shit. Was auch immer. Schön. Ich werden den dämlichen Papierkram überarbeiten und versuchen, mir nicht die Pulsadern daran aufzuschneiden.‘

 

‚Ah, na da ist ein guter Untergebener.‘

 

‚Was auch immer. Also, Kannabi Brücke, huh? Kennst du das?‘

 

‚…Ja. Ich kenne es.‘

 

Er kannte es immer noch. Er durchlebte es jedes Mal aufs Neue, wenn er in den Spiegel sah. Nicht einmal die Maske konnte ihn dort retten. Und er sah es auch noch doppelt durch zwei sehr verschiedene Augen, wobei das eine Details auf beinahe schon mikroskopischer Ebene aufzeichnete. Er konnte diesen Tag erneut durchleben; in solch graphischen Details, dass es war, als würde man die Zeit in Standbilder sezieren. Er konnte hinein und wieder hinauszoomen, den Ton ausschalten oder verstärken…aber er konnte es nicht ändern, konnte die Ereignisse nicht neu anordnen oder auslöschen. Er konnte nur zurückspulen, zusehen, zurückspulen, zusehen…wieder und wieder…

 

Und normalerweise konnte er das auch tun. 

 

Normalerweise.

 

Aber nicht heute Nacht. 

 

Heute Nacht durchstreifte Kakashi die Wälder des Trainingsareals 44 wie ein wilder Hund an einer kurzen Leine. Viel zu rastlos, um von den vier Wänden seines Apartments eingeengt zu werden, hatte er sich für einen größeren Käfig entschieden; einen Metallkäfig, dessen hoher Zaun von vierundvierzig Toren durchlöchert war. Vierundvierzig Ausgänge. Vierundvierzig Gelegenheiten, um…

 

Irgendwo anders zu sein…

 

Und war das nicht die Tragik daran? Er hatte nichts, wo er sonst sein könnte. Oder zumindest keinen Ort, an den er gehen konnte und an dem er so sein konnte. 

 

Und was genau ist so?‘

 

Rückschritt. Das war es, was das hier war. Er wusste das, denn er wusste es besser als das. Wusste es besser als es zuzulassen, dem zu frönen, sich damit gehen zu lassen. So wie er es zugelassen hatte, dass Sasuke damit ging…ohne dem Jungen jemals nachzujagen…sondern ihn einfach entgleiten zu lassen.

 

Ich bin nicht wie du, Asuma. Ich hatte das noch nie in mir.

 

Und dennoch; wenn er in der Nähe des Sarutobi gewesen war, war er dazu inspiriert worden. 

 

Es scheint, dass ich immer nur den Geistern meiner Kameraden nachjage…versuche, ihre Tode zu nutzen…um einen Sinn aus meinem Leben zu machen…

 

Oh, es war verrückt, ziemlich sogar. Diese Reaktion, dieser Zerfall – wie er es verstand – deutete auf eine Unfähigkeit hin, Trauer verarbeiten zu können…mit Verlust umgehen zu können…mit Reue umgehen zu können…

 

‚Gott, du bist erbärmlich. Dich auf Asumas Reue zu berufen…nur weil du es nicht ertragen kannst, dich deiner eigenen zu stellen…‘

 

Diese unsichtbare Kette verdrehte sich in ihm, rasselte und klirrte. Kakashi beschleunigte seine Schritte, lief durch das pudrige Sternenlicht und die tiefen Schatten des Mondes, während er spürte, wie sich das Rudel um ihn herum bewegte. Kreisend, kreisend…

 

Ein Hund brach aus der Formation, kroch näher; das Fell ebenso silbergrau wie Kakashis Chaos ungezähmter Strähnen. Sein Hitai-ate war fort. Es war in einem Tourniquet festgezurrt, um den roten Strom zu stoppen, der aus seinem Bizeps und seinen Unterarm entlang rann. Seltsam, wie er die Wunde kaum spürte und dennoch zusammenzuckte als hätte er Schmerzen, als eine rosa Zunge über seinen Handrücken leckte. 

 

Seine ungleichen Augen schwangen nach unten. 

 

Er fing Shibas raschen, neugierigen Blick auf, fühlte die nasse Hundenase, die tröstend über seine Fingerspitzen strich. Ein leises Winseln erscholl aus dem Ninken. Mit aufflammendem Sharingan und wirbelnden Tomoe versteifte sich Kakashi. Ruckartig zog er seine Hand zurück und sein Nasenrücken zog sich in einem animalischen Knurren kraus. 

 

Shiba duckte sich tief nach unten und huschte mit gebeugtem Kopf und eingezogener Rute zurück zum Rudel. 

 

Die Jagd ging weiter. 

 

Kakashi machte Sätze, sprang so hoch und weit, dass sich Muskeln zerrten und Haut aufplatzte. Blut gerann klebrig und warm zwischen seinen Fingern und in seinen Armbeugen, sowie die Schnitte in seinem Bauch entlang. Blutbesudelt und verdorben hinterließ er Tod auf der Brise; einen Geruch, um ihm zu folgen. 

 

Und er musste nicht lange warten. 

 

Als das Biest mit einer hybriden Masse aus Streifen und Klauen und entfesselter Rage aus dem Untergrund angriff, erscholl das brutale Kreischen tausender Vögel zusammen mit dem Aufflammen eines Blitzschlags – das stroboskopartige Flackern geweiteter brauner Augen, ein schönes Gesicht, blutige Lippen, die seinen Namen hervor husteten – und dann stieß sich Kakashis Hand direkt durch die Erinnerung, direkt durch Muskeln, direkt durch Knochen und ein schlagendes Herz. 

 

CHIDORI!

 

Das Biest brüllte – ein stranguliertes Jaulen zerbarst in der Nacht. Kakashi rammte seine Knie in den zuckenden Körper, drückte ihn hinunter auf den kalten harten Boden, bis seine Faust auf Erde traf; den Arm in einem zersplitterten Brustkorb begraben, während seine Finger ein noch immer schlagendes Herz umklammerten. 

 

‚K-Kakashi…‘

 

Galle kroch dick wie Blut seine Kehle hinauf…so viel Blut…

 

Kakashi krümmte sich nach vorn, packte beflecktes Gras zwischen befleckten Fingern, die Augen ohne Fokus, die Muskeln verschlossen und sein Rachen in Feuer getaucht…brennend, brennend, brennend…

 

Eine raue rosa Zunge fuhr über seine Wange. 

 

Qual.

 

Knurrend schnellte Kakashi mit gezogenem Tantō aufschlitzend zu dem Hund herum, als er einen wilden animalischen Kreis beschrieb und mit so viel unkontrollierter Brutalität um sich schlug, dass seine Ninken tief gebückt zurück in die Schatten huschten, um aus der Dunkelheit zuzusehen; ihre Augen waren weich mit Geduld, mit Mitgefühl, mit…

 

Oh Gott…

 

Das Tantō fiel aus seiner blutigen Hand und traf mit einem nassen Schmatzen auf dem Boden auf. 

 

‚Nun, da ist der Mann…an den ich mich erinnere.‘

 

Er starrte auf die schwelende Leiche…taumelte einen Schritt zurück…brach auf seine Knie zusammen, warf seinen Kopf in den Nacken…und heulte.

 
 

~❃~
 

 

Vielleicht war sie schreiend aufgewacht. War sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt eingeschlafen war. Zeit hatte innerhalb dieser vier Wände eine seltsame Dimension angenommen. Aber selbst diese vier Wände konnten das Geräusch nur bedingt verzerren. Sie wollte keine Gesellschaft. Wusste, dass diese Gesellschaft vor ihrer Tür kam und ging…das Tapsen von Pfoten…das Schlurfen von Füßen…

 

Leise…leise…

 

Nein, sie hatte nicht geschrien. Aber es tat weh zu schlucken. Rauch verstopfte ihre Kehle, verdrehte sich wie eine dicke graue Schlange, schnitt ihr die Luftzufuhr ab und füllte ihre Lungen. Der Geruch entzündeter Räucherstäbchen umhüllte die Luft mit einem Dunst, der so dicht war, dass man kaum atmen konnte. 

 

‚Ich rauche nicht, keine Sorge.‘

 

‚Du hörst immer nur damit auf, wenn du wegen etwas besorgt bist.‘

 

Kurenai spürte ein frisches Brennen in ihren Augen. Ob es nun vom Salz oder Rauch kam, war jedoch schwer zu sagen. Die Tränen waren inzwischen dort festgefroren und weigerten sich zu fallen. 

 

Vielleicht werde ich fallen…

 

Wenn sie einschlief; wie hoch wären die Chancen, dass sie vielleicht nie wieder aufwachte?

 

Morbider Weise stellte sie sich das vor. Sah, wie die lilienweiße Leiche in dem Driften von Wolken verschwand; erstickt von Trauer und unter einem Deckmantel aus Rauch. Es lag geradezu Poesie darin; die Art, von der sie immer gewollt hatte, dass sie bei ihrer Beerdigung vorgetragen wurde. Kein Bedarf für Blumen. Nur ein lieblicher Vers, gesprochen von einer lieblichen Stimme. 

 

Oh lieblicher Himmel…niemals konntest du singen…

 

Sie stierte in den mondbeschienenen Dunst, sah zu, wie das Licht durch die Jalousien glitt und sich in funkelnden Mustern auflöste, als es sich wirbelnd zu Windungen und Bändern, Schwaden und Fäden verdrehte. Der Schmerz in ihrer Brust wurde heftiger und die Krämpfe in ihrem Bauch mahlten wie stumpfe Messer aneinander. 

 

Ein schlechtes Zeichen, wie sie nur zu gut wusste. 

 

Sie hätte nehmen sollen, was auch immer Shizune vorhin für sie hier gelassen hatte…jetzt war es zu spät…sie schien sich nicht einmal aufsetzen zu können. War sich auch nicht sicher, ob sie überhaupt gewusst hätte, in welcher Richtung das Badezimmer lag. Sie hatte sich zweimal über den Rand des Sofas in etwas übergeben, das vielleicht eine Bratpfanne gewesen war. Sie erinnerte sich nicht daran, was sie gepackt hatte. Erinnerte sich nicht an das letzte Mal, als sie sich bewegt hatte – ah ja, sie hatte das Fenster geschlossen, oder nicht? Hatte den Weihrauch angezündet. Alle zwanzig Stäbchen davon. Als könnte sie sein Gespenst ausräuchern. 

 

Asuma…

 

Ein weiterer Spasmus; wild und unnachgiebig. Sie konnte nicht einmal den Wunsch aufbringen, diesem Schmerz zu entkommen, sich zusammenzurollen, etwas Beschützendes, Instinktives, Mütterliches zu versuchen. 

 

Ich kann nicht…ich kann nicht…ich kann nicht…

 

Hatte sie es jemals gewollt? Schuldgefühle peitschten durch sie und Scham strömte dicker als Blut, um ihre Augen zu füllen. Aber sie konnte nicht weinen. Sie war trocken wie der Rauch und innerlich zusammengeschrumpelt. Und so blieb sie bewegungslos liegen; ein zerknittertes Chaos aus fleckiger Seide und rabenschwarzen Strähnen, einen Arm lose von der Couch hängend. 

 

Und so fand sie der Geist.

 

„Asuma…“

 

Das im Schatten stehende Gespenst schien eine menschliche Form zu haben. Kurenai sah zu, wie es sich durch ein Laken aus Rauch ein Stückchen vorwärts bewegte; ihre Sicht war viel zu verschwommen, um einen Sinn oder eine Form oder eine Dimension erkennen zu können, ihr Körper zu taub, um den plötzlichen Luftzug zu spüren. Ihre Haut kribbelte und sie hörte, wie sie selbst leise gegen den Smog der Räucherstäbchen anschnaufte, als sie darum kämpfte zu atmen, bis Luft – frisch, kühl und nach Regen schmeckend – ihren Rachen traf. 

 

Das Fenster war offen. 

 

Ich habe es zugemacht…ich weiß, dass ich es zugemacht habe…

 

Sie wusste, dass sie es geschlossen hatte, weil es sie zerschmettert hatte, das zu tun. Sie war die kurze Strecke zum Sofa auf allen Vieren gekrochen…war dabei zerbrochen…Staub und Asche…

 

Doch das Fenster war offen. 

 

Und sofort begann sich die Welt aus Geistern und Tod, die sie hier erschaffen hatte, aufzulösen; wie ein Genjutsu, das durchbrochen wurde. Sie sah einen Nadelstich aus Licht, verloren im Rauch; es zuckte hinein und hinaus wie eine entschwindende Seele.

 

„Asuma…“, wisperte sie verzweifelt; wusste, dass sie im Delirium war, getäuscht wurde und betrunken war von einer Hoffnung, die bereits gestorben war. „Asuma…“

 

Das Licht erschien erneut; ein dünnes Aufflammen in der Dunkelheit. Der Geist, der so still und stumm geblieben war - so vollkommen verhüllt von Schatten und Rauch – trat hinein ins Licht. Mit den geschmeidigen Bewegungen einer Katze sank er hinunter in eine Hocke und das Mondlicht strich über das Gesicht des Gespenstes; eine kalkweiße Skizze gegen den schwarzen Hintergrund ihres Verstandes. 

 

Sie kniff die Augen zusammen und ihre trübe Sicht bemühte sich, sich zu fokussieren, als die Details langsam schärfer wurden. Lange Strähnen aus dunklem Sienna rahmten eine scharfe maskuline Kieferlinie ein; bartlos und glatt und straff wie die Haut, die über hohe Jochbeine gespannt war. Schlanke Wangen höhlten sich zu einem ernsten Mund aus, wo sich glatte blasse Lippen um eine dünne Stahlnadel legten. 

 

Die Realität traf Kurenai wie eine Ohrfeige. 

 

Ihr Blick zuckte nach oben und traf auf ein paar dunkel-bronzener Augen, die sich an den Winkeln leicht nach oben krümmten und nichts reflektierten als das ominöse Schimmern von Metall; der Funke eines verlorenen Lebens.

 

Nein…

 

Und letztendlich erlosch Kurenais Hoffnung. „Nein.“ Das Wort erstarb auf ihren Lippen, ein verzweifelter Hauch aus Luft. 

 

Genmas Augen senkten sich, glitten wieder nach oben. Er streckte eine Hand nach ihr aus. 

 

Sie versteifte sich. „Nein.“

 

Seine Finger krallten sich in die zerlumpte Decke und rissen sie mit einem einzigen heftigen Ruck von ihr. Die kalte Luft traf wie Nadeln auf ihre Haut; winzige kleine Senbons. Sie wollte das nicht fühlen. 

 

„Nein, nein, nein“, keuchte sie kläglich und drehte sich von seinen Händen fort, als heiße rote Scham ihren Hals besprenkelte und tief in ihren Augen aufflammte. „NEIN!“

 

Doch Genma packte ihre um sich schlagenden Handgelenke zerrte sie daran grob und ohne viel Federlesen nach oben. Wie ein Seilbrand stach sich sein Griff in ihre Haut, sägte sich hindurch und zog sich zusammen wie eine Schlinge, als sie versuchte, sich zu befreien. Warum schaffte sie es nicht?

 

Du hast mich verlassen…

 

Vollkommen. Alles davon. All ihr Training, all ihre Stärke, all ihr Wille zu kämpfen…alles war fort. Ihr Taijutsu, Ninjutsu, Genjutsu…nichts weiter als Erinnerungen; Erinnerungen, an die sich weder ihre Muskeln, noch ein ihr Verstand entsinnen konnte. 

 

Ihre Beine falteten sich zusammen und ihre Knie sanken nach unten in die Polster. 

 

Genma riss sie wieder nach oben und spuckte dabei sein Senbon zur Seite. „Steh auf, Kurenai.“

 

Inzwischen bebte sie und ihre rabenschwarzen Strähnen zitterten; während ihre Stimme heiser und zischend aus ihr brach. „Verschwinde…“

 

„Steh auf.“

 

In einer trägen und betrunken wirkenden Anstrengung zog Kurenai an ihrem Handgelenk und wiegte auf ihren Knien vor und zurück als sie den bemitleidenswerten Versuch startete, sich von dem Griff zu befreien, der nur stärker und stärker wurde. Und sie fuhr damit fort, bis nur noch ihr Kopf pendelte, tiefer nach unten nickte und noch tiefer, bis sich ihre Wirbelsäule krümmte und sie ihre Lider zusammenpresste, um diese grausame Erniedrigung nicht mit ansehen zu müssen. 

 

Die Übelkeit stieg wie Säure in ihrer Kehle auf. 

 

Schon wieder riss Genma an ihren Handgelenken. „Steh auf.“

 

Doch sie krümmte sich nur noch weiter, bis ihr Kopf auf ihre Schenkel sank, während ihre Handgelenke schmerzhaft weit nach oben gehalten wurden und ihre Arme von der Dehnung zitterten; ihr ganzer Körper bebte so heftig, dass der Schweiß wie Funken von ihr tropfte. „Verschwinde…verschwinde…ver-“ Sie hustete; ein schwerer abgehackter Klang und ihre Lungen entleerten sich anstelle ihres Magens. Es gab nichts, das sie hätte erbrechen können, nichts auszustoßen…nichts außer der Trauer…

 

Er ließ sie so abrupt los, dass sie beinahe gefallen wäre. 

 

Gerade noch rechtzeitig fing sie sich am Rand des Sofas ab, rammte sich die Fäuste gegen die Schenkel und versuchte, sich zu einem Ball zusammenzurollen; versuchte, durch Zusammenfalten vollkommen zu entschwinden. 

 

Genmas Finger gruben sich brutal wie Messer durch ihr Haar und rissen ihren Kopf nach oben. 

 

Wie ein Taucher, der vom Meeresgrund nach oben gezerrt wurde, schnappte sie nach Luft und ihr Mund fiel weit auf, während ihre Hände hoch schnellten. Sie packte seine Hüften, vergrub ihr Gesicht gegen die harten, unnachgiebigen Ebenen seines Bauches und schrie…

 

Genmas Finger fuhren über ihre Kopfhaut, krallten sich in ihr Haar. „Steh auf.“

 

Sie war so nah dran zu fallen…hielt sich nur noch mit ihren Fingerspitzen fest. Laut aufheulend grub Kurenai ihre Nägel gegen Genmas Körper und riss sie wie Klauen aufwärts, zerrte Stoff nach oben und Blut nach außen, kratzte höher, immer höher…wie ein Tier, das zappelnd nach festem Boden suchte…

 

„Steh auf!“

 

Schreiend krümmte sie ihre Krallen und schnitt eine frische blutige Spur über seinen Unterarm, fuhr hart über seine Hände, bis sich ihrer beider Finger vergraben in ihrem Haar ineinander legten. Sie presste ihre Knöchel aneinander, öffnete weit den Mund und schaukelte dabei vor und zurück, als würde sie sich vollständig auseinander rütteln.

 

Asuma…Asuma…

 

„Kurenai.“

 

Oh du Bastard…was hast du mir nur angetan…?

 

Genma schob ihre verschränkten Hände zu ihrem Hinterkopf, wobei verschwitzte Strähnen über blutige Finger strichen. 

 

Weißt du nicht…weißt du denn nicht, wie sehr ich dich brauche? Wie sehr ich es brauche, dass du…

 

Bleib…“ Sie presste das Wort zwischen ihren Lippen hervor, keuchte und keuchte…

 

Sie versuchte, sich festzuhalten und gesplitterte Nägel vergossen noch mehr Blut der Hände, die sich befreiten und ihren Rücken hinunter wanderten; grob und schnell. Nicht wie Asuma. Niemals wie Asuma. Sie fühlte, wie sie hochgehoben wurde und ihre Arme schlangen sich um breite Schultern; fest, stark...

 

Aber nicht wie Asumas.

 

Sie schluchzte gegen Genmas Hals und verdrehte die Finger in seinem Haar. Langsam packte er die Rückseiten ihrer Schenkel und hob ihre Beine in einem einzigen starken Zug über seine Hüften. Er musste sie nicht halten; sie klammerte sich an ihn, nicht wie es eine Frau tun würde…sondern wie es ein Mädchen tun würde…wie es ein Kind tun würde…

 

Ein Kind…unser Kind…

 

Der Gedanke ließ zersplittern, was von ihrem Herzen noch übrig war. Erneut schrie sie auf und die Welt kam auseinander…doch anders als ihr Herz, löste sie sich in Bändern auf…weich wie Rauch…roch nach Glut…beinahe, aber nicht ganz wie Asuma.

 

Asuma…

 

Aller Kampf verließ sie schlagartig. Sie sackte gegen Genma zusammen, zog ihn an sich und umarmte ihn wie eine Rettungsleine, die er in dieser dunkelsten aller Stunden unzweifelhaft war. Er legte einen Arm um sie, doch es war keine erwidernde Umarmung. Es war ein Anker. 

 

Vielleicht hatten sie sich bewegt, sie war sich da nicht so sicher…über Felsen und über Wasser…die Welt war eine Flut – nein, ein Wrack – aus Emotionen. 

 

Sie hörte das Knistern von Räucherstäbchen, die erstickt wurden. 

 

„Nein…“, ächzte sie. „Nein…“

 

„Das reicht jetzt.“

 

Noch mehr Bewegungen; fließend genug, dass sie sie kaum fühlte…Götter, was würde sie nicht geben, um aufzuhören zu fühlen, nur für einen Augenblick. Sie stieß ein ersticktes Schluchzen gegen Genmas Hals aus und verstärkte die Umklammerung ihrer Schenkel um ihn, während sie sich mit den Händen an seinem Nacken festhielt. 

 

So eine intime Umarmung…so ein leeres Gefühl…

 

Ungerührt trug Genma sie aus dem mit Rauch gefüllten Fegefeuer, machte das Licht im Schlafzimmer an und brachte sie direkt ins Badezimmer. Langsam ließ er sie auf dem Rand der Wanne nieder; seine Hände strichen ihre Arme hinauf und ihre Beine hinunter, um eine zitternde Gliedmaße nach der andere von ihm zu lösen. 

 

„Setz dich auf, Yūhi.“

 

Benommen stolperte Kurenai über die knappe Nutzung ihres Nachnamens. Yūhi Kurenai, Jōnin; Name und Rang. Etwas Kaltes, aber Konkretes, etwas, an dem man sich festhalten konnte. Etwas, um diese Erniedrigung auf ein Ereignis zu reduzieren, das zwischen ausgebildeten Shinobi und altehrwürdigen Kameraden gelöst werden konnte. Als hätte sie bei einer Mission versagt, als würde sie es brauchen, zusammengeflickt zu werden…als würde der atemlose Schmerz tief in ihrer Brust von einem Kunairegen herrühren und nicht von den zersplitterten Teilen ihres gebrochenen Herzens…

 

Asuma…

 

„Yūhi.“

 

Übelkeit und Scham schwammen ineinander; eine potente Mischung, die dafür sorgte, dass sich Kurenai schlagartig vornüber krümmte. Genmas Hand umfasste ihren Hinterkopf und drückte ihre Stirn fest gegen seinen Bauch, als er sich über sie beugte und an irgendetwas hinter ihr herumnestelte. 

 

Wasser donnerte in die Badewanne und Rosenduft stieg auf. 

 

‚Das war das letzte Mal, dass ich versuche, irgendwas Romantisches zu machen.‘

 

‚Du hättest die Blütenblätter auch eigentlich vom Stil entfernen sollen, du Höhlenmensch.‘

 

Angst packte sie und wrang ein Schluchzen tief aus ihrer Kehle. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft zu weinen, glaubte nicht, dass sie noch irgendwelches Leid übrig hatte um zu wehklagen…würde es jemals aufhören?

 

Oh lieblicher Himmel…bitte hör auf…

 

„Bitte…“, wisperte sie. „Bitte…“

 

Genma kniete sich zwischen ihre Beine, mied ihre Augen und schälte die Robe von ihren Schultern. Vollkommen betäubt wehrte sich Kurenai nicht gegen seine Fürsorge und blieb vollkommen losgelöst davon; ihre Sinne waren in einen Dunst eingehüllt und versuchten so sehr, den Fluss aus Erinnerungen versiegen zu lassen. 

 

Ich kann nicht…

 

Nach und nach wurde sie sich bewusst, dass Genma sie an seine Brust gezogen hatte, um ihre Nacktheit abzuschirmen und ihr das wenige Bisschen Würde zu gewähren, was ihm möglich war, während er ihre Arme aus den langen Kimonoärmeln befreite. Schweißgetränkte Seide fiel an Kurenais Füße; abgezogen wie alte Haut. Sie fühlte sich roh und verletzlich wie eine offene Wunde. 

 

Oh Liebling…was hast du mir nur angetan…?

 

Ohne innezuhalten hob Genma sie hoch und setzte sie in die Wanne. 

 

Wärme umschloss sie so plötzlich, dass sie das Gefühl hatte, sie würde verbrüht werden. Keuchend sah sie durch halb geschlossene Augen zu, wie der Dampf aufstieg. Es hätte ein Traum sein können, oder nicht? Die Realität schwamm in losen Fragmenten um sie herum, schwebte an die Oberfläche ihres Geistes. 

 

Sie hörte Genmas Aktivitäten wie unter Wasser; wie aus weiter Ferne…

 

Schlaf drohte ihr…eine dunkle düstere Wolke am Horizont…

 

Nein…lass mich nicht träumen…

 

Ihr Haar wurde beiseite gewischt und ein rauer nasser Stoff rieb über ihren Rücken, um akribische Kreise über ihre Haut zu ziehen. Warmes und duftendes Wasser stürzte über ihr Haar. Genma musste seine Hände dafür benutzt haben, denn der Affenbecher war…

 

Zerbrochen…

 

Kurenai zog ihre Beine nach oben, legte sich die Hände vors Gesicht und ließ ihre Tränen stumm durch ihre Finger strömen. Doch sie bat ihn nicht, zu gehen, bat ihn nicht, aufzuhören, würde ihn aber auch nicht bitten zu…

 

Bleib…

 

Ein Rumoren im Zimmer, das Aufklappen eines Deckels, ein rasches Schnuppern. Und dann waren Genmas Hände wieder in ihrem Haar und seine Finger bewegten sich in rauen aufschäumenden Kreisen. Sie verlor die Spur der Tränen, der Berührungen, der Zeit, von allem außer dem Geist in ihrem Zuhause. 

 

‚Wenn ich bei dir bin, dann bin ich zuhause.‘

 

Sie sackte gegen das kalte harte Emaille…hätte für Stunden so bleiben können, für Tage…

 

Erst als das Wasser abkühlte und wirbelnd im Abfluss verschwand, rührte sich Kurenai und fühlte, wie sich etwas Großes und Weiches um sich legte. Sie versuchte aufzustehen und war entsetzt über die Schwäche in ihren Knien. 

 

„Nicht“, sagte Genma. Es war weder eine Bitte, noch ein Vorschlag. 

 

Und als Reaktion auf diesen Befehl verknotete sie das Handtuch über ihren Brüsten und schloss die Augen, sodass sie nicht die Scham sehen musste, die darin brannte. Er hob sie aus der Wanne und trug sie ins Schlafzimmer, während er im Bad mit dem Ellbogen das Licht ausmachte. Ein milchiges Glühen des Vollmonds fiel herein und prägte die Dunkelheit mit silberbläulichen Linien. 

 

Langsam ließ Genma sie auf das Bett sinken – auf Asumas Seite. 

 

Sofort versteifte sich Kurenai. „Nicht hier…“, wisperte sie. „Nicht hier…“

 

Genma verstand nicht, was sie meinte und stieß ein barsches ‚sh‘ Geräusch aus, bevor er sich daran machte, die Laken mit raschen klinischen Bewegungen fort zu reißen, die nach und nach Kurenais Aufmerksamkeit aus dem Sumpf verwirrter Gedanken zogen. Hier war etwas, auf das sie sich konzentrieren konnte; etwas Reales, etwas Unerwartetes…und das völlig fehl am Platz war. 

 

Stirnrunzelnd wurde sie sich wie zum ersten Mal ihrer Umgebung und Genmas Anwesenheit bewusst.

 

Was macht er…?

 

Und noch viel wichtiger; warum.

 

Da die Erschöpfung den Schmerz betäubte, begann Kurenais Verstand, all die Fäden der Realität wieder zusammen zu knüpfen. Was machte Genma hier? Er war die letzte Person, von der sie erwartet hatte, er würde unangekündigt und uneingeladen in ihrem Zuhause auftauchen…ganz zu schweigen in ihrer Stunde der Trauer.

 

Sie schüttelte den Kopf. „Was ma-“

 

„Sh.“ Er schritt mit dem Rücken zum Fenster und das Gesicht in Schatten gehüllt um das Bett. „Dreh den Kopf.“

 

Sie tat wie ihr geheißen. 

 

Ohne ein Wort stützte er ein Knie gegen die Matratze und griff mit beiden Händen nach ihrem Haar, um es auf den Teppich auszuwringen. 

 

Die Tropfen fingen das Mondlicht auf und fielen wie Glasscherben zu Boden. 

 

Nach hinten blickend suchte Kurenai in der Dunkelheit nach seinem Gesicht und fand Andeutungen seiner Konturen in dem dämmrigen Schein, die von einem schonungslos leeren Ausdruck dominiert wurden. Wie eine Maske war alles fixiert; der stumpfe Blick, die grimmige Linie seines Mundes, die harte Kante seines Kiefers.

 

„Genma.“

 

Er legte eine Hand auf seinen Schenkel und nickte in Richtung der Kissen. „Leg dich hin.“

 

Doch stattdessen erhob sich Kurenai; immer noch zitternd, immer noch in Bruchstücken, aber stark genug, um ihr Kinn zu heben und ihre Stimme zu stabilisieren. „Warum tust du das?“

 

Genma richtete sich auf, lehnte sich zurück und sah ihr direkt in die Augen. Solch seltsame, gesteltzte Bewegungen, jede Aktion so anders als die andere. Nicht wie die Bewegungen des Mannes, den sie in der Vergangenheit beobachtet hatte; ein Mann, der mit seiner Umgebung im Reinen war und sich in seiner Haut wohl fühlte, lässig in seiner Manier und bewaffnet mit dem entspannten Selbstbewusstsein eines Eliteninjas, der nichts zu beweisen und auch nichts zu verbergen hatte. 

 

Ein Mann der so unglaublich weit entfernt von dem war, der gerade vor ihr stand.

 

Sie hatte nur Mitglieder von ANBU gesehen, die sich auf diese hölzerne und unpersönliche Weise bewegten und benahmen. Und dennoch war alles, was Genma gerade getan hatte, sehr persönlich gewesen – zutiefst persönlich – mehr als jede Geste der Sorge oder des Mitgefühls, die sie bisher erhalten hatte, egal wie ehrlich, egal wie gut gemeint. 

 

Was war die Intention hierbei? Was hatte ihn dazu getrieben, so eine aufdringliche Maßnahme zu ergreifen? Die Hokage hätte das niemals angeordnet. Oder wenn doch, dann hätte sie mit Sicherheit niemals einen Mann geschickt. Und ganz sicher nicht Genma. Es war absurd, fühlte sich beinahe unerlaubt an und ging weit über den Ruf der Pflicht hinaus, auch wenn sie es gebraucht hatte. 

 

Brauchte es…

 

Sie wusste, dass sie auf diese Nacht zurückblicken und erschaudern würde, konnte bereits die Funken ihres Stolzes spüren, eine brennende Empörung über ihre Schwäche…aber jetzt im Moment war ihr Stolz am Boden, zusammen mit all den Bruchstücken, die überhaupt nichts mit Genma zu tun hatten. Und dennoch war er hier. Behandelte sie wie eine zersplitterte Puppe und hielt sie aber trotzdem zusammen.

 

„Warum hast du das gemacht?“, fragte sie noch einmal.

 

Blinzelnd griff Genma in seine Tasche und zog ein Fläschchen mit Tabletten hervor. Es waren dieselben, die Shizune ihr gegeben hatte. Sie spähte zurück zum Badezimmer – hatte sie sie dort gelassen?

 

Er trat etwas nach vorn und drückte ihr das Döschen in die Hand. „Du wirst anfangen, die hier zu nehmen.“ Er drehte die Flasche und tippte auf das Etikett, das darauf geklebt war. „Wie beschrieben. Nicht mehr. Nicht weniger.“

 

Bevor er sich zurückziehen konnte, packte sie sein Handgelenk und stierte auf die Risse, die sie durch seine Haut gegraben hatte; vier rote Bäche strömten durch die Täler seiner Knöchel bis hinunter zu seinem Unterarm. 

 

„Große Katze“, sagte er ebenso flach, wie es seine Miene war. 

 

Sie beobachtete ihn genau und wartete auf einen flüchtigen Blick auf etwas Reales, wobei sie sich aber nicht sicher war, ob sie es erkennen würde, wenn sie es sah. „Genma…“

 

Er zog seine Hand zurück. „Niemand wird fragen.“

 

„Ich frage.“

 

„Ich habe nichts zu sagen.“ Er verschwand im Badezimmer und kam mit einer frischen Robe zurück, die er auf das Bett warf. Die ganze Zeit über hielt er ihr den Rücken zugewandt. „Zieh dich an. Shizune wird bei dir bleiben.“ Schon wieder; kein Vorschlag. „Ihre Schicht endet in einer Stunde.“

 

Während sie in ihre Robe schlüpfte, machte sich Kurenai nicht die Mühe zu diskutieren; sie hatte auch keine Kraft, ihre Stellung zu halten. Hatte keine Kraft, zu stehen; Punkt. Sie wäre genau hier auf den Boden gesunken, wenn Genma sie nicht am Arm gepackt hätte – fest und kompromisslos – und sie wie ein kleines Kind um das Bett herum auf die andere Seite geführt hätte; ihre Seite…zumindest war sie das gewesen, wenn sich Asuma nicht in der Mitte ausgestreckt hatte und allen Platz einnahm. 

 

Allen Platz…selbst in meinem Herzen…

 

„Von jetzt an wirst du hier schlafen“, sagte Genma. „Wenn du wieder zu diesem Sofa zurückkehrst, dann schmeiß ich es raus.“

 

Surreal…absolut surreal…vielleicht träumte sie wirklich. Nur eine einzige Sache war sicher; wenn sie ihre Stärke wiedererlang hätte, würde sie Genmas Hintern quer durchs Dorf treten, weil er sich wie ein aufdringlicher und herrischer Hurensohn aufführte. 

 

Und wo würdest du dich denn befinden, wenn er es nicht getan hätte?

 

Kopfschüttelnd schlüpfte Kurenai unter die Decke, war sich dabei seines Blickes bewusst und fragte sich, ob eine anständigere Frau wohl errötet wäre. Oh Kami, was zur Hölle spielte es schon für eine Rolle? Er hatte bereits alles gesehen, was er jemals sehen würde. Viel zu bekümmert, um sich um Scham zu sorgen ließ sie sich in die Kissen sinken und legte dabei einen schützenden Arm über ihren Bauch, während sie sich daran erinnerte, wie Asuma das unzählige Male gemacht hatte. 

 

Wie sehr ich dich vermisse…

 

Er war neben ihr geblieben, hatte einen sinnlosen Rhythmus mit seinen Fingern getrommelt oder mit seiner Handfläche Kreise auf ihrem Bauch gezeichnet. 

 

Wie sehr ich uns vermisse…

 

Und als sie die Bewegung jetzt wiederholte, wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie nicht allein war, dass sie niemals allein gewesen war, nicht einmal in den dunkelsten Stunden, als die Nacht näher gekrochen war; grausam und kalt und jeder Gesellschaft beraubt. Und endlich, langsam, begann sich diese mütterliche Glut zu regen. 

 

Ja. Wie sehr ich dich vermisse. Aber wie sehr werde ich dieses Kind lieben…

 

Dieser plötzliche Sturzbach aus Liebe kam wie ein Drogenrausch, ein süßes Morphin gegen die Pein ihres Herzens; es ließ sie müde und direkt auf Messers Schneide des Schlafes zurück…sie driftete hinein und hinaus…kämpfte darum, Genma durch ihre Wimpern zu beobachten. 

 

Der Shiranui lehnte sich gegen die Wand und stemmte ein Bein gegen den Gips, während er ein Senbon hervor zog und es mit einer Bewegung zwischen seine Lippen schob, die so schmerzhaft vertraut aussah.

 

Aber nicht wie Asuma.

 

Das Metall, das das Mondlicht auffing, gehörte zu einer Nadel, nicht zu einem Feuerzeug und keine Flamme brannte an der Spitze; da war nur das scharfe Zwinkern von Stahl. 

 

‚Hn. Genma wird vermutlich darauf aus sein, ein paar Senbons auf meinen Hintern zu schießen.‘

 

Kurenais Atem geriet hart ins Stocken. 

 

Genmas Augen zuckten nach oben. 

 

Ihre Blicke trafen sich und erzeugten denselben statischen Schock, den man gelegentlich beim Berühren der Fingerspitzen spürte. Und in diesem kurzen Austausch, diesem einen Blick, fühlte sie sich, als wäre ein Schleier gelüftet worden, als wäre Asuma hier bei ihnen, ein Geist im Zimmer, eine Spur aus Rauchsignalen, die aufwärts wirbelten; eine phantomhafte Schrift an der Wand. 

 

Und im selben Moment wusste Kurenai, warum Genma gekommen war. 

 

Zielsicher regungslos beobachtete er sie – stellte sich tot.

 

Aber sie wusste es.

 

Mitgefühl breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sanft sah sie ihn an und brachte die Kraft für ein Wispern auf. „Was auch immer es gewesen ist, was auch immer zwischen euch vorgefallen ist…am Ende hat es keine Rolle gespielt.“

 

Genma musterte sie und sein Senbon zuckte dabei vor und zurück. Er erwiderte nichts, reagierte nicht. 

 

Kurenai drehte ihren Kopf gegen das Kissen und kämpfte darum, die Augen offen zu halten, die Reaktion zu sehen, die ihr sagen würde, dass er sie gehört hatte. Asuma hätte das gewollt. Als die widersprüchliche Kreatur, die er gewesen war – illoyal und loyal – er hätte diese gottlose Stunde der Trauer genommen, Genmas Stellung darin überprüft und es alles einfach nur dem Karma zugeschrieben. 

 

„Genma…?“

 

Er hatte sich bewegt…oder bewegte sie sich? Davon schwebend. 

 

„Es hat keine Rolle gespielt…“, wisperte sie nochmal, als sich ihre Wimpern senkten und ihr Körper für heute Nacht aufgab, als wüsste er irgendwie, dass es morgen leichter sein würde. „Verstehst du…das…?“

 

Verstehen, Begreifen…sie hätte niemals erkannt, was durch seine Augen huschte, selbst wenn sie lange genug wach geblieben wäre, um einen Blick darauf zu erhaschen; es war so kurz und flüchtig – da und auch schon wieder fort…

 

Da und auch schon wieder fort, genau wie Genma…direkt hinaus aus dem Fenster und in die Nacht, während irgendwo in der Ferne – weit jenseits von Wänden und Dächern und Umzäunungen – ein Rudel Ninken zu heulen begann.

 

___________________

Uff, ein langes Kapitel ;) Und ja, ich bin gespannt, wie ihr vor allem das Wiedersehen von Shikamaru und Neji empfunden habt...habt ihr es euch anders vorgestellt? :D 

Und ich könnte mir vorstellen, dass die Szene mit Kakashi wieder einige Fragen aufgeworfen hat ;) 

Naja, wie auch immer...es ist spät, ich bin müde und deswegen werde ich jetzt hier nicht so viel schwafeln ^^

Ich hoffe wie immer sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich natürlich auch über ein paar Worte freuen :) 
 

Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! <3

 

​Ahja und alle Reviews werden natürlich beantwortet, keine Sorge! :) Ich weiß, dass ich da gerade wieder ziemlich hinterher hänge :/



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Kuro_Kami
2021-10-29T10:54:32+00:00 29.10.2021 12:54
Fand das Wiedersehen von Shikamaru und Neji interessant. Vorallem das Ende. Das sich Neji nicht gegen den Schattenbesitz gewert hat. Wo der Spaziergang wohl hingeht 🤔?Gemma kümmert sich um Kurenai. Ob er ein Schlechtes Gewissen hat? Und Kakashi heuelt den Walt zusammen. Bin gespannt wie es weitergeht.♥️

Antwort von:  _Scatach_
31.10.2021 22:40
Freut mich, dass du die Szene mit Shikamaru und Neji so interessant fandest :)
Ich glaube, auch Shikamaru und auch Neji selbst waren etwas überrascht darüber, dass er sich so gar nicht gewehrt hat, aber vertraut Shikamaru einfach enorm.
Schlechtes Gewissen spielt natürlich schon auch eine Rolle dabei, dass Genma Kurenai hilft, aber es ist nicht der einzige Grund.

Vielen Dank auf jeden Fall für dein liebes Review! :)
Von:  swetty-mausi
2021-10-25T18:49:29+00:00 25.10.2021 20:49
Guten Abend Scatch,

ich war ein paar Tage nicht online. Und habe ein paar Kapitel von dir verpasst. Musste ich gleich alle neuen Kapitel lesen. Du hast dich hier mal wieder selbst übertroffen. Es ist schön zu lesen ein so langes Kapitel.
Antwort von:  _Scatach_
26.10.2021 18:17
Heyho :)

Awww, vielen vielen Dank, es freut mich, dass dir die letzten Kapitel so gut gefallen haben *-*
Von:  SasukeUzumaki
2021-10-23T20:39:41+00:00 23.10.2021 22:39
Hey Scatach 😃

Na endlich treffen meine zwei Lieblinge wieder aufeinander. 😍 Ich empfinde es als typische Shika/Neji Situation und anders hätte ich es mir eigentlich nicht vorstellen können. Es war klar das es Höhen und Tiefen gibt. Ich bin sehr gespannt was bei der Mission so alles passiert. 🥰

Aber die Szene mit Kakashi, da Blicke ich nicht wirklich durch 🤔 aber ich denke das des sich noch aufklären wird.

Ha , da hat Kakashi anscheinend im letzten Kapitel wirklich nen Punkt bei Genma erwischt. Er hat wohl wirklich ein schlechtes Gewissen, sonst würde er sicher nicht bei Kurenai auftauchen und sich um sie kümmern. 🤷‍♀️

Freue mich schon auf das nächste Kapitel, mach weiter so.

Liebe Grüße ❤

SasukeUzumaki

PS: Ich habe nicht übersehen das es ein neues Kapitel von Vmf gibt, ich hatte auch schon angefangen zu lesen aber ich bin ehrlich, es fühlt sich iwie komisch an das es um Neji/Itachi geht und nicht um Shika/Neji. 😅 Ich hoffe du bist mir nicht böse, ich werde es auf jedenfall noch lesen aber ich bin einfach so drinne in der BtB Serie, das es leider ein bisschen warten muss. 🙈
Antwort von:  _Scatach_
26.10.2021 18:17
Hey :)

Ja, endlich ist es soweit :D Es ist auch wirklich eine typische Shika/Neji Situation ^^
Ist nicht verwunderlich, dass du bei der Szene mit Kakashi nicht wirklich durchblickst, die ist ja auch völlig ohne Kontext und sehr kryptisch, aber keine Sorge, es wird noch geklärt, was er da im Wald gemacht hat ;)

Ein schlechtes Gewissen hat Genma in gewisser Weise schon, aber das ist nicht der Hauptgrund, aus dem ersichtlichen um Kurenai kümmert.

Vielen Dank wieder für dein liebes Review! <3

P.S. Ich weiß genau was du meinst :D Mir fällt es ehrlich gesagt auch immer sehr schwer, nach ShikaNeji auf einmal ItaNeji zu schreiben, deswegen dauern die Kapitel zu Vmf zur Zeit auch immer so ewig ^^
Also nein, ich bin dir überhaupt nicht böse, keine Sorge :D
Von:  Scorbion1984
2021-10-23T19:26:11+00:00 23.10.2021 21:26
Was hat Kakashi nun schon wieder angestellt ?
Warum heulen seine Hunde 🐕?
Genma kümmert sich um Kurenai ,aus schlechtem Gewissen gegenüber Asuma ?
Shika und Neji ,es knistert doch immer wieder kräftig, ob sie es nun wollen oder nicht.
Bin gespannt was so auf der Mission passiert.

Antwort von:  _Scatach_
26.10.2021 18:10
Tja, das ist eine gute Frage, was Kakashi da angestellt hat ^^
Schlechtes Gewissen spielt bei Genma auf jeden Fall mit rein, ist aber nicht der Hauptgrund, aus dem er Kurenai hilft.

Oja, zwischen Shikamaru und Neji knistert es quasi immer, wenn die beiden beieinander sind ;)
Schön, dass du so gespannt auf die Mission bist ;)


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