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Caught Cold

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Meine lieben Leser, sofern es euch überhaupt gibt (nach den langen Pausen ist das nicht so selbstverständlich), es tut mir leid. Es dauert immer ewig, bis man wieder was von dieser Ff zu lesen bekommt und ich weiß nicht, inwiefern sich das bessern wird. Aber die Ff wird auf alle Fälle ihr Ende finden 😊
Ich hoffe trotzdem, dass es noch ein paar geduldige Leser gibt, die das Ganze hier verfolgen. An alle, die jetzt frisch dazukamen… seht es als Vorwarnung. Komplett anzeigen

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Prolog

Es war noch früh am Morgen, der Tag war gerade erst angebrochen und das ganze Dorf versteckte sich noch im letzten Dunkel der Nacht.

Er saß hoch oben zwischen den Ästen und lauschte dem vorbeirauschendem Wind, den Blättern, die sich dem Wind hingaben und dem ersten Gezwitscher der Vögel.

Heute sollte der altgewohnte Alltag wieder weitergehen. Morgens aufstehen, dann Training und abends die Ruhe genießen. Er wartete auf seinen Sensei und seine beiden Teamkameraden.

Er war noch erschöpft, gab sich noch ein paar Minuten die Ruhe hin, nach der sein Körper verlangte. Sie hatten erst am Vortag eine heikle Mission abgeschlossen.

Erfolgreich.

Erstklassig.

Erschlagen.

Lediglich ein weiterer verdammt guter Grund, die Ruhe vor dem Sturm zu genießen.

Er war immer der erste. Immer. Aus Prinzip.

In der Theorie bestand das Team wie gewöhnlich aus drei Gen-Nin und einem Jo-Nin, Theorie und Praxis gingen in diesem Fall jedoch weit voneinander getrennt. 'Gewöhnlich' war an dieser Zusammensetzung nichts. Und genau so viel funktionierte auch: nichts.

Sein Sensei war ein gutherziger und vor allem sehr geduldiger Mensch. Und seine Kameraden...wo sollte er da nur anfangen.

Da gab es den Idioten, der immer zu spät kam und die unglaubwürdigsten Ausreden zu seiner Verteidigung heranzog. Ein Fakt der ihn bereits mehr als einmal zum Überkochen brachte.

Und es gab das Mädchen. Sie lächelte wann es nur ging, spielte Streitschlichterin und absolvierte nebenbei eine Ausbildung der Medic-Nin. Für gewöhnlich war sie von ruhiger Natur. Für gewöhnlich.

Er war der Ruhige, der, der die Regeln kannte und beherrschte. Er zeigte keine Gefühle. Das durfte er nicht. Er kannte die Folgen des Regelverstoßes, wusste, was ein Fehltritt mit sich bringen konnte.

Die Gefühle seiner Teamkollegin für ihn hatte er auch schon mitbekommen. Dass sie ihn anhimmelte, heimlich beobachtete und eher seine Nähe suchte, als die des übrigen Teammitglieds. Aber es interessierte ihn nicht - auch ihre Fragen nach Verabredungen hatte er bis jetzt abgesagt. Was brachte das? Was sollte das für einen Nutzen haben?

Seiner Meinung nach war es schlichte Zeitverschwendung, er könnte genauso gut trainieren und stärker werden. Dann hätte er seine Zeit wenigstens sinnvoll verbracht. So wie man es von echten Ninja erwartete und es sich auch gehörte.
 

Allmählich kamen die ersten Sonnenstrahlen heraus, teilten ihre Wärme mit dem Dorf und kündigten somit den neuen Tag an. Unklar, was dieser mit sich bringen würde...

Noch immer saß er auf dem Baum, auf welchem er gefühlte hundert Stunden zuvor auch schon saß und starrte den Himmel an. Die Zeit verging, nur legte sie dabei kein rasantes Tempo ein, von welchem Manche immer lamentierten. Dennoch hatte er das Gefühl, dass sein Alterungsprozess auch keinen Stopp einlegte, nur weil er wie immer auf jemanden warten musste – obwohl es sich meist um die gleiche Person handelte. Und einen Rückwärtsgang gab es offensichtlich auch nicht, stellte er sich dabei Jiraiya mit seinen langen, weißen Haaren vor, den gekünstelten Altersweisheiten und der Tatsache, dass er nach wie vor noch nichts aus seinen vermeintlichen „Spionierkenntnissen“ gelernt hatte.
 

Kakashi richtete seinen Blick nach unten, spürte, wie sich ein ihm bekanntes Chakra näherte.
 

„Guten Morgen, Kakashi! Du bist wie immer viel zu früh! Hast du gut geschlafen?“, begrüßte sie ihn mit einem freundlichen Lächeln. „Morgen, Rin.“
 

Es war wie immer das gleiche, mürrische Hallo-Sagen, das von Elan, guter Laune und Heiterkeit noch nie eine Spur gezeigt hatte. In Rins Augen war es ohnehin schon ein gutes Zeichen, wenn überhaupt eine Antwort kam – es gab die guten und es gab ganz einfach auch die schlechten Tage. Und an denen hatte ihre Teamarbeit keinen weiteren Klärungsbedarf.
 

Aber die Kunoichi störte diese mürrische Art ihres Kollegen nicht, lächelte sie ihm einfach gut gelaunt weiter entgegen.
 

Kaum zehn Minuten später erschien auch ihr Sensei mit dem gewöhnlichen „Puff“ und seinem wie immer motiviertem Dauergrinsen. Er hob zum Gruß nur die Hand und lehnte sich dann an einen der drei Holzpfähle, genoss die warmen Sonnenstrahlen.
 

Fehlte nur noch einer.
 

Und sie warteten eine Stunde.
 

Und sie warteten zwei Stunden.
 

Und letzten Endes wurden daraus drei Stunden, bis ein völlig übermüdeter Obito Uchiha sich der Gruppe näherte. Nun gesellte sich auch Kakashi zu Rin und seinem Sensei, sprang er von dem Ast herab.
 

Obito gähnte noch einmal herzhaft, bevor er ein müdes „Guten Morgen“ von sich gab und mit ausreichend Abstand zu Kakashi stehen blieb. Es war nicht zu übersehen, dass Obito dem Hatake definitiv nicht gefreit war, stand dieser bereits mit verschränkten Armen vor ihm und wartete nur noch auf den stummen Startschuss, um dem Uchiha eine Predigt zu halten.
 

„Du bist zu spät.“
 

„Kann mich nicht erinnern, nach deiner Meinung gefragt zu haben.“
 

„Erst zu spät kommen und dann noch die große Klappe haben. Wie man es von einem Versager nicht anders gewohnt ist.“
 

„Du bist doch nur eifersüchtig auf mein Bluterbe.“
 

„Na dann zeig uns doch dein Bluterbe, mit dem du so angibst. Bis jetzt haben wir davon ja noch nichts mitbekommen.“
 

Man konnte zusehen, wie die Geduld beider schwankte, die Situation sich zunehmend aufreizte. Obitos geballte Fäuste und die Wutader, die bereits schwach erkennbar war. Zur anderen Seite bekam man unkontrolliertes Augenzucken und Blicke, die töten wollten, als Gegengewicht geboten.
 

„Hey“, Rin hob beschwichtigend die Hände, „hört auf zu streiten, bitte. Lasst uns doch einfach mit dem Training beginnen.“ Dass sie ohnehin schon einiges an Zeit verloren hatten behielt sie besser für sich, wusste sie, dass sie damit die Situation alles andere als entschärfen würde. Auch Minato mischte sich nun ein, räusperte sich und zog somit die Aufmerksamkeit auf sich, sorgte für Ruhe. Mit der Zeit gingen ihm diese Diskussionen auch auf die Nerven, war es doch immer das Gleiche.
 

„Rin hat recht. Hört auf zu streiten und konzentriert euch lieber auf euer Training. Die letzte Mission war meiner Meinung nach Aussage genug.“ Und schon trat Stille ein, betretenes Schweigen und die gesenkten Blicke seiner Schüler zeigten ihm, dass seine Ansage ihre gewünschte Wirkung nicht verfehlte. Er seufzte. „Also gut, können wir anfangen?“
 

Seine Schüler hoben den Blick erneut, diesmal mit sichtlicher Entschlossenheit, gaben synchron Zustimmung.
 

„Ach ja, bevor ich es vergesse! Ich weiß, ihr seid noch müde, aber wir müssen morgen wieder auf Mission, es geht leider nicht anders. Der Hokage verlangt es so. Es-“
 

„Juhuuuuuuu! Eine Mission!!“
 

>War er nicht gerade eben noch totmüde? Das ist wiedermal typisch. Dann baut er wieder Mist, reitet sich in die Scheiße und ich darf es ausbaden. So wie es immer läuft...< Kakashi stand schweigend neben Obito, machte sich seelisch auf die folgenden Tage gefasst und konnte die springende Euphorie seines Kollegen nicht nachvollziehen – egal wie viel Mühe er sich dabei geben würde.
 

„Sensei, was wird es denn für eine Mission sein?“ Rin war die Einzige, die die leise Sorge ihres Senseis teilte. Irgendwas sagte ihr, dass sie sich besser auf längeres von ihrem warmen Bett verabschieden sollte. „Wir sollen Begleitschutz leisten. Ich vermute, dass wir durchaus ein paar Tage unterwegs sein werden.“ Und sie hatte recht.
 

>Na das kann ja heiter werden mit den Kids... meine armen Nerven.<
 

„Also gut! Fangen wir an. Kakashi und Obito, ihr beide trainiert miteinander. Es ist alles erlaubt, bis auf schwerwiegende Verletzungen, Mord und-oder Totschlag!“ Kakashi brummte enttäuscht etwas Unverständliches vor sich hin, während Obito...“Wann darf ich diesen Mistkerl endlich umbringen?! Muss denn erst auf einer Mission ein versehentlicher Unfall passieren?!“
 

„Das schaffst du doch sowieso nicht. Außerdem schließt das Wort 'Unfall' mit ein, dass es versehentlich passiert ist. Idiot.“
 

„Das werden wir ja sehen, Angeber!“
 

„Zum wiederholten Male: Es reicht! Fangt endlich an, bevor ich ungemütlich werde!“
 

Es war wie immer das gleiche Gezeter, die gleichen Diskussionen, die gleichen Beschimpfungen.
 

„Rin, wir üben nochmal deinen Umgang mit Waffen, bevor das mit deinen Kunai wieder ins Auge geht...“ Er zwang sich zu einem Lächeln, beobachtete, wie seine Schülerin rot wurde und begann mit ihr zu üben.

Die beiden Jungen entfernten sich langsam vom Trainingsplatz und suchten einen geeigneten Ort, um gegeneinander anzutreten. Sie lösten den Blick nicht vom jeweils anderem, als wollten sie sich allein damit gegenseitig in die Knie zwingen. Keiner von ihnen verspürte das Bedürfnis nachzugeben, geschweige denn Schwäche zu zeigen. Als sie an einer kleinen Lichtung im Wald ankamen, machten sie Halt.
 

„Bist du bereit, Vogelscheuche?“
 

„Immer, Versager.“
 

Das war der Startschuss, auf den beide gewartet hatten. Sie vergrößerten den Abstand zueinander, indem sie sich mit einem Sprung nach hinten voneinander entfernten. Jeder sicherte seine Deckung, wappnete sich mit Kunai und Shuriken.
 


 

Der Tag hatte sich dahingezogen, der Nachmittag wägte sich bereits in seinen späten Stunden. Minatos einzige Schülerin saß erschöpft unter einem Baum und genoss den Schatten.
 

„Sensei, sollten wir nicht langsam nach Obito und Kakashi sehen? Ich mache mir Sorgen um die beiden.“
 

„Nein, mach die keinen Kopf. Ich finde es sogar gut, wenn sie bis zum Umfallen trainieren. Dann können sie wenigstens nicht mehr streiten, ...oder sollten zumindest nicht mehr in der Lage dazu sein.“
 

„Wie Sie meinen.“ Sie schloss die Augen, genoss den sanften Wind, der hin und wieder über die Wiese zog und ihr eine kleine Abkühlung verschaffte.
 


 

Keuchend standen sie sich gegenüber, waren an ihren Grenzen und konnten kaum noch die Augen offen halten. Sie hatten den ganzen Tag trainiert oder viel mehr gegeneinander gekämpft. Überall an ihnen verteilten sich Schnitte und Verbrennungen. Das eine mehr, das andere weniger schlimm. Aber das störte keinen von beiden. Das einzige, das in ihren Köpfen vorging, war Sieg. Sie wollten diesen Kampf unbedingt gewinnen.
 

„Gib...endlich...auf!“
 

„Vergiss es!... Schwächling.“
 

Und wieder. Wieder ertönte ein Schrei und im nächsten Augenblick klirrten die Messerklingen, als sie aufeinander trafen, den Schwung des Angriffs in sich trugen.
 

„Autsch!“
 

„Na? Ist der... ach so tolle Uchiha... etwa verletzt?!“
 

„Spar' dir deine Arroganz! Hilf … mir lieber.“ Obito begutachtete die Schnittwunde an seinem Arm, konnte nicht viel dazu sagen, außer, dass sie anscheinend ziemlich tief war.
 

> Hab ich gerade gesagt, dass er mir helfen soll?! Helfen?!?! Bin ich bescheuert?<
 

Er schüttelte den Kopf, drängte seine Gedanken beiseite, ignorierte, was gerade passiert war. Er war entschlossen weiter zu kämpfen und formte Fingerzeichen. Damit würde sich dann auch sein letztes Chakra verabschieden, es musste also klappen!
 

„Katon!! Gokakyu-no-jutsu!“
 

„Was zum...?! Woher -“, Kakashi bemerkte Obitos Angriff zu spät, war nicht darauf gefasst. Er hatte nicht mehr die Zeit auszuweichen und war zu perplex, um noch rechtzeitig zu reagieren.
 

Im letzten Moment spannte er noch einmal seine Muskeln an, nahm den Schmerz in Kauf und sprang zur Seite.
 

Seine Sachen waren verbrannter und beschädigter als vorher, er rang nach Luft. Und er stand. Trotz der zahlreichen Verbrennungen stand er Obito nach wie vor gegenüber.
 

Eine Weile verharrten sie in dieser Position, mehr als die Geräusche des Waldes und ab und zu ein Keuchen von einen der Gen-Nin war nicht zu hören.
 

Trotz ihrer Verletzungen und der Tatsache, dass sie kaum noch die Augen offen halten konnten, lächelten sie siegessicher.
 


 

„Sensei...“ Rin zog die Anrede ihres Ausbilders in die Länge, beäugte misstrauisch den aufsteigenden Rauch, der sich über einem Waldstück etwas entfernt ausbreitete.
 

„Ja? Was ist?“ Er saß an einem der Holzpfählen, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen und genoss das Wetter in vollen Zügen. Und die Ruhe.
 

„Senseeeeeii....“ Rin konnte ihren Blick nicht abwenden, wusste nicht, welches Szenario sie sich zuerst ausmalen sollte. Dass Kakashi und Obito angegriffen wurden? Dass irgendein anderer Einwohner Konohas angegriffen wurde? Dass es Tote geben würde? Dass Kakashi oder Obito etwas zugestoßen war? Viel schlimmer: beiden? „Nun sehen Sie doch endlich her!“ Nicht ihre Angst jedoch, sondern ihr Misstrauen steigerte sich mehr und mehr.
 

Langsam und auch nur gezwungen öffnete Minato seine Augen, neigte den Kopf leicht in die Richtung seiner Schülerin, wandte ihr den Blick zu.
 

„Was ist denn jetzt?“ - „Sagen Sie nicht, dass Sie den Rauch dort nicht sehen?!“
 

Minatos Aufmerksamkeit war geweckt, alles in ihm verspannte sich. Rauch?! Schlecht!
 

„Sen-“ >Äh... wo ist er denn jetzt hin?!<
 


 

Er musste nur dem Rauch folgen, um zu der Stelle zu gelangen, die seine und Rins Aufmerksamkeit erregt hatte. Und bestimmt nicht nur ihre. Als er an der Waldlichtung ankam, konnte er seinen Augen nicht trauen. Alles verwüstet. Alles in Schutt und Asche. Die Landschaft sah aus, als wäre sie einem jahrelangen Krieg erlegen. Es wirkte, als hätte man diesem Ort das Leben genommen. Einfach so. Und inmitten dieser Verwüstung standen zwei ihm wohlbekannte Gen-Nin.
 

Als die beiden Minato bemerkten, zögerten sie noch kurz. Aber es dauerte nur wenige Sekunden, da brachen sie zeitgleich zusammen, landeten auf dem harten Boden.
 

Er schritt langsam auf seine Schüler zu, sammelte einen nach dem anderen ein und kehrte wieder zu Rin zurück, die nach wie vor an Ort und Stelle wartete.
 


 

„Was....aber...Sensei! Was ist denn passiert?!“
 

Er seufzte, schaffte ihn die Antwort auf die Frage. Es war doch jedes Mal das Gleiche. Nur heute hatten sie wieder ihre bisherigen Rekorde gesprengt. „Sie haben es maßlos übertrieben. Schon wieder.“
 

Und mit diesem Horrortrupp sollte er morgen auf eine Mission aufbrechen und auch noch jemanden beschützen.

„Was soll das Ganze eigentlich? Muss man ihn etwa höchstpersönlich wecken?! Was geht denn in seinem Kopf vor?“
 

„Kakashi, beruhige dich. Dass du dich jetzt so aufregst und schimpfst bringt auch nichts.“
 

Kakashi ging, wie das von der Stange geschubste Huhn, hektisch auf und ab, machte seiner Wut etwas Luft – obwohl das noch lange nicht reichte. Sein Sensei hingegen, das Ohr auf Kakashis Seite zuhaltend, näherte sich zielstrebig ihrem neuen Auftraggeber. Sie sollten ihn begleiten und schützen und seiner Einschätzung nach sollte diese Mission kein all zu großes Hindernis darstellen. Und dennoch wurde ihr ein viel höherer Schwierigkeitsgrad zugeteilt, als es vergleichbaren Missionen wurde. Minato ließ das schmunzeln, hatte es ihm seit dem Vortag keine Ruhe gelassen.
 

„Nun ja... was soll ich sagen, er ist sonst … nun ja... so ist er nicht immer.“, versuchte er seinen Schüler zu entschuldigen, setzte wie so oft ein Lächeln auf. Nur drückte es dieses Mal mehr Verlegenheit und Hilflosigkeit aus, als den sonst ansteckenden Optimismus.
 

„Doch, ist er.“ „Rin!“ „Entschuldigung, das war nur...“ Sie versuchte ihre Antwort zurückzuhalten, wollte den Frieden bewahren und die Gesamtsituation entschärfen. Aber viele Chancen sah sie dazu nicht. „Hey, da kommt jemand. Gehört der zu euch?“ Es richteten sich nicht nur vier Augenpaare auf den Uchiha, als sich dieser näherte, es flogen zugleich mehrere Kunai auf ihn.
 

„Du bist zu spät, verdammt!“
 

„Sag mal, geht’s noch?! Die hätten mich fast getroffen!“
 

„Entschuldige, das war keine Absicht, eigentlich wollte ich dich ganz treffen. Nicht nur fast.“ Nur wenige Zentimeter trennten sie noch voneinander, ihre Wut auf den jeweils anderen kletterte erpicht und mit vollem Elan auf die Spitze des Legoturmes, den sie mit jedem Mal um ein paar Teile höher bauten. Man konnte die Spannung zwischen ihnen und den Felsbrocken, der auf Minato zurollte, kaum übersehen.
 

„Also,...“ er stieß sich etwas von dem Baum, an welchem er gelehnt hatte, trat näher an die vier heran. Grinste. „Das sind also Ihre Schüler?“ Und sein Grinsen wurde breiter und breiter.
 

„Was will der Idiot hier eigentlich und wer bist du überhaupt?“
 

„Wärst du zur Abwechslung mal pünktlich gewesen, hättest du es mitbekommen.“
 

„Obito! Kakashi! Es reicht.“ „Ja, Sensei...“ „Hm.“
 

„Also, die Kurzfassung: Das ist Ren Kishizu, ist um die fünfzehn Jahre alt und alles was wir tun müssen, ist ihn sicher nach Hause bringen.“
 

Er war etwas größer als Kakashi und ungesund blass. Seine dunklen Augen stachen dadurch deutlich heraus und seine schwarzen Haare mit dem grünlichen Schimmern ließen ihn nicht unauffälliger aussehen. Seine Kleidung, die mit einem dunkelblauen Shirt und einer schwarzen Hose recht schlicht gehalten wurde und sein lässiges, völlig überzeugtes Auftreten ließen ihn jedoch nicht im geringsten schwach oder krank wirken. Obito warf einen genervten Blick zu Ren, machte ihm deutlich, dass es ihm definitiv keine Freude war mit ihm Bekanntschaft zu machen.
 

Irgendetwas sagte Minato, dass diese Konstellation noch interessant werden würde
 

Aber nicht nur Namikaze, auch Obito fragte sich, wie er diese Mission nur überstehen sollte. Mit Kakashi, irgendeinem anderem dahergelaufenem Schönling und....Kakashi. Und da war es schon wieder. Obito hatte ein Problem, es kam schleichend und machte nun keinerlei Anstalten wieder zu gehen. Er konnte dem Problem sogar einen Namen geben, beziehungsweise hatte es schon einen. Kakashi Hatake.
 

Es war ganz einfach:
 

Jeder normale Junge suchte sich eine Freundin.
 

Jedes Mädchen suchte... Kakashi.
 

Und Obito suchte... einen Freund.
 

Und der nächstbeste der ihm einfiel war... Kakashi.
 

Und das wiederum war ein Problem.
 

Nur, was sollte er jetzt machen? Er wusste es nicht, wusste auch nicht mehr, wie lange und wie viele Gedanken er sich bereits über das Thema gemacht hatte. Aber wie sagte sein Sensei immer? Für jedes Problem gab es eine Lösung. Obito fiel dabei spontan Salzsäure ein. Kakashi hatte es in letzter Zeit viel zu häufig nötig auf ihm herum zu trampeln und dennoch gingen mit Obito die Hormone durch. Vielleicht waren ja auch die sein wahres Problem?
 

>Ganz ruhig, du stehst nicht auf ihn, du bist nicht schwul, du bist... richtig tief im Schlamassel. „Guten Morgen, Hokage-sama, ich bin nicht ganz normal und deswegen möchte ich in ein reines Mädchenteam.“ Das geht schon mal nicht. Okay, überleg weiter... argh! Ich bekomm' Kopfschmerzen...<
 

Es war aber nicht nur Obitos Kopf, in dem sich ein schmerzhaftes Pochen ausbreitete. Als es sich vor allem in seinem Bein und seiner Flanke bemerkbar machte wurde ihm auch klar, woher dieser Schmerz kam.
 

Er hatte es beim Training am vorherigen Tag doch übertrieben, machten sich alle Wunden nach wie vor mehr als deutlich bemerkbar. Beim Gedanken daran wanderte sein Blick zu seinem Teamkollegen, dessen Anblick ihm zur Abwechslung erfreute. Ein schadenfrohes Grinsen zierte Obitos Züge, als er sah, dass Kakashi unter seiner Maske anscheinend ein Pflaster kleben hatte, dessen weißer Rand etwas unter dem dunklen Stoff herauslugte. Und sah man noch etwas genauer hin, erkannte man, dass auch Kakashi etwas mitgenommen und angeschlagen aussah. Die Tatsache, dass der Hatake anders als gewöhnlich langärmlig und mit langen Hosen den Dienst antrat bestätigte die Theorie des Uchihas.
 

„Hey, Vogelscheuche“, voller Hochmut und grinsend deutete Obito auf seiner Wange die Stelle an, an welcher er bei dem Hatake das Pflaster entdeckt hatte. „Hast du da etwa ein Weh-weh-chen?“
 

„Schnauze, Versager! Kümmere dich lieber um deine eigenen!“
 

Auf ein Neues stieß ihre Selbstbeherrschung an ihre Grenzen, ihre zurückgestaute Wut kam mehr und mehr ans Tageslicht zurück.
 

„Wir sollten gehen!“ Minatos rettender Einsatz unterbrach seine beiden Schüler bei deren Wortgefecht, es wurde für einen Moment ruhig. Ren und Rin standen schweigend daneben, merkten beide, dass sie die Situation bestenfalls verschlimmerten. Minato zweifelte indessen stark an seiner Berufswahl, fragte sich, ob es an ihm lag und, ob andere auch derartige Teamkonstellationen hatten – auch wenn er wusste, dass er sich im Zweifelsfall immer auf sein Team verlassen konnte.
 


 

Nach weiteren Zankereien, Handgreiflichkeiten und dem langersehntem Eingreifen Namikazes konnten sie endlich ihre Mission antreten und aufbrechen.

Nach der Hälfte des Tages waren sie nach wie vor noch damit beschäftigt immer der Nase lang geradeaus den Wald zu durchqueren. Obito wurde es langsam zu viel, auch wenn durch äußere Reize seine Nerven geschont wurden – sah der eine Baum genauso langweilig aus, wie der nachfolgende. Dennoch: Überlegungen über Überlegungen.
 

Natürlich, ja, er mochte Rin. Sehr sogar. Er würde auch nicht leugnen, dass er einmal in sie verliebt war, aber er war es eben und ist es nicht mehr. Alles nur aufgrund von mehr oder minder angenehmen Umständen. Jetzt hatte er einen viel schlimmeren Härtefall und er wusste nicht einmal, wie es dazu kam. Wie er dazu kam. Warum es ausgerechnet Kakashi Hatake war, war eine Frage, über die er sich den Kopf zerbrach seitdem er entschieden hatte ehrlich zu sich selbst zu sein. Warum ausgerechnet der?
 

War es Rache an Rin? Weil er sie nicht haben konnte? Rache daran, dass alle Mädchen nur Augen für Kakashi hatten? Oder war es der verzweifelte Drang nach der Aufmerksamkeit seines Teamkameraden? Oder...er war doch nicht etwa dem Hatake-Wahn verfallen? Oder wollte er einfach nur von dem Hatake fertig gemacht werden? War er scharf auf das?
 

Oh nein, soweit durfte es nicht kommen! Er würde vom ganzen Dorf ausgelacht und fertig gemacht werden, sollte irgendjemand jemals davon erfahren. Das durfte nicht passieren, sonst würde er nie Hokage werden.
 

Warum er sich gerade jetzt in dieses Thema hineinsteigerte? Vielleicht, weil er Zeit hatte. Vielleicht, weil die sonst etwas ruhigere Rin einen ihrer redseligen Tage hatte und seine Ohren dazu zwang auf Durchzug zu schalten. Vielleicht, weil Ren neben Kakashi lief und sie sich prächtig unterhielten.
 

Er war nicht dumm, ganz und gar nicht – ganz gleich was sein Kollege für eine Ansicht vertrat. Als würde es ihm nicht auffallen, wie Kakashi Ren das indirekte Kompliment machte, dass dieser es würdig war, sich mit ihm zu unterhalten – im Gegensatz zu Obito. Arroganter Mistkerl. Wäre es ein Monolog Rens wäre alles kein Problem. Aber es war eine richtige Diskussion, von beiden aufrecht erhalten. Warum unterhielt er sich nie mit Rin auf diese Art und Weise? Oder mit ihm? Bewertete Kakashi andere Menschen wirklich? Wieso sollte er sonst immer so schweigsam sein und jetzt derart aufblühen? Was hatte dieser Ren, was seine Kameraden nicht hatten?
 

Mit jedem weiteren Gedankengang staute sich in Obito noch mehr Wut an. Nicht nur auf den Hatake, auch auf sich selbst. Es machte ihn wütend, wie sehr ihm diese Sache nahe ging, wie ihn das alles beschäftigte. Dass diese Situation überhaupt existierte.
 

„Obito? Was ist los, stimmt etwas nicht? Du siehst so ernst aus.“ Rin sah ihn fragend an, ein Stück Besorgnis mit ihrem Blick mitschwingend. Sie hatte recht, sonst verhielt er sich anders.
 

„Nein. Nein, es ist alles in Ordnung, Rin. Rede ruhig weiter, ich hör zu“, forderte er sie mit einem seiner üblichen Lächeln auf. Ja, er hatte dieses Mädchen wirklich in sein Herz geschlossen. Konnte er nicht einfach 'Pause' drücken, zurückspulen und mit 'Play' das Spiel von vorne starten? Oder zumindest an dem Level erneut ansetzen, in welchem er noch versuchte Rins Herz zu erobern? Wohl eher nicht.
 

>Ich glaub, ich hör doch nicht zu ….<
 

„Also, wo war ich...ähm..ach ja! Ich stand also...“
 


 

Während die Sonne langsam unterging, um dem Mond und der Dunkelheit den Vortritt zu gewähren, bemalte sie die Landschaft noch einmal mit sanften, schimmernden Farben. Als würde sie stolz ihre Lösung für Minatos angehender Nervenschwäche präsentieren wollen. Denn der Ausbilder und Verantwortliche für seine vier Begleiter konnte sich angenehmer Ruhe erfreuen, da alle schwiegen. Sie hingen Gedanken nach, beobachteten das Farbenspiel am Himmel oder waren, wie Kakashi, einfach von Natur aus still. Oder müde.
 

Auch wenn es den kurzzeitigen Frieden beiseite schieben würde, so beschloss Minato, dass sie ihr Nachtlager aufbauen und Rast machen sollten. So könnten sie noch die restliche Helligkeit nutzen, um alles aufzubauen. Im Genaueren bedeutete das, dass Obito nach Feuerholz suchen müsste, Rin das Essen vorbereitete, Namikaze Wache schob und der Rest die Zelte aufstellte. Minato hatte Glück, sein Plan ging auf – und das problemlos.
 


 

„Sensei, Obito ist schon ziemlich lange weg, finden Sie nicht?“ Rins Sorge war zwar deutlich zu erkennen, jedoch war die unterschwellige Andeutung um ein Vielfaches aussagekräftiger. Obito hatte sich verlaufen. Und diesmal war es nicht helllichter Tag, sie waren nicht sicher vor Feinden und ihre Ausdauer ließ nach.
 

„Ich geh schon...“, Kakashi stand auf, seufzte und verschwand in der Richtung, in die Obito aufgebrochen war.
 

Verdutzt sahen Minato und Rin ihm nach, tauschten dann jedoch einen Blick aus, der beiden klar machte, dass Kakashis „Sorge“ um den Uchiha nur einen Zweck hatte. Er würde ihn nur wieder die Leviten lesen wollen und sich die Genugtuung, seinen Teamkameraden auf dessen Unzulänglichkeiten hinzuweisen, nicht nehmen lassen.
 


 

Tiefer im Dickicht des Waldes stand er nun, auf einem Baum. Hier hatte er den besten Überblick über die Umgebung, suchte mit Blicken alles nach seinem 'vermissten' Teamkollegen ab.
 

„Was machst du hier?“ Der Hatake zuckte sichtlich zusammen und gab damit offen zu erschrocken zu sein.
 

„Was sollte das?!“, fauchte er ihn aggressiv an. Und wie erzürnt er war. Erzürnt und vielleicht auch ein klein wenig beschämt.
 

„Was hast du denn jetzt für ein Problem? Wenn du nicht merkst, dass ich hinter dir stehe, dann ist das deine Sache und nicht meine. Vollidiot!“
 

„Ich bin nur hier, weil man dich Versager mal wieder suchen muss. Du bist wie immer zu spät!“
 

Der Uchiha, der etwas mehr als Grund erwartet, nein, sich mehr als Begründung erhofft hatte, zog einen Schmollmund. „Ich...hab mich verlaufen.“ Widerstrebend und mit einem leichten Rotschimmer auf den Wangen gab er das zu, was Kakashi schon längst wusste. Und dennoch war ihm diese Tatsache unsagbar peinlich.
 

„Das weiß ich. Es war ja auch nichts anderes zu erwarten.“
 

„Was soll das denn bedeuten?!“
 

„Das hast du schon verstanden! Und jetzt komm, Sensei Minato wartet auf uns.“
 


 

„Wo seid ihr so lange gewesen?“
 

„Nirgends.“
 

„Na schön... hier, esst etwas!“ Rin, die sich um den Proviant gekümmert hatte, reichte ihren Teamkameraden zwei Teller mit gefüllten Reisbällchen und etwas Gemüse.
 

„Danke.“
 

„Danke, Rin!“

Nach dem Essen führten sie noch auf ihre gewohnte Art und Weise Unterhaltungen, was bedeutete, dass Bosheiten, verbale Angriffe und eingeschnappte Bemerkungen von der einen Seite zur anderen wanderten, während Unschuldige ohne Rücksicht auf Verluste involviert wurden. Und das natürlich ohne Chance auf Entkommen. Als alles ausgesprochen wurde legten sie sich – die einen mehr, die anderen weniger erschöpft – schlafen. Zumindest war der Beschluss dafür gefasst.
 

Rin hatte bereits den Platz in ihrem Zelt in Beschlag genommen, wartete also noch auf ihren Mitbewohner, Ren war auch gerade dabei ins Zelt zu klettern. Minato, der mit einer klaren Ansage die Zeltaufteilung festgelegt hatte, war ebenfalls dabei so schnell wie möglich zum Schlafen zu kommen.
 

„Ihr beide solltet jetzt auch schlafen gehen!“ Vorerst war er stolz auf sich gewesen, hatte er in weiser Voraussicht Kakashi zu Ren und Obito zu Rin gelegt, um die beiden Streithähne zu trennen. Im Nachhinein befürchtete er, dass sich die beiden sich sogar über die Zelte hinweg nicht beherrschen würden. Blieb ihm nur noch die Hoffnung, dass genügend Rücksicht auf ihre Mitreisenden bei den Jungs vorhanden war.
 


 

Als es 'spät abends' vorbeigezogen und die Nacht hereingebrochen war, saßen die beiden Gen-Nin noch immer am Lagerfeuer. Sie ließen sich nicht von der Dunkelheit des Waldes und den raschelnden Blättern des Laubes beeindrucken, hatten ihre Sinne jedoch geschärft. Sie selbst sagten kein Wort zueinander, starrten ins Feuer, lauschten dem Zirpen der Grillen. Zumindest vorerst.
 

„Geh ins Bett! Morgen bist du sonst wieder todmüde. Und damit unbrauchbar.“
 

„Halt doch einfach die Klappe, Vogelscheuche. Ich bin nicht müde.“
 

„Wieso gähnst du dann die ganze Zeit?!“
 

Keine Antwort, es trat erneut Stille ein. Kakashi räusperte sich, sah Obito mit einem Blick an, der Obito den folgenden herablassenden Tonfall schon signalisierte.
 

„Du hast deinen Schlafsack vergessen?“
 

„Hab ich nicht!“
 

„Also, ja, hast du... wie es von dir auch nicht anders zu erwarten war.“
 

„Halt einfach den Mund!“
 

Kakashi zögerte kurz, seufzte. >Dummkopf, wenigstens ist dein Kopf festgewachsen<
 

„Nimm meinen.“
 

„Nein!“
 

„Ich meine das ernst.“
 

„Ich auch, ich bin nicht auf die Almosen des ach-so-tollen-Kakashi-Hatake angewiesen!“
 

„Dann läuft das also so wie bei der letzten Mission ab, als du ihn vergessen hattest. Du legst dich in dein Zelt, ohne Unterlage, ohne Decke, frierst die ganze Nacht und wir dürfen – diesmal schon im Voraus – ein Krankenhaus suchen, in der du die nächste verbringen wirst.“
 

Obitos Blick wanderte zum Boden, ein leichter Rotschimmer legte sich auf sein Gesicht. Musste das sein? Dass er ihn daran erinnerte...>Als ob er sich Sorgen machen würde... ausgerechnet um mich?<
 

„Und wo schläfst dann du?“
 

„Da mach dir keine Gedanken. Ren hat sicherlich noch Platz bei sich im Schlafsack. Nun nimm ihn endlich!“ Der Hatake zog ihn aus seiner Tasche, drückte ihn Obito in die Hand, der ihn einfach nur schweigend nahm und weiter auf Rins Zelt zusteuerte.
 

„Alles in Ordnung?“ Kakashi wunderte sich, war seinem Teamkameraden plötzlich alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Seiner Meinung nach grundlos. Eine Antwort bekam er jedoch nicht.
 

„Gute Nacht!“ Und wieder keine Antwort. >Was hat er denn? Sonst lässt er sich doch auch nichts einfach so gefallen. Und so blass... < Kakashi quittierte es mit einem Schulterzucken, wandte sich wieder dem Feuer zu, setzte sich.
 

Er war froh, endlich allein zu sein. Er hatte sich schon gefragt, ob Obito nie schlafen gehen würde...
 

Während er im Schein des Feuers saß und sich in dessen Wärme warm hielt, fing er langsam an sein Oberteil auszuziehen.
 

„Argh!“ er zog scharf die Luft ein, biss die Zähne zusammen. Irgendwie musste er den Schmerz unterdrücken. >Dass Obito gestern gleich wieder so brutal werden musste... ich bin auch nicht mehr, als ein Mensch.<
 

Seine Arme, eine Schulter, sowie auch der Bauch waren mit Verbänden versehen, an welchen man an manchen Stellen durchgesickertes Blut erkennen konnte, da die Blutung nicht ganz von den selbst angelegten Druckverbänden gestoppt wurde.
 

Er wusste nicht, wie lange er das noch geheim halten konnte, wäre spätestens nach einem Angriff, oder allein beim Training das Kartenblatt offen auf dem Tisch gelegt.
 

Er seufzte. Ganz normale Bewegungen fielen ihm schon schwer, folterten ihn jedes Mal und gingen bis an das Maß von dem, was er ertragen konnte. Wie um alles in der Welt sollte er denn bitte so zu Ren in den Schlafsack klettern? Falls er überhaupt durfte, aber davon ging er einfach aus.
 

Eines war für ihn sicher: Er war ein Idiot.
 

>Erst lasse ich mich von Obito so zurichten, dann gebe ich ihm dafür auch noch meinen Schlafsack und lasse mich dann wieder anzicken. Weiß schießmichtotJunge was das vorhin wieder war. Na ja, morgen ist alles wieder beim Alten.<
 

Fest davon überzeugt, dass Obito – der in dieser Hinsicht unbesiegt berechbar war – morgen wieder weitgehend normal sein würde, zog er sich so zügig wie möglich sein Oberteil wieder an, löschte das Feuer und ging zum Zelt.
 

Er öffnete langsam den Reißverschluss und stieg dann in den kleinen Innenraum hinein.
 

„Da bist du da endlich“, hörte er Ren murmeln, den er anscheinend geweckt hatte. Aber das hätte er ohnehin müssen, schließlich war ihm nicht nach einer Unterkühlung und Erkältung zumute.
 

„Wo ist eigentlich dein Schlafsack?“
 

„Weg.“
 

„Und jetzt willst du bei mir pennen, nicht wahr?“
 

„So in etwa...“
 

„Dann mach.“
 

„Dich stört das nicht?“
 

„Nein, du bist ja ganz in Ordnung und 'nen bemerkenswerten Altersunterschied gibt’s auch nicht. Das passt.“
 

Das musste man Kakashi nicht zweimal sagen und er legte sich neben Ren, schlüpfte erschöpft in den Schlafsack. Und es fühlte sich noch unwohler an, als er vermutet hätte - Und das hatte nichts mit seinen Blessuren zu tun. Aber eine andere Wahl hatte er nicht.
 

Sicher, er hätte ja auch noch den Uchiha fragen können. Der wäre dann mit Messern auf ihn losgegangen und hätte vermutlich sogar noch freiwillig vor dem Zelt geschlafen, als es sich mit Kakashi zu teilen – von dem Schlafsack gar keine Rede.
 


 

>Es ist schon wieder alles viel zu kompliziert. Natürlich ist es das, was sollte es auch sonst sein?! Soll der arrogante Mistkerl doch bei Ren schlafen. Zusammen, eng aneinander, vielleicht noch kuschelnd vor Kälte...Argh! Wenn ich anstatt Ren... ach verdammt! Ich werde noch wahnsinnig...<
 

Obito, der in Gedanken gerade Horrorszenarien von Ren und Kakashi entwickelte, fing allmählich an einen gewissen Hass auf ihren wandelnden Missionsgrund zu entwickeln, konnte nicht einmal mehr dessen Namen hören, ohne Groll zu hegen. Wie sollte das dann funktionieren, wenn dieser ihn ansprechen würde?!

Der Morgen kündigte sich mit der Dämmerung an, die Vögel zwitscherten fröhlich ihr Lied und der ganz normale Alltagshorror ging von vorne los.
 

Im Besonderen für zwei junge Ninja, deren Heimat im Dorf versteckt hinter den Blätter lag.
 

Minato, verwundert über seine ruhige Nacht und den seligen Schlaf seiner Schüler, war der Erste, der aufstand. In der Hoffnung Streitereien verschieben zu können, wollte er seinen jungen Begleitern eine Freude bereiten und richtete ein provisorisches Frühstück her. Mit selbiger Hoffnung bot er ihnen damit auch genügend Grund zum Aufstehen, vor allem Obito brauchte da immer eine ausreichende Überzeugungsstrategie. Rin kam ihren Teamkollegen zuvor und kroch müde aus dem Bett, sah sich verschlafen um und machte sich ein Bild über die Situation.
 

Sie gähnte ausgiebig und strich sich eine Träne aus dem Auge. „Guten Morgen, Sensei.“
 

„Guten Morgen, Rin!“ Er grinste sie wie üblich über das ganze Gesicht strahlend an, war dabei bereits auf dem Weg zu den Zelten der Jungs – Obito würde er als letztes wecken.
 

Doch genau dieser öffnete sein Zelt, bevor Minato auch nur bei einem der beiden angekommen war.
 

Ohne irgendjemanden zu beachten zog er seine blaue Jacke an, verdrängte die Gedanken an seine Alpträume, die ihn aus dem Schlaf gerissen und aus dem Schlafsack getrieben haben. Bevor er sich weiter immer und immer wieder anhörte, wie Kakashi durch simple Worte in ihm einen Stein ins rollen brachte, der alles niederschmetterte was im Weg war, stand er lieber auf.
 

Ihm reichte es, er hatte genug von den Streitereien und auch genug von ihm.
 

Sollte sich der Klugscheißer doch zur Hölle scheren, verschwinden. Er hatte genug von den Korrekturen, dem ewigen Besserwissen, den Angebereien – er konnte das nicht mehr ertragen, er konnte Kakashi nicht mehr ertragen.
 


 

Da saß er nun. Halb im Dreck, halb im Zelt und ohne jegliche Ahnung, was er mit sich selbst anfangen sollte. Was er mit Kakashi anfangen sollte. Dass er von allen Umstehenden angesehen wurde, als hätte er sich auf dem goldenen Löffelchen des Kage erbrochen, merkte er dabei nicht. Nach einer gefühlten, an Ort und Stelle stehen bleibenden Ewigkeit realisierte er, was um ihn herum vor sich ging, die verstörten und geschockten Blicke und das Zucken der anderen, als er sich bewegte – als würden sie ein scheues Tier beobachten. Nun war es an ihm deutlich verwirrt zu sein, sah zwischen Rin und seinem Sensei fragend hin und her.
 

„Was...ist denn?“
 

Beide schüttelten zeitgleich den Kopf, Minato näherte sich ihm vorichtig. Er beugte sich zu Obito herab und fühlte mit seiner Hand an Obitos Stirn, ob es vielleicht Fieber war, das seinen Schüler derart auswechselte. Fehlanzeige.
 

„Fieber hast du jedenfalls nicht.“
 

„Hören Sie auf damit! Es ist alles in Ordnung.“
 

„Na, wenn du meinst.“, nuschelte Namikaze vor sich hin, ließ es dabei dann auch bleiben.
 

„Mir geht’s gut!“
 

Na wenn dem so war, dann würde er eben jetzt die beiden anderen Jungs wecken. Obito indes verschwand wieder in seinen Gedanken, setzte sich jedoch nun raus aus seinem Zelt, gesellte sich zu Rin.
 

Gerade als Minato aufgestanden war und einen Schritt auf Kakashis Zelt zu machte, merkte er, dass es gar nicht nötig war Ren und Kakashi zu wecken. Die beiden kamen selbst heraus, der eine mehr, der andere weniger wach.
 

Wie üblich sagte Ren nichts, als er die anderen sah. Er lächelte lediglich und hob die Hand zum Gruß, wollte so ein „Guten Morgen!“ ausdrücken. Kakashi, der bislang auch keinen Ton von sich gab, sah im Vergleich zu Ren weder munter noch fit aus. Eher mitgenommen und blass. Sein Gemütszustand passte wie angegossen zu seinem Äußeren.
 

Diese Nähe machte ihn krank. Es bedeutete nur Schmerz, unglaubliches Leid und er war dem Ergebnis jetzt schonungslos ausgesetzt. Die Wärme, die er nachts zu ertragen versuchte, ging von Ren aus. Grauenhaft. Schrecklich.
 

Er fühlte sich schlapp, fiebrig, alles in ihm schien geradezu zu verbrennen.
 


 

In seinem Kopf spielte er immer und immer wieder die Situation des letzten Abends ab. Die Art und Weise wie Obito ihn angesehen hatte. Es war nicht typisch für den Uchiha und für Kakashi war es nicht zu begreifen. Obitos Augen brachten ihm nur Kälte, Hass und Abstoßung entgegen. Und das hatte sich bis jetzt nicht geändert.
 

Dabei – und es kratzte an seinem Stolz wie Fingernägel auf einer Tafel – war Obito doch sein einziger Freund. Ständig wurde ihm alle Bewunderung und Achtung, sowie Lob und Anerkennung entgegengebracht – ob es nun gerechtfertigt war oder nicht. Er hörte nur, wie toll er doch sei. Keiner machte ihm einen Vorwurf, wenn etwas nicht so glatt lief, keiner zeigte ihm seine Fehler, keiner sagte ihm seine Irrtümer, keiner wies ihn auf seine Schwächen und Versagen hin.
 

Keiner sagte ihm wirklich die Wahrheit, stattdessen behandelten in alle wie eine Glasfigur.
 

Nur Obito nicht.
 

Er verhielt sich ihm gegenüber, wie allen anderen auch. Wenn nicht sogar noch direkter, noch ehrlicher – auch wenn es nur auf Abneigung beruhte. Er behandelte ihn wie einen ganz normal Sterblichen. Er rieb ihm mit aller Gewalt seine Fehler unter die Nase, sagte seine Meinung gerade heraus und war von allem anderen unbeeindruckt.
 

Er ignorierte ihn nach Auseinandersetzungen, Beleidigungen und anderer Eskalationen auch nicht, wobei sich Kakashi fragte, ob Obito zu so etwas genügend Ausdauer und Selbstbeherrschung besaß. Auch wenn sie sich immer stritten, für Kakashi war Obito einer seiner engsten Verbündeten. Und vielleicht war ihre Freundschaft genau durch diese Streitereien gekennzeichnet.
 

Das nahm zumindest Kakashi an, nein, war davon überzeugt und schätzte es mehr, als er bis jetzt gedacht hatte. Obito etwa nicht?
 

Und nun würdigte sein Kamerad ihm keines Blickes mehr, kam ihm nur mit Ignoranz und Abweisung entgegen. Für den Hatake war das ein Schlag in die Magengrube, vor allem, da er nicht wusste warum. Was war passiert, das Obito so missfiel? Was lief gestern falsch? Was hatte er getan, damit es so weit kam? Dass Obito völlig entgegen seiner Art auftrat. Obito war nicht beleidigt wie sonst, er ignorierte ihn komplett.
 

Er hatte dem Uchiha seinen Schlafsack gegeben, sollte es etwa daran liegen? Scheiterte gerade alles an der Tatsache, dass er es nur gut mit seinem Freund meinte? Er wollte Obito wirklich nur dessen Bestes, behielt ihn geflissentlich im Auge – es tat ja sonst keiner und selbst war er dazu ganz offensichtlich nicht in der Lage – und passte auf ihn auf, wenn dieser es selbst schon nicht konnte.
 

Wenn Kakashi so recht über die Lage nachdachte und den Abend im Revue passieren ließ, dann fing Obitos Gespinne erst an, als sich ergab, dass er mit Ren ein Zelt teilen und bei diesem schlafen würde.
 

Kakashi fing an nachzudenken.
 


 


 


 

Er dachte noch länger nach.


 


 

Und kam zu keinem vernünftigen Ergebnis.
 


 

> Quatsch, das ist doch absoluter Unsinn, denk keinen Mist<
 

Außer auf den einen Rückschluss. Und der war zu absurd.
 

Der Hatake beließ es dabei, hatte er letztendlich noch ein anderes Problem. Eins reichte anscheinend nicht, es brauchte wohl immer eines auf Reserve.
 

Es war zwar gut vorstellbar, dass alles normal wirkte und es nicht auffiel, aber dennoch, er musste den Schein weiter aufrecht erhalten, dass bei ihm alles in Ordnung war. Es durfte nicht durchschimmern, dass dem nicht so war.

Was hat er denn jetzt auf einmal? Sonst kann er sein großes Maul doch auch nicht zügeln!
 

Hm, selbst bin ich auch nicht besser – sitz hier in der Gegend rum und starr trübselig den Boden an. Kieselsteine, Stöckchen, Blätter, Dreck.. interessant.
 

Aber was soll ich denn sonst machen? Viel bleibt nicht. Ich würde Kakashi ja ansehen, ihn provozieren, mit ihm streiten und ihn zur Weißglut treiben, aber ich kann's grad einfach nicht.
 

Das vorhin hat gesessen, auch wenn er nichts dafür kann. Ist mir durchaus klar. Natürlich meinte der große, erfahrene, intelligente Kakashi Hatake es nur gut... na ja, tat er wirklich.
 

Und trotzdem hab ich irgendwie Angst davor, ihn anzusehen. Ich will echt nicht in seine Augen sehen. Wenn der wüsste, was er manchmal für Ausdrücke drauf hat, da ist er dann nicht das dumme Arschloch, sondern doch ein fast normaler Typ, der in diesen Momenten anscheinend mehr Gefühle hat, als seine gesamte Umgebung zusammen.
 

Und... scheiße, ich hör mich langsam an, wie eine kleine Göre, die ihren Schwarm anhimmelt. Und gleichzeitig verhalte ich mich, wie eine geringfügig größere Göre, die gerade von ihrem Liebesgott betrogen und verlassen wurde.
 

Es hat schon weh getan, kann ich nicht leugnen, aber was will ich denn? Wir sind immer hin nur...ja...hmm.
 

Freunde? Rivalen? Kameraden? Fremde? Vertragspartner? Ist das Zusammenarbeiten und Unterstützen im Team dann der Vertrag?
 

Junge... so viele Fragen und gleich wieder so wenig Antworten, wie lieb ich das hab!
 

So, Obito, reiß dich mal zusammen! Du führst dich hier auf wie ein eifersüchtiges Weib – wobei das 'eifersüchtig' vielleicht gar nicht so verkehrt ist. Einsicht ist der erste Schritt ins Verderben. Denn auf das beweg ich mich mit rasender Geschwindigkeit zu. Ich hab den Schritt mit dem Sharin-Gan übersprungen und hab dafür die Anwandlungen einer vierzehnjährigen Pubertierenden. Na spitze.
 

Oh wie ich diesen Ren hasse. Der Typ hat den Stein doch überhaupt ins Rollen gebracht. Es hätte so normal weitergehen können, nichts wäre außer einer normalen Mission gewesen. Das wäre ohne ihn niemals so von Statten gegangen!
 

Wie der Typ mit ihm redet und umgeht. Und wie er ihn dabei auch noch ansieht – als wären sie schon seit dem Sandkasten beste Freunde.
 

Es macht mich wahnsinnig! Was bildet der sich denn ein? Wieso hatte der eigentlich von Anfang an einen besseren Draht zu Kakashi, als ich? Will der mich verarschen? Vorführen?
 

Wieso der ? Der Arsch kennt ihn doch gar nicht und weiß rein gar nichts über ihn!
 


 

Fein, dann weiß er ja genau so viel wie ich. Es würde mich ja so langsam mal wirklich interessieren, warum diese Maskenfresse immer so ein verdammtes Arschloch und immer so kalt und abweisend ist. Und was die Maske überhaupt soll...
 


 

Wieso...starren mich alle an?
 


 


 

Der letzte Morgentau verschwand langsam im Erdboden, das Rauschen der Blätter und das Zwitschern der Vögel versuchten sich gegenseitig ohne klaren Sieger zu übertönen und auch Minato und sein Team hatten sich zusammengesetzt. Jeder von ihnen holte seinen eigenen Proviant hervor, begann zu frühstücken und es konnte langsam damit begonnen werden, über die unschönen anstehenden Dinge zu sinnieren. Es wurde der Tagesablauf abgesprochen, die einzelnen Aufgaben verteilt und die ein oder anderen Hindernisse und Risiken durchdacht.
 

Nur Obito gliederte sich in der Runde nicht ein, horchte nicht aufmerksam zu, so wie es die anderen taten, wenn Namikaze jeden Schritt, jeden Teil des Planes erklärte und erläuterte. Der Uchiha starrte in Gedanken versunken den Boden an, saß stillschweigend da. Seine Umgebung nahm er nur unterschwellig wahr, lagen ihm seine Gedankengänge klarer und deutlicher vor, als die Realität.
 

Die Blicke der anderen, die auf Obito ruhten, waren ihm nicht bewusst. Er hatte keine Ahnung, dass er von allen anderen gemustert wurde, das Gespräch seit ein paar Augenblicken bereits verstummt war.
 

„Hey, Obito? Alles klar bei dir?“ Besorgt lehnte sich Minato vor, näherte sich so seinem Schüler und wartete geduldig auf eine Antwort. Es war einfach nicht Obitos Art still zu sein. Jemand, der sich zurückzog, still einem Gespräch lauschte und sich mit keinem Wort, keinem Einfall und keinem Kommentar einbrachte – das war nicht Obito. Irgendetwas schien nicht zu stimmen, den Jungen zu beschäftigen.
 

Selbst auf Kakashis Provokationen reagierte er nicht, wobei sich Minato nicht sicher war, ob er es einfach ignorierte oder gar nicht mitbekam.
 

„Wahrscheinlich hat er nur seine Tage. Irgendetwas muss er ja bekommen, wenn schon nicht das Sharin-Gan.“
 

„Hör auf Kakashi, das ist nicht lustig und auch nicht sonderlich hilfreich.“ Minatos ruhige, aber bestimmende Zurechtweisung an seinen Schüler hatte schnell Fuß gefasst und seine volle Wirkung entfaltet. „Fit siehst du auch nicht aus. Was habt ihr beide denn gestern noch gemacht?“
 

„Lassen Sie die Hackfresse doch einfach reden, Sensei. Das bringt bei dem doch eh nichts mehr.“
 

„Obito...?!“ Etwas überrascht und für einen kurzen Moment auch überfordert ließ er seine beiden Schüler nun doch gewähren. Irgendetwas stimmte nicht, passte nicht, war anders. Er konnte nur noch nicht mit Bestimmtheit sagen, was es war. Aber vorerst würde er sich nicht weiter einschalten, immerhin war nach diesem kleinen Schlagaustausch auch wieder Ruhe eingekehrt und deren Babysitter war er auch nicht. Obwohl er dieses Mal die Boshaftigkeit beider spüren konnte. Das waren keine einfachen Provokationen. Was es auch war, seine beiden Schüler sollten durchaus selbst in der Lage sein, wieder Ordnung in ihr Miteinander zu bringen. Es dauerte auch nicht lange, da hatte sich jeder wieder seinem Essen zugewandt und wirkte ein Stück weit zufrieden.
 


 

Nachdem sie ihr Frühstück, die Besprechung und das Zusammenpacken ihrer Sachen – es waren nicht viele – hinter sich hatten, brachen sie erneut auf. Sie waren bereits wieder einige Zeit unterwegs, auf dem Weg ihre Mission zu erfüllen.
 

Keiner der Lehrlinge verstand, wieso dieser Auftrag eine derartig hohe Einstufung der Schwierigkeit bekommen hatte. Rin hatte für ihren Teil beschlossen, dass dies wohl die langweiligste Mission war, die sie je erfüllen musste. Sie erinnerte sich an die Zeit, in der es galt Unkraut zu vernichten, zerstörte Zäune und Hütten wieder aufzurichten oder beim Streichen des Büros des Kage zu helfen. Das war spannend im Vergleich zu der jetzigen Situation. Nicht einmal eine Unterhaltung gab es, menschliche Kommunikation versagte.
 

Für Obito war es schlichtweg schrecklich. Er konnte nicht genau sagen was oder wie viel, aber er würde einiges in Kauf nehmen, um von seinem Teamkollegen weg zu kommen. Er würdigte Kakashi nach wie vor keines Blickes, wollte dessen Anwesenheit am liebsten verdrängen.
 

Der Hatake fand das Verhalten des Uchiha schon fast beängstigend. Weder reagierte er auf die gelegentlichen Provokationen, Sticheleien oder sonstiger derartiger Sachen, noch sah er ihn an. Egal bei welcher seiner Äußerungen, der Uchiha zuckte noch nicht einmal, odertat gar beleidigt. Also wandte sich Kakashi wieder Ren zu. Er hatte es immerhin versucht.
 

Was dem Hatake dabei nicht bewusst war, war wie sehr er Obito damit zusetzte. Er machte es statt besser nur noch schlimmer, landete somit viel härtere, häufigere Treffer als es seine Worte je könnten.
 


 

Jeder wurde aus seinen Gedanken herausgerissen, als ihr Sensei plötzlich stehen blieb. Seine Miene war völlig ausdruckslos. Dann verdunkelte sie sich, aber nicht zu offensichtlich. Irgendetwas stimmte nicht und Minatos Schüler konnten sich denken was es war. Sie waren von Feinden umgeben. Namikaze wollte nicht durch Anweisungen oder sein Verhalten sofort allen um ihnen herum deutlich machen, dass er die Falle – in welche sie fröhlich hinein spaziert waren – bemerkt hatte. Aber allein die Tatsache, dass er stehen blieb und schwieg machte deutlich, dass sie sich ruhig verhalten sollten.
 

Nach kurzem Überlegen gab er leise Befehle, teilte seine Entscheidung mit.
 

„Kakashi, Obito. Ihr werdet nach rechts weitergehen. Ich werde euch später einholen, der Rest kommt mit mir mit.“
 

Er vertraute Kakashi und Obito, wusste, dass er es konnte und es keinerlei Kontraindikationen gab. Auch, wenn diese sich um einen gegenteiligen Eindruck bemühten. Minato war der festen Überzeugung, dass seine beiden Schüler gemeinsam locker mit der Situation fertig wurden.
 

Er blieb noch einen Moment stehen, ging nochmals alles im Kopf durch, überprüfte die Situation. Er gab nur noch ein kurzes Handzeichen, bevor sich die Gruppe den Anweisungen getreu trennte.
 

Kakashi mit Obito, Rin und Ren mit ihm.
 


 

Und die Feinde mit ihnen.

Leise und darauf bedacht, ihre Deckung zu wahren, bahnten sie sich den Weg über die dicken Äste der Bäume, wichen an der ein oder anderen Stelle Kleingestrüpp aus. Sie durften keine Spuren hinterlassen und abgebrochene Äste wären eine eindeutige, nicht falsch zu verstehende Einladung ihrerseits an alle erdenklichen Feinde.
 

Minato hatte ein Auge auf Ren, der bislang noch nicht so genau wusste, warum sie überhaupt angegriffen wurden. Rin hingegen beobachtete wachsam die Umgebung, nahm jede kleinste Bewegung wahr, jedes Geräusch, jedes Aufblitzen von Waffen. Ihr Kunai hatte sie wurfbereit in der Hand, ihr Chakra für sämtliche Jutsus bereit. Doch Minato konnte sie nichts vormachen. Ihr Sensei hatte durchaus bemerkt, dass beide seiner Schützlinge Angst hatten. Und Rin sah man – abgesehen von dem verkrampften Griff um das Kunai – nicht nur Angst sofort an, man konnte ihr auch Sorge vom Gesicht ablesen. Sorge um ihre beiden Teamkameraden.
 

Letztendlich wusste keiner von ihnen, wie stark der Angreifer war, wie viele es waren, warum sie es auf sie abgesehen hatten und wer sie geschickt hatte. Minato spürte, dass ihre Feinde aufholten und es nicht mehr lange dauern würde, bis sie sie eingeholt hatten. Direkt hinter ihnen waren es ungefähr fünf oder sechs feindliche Ninja.
 


 

„Schneller!“, als ob er es zu sich selbst gesagt hätte, erhöhte er sein Tempo, nahm keine Rücksicht auf Obito. Ihre Verfolger kamen immer näher, sie hatten keine Zeit zum Trödeln oder Jammern. Und obwohl Kakashi wusste, dass es sinnlos war, da sie auf alle Fälle eingeholt werden würden – sie mussten sich beeilen, versuchen ein Versteck ausfindig zu machen, um sich eine Strategie zurecht zu legen. Der Hatake schätzte, dass es ein Jo-Nin und ein paar Chu-Nin sein müssten.
 

Damit würden sie nie und nimmer fertig werden. Wie hatte sich Namikaze das vorgestellt? Obito und er gegen alle anderen? Obito und er?! Wie sollte das funktionieren?
 

Sie zwei gegen alle? Zudem waren sie offiziell nur Gen-Nin, und selbst, wenn sie mehr Können als andere Gen-Nin hatten, es waren zu viele. Und sie waren zu stark.
 

Obito rang um Luft, war bereits völlig außer Atem. Natürlich. Erst das Training, dann die Mission und jetzt die Verfolgungsjagd. Wann hätte sich der kleine Uchiha erholen sollen?
 

Was Kakashi einen Stich in seinen Stolz versetzte, war die Einsicht, dass er selbst auch erschöpft war, wollte er es nur nicht zugeben.
 

Er wandte seinen Blick von seinem Partner ab und wieder nach vorne, sah sich nach einem Versteck um.
 


 

„Kannst du nicht noch etwas schneller?“ Erneuter Versuch, erneut keine Antwort.
 

Was um alles in der Welt war mit Obito los? Er sah ihn nicht einmal an, es war gerade so, als würde Kakashi mit sich selbst reden. Und solange der Uchiha keinen Laut von sich gab, solange konnten sie auch nicht handeln. Weder einen Plan schmieden, noch das Tempo erhöhen, um ihnen Zeit zu verschaffen.
 

Sie rannten einfach weiter, hatten den Weg über die höher gelegenen Äste aufgegeben, da es zu auffällig war. Man hörte nur ab und zu ein Plätschern, wenn sie über sumpfige Stellen liefen. Ansonsten war es still, als wäre kein Mensch im Wald. Kakashi wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. Auf der einen Seite hörte man sie nicht, auf der anderen Seite konnten sie niemanden hören. Und egal wie oft Kakashi es versuchte, er konnte das Chakra seines Senseis, oder auch das von Rin, nirgends orten. Es war vergebens.
 


 

> Wenn Obito wenigstens irgendeine Reaktion von sich geben würde, dann wüsste ich wenigstens, ob mit ihm alles in Ordnung ist. Allein bekomm ich das hier nicht hin! Verdammt, ich muss mir was einfallen lassen. Es wird langsam eng! Und immerhin vertrauen alle darauf, dass ich das schaffe...<
 


 

Kakashis Miene strotzte nur vor Verachtung, aber auch Verzweiflung. Seine beiden ständigen Begleiter, die es sich auf seiner Schulter gemütlich gemacht hatten und ihn nicht von der Seite weichen wollten. Und egal wie belastend es war, Kakashi wusste, dass er ohne diese Verachtung und ohne diese Verzweiflung nicht so weit gekommen wäre. Aber die Gründe ihrer Existenz hatten sich geändert.
 

Wie er es hasste. Er hasste es, dass alle Meisterleistungen von ihm erwarteten. Immer. Und natürlich, sein Vater war ein Held. Ein Held, der für andere sein Leben riskiert hatte. Ein Held, der wusste, dass er seinen Sohn im Stich ließ. Ein Held, der zu Fall gebracht wurde. Und jetzt? Was wurde jetzt von ihm verlangt? Dass er seinem Vater gleich kam? Dass er in seinem Alter genauso stark war, wie sein Vater bevor er ging?
 

Denn wenn dem so sei, dann wäre jetzt der passende Augenblick gekommen, diesen Erwartungen zu entsprechen. Denn das war ihre einzige Chance. Irgendein seltsames Phänomen. Kein Wunder – an die glaubte er nicht – vielleicht auch ein Zufall, das ihnen die Fertigkeiten gab, die sie dringend brauchten.
 


 

> Denk nach... denk nach...!<
 

Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich nach vorne, sah er, wie der Wald immer dichter wurde, die Bäume größer, massiver. Und wenn er sich nicht irrte, waren dort auch Ruinen. Die kamen gerade recht, vielleicht konnten sie sich doch noch retten. Zumindest solange, bis sie Hilfe bekämen.
 

Er verlangsamte sein Tempo so, dass er direkt neben Obito lief und verschaffte sich somit auch dessen Aufmerksamkeit. Er sah ihn aus den Augenwinkeln heraus an, als würde er Obito vorbereiten wollen. Dieser wusste nur nicht auf was.
 


 

Noch einen Moment und er konnte seinen Plan durchführen, nur noch kurz abwarten. Zuvor mussten sie noch tiefer in den Wald hinein gelangen.
 


 

„Argh!“
 

„Obito?! Was -“
 

Scheiße
 

>Dann eben sofort, ich hab keine Zeit mehr! Es muss klappen.<
 

Obito, der am Oberschenkel getroffen wurde, verlor immer mehr an Geschwindigkeit, fiel zurück. Kakashi packte ihn kurzerhand am Arm, zog ihn an sich und auf die Art und Weise auch mit sich. Der Uchiha war diese Seite an Kakashi nicht gewohnt – natürlich, es war immerhin auch keine gewohnte Situation – und dennoch konnte er nicht aufhören seinen Partner verwirrt anzustarren, der davon jedoch nichts mitbekam, war dessen Blick zielstrebig nach vorne gerichtet.
 

Der Hatake tastete sich mit seiner freien Hand durch seine kleine Gürteltasche, holte sowohl Kunai, als auch Rauchbomben daraus hervor, kontrollierte, ob auch an jedem Kibakufuda befestigt waren. Er konzentrierte sein Chakra in den Füßen, warf die Waffen gezielt mit einer schnellen Bewegung auf ihre Verfolger und verstärkte zeitgleich seinen seinen Griff um Obito, sodass er ihn so nahe wie möglich an sich zog. Er griff mit seinem freien Arm um Obitos Hüfte, konnte sein Ziel jetzt genau fixieren.
 

Obito schloss für einen Moment die Augen, gab dem Schmerz in seinem Bein nach. Doch als er sie wieder öffnete, brauchte er einen Moment, um sich zu orientieren, zu erkennen, wo sie waren.
 

Sie hatten sich zur Deckung in alte Ruinen zurückgezogen. An den alten Steinen wucherte Moos, Pflanzen hatten sich durch die kleinen Risse und Bruchstellen gewunden und an manchen Stellen das Gestein bereits durchbrochen. Und dennoch waren sie noch relativ gut erhalten. Gut genug, um als Versteck zu dienen und einen Moment abzuwarten.
 

Verblüfft, überrascht und vielleicht auch etwas überfordert sah Obito sich um, bedachte ihren Unterschlupf mit prüfenden Blicken. Trotz des Verfalls des alten Gebäudes, war dies dennoch die einzige Möglichkeit gewesen, sich Zeit zu verschaffen und immerhin – sie hatten sozusagen ein Dach über dem Kopf. Eines, bei dem nicht die Gefahr bestand, dass ein Teil ihrer Sachen unter Ästen hervorlugte und nach der Aufmerksamkeit der Feinde mit „Schau, hier bin ich!“ schrie.
 

Sie... ja, genau, Kakashi war auch noch neben ihm. Erst jetzt registrierte er, was gerade geschehen war. Es ließ seinen Blick sichnicht nur verdunkeln, sondern auch in Wehmut versinken.
 


 

Lange konnte er sich jedoch nicht auf seinen Kameraden konzentrieren, merkte er, wie das warme Nass aus seinem Bein floss, bereits eine Blutlache unter ihm bildete. Und als würde der Blutverlust und ihre Gesamtsituation nicht schon reichen, nein, es musste natürlich auch noch höllisch schmerzen.
 

> Und jetzt sitze ich hier mit Kakashi fest... na Spitze!< Er seufzte, schwieg aber. Unter keinen Umständen würde er sich vor Kakashi die Blöße geben zu jammern. Vorher würde er sich die Lippen zerbeißen, bevor auch nur ein Wort dieser Richtung seinen Mund verließ.
 


 

„Zeig mal her.“
 

Und wieder ging es von vorne los. Wie schon einmal an diesem Tag bekam der Hatake keinerlei Reaktion seitens des Uchihas.
 

„Ich kann auch Gewalt anwenden, wenn es das ist, was du willst. Also los, mach schon!“ Langsam, aber sicher, verlor auch Kakashi die Geduld, scheute nicht zurück Obito zu drohen und gegebenenfalls die Drohung auch umzusetzen. Denn ob er es wollte, oder nicht, gab er gerade indirekt zu, dass er sich Sorgen machte – und das widerstrebte gehörig seinem Stolz.
 

Doch wieder kam keine Antwort, kein Zucken, nicht einmal eine Bewegung, die darauf schließen ließ, dass Obito ihm überhaupt zuhörte. Kakashi räusperte sich, gab damit ein klares Zeichen, dass dies seine letzte Warnung war.
 

Kakashis Augenbraue fing gefährlich an zu zucken, sein Blick sprach Bände und wenn Obito sich nicht täuschte hörte er ein leises Knurren.
 

„Schon gut, schon gut...“ ebenfalls genervt drehte sich der Uchiha jetzt seinem Partner zu, der ein Stück entfernt neben ihm saß. Man sah Kakashi an, dass auch er erschöpft war.
 

„Verdammt! Was zum Teufel machst du da?!“
 

„Wart es ab.“ Kakashi, der ohne weiter zu zögern anfing sich um Obitos Bein zu kümmern, zog vorsichtig das Kunai aus dessen Muskel. Er gab sich größte Mühe, die Wunde nicht noch schlimmer zu machen, als sie ohnehin schon war.
 

Das Gute an der Sache war, dass Obito so mit seiner eigenen Wunde beschäftigt war, dass keine Zeit dafür blieb, über Kakashis zu diskutieren. Das hätte dem Hatake gerade noch gefehlt, außerdem musste er seinem Partner in dem Glauben lassen, dass sie beide nicht an Ort und Stelle lädiert auf ihr Ende warten müssten.
 

Er beförderte aus seiner Gürteltasche einen Verband ans Tageslicht und begann damit, die Wunde abzudecken. Das Wichtigste war, dass er die Blutung stoppte, war die Blutmenge, die der Uchiha bis jetzt verloren hatte für eine solche Verletzung beachtlich. Er zweifelte daran, dass das ein harmloser Messerstich war und nichts wichtigeres getroffen hatte, aber den Rest würde und musste er Rin überlassen. Sofern es noch dazu kam.
 

Immer mehr wurde Kakashi von Selbstzweifeln eingenommen. Er war sich sicher, dass er noch ein paar Schreie hörte, als die Explosionen ihre Wucht entfalteten, aber über ihre jetzige Sicherheit war er es nicht. Hatte er alle erwischt? Hatten ein paar Explosionen tatsächlich ausgereicht?
 

Je mehr er begann zu zweifeln, desto verdächtiger kam ihm die herrschende Ruhe vor.
 


 

Zu dem kam immerhin auch noch Obitos Schweigen, nein, seine gänzliche Ignoration, hinzu. Er war doch sonst nicht so. Nie nachtragend - trotzend, aber nicht abweisend und so etwas wie das absolute Ausblenden oder Ignorieren von Personen lag ihm nicht, er konnte es nicht. Zumindest dachte das Kakashi bis jetzt.
 

Das musste doch irgendwann mal aufhören, wie lange wollte Obito das noch durchziehen, beziehungsweise... Wie lange würde er das noch durchziehen können?
 

Ob er wollte, oder nicht, Kakashi blieb nichts anderes, als selbst die Initiative zu ergreifen. Und er wollte nicht.
 


 

„Raus damit! Was ist dein Problem?“
 

Während Kakashi sich über seine Wortwahl Gedanken machte – sollte es nicht wie eine verschmähte Liebhaberin klingen – wandte Obito nur den Blick ab.
 

„Antworte endlich! So langsam endet auch meine Geduld...“
 

Auch, wenn diese alles andere als groß war und Kakashi innerlich den Kopf über sich selbst schüttelte, starrte er den Uchiha an, erwartete eine Erklärung, wenn nicht sogar eine Rechtfertigung.
 

„Heute noch.“
 

> Und lass es nicht das sein, das ich vermute … <
 


 

„Hm... na ja...“, leise vernahm Kakashi Obitos Hauch von Ansatz, den er vor sich her stummelte, hoffte, dass nun endlich Aussagen folgten.
 

„Ich....ich...“
 

„Sags einfach, wird dich schon niemand hassen und außerdem erfährt es hier draußen ohnehin niemand.“
 

> Es ist ja auch noch gar nicht sicher, ob wir hier lebend wegkommen.<
 

„Na ja, du...“
 

„Obito...!“, wieder ein leises, genervtes Knurren seitens Kakashi, ging nun wirklich der kleine Faden der Geduld an ihm vorbei, um mit voller Motivation von der Klippe zu springen. Das ließ den Uchiha jedoch kalt, starrte seitlich weg, ließ sich jedoch anmerken, dass er händeringend nach den richtigen Worten oder zumindest nach einem Ansatz suchte, der ihm vielleicht die Haut retten würde.
 

„Hetz nicht.“
 

Und wieder nur dieses kleine, aggressive Raunen des Hatake.
 

„Na ja... ich...“
 

„Alles klar. Du bist verliebt. Und weiter?“
 

„Ja. Das ist ja genau das Problem.“
 

„Na und? Jeder weiß, dass du in Rin verliebt bist.“ Er richtete sich auf, verschränkte die Arme. Und auch, wenn er Obito etwas Mut machen wollte, als er sagte, es würde ihn niemand hassen, er hatte jetzt das Gefühl ihn umbringen zu müssen. Wegen so etwas so ein Theater vorzuführen...!
 

„Nein, nicht in Rin, du Idiot.“
 

„Sondern?“ Er wurde ruhiger, fordernder und auf seltsame Weise auch neugierig.
 

„In...“ Der Uchiha sah betrübt zu Boden, es wirkte, als hätte sich ein dunkler Schatten auf sein Gesicht gelegt. Bedauern, Schmerz und Traurigkeit.
 

Als hätte er jemanden verloren.
 

„...dich.“ Jetzt gerade. In diesem Moment.
 

Kakashi sah Obito geschockt an, der weiterhin den Blick abwandte.
 

Er konnte keinen klaren Gedanken fassen - nein, er konnte gar keinen Gedanken fassen. Es fiel ihm gar schwer, die Situation zu fassen, sie irgendwie irgendwo einzuordnen.
 

Was sollte er jetzt sagen? Was sollte er jetzt machen?
 

Er wusste nicht, wo er nach einer Antwort suchen sollte, geschweigedenn wie man in so einer Situation reagierte. So etwas hatte er nicht gelernt...
 

Gerade in dem Moment, als er die Lippen zu Worten formte und antworten wollte, geschah genau das, was er die ganze Zeit befürchtet und eingeplant hatte. Nur hatte er es für einen Moment völlig vergessen...

Obito starrte erneut den Boden an, entging Kakashis geschocktem Blick, wich aus.
 

Kakashi wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, wusste nicht, wo er nach einer Antwort suchen sollte und noch viel weniger, wie man in so einer Situation reagierte. So etwas hatte er nicht gelernt...
 

Gerade in dem Moment, als er die Lippen zu Worten formte und antworten wollte, geschah genau das, was er die ganze Zeit befürchtet und eingeplant hatte. Nur hatte er es für einen Moment völlig vergessen...
 


 

Kakashi blickte Obito aus geweiteten Augen an. Es war nicht Obitos Geständnis. Sondern die Kälte, die sich immer und immer wieder durch seine Haut drang, sich in sein Fleisch bohrte. Im ersten Moment fühlte er Wellen aus Eis durch seinen Körper wallen, doch nach und nach verwandelte sich jede Einzelne von ihnen in heiße, pochende Stöße. Es brannte, er fror. Bleierner Schmerz durchjagte ihn, bedeckte seinen Verstand und seine Wahrnehmung.
 


 

Wie eine Puppe, deren Aufhängefäden man durchtrennt hatte, brach er zusammen.
 


 

„Ha, ha!“, ein höhnisches Lachen, welches eine gefühlte Ewigkeit die Stille brach und Obito aus seiner Starre löste. „Ich würde mal sagen, die Mission ist erledigt.“
 

Obito konnte die Situation nicht als Realtität verarbeiten, hatte noch nicht begriffen, was geschah. Sein Blick war auf Kakashi gerichtet, als er versuchte, das, was gerade passiert war, zu rekonstruieren. Eins wurde ihm klar: Es lief falsch. Irgendetwas war gerade falsch gelaufen. Und die süffisante Art und Weise ihres Feindes brachte den Schalter zum umkippen.
 

„Was soll die Scheiße?! Was soll das heißen 'Mission erledigt'? Geht's noch?!“ schrie er, merkte nicht, wie Tränen über sein Gesicht strömten. Er hielt Kakashi in den Armen, hatte er ihn unbewusst aufgefangen, als dieser reglos zusammensackte und auf ihn fiel.
 


 

„Es ist ganz einfach,“ immer noch dieses Grinsen, „unsere Mission hieß klar und deutlich, dass wir den Hatake, der noch übrig war, abmurksen sollen.“ Und wieder ein Lachen. „Na ja, eigentlich kann er ja nichts dafür, wie schade für ihn.“ Suna-Nin.
 

Mit einer Abartigkeit, die der Uchiha vorher noch nie empfunden hatte, sah er seine Feinde an, konnte den Zorn in sich kaum im Zaum halten, seine Beherrschung wahren.
 

Die....die haben seinen besten Freund wegen nichts getötet? Wegen nichts?! Wieso?
 

Wieso sollte Kakashi für die Taten eines anderen aufgrund eines Namens einstehen? Wieso musste er das?
 

Das hatte Kakashi nicht verdient. Das... das war nicht fair. Obito spürte, das Zittern in seinen Gliedern, die Enge, die sich um sein Herz schnürte. Keiner von ihnen würde ungeschoren davon kommen. Er sühnte nach Rache. Da war für Obito eine unumstreitbare Tatsache.
 

Vorsichtig legte er Kakashi so sanft wie möglich auf den Boden, stand auf. Er bemerkte den stechenden Schmerz in seinem Bein, schenkte dem jedoch keinerlei Beachtung. Sein ganzer Körper spannte sich an, seine Fäuste ballten sich, ließen die einzelnen Knochen unter der gespannten Haut weiß hervortreten, die Venen erkennen lassen.
 

Er schloss die Augen.
 


 

Er hatte den Kopf leicht gesenkt, statt weiter seinen Feind anzuschreien sprach er nun leise und bedrohlich weiter.
 

„Dafür“, er richtete seinen Blick auf sein Ziel, sah direkt in die Augen seines Feindes, „werdet ihr alle büßen!“
 

Einer der Männer erwiderte den Blickkontakt, machte den Anschein für einen Moment die Bedrohung wahrgenommen und sich Furcht eingestanden zu haben. Doch anstatt zu verschwinden oder sich in Verteidigung zu begeben, verspottete er den Uchiha nur weiter.
 


 

„Soll mir das jetzt etwa Angst machen? Ich erzittere schon vor einem kleinen Albino-Wiesel!“ Und wieder lachte er. Er war also ihr Anführer.
 

„Nein, das muss es nicht.“ Obito sprach leise weiter. Seine Worte glichen einem tiefen Raunen, dem Knurren eines Wolfes, der die Zähne fletschte, bereit zu töten.
 

„Es soll dir nur Leid bringen und das Leben nehmen.“
 

Nie zuvor hatte sich Obito so gegeben, so empfunden. Ein Grinsen, das seine Mordlust widerspiegelte. Ein Blick, der nichts als seinen Wahnsinn ausstrahlte und seine Muskeln, die nach Rache sehnten.
 


 

Noch bevor seine Gegner Gelegenheit bekamen, die Bedrohung vor ihren Augen wahrzunhemen, waren sie gezwungen zu handeln. Verkrampft suchten sie die Gegend mit ihren Blicken und Chakren ab. Bedacht auf ihre Sicherheit suchten die Angreifer verzweifelt nach einer Spur des Uchihas. Er war vor ihren Iriden verschwunden.
 

Ein Schrei schreckte sie alle auf, zerstörte nicht nur ihre Konzentration, sondern auch die Deckung ihrer eigenen Reihen.
 


 

„Na, wie fühlt sich das an? Grässliches Gefühl Kunai im Rücken stecken zu haben, nicht wahr?“
 

„Wann...“ er versuchte seine Augen auf die Person hinter sich zu richten, keuchte schmerzerfüllt auf, „Wann bist du hinter mich gekommen?“
 

„Als du auf mein Sharin-Gan reingefallen bist.“ Er machte eine kurze Pause, genoss die Angst und den Schmerz seines Feindes. „Ich stehe schon eine ganze Zeit hinter dir. Es war alles eine Illusion. Doch das Kunai, der Schmerz, deine Wunde – das ist alles echt.“
 

Er stand hinter seinem Angreifer, bohrte eines der Wurfmesser immer tiefer in den Leib des vor ihm Stehenden.
 

Er hatte nicht gezögert sein entwickeltes Erbe zu nutzen.
 

Bis auf das Rascheln der Baumkronen und dem Schreien der Krähen war nichts weiteres zu hören, als Obitos Worte. Alle Angreifer schwiegen, bewegten sich nicht. Sie hatten die Gefahr, die von Obito ausging, begriffen. Zu spät.
 


 

Tränen strömten aus seinen Augen, er weinte. Weinte um seinen Freund. Und lachte. Lachte über seinen Sieg. Wie gebannt funkelte er seinen Feind aus stechenden, blutroten Augen an. Als würde er sie warnen wollen, als er deren Anführer achtlos zu Boden fallen ließ, dessen Blut vergoss.
 

„Verschwindet.“
 

Es war ihre letzte Chance, ihre letzte und einzige Möglichkeit, um diesen Wahnsinn zu entgehen. Und sie nutzten sie, flohen.
 


 

Er war allein, wieder allein. Sie waren alle weg und das Einzige, was sie zurückgelassen hatten, waren Leichen.
 

Immer mehr des salzigen Nass' bahnte sich über Obitos Gesicht, als er sich zurück zu Kakashi begab. Er sackte neben diesem zusammen, fiel auf die Knie. Obito besah sich Kakashis Wunden, wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste, er konnte nichts machen. Er war tot. Gegen den Tod konnte er nichts ausrichten. Kein Sharin-Gan, kein Jutsu und keine Begabung dieser Welt konnte das.
 

Er hatte ihn auf die Seite gelegt, wollte nicht, dass die Messer sich noch tiefer in dessen Rücken bohrten. Wollte er nicht, dass Kakashi noch mehr Leid empfinden musste. Wegen ihm noch mehr Schmerz ertragen musste. Auch, wenn das gar nicht mehr möglich war.
 

Mit zitternden Bewegungen strich er mit Fingerspitzen Kakashis Konturen nach, wanderte mit seinen Berührungen näher an die Wunden. Er wollte nicht, dass sein bester Freund hier auf dem verdreckten Boden lag. Zerstochen. ... Erstochen.
 

Er fuhr durch dessen Haare, den Hals hinab, den Nacken entlang zu einem der Messer, das tief in Kakashis Schulter steckte.
 

Überall floss Kakashis Blut. An dessen Körper entlang, unter dessen Körper... es war überall, nur nicht in Kakashi. Pulsirend und fließend in dessen Adern. Wo es sein sollte. Wo es rasend zirkulieren und kochen sollte, weil Kakashi ihn in Grund und Boden stampfen und anschreien sollte, wie er nur hätte so blöd sein können...
 

Weil Kakashi leben sollte.
 

Seine Hand legte sich vorsichtig um das Kunai, sein Griff verstärkte sich. Er schloss die Augen, holte tief Luft, hielt kurz inne, um nochmals Mut zu fassen.
 

Ein Schluchzen entrann seiner Kehle, seine Tränen fielen auf den Boden, vermischten sich mit Kakashis Blut.
 

Obito legte seine freie Hand an Kakashis Schulter, wollte einen Gegendruck erzeugen. Ein letztes Mal schloss er die Augen und riss ruckartig das Messer aus seinem Freund.
 


 

Erschrocken öffnete er die Augen, sah Kakashi an, wartete ab. Der Uchiha merkte nicht, dass er leise wimmerte. Dass sein ganzer Körper bebte. Aber hatte er sich getäuscht? War Kakashi nicht gerade deutlich zusammengezuckt? Hatte er sich das eingebildet? War es reines Wunschdenken, dass er an seiner Hand spürte, dass sein Freund noch lebte?
 

Geschockt sah Obito nun erst das schmerzverzerrte Gesicht des Hatake, wanderte mit seinem Blick zwischen Kakashi und dem Messer in seiner blutverschmierten Hand hin und her. Er lebte. Was hatte er gerade getan?
 

Augenblicklich ließ er die Waffe fallen, redete sich ein, dass er gerade nicht das Messer herausgezogen und somit gerade auch nicht die Blutung verstärkt hatte. Der Atem stockte ihm.
 


 

Scheiße.
 


 

Das war das erste, was Obito durch den Kopf schoss. Er sah die anderen unzähligen Messer an, die noch immer in Kakashis Fleisch steckten, alles zerschnitten hatten, mit was sie in Kontakt gekommen waren. Er wusste, dass er sie dort lassen musste, würde er nur noch mehr Wunden öffnen und noch mehr Blut seines Teampartners vergießen.
 

„Okay, Kakashi, ganz ruhig Ich bekomm' das schon hin, ich muss nur den Rest unseres Teams finden. Das wird schon...irgendwie.“
 

Kaum hatte er das ausgesprochen, wurde ihm auch schon bewusst, dass er das weniger zu Kakashi gesagt hatte, als zu sich, um sich selbst zu beruhigen. Um sich selbst Mut und Hoffnung zu schaffen. Er war zu nervös, um kurzfristig einen Plan zu erstellen, rational nachzudenken und reale Theorien durchzugehen und vielleicht zu verwirklichen.
 

Langsam und mit größter Vorsicht zog er Kakashi auf seinen Rücken, wollte er ihm nicht noch mehr Schmerzen bereiten, die Messer nicht noch mehr bewegen oder gar vertiefen.
 

Kaum hatte er das geschafft, raste er los. So schnell er konnte. Er rannte in die Richtung, aus der sie gekommen waren, hoffte er zumindest.
 

Obito konnte nicht aufhören zu weinen, schaffte es nicht, seine Tränen aufzuhalten. Aber das war jetzt egal.
 

Es war nichtig.
 

Genauso wie alles, was vorher geschah. Dass er mit Kakashi stritt. Dass er Kakashi Dinge gesagt hatte, die er besser verschwiegen hätte. Wie er sich gegenüber Kakashi verhielt. Wie sie miteinander umgingen. Dass alles seine Schuld war.
 

Es war im Moment nichtig, tat nichts zur Sache.
 

Das einzig Wichtige war Kakashi. Das einzige, was zählte, war, dass Kakashi Hatake lebte. Und am Leben blieb.
 

Hauptsache er lebte. Er durfte nicht sterben. Nicht jetzt.
 

Er musste sich beeilen. Er spürte, wie Kakashis Muskeln immer mehr erschlafften, er schwerfälliger wurde und die Lebenszeichen, die Obito wahrnahm, immer schwächer wurden. Sein Atem sich immer mehr verlangsamte und unregelmäßiger wurde.
 


 

>Beeil' dich, verdammt! Beeil' dich!<

Als er sich umsah und seine Umgebung begutachtete, stellte er mit Zufriedenheit fest, dass das Ergebnis durchaus erfolgreich war.

„Wie sieht's aus, geht’s euch gut?“

„Ja, Sensei!“ Rin zögerte kurz, sah in verschiedene Richtungen in den Wald hinein. „Aber... sollten wir nicht die anderen beiden suchen? Was ist, wenn irgendetwas passiert ist?“

„Sie hat Recht. Weder waren das hier die Einzigen, die uns nicht leiden können, noch haben wir irgendeine Art Rückmeldung. Und wir sind nicht mehr auf dem geplanten Weg. Glaub ich...“

Minato schmunzelte, blickte in die Tiefen des Waldes, „Ihr habt Recht, sie lassen sich wirklich ziemlich viel Zeit. Aber vielleicht streiten sie auch nur wieder...“

„Ähm...damit könnten Sie natürlich auch Recht haben.“ Verlegen, dass sie nicht selbst darauf kam, verstummte sie. Rin war schnell von Namikazes Einwand überzeugt, merkte Rin, wie wahr ihr Sensei mit dieser Annahme liegen könnte.

„Dennoch! Wir sollten sie suchen. Kakashi meinte nicht umsonst, dass Obito sich schnell verliefe und wenn die beiden nun auch noch getrennt wurden, dann suchen wir die Nadel im Heuhaufen. Zumindest kommt das Kakashis Aussagen ziemlich nahe.“

Rin sah ihren Altersgenossen verwundert an. Die junge Kunoichi konnte es nicht fassen – oder gar begreifen. Da unterhielt sich Kakashi den ganzen, lieben, langen, schönen Tag mit diesem irgendwie-Schwarzhaarigen und dann nur über...?! Damit hatte Kakashi seine Zeit totgeschlagen? Deswegen konnte sie nicht...!

„Ihr redet den ganzen Tag miteinander und unterhaltet euch allen Ernstes nur über Obito?!“

„Na ja, ab und zu kam das Thema schon auf, ja.“

Während die beiden Jugendlichen ohne weitere Worte für sich selbst entschieden hatten, die Diskussion beizulegen, fing Minato an, sich um die beiden abgehenden Schüler Sorgen zu machen.

Natürlich war es ihm aufgefallen, dass ihre Feinde keine Anfänger waren und für Schüler ein hartes Stück Arbeit, aber Kakashi hätte doch - vor allem zusammen mit Obito – damit fertig werden müssen. Sogar locker, sofern die beiden zusammenarbeiten würden.Irgendetwas stimmte da nicht, doch der Erwachsene wollte seine Sorge nicht an seine jugendlichen Begleiter durchdringen lassen.
 

Scheiße, Scheiße, Scheiße

Blitzschnell rannte er durch den Wald. Gehetzt, gejagt und gefoltert von Zeit. Immer gerade aus, sagte er sich. Doch wo genau das war, das wusste er schon lange nicht mehr.

Er wollte einfach nur jemanden finden, der ihm helfen konnte. Er musste jemanden finden, irgendjemanden.

> Ich muss mich beeilen! Ich muss Hilfe finden! Wenn ich versage...nein, das darf nicht passieren! Warum musste ich mich auch unbedingt verlaufen?<

„Ich elender Versager!“, je mehr er die Zähne zusammenbiss und seinen Kiefer anspannte, desto mehr spürte er das Schluchzen herauf kriechen, das in seiner Kehle saß. Er kniff die Augen zusammen, als wolle er die Realität nicht sehen, den Tatsachen nicht gegenüber treten. Aber das musste er, denn es gab keine Alternative und auch keine Fluchtmöglichkeit. Er wollte ebenso wenig seinen zurückgelegten Weg sehen. Jeder Schritt mehr, war ein weiterer Schritt ohne Hilfe, ein weiterer Schritt verschwendete Zeit. Ein weiterer Schritt ins Verderben. In Kakashis Grab.

> Scheiße! Ich muss mich beeilen!< Kurz warf er einen Blick auf Kakashi. Obito verzweifelte, spürte dessen ganzes Gewicht auf seinem Rücken gelagert. Das, und das Gewicht der Welt. Seiner geliebten, heilen Welt.

Was er sah, beängstigte und schockierte ihn bis ins Mark. Ließ die Angst und die Panik genüsslich und eiskalt seinen Rücken hinab perlen.

Überall breitete sich Kakashis Blut aus, sog alles in seinen Bann, was es umgab. Kakashis Sachen, seine Sachen – alles rot. Verfärbt mit der Substanz, die Leben bedeutete. Überall spürte Obito das warme Nass an sich kleben, als würde sich Kakashis Tod als zweite Haut an ihn schmiegen.

Er hatte bestimmt schon Spuren im Wald hinterlassen, sah nicht das gesamte Ausmaß des Blutverlustes. Konnte und wollte es sich nicht vorstellen.

Die Panik in ihm wuchs mehr und mehr, ergriff Besitz von ihm.

Was, wenn er es nicht schaffen würde Hilfe zu finden?

Was, wenn Kakashi starb?
 

Dann war das alles seine Schuld.
 

„Kommt mit! Wir gehen sie jetzt suchen.“

„Was ist los, stimmt etwas nicht?“ In der jungen Kunoichi kam plötzlich das Gefühl auf, dass etwas nicht stimmte. Der ernste Gesichtsausdruck ihres Sensei bestätigte ihre Unruhe nur, als sie zu beruhigen.

„Ich spüre ihre Chakren nicht, beeilt euch!“

„Wenn ich mich recht entsinne...“ Ren blieb stehen, stierte in eine Richtung.

„Ren?“

„...dann sind sie in die Richtung gerannt, in die wir so oder so müssen.“

„Gut, dann mal los!“ Das war der Startschuss, der Befehl los zu rennen und zu versuchen, den Rest der Truppe zu finden.

Es blieb ihnen nur die Hoffnung, dass alles in Ordnung war.
 


 

Er blieb stehen, merkte auf.

Wie angewurzelt wartete er, bewegte sich keinen Millimeter, schloss die Augen.

„Da!“ Er wandt seinen Kopf in die Richtung, von der er glaubte Geräusche, Stimmen vernommen zu haben.

Er hatte nicht die Zeit länger zu warten, um zu überprüfen, ob und was er gehört und gespürt hatte. Hatte er Glück, fand er Hilfe. Hatte er keines... er wusste es nicht. Er könnte eben so gut blindlings los sprinten und in die Arme seiner Feinde rennen. Sich wie ein hinkendes Lamm den Wölfen vorwerfen.

War es dann aus? Wahrscheinlich. Alles vorbei? Im Falle des Falles hoffte er das. Wer würde ihnen denn noch helfen können?
 

Und wenn er nur ins Nichts lief? Wenn außer Wald nichts mehr kam?

War es dann aus? War es dann vorbei? Alles?
 

Er wusste nicht einmal, ob der Hatake überhaupt noch lebte.

Und wieder musste er mit den Tränen kämpfen, die sich in seinen Augen sammelten und ihm die klare Sicht nahmen. Aber war sie vorher klar gewesen? Er wusste es nicht. Es kam ihm identisch vor. War sein Blick schon länger verschwommen, oder vielleicht einfach nur ausgebleicht und verworren? Oder hatte er seine Umgebung gar nicht wahrgenommen?

Nein, er durfte nicht wieder damit anfangen Tränen zu vergießen.

Das würde nichts ändern.
 

Seinen Weg bahnte er sich über die Bäume, Ast für Ast. Er war der Meinung, nein, er hoffte, dass er so schneller voran kam.

Dass er selbst verwundet war, merkte er schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Obito hatte vergessen, dass nicht nur Kakashi verwundet worden war und Blut verlor.
 

„Ich habe immer noch nicht den geringsten Hinweis entdeckt, der uns zeigt, wo die beiden sind. Aber egal wo, sie sind nicht in der Nähe.“

Minato würde sein Tempo erhöhen - was für ihn als Konohas Gelber Blitz kein Problem darstellte – aber er wusste nicht, ob noch weitere feindlich gesinnte Nins in der Nähe waren und konnte daher Rin und Ren nicht alleine oder weiter hinten zurücklassen. Und er wollte es auch nicht – den Fehler hatte er bei Kakashi und Obito schon gemacht, ein zweites Mal würde er sich das nicht erlauben.

„Sensei, ich kann nicht mehr.“ Rin, die immer langsamer wurde, keuchte mehr, als dass sie normal und ruhig zu Luft kam. Minato zögerte, haderte mit sich selbst. „Na schön, wir machen eine Pause.“. Die Wahl hatte er dem Anschein nach nicht.

„Danke...schön.“, sie schnappte so sehr nach Luft, dass nicht nur Ren befürchtete, sie würden nicht so schnell weiter kommen. „Es tut mir leid!", Rin stützte sich an den Knien ab, spürte die einzelnen Schweißperlen an ihrer Stirn.

„Wieso macht dir die Geschwindigkeit eigentlich nichts aus, Ren?“

„Bin in der Nin-Ja- Ausbildung...“ erwiderte der Junge nur beiläufig, beachtete Namikazes etwas genervtes, aber viel mehr bedröppeltes Gesicht nicht. „Das ist Rin auch.“

Minato erhielt darauf keine Antwort mehr, bedrücktes Schweigen brach aus, tat sich nun auch bei den Jüngeren begründete Sorge auf.

Wenn er wollte, dass sein Freund am Leben blieb, musste er sich beeilen. Doch Obito spürte mit jedem weiteren Schritt, dass ihm langsam die Kraft ausging, seine Energie bald verbraucht war. Was, wenn er das Tempo nicht beibehalten konnte? Oder sollte er sich eher fragen: Wie lange konnte er es noch halten?

Der Wald lichtete sich etwas, die Bäume gewannen einen größeren Abstand zu einander, das Gestrüpp hingegen wucherte über den ganzen Boden. Zu Obitos Nachteil. Er musste den Luftweg wohl oder übel aufgeben. Von Ast zu Ast konnte er sich nun nicht mehr seinen Weg bahnen – die abnehmende Walddichte machte es ihm unmöglich. Er musste sich von nun an am Boden fortbewegen, Wege finden, die ihn schnell gewähren ließen. Durch niedere Äste und das Gewächs, das immer dichter wurde, wurde seine Sicht zunehmend eingeschränkt. Grob peitsche das Grün seine Haut, als ob es ihn verhöhnen und strafen wollte. Was war er auch für ein Idiot!

>Scheiße, Scheiße, Scheiße!<

Er warf einen Blick über die Schulter und erschrak, als er Kakashi sah. Es brauchte keine medizinischen Fachkenntnisse, um zu sehen, dass Kakashi bald sterben würde, bekäme er nicht bald Hilfe.

Dann hätte er, Obito Uchiha, ihn sterben lassen.
 

Als er seinen Blick wieder nach vorne wandte und versuchte sich so zu bewegen, dass ihm und vor allem Kakashi keine ausufernden Zweige etwaiger Büsche das Gesicht zerkratzten, merkte er auf. Spielte sein Verstand ihm einen Streich, oder konnte er wirklich erahnen, dass sich der Wald zunehmend minderte und ihn etwas in der Ferne erkennen ließ? Ein Dorf. Oder irrte er sich? War es reines Wunschdenken, das ihn nun schon eine Illusion von Hilfe vorspielen wollte?

Je mehr er voran kam, jeden noch so kleinen Funken Energie aus sich herausholte, um das Tempo konstant zu halten, desto mehr konnte er erkennen, dass das keine Fata Morgana war. Es war Realität und seine Rettung.

War es das, seine Rettung? Oder würden sie ihn angreifen?

Würde er – nein - würde viel mehr Kakashi Hilfe bekommen? Konnten sie ihm überhaupt helfen, oder genauso wenig tun, wie Obito? Würden sie ihn sterben lassen müssen?

Würde Kakashi denn überhaupt noch am Leben sein, wenn er das Dorf erreicht hatte und Hilfe erwartete? Oder war allein Obito an seinem Tod schuld? Hatte er seinen Freund sterben lassen?

Würde Kakashi sauer auf ihn sein, wenn er das – und davon musste er ausgehen – überlebte? Würde er ihm die Schuld an allem geben? Nun, das war ihm gewiss.

Obito ging gedanklich zwei Möglichkeiten durch. Die eine war, dass Kakashi überlebte und sobald es ihm besser ginge der alte Hatake war und vergessen hatte, was Obito zu ihm gesagt hatte.

Die andere Möglichkeit war, dass Kakashi sterben würde und Obito nicht nur an dem Hass der anderen, sondern auch an Selbsthass sein Leben abtreten würde. Dass er für immer mit dem Gewissen leben musste, den Menschen, der ihm am meisten bedeutete, getötet zu haben.

Ersteres hörte sich eindeutig verlockender an, doch was, wenn Kakashi sich an alles erinnern konnte? Und damit an das Geständnis, die Schmerzen, den versuchten Mord und den beschwerlichen Weg ins Dorf?

Obito scholt sich selbst, mit diesen Gedanken aufzuhören, das Denken vorerst bleiben zu lassen und sich lieber zu beeilen. Er hielt sich mahnend vor, sich verdammt noch mal auf den Weg zu konzentrieren und sich nicht den Kopf über die Dinge zu zerbrechen, die ihm nur Kopfschmerzen bereiteten.Dinge, die er nicht ändern konnte und jetzt zweiten Ranges waren.
 

„Hier ist nichts. Keine Spur von den beiden.“

>Verdammt<, fluchte er gedanklich, gefiel ihm die Gesamtsituation mit jedem Moment weniger. Er hatte ein seltsames Gefühl bei der Sache. „Kakashi, Obito, wo zum Teufel seid ihr?!“ murmelte er vor sich hin. „Sensei, was machen wir jetzt?“, Rin sah Namikaze besorgt an, ließ sich neben Sorge ebenso ihre Angst anmerken. Angst um ihre Kameraden – auch sie wusste, dass es untypisch für Kakashi und Obito war einfach zu verschwinden und sich nicht mithilfe ihres Chakra bemerkbar zu machen.

„Ich weiß es nicht...“, die Stirn in Falten gelegt starrte er unschlüssig in die Umgebung.

„Und wenn wir uns aufmachen und in mein Heimatdorf gehen? Vielleicht sind sie dort, immerhin würde es Sinn machen wenigstens Zivilisation zu suchen, wenn man sich verlaufen hat – und das haben sie wahrscheinlich. Und selbst wenn nicht, dann könnten wir um Hilfe bei der Suche bitten.“
 

Und was ist mit ihren Chakren passiert? Minato focht mit sich selbst.
 

„Hoffen wir mal, dass sie sich nur Obitos Orientierungslosigkeit hingegeben haben. Aber der Vorschlag klingt vernünftig. Wie weit ist es von hier entfernt? Weißt du überhaupt, wie wir da genau hinkommen?“, Namikaze wäre nicht überrascht, wenn Ren es nicht wüsste. Sie waren vom Weg abgekommen, mitten im Wald und jeder Baum sah aus wie der daneben und daneben und...

Wider Erwarten legte sich ein Grinsen auf Rens Züge, er nickte und deutete in die Richtung, in die sie gehen mussten.
 

>Noch ein bisschen, gleich hab ich's geschafft! Nur noch ein Stück...<

Obito, der nur kurze Zeit später am Stadtrand ankam, sah sich völlig außer Atem um. Er war mit den Nerven, seiner Kondition und seiner Kraft am Ende, keuchte mehr, als zu atmen. Alle Straßen sahen gleich aus, die Mauern, die Pflasterung und die Personen… alles war ein großes Ganzes, dass ihn zu erschlagen drohte.

Er wusste nicht was er machen sollte, lief ahnungslos immer stur gerade aus durch die belebten Straßen des Dorfes, rempelte den ein oder anderen Passagier an, registrierte er bewusst weder deren Anwesenheit, noch die Blicke, die er auf sich zog.

Denn es war egal.

Es war alles egal, solange Kakashi nur am Leben blieb. Er durfte nicht sterben. Das durfte er einfach nicht.

Er war doch immer noch Kakashi, der einzige, den er so sehr mochte, sein bester Freund! ... Sein Kakashi.

Planlos und panisch rannte er quer durch die Straßen, hoffte irgendwo einen Deut auf ein Krankenhaus zu sehen, achtete nicht auf den Weg geradeaus vor sich.

Plötzlich spürte er einen Aufschlag auf etwas hartes. Obito war gegen etwas gerammt. Er fiel zurück, ließ im Fall den Hatake los und spürte, wie er selbst hart und vehement auf dem Boden aufschlug. Ohne auf etwas anderes zu achten, war sein einziger Gedanke Kakashi. Den Schock in den Gliedern sitzend wusste er, dass Kakashi genauso hart mit einer gleichen Wucht auf den Boden aufgeschlagen sein musste wie er.

„Nein!“

„Argh!“, Angerannter ‘Gegenstand’ stolperte nur ein paar Schritte zurück, stöhnte genervt auf. Dass diese scheiß Jugendlichen...

„Könnt ihr nicht aufpa-“ er stockte, erschrak als er sah, wie die beiden aussahen. Sie lagen vor ihm auf den Boden, beide blutdurchtränkt, noch immer blutend, mit Dreck verschmiert. Nur einer bewegte sich noch. „Um Gottes Willen! Was ist denn mit euch passiert?!“ Er ging sofort auf die beiden zu, kniete sich neben Kakashi auf den Boden.Sein Blick schweifte zwischen den beiden Jungen. Einer wirkte leblos, der andere hatte sich zitternd auf Knien zu ihm geschleppt.

Er konnte nicht fassen, was er sah, konnte es nicht begreifen, war er zu geschockt von dem, was sich gerade viel zu schnell abspielte. Perplex und für den Moment überfordert.

Obito konnte sich nicht länger zusammen reißen, konnte nicht mehr so tun, als wäre er stark. Tränenüberströmt saß Obito neben Kakashi. Kakashi, der gerade auch auf den harten Grund der Straße aufgekommen war. Kakashi, der keinen Laut mehr von sich gegeben hatte. Kakashi der sich keinen Millimeter mehr bewegte.

„Ich“, immer mehr Tränen bahnten sich ihren Weg über Obitos Gesicht, wieder und wieder entkam seiner Kehle ein Schluchzen, „Ich… ich brauche Hilfe!“

Schniefend und hilfesuchend sah er zu dem Fremden, der immer noch wie gebannt auf die Blutlache, die immer größer wurde, starrte.

„Helfen Sie mir jetzt, oder nicht?!“ Obito verfiel in Panik, schrie den jungen Mann an. Ein Jo-Nin, zumindest sah er nach Obitos Meinung aus wie einer.
 

Dieser zuckte erschrocken zusammen und schüttelte leicht den Kopf, als würde er seine Verwirrung vertreiben wollen. Der großgewachsene Mann wirkte mit einem Mal nicht mehr wie ein überforderter Passant. Er nahm einen ernsten Gesichtsausdruck an. Der Mann strahlte nicht nur Ernsthaftigkeit und Erfahrung aus, nein, er hatte auch eine Art Eleganz an sich. Fließende Bewegungen, präzise Handlungen.

Der Uchiha ließ ihn mit seinem Blick nicht los. Blass, groß, schlank, schwarze, etwas längere Haare und auffallende grüne Augen. Ein Kontrast stach den anderen. Und noch ziemlich jung.

Während sich Obito den jungen Mann genau ansah, fiel ihm zunächst nur unbewusst auf, dass sich genau dieser über Kakashi gebeugt hatte, in dessen Blut kniete. Vorsichtig griff dieser unter Kakashis Körper entlang, hob ihn leicht.

Leise, und auch wenn es kaum hörbar war, hatte Kakashi ein Lebenszeichen von sich gegeben. Er lebte. Noch lebte er. Obito spürte, wie ein Teil des Druckes von seiner Brust wich und ein Keim von Hoffnung in ihm erneut Platz fand. Auch wenn es nur ein Keuchen war, dass einzig und allein Kakashis Schmerz ausdrückte. Es war etwas, dass einen Menschen lebendig machte. Kakashis Leben ausdrückte.

„Los, steh auf! Wir müssen sofort ins Krankenhaus!“

Perplex und die volle Aufmerksamkeit noch immer auf seinen ‘Freund’ gerichtet, sah Obito zu, wie dieser Mann, wer auch immer er war, Kakashi hoch hob. Er versuchte der Aufforderung nachzukommen, zwang sich auf die Beine. Und noch bevor er sich wieder fassen konnte, rannte der Jo-Nin, wenn er denn einer war, los.

Er war um einiges schneller als der Uchiha, hatte dieser Schwierigkeiten nachzukommen. Aber nicht nur das, erst jetzt bemerkte er, was für eine gewaltige Menschenmenge sich um sie herum versammelt hatte. Sie anstarrte und ihm den Durchweg erschwerten.

Aber sollten sie starren, egal. Hauptsache Kakashi lebte.
 

„Wir haben's gleich geschafft, nur noch ein kleines Stück!“

Er hatte sich nach hinten zu Obito gewandt, lächelte ihn an und beschleunigte erneut sein Tempo. Dem Uchiha gelang es nur schwer dem jungen Mann zu folgen, konnte er die Geschwindigkeit nicht halten und fiel ein Stück zurück.

„Ich heiße nebenbei Shuichi, um dir nicht unbekannt zu bleiben.“, rief er nach hinten, wollte dem Jungen nicht völlig fremd bleiben und hoffte gleichzeitig, etwas über die beiden zu erfahren. Ein Name wäre schon ein Anfang, doch die Hoffnung war vergebens. Es machte nicht den Anschein, als wolle der gehetzte Junge etwas sagen. Shuichi war sich nicht einmal sicher, ob er ihm zugehört hatte, jedoch hatte er für einen kurzen Moment dessen Blick auf sich gezogen.

Beide wandten den Blick wieder gerade aus. Shuichi, der den Weg vorgab und Obito, der ihm folgte.

Obitos angestrengter Blick erhellte sich, als er das große Gebäude, welches das Krankenhaus darstellte, sah und beobachtete, wie Shuichi bereits dort angekommen und hineingegangen war.
 

Jetzt stand nicht mehr die Frage nach Hilfe im Vordergrund, sondern viel mehr, ob sie rechtzeitig kam oder es bereits zu spät war. Ob Kakashi noch lebte. Hatte Obito es sich eingebildet, dass Kakashi noch lebte und eigentlich war er schon tot? Würden sie im Krankenhaus nur noch den Todeszeitpunkt festlegen müssen und ein weißes Laken...

Obito schluckte. Er konnte und wollte einfach nicht weiterdenken, wollte diese Bilder nicht vor seinen Augen haben. Er musste einfach daran glauben, dass es gut ging. Dass alles wieder gut wurde, dass Kakashi das gut überstehen würde. Auch wenn es etwas länger dauern würde. Und, dass Sensei Minato kommen und ihnen helfen würde.

Es musste so sein, es durfte einfach nicht zu spät für den Hatake sein. Kakashi war doch sonst auch immer so stark … sonst...

Obito, der gerade am Krankenhaus ankam und in die Eingangshalle eintrat, sah Shuichi nur noch kurz von hinten, als dieser bereits um die nächste Ecke verschwand. Mit Kakashi. Er beobachtete, wie Kakashi vor seinen Augen verschwand.

Obito wusste nicht, ob er hinterher rennen und Shuichi folgen sollte - oder überhaupt durfte. Also entschied er sich letztendlich dafür einfach stehen zu bleiben.

Einfach stehen bleiben. Entschieden, an einem Ort zu stehen, der ein grässlicheres weiß nicht haben könnte, mit hellblauen Stühlen an der Wand, deren blau keinen Hauch von Lebendigkeit vermittelten.

Ein paar Meter vor ihm stand ein heller Tresen für den Empfang, der wie ein Angelpunkt wirkte, an dem man sich entscheiden konnte, ob man den rechten, oder den linken Gang nahm.

Auch wenn alles sehr gut ausgeschildert war, um sich nicht zu verlaufen – Obito konnte mit den Begriffen nichts anfangen, auch wenn er nicht zum ersten Mal in einem Krankenhaus war.

Er starrte die beiden Gänge an, überlegte, welchen Shuichi gewählt hatte, an welchen er Kakashi das letzte Mal gesehen hatte. Ob es wirklich das letzte Mal war?
 

Der Uchiha blinzelte einige Male, um wieder zurück in die Realität zu finden. Er glaubte es war der rechte Gang. Es war der rechte Gang den er anstarrte, fixierte, wie in der Hoffnung Kakashi würde jeden Moment hinter dieser Ecke auftauchen. Aber da war nichts. Es kam nichts. Stattdessen stand er hier in diesem Raum, in dem er sich nicht willkommen und mehr als unwohl fühlte. Die Sterilität und die Leere die sich hier verkörperten und brutal über einen herfielen drängten sich ihm auf. Erfüllten auch ihn mit Leere. Alles war erfüllt von Leere, Nichts. Es schnürte ihm die Luft ab. Dieses vorhandene Nichts - wie sollte er es definieren? - es ließ ihn nicht atmen, als würde es ihm den Sauerstoff verwehren, den er brauchte. Denn da war nichts. Auch kein Sauerstoff. Das pure Nichts. Und Kakashi?
 

Er rang nach Atem, als würde man ihm des Lebens berauben. Panik stieg in ihm auf, immer weniger des lebenswichtigen Gases gelang in seine Lungen, schnürte ihm die Kehle immer weiter zu. War es aus Angst oder Verzweiflung? Was auch immer es war, das er fürchtete und ihm Panik machte, es ließ nicht locker, zog immer fester, nahm Obito alle Kraft sich dagegen zu wehren. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und er wusste auf einmal, dass es die Angst war zu versagen, das Wissen, schon versagt zu haben. Er wollte Kakashi retten, nur einmal. Und wieder war es genau der entgegengesetzte Fall gewesen. Er hatte alles nur schlimmer gemacht. Und nun? Er hatte doch nur Angst um seinen Freund...

War es zu spät? War er zu langsam gewesen? War es bereits vorbei? Endgültig?

Seine Hand legte sich leicht um seinen Hals, als ob es ihm das Atmen erleichtern würde. Aber es wirkte nicht, immer weniger Luft drang in seinen Körper, immer mehr breitete sich die Taubheit in ihm aus. Würde Kakashi sterben?

Das durfte nicht passieren. Es durfte einfach nicht passieren! Aber egal wie sehr er sich dagegen wehrte, er durfte sich einfach keine Hoffnungen machen. Es war verkehrt. Nicht richtig. Der Schmerz wäre umso größer, seine Schuld nicht gemindert. Wenn er nun an den Hatake dachte, wie er vor ihm stand, ihn neckte... lebte. Er wollte sich Hoffnungen machen, nichts mehr als das. Doch irgendwie...

Seine Gedanken kreisten wie Aasgeier um einen Kadaver nur um das eine Thema: Kakashi durfte nicht sterben!
 

„Hey!“

Unweigerlich zuckte er zusammen, starrte wie ein erschrockenes und gehetztes Tier in die Richtung, von der aus die Stimme kam. Von der aus jemand gerade seine Schulter sanft berührt hatte. Nach ein paar Augenblicken konnte er erkennen, wer vor ihm stand.

Und dennoch klammerte sich an seiner freien Seite immer noch diese Panik fest, und dennoch kroch von unten immer noch diese Taubheit in ihm hoch. Und dennoch zog von hinten die Schnur der Angst seinen Hals zu, die ihn den Sauerstoff nahm.

„Du...du bist hier. A-aber dann....“ Und wieder wurde er von allen anderen Seiten stärker gepackt, als von dem, der ihn ansprach. „Shuichi.“

„Ja. Kommst du?“

Kommen? Was meinte er? Wohin?

Shuichi sah nicht danach aus, als hätte er gute Nachrichten. Wollte er ihn nun zu seinem toten Freund bringen, ihm zeigen, was er angerichtet hatte?

Der Ältere schien zu merken, dass Obito völlig überrumpelt und neben der Spur stand und half ihm etwas auf die Sprünge.

„Macht dir die Wunde an deinem Bein keine Probleme? Hast du etwa keine Schmerzen? Komm, ich versorg' das schnell, wenn du schon mal hier bist.“

„Oh...ach so.“ Es war nur ein leises Nuscheln, kaum hörbar, doch Shuichi hatte es verstanden. Hatte wahrscheinlich bereits mehr als nur das verstanden. Er verstärkte den Druck seiner Hand etwas, führte Obito in ein Behandlungszimmer.
 

„Ren?“ Angesprochener verstand Minatos auffordernden Blick, beantwortete nach kurzem Überlegen die Frage. „Noch ungefähr eine Stunde, schätze ich. Obwohl...“ er machte eine Pause, als ob er gedanklich den ganzen Weg bis zum Dorf zurücklegen würde, um zu wissen, wie lange sie noch unterwegs wären. „Es könnte doch noch etwas länger dauern.“ Um seine Aussage etwas zu unterstreichen, sah er verstohlen zu Rin, so dass Minato es mitbekam.

Namikaze seufzte resigniert, blieb ihm nichts anderes als es so hinzunehmen, wie es gekommen war.

„Sag mal, mir ist aufgefallen, dass dein Kraft- und Wissensstand dem eines Gen-Nins locker übersteigen. Hattest du keine Lust zu weiteren Prüfungen anzutreten, oder woran liegt das?“. Minato Namikaze hatte mit dieser Frage einen wunden Punkt getroffen, zumindest kam es ihm so vor. Rens Gesichtsausdruck bekam eine Härte, die er bei einem Jungen dieses Alters noch nicht gesehen hatte. Außer bei Kakashi, aber dessen Gründe kannte er. Er zweifelte, ob er hätte nicht fragen sollen, aber er wie hätte er eine solche Reaktion ahnen können und jetzt war es ohnehin bereits ausgesprochen und damit zu spät.

„Nein. Nein, das ist es nicht. Meine Familie“, er stockte, überlegte nach den passenden Ausdrücken, „...nein, eher mein Vater, legt einen besonderen Wert auf eine strenge Ausbildung und setzt...hm, wie soll ich sagen? Er hat hohe Erwartungen, die besser erfüllt werden sollten.“ Wieder eine Pause. Ren holte tief Luft, atmete erschöpft wieder aus. „Mein Vater ist im Dorf hoch angesehen und ziemlich beliebt. Er hat als Ninja eine etwas gehobene Stellung und als ob das nicht genug wäre, kann er auch noch mit vielerlei Wissen punkten. Dann hat er noch eine medizinische Ausbildung und... Und das macht eigentlich das Sahnehäubchen aus. Er erwartet von seinen Kindern natürlich das Gleiche. Was es natürlich nicht leichter macht. Mein Bruder ist tot und meine Mutter, die sich sehr bemüht und unglaublich lieb ist, ist in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend.“

Minato verstand, hörte auch die Wahrheit zwischen den Zeilen und das, was Ren ihm mitteilen mochte, ohne es jemals angesprochen zu haben. Und er verstand, warum sich Kakashi und er so gut verstanden hatten, warum sich der Hatake ihm zugewandt und ihn nicht wie Obito aufgezogen hatte. Ein ähnliches Schicksal, das gleiche Leid. Auf beiden lagerte sich der Druck der anderen und ihrer Vergangenheit ab, der Tod war ihnen auch nur zu gut bekannt.

Er sah Ren nicht an, nur stur gerade aus, ließ eine kurze Stille zu.

„Verstehe.“ Leise und mit tiefer Stimme. Ohne den gewöhnlichen Frohsinn gab er Ren eine Antwort, unterstrich damit, dass er es ernst meinte. Dass er es wirklich verstand. Auch wenn dies nicht bedeutete, dass er es nachempfinden konnte. Denn das konnte er nicht. Das hätte er nicht können – er hatte als Kind und Jugendlicher genug Zeit, bevor ervmit dem Grauen der Welt und der Kriege Bekanntschaft gemacht hatte. Und er war froh darüber.
 

„Du machst dir ganz schön Sorgen, nicht wahr?“ Er bedachte Obito mit einem Blick, dessen Ausdruck ungezügeltes Verständnis widerspiegelte, dem Jungen zeigte, jemanden zu haben, dem er vertrauen konnte. Weil er nur zu gut verstanden wurde. Zumindest kam es Obito so vor, als er den Blick erwiderte und als Antwort ein schwaches Nicken gab.

„Willst du vielleicht etwas anderes anziehen? Ich kann ein paar Sachen holen.“ Der Uchiha wusste nicht, was Shuichi sich dabei dachte, aber er würde sich ganz sicher nicht mit Krankenhausklamotten in Schale werfen. Und auch nicht mit diesen Patientenhemden. So viel stand für ihn fest. Als ob Shuichi es geahnt hätte, fügte er seiner Frage noch eine kleine Erklärung an, wollte Obito nicht in seinem Irrglauben schmoren lassen. Immerhin war es nicht nötig, dass er – auch wenn er auf einer Liege verletzt in einem Behandlungszimmer saß – wie eine entflohene Leiche aus der Pathologie aussah.

„Ich hätte ein paar Sachen von meinem kleinen Bruder hier. Die könnten passen und sind vor allem sauber ...und ohne Blut.“ Er musterte Obito von oben bis unten, sah ihn abwartend an. Doch er konnte nur wieder diese Abwesenheit in dessen Miene erkennen, eine Gleichgültigkeit für alles andere ausstrahlend. Nur dessen Freund zählte im Moment. Nicht er, nicht seine Wunde, nicht die Tatsache, dass ihm jemand helfen wollte, nicht, dass er das nicht allein durchstehen musste.
 

„Achtung, ich werd' jetzt anfangen, also nicht erschrecken wenn's mal ziept, brennt oder sticht.“ Und wieder bedachte er Obito mit einem sanften Lächeln, das für den Augenblick, für den es gedacht war, eine Zuversicht und Wärme ausdrückte, die Obito bis jetzt noch nie in einem Krankenhaus, nein, an einem Arzt, erlebt hatte.

Obito wunderte sich, dass dieser Kerl noch keinen Ring am Finger trug, oder … er stockte. „Warte mal...“

„Hm? Was denn?“ Shuichi blickte ihn fragend an, wartete ab.

„Du...bist Arzt?“ Obitos Gedanken schienen sich in einer Art Starre zu befinden, die sich nur ab und zu kurz löste, oder sich zumindest sehr viel Zeit beim Auftauen nahm.

Shuichis Blick wandelte sich ins Verdutzte, hatte er damit nicht gerechnet, daran nicht gedacht. Für ihn war es selbstverständlich, aber Obito hatte recht, er hätte sich vorstellen müssen. Aber es müsste doch auf der Hand liegen, dass er hier irgendwie arbeiten musste, oder ähnliches. Er hatte immerhin mit besten Absichten Nadel und Faden in der Hand, bereit loszulegen.

Er lachte leise, setzte mit einer Erklärung an.

„Na ja, mehr oder weniger. Ich bin noch nicht ganz mit dem Abschluss fertig, also Arzt bin ich noch keiner. Aber ich denke, dass ich das hier“, er deutete mit seinem Blick auf Obitos Bein, „schon hinbekomme. Keine Sorge.“

„Ich hoffe...“, allmählich wurden seine Gedankengänge etwas klarer, fingen an sich zu sortieren. Und seine Reaktionen wurden langsam aber sicher, ohne etwas zu überstürzen, schneller.

Für sich selbst kurz zusammengefasst, war anscheinend das die Lage der Tatsachen: Er rannte in den Kerl rein, nein, er hatte ihn über den Haufen gerannt, und dann ist genau dieser Typ mit ihm und...

„Was ist mit Kakashi?“ Es platzte aus ihm heraus, erschrocken darüber, dass er es vernachlässigt, für einen kurzen Moment nicht im Sinn, hatte. Es war doch nur ein kurzer Moment, nicht wahr? Oder war es bereits schon länger her? Wie lange war er schon hier? Wie lange hatten sie Kakashi schon bei sich?

Nervosität breitete sich in ihm aus, Panik klopfte ihm wieder auf die Schulter und sagte lässig 'Hallo', während Obitos Gegenüber nur von der plötzlichen Frage zurückschreckte und ihn überrascht ansah. Doch es dauerte nicht lange, da hatte sich Shuichis Gesichtsausdruck wieder normalisiert und er strahlte wieder eine Ruhe aus, die nicht den Anschein erweckte gestört werden zu können.

„Lebt er? Wie geht’s ihm? Wird er behandelt? Wo ist er? Oder... ist er schon tot?“ Je länger er redete und je mehr Fragen aus ihm heraussprudelten, desto unsicherer wurde Obito. Desto mehr machte er sich der Gesamtsituation wieder bewusst.

„Kakashi ist dein Freund, oder? Der...“

„Ja.“ Obitos Antwort kam schnell, er zögerte nicht. Jedoch wurde er wieder leiser, zurückhaltender, in sich gekehrt und betrübt. Betrübt von Zweifeln, Panik, Angst, Unwissenheit, Reue und Schuld.

„Nun, die Sache ist die...“

„Gleich!“
 

Der blonde Erwachsene, angewiesen auf einen Halbwüchsigen, nickte nur kurz zur Bestätigung. Ihn beschäftigte im Augenblick seine Schülerin mehr, die immer weiter zurück blieb.
 

Ren hingegen störte es nur geringfügig, nahm es nicht einmal ganz wahr. Er hatte andere Sorgen, die ihr Spiel mit ihm trieben. Aber nicht nur mit Ren, auch mit Minato, was diesem durchaus bewusst war. Ein Spiel, das er nicht gewinnen konnte, bei dem eine Pause nicht möglich war und einfach aussteigen ging auch nicht. Wie sehr er sich auch ein Ausscheiden, eine Disqualifikation wünschte...
 

Nein, er konnte einfach keine Rücksicht auf Rin nehmen, waren Kakashi und Obito viel wichtiger. Er würde sie finden, das musste er. Das war er ihnen schuldig, oder nicht? Abgesehen von allem was passiert war. Davon, dass er ihr Sensei war. Davon, dass er die Mission annahm. Davon, dass er die beiden alleine los schickte, um Feinde... Er würde sie finden, egal, was der Preis war – nichts konnte den Wert deren Leben übertreffen, keine Mission konnte einen solchen Verlust rechtfertigen. Ob tot oder lebendig wollte er nicht in seine Gedankenwelt einziehen lassen, würde er einen solchen Alptraum als mögliche Ausgangssituation gar nicht erst in Betracht ziehen.
 

Nein, diese Option wäre auf alle Fälle übertrieben, und überhaupt: Was sollte er denn dem Hokage erzählen? 'Tut mir leid, ich hab sie nicht gefunden, sie werden wohl tot in irgendeinem Graben liegen'?
 

Nein, das würde er nicht und das musste er auch nicht, ein solcher Fall würde nie eintreffen. Das wusste er, denn er gab nicht auf, das war nicht sein Stil und schon gar nicht mit seinem Gewissen vereinbar. Er hing an seinem Team, auch wenn es der größte Verwüstungstrupp aller Zeiten war. Auch, wenn ihre Zusammenstellung seltsam war. Und auch, wenn man ihn vor Kakashis Verhalten gewarnt hatte – Es war sein Team und ein jeder erkannte und anerkannte sie im Dorf.

Es ging durchaus ab und an das ein oder andere kaput, aber so etwas passierte nun einmal bei der Shinobi-Ausbildung. Nun gut, nein, das war nicht richtig. Kakashi verarbeitete gern mal etwas zu Schrott (von Minato liebevoll 'moderner Aggressionsabbau' genannt). Und ja, Rin hatte mal ihre schlechten Tage und zeigte sich von ihrer besonders weiblichen Seite so sehr, dass die männliche Fraktion einfach auf Durchzug schaltete. Aber wen interessierte es schon, wenn das Hokagegebäude an der ein oder anderen Stelle ein bisschen geflickt und an dem ein oder anderen Ende neu aufgebaut werden musste? Vielleicht die armen Kollegen, die es richten mussten und eventuell noch den Hokage, aber ansonsten...

Ja, auch Obito hatte seine Macken und das mit der Chakrakontrolle war auch noch.... verbesserungswürdig. Genauso wie dessen Ausrede, ihm läge die Umgebung nicht, es gäbe schönere Möglichkeiten der Landschaftsgestaltung. Es war alles etwas... etwas...veraltet.
 

Aber egal was passierte, es war sein unverwechselbares Team.
 

Früher wäre er nicht auf die Idee gekommen, dass seine zwei Streithähne ihn einmal auf diese Weise die Nerven rauben würden. Aber die beiden hatten schon immer alles möglich gemacht, was er für unmöglich hielt. Hatten ihn in dieser Angelegenheit immer eines Besseren belehrt. Auf den Kopf stehende Landschaften, als Hauptopfer waren Bäume zu verzeichnen, ein entnervter Hokage, 'grundlose' Angst der Dorfbewohner vor ihm selbst und, und, und...
 

Und jetzt sollten die beiden ungefragt und ohne Vorwarnung das Spielfeld verlassen? Jetzt, nachdem sie sich ihren unverwechselbaren Ruf erarbeitet und Gefallen an diesem gefunden hatten? Jetzt?!

Nein, das war mehr als nur ein schlechter Scherz. Das konnte er als ihr Lehrer und Vorgesetzter nicht zulassen.
 

„Sensei! Ich kann nicht mehr. Es tut mir leid!“ Rins Ruf, er kam Minato weiter entfernt vor, als er seine Schülerin vermutet hatte, holte ihn zurück in die Realität, ließ ihn aufhorchen und auch automatisch langsamer werden. Auch Ren bremste ab, wandte sich Rin zu. „Es ist nicht mehr weit!“.

„Ich kann deswegen trotzdem nicht mehr.“ Minato, der wusste, dass Rin behutsam behandelt werden sollte wenn sie den Satz sie könne nicht mehr verlauten ließ. Er kannte Rin, sie sagte so etwas nicht leichtfertig und nicht ohne dreimal darüber nachgedacht zu haben. Erst recht nicht jetzt, wenn sie sich in einer solchen Situation befanden. Er hoffte inständig, dass Ren nichts Falsches sagte – oder am besten gar nichts.

„Frauen...“ Und aus war es mit der Hoffnung. Ren, nichtsahnend von dem Übel, welches er gerade heraufbeschworen hatte, lief ruhig weiter. Immerhin hatten sie es eilig. Minato hingegen hielt sein etwas gezügeltes Tempo bei, sah skeptisch zu Rin, die wieder an Schnelligkeit gewann. Vielleicht hatte es doch etwas Gutes, dass Ren sich mit Kommentaren und Beleidigungen nicht zurückhielt.

Namikaze stockte kurz, ging nochmals seine letzten Gedankengänge durch, erschrak. Nein. Nein! Es hatte in gar keinem Fall der verschiedensten Szenarien etwas Gutes, wenn Rin jetzt die Fassung verlor. „Rin, reiß dich zusammen.“
 

Nun war es an Ren, der überrascht war und sich wunderte, wie mahnend Namikaze sich plötzlich anhörte. Er wusste nicht, ob er es sich einbildete, aber es kam ihm so vor, als ob der Erwachsene nun wieder einen Gang schneller wurde. Der Junge quittierte dies nur mit einem gleichgültigen Schulterzucken und beschleunigte selbst, war es doch seine Aufgabe ihnen den Weg zu zeigen. Und diese Aufgabe nahm er Ernst, immerhin ging es um das Leben zweier Begleiter.

„Dort vorne!“, Ren nickte kurz in die angesagte Richtung, in der sich der Wald langsam lichtete und das Dorf zum Vorschein kam.
 


 

„Und wohin jetzt?“
 

„Ich würde sagen, wir fragen gleich bei einer ANBU-Einheit an, vielleicht wissen die was, oder können etwas herausfinden“. Minato sah Ren einfach nur noch ungläubig an, was redete er den da? Wo wollte er so ganz einfach, mir nichts dir nichts, hinwandern? „Bei den ANBU?!“

Der Junge verstand nicht ganz, worauf sein Gesprächspartner hinaus wollte, aber dann fing es doch an zu dämmern. „Achso“, er grinste, „Die kennen mich schon, keine Sorge. Wir müssen nicht erst im Dreieck rennen, die machen das auch ohne Befehl von Oben. Und immerhin wurden wir angegriffen – Informationen verteilen sich effizienter, wenn man in die höheren Ebenen zuerst einweiht.“
 

Rin, die sich nicht am Gespräch beteiligte und es auch nicht für nötig hielt, sah Ren einfach weiter böse an, begann damit sich vorzustellen, wie schön es ohne ihm und dieser Mission in Konoha wäre. Mit Kakashi. Und auch mit Obito.

„Wir könnten aber auch...“, Ren zögerte kurz und überdachte seinen Einfall nochmals schnell, „...erst ins Krankenhaus gehen.“

„Gehst du etwa vom Schlimmsten aus?!“ Nun mischte sich Rin doch ein, zischte ihren Gegenüber aggressiv an. Wie konnte er nur denken, dass ihren beiden Kollegen etwas derart schlimmes passiert sein konnte, sodass diese gleich ins Krankenhaus mussten? Dass Kakashi etwas derartiges passiert sein konnte?! Das war einfach nur absurd.

„Nein, nein!“ Er lachte beschwichtigend, hob abwehrend die Hände. „Mein Bruder arbeitet dort.“

„Ich dachte, der ist tot?“ Die Verwirrung der Kunoichi war ihr leicht anzusehen, zweifelte sie dadurch nur noch mehr an Ren. „Nur, weil ich sagte, dass mein Bruder gestorben ist, heißt das ja nicht automatisch, dass ich keinen anderen mehr habe.“

Lächelnd und mit einem abwesenden Ausdruck in den Augen sah er dir belebte Straße entlang, gedanklich um seinen bereits verstorbenen Bruder trauernd, sprach langsam weiter. „Mein Bruder ist... ein Genie.“ Er zögerte bei letzterem und man konnte deutlich erkennen, dass bei diesem Satz einiges unausgesprochen blieb. Die Traurigkeit in Rens Augen war ein Teil davon.
 


 

„Nun ja, die Sache ist folgende“, Shuichi machte eine kleine Pause, überlegte wie er weitermachen sollte. Obito war jetzt schon fertig mit den Nerven, nicht fähig noch klar und rational zu denken, starrte nur noch apathisch gerade aus.
 

Die Sachen, die Shuichi in der Hand hielt, legte er beiseite und rückte etwas weiter von dem Jüngeren weg. Er verschränkte die Arme und lehnte sich bedacht zurück. Shuichi wog gedanklich eine Möglichkeit nach der anderen mit der davor und der wiederum vorhergehenden ab. Möglichkeiten, wie er es dem Jungen am besten erklären könnte.

Nach ein paar Sekunden seufzte er, sprach leise und mitfühlend weiter.
 

„Du hast doch bestimmt gemerkt...nein, du weißt, dass es Kakashi mehr als einfach nur noch schlecht ging, als wir hier ankamen.“

Obitos Atem setzte aus, als Shuichis erste Worte ihn wie einen Schlag in den Magen trafen. Seine Augen waren geweitet vor Schock, das Zittern breitete sich über seinen ganzen Körper aus und saß bereits tief in seinen Gliedern.

Da war wieder diese Panik. Die, die ihn nicht atmen ließ, die ihn dazu brachte nach Luft zu schnappen und panisch ein und aus zu atmen. Als würde er jeden Moment ersticken. Eine dünne Schicht von Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn, seine Hände krallten sich Halt suchend in die Laken.
 

Shuichis Lippen öffneten sich leicht, formten weitere Worte, die er nicht aussprach. Er machte eine Pause, sah Obito skeptisch an.

"Brauchst du vielleicht einen Moment, oder kann ich fortfahren?"

Der besorgte Blick Shuichis entging Obito keinesfalls, doch er schaffte es nicht seine Atmung wieder zu regulieren, in den Griff zu bekommen. Ganz gleich wie sehr er sich auch bemühte.

Was, wenn er ihm jetzt sagte, dass sein bester Freund tot war? Was sollte er dann machen?

Gedanklich lachte er sich für einen kleinen Moment aus. Ja, was sollte er tun? 'Scheiße' schreien und raus rennen? Dramatisch in Tränen ausbrechen und daran ersticken? Tot umfallen? Gott anflehen, er solle ihm seinen Freund wiedergeben?

Er konnte rein gar nichts tun.

Erschöpft und zitternd nickte er kurz, gab ein leises 'Ok' von sich.

"Als wir hier ankamen habe ich Kakashi sofort anderen, erfahrenen Ärzten übergeben",

Obito schluckte hart, versuchte die Angst herunterzuschlucken, die mehr und mehr in ihm hochkroch. Seine Brust fühlte sich zum Zerreißen an, sein Atem stockte.

"Und sie haben sich seiner sofort angenommen."

Wieder eine kurze Pause, unangenehme Stille breitete sich aus. Obitos erschöpfter Blick weilte auf dem jungen Mann, die Hoffnung in den sonst so frohen Iriden verblich.

"Weiter?", keuchte Obito atemlos. Er ertrug dieses Schweigen und die Unwissenheit nicht, fühlte sich gnadenlos zu Boden gestreckt.

"Es war nicht all zu schwer für sie, seinen akuten Zustand einzustufen. Seine Verfassung ist gravierend und seine Verletzungen folgenschwer.", Shuichis Stimme wirkte schwer. Obito schien es, dass jedes weitere Wort, dass so leise und ruhig ausgesprochen wurde, ihn mehr und mehr niederdrückten. Aber... warum sprach er denn nicht weiter? Warum sah er ihn so bemitleidend an?
 

Die Augen des Uchihas weiteten sich vor Schock – oder war es Erkenntnis? -, das Zittern verstärkte sich. War Kakashi tot? War er tot, weil die Ärzte in diesem Krankenhaus zu faul waren, ihn zu behandeln? Weil sie unfähig waren? Weil sie sahen, was sie sehen wollten? Dass es keine Hoffnung gab? Wollten sie das sehen? Wollte Shuichi ihm das sagen? Wenn nicht, was dann? Warum zum Teufel blieb er denn so ruhig?

"Dennoch...Sie versuchen gerade alles in ihrer Macht stehende, um sein Leben zu retten."

Wieder diese Stille, die Obitos Angst nur ins unermessliche trieb und obwohl er gerade hörte, dass Kakashi noch am Leben war, konnte er sich nicht entspannen, nicht atmen, nicht aufhören zu zittern, nicht die Augen schließen. Denn da war noch immer diese Stille. Und sie wartete darauf, gefüllt zu werden.
 

"Es sieht schlecht aus." Und genau das war der Satz, auf den der Jüngere in seinem Unterbewusstsein gewartet hatte. Genau das war der Satz, der ihm alle Hoffnungen nahm. Der etwas in ihm auslöschte. Er wusste, dass dies bedeutete, dass sein maskierter Freund schon zu neunundneunzig Prozent tot war.

Er war nicht stolz darauf, so etwas bereits anzunehmen, schon lange geahnt zu haben, doch er hatte es nicht vermeiden können. Als er in diesem Ort ankam wusste er genau, wäre Kakashi nicht schon tot gewesen, wäre dies die Alternativoption gewesen. Es sieht schlecht aus.

Es war eine Ahnung, ein unterbewusstes Wissen. Und jetzt war es ausgesprochen. Konnte nicht zurückgenommen werden und die Zeit war nicht rückgängig zu machen. Es war zu spät. Es war Fakt. Es war die Realität.
 


 

Geringe Chance auf Leben.
 

"Wie...wie...g-geht es....jetzt weiter?"

Es war nur ein schwaches Wispern, doch mehr ließ sein momentaner Zustand nicht zu. Er hatte seinen Freund so gut wie umgebracht, oder auch umbringen lassen - und es war nur noch eine Frage der Zeit.

"Er ist noch im OP, mehr kann ich dir leider nicht sagen. Mehr weiß ich selbst nicht."

Nein, die Tatsache, dass sein bester Freund immer noch drauf und dran war zerstückelt zu werden, genügte ihm voll und ganz. Er wusste, dass Kakashi nahezu tot war. Er wusste, dass es seine Schuld war und er wusste jetzt, dass Ärzte gerade in ihm herumwühlten, Stiche setzten und noch mehr Schnitte zogen, als die Messer es schon getan hatten. Sein Blut an ihren Händen.
 

"Soll ich dir jetzt die Sachen holen?", behutsam fragte Shuichi nach, erhielt erneut keine Antwort. Schweigen. Obito nahm Shuichi war, aber er füllte sich aus der Realität gerissen. Aus seiner Realität gerissen. Wie konnte das alles passieren? Er hörte den jungen Mann klar und deutlich und dennoch.... und dennoch litt er unter dieser unerträglichen Stille, die es einem unmöglich machte zu Atmen, zu Denken, als Mensch zu funktionieren. Beide merkten auf, als es an der Tür klopfte. Als hätte man den ersten Stein einer Dominoreihe zum Umfallen gebracht, spürte der Uchiha, dass erneut Bewegung in die Situation kam. In die Realität, die nicht seine war. Denn die seine stand still.

Shuichi hielt es nicht für nötig sich zu bewegen, sah nur aus den Augenwinkeln nach hinten zur Tür. In dieser stand eine junge, braunhaarige Krankenschwester. Mit einem Klemmbrett bewaffnet sah sie verlegen zu dem angehenden Arzt, sprach sich innerlich Mut zu, um ihn anzusprechen. Dass dies rein beruflich war linderte ihre Aufregung offensichtlich nicht, stotterte sie nur unsicher ihr Anliegen aus.

"H-hier i-is-ist ein...ein...Anmeldeformular..."

"Für was?" Als Antwort warf sie schnell einen kurzen Blick auf Obito.

"Ich habe nicht vor ihn hier anzuketten..."

"Vorschrift, sonst ...k-können wir ihn nicht behandeln..."

Forsch riss er ihr das Brett aus der Hand und sah sie wütend an, hatte nicht vor, ein Wort dazu zu verlieren. Obito verstand mittlerweile nichts mehr von dem, was um ihn herum geschah, aber da war die Frau auch schon weg. Und sie wieder allein.
 

"Unfassbar! Man braucht für absolut alles Regelungen und Vorschriften, um jemanden zu helfen." brummelte er noch vor sich hin, bevor er anfing die Fragen zu beantworten, die Obitos Daten nicht betrafen und er ohne weitere Hilfe ausfüllen konnte.

Bei Shuichis letzten Satz kam der Uchiha ins Grübeln. Die ganze Zeit hatte er sich gefragt, warum Kakashi ihn geholfen hatte, warum er ihn gerettet hatte.

Mehrere Theorien überschlugen sich schon eine ganze Weile in seinem Hirn, aber nicht, dass Kakashi es einfach nur so getan hatte...?

Er seufzte ergeben und entschied sich dafür, die Sache mit dem Denken fürs Erste sein zu lassen - es änderte ohnehin nichts an der Situation.

Sein Gegenüber sah auf, kaute eifrig das Ende seines Stiftes und wirkte genervt.

Der Uchiha wunderte sich etwas, da er so erwartungsvoll angesehen wurde, erwiderte Shuichis Blick, welcher sich bereits in ein Starren verwandelt hatte, fragend.

"Ich hab hier ein paar Fragen."

"Hm?"

„Du könntest gefährlich sein. Dieses Dorf und jede einzelne seiner Einrichtungen sieht in alles und jedem immer nur einen Feind.“ Obito schwieg. Was sollte er denn sagen? Dass er keiner war, aber sich nicht sicher war, nicht doch noch ein paar versehentlich mitgebracht zu haben? Dass er sie im Wald unabsichtlich aufgesammelt hatte?

"Also...fangen wir leicht an: Name?"

"Obito"

"Nachname?"

"Uchiha."

„Dorf?“

„Konoha.“

"Das ist doch sinnlos."

"Wie du meinst."

"Na, du kannst ja wieder reden."

"Stört's dich?"

"Nein. Also weiter. Gesundheitliche Beeinträchtigungen?"

Der Uchia schwieg, dieses Mal jedoch, um Shuichi auf sich und dessen Frage aufmerksam zu machen. Ungläubig und demonstrativ wechselte sein Blick zwischen seinem Bein und Shuichi. Ertappt, jedoch noch lange nicht am Ende seiner Geduld, musste er sich der Erwachsene eingestehen, dass seine Fragen detaillierter werden sollten.

"Körperliche oder geistige?" Obito hob eine Augenbraue, waren seine Nerven von der Gesamtsituation durchaus überreizt und er von solch simplen Fragen genervt – dennoch wollte er Shuichi antworten. Es lenkte ab. Es war anders. Er konnte sich verstecken.

"Weiß ich nicht. Irgendwelche halt, such's dir aus."

"Ist das eigentlich notwendig?"

" Also für mich ganz bestimmt nicht." Eins musste Obito Shuichi schon lassen: einen derart seltsamen Arzt war er auch noch nicht über den Weg gelaufen. Und aufgrund seines ganz besonderen, sagenhaften Talents sich zu verletzen, er kannte bereits viele.
 

Er war allein.

Alles was er hörte war das Ticken der Uhr, Sekunde für Sekunde. Es wurde immer lauter, entwickelte sich zu tausend kleinen Anschlägen im Sekundentakt. Es wurde unerträglich. Wieder und wieder eine Sekunde mehr, in der er nicht wusste, ob sein Freund lebte. Eine Sekunde mehr, in der er nicht wusste, was er machen sollte. Eine Sekunde, die über Leben und Tod entscheiden könnte.

Alles an diesem Raum machte ihn nervös. Der Geruch, die Uhr, die Farbe, die Einsamkeit.

Shuichi war weg, wollte andere Sachen für ihn holen. Er saß auf einer der Liegen, die man in Behandlungszimmern zu hassen verstand. Er hasste sie schon immer. Jedes Mal war man einem Arzt ausgeliefert, legte sich bloß gestellt und empfänglich für jede Art von Angriff vor einen Menschen, der sich mit Anatomie und Erkrankungen auskannte. Der wusste, welche Stellen des Körpers er auf welche Art und Weise untersuchen und manipulieren musste. Immer das Gleiche. Nur, dass bei all den anderen Malen Kakashis Leben nicht auf der Klippe stand. Dass es ihm zu anderen, alten Zeitpunkten gut ging und er ihn immer tadelte. Ihm sagte, wie ungeschickt er sei und, dass er wohl nie dazu lerne. Wie er dies in diesen Moment vermisste, Kakashis Tadel in seinem Inneren in einer Endlosschleife abspulte, dessen Worte hörte.

Das ungeduldige Getrommel Kakashis Finger, als er die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Die wütend zusammengezogegen Augenbrauen, die harten Worte und Sensei Minato, der immer versuchte ihn zu beschwichtigen.

Wie er das im Moment vermisste. Das Vertraute.
 

Dieser Kloß in seiner Kehle, der ihn nicht sprechen ließ und ein dünner Draht um seiner Luftröhre, der ihn nicht atmen ließ. Etwas Besseres konnte er sich nicht vorstellen. Und wenn er sich ehrlich eingestand, steckte hinter diesem Gefühl nicht nur Sarkasmus, sondern auch Wahrheit. Obito sah es als gerechte Strafe an.

Wieder dieses beunruhigende Gefühl. Wieder diese Fragen.

Was, wenn Kakashi starb?

Was machte er dann?

Was sollte er dann machen?

Wie sollte er damit klar kommen?

Wie würde es weitergehen?

Wie sollte er dann mit der Schuld weiterleben?

Würden die anderen sauer auf ihn sein?

Würde er ausgeschlossen werden?

Würde er es vielleicht sogar verdienen?

Was, wenn Kakashi durchkam?

Wie sollte er sich ihm gegenüber verhalten?

Würde er sich an alles erinnern können?

Was würde Kakashi dazu sagen?

Wäre es überhaupt noch relevant?

Nein, natürlich war es das nicht! Das Einzige, das jetzt wichtig war, war, dass Kakashi lebte! Alles andere wäre egoistisch und vor allem im Moment absolut nebensächlich.

"Hey, hier sind die Sachen! Ähm...Obito?"

Shuichi, der gerade mit der frischen Kleidung zur Tür hereinkam, sah Obito zögernd und zweifelnd an, bevor er seufzend auf den Schwarzhaarigen zuging.

"Aua!" Der Uchiha rieb sich die Stirn an der Stelle, an der der Ältere gerade mehr oder weniger schmerzhaft mit den Finger dagegen getippt hatte.

"Ich hab hier Sachen und...mach dir nicht so viel Gedanken! Das tut dir nicht gut."

"Danke", er schielte zu den neben ihm liegenden Klamotten, wandte den Blick dann erneut seinen Händen zu, die sich nach wie vor verkrampft in seine Hose krallten, nicht loslassen wollten. Halt suchten.

"Ich..aber ich...das ist alles meine Schuld..."

"Ja! Ich finde auch, dass es deine Schuld sein muss, wenn ich-weiß-nicht-wer ein paar dutzend Messer in deinen Freund rammen. Rede nicht so einen Unsinn! Wieso sollte es deine Schuld sein? Außer natürlich du hast ihm eigenhändig die ganzen Messer ins Kreuz gerammt..."

Erstaunlich was heutzutage alles Arzt werden durfte, schalt es für einen Moment durch Obitos Kopf. Der junge Uchiha sah Shuichi an und stellte fest, dass er ihn nicht als einen der Standardmediziner ansah. Dieser Mann war menschlicher. Normaler. Realist und kein Theoretiker.

Wieder klopfte es, und mit einem halbherzigen, fast herabwertenden 'Herein' seitens Shuichis kam erneut eine Schwester ins Zimmer, die sich ihrer Sache sicherer war, als die letzte. So schien es zumindest

"Sie wollten doch, dass ich Bericht erstatte, wenn-"

"Warte vor der Tür auf mich!" Da war wieder dieser scharfe Ton, der keinen Widerspruch zuließ, bei dem man Angst bekommen könnte. Allein durch die Tatsache, dass Shuichi dann ein anderer war. Auf der einen Seite diese freundliche und vertraute Natur und auf der anderen diese raue Strenge.

Auf irgendeine Art und Weise bewundernswert. Vielleicht machte er das auch nur, um sich die Krankenschwestern vom Leib zu halten. Um zu zeigen, dass er Distanz wollte.

"Warte einen Moment, ich bin gleich wieder da."
 

Und wieder befand er sich allein. Aber dieses Mal nutzte er seine Zeit, zog die anderen Sachen an.

Vorsichtig streifte er die blutgetränkten Sachen ab, musste sogleich wieder an seinen Partner denken, da auch dessen Blut auf seinem Oberteil eingesickert war. Es war nahezu nur dessen Blut darauf.

Schnell legte er es beiseite und zog sich das schwarze Oberteil an, welches Shuichi ihm bereit gestellt hatte. Es passte wie angegossen, war ärmellos und bequem, lag weich auf seiner Haut auf. Die Hose passte auch perfekt. Das war immerhin der Ansatz etwas Gutem, konnte doch nicht alles immer schief gehen, unpassend sein. Irgendwann musste seine Pechsträhne , oder eher Kakashis und seine, einmal enden und ihren den sicheren Tod finden...

Was, wenn Kakashis Pech ein Ende genommen hatte und er schon längst tot war? Wenn er dem ein Ende gesetzt hatte?

Nein! So durfte er nicht denken! Wie lange war er eigentlich schon hier, wie lange hatte er gewartet und irgendein Wort zu Kakashis Zustand erhofft? Schnell warf er einen Blick auf seinen Todfeind, die Uhr.

Vier Stunden. Vier Stunden, die ihm nach so viel mehr vorkamen. Vier Stunden, 14400 Sekunden, 14400 Anschläge in seinem Kopf in jeder Sekunde.

Die ging die Tür erneut auf und wieder stand der angehende Arzt vor ihm. Nur diesmal sah er nicht so locker aus. Kein Grinsen auf dessen Gesicht, keine lässige Körperhaltung. Was hatte die Krankenschwester von ihm gewollt, was hatte sie gesagt, von was wollte sie berichten? Was hatte sie ihm gesagt, was er selbst nicht erfahren dürfte?

Shuichi sah so aus, als würde er die richtigen Worte suchen. Einen Anfang.

"Was ist los?"

"Obito..." , er sagte es mit viel Geduld und mit der ständigen Angst im Rücken, etwas Falsches zu sagen.

"Es ist...."

"Hm?" Obitos Apathie wich einen Moment, Starre überzog seinen Körper. Er ahnte viel, und nichts von all dem war gut.

"Nein. Warte,...wie sage ich es dir am besten..."

Panik. Immer die gleiche Panik. Konnte sie nicht einmal, wenn sie weg war, auch dort bleiben? Musste sie ihn immer wieder heimsuchen und quälen, ihre Zähne in sein Fleisch beißen, bis sie darin verschwunden waren?

"Okay....es gibt zwei Optionen, Obito."

"...Optionen?" die Stimme des Uchihas war nicht mehr als ein leises Geräusch, erstickte in seiner Kehle.

"Wenn du willst, sage ich dir hier und jetzt, was passiert ist. Oder wir gehen direkt zu Kakashi."

Panik. Immer die gleiche Panik. Konnte sie nicht einmal, wenn sie weg war, auch dort bleiben? Musste sie ihn immer wieder heimsuchen und quälen, ihre Zähne in sein Fleisch beißen, bis sie darin verschwunden waren?

"Okay....es gibt zwei Optionen, Obito."

"...Optionen?" die Stimme des Uchihas war nicht mehr als ein leises Geräusch, erstickte in seiner Kehle.

"Wenn du willst, sage ich dir hier und jetzt, was passiert ist. Oder wir gehen direkt zu Kakashi."
 

Obito hätte schwören können, dass er fühlte, wie sein Herz kurz aussetzte. Nur, um danach umso brutaler gegen seinen Brustkorb zu schlagen. Er hatte bereits die ganze Zeit darüber nachgedacht, doch erst jetzt sickerte es bis zu seinem Inneren durch. Er hatte das seinem Freund angetan. Ihn abgelenkt, ihn unter Schock gesetzt, ihn vielleicht sogar getötet. Er würde so gerne so vieles ändern. Er wusste nicht, wo er damit hätte anfangen sollen. Shuichis Antwort vergrößerte seinen Hoffnungsschimmer jedoch ungemein. Wahrscheinlich lebte Kakashi! Wahrscheinlich würde er durchkommen, und es war einfach nur etwas zu viel und zu kompliziert, um es zu erklären oder...Kaum war der Hoffnung bringende Schimmer da, war er auch schon wieder weg. Was, wenn Shuichi einfach nur befürchtete, er würde ihm nicht glauben, wenn er ihm sagte, dass der Hatake tot sei? Wenn er wollte, dass er sich selbst davon überzeugte? Es fiel immerhin kein Wort darüber, ob Kakashi lebte, oder bereits zu den Verstorbenen zählte. Lediglich, dass es etwas über Kakashis Zustand zu berichten gab. Wollte er mit seiner Hoffnung nur sich selbst und seinem Gewissen etwas vormachen?

Nein! So konnte es nicht weiter gehen. So fand er keine Ruhe, so lockerte diese Panik nie ihren Biss. Er brauchte etwas Endgültiges, auch wenn es ihm einen vernichtenden Schlag in den Magen geben würde.

Shuichi hatte Informationen und die benötigte er auch. Es durfte einfach kein 'wenn' mehr geben! Das machte ihn doch nur noch verrückter, trieb ihn unaufhörlich in den Wahnsinn. Konnte er nicht einmal ein echter Uchiha sein? Konnte er sich nicht einmal so verhalten, wie es richtig war? Er wusste ja, was er machen sollte. Kakashi hatte es ihm nun wirklich oft genug vorgehalten.

Obito richtete sich auf, schloss kurz die Augen. Er atmete tief durch und versuchte eine anständige Antwort hinzubekommen, die wenigstens ein bisschen Selbstvertrauen ausstrahlte.

Er dachte daran, dass es gar nicht so schwer sein konnte, Selbstachtung auszustrahlen. Hatte genau das sein maskierter Freund doch bis jetzt immer unentwegt geschafft! Zugegeben... es waren durchaus massive Unterschiede zwischen ihm und Kakashi, doch einen Versuch war es allemal wert. Es war jetzt an der Zeit, stark zu sein.
 

Um ihn herum waren weiße Wände. Alles war weiß. Die Wände, die Decke, der Boden, alles. Es war alles ...so steril. War denn das ganze verdammte Gebäude nur weiß gestrichen, ohne einen Hauch von Leben?

Dieser Gang kam ihm so unglaublich tot vor. Als würde hier kein Leben herrschen. Als wäre alles schon lange zuvor gestorben.

Es war ein unendlich langer Gang, ein direktes Ende noch nicht in Sicht, was vielleicht auch nur auf eine Täuschung zurückzuführen war - immerhin war alles weiß.
 

Totenstille.
 

Man hörte die Schritte, das Atmen der beiden und gleichzeitig wieder nichts.

"Du wirst immer blasser... bist du dir sicher, dass du weder Schmerzmittel oder etwas zur Beruhigung willst, oder vielleicht sogar brauchst?"

"Ja, ja....alles bestens..."

Aber alles wäre ein bisschen besser, wenn sie endlich diesen Gang hinter sich lassen könnten. Er schreckte kurz auf, als er hörte, wie sich metallene Räder schnell über den Boden bewegten.

Einige Ärzte rannten an den Seiten mit, gaben den Schwestern kurze Anweisungen. Er sah, dass auf der Liege, die an ihnen hektisch und laut vorbei gerast kam, ein Mann lag. Überall erkannte er die rote Flüssigkeit, die von den weißen Decken aufgesogen wurde und ein Kontrastbild gab, das sich in seinem Kopf festsetzte. Eine Ärztin saß auf der Liege, über dem Mann. Herzmassage. Es stand anscheinend schlecht um ihn.

Obito schluckte hart. Hatte ...Kakashi das auch hinter sich?!

In ihm wuchs das Mitleid für Kakashi mehr und mehr, nahm neben seinem schlechten Gewissen auf Obitos Schultern Platz.

Erst macht sein Konkurrent ihm ein Liebesgeständnis, dann waren andere so nett ihn zu erstechen und dann knallte er erstmal, dank Shuichi, mehr als nur liebevoll auf den Boden, kurz nachdem Obito versucht hatte ihn verbluten zu lassen und zu guter letzt...

... saß dann vielleicht auch noch irgendein Arzt auf ihm und versuchte mit aller Gewalt auf ihn einzuhämmern, um sein Herz zum schlagen zu bewegen. Na spitze, genau das hatte er erreichen wollen...

Er war sich nicht sicher, ob er an Kakashis Stelle nicht lieber sterben würde. Für den Hatake wäre das alles eine Schande, ein Gewaltakt an dessen Stolz.
 

"Dr. Yamazaki in OP-Saal 2. Dr. Yamazaki in OP-Saal 2."

Der Ausruf der Sprechanlage ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Er verabscheute Krankenhäuser. Die Umgebung, der Geruch, die Geräusche - oder auch Stille - nichts von dem gewährte es einem, einen klaren Gedanken zu fassen. Man konnte in so einem Gebäude einfach nicht klar denken.

Der Geruch. Die Geräusche. Das Aussehen. Dieses schreckliche weiß. Es drückte ihn tiefer und tiefer in den Boden, nichts von dem konnte das Gewicht von seinen Schultern oder gar seiner Brust nehmen.

Die vielen Menschen, die hier nicht lebend herauskommen. Das viele Leid, das hier hauste. Die Trauer, die durch die Gänge kroch.

Würde diese Unwissenheit so weitergehen, würde er dazu gehören. Der Ältere hatte noch kein weiteres Wort über Kakashi verloren, ihn nur immer wieder gefragt, ob er irgendwelche Mittel wollte. Gegen Schmerzen oder etwas zur Beruhigung, etwas, um seine Nerven außer Gefecht zu setzen - falls sie es nicht schon selbst taten.

Es war einzig und allein Unsinn. Er wollte sich weder beruhigen, noch die Schmerzen im Bein loswerden. Sie waren doch seine einzige Ablenkung, sie sagten ihm, dass das alles hier die Realität und der schmerzhafte Boden der Tatsachen waren.
 

"Ist er tot?"

"Du bist sehr seltsam. "

"Was meinst du damit?"

"Normalerweise fragen die Leute, ob ihre Angehörigen leben, doch du fragst mich nach dem Tod." Er schmunzelte, seine Stirn legte sich in Falten.

Es stimmte. Er hatte recht. Sonst war der Uchiha doch auch einer der überzeugendsten Optimisten. Ein Mensch, der den Pessimismus nicht kannte. Doch jetzt? Das war das erste Mal, dass er mit solch einer Situation konfrontiert wurde. Sein Optimismus war wohl doch nicht so unbezwingbar, wie gedacht.

"Und, ist er tot?... ich meine" Er schüttelte schnell den Kopf, sprach dann weiter, "...ich meine, lebt er?"

Nun bekam er jedoch keine Antwort. Sollte er es als 'Ja' oder 'Nein' werten?

"Shuichi?"

Er beachtete ihn gar nicht. Stattdessen blieb er plötzlich stehen, sah betrübt zur Seite. Dort war eine Tür, die zur Erleichterung Obitos eine farbliche Abwechslung bot. Sie war nicht weiß.

>Blau. Blau ist gut....< Diese farbenvolle Tür faszinierte Obito, fühlte er sich, der Henker weiß warum, besser. Wahrscheinlich war es auch nur die Ablenkung, die ihm für ein paar Sekunden ablen
 

"Wir sind da."
 

Obito war verwirrt, verstand nicht, was ihm dieser Satz sagen sollte. Wo waren sie? Am Anfang vom Ende? Oder andersherum? Okay, nochmal alles von vorn. Sie waren da. Bei Kakashi? Sollte Kakashi tot sein, musste er auf jeden Fall die Kontrolle bewahren, sollte er leben,... galt das Gleiche.
 

Nun war es still. Absolut still. Keine Schritte, kein Atmen. Nicht in Obitos Wahrnehmung. Sie standen nun vor der Tür und der Uchiha hätte schwören können, dass Shuichi nicht atmete. Er, für seinen Teil, tat es nicht. Er konnte einfach nicht. Er kämpfte dagegen an, doch er schaffte es nicht. Die Angst, die Unwissenheit, die Panik. All das würde sich im nächsten Moment ändern. Die Hand des Arztes griff langsam nach der Türklinke, umschloss diese. Bevor er die Tür öffnen konnte, hielt der Uchiha ihn am Arm zurück, krallte sich in dessen Ärmel. Vor Schreck zuckte der Ältere leicht zusammen, sah dann überrascht, aber auch abwartend zu dem neben ihm Stehenden. Sein Blick verfinsterte sich. Was hatte der Kleine denn nun?

Sollte er sich Obito doch noch einmal ansehen, ihn untersuchen und versuchen zu beruhigen? Hatte er noch andere Wunden? Etwas stimmte mit ihm nicht. Er wollte seinen Freund doch bereits die ganze Zeit sehen. War die Angst nun doch zu groß?
 

"Du hast meine Frage noch nicht beantwortet."
 

Ach, das war es. Nein, er musste stur bleiben, musste schweigen. Er sagte es nicht aus Angst vor ihm, sondern, weil er es selbst nicht erklären konnte. Er wusste einfach nicht, wie er es ihm schonend beibringen sollte. Er hatte schlicht und einfach noch keine Erfahrung. Seine Ausbildung war ja auch noch nicht ganz abgeschlossen. Er wollte es durch unbeholfene Worte nicht noch schlimmer machen. Und Situationen wie diese wollten sensibel behandelt werden.

> Ja, such dir ruhig noch weitere Ausreden Shuichi....helfen wirst du ihm trotzdem nicht können<
 

"Wir sind da." Er beharrte auf seiner Antwort, sah den anderen nicht einmal mehr an.

"Das ist keine Antwort!"

Der Große stutze, blieb jedoch ruhig. Äußerte sich jetzt Obitos innere Verfassung, indem er mit Reizbarkeit reagierte? Das war aus psychologischer Sicht vielleicht gut - zumindest nach Lehrbuch - aber für ihn war es eine ganz, ganz tolle Abwechslung. Erst brachte er keinen Ton heraus und jetzt war er ernst und bedrohlich... Nicht, dass er Angst oder dergleichen hatte, nur war es ungewohnt. Und er wusste zugleich, warum er den Mund hielt. Kein Lehrbuch der Welt könnte so eine Situation beschreiben, analysieren, studieren und einen Ablaufplan der Reaktion beschreiben und klar vorgeben.

"Ist er tot?"
 

Gut, er wollte es also unbedingt wissen. Er konnte haben was er wollte. Es war nicht seine Schuld, wenn es Obito ein Brett vor den Kopf schlagen würde. Wenn Obito es so dringlich wissen musste, dann hatte er nur die Möglichkeit ihm die Tatsachen so hart und kalt vorzulegen, wie sie waren. Denn nur so ließ sich die Situation beschreiben. Keine Worte der Welt würden helfen, oder es gar besser machen. Oder irrte er sich?
 

"Er hat viel Blut verloren. Die Ärzte versuchten viel, wirklich viel. Es war von vorn herein schwierig bei den Stichwunden. Sie wussten vorerst auch nicht, wie sie ihm helfen sollten, da jede kleinste Bewegung der Messer das Chaos verstärkt hätte. Einmal wäre er beinahe gestorben, beim zweiten Mal...”, er machte eine Pause, atmete hörbar aus, “Jetzt ist er mit einer hohen Dosis an Schmerzmitteln versorgt, im Moment liegt er im Koma und...."

Er redte sachlich. Zählte alles wie eine einfache Liste aus Belanglosigkeiten auf. Als wäre es völlig nebensächlich. Er machte eine weitere Pause, sprach behutsam und langsam weiter. Er suchte den Blick des Jungen.

"Obito, er wird vielleicht sterben..."

Jetzt machte er die Tür einen Spalt auf, sah bedrückt zu dem Uchiha, der regungslos dastand. Dessen Lippen zitterten, er war leichenblass und seine Augen waren deutlich gerötet. Er hätte das alles nicht sagen dürfen. Aber...

Nein, es gab kein 'aber' und nun war es zu spät.

Er hatte vielleicht einen Fehler gemacht und den konnte er nicht wieder gut machen.

"Obito...es tut mir Leid....", seine Stimme war gedämpft, ruhig.

"Nein, schon gut. Alles bestens!"

So sah er auch aus. Kreidebleich und zitternd.

"Willst du reingehen?"

Er konnte es nicht begreifen. Konnte nicht verstehen, was gerade geschah. Sein bester Freund würde sterben. Und das sagte Shuichi ihm einfach mir nichts-dir nichts ins Gesicht. So ganz ohne Skrupel? Machte er denn alles falsch? Was musste man machen, damit auch er einmal Glück hatte? Es würde ihm reichen, wenn es wenigstens nicht immer worst-case-Szenarien wären. Oder war ihm derartiges verwehrt? War es Kakashi verwehrt?

"Möchtest du rein gehen?"

Wollte er das? Wollte er zusehen, wie sein bester Freund - und mehr - sterben würde?

Stopp! Shuichi sagte, er wird vielleicht sterben. Er sagte nicht, dass er bereits tot sei. Daran durfte er gar nicht erst denken. Aber ließ es sich vermeiden, wenn er jetzt zu ihm ging?

Nein.

Das war ihm von Anfang an klar.

Der Ältere stand mit verschränkten Armen neben der Tür an der Wand gelehnt, wartete auf eine Antwort. Die Tür war immerhin schon einen Spalt geöffnet, jetzt musste man sie nur noch ganz öffnen und hineingehen. Alles leichter gesagt, als getan.

Obito stand unbewegt da, zitterte immer noch.

"Ist es sicher?"

Der Größere musste kurz überlegen, was der Uchiha meinte, verstand aber recht schnell.

"Ist es denn sicher, dass wir alle morgen noch leben?"

Nein. Natürlich war es nicht sicher. Nichts war sicher festgelegt. Das bedeutete Kakashi hatte eine Chance, er musste nicht sterben! Er umfasste die Türklinke, krallte sich Halt suchend daran fest. Er schloss die Augen, öffnete die Tür einen weiteren Spalt, als er inne hielt und Shuichi ansah. "Allein?"

"Kannst du machen. Ich schätze mal, dass du niemanden zum Händchen halten brauchen wirst." Der Ältere schubste sich leicht von der Wand hinter sich ab und ging weg. Weg von Obito, weg von hier. Wie gerne würde der Uchiha das auch machen? Einfach nur gehen...

Weit weg, wo ihn keiner fand. Aber das ging aus vielerlei Gründen nicht. Zwei der schwerwiegendsten waren Kakashi und sein Gewissen.
 

Er atmete nochmals Mal tief ein, öffnete die Tür nun komplett, betrat den Raum und schloss sie hinter sich. Er sah weder gerade aus, noch irgendwohin, wo er vielleicht Kakashi sehen könnte. Vorerst starrte er nur den Boden an. Er war hier. In diesem Zimmer. Er war bei Kakashi, der angeblich sterben sollte.

Alles nur seine Schuld. Das war keine Einbildung, er redete es sich auch nicht zwanghaft ins Gewissen. Er war an dieser Situation schuld. Er fühlte sich fehl am Platz. Hier sollte er nicht stehen. Hier sollte jemand stehen, der die Hoffnung hatte, dass der Maskierte leben würde. Jemand, der ihn nie in so eine Situation gebracht hätte. Doch da stand er nun und wusste, dass er der Einzige war, der jetzt hier sein konnte. Auch, wenn er kein recht dazu hatte. Rin hatte Recht dazu. Sie hatte ihnen immer geholfen. Sie hatte sie nie in eine solche Situation gebracht. Und würde es auch nie. Und dennoch war er, Obito Uchiha, hier. Und er würde bleiben. Er würde so lange bleiben, bis der Hatake ihm entweder befahl zu verschwinden, oder starb. Er hob den Blick, nahm endlich die Umgebung wahr. Welch Wunder, dachte er zynisch als sich der erste Eindruck gelegt hatte. Weiß. Alles weiß. Er hätte es wissen müssen. Das Bett, welches mittig im Raum stand, legte sich wie Fesseln um seine Brust, umklammerte sein Herz.

Er konnte sich nicht bewegen. Es war schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Schlimmer, als er es sich jemals hätte ausmalen können. Nein, in seiner Vorstellung war es harmloser, schöner. Nicht so...leblos. Der Anblick versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube. Er verlor das Gleichgewicht, seinen Halt, stützte sich an der weißen Wand ab, sank an ihr herab. Unzählige Geräte. Überall. Rund um Kakashi herum Geräte.

Er wusste nicht einmal, wofür sie alle gut waren. Auf alle Fälle bereiteten sie ihm Angst. Mehr Angst, als ein Feind jemals in ihm ausgelöst hatte. Seine Gesichtsfarbe wich nun endgültig, zurück blieb ein leichenblasser Obito mit leerem Blick, der am ganzen Leib bebte. Es war nur das Piepen der Geräte zu hören, die Geräusche des Beatmungsgerätes und das leise Wimmern des Uchihas.

Beinahe hätte er sich übergeben, beinahe hätte er geweint. Schreien konnte er nicht, dafür war der Druck in seinem Brustkorb, der Kloß in seinem Hals zu groß. Was hatte er getan?

Wieso musste es so kommen? Er fühlte sich wieder einmal so fehl am Platz, wie bereits viele Male zuvor. Manchmal fühlte er sich so beim Training, wenn er allein Zuhause saß oder auf Missionen. Doch so schlimm war es noch nie gewesen. Er gehörte hier nicht hin. Kakashi schon gleich gar nicht. Einen Moment wünschte er sich, dass er mit seinem Partner tauschen könnte. Er wünschte es sich zutiefst. Was wohl der Grauhaarige machen würde? Würde er auch hier sitzen und sich Sorgen machen? Schuldgefühle haben? Angst? Übelkeit? Unwissenheit?

Wohl kaum. > Atmen, ganz ruhig atmen. <

Kakashi wäre es wahrscheinlich egal, was mit ihm wäre. Würde selbstbewusst weiterleben. Mit oder ohne ihm.

Ach Quatsch! Das war Unsinn. Mit Kakashi an seiner Stelle wären sie gar nicht erst in eine solche Situation gekommen! Blieb nur die Frage offen, wer im Moment erbärmlicher, nein, mitgenommener aussah. Kakashi oder er. Obito schalt sich innerlich selbst, ein solcher Vergleich war unangemessen, falsch. Er hatte kein Recht sich mit Kakashi gegenüber zu stellen, er konnte nicht behaupten, dass er auch nur ansatzweise so schlecht aussah, wie sein Teamkollege. Natürlich ging es Kakashi um ein Weites schlechter, da war es keinen Vergleich wert. Es wäre zu dreist. War er zu dreist gewesen? Hatte Obito aus reinem Egoismus gehandelt? Waren sie aus reiner Dreistigkeit wo sie jetzt waren?
 

Langsam versuchte er aufzustehen, suchte Halt an der weißen Wand. Himmel, dieses schreckliche, abgestorbene weiß. Es machte alles noch viel lebloser. So wirkte dieses Zimmer nur tot, endgültig. Ein Krankenhaus sollte lebendig wirken, Hoffnungen übrig lassen. Auch wenn so viele in diesem Gebäude ihr Leben ließen. Aber nein, hier war dem nicht so. Sie hätten es ebenso gut in schwarz halten können und es hätte nichts geändert. Es vermittelte einfach nur den Wunsch zu sterben. Als er sich vollständig aufgerichtet hatte, blieb er erst an der Wand stehen, sah zu Kakashi. Beinahe wäre er wieder zusammengesunken, wenn nicht umgekippt. Wie eine Leiche, die man vergeblich versuchte am Leben zu halten.

> ' Er wird vielleicht sterben' < Dieser Satz hallte in Obitos Kopf, dröhnte durch seine Gedanken. Er hatte ihn noch nie so hilflos gesehen. Hilflos. Das war das richtige Wort. Er sah so schwach aus, als hätte man ihm das Leben entzogen. Wenn der Uchiha so recht darüber nach dachte, das hatte man eigentlich auch.

Infusionen, Beatmungsgeräte, Transfusionen etc. Einfach alles war vorhanden. Er hörte das Piepsen. Es war langsam, nicht normal. Zu langsam. Würde er jetzt sterben? Das durfte er nicht. Nein, das durfte Kakashi nicht! Er schuldete ihm noch eine Antwort! Und Obito ihm eine Menge mehr.

Den Schwarzhaarigen würde diese Piepserei nicht derart stören, wenn der Hatake doch nur nicht so leichenblass wäre. Wenn Kakashi den Eindruck der Situation nicht noch verstärken und bestätigen würde. Langsam und wie im Trance ging er auf den Stuhl zu, der in der Ecke stand, stellte ihn neben das Bett. Er hockte sich darauf, umklammerte mit den Armen die angezogenen Beine, bettete seinen Kopf auf seinen Knien.
 

Er saß eine halbe Ewigkeit so da, horchte auf das Piepsen, merkte nicht einmal mehr, wie die Tränen sich den Weg über seine Wangen bahnten. Mit seinen Gedanken war er in der Vergangenheit. Erinnerte sich an jeden Streit, jeden Kampf, jede Mission und den Ärger, den es danach gab.
 

"Ah! Da bist du ja!" Eine Frau mit kurzen, braunen Haaren lächelte Ren liebevoll an, grüßte dann den Rest der Gruppe mit selbiger Freundlichkeit. "Ja, bin ich Mutter. Weißt du vielleicht, wo-"

"Der ist schon weg."

"Woher weißt du, was ich sagen wollte?"

"Das ist immer das Gleiche mit dir. Kaum bist du wieder da, suchst du auch schon deinen Bruder, um ihn wieder um irgendetwas zu bitten." Sie tat gespielt tadelnd, verschränkte dir Arme vor der Brust.

Ren fühlte sich ertappt, wurde etwas rot. Es stimmte. Es war immer so. Ausnahmslos. Kaum war er wieder von einer Mission oder dergleichen zurück, brauchte er seinen Bruder. Sei es, weil er verletzt war, oder weil er etwas ausgefressen hatte. Der arme Kerl durfte immer herhalten, um seine eigene Weste wieder rien zu waschen.

Rin und Minato fühlten sich etwas überflüssig, standen nur schweigend da. Auch, wenn sie die Ungeduld drängte – eine Wahl hatten sie nicht.

Der Blonde war in Gedanken, machte sich Sorgen um seine beiden verschwundenen Schüler. Die beiden hatten jetzt oberste Priorität, das stand fest.

"Wir gehen dann mal wieder, bis später, Mutter." Er hob zum Abschied noch schnell die Hand ging dann schon aus der Tür.
 

Sie wanderten erneut durch die Straßen des Dorfes, sahen sich genau um.

"Wo gehen wir jetzt hin?", fragte Rin, alles genau beobachtend. Sie sah sich überall um, betrachtete neugierig die Geschäfte.

"Wir müssen zuerst noch jemanden besuchen."

"Zu deinem Bruder?"

"Ja."
 

"Wo genau gehen wir denn jetzt hin?"

"Zu meinem Bruder. Rin, wie oft denn noch?"

"Und wo ist der?" Also Rin platzte langsam der Kragen. Sie rannten quer durch dieses ganze, verdammte Dorf und Ren hatte nicht vor seiner vorlauten Klappe dieses Mal freien Lauf zu geben. Zudem ihnen allen klar war, wen sie suchten. Sie wollte aber wissen, wo man eben genau diesen finden konnte. Sie musste wissen, was mit ihren beiden Jungs passiert war. Sie hatte doch versprochen, auf sie aufzupassen.

Ihr Sensei indes ignorierte beide durchwegs, war mit seinen Gedanken voll und ganz abgedriftet.

Er ging einfach nur Ren hinterher, sah nicht einmal so aus, als würde er zuhören, geschweigedenn irgendetwas wahrnehmen.

"Es ist doch nicht mehr weit, Rin..."

"Wo?" Also langsam ging ihm diese Kunnoichi ganz schön auf die Nerven. Nicht nur, dass sie an Kakashi klebte und überhaupt nicht schnallte, was mit Obito los war, nein, jetzt musste sie ihn auch noch angiften.

"Ren, nun sag doch endlich wo-"

"Wäre es möglich, dass du jetzt endlich mal die Klappe hältst?!" Es war im Grunde nicht seine Art laut zu werden, doch was genug war, war geung. Rins Gesichtsausdruck stimmte ihn für einen Moment ruhiger, zufriedener. Es war eine Art Befriedigung, sie so geschockt zu sehen und es war wohltuend, sie nicht zu hören. Es war einfach nur schön. Er grinste und seufzte wohlig, richtete seinen Blick wieder nach vorne.

Durch das plötzliche Geschrei und die Ruhe hinterher wurde Minato aus seinen Gedanken gerissen. Er wunderte sich etwas darüber, dass Rin auf einmal noch bedrückter und Ren so überraschend zufrieden aussah. Irgendetwas stimmte wohl nicht. Ihm sollte es egal sein. Was sollte man dazu sagen wenn Mann und Frau, Junge und Mädchen, aneinander gerieten? Geschweigedenn unternehmen? Zwei seiner Begleitungen zickten sich offenbar unentwegt an und die beiden, die das für gewöhnlich taten und die es - so kam es ihm zumindest vor - es fast zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatten, waren ihm abhanden gekommen. Wie erklärte er das dem Hokage? Was war, wenn einer von ihnen ernsthaft verletzt wurde? Nein, es war nicht nur die Sorge um die beiden, sondern auch die um sich selbst, die ihn bedrückte.

- Tut mir Leid alter Mann, ich habe versehentlich zwei Schüler verloren -

Das wäre doch der perfekte Satz. Die perfekte Antwort auf die Frage, wo die beiden Vermissten geblieben waren. Der Sandaime würde ausrasten...
 

Obito indes saß stumm neben Kakashi. Er sah ihn einfach nur an, stoppte seine Tränen nicht. Was hatte er nur angerichtet...?

Er merkte, wie das Piepsen manchmal schneller, manchmal langsamer wurde. Es machte ihm Angst. So schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt und es war vorher schon viel zu schwer gewesen. Eine Steigerung hatte er nicht in Betracht gezogen, viel mehr eine Besserung. Bei jedem Zug des Beatmungsgerätes rührte sich Kakashis Körper leicht. Sonst war da keine Bewegung, nichts. Und nicht einmal das geschah durch eigene Reflexe. Nein, es war nur durch eine Maschine verursacht worden, ohne die sein Kamerad nicht leben konnte.

Er umklammerte seine Beine stärker, zog sich mehr zusammen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Es war nicht wahr und das alles nicht geschehen. Wie in einer Endlosschleife wiederholte sich dieser Gedanke in Obitos Kopf.

Plötzlich öffnete sich die Tür und eine Krankenschwester kam herein. Obito war sich ziemlich sicher, dass es die gleiche von vorhin war. Die, die nicht so ahnunglos war. Die Schwetser, die Shuichi alles mitteilte. Sie sah Obito anfangs überrascht an, schenkte ihm jedoch im nächsten Moment bereits ein warmes Lächeln.

"Entschuldige, ich wusste nicht, dass jemand hier ist." sagte sie noch, ging dann zu einem der unzähligen Geräten und schrieb die angezeigten Werte ab. Es handelte sich vermutlich um Kakashis Patientenakte. Obito kannte diese bereits nur zu gut, immerhin war seine nicht gerade kurz.

"Ich möchte dich bitten keinen Krach zu machen, oder dich auf das Bett zu setzen." Obito nickte nur leicht, beachtete sie nicht weiter, starrte in die Leere.

Die junge Frau schmunzelte. Der Uchiha sah wirklich nicht gut aus. Zitterte, war leichenblass und sah durch seine weiten Augenringe erschöpft und krank aus. Die verwischten Tränen und rot geweinten Augen machten den Anblick nicht schöner. "Wenn du etwas trinken oder essen möchtest, dann kann ich dich mit in die Caféteria begleiten..." Keine Reaktion, kein Wimpernschlag, kein Zucken. Hoffnungslos. Obito hatte seine Entscheidung bereits getroffen: Man würde ihn heute nicht mehr hier weg bekommen. Er hatte Kakashi schon einmal im Stich gelassen.

"Hey...Junge? Geht es dir nicht gut? Fehlt dir etwas?"

> Ja, mein Freund....<
 

"Minato-san, wir sind so gut wie angekommen."

"Im Krankenhaus?"

"Gut kombiniert."

"Hä?" Rin verstand wieder nichts. Konnte ihr das mal jemand erklären? Was machten sie denn im Krankenhaus?!

"Mein Bruder arbeitet dort. Deswegen hilft er mirletztendlich immer und die Leute kennen mich schon recht gut. Und außerdem hat dieser Idiot dadurch mehr Einfluss als ich, verstehst du es, oder war es zuviel für dich?"

"Nein, nein... Ich hab es schon verstanden." Sie wollte noch ein "Mistkerl" oder "Schwachkopf" anhängen, unterließ es jedoch. Sie wollte friedlich klingen, sie wollte jetzt nicht streiten. Sie wollte zu Obito und Kakashi. Namikaze konnte darüber nur den Kopf schütteln. Wieso mussten sie ausgerechnet jetzt angfangen sich zu provozieren? Hatten sie nichts besseres zu tun und wirklich nichts anderes im Kopf?

Sie gingen geradewegs auf das große Gebäude zu, wurden schneller.

Als sie durch die Eingangstür schritten und im Inneren angekommen waren, sahen sich der Blonde und Rin genau um, blickten als letztes zur Rezeption.

"Ren? Du schon wieder. Was ist es denn dieses Mal?" Die alte Faru lachte förmlich, klang sehr freundlich.

"Misami, ich suche eigentlich nur meinen Bruder..."

"Der ist gerade auf der Intensiv. Ren, möchtest du warten oder soll ich ihm etwas ausrichten?"

"Kann ich hoch? Was macht er dort eigentlich?"

"Er ist wegen einem Patienten dort." Sie seufzte, sah schlagartig traurig, mitfühlend aus.

"Das war schon eine schlimme Sache..."

"Was meinst du? Was hat er denn gemacht?"

"Ich weiß nicht so recht. Shuichi kam mit einem ziemlich zugerichteten, armen Kerl hier angestürmt. Der Junge sah nicht gut aus."

"Aha,... kann ich jetzt hoch, oder nicht? Ich hab keine Zeit um zu warten. Ach komm schon Misami! "

Ren bettelte direkt. Er wollte einfach keine Zeit verschwenden, den die hatten sie auf dieser Mission schon unnötig zurückgelassen.

"Dass du immer so ein Theater machen musst, Idiot."

"Ah! Dich hab ich gesucht - Aber bestimmt nicht vermisst", Ren grinste genervt, sah in die Richtung aus der die Stimme kam.

Rin wären beinahe die Augen ausgefallen. Der Mann, der gerade im Raum erschien, sah unglaublich gut aus! Stilvoll gekleidet, hübsch und diese Augen! Schon fast übertrieben und unwirklich, aber nur fast. Das typische Klischee eines Weiberhelden verkleidet in der Hülle eines Arztes - und in Rins Augen dennoch wunderschön, nahezu perfekt. Wenn da nicht noch Kakashi wäre.

"Was brauchst du jetzt wieder, Ren?"

"Bruderherz! Lange nicht gesehen!"

"Komm zur Sache."

Minato überraschte es nicht, dass die beiden Brüder waren. Sie hatten gewisse Ähnlichkeit, Rin hingegen war zutiefst erschüttert. Ren sollte mit diesem Schönling verwandt sein? Der hatte doch eine ganz andere Ausstrahlung, eine andere Art. Oder irrte sie sich?

"Ich suche jemanden."

"Das ist schön für dich. Und jetzt zieh Leine!", immerhin bedeutete sein kleiner Bruder in der Regel nur Ärger für ihn. Und Arbeit.
 

Ja, eindeutige Bruderliebe, wie Namikaze feststellen musste. So kamen sie zu nichts. Er trat ein paar Schritte näher, lächelte Shuichi freundlich an.

"Guten Tag. Sie mussten also meinen Bruder ein ganzes Weilchen ertragen. Ich kann mich für die Unanhemlichkeiten", ein vielsagender, genervter Blick richtete sich auf Ren, "nur entschuldigen..."

"Halb so wild. Wir suchen tatsächlich jemanden. Eher gesagt zwei Personen."

"Und da kommst du ins Spiel."

"Sei ruhig, Ren!" Wieso wurde er eigentlich immer nur angefaucht? Erst Rin - zugegeben, das machte ihm nicht viel aus - und dann sein Bruder. Na ja, und da war es eigentlich ständiger Bestandteil seines Alltags.

Shuichi gab Minato zu verstehen, sich alleine mit dem Erwachsenen unterhalten zu wollen, damit sein Bruder nicht immerzu seinen Senf dazu geben konnte.

Als die beiden etwas weiter weg waren, beugte sich Misami zu dem kleineren der beiden Brüder vor.

"Sag mal, kommt es nur mir so vor, oder sieht er wirklich etwas unglücklich aus, Ren?"

"Und ich dachte, es wäre nur Einbildung..."

Ren und Rin sahen den beiden immer noch gespannt zu, bis Shuichi wissend nickte und ging. Minato währendessen stand einfach nur da, wurde Stück für Stück blasser. Ihm waren bei jedem weiteren Wort des Schwarzhaarigen mehr und mehr die Züge entglitten. Rin hatte sehen können, dass die Anspannung von ihm abfiel. Die Anspannung und auch sein Frohmut. Seine Hoffnung und die Kraft, die ihr Sensei immer ausstrahlte. Rin konnte sehen, dass etwas ihren Sensei angegriffen hatte. Dass Shuichis Worte ihn angegriffen hatten. Es war etwas passiert. Etwas schlimmes. Rin konnte es sehen, sie musste es nicht hören.

Minato konnte sich nicht aufraffen, zu seinen beiden Begleitern zu gehen. Was sollte er jetzt tun? Er konnte das alles nicht glauben, wie sollte er eine solche Nachricht sacken lassen? Wie sollte er das Rin erklären? Die gute Rin, die ihre Kameraden so liebte. All das, was er so sehr befürchtet hatte und von dem er so sehr gehofft hatte, es wäre nicht so, war eingetreten. Ein Alptraum wahr geworden. Was sollte er jetzt machen? Auch, wenn er keine Namen der Jungen wusste, er hatte noch immer dieses seltsame Gefühl. Dieses Gespür, dass etwas vorgefallen war. Dass es seinen Schützlingen nicht gut ging. Und um das zu wissen, brauchte er keine Namen.
 

"Ob etwas passiert ist?”, Rin faltete flehend ihre Hände. Sie wollte die Hoffnung bewahren, sie brauchte Halt. Etwas machte ihr Angst. Ihre Augen klammerten sich an ihren Sensei, suchten nach ein bisschen Ruhe, die ihr die Angst nahm. Die den Druck auf ihrer Brust erleichterte. Die ihr sagte, dass sie wieder atmen könne. Ihre Finger krallten sich ineinander, die schmalen Knöchel traten weiß hervor.

"Ich weiß es nicht." Mehr konnte Ren ihr nicht entgegnen. Wie auch? Er wusste es ja wirklich nicht, hatte keine Ahnung, was sein Bruder dem Namikaze berichtete. Aber egal was es war, es war schlecht. So viel war zu erkennen.

"Misami?"

"Ja? Kann ich dir irgendwie helfen?"

"Wie viele waren es heute bereits?"

"Du meinst, wie viel Leute er heute behandelt hat?" Sie räumte ein paar zerfledderte Zettel heraus, las kurz ein paar Details nach.

"Also heute hat er bis jetzt nicht viele Patienten behandelt. Einen brachte er ins Krankenhaus und einen weiteren behandelte er. Ich glaube einer von beiden müsste dieser arme Junge sein, von dem ich dir bereits erzählt habe."

"Aha, ...danke."

Ihm kam langsam so eine Ahnung, was hätte passiert sein können. Und diese Ahnung gefiel ihm ganz und gar nicht, ließ ihn schwer schlucken. Nur nicht den Teufel an die Wand malen.
 

Es klopfte. Kurz schweifte sein Blick zur Tür, dann wieder zu Kakashi. Er rührte sich nicht, wollte es nicht. Warum auch? Machte es denn überhaupt noch Sinn irgendetwas zu tun? Es klopfte erneut. Langsam fragte sich der Uchiha, wieso die Person nicht einfach hereinkam. Es stellte wirklich kein Problem dar, die Türklinke herunter zu drücken und die Tür aufzuschieben. Wartete die Person auf Antwort?

Wenn ja, dann wusste sie, dass er hier in diesem Raum war. Kakashi konnte immerhin schlecht auch nur einen Piepser, geschweige denn eine Antwort, von sich geben. Und wer war er, Obito Uchiha, dass er ein Recht darauf hatte Eintritt zu genehmigen, oder gar zu verwehren? Ergo: Obito saß weiterhin unverändert da. Irgendwann würde es dieser jemand vor der Tür aufgeben zu klopfen und dann entweder wieder verschwinden, oder eben hereinkommen.

Und schon wieder dieses lästige Pochen auf dem weißen Material. Vielleicht war seine Annahme, die Person gäbe auf, doch falsch. Bislang kein Zeichen der Kapitulation. Mittlerweile pochte es nicht nur an der Tür, sondern auch in seinem Kopf. Es war einfach zu viel. Seine Schläfen, nein, sein ganzer Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Jedes kleinste Geräusch, das Piepsen der Geräte, das Klopfen an der Tür, die seltsamen Töne des Beatmungsgerätes, … es war fast unerträglich. Es machte ihn nervös und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Als hätte er so viele unzählige Dinge zu tun und keinen Ort, wo er mit deren Aufarbeitung anfangen sollte. Doch eigentlich wusste er, dass es nichts zu tun gab. Dass er bereits alles getan hatte. Dass es alles seine Schuld war – weil alles, was er getan hatte, sie am Ende zu dieser Situation geführt hatte. Nun konnte er kein Klopfen auf dem harten Material mehr vernehmen, welches sich wie in einer Endlosschleife wiederholte. Es hatte aufgehört. Er war durchaus dankbar darüber, dass wenigstens etwas seine Ruhe gab. Auch, wenn es nur ein Kieselstein im großen Ganzen zu sein vermochte – denn der unnachgibige Druck, der auf ihm lag, nahm gewiss nicht ab.
 

Er hörte Schritte. Ob es wieder eine der Krankenschwestern war? Eine der unzähligen? Nein, unwahrscheinlich, dass sie so lange klopfen würde. Die Schwestern gingen in das Zimmer, ohne sich mehrmals durch Klopfen anzukündigen. Also konnte er diese schon einmal ausschließen. Einer der Ärzte? Jetzt? Na ja, es war zumindest nicht unmöglich oder gar wegzudenken. Aber wieder bäumte sich die selbe Frage auf: Wieso sollten sie klopfen? Dachten sie etwa, Kakashi sei wach? Wohl kaum, sie hatten ihn ja schließlich auch für fast tot erklärt. Oder wussten sie, dass jemand hier war? Aber dann hätten sie wiederum davon ausgehen müssen, dass sich jemand gleich nach dem ersten Anklopfen gemeldet hätte. Demnach schloss er diese auch aus. Wer kam sonst in Betracht?

Obito begriff schnell, dass er etwas auf der Leitung gestanden hatte. Nun kam es ihm. Er hätte sich diese Frage sparen können, blieb im Grunde nur einer übrig. Genau dieser jemand schloss vorsichtig und sehr bedacht darauf leise zu sein die Tür hinter sich. Er war so behutsam mit dem Schließen der Tür gewesen, dass der Uchiha fast nicht hätte glauben wollen, dass er sie vorher beinahe eingeschlagen hätte - zumindest in seiner Wahrnehmung – und wahrscheinlich nur in seiner. Wieder Schritte. Langsam, aber auch nur langsam, sah Obito auf, nachdem er noch ein paar Momente gewartet hatte. Er wollte ihn nicht ansehen. Bis jetzt hatte er doch immer nur schlechte Nachrichten für Obito, wieso sollte das nicht wieder so sein? Er wollte nur dort sitzen bleiben und darauf warten, dass sein bester Freund die Augen öffnete. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Kakashi aufwachte, mehr nicht. Auch wenn er ihn dann hasste, es war okay. Solange der Grauhaarige wenigstens die Augen öffnete. Aber im Moment war es nicht an Kakashi, der die Augen öffnete und seinen Blick auf jemanden richtete, sondern Obito. Er sah Shuichi direkt ins Gesicht, der regungslos im Raum stand. "Geht's?" Nein, und das konnte, wie man so sagte, ein Blinder mit Krückstock sehen. Nichts "ging"! Nichts war in Ordnung! Er war gezwungen der Realität geradeaus ins Auge zu sehen! Zumindest hatte er nicht gefragt, ob es ihm auch noch “gut” ginge. Denn was sollte jetzt noch “gut” sein? Er wollte überhaupt nicht wissen, wie hart das Leben noch sein konnte. Und wenn es schon sein musste, dann wollte er dabei seinen besten Freund neben sich stehend wissen. Aber das ging nicht. Nicht jetzt. Also, wieso zum Henker fragte Shuichi dann, ob es ginge? Obito regte sich nicht, sah den Größeren aus tränenverschmierten Augen unverhohlen an. Er bewegte seine Miene keinen Millimeter.

Shuichi kam entschlossen auf ihn zu, packte ihn am Oberarm und zog ihn ohne Widerrede mit sich. Der Uchiha wäre beinahe vom Stuhl gefallen, stolperte im letzten Moment und versuchte seinen Beinen Boden unter den Füßen zu geben, bis er trotz des reißenden Schmerzes doch irgendwie Halt fand. Wenn Obito es sich recht überlegte, waren seine Verletzungen doch etwas schwerwiegender, als er es anfangs gedacht – nein, sogar gefühlt hatte. Er wollte ja etwas sagen, aber Shuichi… er wirkte so abweisend, so kalt und unwidersetzlich. Und das so plötzlich. Obito wollte unter keinsten Umständen jammern. Außerdem hatte er es die ganze Zeit über auch nicht gemerkt. Er wollte jetzt nur zurück zu Kakashi.
 

"Du gehst jetzt in das Bad da rein, wäschst dir dein Gesicht und kommst dann mit." Nun war mit dem Größeren nicht mehr zu spaßen, wie Obito merkte. Die freundlichen und lockeren Züge waren momentan mit keinem Deut zu erkennen. Sein Eindruck vom gerade eben, war also gar nicht so verkehrt. Aber was war denn passiert?
 

Jeder hatte seine eigenen Probleme, aber darum waren es auch seine eigenen Probleme, nicht die der anderen. Obito sollte sich jetzt besser um sich selbst kümmern, war er doch schließlich auch verletzt. Und Kakashi kümmerte sich um seine, soweit es denn möglich für ihn war – den Rest machten die Ärzte. Er schubste den Kleinen in das schmale, angrenzende Zimmer und schloss die Tür. Was Obito nicht gesehen hatte, war, dass Shuichi eine kleine Spritze in der Hand hielt. Als er den kleinen Raum mit ausgewaschenen und leicht rötlichen Augen wieder verließ, griff ihn der Ältere bereits fest am Arm, bevor Obito irgendwie darauf reagieren konnte. Der Uchiha fuhr erschrocken zusammen, zischte vor Schreck etwas auf und verzog für einen kurzen Moment das Gesicht, als das spitze Metall seine Haut durchdrang. "Was sollte das?"

"Ist nur 'n Schmerzmittel, reg' dich ab und komm endlich mit!"

Er ging mit dem Kleineren wieder die langen, weißen Gänge entlang, in denen Totenstille und Leblosigkeit ihr Regime verwalteten. Es war einfach erdrückend, als würde man in einem dieser Gänge keine Luft mehr bekommen. Wie konnte man das einem Menschen antun? Und das an einem Ort, an dem Leben gerettet und wieder hergestellt werden sollten?

Hier kamen dem Anschein nach wirklich nur die Leute hin, die eigentlich bereits so gut wie tot waren.
 

Wie Kakashi.
 

"Wohin gehen wir eigentlich?"

"In irgendein freies Behandlungszimmer, indem du dann noch 'nen Moment warten darfst."

Langsam fragte sich Obito, wieso er überhaupt Schritt hielt. Ob er nun in diesem Zimmer, oder neben Kakashi wartete und vor sich hin vegetierte, spielte doch keine Rolle. Oder etwa nicht?

Es dauerte vielleicht noch zwei Minuten, als sie endlich das Ende der Station und der beängstigenden Gänge erreichten.

Sie sprachen die ganze Zeit über kein weiteres Wort, empfand es im Grunde genommen auch keiner von ihnen für bedeutend. Es war alles gesagt, was gesagt werden musste und konnte.

Und dennoch fühlte sich Shuichi etwas schlecht. Obwohl er im Recht war - zumindest seiner Ansicht nach. Was führte sich der Junge auch so auf? Es war unbegreiflich. Zumindest, solange man das alles nicht aus menschlicher Sicht betrachtete, sondern die unmenschliche Objektive vorzog. Kalt und die Mitmenschlichkeit außen vorgelassen. Solange er sich das einredete. Einem ging es halbwegs gut, dem anderen ging es durchwegs schlecht. Musste nun wirklich des einen “gut” aufgrund des anderen Leids weichen? Er meinte es nicht böse, Shuichi konnte nur nicht weiter mit ansehen, wie sich der Junge weiterhin fertig machte. Es war nicht gut, was sich Obito da antat.

Als sie im Zimmer ankamen, wies er Obito mit einer Handbewegung auf, sich auf die Liege zu setzen. Er drehte sich um, die Tür hatte er schon fast beim raschen Verlassen des Raumes wieder geschlossen, als er noch einen Augenblick inne hielt und sich leicht Obito zuwandt. "Warte hier, ich komme gleich wieder."

Mit diesen Worten schloss er leise die Tür, und der Uchiha war wieder allein. Allein in diesem verdammten Raum. Wieder weiß, einfach alles weiß. Er konnte sich gut vorstellen, dass seine Gesichtsfarbe bereits die der Wand angenommen hatte. Weiß. Und dann wieder diese penetrante Uhr, die ihn in den Wahnsinn trieb.

Tick-Tack

Tick-Tack

Tick-Tack.

Etwas Positives hatte es: So wurde er immerhin etwas von Kakashi abgelenkt und durch das Medikament verschwanden auch langsam die Schmerzen in seinem Bein, die nach diesem kurzen Marsch unaufhörlich in der Wunde pulsierten. Er vertrieb jegliche Gedanken aus seinem Kopf, konzentrierte sich nur auf die Uhr.
 

"Sieh mal, dein Bruder kommt wieder."

"Sieht so aus, als hätte er Stimmungsschwankungen..."

"Ren, sei nicht so hart zu ihm. Ihr seid doch beide noch Kinder, du mehr als Shuichi. Aber als erwachsen würde ich ihn auch nicht einstufen. Kindskopf."

Rin verfolgte gespannt das Gespräch zwischen Misami und Ren, hätte beinahe gelacht, als sie das Gesicht des Jungen sah, nachdem er Misamis Satz über dessen Vernunft gehört hatte. In ihren Augen unbeschreiblich. Stimmt, beinahe hätte sie über Rens indirekte Zurechtweisung gelacht, wenn die Situation doch nur nicht so ernst wäre. Aber das geschah ihm nicht ganz unrecht, solle er mal von seinem hin und wieder viel zu hohem Ross absteigen.

Shuichi kam jedoch nicht auf die Jüngeren, sondern erneut direkt auf Minato zu, sah ihn unverwandt an. Minato hatte noch immer nichts zu seinen Begleitern gesagt. Rin blieb nur, alles von der Ferne zu beobachten. Sie hatte sich nicht getraut zu ihrem Sensei zu gehen - sie hatte zu viel Angst, vor dem, was er ihr vielleicht gesagt hätte. Also blieb sie nur als stumme Beobachterin zurück.

Mit einer diskreten Handbewegung deutete Shuichi seinem Gegenüber, dass er mitkommen sollte. Selbstverständlich kam Minato dieser Aufforderung ohne zu zögern nach.

Es war das gleiche Spiel, nur rückwärts.

Den Gang hinab – die automatische Tür – kurz warten - eine Menge Korridore entlang - ankommen.

Auch der Sensei verlor fast die Nerven, rang um seine Fassung. Wenn sie schon einen derartigen Weg hinter sich hatten, was würde da nur auf ihn zukommen? Und vor allem, wo? Waren die ‘normalen’ Stationen für gewöhnlich nicht leichter zugängig?

Er hoffte – nein, er flehte inständig, dass es sich um zwei andere Jungen handelte. Natürlich wünschte er keinem etwas derartiges, aber… aber wenn es doch unbedingt jemanden treffen musste? Er stockte in seinen Gedanken, hatte nur das Bild seiner zwei Schüler vor sich. Nicht Obito! Und nicht Kakashi! Shuichi hatte keine Namen genannt. Er meinte nur, es waren zwei und sie seien verletzt. Verletzt konnte in Minatos Ohren alles bedeuten. Er kannte Kakashi. Und erkannte vor allem auch Obito. Um Himmels Willen, Obito… er fing an, sich das Schlimmste auszumalen.
 

Shuichi ging schweigend voran. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er konnte ihm nichts Vertrauliches über Patienten erzählen, wenn er nicht einmal sicher sein konnte, dass dieser Mann die beiden wirklich kannte oder gar Verantwortung für die beiden trug.

Zustand, Name, Alter....nichts. Er sagte Namikaze nichts. Vielleicht sollte er ihn vorwarnen, aber das wäre eigentlich nicht nötig, wenn er sie nicht kannte. Und auch gar nicht erlaubt. Aber das alles sollte sich in wenigen Augenblicken herausstellen.

Allein der Geruch veranlasste ihn beinahe dazu, sich übergeben zu müssen. Er hasste ihn genauso sehr, wie das schlechte Gewissen, das immer größer wurde. Wie hatte er nur so derart unvorsichtig sein können? Gewissermaßen sind es doch noch Kinder. Nur junge Heranwachsende. Er hatte sie einfach bei Gefahr alleine losgeschickt, ohne auch nur daran zu denken, was alles hätte passieren können. Blindes, törichtes Vertrauen – oder war es unentwegtes Hoffen, dass Kakashi in seinem jungen Alter die Verantwortung eines Erwachsenen tragen konnte? Für ihn und für Obito?

Was machte er, wenn dies die falschen beiden Jungen wären, eine reine Verwechslung? Zum einen wäre es eine Erleichterung, zum anderen wäre da wieder das Wissen, dass Obito und Kakashi noch irgendwo dort draußen im Wald wären. Und ihn womöglich suchten.
 

Er befand sich nun in besagtem Zimmer, in dem einer der beiden Jungen sein sollte. Er hatte sich an die Tür gelehnt, empfand sie als Stütze in seinem Rücken. Sollte er jetzt weitergehen, würde er wissen, ob seine Suche ein Ende hatte. Oder aber konnte er weiter den Geräuschen der Geräte lauschen und sich weiter in Panik versetzen lassen. Nein, er musste es ein für alle mal klären, um nicht noch weiter in Unwissenheit zu schwelgen, während seine Panik immer größer wurde! Er musste seiner Verantwortung nachkommen. Er war Jo-Nin. Er war Teamleiter. Er war Sensei seiner drei Begleiter. Er musste ihnen Zuflucht gewähren anstatt zu flüchten. Die Entscheidung war im Prinzip bereits gefallen, als sie in diesem Krankenhaus ankamen. Doch in diesem Moment wollte er sich eine letzte Wahl verschaffen. Eine Fluchtmöglichkeit vor der Realität, die er nicht kannte.

Bedacht setzte er einen Schritt nach dem anderen, die Augen fixierten den Boden unter sich – ob er auf dem kurzen Weg noch Mut finden würde? Er war nun in Reichweite, würde er seinen Blick heben, erhielte er Antwort. Antwort auf eine Frage, die zu weiteren Entscheidungen führte. Entscheidungen, die er nie hatte treffen wollen – ganz gleich in welchem Szenario. Noch immer lauschte er nur den Lauten der Geräte. Noch immer wusste er nicht, ob er den Patienten überhaupt kannte, oder erkennen würde. Doch an die Möglichkeit, dass er jemanden aufgrund der Verletzungen nicht erkennen könnte, wollte er nicht denken.

Er setzt sich ein Limit. Er konnte hier nicht Ewigkeiten rumstehen und auf wer weiß was warten. Rin wartete. Kakashi und Obito brauchten ihren Sensei. Und angsterfüllt Däumchen zu drehen und zu warten, was passiert – das war nicht er. Und das war auch nicht seine Aufgabe. Innerlich zählte er seinen Countdown an.
 

Eins.
 

Zwei.
 

Drei.
 

Als er langsam aufsah, traf es ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Seine Eingeweide verkrampften sich schmerzhaft, seine Lunge versagte für einen Moment ihren Dienst und sein Herz wurde auf Eis gelegt. Er konnte nicht handeln, sich nicht bewegen und selbst seine Gedanken verwehrten sich ihm. Er befand sich in Schockstarre,

Wie konnte so etwas… ? Was um Himmels Willen war passiert? Er hatte Kakashi sofort erkannt. Ohne dessen Maske fixiert an einem Beatmungsgerät. Der Junge, der Obito auf Trab hielt. Der Junge, den Rin liebte. Der Junge, der so unnahbar wirkte. Der Junge, der damals als schwierig eingestuft wurde. Der Junge, den er gut im Auge behalten sollte – nur leider in anderer Hinsicht. Wie konnte das passieren? Was war passiert? Was um Himmels Willen mussten seine Schüler konfrontieren, dass…? ...Wer hatte ihnen das angetan? Obito und Kakashi waren Jugendliche, wirkten weder gefährlich, noch waren sie in den umliegenden Gemeinden bekannt. Keiner würde ihnen deren Fähigkeiten einfach so ansehen. Und keiner der beiden würde sein Chakra und sein Gelerntes so offen zur Schau stellen, dass es einen Angriff provozieren würde. War es wegen der Stirnbänder, die sie in gewisser Weise als Feind markierten? Oder war es der wahllose Krieg gegen die Dörfer? Welcher Gefahr hatte Minato seine Schüler so bereitwillig überlassen?

Je mehr er an Kakashis blassem Gesicht versuchte abzulesen, was geschehen war, desto unfähiger und schwächer fühlte er sich. Verantwortungslos und dumm. Er hatte das Ergebnis seiner Fahrlässigkeit vor sich. Sein Vertrauen in den Hatake war zu groß gewesen, nein, es war überheblich und töricht. Er selbst hatte nicht einmal gewusst, wie stark die Angreifer waren. Und nun wurde ihm das grauenvolle Resultat unter die Nase gerieben - im makabersten Sinne auf einem weißen Laken vorgelegt. Kakashi… Namikaze wagte nicht, etwas zu sagen. Wagte nicht, um Verzeihung zu bitten. Er wollte nicht gehen, aber er musste. Er musste Obito sehen – sonst könnte seine Angst nicht ruhen. Er musste wissen, wie es seinem Schüler ging.

“Kakashi… ich…”, Minato biss sich auf die Lippe, überlegte, was er seinem Schüler sagen könnte. Stillschweigend konnte er nicht gehen, auch wenn ihm die Sprache fehlte – und ebenso der Mut dazu.

“Ich komme bald wieder, mach also bitte keinen Mist. Hörst du?”
 

Es war ein Alptraum, ein schreckliches und äußerst grausames Trauerspiel, mit piepsenden Beifall und lebenserzwingenden Gerätschaften. Kakashi Hatake wurde maschinell zum Leben gezwungen. Minato unterdrückte seine Übelkeit. Ohne ein weiteres Wort zu sagen verließ er den Raum. Er hatte gesagt, was er in einer solchen Lage sagen konnte. Das hier sollte zumindest kein Abschied sein.
 

Doch eine Sache hatte sich in seinem Hinterkopf festgebissen. Shuichi meinte, es hätte nur einen der beiden sehr schwer getroffen. Aber... Wie hatte Obito das geschafft?

Es war kein böser Gedanke gegen Obito. Denn der war vieles, nur nicht schwach. Ebenso honorierte und schätzte Minato Namikaze Obitos Fähigkeiten sehr und vor allem dessen Fortschritte, aber … aber wie um alles in der Welt hatte Obito es geschafft fast unverwundet zu entkommen? Dazu hatte er wahrscheinlich noch Kakashi im Schlepptau, was eine noch größere Last darstellen musste und es dessen Konzentration gewiss nicht einfacher gemacht hatte. Und Obitos Konzentration… nun denn.

Also, wie um alles in der Welt war dies alles von Statten gegangen?

Im Prinzip war es egal, denn jetzt war es zu spät, um etwas zu ändern. Und an Obitos Zustand – sofern er den wirklich nicht allzu gravierend sei – wollte er garantiert nichts ändern. Den Uchiha würde er hoffentlich gleich sehen. Konoha’s Gelber Blitz hoffte inständig, dass es Obito um ein vielfaches besser ging. Zwar hieß es, es hätte nur einen 'schlimm' erwischt, doch so, wie er Kakashi vorgefunden hatte, war nicht nur als schlimm zu bezeichnen. Mit so etwas hätte er im Leben nicht gerechnet.
 

Vor der Tür wurde er bereits von dem angehenden Mediziner erwartet, welcher ihn mit gesenkter Stimme behutsam über den jetzigen Stand der Dinge genau aufklärte.
 

Namikaze rang mit der Fassung. Er musste sich jetzt zusammenreißen! Er konnte sich jetzt nicht so gehen lassen. Er durfte nicht so nervös aussehen. Wenigstens nicht vor Obito. Wenigstens für ihn musste er sich zusammennehmen. Würde er völlig aufgelöst bei seinem Schützling erscheinen, hätte das alles andere als Vorteile. Obwohl Minato anzweifelte, dass es in dieser Lage generell irgendwo einen Vorteil zu finden gab. Der junge Sensei konnte und wollte sich gar nicht vorstellen, was gerade in Obito vorgehen musste. Es war nun an ihm seinen drei ‘Kleinen’ Halt zu geben. Es war nicht nur sein Job, es war auch sein eigener, freier Wille – ihm lagen Kakashi, Obito und Rin viel zu sehr am Herzen, als dass er sich jetzt hängen lassen würde. Mehr konnte er vorerst leider nicht ausrichten.
 

Und wieder dieser endlos lange, sterile Gang. Wie verzweigt war dieses verdammte Gebäude? Sollte das ein Scherz sein? Minato wäre es an sich egal gewesen, da er in Gedanken gewiss an anderen Orten, anderen Baustellen, anderen Problemen nagte. Jedoch wurde er jedes Mal beim Auftauchen irgendeiner Person nahezu umgerannt. Für gewöhnlich waren sie alle uniformiert und hatten neben Hektik und Nervosität nichts weiter als Eile im Blick und Panik im Gesicht geschrieben. Nicht die Art Panik vor Schrecklichen, Ungetümen. Nein, es war viel mehr diese Art von Panik, die er schon des Öfteren bei seinem jungen Uchiha mitbekommen hatte. Wenn es darum ging sich zu beeilen, nicht zu spät zu kommen. Wenn man es in der Zeit schaffen musste.

Diese stürmischen, abgehetzten Arbeiter trugen nicht positive zu seinem Gemütszustand bei. Es ließ ihn gewiss nicht zu seiner inneren Ruhe zurück, die er sonst so eisern bewahrte.

Er bemerkte nur unbewusst, dass sie bereits die Station gewechselt hatten, an ein paar nummerierten Zimmern passierten.

Und dann waren sie da.
 

"Er ist diesem Raum.”, mit einer leichten Kopfbewegung deutete Shuichi die auf die Tür am Ende des Ganges und hielt inne. Er hatte nicht vor Minato zu begleiten – er würde sich in diesem Moment ohnehin nur fehl am Platz fühlen. Wie betäubt schritt der Blonde auf das Zimmer zu, öffnete die Tür behutsam, jedoch ohne zu zögern. Schlimmer als Kakashi hätte es den Uchiha wohl kaum treffen können. Wenn es denn überhaupt zu übertreffen war.
 

"Obito."
 

Er lauschte ein Geräusch doch beachtete es nicht. Es konnte nicht wichtig sein. Nichts war jetzt wichtig. Nur Kakashi. Und dessen Leben. Dann hörte er seinen Namen. Weit, weit entfernt.
 

"Obito."
 

Er spürte, dass man sich ihm näherte. Etwas warmes. Es gefiel ihm. Es war etwas Vertrautes.
 

"Obito."
 

Eine beruhigende Stimme. Und vor allem irgendwie bekannt. Nur wollte sein Kopf nicht eins zum anderen fügen. Seine Gedanken weigerten sich, sich zu verspinnen. Es sollte leer bleiben, es sollte einfach sein.

Zwei Arme legten sich um seine Schultern, umschlossen ihn. Sanft wurde er an den warmen Körper gezogen und an ihn gedrückt. Wärme, Vertrautheit, Geborgenheit. Und auch Sicherheit. Mit einem Mal fiel all die Angst und Anspannung von ihm ab. Der Wall, der sich um seine Brust gelegt und zugeschnürt hatte fiel in sich zusammen. Es nahm ihn den Druck und holte ihn aus seinem eigenen Gefängnis. Auch, wenn er wusste, dass es falsch war – er fühlte sich erleichtert. Für einen Moment war all dies vorbei. Für einen kurzen Augenblick war alles gut.
 

Ein Schluchzen. Und darauf folgte noch eines und noch viele weitere.
 

"Ist schon gut..." Er fuhr langsam Obitos Rücken auf und ab, versuchte vergeblich ihn zu beruhigen. Der Uchiha weinte. Ununterbrochen und ungehalten. Namikaze umschloss ihn fester, drückte ihn an sich und fuhr ihm durchs Haar. Er musste ihn doch irgendwie beruhigen, aber wusste nicht wie. Er hatte seinen Schüler noch nie zuvor so erlebt. Sagen konnte Minato allerdings nichts und das war ihm klar. Nichts, was Obitos Stimmung wirklich gehoben, oder ihn wenigstens ruhiger gestimmt hätte. Nein, der Uchiha war nicht dumm und der Schock bereits tief in seine Knochen gefressen. Minato wusste, warum er Obito so vorfand und er wusste auch, woher die Tränen rührten.
 

Der Schüler krallte sich mehr und mehr haltsuchend an seinen Sensei, dachte nicht daran zu verbergen wie es ihm erging. Ein Schluchzer nach dem anderen verließ dessen Kehle, die Finger verschwanden tiefer und tiefer in dem dunklen Stoff der Kleidung seines Lehrmeisters, seine Körperhaltung sackte immer mehr zusammen.

"I- i- …ich ...ich wollte das alles nicht, Sensei! Es... es... es tut mir so leid!" Seine Stimme war aufgeregt, fast panisch und doch klang sie erstickt. Erdrückt von dem Druck und dem Leid, dass sich auf Obitos Brust niederließ. Jedoch… Minato verstand nicht, was Obito da gerade von sich gab. Was wollte er nicht? Was tat ihm leid? Wenn Kushina doch nur hier wäre, sie wusste bestimmt tausend mal besser wie man mit solchen Sachen umging. Sie hatte das weibliche Feingefühl dafür.

"Obito", er strich ihm erneut beruhigend dessen Rücken entlang, "wovon redest du?"

Er erhoffte sich mit dieser Frage vergebens, dass Obito ihm erzählte, was genau passiert war. Aber er wusste selbst bereits im Voraus, dass er darauf lange warten konnte. An dessen Stelle, würde er wahrscheinlich keinen Ton herausbringen. Nicht jetzt. Nicht in diesem Raum und nicht in diesem Umfeld.

"Es ist... alles...”, Obito schniefte, schnappte abermals nach Luft und dennoch verschwand dieser Felsbrocken in seiner Kehle einfach nicht. Stockend und auch nur leise mit vielen Schluchzern kam eine Antwort, die Minato Namikaze nur mit Mühen erfassen konnte.

“Es ist meine Schuld, Sensei."

Und Minato verstand sie nicht.
 

Dort standen sie nun. Mitten im Raum. Vor Shuichi, dessen dunkle Miene Bände sprach. Bände über Romane, die sein großer Bruder hatte nie lesen wollen. Und alles was dieser herausbrachte war "Ganz offensichtlich braucht ihr so was wie 'ne  Unterkunft.". Es klang abgeklärt, endgültig und irgendetwas schwang in diesen Worten, dass Ren in Angst versetzte. Das sollte doch nicht etwa bedeuten...?!

Rin verstand dessen Worte nicht, Ren hingegen sah seinen Bruder wie einen Wahnwitzigen an, bevor er an ihm vorbei rennen und sich mit seinen eigenen Augen von jenem versichern wollte. Erlaubt oder unerlaubt war egal. In diesem Moment sah er jedoch bereits Namikaze, der mit langsamen Schritten wiederkam. Und....
 

"Obito!"
 

“Was ist passiert? Geht es dir gut? Geht es euch gut? Wo ist Kakashi? Ist mit ihm alles in Ordnung? Wart ihr unvorsichtig? Ist euch etwas zugestoßen? Obito? Bitte, sag doch etwas! Obito!” Rin hatte ihn sanft an den Schultern berührt, ihren Blick intensiv auf ihn gerichtet. Ihr Augen hatten mit sich Tränen gefüllt, ihre Stimme war flehend und erstickt.

Aus ihr sprach die Angst. Die Situation hatte ihr unsägliche Angst bereitet. Ihren Kameraden so zu sehen, hatte sie schier in Panik versetzt. Sie war doch schon immer sehr besorgt um ihre Mitstreiter gewesen.

Namikaze konnte sich vorstellen, dass auch sie durch die Hölle ging. Als sie ihre Kameraden nicht wieder sah. Als sie ein Krankenhaus betraten, um sie zu suchen. Als er mit Shuichi leise und ohne weitere Ausschweifungen im Flur verschwand. Er hatte sie in Angst und fürchterlicher Sorge zurückgelassen. Und jetzt Obito so zu sehen… Es musste ihr einen eiskalten Stoß ins Herz gejagt haben. Und wahrscheinlich noch viel mehr Kakashi nicht zu sehen. Namikaze wusste nicht, wie er ihr das hätte erklären sollen... Ob sie es sich denken konnte? Ob sie es aus Obito herauslesen konnte? Immerhin stand dieser Anblick nicht an dessen Tagesordnung. Immerhin sah sie nicht seine Heiterkeit. Die Freude und den Stolz, den er sonst so frohen Gemüts ausstrahlte.

„Rin, es wäre vielleicht besser, wenn wir das später besprechen, in Ordnung?“, Minato hatte wieder dieses sanftmütige Lächeln aufgesetzt, aber vormachen konnte er seiner Schülerin dennoch nichts –nein, es machte das ganze sogar noch schlimmer.

„Oh nein”, ihr wich das letzte bisschen Farbe aus dem sonst so lebhaften Zügen. Warum wich Minato ihrer Frage aus? „Will denn keiner... was ist denn passiert? Und wo ist Kakashi-kun?" Sie verstand und verstand es einfach nicht. Ihre Stimme wurde leise und zittrig, ihre Augen blieben an Obito hängen, doch dieser erwiderte ihren Blick nicht. Er wirkte abwesend, als wäre er nicht der Kamerad, den sie kannte. „Obito?”

Man konnte auf Rens Antlitz eindeutig den Geduldsfaden sehen, der seinem Ende gemächlich entgegen kam. Schon immer war der Jugendliche der Ansicht gewesen, dass ständiges Nachfragen mehr Schaden, als Nutzen brachte. Und vor allem fraß es sich durch seine Geduld. Der Frieden eines jeden Einzelnen sollte bewahrt bleiben. Und Frieden war etwas, das Obito in den letzten vierundzwanzig Stunden gewiss nicht hatte. Ren wusste zwar nicht, was genau los war, aber die Art und Weise, wie Minato hier mit Obito ankam, sprach in vielerlei Hinsicht für sich.
 

„Sensei! Nun sagen Sie schon,.. wo ist Kakashi?”, sie zitterte, führte ihre Hände vor der Brust zusammen. Wenn sie ihre Finger nur stark genug umklammern würde, dann hielten ihre Hände vielleicht still? Vielleicht konnte sie das Beben irgendwie… festhalten? „Es… es geht ihm doch bestimmt gut, nicht wahr? Er wird gleich nachkommen, oder? Wir… wir müssen nur noch ein paar Minuten warten, oder Sensei?”. Ihre Stimme wurde schwach, ein ängstliches Flüstern das mit jedem weiteren Wort mehr ihrem Flehen Platz machte. Minato konnte die Tränen hören, die sie hinunter schluckte.
 

Mit jedem weiteren Wort, in welchem ein weiterer Teil Rins Hoffnung dahinglitt und leise starb, sah Obito zunehmend schlechter aus. Rins Flehen und Bitten waren wie Bombenangriffe auf Obitos Brust. Auf seinen Schultern. Und wer wusste schon, ob der nächste Sprengsatz ihm nicht den Boden unter den Füßen entzerrte? Und das war der Moment, in dem Ren eine Entscheidung traf. Zu viel. Jetzt wurde es ihm zu viel. Das Mädchen war entweder dumm wie ein Meter Feldweg, oder wollte es auf Biegen und Brechen nicht verstehen. Es ging allmählich zu weit und auch, wenn er nicht wusste warum, so wurde sein Beschützerinstinkt geweckt. Was war es, dass Rin so… dämlich agierte? Ignoranz? Blindheit? Himmel, Obito stand direkt vor ihr. Wieso... wieso hörte sie denn nicht endlich auf zu sprechen?

„Rin, halt doch endlich deinen Mund! Merkst du es denn nicht? Bist du denn blind? Sei still, es wird zu viel. Es ist ganz offensichtlich etwas passiert – belasse es dabei. Nur für einen Moment.“ Seine Stimme war ruhig, monoton, aber seltsam bestimmend und allen voran bissig. Er hatte diese Autorität, die sie bei noch keinem Gleichaltrigen gesehen hatte – oder vielleicht bei Kakashi? Zumindest spürte sie diese Dominanz, die sie an Kakashi erinnerte. Die konzentrierten Seelenspiegel, die so viel Strenge und diese ganz gewisse Kälte ausstrahlten.

„A-“

„Mach doch die Augen auf. Kakashi geht es ganz offensichtlich nicht gut, sonst wäre er hier bei uns! Und wenn es absolut schief gelaufen ist, ist er vielleicht sogar…“, Ren hielt inne, wandte seinen Blick nicht von Rin, bemerkte jedoch das deutliche Zucken, dass auch Obito wie eine Donnerwelle durchfuhr. Er konnte nicht fortfahren. Er hatte… was tat er hier? Er hatte sich für einen Moment verloren und der Reaktion Obitos zufolge auch noch relativ ins Schwarze getroffen. Und Rin verstand. Ihre Wangen bleich und die Lippen blutleer – jedoch geschlossen. Sie verstand. Und er auch – er hatte einen Fehler gemacht. Ren war geschockt von sich selbst. So war er noch nie aus der Haut gefahren. Sonst… sonst hatte er sich doch auch besser unter Kontrolle. Die Kunoichi war doch nur besorgt gewesen, nein, wahrscheinlich war es viel schlimmer. Seine Eingeweide verkrampften sich. Kein Besorgnis. Pure Angst, die sich in ihrer aller Knochen gefressen hatte – auch in die seinen. Und eigentlich kannte er sie doch gar nicht wirklich. Die Stille, die nun der im Raum stehenden Panik einen sanften Mantel umlegte und die Aufmerksamkeit aller berührte, fühlte sich nicht gut an. Die Wut und der Frust waren weg. Weggefegt von dem Schluchzen, das Rins Kehle so plötzlich und ungehalten entrann. Sie konnte es nicht aufhalten, ebenso wenig wie die Tränen, die nun über ihre Wangen rollten. Wie in einem Wettrennen folgte ungehalten eine der anderen.
 

Minato und Obito sahen den Dunkelhaarigen geschockt an, wussten nicht so recht, was sie sagen sollten. Mit so etwas hatten sie nicht gerechnet. Mit so vielem hatten sie nicht gerechnet. Bedrückt wanderte Minatos Blick zu Rin und er spürte, wie bedrängt er sich fühlte. Wie ein kleines Kind stand er hilflos da, wissend, dass er ihr helfen musste, für sie da sein musste und dennoch: Wie bereits zuvor wusste er nicht wie. Sein Brustkorb fühlte sich so an, als zerspränge er jeden Augenblick. Mit jedem Schluchzen tickte der Countdown der Bombe weiter herab. Verdammt, er musste diese Drei von dem Minenfeld, auf dem sie fröhlich wanderten, wegbringen. Also ergriff er das Wort, bevor es jemand anderes tat. Bevor sie eine weitere Mine entdecken und zünden konnten. Bevor ihm noch einmal die Kontrolle aus der Hand rutsche wie ein Stück feuchte Seife. Mitfühlend legte er Rin seine Hand auf die Schulter und wartete kurz, nur um ganz sicher zu sein, dass seine Schülerin ihn wahrgenommen hatte. Dann begann er zu erklären.

„Shuichi und ich haben bereits alles besprochen. Obito und Rin“, er sah die beiden eindringlich an und hielt erneut einen Moment inne, als suche er eine Bestätigung, dass sie seine Worte verfolgt hatten. Es war abgeschlossen. Diese Sache hier im Krankenhaus war für Rin und Obito vorbei. Jetzt würde es weitergehen.

„Ihr werdet mit mir morgen wieder zurück nach Konoha gehen und-“, Obitos Japsen stoppte ihn. Natürlich hatte Minato es sich nicht einfach vorgestellt. Und natürlich rechnete er fest mit den Widerworten. Aber er wollte, dass es für einen kleinen Augenblick einfach klang. Also musste er jetzt ruhig bleiben. Auf Widerrede war er gefasst, aber Minato konnte sich nicht ausmalen, wie diese aussehen würde. Er hatte sein Team immerhin nie zuvor in einer solchen Situation erleben müssen und das auch nie gewollt.

„Und... und“, Obito wollte und konnte es nicht aussprechen, hatte das letzte Bisschen Luft seine Lungen verlassen und seinen Mund dabei auch noch trocken gelegt. Die Säure, die ihm so bitter aufstieß und der Würgereiz, den er krampfhaft zu unterdrücken versuchte, machten es ihm nicht leichter zu sprechen. Er wollte hier nicht weg. Weg von.. von… Und dann hörte er bereits erneut die ruhige Stimme seines Senseis, die ihm jeglichen Protest verwehren wollte.

„Sobald wir in Konoha angekommen sind, werde ich dem Hokage Bericht erstatten und dann selbst, oder ein anderer Jo-Nin, hierher zurückkehren. Vielleicht wird das sogar die ANBU-Einheit übernehmen. Immerhin wissen wir nicht, ob -“

„A- aber“, auch Rin versuchte etwas zu sagen, wischte sich mit dem Handrücken die immer wieder von Neuem kommenden Tränen weg und ging nicht weiter darauf ein, dass sie ihren Sensei entgegen ihrer Gewohnheit unterbrochen hatte. Bevor sie allerdings auch nur ein vernünftiges Wort formulieren konnte, spürte sie bereits, dass dieser Kampf für sie und Obito entschieden war.

Minato wusste nicht, was er ihr sagen sollte – da war nur dieser Moment, in dem er ihr geradlinig in die Augen blickte. Die Entscheidung war getroffen und er konnte, nein, wollte sich keine Erklärung vorstellen, die diesen Entschluss abwandeln konnte. Und wahrscheinlich merkte das auch seine Schülerin. Die liebe Rin, die immer für alle da sein wollte.
 

„Sensei Minato?“

„Obito, was ist?“

„Dürfte ich hier bleiben?“

„Aber, Obito...“

„Ich möchte gerne hier bleiben, Sensei.“ Minato schmunzelte, was den Dreien ganz und gar nicht entging. Er konnte für Rin keine Ausnahme machen, für Obito sollte er das auch nicht tun. Allerdings… die Erinnerung, wie er Obito vorgefunden hatte. Namikaze unterdrückte ein Seufzen. Was für eine äußert unerfreuliche Lage. Um die Situation mit den formalen Worten der Administration des Hokage auszudrücken.

Ren räusperte sich, jedoch mit Zurückhaltung. Und dennoch hatte er sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit aller.

„Wenn du wieder aufmüpfig werden willst, lass es.“ Schaltete sich nun auch Shuichi ein, hatte er bis jetzt aus gewisser Distanz nur zugesehen, mit dem Gedanken sich heraushalten zu müssen. Jenen Gedanken hatte nur leider sein kleiner Bruder nicht und ein weiteres solches Fiasko würde er dieses Mal im Keim ersticken.

„Nein, es ist etwas anderes.“

„Na dann, ich bin gespannt.“ Und das war die perfekte Definition von 'Warnung', die Ren ohne weitere Erklärung verstanden hatte.

„Ich bin auch dafür, dass Obito hierbleibt.“, Er hob die Hand, sah, dass Minato Einspruch erheben wollte, „Immerhin ist Obito ziemlich mitgenommen und scheinbar auch verletzt. Es wäre besser er schont sich noch etwas, oder nicht?“, hilfesuchend blickte er zu Shuichi, vernahm jedoch keinerlei Reaktion seines Bruders, „vielleicht auch aus moralischer Sicht...”. Seinen letzten Satz sagte er jedoch nur ganz leise und unsicher. Er wusste, welch Ironie es war, dass ausgerechnet er von Moral sprach. Jetzt.

„Moralische Gründe?“ Shuichi hob zweifelnd eine Augenbraue und es fiel ihm beachtlich schwer den Spott in seiner Stimme zu verstecken. Was wollte ihm dieses verzogene Kind über Moral erzählen? Ein Jugendlicher, der gerade eine Kunoichi fertig gemacht hatte, die im Moment nervlich nicht auf der Höhe war.

„Ich bin noch nicht fertig. Lass es mich erklären.“

> Das Kerlchen hat 'ne ganz schön große Klappe...<

„Kakashi lebt doch noch, nicht wahr? Sonst hätte einer von euch beiden bereits...“, er stockte, sah seinen Bruder und auch Minato unsicher an. Er wollte diesen kleinen Funken Hoffnung nicht aufgeben, mahnte sich jedoch mit einem leichten Kopfschütteln dazu auf, dass er sein gedankliches Skriptum jetzt nicht einfach unterbrechen sollte. „Ich fände es nicht gut, ihn hier zurückzulassen. Es fühlt sich irgendwie… nicht gut an. Würdest du das denn wollen in seiner Situation? Würde das irgendjemand von euch wollen? Und”, er zögerte erneut, wusste er, dass er in offenen Wunden bohrte, „sollte er - nehmen wir es einfach mal an - hier wirklich sterben... also, hm.. ich meine… ich wäre nicht gern allein. Und da Rin unverletzt ist, kann sie die Rückreise doch problemlos antreten. Aber Obito?“, Ren sah genannten abwartend an, hoffte von diesem selbst zu hören, dass die Reise, das Laufen, das Zelten und das stetige Risiko zu viel für ihn waren. Er suchte, nein, brauchte Obitos Bestätigung!
 

„Ach, und wo soll Obito dann bleiben?“

Der Dunkelhaarige seufzte genervt auf, packte den Uchiha am Ellbogen, zog ihn zu sich. Er hasste Diskussionen mit seinem Bruder.

„Er bleibt bei mir, beziehungsweise, er wohnt bei uns. So einfach ist das!“ Eins musste der Blonde schon zugeben, Ren hatte etwas sehr forderndes, aber auch überzeugendes in seiner Aussage. Was sollte er machen? Denn mit einem hatte Ren Recht: Obito wäre der Weg nach Hause mehr als wahrscheinlich zu anstrengend gewesen, immerhin war dieser nach wie vor am Bein verletzt und hatte einen Kampf hinter sich. Minato wusste noch immer nicht, was passiert war. Aber er wusste, welches Ausmaß es am Ende genommen hatte – er hatte es sehen können.
 


 

So betrachtet, blieb ihm praktisch gar keine andere Wahl. Er konnte nicht anders. Es hatte wohl so sein müssen. Und dennoch fühlte er sich noch immer nicht wohl dabei. Er wollte ein Auge auf Obito haben. Er wollte ihn um sich herum wissen. Aber ob Obito zur Zeit an seiner Seite gut aufgehoben war? Ob er garantieren konnte, dass es Obito etwas besser gehen würde? Wahrscheinlich nicht. Da machte er sich selbst etwas vor. Er war ihr Sensei, nicht ihr Aufpasser, Erzieher oder gar ihr Vater. Und selbst in einer dieser Positionen hätte er das unausweichliche nicht ausweichlich machen können. Und deshalb blieb es wahrscheinlich auch nur bei einem einzigen Weg und nicht einer Wahl.

Und wahrscheinlich war er obendrein einfach wieder nur zu gutmütig, oder ihn plagten noch immer sein schlechtes Gewissen und die etlichen Schuldgefühle, die er sich wegen den beiden Jungs machte. Mit Sicherheit waren es alle Aspekte gemeinsam.
 

Wahrscheinlich sollte er sich besser auf den Weg konzentrieren, anstatt das Endergebnis anzuvisieren. Aber diese Spekulationen waren alle nur wahrscheinlich...

Fakt war im Moment ein anderer. Kakashi an unzähligen Geräten - alleine schon diese Tatsache ließ ein wahrhaft ‘berauschendes’ Gefühl in ihm zurück.

Obito, der mit den Nerven einfach nur noch am Ende war und bei Nachfrage nicht einmal mehr von seiner Verletzung wusste.

Ein aufmüpfiger Ren, der etwas ziemlich Bestimmendes an sich hatte und anfing der Situation ein gewisses Eigenleben zu geben.

Und Rin.

Rin, die immer nur das Beste für alle wollte und dennoch die erste war, deren Tränen er nicht hatte halten können.

Oh ja, er war ein unbeschreiblicher Sensei. Unbeschreiblich schlecht und verantwortungslos.

Schlussendlich hatte er sich dazu entschieden, Ren Recht zu geben. Und da er Rin nicht einmal vor Rens rauen und groben Standpauke in Schutz genommen hatte und sie jetzt gerade im Moment auf den Weg zurück nach Konoha waren, fühlte sie sich selbstverständlich verraten, betrogen und einfach nur grauenhaft. Die Unsicherheit, die Rin auf jedem Schritt begleitete und die Panik, die ihr genüsslich den Rücken streichelte und ein seltsames Prickeln auf ihrer Haut hinterließ, konnte ihr keiner nehmen.
 

Sie waren mittlerweile schon ein paar Stunden mit beachtlichem Tempo unterwegs und es wunderte ihn, dass seine Schülerin noch keinen Ton von einer Pause hatte verlauten lassen. Er erinnerte sich nur zu gut an ihr gestriges erschöpftes Gesicht, als sie Rens Heimatdorf erreichten. Vielleicht hatte sie sich über Nacht ausgeruht und erholt – was er stark bezweifelte. Keiner von ihnen hatte gar ein Auge zugemacht. Und selbst wenn sie sich ausgeruht hatte, dann war dies dennoch etwas ungewöhnlich. Im Vergleich zu ihr hatten Kakashi und Obito zugegebenermaßen eine deutlich bessere körperliche Kondition, punktete Rin anstatt dessen mit ihren Fähigkeiten als angehender Iryō-Nin.
 

Er seufzte ergeben, schlug dann vor, eine Pause einzulegen, um sich etwas auszuruhen und neue Energie zu tanken. Er wollte zumindest einmal sein Team besser kennen. Das letzte Mal, als er sich darin geübt hatte, war nun schwarz auf weiß ein voller Misserfolg gewesen. Eine Tragödie, die einem seiner Schützlinge vielleicht das Leben kostete. Also würden sie jetzt eine Pause machen. Er konnte keinen weiteren erledigten Schüler auf seiner Rechnung gebrauchen.

Rens Mutter war überaus zuvorkommend gewesen, hatte einen Happen zu Essen zubereitet und ausreichend Wasser zur Verfügung gestellt. Obitos Schlafplatz war bereits fertig gewesen, nachdem Shuichi seine Familie vorgewarnt hatte (so habe nach Rens Aussagen sein Bruder deutlich mehr Einflussvermögen auf seine Mutter und die deutlich besseren Erklärungen. Wie sehr der Ältere dem ganzen Süßholzgeraspel des Jünglings Glauben schenkte konnte ihm Minato am Gesicht ablesen).

Eine sehr freundliche Familie, das musste Namikaze ihnen lassen. Ren war wahrscheinlich nur der Pubertät hilflos ausgeliefert und daher so launisch, um nicht zu sagen unvorhersehbar. Sie würden schon gut auf Obito aufpassen. Darauf musste Minato vertrauen, immerhin waren die Entscheidungen bereits getroffen worden.

„Sei so gut… und erkläre es mir noch einmal.” Es war eine kalte, kompromisslose Stimme und es handelte sich weder um eine Bitte, noch erforderte es weiteren Klärungsbedarfs.

Es ging um Zuspruch. Zuspruch der Schuld an dem, was passiert war. Der Hokage war außer sich. Minato Namikaze konnte erkennen, wie die Wut im Oberhaupt ihres Dorfes unterschwellig brodelte. Er konnte es hören. Wie sein leises und beherrschtes Raunen dem Wort ‘Selbstbeherrschung’ eine ganz neue Bedeutung verliehen.

„Hokage-sama, verstehen Sie-“

„Was soll ich verstehen, Minato?!” Degradierung.

„Soll ich verstehen, dass es nicht so ist, wie es sich anhört? Soll ich verstehen, wie ein Jo-Nin auf die Idee kam zwei Kinder einen für sie unmöglich Feind aufbürden konnte? Soll ich verstehen, wie es zu diesem Vertrauensbruch kam?” Vertrauensbruch. In verschiedenen Schichten. Genau das war es und genau das ließ Minato keinen Augenblick ruhen. Ihm wurde einst Vertrauen geschenkt. Als man ihn zum Jo-Nin qualifizierte. Als man ihm Missionen auferlegte. Als man ihm Schüler zuteilte. Als man ihm und seinen Schülern Missionen anvertraute, um das Dorf zu repräsentieren. Weil er es konnte. Weil er gut war. Weil er das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wurde, nicht missbraucht hatte.

Seine Schüler vertrauten ihm. Rin hatte ihm vertraut. Obito hatte ihm vertraut. Kakashi... ob er ihm vertraut hatte? Oder war es nur die Obligation seinen Forderungen Folge zu leisten?

Was es auch war – er hatte versagt. Er hatte das Vertrauen, das ihm mit Anerkennung geschenkt wurde, ohne mit der Wimper zu zucken bis aufs letzte Korn weggefegt.

„Ich hatte dich ausdrücklich gewarnt.”

„Hokage-sama, ich-“

„Genau du, Minato Namikaze, warst meine Wahl für Kakashi Hatake. Wir hatten das ausführlich besprochen. Ich hatte dich gewarnt.” Also war nun Kakashi, das Problemkind, der Grundstein seines Zorns? Minato wusste nicht, was er sagen sollte.

Er hatte einen Fehler gemacht – einen grundlegenden Fehler. Man könnte meinen, sein Basiswissen wäre irgendwo auf den Weg flöten gegangen. Irgendwo zwischen sinnlosen Geplänkel und fliegenden Kunais war wohl sein fundamentales Grundwissen Hand in Hand mit seinem Verantwortungsbewusstsein über Board gegangen.
 

Unterschätze niemals deinen Feind.
 

Und ja, der Hokage hatte ihn gewarnt.

Vor Jahren.

Vor dem frühreifen Kakashi Hatake, der gerne eine Spur zu rau war. Hochintelligent. Hochbegabt. Gefährlich.

Man hatte ihm das nötige Vertrauen geschenkt, um damit umzugehen. Und Minato hatte es in irgendeinem Moment der Eile oder gar Nachsicht – und ohne es wirklich zu merken – an Obito abgegeben. Ohne auch nur einen Bruchteil von einer Sekunde darüber nachzudenken.

Aber darum ging es nicht. Diese Geschichte alterte bereits Jahre vor sich hin. Kakashi das Problemkind. Das tat jetzt nichts zur Sache. Nicht in dieser Hinsicht. Nicht in diesem Moment.

Kakashi war nicht das Problem. Er war der, der es jetzt hatte. Kakashi musste fremde Fehler ausbaden. Und das konnte Namikaze selbst mit größter Willenskraft nicht ändern. Wenn er es doch nur könnte… aber das Einzige, das ihm jetzt noch blieb, war die Dinge richtig zu stellen und zu versuchen seinen Schülern jetzt zu helfen.

„Hokage-sama, bei allem Respekt, aber es liegt gewiss nicht an Kakashi. Alles, was passiert ist, habe ich zu verantworten.”

„Das ist mir klar. Da du nicht auf Warnungen hören kannst. Hat dir das Jiraiya beigebracht?”

„Die Situation hat es so verlangt.”

„Die Situation hat verlangt zwei Kinder in den sicheren Tod zu schicken? Vielleicht liegt es ja wirklich nicht an Kakashi Hatake. Vielleicht leben die beiden ja nur dank ihm noch.” Kein Zuspruch. Eine Drohung.

„Kakashi Hatake und Obito Uchiha sind exzellente Nin-ja und äußerst talentiert. Ich bin ihr Lehrmeister und ich kenne ihre Fähigkeiten. Ich habe als Sensei mehr als offensichtlich unter Beweis gestellt, dass ich Basisregeln missachtet und meine Schüler in Gefahr gebracht habe. Dafür übernehme ich die Schuld und mir ihr die Verantwortung. Aber weder ist Obito Uchiha unfähig ohne Kakashi zu überleben, noch ist Kakashi eine Gefahr für die Allgemeinheit oder erfordert gar stetiger Kontrolle. Die Verantwortung liegt bei mir.”

„Ich habe mehr von dir erwartet.”

Nicht nur Sie, schlich es sich auf leisen Sohlen durch Minatos Gedanken.

Das regelrecht Schlimmste an seiner Rechtfertigung war sein Mangel an Wissen. Er konnte dem Hokage weder den Feind, noch ein anständiges Profil des selbigen präsentieren. Er wusste nicht, wer Kakashi und Obito konfrontiert hatte und er wusste noch viel weniger, wie sie sich in diese Ausgangssituation hinein-manövriert hatten. Und wie er sie da vor allem wieder heraus-manövrieren konnte.
 

Und nun stand er hier und versuchte das zu retten, was zu retten war. Die Unschuld seiner Schüler. Nur bedauerlicherweise sahen die Administration des Hokage, der Hokage und die Berater des Hokage die Situation ziemlich verquer. Was für ein Krisenkomitee. Er hätte sich ein Gespräch unter vier Augen gewünscht. Vielleicht noch mit seinem ehrenwerten Sensei, weil er es sich verdient hatte. Weil er Beurteilung, Strafe, Pein und Scham mehr als verdient hatte. Weil der Satz Das habe ich dir nicht beigebracht seinem Unwohlsein auf groteske Art und Weise wohl getan hätte.

„Gibt es einen angemessenen Grund für den Aufenthalt Obito Uchihas in einem fremden Dorf?”

„Wie beispielsweise eine Geiselnahme?”, Minato hatte seinen Blick auf die schlanke Frau gerichtet, als sie ihre Brille zurechtrückte und sich mit administrativ-akribisch kalter Stimme an ihn wandte. Immer diese diplomatischen Fehlinterpretationen dieser Büroschlangen. Wieso suchte sie so zwingend eine weitere Bombe, die sie zünden konnte?! Ein Schwall von Zorn und Unglauben stieg in ihm auf und warf einen Teil seiner bisher angehaltenen, devoten Selbstbeherrschung rücklings über die Klippen.

„Wie zum Beispiel einer Geiselnahme?” Spott und Fassungslosigkeit schwangen in Minatos Stimme als er Gesagtes noch einmal mit mehr Nachdruck wiederholte. Der gelbe Blitz konnte nicht glauben, wie weit diese Gehirngespinste noch reichen sollten, aber er wollte der Dame dabei nur zu gerne helfen. Die Verstrickungen, die das eigentliche Geschehen bereits mit sich trugen, waren allem Anschein nach noch nicht ausreichend für so manch Anwesenden. Gut, wenn sie es so wollte dann nur zu.

„Um nicht gleich auch noch diese alte Uchiha-Geschichte wieder aufleben zu lassen! Damit sich dieses unscheinbare, kleine Dorf - das uns natürlich nur zum Schein seine Hilfe so offenherzig gewährte - für einen Krieg gegen Konoha aufrüsten kann? Um sich des Sharin-Gans zu bemächtigen und zu spekulieren, inwiefern Kakashi Hatake noch nützlich ist? Um-“
 

„Es reicht, Minato.” Selbst der Hokage wirkte erregt. „Keine weiteren Fragen, Akiko. Es sei denn, ich gestatte es. Wir haben hier alles geklärt.”

Und jetzt realisierte es auch Minato. Es waren nicht nur seine eigenen Nerven, die blank lagen. Seine Geduld und Gutmütigkeit, die unter dem Stress wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen waren. Auch der Hokage kroch nervlich auf allen Vieren. Es war nicht nur wegen seines Fehlverhaltens. Der Hokage mochte seine Schüler. Er hatte mehr Zeit als gewöhnlich mit seinem Team verbracht. Auch wenn die Begründungen hierfür nicht selten mit dem Namen Obito Uchiha anfingen. Der Hokage war wütend. Aber auch besorgt. Und er selbst war es auch.

Minato holte tief Luft, ließ den Sauerstoff seine Lungen langsam füllen. Vielleicht könnte er die Wut und Frustration in seinem Körper binden und Stück für Stück aus seinem Körper herauslassen. So ganz einfach.

Geräuschvoll atmete er aus und zählte innerlich bis drei. Es war nicht einfach. Dann erhob er die Stimme.

„Hokage-sama,” ruhig, entspannt. Wie man es von ihm kannte. „Ich werde in ein paar Stunden erneut aufbrechen.” Er sah das Oberhaupt entschlossen an. Er würde das irgendwie wieder hinbiegen. Es war sein Team und alle drei lagen sie ihm am Herzen.

„Nein, das möchte ich nicht. Geh nach Hause, ruh’ dich aus.” Er stockte kurz. Ruhe?! Wie sollte er unter diesen Umständen Ruhe finden können? Sein Schüler könnte sterben, Obito wäre vielleicht nie wieder der selbe und wie sollte er Rin unter die Augen treten, wenn er jetzt nach Hause gehen und sich auf die Couch legen würde? Seine Lippen öffneten sich, doch er war zu langsam.

„Ich möchte, dass du in Begleitung aufbrichst. Morgen, noch vor Sonnenaufgang.”

„Begleitung? Eine ANBU-Einheit?”

„Nein. Die ANBU sind nicht deine Sorge.” Maßregelung. Natürlich – dieses Spiel war noch nicht vorbei und seine Sanktion stand noch aus. „Tsunade wird dich begleiten.”

Stille. Abschluss. Das war das letzte Wort, das Sarutobi über diese Angelegenheit verlieren wollte. Das war das letzte Wort, dass sich Minato aus dem Mund des Hokage hätte vorstellen können. Keine ANBU, nein, gleich eine San-Nin?! Ging es darum, Defizite auszugleichen, die Jiraiya bei seiner Ausbildung geflissentlich ignoriert hatte? Wollte der Hokage, dass die nächste Mission ohne einen Kratzer beendigt wurde? Und überhaupt! Wenn es in dem kleinen Dorf nicht irgendein nennenswertes Casino gab bezweifelte Minato, dass diese Frau auch nur einen Finger krümmen würde. Da musste er mehr auf Tsunade aufpassen, als Tsunade auf ihn – falls dies denn Sinn der Sache war.

Sarutobi bemerkte Namikazes Skepsis und wollte genervt aufstöhnen, da vernahm er Akikos Stimme. „Hokage-sama.”, Sie bat um sein Gehör. Sarutobi und Minato blickten sie an – es gab keine Kriegstheorien, die sie noch hätte verfolgen können – oder nicht? Das war seltsam, immerhin gab es ebenso wenig zu kritisieren und Tsunade schuldete dem ehrenwerten Hokage ihre Ausbildung, da konnte er ihr wohl eine schlichte Mission auftragen.

„Was gibt es?”

„Tsunade-sama hat vor circa zwei Stunden das Dorf verlassen.” Sie folgte der obersten Regel. Wenn der Hokage nachfragen muss, hast du deinen Job nicht gut gemacht. „Es ist nicht bekannt, wohin sie gegangen ist und für wann sie ihre Rückkehr geplant hat.”

Und jetzt konnte er das genervte Stöhnen wirklich nicht mehr unterdrücken. Diese Kinder..!

„Minato. Bis auf Weiteres sind wir hier fertig. Keine unnötigen Handlungen und vor allem keine, von denen ich nicht detailliert Bescheid weiß. Das weitere Vorgehen wird dir übermittelt werden. Geh jetzt.“
 

--- Am Abend ---
 

„So, dann wäre das auch geschafft”, raunte er erschöpft, als er das letzte Möbelstück in die angestrebte Position brachte.

Sein Zimmer war klein, aber fein. Er hatte nichts zu bemängeln gehabt und sich ebenso immer wohl gefühlt. Aber jetzt, da sie zwei Futons in dem kleinen Raum unterbringen mussten, wurde er sich der wahren Größe seiner vier Wände erst wirklich bewusst.

Sein Gast stand indes nur in der Tür und kam sich etwas hilflos vor. Es fühlte sich falsch an, in fremden Häusern ungefragt die Einrichtung zu bewegen. Und Ren sah so animiert aus. So, als hätte er einen Plan.

Einen Plan.

Den hatte er nämlich nicht. Weder von diesem Raum, noch von diesem Haus, dieser Stadt, der Situation und erst recht nicht für den nächsten Morgen. Nicht einmal für die nächste Stunde. Was sollte er denn machen? Wie sollte es denn nun weitergehen? Einen Plan für … was? Was bestimmte seinen Plan? Durfte er denn überhaupt planen? War das gerecht? Immerhin konnte Kakashi…

Kakashi.

Er wollte gar nicht daran denken. Aber es zu ignorieren wäre auch falsch. Alles fühlte sich so falsch an. Es war nicht recht. Und schon gleich gar nicht wie es sein sollte. Und da war dieser immense Druck auf seiner Brust, der so auf seiner Haut kribbelte und bis an sein Innerstes hinunterkroch. Er spürte ihn überall.

Er vernahm ein Klopfen. Ren. Ren, der die Kissen aufklopfte. Der sich gerade so viel Mühe gab. Dessen trauriger Ausdruck von seinen animierten Taten nicht verleumdet werden konnte. Und trotz allem gab er sich so viel Mühe. Ob er bereits vorher so war? Seit dem Tag, an dem ihre Mission begann? Ob Kakashi das gemerkt hatte? Wäre es anders gekommen, wenn Obito nicht so angefressen gewesen wäre? So…eifersüchtig? Wegen eines Jungen seines Alters, der ihn vor dessen eigenen Bruder und seinem Sensei in Schutz genommen hatte? (Auch wenn seine Methode fragwürdig gewesen war)

Wenn er sich nicht so sehr an Ren gestört hätte, wäre Kakashi dann - „Obito!” Angesprochener zuckte merklich zusammen, blickte auf. Rens Stimme war forsch gewesen. Sie hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen und ihn in die Gegenwart zurückgeholt. Dabei sah Ren ihn gar nicht an. Obito sah nur, dass er mit dem Rücken zu ihm auf einem der Futons kniete. Mit einem Kissen in der Hand.

„Wenn du …”, Ren seufzte. Ob das die richtigen Worte waren? Jetzt? Aber auf der anderen Seite.. er hatte bereits angefangen. „Selbst wenn du jetzt noch weiter ziellos in die Gegend starrst und dich innerlich zermürbst… besser wird es Kakashi davon auch nicht gehen.”
 

Dann sag du mir doch was ich tun soll.
 

Obito biss sich auf die Lippen. Diesen Gedanken wollte er auf keinen Fall aussprechen. So etwas wollte er eigentlich nicht einmal denken. Das war nicht er. Er war nur so... hilflos. So ausgeliefert. Und eigentlich sollte er doch froh sein, dass er so glimpflich davon gekommen war, oder nicht? Er sollte sich doch freuen, dass er es mal wieder gerade so geschafft hatte. Aber das konnte er nicht. Denn da war kein tadelnder Kakashi Hatake, dem er es unter die Nase reiben konnte. Dem er vorhalten konnte, dass die Mission erfolgreich beendet wurde. Dem er abermals vorführen konnte, dass er als Uchiha durchaus etwas taugte.

Hier war nur Ren. Ren, den er nicht kannte. Ren, den er nicht einzuschätzen wusste. Ren, der es irgendwie geschafft hatte Kakashis Sympathie zu gewinnen. Ren mit den tausend Gesichtern.

Ren, der ihn gerade wütend ansah.

„Hey! Hörst du mir überhaupt zu?!”

„Hm..”

„Was ‘hm’?”

„Na ja… schon irgendwie.” Murmelte Obito und merkte nur, dass Ren etwas unverständliches vor sich hin grummelte. Ob er jetzt wütend war? „Entschuldige, hattest du noch etwas gesagt?”

Ren seufzte. Es war dieses ‘Auch egal, es bringt nix’-Seufzen, er kannte das von so manchem Mal von seinem Sensei. Auch vom Hokage. Von Kakashi nicht. Der war immer nur genervt oder wütend.

„Nichts. Nur, dass ich rosarote Unterwäsche trage. Und jetzt komm, lass uns essen gehen. Meine Mutter wartet bestimmt schon auf uns.”

Und schon wieder reagierte Ren anders, als zuvor. Von animiert zu besorgt, zu wütend, zu resigniert und jetzt…friedlich ? Zweifelnd hob der Uchiha eine Augenbraue. Na das konnte ja noch heiter werden…

Er hoffte, dass es an dem Stress lag und sein vorübergehender Zimmergenosse seine Laune in den nächsten Tagen etwas konstanter halten würde. Egal ob gut, oder schlecht. Nur weniger Wechsel. Das würde reichen. So, wie er es gewohnt war.

Wie lange war er nun schon in diesem Dorf? Waren es Tage, oder vielleicht schon Wochen? Jeder Tag wirkte so gleich. Alles wirkte so … ungestört. So friedlich. So normal. Für dieses Dorf war alles so normal. Für ihn nicht. Er gehörte hier nicht her. Kakashi gehörte hier nicht her. Ob Kakashi dieses Dorf mit ihm verlassen würde? Oder würde Obito alleine nach Hause gehen müssen? Würde Kakashi ihn verlassen?
 

So viel Zeit und noch immer wusste er gar nichts. Noch immer nagten die Zweifel an ihm und noch immer konnte er nicht ein einziges Mal aufatmen. Man ließ ihn nicht aufatmen. Wieso änderte sich denn nichts? Müsste es nicht endlich einen Fortschritt geben? Irgendeine Veränderung?

Würde er aufatmen können ginge es Kakashi besser? Wenn Kakashi aufwachen würde und nicht mehr der Gleiche wäre, würde er dann dennoch aufatmen? Würde er atmen wollen, wenn Kakashi starb? Wenn die Zweifel ein Ende hätten?

Selbst der Hokage hatte keine weiteren Aktionen anordnen lassen. Wieso denn nicht? Kümmerte es ihn nicht? Wusste der Hokage etwas, das er nicht wusste? Enthielt man ihm etwas vor?

War es bereits zu spät?

Was wäre die bessere Alternative? Jetzt sterben, oder dabei zusehen wie es mit der Zeit allmählich weiter bergab ging? So wie alles auf dieser Welt ab einem gewissen Punkt verrotten musste.

Der Hokage wollte den Hatake zuerst verlegen lassen. Er wollte ihn in Konoha wissen. Er wollte die Kontrolle übernehmen. Er wollte sie beide nicht in diesem kleinen Dorf wissen. Ein Dorf von dem keiner wirklich wusste, ob es überhaupt qualifiziert war. Ob die hiesigen Künste es mit den Wunden eines Nin-Ja aufnehmen konnten? Kannten sie diese Art von Verletzungen?

Aber Shisui hatte in einem Schreiben formell seinen starken Charakter einmal mehr zur Schau gelegt. Schwarz auf Weiß hatte er dem Hokage klar gemacht, wer er war und wo er lernte. Was Sache war und was die Grenzen des Schwachsinns überrollte. Wie es Kakashi Hatake wirklich ging und was die Möglichkeiten waren. Kakashis Möglichkeiten. Sarutobis Möglichkeiten. Und zu guter Letzt Obitos Möglichkeiten. Mit Grüßen von Shisui und unterzeichnet vom Chefarzt.

Zumindest hatte Misami ihm das so berichtet. Misami, die eigentlich schweigen sollte. Misami, die im Zweifelsfalle immer für Obito war. Misami, die Obito sagte, dass Shisui klipp und klar zu Schrift getragen hatte, dass Kakashi mittlerweile tot wäre, hätten sie ihn wirklich verlegen lassen. Tot in dem Moment, in dem man ihm von den eingerichteten Funktionalitäten getrennt hätte.

Und der Hokage wurde umgestimmt. Und er hatte das Leben seines Schutzbefohlenen in fremde Hände gelegt.
 

Und an manchen Tagen, an den guten Tagen, da dachte man, Kakashi hätte es geschafft. Er hätte eiserne Balance bewiesen und wäre nicht dem Tod von der Klippe gesprungen. Er könnte jetzt aufwachen. Es wäre geschafft.

Aber an anderen Tagen, an den Tagen, an denen Obito vor der Zimmertür verweilte und starr vor Angst nicht wusste wohin, da dachte man es wäre genug. Dem Leiden solle ein Ende gesetzt werden. Der Kampf wäre vorbei, die Grenzen erreicht.

Und dann waren diese Tage, an denen passierte gar nichts.
 

Noch immer wusste Obito nicht, welche Tage die schlimmeren waren. Die falsche Hoffnung? Der Stillstand? Die Panik, dass die Ärzte die Niederlage akzeptierten?

Aber am Ende – so hatte Obito meist gewiss – stand alles still. Am Ende des Tages, oder auch erst am neuen Morgen, stand die Zeit wieder still.

Wieso passierte denn nichts?
 

So viel Zeit, in der der Uchiha seinen Kollegen immer besuchte. Bei ihm blieb, redete oder stillschweigend nach Kakashis Reaktionen und seiner eigenen Hoffnung suchte. Oder einfach nur vor der Tür sitzen blieb.

So viel Zeit, die er nun schon mit Ren und dessen Familie zusammenlebte. Nur seinen Sensei hatte er in der Zwischenzeit gesehen. Nur dieses eine vertraute Gesicht. Und Kakashis. Aber dieses war blass und regungslos. Kakashis Anblick war nichts, was er als vertraut bezeichnen würde. Auch Minato konnte ihm nichts sagen. Nur, dass sie daran arbeiteten. Aber an was?

Er hielt das Warten kaum aus. Man musste doch irgendetwas tun können. Konnte denn das mächtige Dorf versteckt hinter den Blättern nichts weiter tun, als ‘daran zu arbeiten’? Und an was? Und wieso so lange? Und wer arbeitete daran??

Man konnte Kakashi doch nicht sich selbst und den Geräten überlassen...
 

Er dachte jeden einzelnen Tag an Kakashi, und daran, was er ihm angetan hatte. Dass das alles seine Schuld war. Aber… würde Kakashi auch so denken? Würde der Hatake ihn einfach so vor sich hin vegetieren lassen, oder wäre er besorgt? Was hätte Kakashi gemacht, hätten die Messer ihn, Obito, durchbohrt? Nun... Zunächst wäre Kakashi bestimmt nicht wahrlos durch den Wald gerannt, oder hätte die Messer aus dem Fleisch gezogen und Blutungen ausgelöst, die er nicht kontrollieren hätte können und bestimmt….

Oder hätte der Maskierte ihn keines weiteren Blickes gewürdigt und seine wertvollen Gedanken nicht weiter an den kleinen Uchiha verschwendet, der bis dato sein Sharin-Gan nicht aktivieren konnte? Hätte er die Mission eiskalt fortgesetzt? Was verloren war, war wohl verloren, oder? Und immerhin besagten die Regeln, die Kakashi so liebte…

Argh! Das machte ihn alles so wahnsinnig! Konnte Kakashi nicht bitte einfach aufwachen und alles wäre wie früher?!
 

Wieder war er auf den Weg zum Krankenhaus. Er kannte den Weg schon, nahm es sich jedoch nicht, aufs Neue jede Einzelheit auf der Straße zu betrachten. Es war eigentlich wirklich schön hier. Wenn man es so betrachtete, passte dieses hochmoderne Krankenhaus hier, in dieses alte, gemütliche Dörfchen, nicht rein. Es störte den Frieden, den dieses Dorf so problemlos bewahrte. Es störte vor allem seinen Frieden.
 

Wieder stand er vor dem Eingang, wartete darauf, dass die Glastür sich vielleicht selbst öffnete – was natürlich nicht passierte. Die Schultern straffend und mit einem tiefen Atemzug drückte er die Türe auf. Es war wieder Misamis Schicht, sie war die Empfangsdame. Und Krankenschwester... oder irgendwie so etwas. Obito schätzte sie sehr. Misami begrüßte ihn jedes Mal mit einem warmherzigen Lächeln, wenn er kam – ganz gleich mit welcher Laune er eintrat, wie gestresst alle herumwirbelten und welche Patienten im Wartezimmer den Sterbenden mimten. Aber es war nicht nur das. Misami tat das, was die Ärzte nicht konnten. Die Gelehrten konnten und wollten dem jungen Uchiha keine Information über Kakashi geben. Nur an die Familie. Oder in diesem Falle den vom Hokage autorisierten Minato. Nicht einmal Shisui wusste Bescheid. Er sei zu jung, zu grün hinter den Ohren und überhaupt nicht erfahren genug, um bei den Großen mitzureden.

Aber Misami hingegen wusste Bescheid. Die ältere, alteingesessene Misami wusste alles. Die Ärzte kannten sie, sie vertrauten ihr und natürlich mussten sie ihr die täglichen Berichte an und wann überreichen, damit alles in Reih und Glied abgeheftet und verstaut werden konnte. Und sie war gütig.

Sie hatte Mitleid mit Obito. Normalerweise würde sie die Regeln nicht brechen, aber ihrer Meinung nach hatte der arme Junge Auskunft verdient. Dieser Fall war eine Ausnahme, wie er in keinem Buch hätte beschrieben werden können. Sie selbst hatte mitangesehen, wie die beiden hier zum ersten Mal einen Fuß in die Eingangshalle gesetzt hatten. Also berichtete sie ihm alles, was die Mediziner über Kakashis Befinden berichteten. In einfachen Worten. Ohne Hoffnung, ohne Verzweiflung. Ohne Pessimismus und ohne der brutalen Realität. Misami hatte dieses spezielle Talent mit Menschen umzugehen. Und egal, was die Dame dem Uchiha erzählte, der junge Kämpfer musste in ihrer Anwesenheit nicht mit sich selbst kämpfen. Er konnte ruhig bleiben und hörte ihr einfach nur zu. Vielleicht waren es an den schlechten Tagen ihre Kommentare zu den Ärzten (mit denen sie gnadenlos ins Gericht ging), die ihn über Wasser hielten. Die Ärzte, die sie bereits durch die Gänge huschen sah, als sie alle noch weit entfernt von dem waren, was sich als Arzt auszeichnete. Die Ärzte, die nach jedem Fehltritt wussten, dass sie an Misami nicht vorbeikamen. Dass am Ende des Tages Misami da war, die die Patienten und auch ihre Angehörigen vertrat und jedem Arzt klar vor Augen führte, für wen sie arbeiteten. Nicht für ihren Chef. Nicht für sie. Für all die Menschen, die hier reinkamen und noch hofften.
 

„Hallo Obito! Na, wie geht's uns heute?“

„Ich glaube ganz... ok.“

„Das ist schön, freut mich.”, sie blieb ruhig. Selbst die betrübte Stimmung Obitos hatte sie noch nicht ein einziges Mal aus der Reserve gebracht. „Und wie geht es deiner Wunde?“

„Meine… Wunde?“, Er stockte kurz, musste überlegen auf was Misami hinauswollte. Eine Wunde? Welche Wu- „Die Wunde an deinem Bein, Junge. Aber wenn du dich nicht einmal mehr daran erinnern kannst, dann sah es wohl wirklich sehr viel schlimmer aus, als es tatsächlich war. Nicht, wie ich annahm.”

„Oh, ach so… Ja, stimmt. Man merkt kaum noch etwas… denke ich.” Die Wahrheit war, dass es ihm gleich war. Er hatte keinen Gedanken daran verschwendet. Er hatte daran gedacht, wie es Kakashi ging. Ob Kakashi Schmerzen hatte. Ob er unbewusst doch alles mitbekam und sie alle wussten es nur nicht. Ob, ob, ob, ob… er dachte an so vieles, aber gewiss nicht an seine eigenen Wunden. Sie waren da – oder eben auch nicht.

Misami, die genau erkannte, nach was Obito eigentlich strebte, wollte ihn auch nicht länger auf die Folter spannen.

„Du willst bestimmt wissen, wie es Kakashi geht?“, Sie lächelte ihn warmherzig an, sah ein einfaches Nicken seitens Obito als Antwort.

„Heute ist wieder mal einer der Tage, an dem es ihm besser geht. Die Minderheit der ihn behandelnden Ärzte macht sich sogar große Hoffnungen. Es wird aber auch heftig dagegen gesprochen. Sie sind sich wie immer nicht einig, aber das kennen wir ja bereits. Hmm... “ Sie schmunzelte kurz, legte die Papiere in ihrer Hand auf den passenden Stapel und sah nun aufgeweckt Kakashis Besucher an. „Na, wie wär's, wenn ich dich später auf etwas Süßes einlade? Ich habe in einer halben Stunde Pause.“

Diesmal war das Lächeln auf Obitos Seite, auch wenn er zunächst über den Themenwechsel verwundert war. „Klar, gerne! Darf ich noch zu…?“

„Warte noch ein paar Minuten, die halbe Ärztekammer steht gerade wieder im Raum und macht ihren Unmut und ihr Unwissen kund.“ Bei dem Satz verdrehte sie die Augen, als würde sie sagen wollen, 'Da einer alleine anscheinend es nicht schafft Werte abzulesen und auf Papier zu bringen'. Obito verstand. Er wusste mittlerweile, dass alles, was wirklich zählte und wichtig war, bereits früh morgens und am selbigen Abend passierte.

Alle weiteren Besuche waren vielleicht für die Ärzte wichtig, hatten aber nicht zwingend etwas mit Kakashis Zustand zu tun. Dank Misami war er bestens aufgeklärt. Als sie ihm das das erste Mal über den Ärztebesuch erzählt hatte war er im Nachhinein wie aufgelöst gewesen. Das war für Misami damals Klärungsbedarf genug und somit führte sie ihn die wichtigsten Abläufe und Besuche auf, die diese Einrichtung so mit sich brachte.

„Na gut, dann eben später.“ So sehr, wie anfangs, stand er nicht mehr neben sich. Er hatte sich adaptiert. Er konnte alle Informationen, die ihm Misami aushändigte, fassen. Seine Gedanken waren etwas klarer und er konnte hin und wieder sogar eine Entscheidung treffen. Und wenn er jetzt seinen Kameraden nicht besuchen konnte, dann war das auch kein Weltuntergang mehr. Dann fühlte er sich nicht mehr verloren in den Weiten des Krankenhauses. Dann fiel er nicht in das Loch der Apathie. Dann blieb er einfach noch ein bisschen neben Misami sitzen und sah ihr zu.

Fast automatisch suchte seine Hand ihren Weg in seine Hosentasche. Wie sie auch automatisch nach einem Kunai greifen würde. Dabei ging es gerade nur um ein paar Münzen für einen kleinen Snack. Als er das harte Metall an seinen Fingern spürte, stockte er. Er wusste nicht wieso, aber genau in diesem Moment hatte er kristallklar vor Augen, was ihn hier her trieb. Wieso er Tag ein Tag aus hier war. Als hätte man ihn in der Zeit zurückversetzt. Er hatte es direkt vor Augen. Er konnte es fühlen.
 

Flashback
 

„Ich....ich...“

„Sag's einfach, wird dich schon niemand hassen und außerdem erfährt es hier draußen ohnehin niemand.“

„Na ja, du...“

„Obito...!“, wieder ein leises, genervtes Knurren seitens Kakashis.

„Hetz' nicht.“

Und wieder nur dieses kleine, aggressive Raunen des Hatake.

„Na ja... ich...“

„Alles klar. Du bist verliebt. Und weiter?“

„Ja. Das ist ja genau das Problem.“

„Na und? Jeder weiß, dass du in Rin verliebt bist.“ Er richtete sich auf, verschränkte die Arme.

„Nein, nicht in Rin, du Idiot.“

„Sondern?“ Er wurde ruhiger, fordernder und auf seltsame Weise auch neugierig.

„In...“ Der Uchiha sah betrübt zu Boden, es wirkte, als hätte sich ein dunkler Schatten auf sein Gesicht gelegt. Bedauern, Schmerz und Traurigkeit.

 

Als hätte er jemanden verloren.

 

„...dich.“
 


 

Es war alles seine Schuld. Und egal wie sehr er es auch wollte, er konnte es nicht rückgängig machen. Es war geschehen. Würde er Kakashi jemals wieder in die Augen sehen können? Würde er die Möglichkeit dazu haben? Würde Kakashi ihm das erlauben? Würde das Schicksal ihm das erlauben? Selbst wenn... hätte er den Mumm dazu? Er wollte es, aber auf der anderen Seite… es war alles seine Schuld. Er hatte schon oft etwas ausgefressen und es war ganz gewiss nicht das erste Mal, dass er wusste, dass es seine Schuld war. Aber dabei ging es nie um das Leben seines Freundes.

Ob sich Kakashi an alles erinnern könnte? An das Wichtigste? An diese paar Eckpunkte und das kalte Metall, das danach seinen Rücken durchbohrte?

Shisui hatte es beim Abendessen mal erwähnt. Diese Möglichkeit. Diese Option, dass Kakashi sich eventuell an nichts erinnerte. Doch… Obito war nicht dumm und auch nicht naiv genug um zu glauben, dass Kakashis Gedächtnis nicht nur dort Lücken aufweisen würde, wo er, Obito Uchiha, sich das wünschte. Aber wünschte er sich das wirklich? Was würde er tun, wenn sich Kakashi nicht mehr an ihn erinnern konnte? An Sensei Minato? An Rin? An Konohagakure? Wäre das nicht auch eine Form von sterben?
 

Seine Hand verweilte in seiner Hosentasche. Die Lust auf einen Snack war ihm redlich vergangen und es wunderte ihn nicht im Geringsten. Es wäre ohnehin nur ein unnützer Zeitvertreib gewesen. Nur, um ein paar Minuten zu überbrücken. Um nicht immer nur tatenlos dem Geschehen zusehen zu müssen.

Mit schweren Schritten kehrte er zu Misami zurück und steuerte auf den Stuhl neben der Dame zu. Die Krankenschwester wollte auch gerade zu Wort ansetzen, als sie vom Schallen des Telefons unterbrochen wurde. Beide zuckten sie etwas vor der Lautstärke des Apparats zurück. „Nanu, wer hat das denn so laut gestellt..?“

„Da wollte bestimmt einer sichergehen, dass der Hörer auch mit Sicherheit abgehoben wird“, tadelnd sah der junge Uchiha zu Misami, welche gespielt unschuldig den Hörer abnahm.

„Misami.“ Mehr sagte sie nicht. Kein 'Hallo', kein Stationsname, keine Lust zu erfragen mit wem sie das Vergnügen hatte. Wozu auch, Obito hatte schnell bemerkt, dass absolut jeder sie kannte. Jeder respektierte sie. Vor allem andere Schwestern fragten sie gerne um Rat, denn das war deutlich angenehmer, als den vorgesetzten Arzt um Auskunft bitten zu müssen.

Bevor er sich versah hatte die ältere Dame auch schon wieder aufgelegt.

„Das ging ja schnell.“

„Das ist auch gut so.“, erwiderte sie nur resigniert und griff nach ihrer kleinen weißen Kaffeetasse.

„Wer war es denn?“

„Na du bist ja neugierig!“, mit einem sanften Lächeln führte sie die Tasse an Ihre Lippen, hinterließ erneut feine Spuren ihres Lippenstiftes.

„Ach im Übrigen, ich denke du kannst jetzt langsam mal hoch gehen. Ich warte hier auf dich.“, Misami zwinkerte Obito noch zu, welcher sich das nicht zweimal sagen ließ. Sofort war er aufgestanden, bereit sich den Weg durch das Krankenhaus zu bahnen. Der qualvollste Weg, der ihn seit seinem ersten Mal noch nicht ein einziges Mal leichter gefallen war. Ein Labyrinth aus Alpträumen, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünschte. Bedacht setzte er einen Fuß vor den anderen. So wie er es immer tat, wenn er diese Gänge entlang schritt. Tagtäglich. Jedes Mal, wenn er sich der Schuld stellte. Seiner Schuld, seiner Angst, seiner Panik, der Enge in seiner Brust. Kakashi.
 

Auf seinem Weg begegnete er einer kleinen Gruppe Ärzte. Oft übte Obito sich darin in deren Gesichtern zu erkennen, ob es ein guter oder schlechter Tag war. Manchmal wollte ihm das gelingen, manchmal waren sie ein Buch mit sieben Siegeln. So wie Kakashi, aber bei seinem Kameraden frustrierte es ihn lediglich, wenn er dessen Launen nicht im Ansatz erahnen konnte. Hier in diesem Krankenhaus jagte es ihm eine Heidenangst ein. Überspielten sie ihre Miene, weil es einem Patienten schlecht ging? Weil es nicht voran ging? Weil sie nicht weiter wussten? Oder wollten sie lediglich falschen Hoffnungen vorbeugen? Wie viele Menschen lagen hier wohl in der gleichen Lage wie Kakashi? Wie viele Angehörige gab es hier, die sein Leid teilten? Konnte er sich überhaupt als ein Angehöriger einstufen? War er nicht eher der, der dies alles verschuldet hatte?

Er hatte leise und bedächtig geklopft. Höflich und zurückhaltend. Wie man es nicht von ihm kannte. Er hatte gewartet. Ruhig und geduldig. Wie man es nicht von ihm kannte. Er hatte auf Antwort und Einlass gewartet. Wie man es nicht von ihm kannte. Er hatte keine Antwort bekommen. Wie er es nicht anders kannte. Würde alles zu seinem Normal zurückkehren, wenn er handelte, wie immer? Wie man es von ihm kannte? Nein. Wahrscheinlich würde er damit Öl ins Feuer schütten. Wäre es fair, wenn er sich normal verhalten würde? Hatte er ein Recht darauf?

Nichts hiervon war normal. Für ein 'Normal' brauchte es sein Dorf Konohagakure. Es brauchte den Hokage, Sensei Minato, Rin und Kakashi. Laut stampfend und streitend auf die Tür zuzulaufen, ungefragt einzutreten und durch den vorherigen Lautstärkepegel bereits angekündigt worden zu sein - dafür brauchte es Kakashi. Zu lachen, zu schmollen und Herausforderungen zu finden und zu akzeptieren brauchte Kakashi.

Langsam und so geräuschlos wie es ihm möglich gewesen war hatte er die Tür geöffnet und war ins Zimmer getreten. Alles war wie immer. Der Geruch, die Farben, das trostlose Gefühl, das ihn wie jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht traf. Und der Tod, der scheinbar nur darauf wartete, Eintritt gewährt zu bekommen.

Seine Nackenhaare stellten sich auf, der kalte Schauer kroch genüsslich seinen Rücken entlang. Dann setzte er sich in Bewegung und näherte sich dem weißen Stuhl neben dem einzigen Bett mit dem einzigen Patienten innerhalb dieser vier Wände. Er wirkte so...nicht lebendig. Obito schaffte es nicht, seinen Blick aufzurichten. Wäre das nicht respektlos? Widerlich? Zu gaffen und zu starren, die Privatsphäre eines anderen so wüst zu missachten und dessen Leid als eine Art... Sensation zu betrachten? Eine Sensation des Schreckens... Das würde er nicht wagen. Diese Absicht hatte er nicht. Nie. Wenn er Kakashi sah, dann sah er seinen Freund, den er brauchte, um dessen Abwesenheit er trauerte, der seinetwegen litt und... Obito würde es nicht wieder gut machen können.

Sein Kamerad, Kakashi. Der, der auf eine ganz eigene Weise in dessen Leben getreten war und auf ihn achtete. Sein Trainingspartner. Sein Maßstab, sein Konkurrent und ewiger Feind sowie Freund. Der, der mit diesem abwertenden Blick zu seinem Fenster hineinsah, um herauszufinden, was Obito so lange trieb. Der ihn brutal weckte, wenn er verschlafen hatte und der Rin und Obito zu seinem Abendessen einlud, wenn seinen Teamkameraden die Neugier zu Kopfe gestiegen war.

„He...Hey, Kakashi. Ich bin's wieder, Obito. Ich bin mir nicht sicher, ob du jetzt nicht viel lieber etwas Ruhe hättest, aber ich bleibe nicht lange, versprochen. Das darf ich gar nicht, sagen die Ärzte. So wenig äußere Reize, wie möglich, sagen sie. Aber... auch wenn du sagst, du kannst uns nicht leiden und willst deine Ruhe vor uns haben, kann ich nicht glauben, dass ...dass... na ja… Weißt du, Rin vermisst dich bestimmt. Sie ist in Konoha und ganz allein mit Sensei Minato. Sie sah so traurig aus, als ich sie zum letzten Mal sah. Wir sollten zu ihr - nach Hause - gehen, findest du nicht auch? Versteh mich nicht falsch, ich werde dich nicht hetzen. Du kannst dir Zeit lassen, ich werde einfach warten. Hörst du? Dieses Mal werde ich auf dich warten. Und wenn du mich dann nicht sehen möchtest, dann... dann kann ich das auch verstehen. Aber lass uns zumindest Rin diesen Gefallen tun, ja? Sie wartet bestimmt auf gute Nachrichten von uns, meinst du nicht auch? Rin macht sich doch immer so viele Sorgen um uns... na ja, für gewöhnlich nur um mich, nicht dich. Du weißt bestimmt, was ich meine...”
 

„Da bist du ja wieder! Das ging aber flott, ist alles in Ordnung?“

„Na, Sie sagten doch, Sie hätten in einer halben Stunde Pause. Ich wollte Sie nicht warten lassen.“ Denn diesen Fehler hatte er bis jetzt immer getan. Die wichtigsten Personen hatte er warten lassen. Und ihnen dann Ausreden aufgetischt. Wäre seine Beziehung zu Kakashi besser gewesen, wenn er immer pünktlich zum Training erschienen wäre? Obwohl... wahrscheinlich eher nicht. Kakashi war ein alter Angeber und er schon immer der Held der Stunde. War es nicht so? Wollte er es nicht immer so haben? Hätte sich denn nicht aber der Held opfern müssen? Mit seinem Eigen seine Nahestehenden schützen müssen? War es nicht sein Körper, der von dem kalten Metall hätte durchbohrt werden müssen? All das Blut... er schluckte schwer, doch noch bevor sich seine Erinnerungen weiter verstricken konnten hörte er Misamis vertraute Stimme mit ihm reden. „Na, bereit von einer alten Dame ausgeführt zu werden?“

„So alt sind sie doch bestimmt auch wieder nicht.“, die Krankenschwester schmunzelte und hob tadelnd einen Finger, „Na, alt genug, dass du mich mit 'Sie' ansprichst. Wenn du möchtest, dass ich mich jünger fühle, dann musst du schon 'Du' zu mir sagen.“ sie zwinkerte ihrem jungen Begleiter schelmisch zu und setzte sich dann bereits in Bewegung. Obito hatte sie vorsichtshalber am Arm genommen und mit sich gezogen. Nicht, dass er noch dachte sie würde in in die Krankenhauskantine einladen. „Komm, junger Mann. Ich kenne da ein sehr schönes Plätzchen!“
 

~ ~
 

„Na, schmecken dir unsere Daifuku?“, fragte Misami mit einem dieser herzlichen Lächeln, bei dem sich einfach jeder wohlfühlen musste. Obito saß vor der weißen Süßigkeit und begutachtete die restlichen zwei Bällchen, die noch auf seinem Teller verharrten. Das kleine Eckcafé, in welches Misami ihn mitgenommen hatte, hatte sich bei der Präsentation der Süßspeise so viel Mühe gegeben, dass Obito es schon fast als schade erachtete es anzutasten. Geschweige denn aufzuessen. Wenn es doch nur nicht so lecker wäre...

„Ja, sehr, aber... das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“

„Doch, ich fand schon. Das hast du dir verdient“. Verdient? Was hatte er sich denn bitte verdient nach allem was passiert war? Es war doch alles seine Schuld gewesen? Misami war so gütig mit ihm... dennoch lief es dem Uchiha kalt dem Rücken runter, wenn er sich vorstellte, was passierte würde sie es erfahren. Würde Sensei Minato es erfahren... er schluckte hart.

„Ich, ähm...danke nochmal!“

„Nun hör schon auf. Wie oft willst du dich denn noch bedanken?“, hatte er es nun wirklich schon so oft getan? Er wollte nachzählen, doch er konnte es nicht. Er fühlte sich Misami gegenüber dankbar, aber auch schlecht. Er war mit Gedanken so weit entfernt und hatte viel gar nicht so wirklich mitbekommen. Auf der anderen Seite war sie so gütig und barmherzig gewesen und er hatte sich mit ihr wohl gefühlt. Und sie hatte ihre Pause für ihn geopfert. Und dennoch, heute konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Was war denn nur los? Er fühlte sich so wie an seinen ersten Tagen in diesem Dorf. Verloren. Mit den Gedanken Saltos schlagend und Abhänge herunter rauschend. Wieso heute? Wieso konnte er das nicht abstellen. Er wollte die Vergangenheit nicht ruhen lassen, soweit ginge er nicht. Das hatte er gar nicht verdient. Nur einen kleinen Moment der Ruhe wünschte er sich. Nur so viel, dass er Misami mit dem Respekt und Anstand gegenüber treten konnte, der ihr galt. Die Aufmerksamkeit, die er ihr gerne schenken würde. Geschenkt hätte, die Einladung war ja bereits... Moment. War er ihr den ganzen Weg zurück zum Krankenhaus gefolgt?!

„Nanu?!“

„Ist es dir gar nicht aufgefallen? Na, so was. Ich hatte mich schon gewundert, warum du mich soweit begleitest. Möchtest du jetzt nach Hause gehen?“

„Nun, wenn ich schon mal da bin... ist die Besuchszeit schon vorbei?“ Immerhin hatte Misami ihre Pause mit einem verheißungsvollen Zwinkern leicht überzogen.

„Nein, nein. Geh nur, wenn du schon mal hier bist.“

„Danke, Misami!“, er lächelte leicht, auch wenn es seine Augen nur zu gewissen Teilen erreichte. „Es war ein sehr schöner Tag und es war wirklich lecker!“

„Aber gerne, mein kleiner Kavalier. Das wiederholen wir bei Gelegenheit! Und nun auf, auf! Dein Freund wartet bestimmt schon.“ Wenn es doch nur so wäre.... Aber Kakashi würde nicht auf ihn warten. Ganz egal, welches Szenario er gedanklich durchspielte. Nicht ein Mal mehr würde Kakashi Hatake, sein Kamerad, auf ihn warten. Die Karten hatte er in dem Moment verspielt, als er den Mund aufgemacht hatte. Aber ganz gleich, wie dem auch sein mochte. Er würde auf Kakashi warten. Und wenn er der letzte war, der darauf wartete.
 

Bedächtig bahnte er sich seinen Weg durch die farblosen Gänge des Gebäudes, die ihn mit ihrem Geruch, dem Gefühl der Befangenheit und dieser seltsamen letalen Hektik nach wie vor abschreckten.

Erneut hatte er an der Tür so sanft wie möglich um Einlass gebeten. Vergebens. Natürlich. Als hätte er es anders erwartet. Doch zum einen wollte er die Hoffnung nicht aufgeben und zum anderen...so gehörte es sich doch, oder nicht? Geständnisse inmitten eines Schlachtfeldes hatten sich nicht gehört. Das wurde ihm auf die nur schmerzlichste Art und Weise klar gemacht. Und dann... es war ein Wunder, dass er ausgerechnet mit Shuichi damals auf der Straße kollidierte. Doch der Fall und der noch schlimmere Aufprall...er schluckte. Wie immer hatte er es vermasselt. Auf ganzer Linie. Einmal mehr zu Kakashis Ungunsten. Wenn man das so gelinde überhaupt ausdrücken durfte.
 

Als er eintrat vermied er den Blick zu Kakashi, konzentrierte sich vorerst auf die Bodenfliesen. Manchmal wollte er nicht starren, manchmal machte es ihm Angst. Unheimliche Angst. Hier in diesem Raum zu sein war ein Alptraum. Hier in diesem Raum zu stehen und Kakashi zu sehen war die Hölle auf Erden. Die grausame Realität. Tief atmete er ein, hob den Blick. Eigentlich war es recht hell hier drin. Die Fenster waren ausreichend groß und ließen das warme Licht der Sonne das Zimmer so viel freundlicher wirken. Was Kakashi wohl sehen würde, könnte er zum Fenster hinausblicken? Er hatte es selbst nie getan. Eigentlich war es zweitrangig.
 

Er vernahm das regelmäßige, fast rhythmische Geräusch der Geräte, die Kakashi bis jetzt am Leben gehalten hatten und dies nach wie vor taten. Ohne so manche von ihnen wäre Kakashi eigentlich schon... soweit durfte er gar nicht denken.

Langsam ließ er sich auf den Besucherstuhl nieder, sank auf Kakashis Augenhöhe. Das war schon etwas fairer. Zumindest wollte er sich das einbilden. Was sollte er jetzt machen? Er wollte Kakashi nicht schon wieder die Ruhe rauben und ihn voll quasseln. Er hatte auch Angst seine Hand zu nehmen. Durfte er das? Also, würde Kakashi ihm das erlauben? So nahe standen sie sich nicht, waren sich nie gestanden. Würden wahrscheinlich nie... ach, was soll's.

Letztendlich hob er den Blick, wollte seinen Kameraden ansehen, sich der Realität stellen. Immerhin war es alles seine Schuld.

Das Eisengestell des Bettes, die Matratze, das Kopfkissen und zuletzt trat auch Kakashi in sein Blickfeld.

Seine Bewegung erstarrte, die Luft wich aus seiner Kehle. Was zur...?

Vor Schock wich er zurück, taumelte und hörte, wie der Stuhl hart zu Boden fiel. Das konnte doch nicht...? Aber... das...?! Er konnte nicht atmen, spürte seine Augen, die sich vor Unglauben immer weiter öffneten. Ein Schweißtropfen ran entlang seiner Schläfen die Haut entlang, stellte sich den Härchen, die sich ihm aufstellten tapfer zur Wehr. Ihm wurde abwechselnd heiß-kalt. War das... die Realität? Das konnte doch nicht. Nein, das...aber... Ungläubig wich er zurück.

Verfolgt von den halbgeöffneten, leeren Iriden, die an jeder seiner Bewegung hingen.
 

War das möglich?

Die Zeit stand still. Keine Uhr tickte. Kein Geräusch drängte ins Innere der kahlen Wände. Kein Windhauch bewegte die Luft. Nichts bewegte sich. Und er auch nicht. Er stand einfach nur da. Was... was hätte er tun sollen? Was sollte er jetzt tun? Wie sollte er reagieren? Seine Atmung (und gefühlt auch sein Herz) stand still. Wie in Vakuum verpackt. Da waren sie. Starrten ihn an. Sie waren geöffnet. Sie wirkten schal und schwach. Milchig und getrübt. Und doch glänzten sie. Und nahmen ihn gefangen. Ließen ihn nicht los. Kakashis Augen hielten ihn an Ort und Stelle, fingen jede Faser seines Seins ein. Das taten sie doch, oder?

Das bildete er sich doch nicht ein? Nein, das durfte kein Traum sein. Es musste real sein. Sonst hätte er letztendlich doch den Verstand verloren. Im Kampf untergegangen und das sogar noch eher als Kakashi. Dabei wollte er ihm doch jetzt helfen. Er wollte es sein, der jetzt stark war. Der wartete.

Nein. Das hier war real. Unfreiwillig bahnten sich Laute aus seiner Kehle. Des Entsetzens, das sich ihm nun aufzubürden versuchte, des Unglaubens, der Hilflosigkeit. Noch immer starrten sie ihn an. Noch immer waren sie da. Im Hier und Jetzt. Das war kein Traum. Und dennoch wollte er für keinen Moment seine Augen schließen oder sie gar von Kakashi abwenden. Nicht blinzeln. Er vermochte es nicht sich zu bewegen. Vielleicht fürchtete er sich doch davor, dass dies alles nur ein Traum sein könnte. Dass er den Moment zerstören könnte. Dass er mit auch nur einem Zucken mehr Schaden als Gutes anrichten könnte. Schon wieder.

Wenn er auch nur einen Moment seine Augen der Dunkelheit hingeben würde, sie nur ganz kurz schließen würde... würde ihm dann klar, dass es alles doch nur eine irrsinnige Illusion war? Dass die kalte Wirklichkeit doch grotesker war, als seine Psyche ihm vorzumachen versuchte? Wenn eigentlich das Gegenteil eingetreten war? Wenn Kakashi nun tot war?

Er spürte das Kalt, dass sich entlang seiner Wirbelsäule seinen Weg nach unten bahnte. Er hatte nicht die Kraft dem Stand zu halten und brach zusammen. Hart sackte er auf seine Knie, der eisige Schweiß wurde von seiner Kleidung aufgesogen. In seinem Kopf drehten sich die Gedanken, sein Bild verschwamm. Nur seine Verfolger, deren Schwärze ihm so vertraut war und die er doch so vermisst hatte, verblieben an Ort und Stelle. Starr blieb ihr Blick geradeaus gerichtet. Wo er gerade noch stand. Wo sie ihn gerade noch erfasst und festgehalten hatten. Er konnte seinen Blick nicht abwenden. Noch immer fühlte er sich gefangen, traute seinen Bewegungen nicht. Atmete er? Füllten sich seine Lungen mit dem notwendigen Sauerstoff? Er wusste es nicht. Er wusste nichts. Er konnte nur weiter in Kakashis Augen starren. Unfähig Illusion von Wirklichkeit zu unterscheiden. Ungewollt sich der Realität zu stellen. Obito spürte die Tränen von seinen Wangen tropfen, manche sammelten sich an seinem Kinn, vereinten sich und fielen auf seine Brust. Warm und kalt. Nass und erdrückend. Sie hielten ihn hier. Sie gaben ihm keine Chance zu fliehen.

Wieso konnte er den Druck nicht standhalten? Was genau gab ihm diesen Druck? Warum weinte er? Warum brannten seine Lider so? Warum hatte er keine Kraft? Wo war sie, die Stabilität, die ihn bislang auf den Beinen hielt? Wieder all diese Fragen... Wie lang hatte er darauf gewartet, dass genau dies passierte? Dass Kakashi seine Augen öffnete? Dass er der Welt zeigte, dass er noch lebte! Wie oft wünschte er sich, dass die dunklen Iriden ihn wieder erblickten - und sei es abwertend und tadelnd?

Und jetzt waren es genau diese Augen, die ihn in den Wahnsinn trieben.

Er wusste nicht, ob er atmete. Ob er imstande war sich zu bewegen. Ob die Zeit ihren Lauf wieder aufgenommen hatte. Ob das versiegte Ticken wieder da war. Ob die medizinischen Geräte ihre Arbeit noch mit regelmäßigen Lauten Kund taten. Er wusste nicht, was er denken sollte. Ob er vielleicht gleich aufwachte und es nur ein weiterer irrwitziger Streich seiner Gedanken gewesen war. Sollte er etwas sagen? Sollte er etwas tun? Wenn ja, was? Was sollte er denn sagen? Was könnte er denn nur tun?

Und wieder drangen diese kehligen Geräusche aus seiner Kehle, die sich mehr und mehr zu einem Schluchzen formten. Das sollte aufhören. Als diese Fragen... sie sollten aufhören. Sollten ihre Klappe halten. Er wollte doch nur Ruhe. Wieso hörte es denn nicht auf?!

Aber er wurde nicht erhört. Es war eine Tortur, eine Folter seiner selbst am eigenen Leib, die er nicht stoppen konnte. Vor seinem inneren Auge spielten sich immer wieder die gleichen Szenen ab. Es waren Bilder aus den Ruinen, Augenblicke, Situationen. Er sah immer wieder das Gleiche. Wieder und wieder. Der anklagende Blick Kakashis, wie er zusammenzuckte, seine Augenlider langsam herabfielen. Immer wieder das Selbe. Der vorwurfsvolle Blick und wie der Maskierte langsam die Augen schloss, seinen Vorwurf bis zuletzt widerspiegelnd. Bis zum letzten Moment klagten Kakashis Iriden ihn an.
 

Als er seine Augen öffnete, wusste er erst nicht, wo er sich befand. Bemüht blinzelte er gegen das grelle Licht, richtete sich langsam auf.

Was war passiert? Wieso lag er in einem Krankenzimmer? Langsam sah er sich um. Sein Blick wanderte an sich hinab und an der Matratze entlang bis zum Ende des Bettgestells. Seine Kleidung hatte er weitgehend noch an. Langsam und immer noch mit der Helligkeit kämpfend überflog er mit den Augen den Raum. Er war allein. Schritte waren im Gang zu hören und auch in diesem Zimmer zerstörte das Ticken der Uhr grausam die Stille.

Lange stierte er die Zeiger an, versuchte herauszufinden was sie ihm sagen wollten. Doch irgendwie funktionierte sein Gehirn noch nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte. Nur langsam wurden seine Gedanken klarer und ordneten sich. Und die Zeiger der Uhr ergaben endlich Sinn. Es schien noch früh morgens zu sein. Zu früh... aber...?! Was war denn in der Zwischenzeit passiert? Wie war er in dieses Zimmer gekommen und... war es nicht gerade eben noch Nachmittag?

Wieder erklangen Schritte, nur wurden sie dieses Mal lauter, kamen vor der Tür zur Ruhe. Er hörte ein leises Klopfen und beobachtete, wie sich die Tür langsam einen Spalt breit öffnete.

„Ah, du bist wach. Wie schön! Ich dachte schon, man müsse sich Sorgen um dich machen. Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ Es war Misami. Müsste sie nicht eigentlich an der Rezeption sein? Außer undeutlichem und vor allem verwirrtem Stottern bekam er keinen Laut heraus. Nichts, was nur annähernd einem Wort ähnlich klang.

„Wie geht es dir?“

Misami wartete geduldig auf seine Antwort, jedoch vergebens. Obito verstand gerade die Welt nicht mehr, wandte seinen Blick von der Frau ab, sah erst stur gerade aus, dann aus dem Fenster. So langsam formten sich die Worte auf seiner Zunge. So langsam fing sein Verstand an zu arbeiten, seine Handlungen zu koordinieren.

„Was ist denn passiert?“, Es war eine leise Frage, doch sie forderte ganz klar eine Antwort. Es war endlich eine Frage, die er an jemanden richten konnte. Für die es irgendwo vielleicht auch eine Antwort gab.

„Nun, ich dachte, das könntest du uns sagen. Gestern Abend fanden wir dich bewusstlos auf der Intensivstation. Im Zimmer deines Freundes.“

Seines Freundes... Misami musste von Kakashi sprechen. Kakashi Hatake. Freund. War er das wirklich noch? Irgendjemandes Freund bestimmt, aber sein Freund? Hatte er noch das Recht dies zu behaupten? Hatte er jemals das Recht Kakashi einen Freund zu nennen? Er sah ihn als einen. Sogar mehr als das. Aber ob es dem Hatake genauso erging? Unwahrscheinlich. Letzteres ganz und gar ausgeschlossen.

Kakashi Hatake. Der Funke, der das Licht entzündete war geflogen. Der Schlüssel zu seinem Gedankenwirrwarr, das ihm verschlossen war. Mit einem Schlag waren alle seine Erinnerungen zurückgekehrt. Der gestrige Tag ereignete sich Revue, die Ereignisse überschlugen sich mit einer Wucht, die ihm die Luft aus dem Brustkorb drückte. Gestern... Kakashi... Wie eine Pein überschlug es sich in seinem Inneren. War das seine Strafe? Die Strafe für seine Unachtsamkeit und seine Gefühle? Seine unkontrollierten Emotionen, die mit ihm spielten und bislang nichts als Schaden angerichtet hatten.

Würde er Kakashi je wieder in die Augen sehen können, ohne diese zu fürchten? Ohne mit diesem Wall an Gefühlen konfrontiert zu werden? Angst, Schuld, Reue, Schmerz...

Aber er wusste bereits jetzt, dass all seine Gedanken, seine Überlegungen und Gedanken auch heute wieder zu keinem Ergebnis führen würden. Es war seine gerechte Strafe.
 

„In Kakashis Augen…“, murmelte er, als wäre da noch irgendetwas, dass ihm verwehr blieb. Eine letzte Tür, die sein Verstand öffnen musste, eine Erinnerung, die fehlte… Plötzlich traf es ihn wie ein Schlag. Sein ganzer Körper reagierte ruckartig, sodass auch Misami erschrocken einen Schritt von ihm zurückwich.

„Was ist denn los? Was hast du denn, Obito?“

„Was ist mit Kakashi?“, fragte Obito wie aus der Pistole geschossen und konnte die Panik und die Hektik nicht länger versteckt halten, die ihn überfiel.

Doch er bekam nicht gleich eine Antwort, sah Misami an, die ihn verblüfft anblickte und sich erst sammeln musste. Doch dann merkte Obito, dass sie lächelte. Sie lächelte. Hieß das...? Ja... Moment. Was konnte das heißen?

„Beruhige dich erst einmal, Junge. Er schläft gerade. Wieder.“, Letzteres hatte Misami mit Nachdruck und einem bestärkenden Lächeln gesagt. Sie wollte den Uchiha beruhigen. Nicht nur das - sie wollte ihm zeigen, dass es keinen Grund für seine Panik gab.

Was auch immer die Ärzte sagten, Misami war optimistisch. Sofern dies das richtige Wort dafür war. Sie glaubte nicht daran, dass es mit dem Hatake bergauf gehen könnte. Sie wusste es. Sie hatte in diesem Krankenhaus so viel gesehen. So viel miterlebt. So viele Patienten in ihren letzten Augenblicken begleitet und Zurückgelassene in ihren Armen gewogen, bis sie wieder dazu in der Lage waren auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Auch wenn die Ärzte zweifelten. Sie waren Statisten. Sie glaubten an ihre Zahlen, Werte und den Geschichten ihrer Lehrbücher. Misami kannte sie alle. Jede Erzählung über Krankheitsverläufe, Behandlungen und Aussichten. Aber sie vertrat sie nicht. Beruflich, ja. Aber von ganzen Herzen vertrat sie die Patienten, die sie hier beherbergten. Um die sie sich kümmerten. Und dazu gehörten unter anderem sowohl Kakashi Hatake als auch Obito Uchiha. Und sie war zuversichtlich. Sie hatten es so weit geschafft, sie würden auch den Rest noch überstehen. Sie hatte Zuversicht und Vertrauen, dass Kakashi, der sich bis jetzt so hart durchgekämpft hatte, auch noch weiterkämpfen würde. Sie war sich sicher, dass er die Kraft hatte. Und deswegen konnte sie Obito jetzt mit einem guten Gefühl ein Lächeln schenken.

„Du kannst ruhigen Gewissens darauf warten, dass er wieder aufwacht. Also beruhige dich. Selbst die Ärzte

rechnen fest damit.“

Es dauerte ein paar Augenblicke. Atemzüge, die davon zeugten, dass ihre Worte verarbeitet wurden. Und tatsächlich: Misami hatte es geschafft, den jungen Uchiha etwas zu beruhigen. Auch wenn er sie etwas ungewiss und flehend ansah. Flehend, dass sie recht haben möge.
 

Und mit der Entspannung kam auch die Kontrolle über seinen Körper zurück. Obito wusste, was er jetzt machen wollte. Schnell strampelte er die weiße Decke von seinen Füßen, sprang auf und rannte barfuß über den kalten Boden aus dem Zimmer in den Flur hinaus. Er spürte die Kälte an seinen Sohlen, spürte die bedrückende Enge der Wände und diesen Horror, den die Flure dieses Krankenhauses für ihn bereithielten. Jederzeit. Doch es war egal.

Er musste zu Kakashi. Er musste ihn sehen. Er musste wissen, wie es ihm ging und vor allem musste er sich Gewissheit verschaffen, dass das keine Illusion war. Kein Alptraum und auch kein mieser Streich seiner Wahrnehmung. Er brauchte Gewissheit. Und er wusste, was er sich demnach stellen musste. Und wem. Seiner Schuld, seiner Strafe... er würde sich all dem stellen. Es war gerecht, er hatte kein Recht davor davon zu laufen. Er hatte es sich verdient. Und er durfte auch nicht vor Kakashi weglaufen. Das war er ihm schuldig.

Jetzt musste er nur noch testen, wo seine Grenzen lagen. Und er konnte nur hoffen, dass sie sich verschoben hatten, in die Ferne gerückt waren. Er hatte nicht vor, gleich wieder mit ihnen Bekanntschaft zu machen. Oder hatte er die Kraft seine Grenzen selbst zu überschreiten? Er wusste es nicht. Aber er würde sich notfalls selbst in diesen Raum prügeln. Dieses Mal ohne Zögern.

Als er durch den Flur rannte spürte er den Wind an seinen Wangen. War er schneller geworden? Seine Muskeln arbeiteten von selbst, seine Beine flogen über den kühlen Grund, seine Schnelligkeit war nicht länger von Erschöpfung geprägt. Ob sein Körper ihm sagen wollte, dass jede Faser seiner selbst bereit war? Ob ihm damals auch der Schock in seinen Gliedern die Geschwindigkeit verliehen hatte, mit der er in dieses Dorf kam? Er fühlte ihn immer noch tief in ihm sitzen. Es war ein Wunder, dass er hier ankam. Dass er das Dorf gefunden hatte. Dass er rechtzeitig (?) angekommen war. Wenn dieser Schreck es war, der ihn antrieb, dann würde er es auch in Zukunft tun. Denn Obito war sich sicher, was auch immer passieren würde, vergessen würde er es nicht. Und auch nicht verzeihen.
 

Nur noch eine Kurve, dann hatte er es geschafft. Haltsuchend griff er an die geflieste Wand des Flurs, um sich mit Schwung und ohne abzubremsen in die Gangabzweigung zu manövrieren. Doch noch als er um die Kurve schwang, sah er den Aufprall mit seinem Gegenverkehr schon kommen. Mit Wucht landete er auf dem harten Untergrund, jaulte kurz auf. Warum passierte ihm das nur immer?

„En- Entschuldigung! Das war wirklich keine Absicht!“, mit verzogenem Gesicht rieb er sich die schmerzenden Stellen des Aufpralls, erwartete innerlich eine Predigt, aus der er sich gewiss nicht so schnell verdrücken konnte, wie ihm lieb wäre. O weia…. Die arme, über den Haufen gerannte Person, die schwachen Patienten, ausgerechnet hier in einem Krankenhaus, die dreiste Jugend von heute, ein Benehmen, das gänzlich zu wünschen ließe. Ohne aufzusehen wartete er einfach ab, dass der Vortrag begann.

„Obito?“, doch es kam anders als gedacht. Verwundert horchte er auf. Diese Stimme kannte er doch?! Allein die Stimme hatte schon ausgereicht, um etwas Vertrautes in ihm zu wecken. Langsam wanderte sein Blick entlang der Person hoch, mit der er gerade noch zusammengeprallt war. „Sensei!“.

Er blickte in das vertraute Lächeln, das ihn so oft morgens begrüßt hatte. Das ihm immer suggeriert hatte, alles sei in Ordnung – und das war es damals noch. Da war es, diese vertraute altbekannte Lächeln aus einer Welt, die noch nicht in Stücke gerissen wurde. Und diese helfende Hand, die ihn wie in alten Zeiten gereicht wurde. Vor ihm stand sein Sensei. Ihr Sensei. Noch immer reichlich überrascht über diese unerwartete Begegnung griff Obito nach der dargebotenen Hand, ließ sich von Minato zurück auf die Beine ziehen. „Was machen Sie denn hier?“

„Na, du hast es ja ganz schön eilig!“, Minatos optimistisches Grinsen, dass in diesem Moment einzig und allein seinem Schüler galt, ließ keinerlei Schlüsse darüber, was in dem Erwachsenen wohl gerade vor sich ging. Obito sah ihn immer noch aus großen Augen an, wusste nicht so recht, wie er mit dieser Überraschung umgehen sollte. „Aber um deine Frage zu beantworten: Ich bin gekommen, um nach euch zu sehen! Aber mir scheint, dass du gerade ganz andere Pläne hast?“, er sah den jungen Uchiha an, der ihn nach wie vor völlig überrumpelt ansah und sich anscheinend nicht ganz sammeln konnte. Zwar sah es so aus, als würde sein Schüler zu einer Antwort ansetzen wollen, aber mehr als ein Krächzen verließ seine Kehle nicht. Obito wirkte hilflos. So hatte er den jungen Shinobi aber nicht in Erinnerung, aber auch darauf hatte er sich eingestellt.
 

Minato war sich während seiner Anreise unschlüssig gewesen, was ihn wohl erwartete. Zu einem Ergebnis war er allerdings nicht gekommen. Ergeben seufzte er, legte den Kopf schief und beäugte den Uchiha zweifelnd. Er wusste ganz genau, wohin der Weg hätte gehen sollen. Und er wusste auch, was Obito dort erwartete. Und er hatte eine grobe Vorstellung, warum Obito so dringend diesen Weg zu Ende gehen wollte. Er hatte ein großes Herz, ihm gingen Dinge nah. Und das hier… das musste ihn innerlich zerreißen. Minato war bewusst, dass er sich keine Vorstellung davon machen konnte, wie es wohl in Obitos Inneren aussah. Aber… was hätte es dem Jungen gebracht? Was brachte es Obito sich dieses Leid immer und immer wieder anzusehen? Dasselbe Bild? Es ging ihm davon nicht besser. Und ob Kakashi überhaupt bemerkte, dass…? Letztendlich war doch der einzige Unterschied, dass sich zwei junge Kämpfer in dem Raum aufhielten und litten. Aber er verstand seinen Schüler, sah in Obitos Augen eine Welt, die nur aus dem Wunsch Bestand jetzt bei seinem Kameraden zu sein. Um dort zu sein. Um mit eigenen Augen die Bestätigung zu sehen. Diese Bestätigung für etwas, was man nicht in Worte fassen konnte. Also schritt Minato zur Seite, wies Obito mit einem angedeuteten Nicken den Weg.

Er hätte an Obitos Stelle nicht anders gehandelt.
 

Wie von selbst verfielen Obitos Beine in einen Laufschritt, der schnell sein altes Tempo zurückerlangt hatte. Und zurück blieb Minato Namikaze, wissend, dass er sich noch immer um das Wohlergehen seiner beiden Schüler sorgen musste.
 

Einer nach dem anderen. Einander folgend. Immer nur einer. Nach und nach schlossen sich Obitos Finger um die Türklinke. Mit jedem weiteren versuchte er seinen gerade noch neu gewonnen Mut zurückzuholen. Ihn in seinem Inneren zu suchen, während er sich fragte, wo er seinen Mut auf dem kurzen Weg wohl verloren hatte. Aber es war fast, als würde diese Tür selbst jeglichen Mut und all seine Entschlossenheit einsaugen. Sein Wille, dieses Zimmer zu betreten, war ins Wanken geraten.

Was ihn wohl erwartete? Ob es das Richtige war? Was war das Richtige? Was sollte er machen, was sollte er sagen, wenn… wenn…? Gab es noch etwas zu sagen? Eigentlich, und das wusste er, gab es einiges zu sagen. Vor allem, dass es ihm von Herzen leidtat. Auch, wenn das Kakashi nicht half. Auch, wenn er es aus purem Egoismus sagte. Aber er erwartete nicht, dass es ihm selbst danach besser ging. Dennoch! Er musste es Kakashi sagen, er meinte es ernst! Aber er hatte auch schon ganz andere Dinge ernst gemeint. In den denkbar schlechtesten Momenten. Seine Zweifel in diesem Moment, jetzt vor dieser Tür, waren nicht ganz unberechtigt. Ob ihm diese innere Rechtfertigung nun weiterhalf? Die Antwort kannte Obito, und dennoch rührte er sich keinen Fleck. Dennoch stand er hier und überlegte. Zögerte. Zweifelte. Er sah Kakashis Vorwurf in dessen Augen. Dessen Vorwürfe. Nur sah er dieses Mal nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Wie Kakashi ihn… er biss sich auf die Lippen. War es nicht das, was er wollte? Dass Kakashi ihn wieder ansah? Dass er ihn weder ansehen konnte? Und nichtsdestotrotz stand er hier und hatte Angst vor eben dieser Zukunft. Wie schäbig.

Was... was wäre, wenn Kakashi nie wieder ein Shinobi sein könnte? Was, wenn das noch nicht einmal das Schlimmste war? Wenn er ganz andere Folgen zu ertragen hatte? Wenn… wenn… er schluckte hart, fühlte Schmerz in seiner trockenen Kehle. Und umgriff den Türgriff stärker, Halt suchend und mit der Hoffnung Mut zu schöpfen.
 

Nein. Nein!

So durfte er ganz einfach nicht denken. Er musste das Wesentliche sehen. Er würde diese Tür öffnen und seinen Teamkameraden sehen. Kakashi Hatake. Kakashi, der am Leben war. Kakashi, dessen Herz schlug. Und das war das einzige, was jetzt wichtig war. Es war egoistisch zu denken, was er fühlen würde, wenn Kakashi in welcher Weise auch immer mit ihm umgehen würde. Das war doch völlig egal. Hauptsache, Kakashi lebte. Und wenn er ihn hasste, dann sollte es so sein. Und das war in Ordnung, solange der Hatake nur weiterlebte.
 

Sekunden der Unendlichkeit, Minuten des Wartens und Stunden der Verzweiflung.
 

Wie oft saß er nun schon hier? Hier, neben Kakashis Krankenbett. Neben den Geräten, die unentwegt Geräusche von sich gaben. Die seinen besten Freund am Leben hielten, nachdem er es war der… weiter wollte er nicht denken. Wie viele Male hatte er geweint? Vor Schmerz. Vor Angst. Unwissenheit. Schwäche. Weil er die Schuld nicht länger ertragen konnte. Weil er das alles nicht ertragen konnte. Die Last auf seinen Schultern. Diese Schwere, die ihn nicht atmen ließ. Weil er all dem einfach nicht entkommen konnte. Es gab keinen Ausweg und es gab auch keinen Knopf, der die Zeit zurückdrehen konnte.

Und jedes Mal sah er, wie Kakashi hier lag und dem Totenreich näher zu sein schien als dem der Lebenden. Und das war alles seine Schuld. Er hatte Kakashis Leben wahrscheinlich auf immer zerstört, wenn er es ihm nicht sogar genommen hatte.

Und nun war er wieder hier an Kakashis Seite. Und er würde es wieder sein. Er würde hier bei seinem Kameraden sein und ihn nicht allein lassen. Das hatte er sich vorgenommen. Er hatte Kakashi in diese Lage gebracht, er ließ ihn jetzt auch nicht allein. Auch, wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, wie das alles wohl weitergehen würde. Ob Kakashi das überhaupt zulassen würde, geschweige denn von wollen… Obito seufzte tonlos, seine Schultern sackten nach unten. Was sollte er nur machen?
 

Sekunden des Grübelns, Minuten der Hoffnung und Stunden, die mit Warten vergingen.
 

Aber Kakashi hatte doch die Augen geöffnet. Das war keine Illusion. Das war kein Zufall. Er war sich sicher: Kakashi kämpfte. Also musste er nur hierbleiben und warten. Darauf warten, dass Kakashi die Augen öffnete. Dass er zurückkam. Obito hatte wieder Grund zu hoffen. Grund, an etwas zu glauben, dass real zu sein schien. Es war nicht mehr das verzweifelte Hoffen auf ein Wunder. Denn das schien bereits geschehen zu sein. Immerhin lebte Kakashi. Und er hatte die Augen geöffnet.

Das alles schien so irreal, dass der junge Uchiha es sich immer wieder vorhalten musste. In seinem Inneren war diese penetrante Stimme, die ihn kontinuierlich an diese eine Sache erinnerte: Kakashi hatte die Augen geöffnet. Dinge würden sich wieder ändern. Es war nicht die Zeit in Selbstmitleid zu zerfließen. Sich selbst mit Vorwürfen zu plagen. Nicht jetzt. Dies könne später immer noch der Hatake übernehmen – und das würde er. Himmel, nichts würde er an Obito heil lassen. Und so sehr es ihm davor graute, denn er wusste Kakashi hatte recht, so sehr wünschte er es sich auch.

Und wenn Kakashi es zuließ, dann würde er auch dann noch da sein. Er konnte nichts rückgängig machen, aber er wollte dafür geradestehen. Wie auch immer das aussah. Er wollte helfen, er wollte da sein.
 

Obwohl… Obito lächelte bitter, als er sich vorstellte Kakashi zu helfen. Wie würde das aussehen? Wäre er eine wirkliche Hilfe? Würde er nicht noch versehentlich über Bett und Stuhl stolpern oder wichtige Kabel und Infusionen ausreißen? Etwas über Kakashi verschütten?

Er wusste durchaus über sein Talent. Er wusste, er war etwas … tollpatschig. Und die Wahl des richtigen Zeitpunkts… nun ja, die hatte sie alle hierher gebracht. Er hätte Kakashi fast umgebracht. Damals wollte er auch nichts Böses. Er wollte nur… Am liebsten hätte er gesagt ‚Hättest du mich doch nur nicht dazu gedrängt Kakashi‘, doch das war nicht wahr. Sein eigenes Verhalten hatte das alles erst eingeleitet. Kakashi wollte nur, dass sie wieder funktionstüchtig waren. Dass sie kämpfen konnten. Allein nach seinem Geständnis hätte er seine inoffizielle und verquere Freundschaft zu Kakashi schon nur erhoffen vermocht. Aber jetzt… das war ein Alptraum. Er würde dafür geradestehen wollen, sofern das möglich war. Aber auf irgendeine Art der Zuneigung – und sei es nur Freundschaft – durfte er in seinem Leben nicht mehr hoffen.

Aber… sie waren doch wirklich Freunde gewesen, oder? Auch wenn der Hatake es nicht zugegeben hätte. Er selbst wahrscheinlich auch nicht. Und dennoch, das, was sie verband, das war doch Freundschaft? Nicht wahr?!
 

Als er plötzlich etwas an seiner Schulter spürte, durchfuhr es ihn. Wie vom Blitz getroffen zuckte er zusammen und wäre um Haaresbreite vom Stuhl gefallen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, vernahm er eine sanfte Stimme. Weiblich, wenn auch unbekannt. Obito drehte sich ihr entgegen und sah auf. Vor ihm stand eine der Krankenschwestern und lächelte ihn sanft an. „Ich wollte dich nur bitten zu gehen. Die Besuchszeit ist schon vorbei, weshalb du jetzt leider gehen musst.“

„Aber…“, war wirklich so viel Zeit vergangen? Er war doch gerade eben noch aufgewacht, durch den Gang geeilt und hatte sich hier hingesetzt. Hatte er so lange gewartet? War er so in Gedanken, dass ihm die Zeit völlig entgangen war? Aber wenn er tatsächlich so viel Zeit hier verbracht hatte, warum hatte Kakashi seine Augen nicht geöffnet? Nicht einmal gezuckt? Nein, das war unmöglich. Völlig überfordert und vor allem ungläubig sah er die junge Krankenschwester an, leistete jedoch nur wenig Widerstand als sie ihn behutsam, aber bestimmt aus dem Raum führte.
 

~~
 

Es war nur ein einziger Laut. Ein kehliges Stöhnen, dass unter Zwang seine Lippen verließ. Irgendetwas zwang ihn dazu, sich zu bewegen. Seine Lungen zu bewegen. Und allein dieser einzige Laut jagte in durch die Hölle. Es war wie ein Feuer, dass durch seine trockene Kehle fegte und alles verletzte was es berührte. Es brannte, es schmerzte. Überall, und es benebelte sein Denken. Seine Wahrnehmung. Alles. Es war das einzige was er spürte. Es war das, was ihn tiefer in die Dunkelheit jagte und irgendwie auch aus ihr heraus. War es Dunkelheit? Irgendwie schon. Und irgendwie auch nicht. Er hatte das Gefühl, die ganze Zeit von Dunkelheit umgeben zu sein – nur von einer viel angenehmeren. Mehr wusste er nicht. Mehr konnte er nicht greifen. Kein Gedanke wollte sich fassen lassen. Es war einfach dunkel. Und da war dieses Feuer. Und diese Bewegungen. Er bewegte sich… irgendwie. Und irgendwie auch nicht. Und dann kamen die Schmerzen. Und er wünschte sich zurück in diese Dunkelheit zu fallen. Hier weg, wo auch immer er war. Nur weg. Und dennoch spürte er einen weiteren Feuerschwall in sich hinaufkriechen. Er wollte schreien, er wollte hier weg. Er wollte rennen und konnte sich nicht bewegen, doch sein Körper reagierte nicht. Doch irgendwie… er schien sich zu bewegen, ohne auch nur den geringsten Einfluss zu haben.

Was war dieses Feuer? Es brannte höllisch und fraß sich durch jede Zelle seines Körpers. Er fühlte sich, als würde er innerlich zerbersten, jede einzelne seiner Zellen zerplatzen. Dieser Druck, der ihn ans Äußerste drängte und dann wieder nachließ. Unnachgiebig. In einer unerträglichen Regelmäßigkeit. Feuer. Schmerzen. Es war das einzige, was er in dieser Dunkelheit wahrnahm. Unerträgliche Schmerzen. Wie lange würde es dauern, bis ihn die Dunkelheit zerfraß? Oder würde sie ihn in dieses angenehme Nichts hinübergleiten lassen? Er hoffte es inständig. Und wieder fühlte er, wie sein Inneres bis ans Äußerste nach außen gepresst wurde, wie sich sein Körper dagegen wehrte, wie ihn der Schmerz einnahm. Er hielt es nicht aus. Wann würde es aufhören? Es brannte, es fraß an ihm und es ließ nicht nach. Es war ein Teufelskreis. Erst der Druck, die Spannung, das Gewebe, welches sich gegen seinen Willen zum Zerreißen spannte. Dann flaute es ab und dieser andere Schmerz, dieses schmerzende Ziehen, wenn lose Enden auf einander trafen. Wenn sich die Flammen mit Wucht aufeinanderpressten und er fühlte unter dem Gewicht zerquetscht zu werden. Bis es sich wieder hob, so sehr bis alles zerbarst. Es raubte ihm den Atem, es nahm ihm jegliche Kraft, kein klarer Gedanken ließ sich fassen. Es war die Hölle. Und dennoch bewegte er sich. Dennoch atmete er. Irgendwie. Und irgendwie auch nicht. Es sollte aufhören. Er hielt das nicht aus.
 

Wieder hob sich alles an, wieder fühlte es sich an, als würden kleine Teile platzen, bis es im Großen und Ganzen in sich zusammenfiel. Da war dieser kleine Moment. Dieser Moment, wenn er nicht unter dem Druck zu zerbersten fürchtete und bevor er von dem Gewicht erdrückt wurde. Dieser Moment, indem er sank. Nach unten, oder hinten? Wohin sank er? Was war das alles hier? Was war das für eine Finsternis, die ihn umgab? Was versuchte ihn in tausend Stücke zu zerfetzen?

Er fühlte etwas Weiches. Irgendwie, irgendwo. Aber etwas Weiches konnte ihm doch keine Schmerzen zufügen? Was war hier los? Wo war er? Was passierte hier? Er versuchte Antworten zu finden, doch nichts war greifbar. Kein Gedanke. Kein Bild, keine Erinnerung. Nichts. Nur ein kurzes Aufflimmern von Dingen. Von Schmerzen. Von Bewegungen. Von etwas Weichem. Von Fragen. Keine Antworten, nichts Konkretes. Keine Worte, keine Gefühle, nichts. Nur dieses unsichere Hinabgleiten. Und diese Hölle.
 

~~
 

Obito schlich langsam den langen Gang entlang, bog hier und da mal ab, bis er zur Rezeption kam. Es war doch tatsächlich schon dunkel geworden. Aber das war es nicht, was ihm so unbegreiflich war. Wieso musste er jetzt gehen? Hatte Sensei Minato etwas mit den Verantwortlichen vor Ort besprochen? Entscheidungen getroffen? Sonst hatte er doch auch bleiben dürfen. Nein, eigentlich zweifelte er nicht an seinem Sensei. Er würde so etwas nicht machen, dazu hatte er keinen Grund. Und immerhin wirkte er so, als würde er Obito unterstützen wollen.

Nein, es war viel mehr so, dass es vorher niemanden interessiert hatte. Vielleicht weil sie Kakashi abgeschrieben hatten und es daher egal war, ob in seinem Zimmer die Regeln befolgt wurden. Oder wurden sie durch Minato wieder an ihre Pflichten erinnert? War das so eine Sache zwischen Dörfern in Zeiten der Krise? Hatte Konohagakure seine Position klar gemacht? War Kakashi deswegen nicht mehr egal? Oder… oder hatten nun auch die Ärzte wieder Aussichten auf Erfolg? Den Erfolg ein Leben gerettet zu haben. Immerhin hatte Kakashi seine Augen geöffnet.
 

Egal, wie er es drehte und wendete, von welchem Blickwinkel er es auch betrachtete. Es gefiel ihm alles nicht. Es fühlte sich so falsch an, verwerflich. Es sollte um Kakashi gehen. Nur um Kakashi. Nicht um Politik, Druck, Krisen, Erfolg und all die anderen Gründe, die sie haben könnten. Es war so falsch… und es bedeutete, dass Kakashi Hatake selbst eigentlich egal gewesen war. Wie konnte das sein? Er war doch das Wichtigste. Sein Leben war es doch, das am seidenen Faden hing. Wegen und für Kakashi waren sie alle hier. Auch wenn er nicht direkter Verursacher der ganzen Misere war, war er trotz allem der Mittelpunkt. Wie konnte er so lange egal gewesen sein?!

Wie konnten sie ihn so schnell abgeschrieben haben? Waren diese ganzen Arztbesuche dann nur zum Schein? War es dann egal, dass Kakashi litt? Dass er kämpfte? Dass Geräte versuchten sein Leben zu erhalten? War es dann nur ein nicht anderweitig nutzbares Zimmer?
 

Obito schalt sich innerlich. Er sollte nicht so denken. Er wusste es nicht. Er wusste nicht, ob es wirklich so war. Und fairerweise musste er zugeben, dass er in letzter Zeit nicht viel mitbekommen hatte. Und überhaupt war es immer Rin gewesen, die ihn auf den neuesten Stand gebracht hatte. Oder eben auch Kakashi – auf seine ganz eigene, zuvorkommende Weise eben.

Wortlos zog er an Misami vorbei, ohne sie überhaupt bemerkt zu haben. So sehr er es auch versuchte, es ging ihm ging aus dem Kopf. Er war fassungslos über den Gedanken, der in seinem Kopf langsam die Überhand gewann: Die Ärzte hatten Kakashi eventuell seit längerem offiziell als verlorenen Fall erklärt. Doch dann hatte Kakashi Hatake die Augen geöffnet.
 

~~
 

Wo war er hier? Wieso konnte er nichts außer Schwärze sehen? Was war passiert? Wieso war er von völliger Finsternis umgeben? War er allein hier?

Ja, vermutlich war er allein. So fühlte sich das doch an, oder? Müsste es sich nicht anders anfühlen, wenn noch jemand hier war? Wieso sollte er hier jemanden antreffen, wenn er doch nicht einmal wusste, wie er hier her kam. Was geschehen war. Diese Dunkelheit, diese Hölle. Die Qualen, die in einer gnadenlosen Regelmäßigkeit abliefen. Aber er war allein, so musste es sein. Er hatte das Gefühl, Einsamkeit zu kennen. War er schon immer allein gewesen? War da eine Mutter, die auf ihn wartete? Ein Vater, der ihn beschützte? Irgendjemand anderes? Er wusste es nicht, er konnte sich an nichts erinnern. Er wusste nichts und es gelang ihn nicht in seinen Erinnerungen danach zu suchen. Aber ihn beschlich dieses seltsame Gefühl, dass dem nicht so war. Dass er allein war und es schon immer gewesen zu sein schien.
 

Und dennoch war da so ein seltsames Etwas, das versuchte sich an die Oberfläche zu drängen. Was war das? Es störte, es wollte ihm etwas sagen. Doch was? Er konnte sich nicht konzentrieren, er konnte sich nicht erinnern. Alles war schwarz. Und dann war da dieses Brennen. Dieses Feuer, das ihn in die Hölle schickte und doch nichts erhellte.

Wieso war er allein? Wieso hörte das alles nicht auf? Wo kamen diese Schmerzen her und was bedeutete das alles? Die Qualen, die Finsternis… wo waren seine Erinnerungen? Was passierte hier? Was war passiert, dass er solche Schmerzen erleiden musste? Es fühlte sich so unendlich qualvoll an, an diesem Ort allein zu sein…

Wieso musste er diese Schmerzen erleiden? Wieso musste er hier allein sein? Wie lange würde dieser Zustand noch anhalten, ob er flüchten konnte? All diese Fragen schwebten um ihn herum in dieser Schwärze. Einer Dunkelheit, in der er nichts sah. Nicht einmal sich selbst. Es war wie ein Teufelskreis. Er wollte das nicht länger ertragen. Er konnte nicht einmal sagen, welche Pein die Schlimmere war. War es das Gefühl zu zerbersten… oder war es dieses seltsame Gefühl von Einsamkeit und Hilflosigkeit? Er versank in dieser seltsamen Welt, als wäre er gefangen in Treibsand. Würde das alles ein Ende haben, wenn er sich einfach verschlingen ließ? Wenn er einfach nachgab, keine Fragen mehr stellte. Wenn er sich dem Schmerz hingab und es einfach geschehen ließ. Doch da war dieses etwas, dass sich in den Vordergrund zu drängen versuchte. Dieses Etwas, dass weder Namen noch Form hatte. Er wusste nur, dass da etwas war. Irgendetwas. Oder jemand? War er doch nicht allein?
 

Das Gewicht, dass ihn die Tiefe zog, wurde leichter. Und dann folgte auch schon der Druck, der sich berechnend langsam aufbaute, bis er das Gefühl hatte zu platzen. Bis er wich und ein Höllenfeuer durch jede einzelne seiner Zellen loderte. Und dann war da ein Bild. Es sollte ihm bekannt vorkommen. Er wollte es greifen, sich einprägen und es nicht loslassen. Es durfte nicht in der Dunkelheit verbleichen. Es musste bleiben. Es war alles, was er hatte. Es war vielleicht das Einzige, was ihm helfen konnte. Ein Anker, etwas Reales. Etwas, das ihn hielt. Dieses Bild. Dieses Gesicht, dass aufblitzte. Ein Gesicht, dass ihm so vertraut vorkam. Seltsam vertraut. Er spürte die Zweifel. Und die Verzweiflung. Er sollte sich an diese Person erinnern, er müsste wissen, zu wem dieses Gesicht gehörte. Welche Rolle diese Person hatte. Wieso gelang es ihm nicht? Wieso…?!

War das ein Fetzen seiner Vergangenheit? Waren da noch mehr? Er musste sich erinnern. Er musste sich an etwas festhalten können, bevor die nächste Welle von Schmerzen über ihn hineinbrach.

Dieses Gesicht, diese vertrauten Züge… woher kannte er sie? Und wieso waren diese Züge so… traurig? Nein, nicht Trauer. Es war etwas anderes, was sich in den Tiefen dieser Augen spiegelte. Verzweiflung. Pure Verzweiflung. Und Angst. Was hatte das zu bedeuten? Wovor hatte diese Person Angst? Was war dieser Person passiert? Etwa das Gleiche, wie ihm? War diese Person auch allein? Oder hatte sie ihn allein gelassen? Hatte sie ihn diesen Schmerzen ausgeliefert, dieser Finsternis?

Wo war dieser Mensch jetzt? Was war passiert? Und wieder dieses Brennen, welches sich wie Fegefeuer seiner Sinne beraubte. Und dieses Nass, welches an ihm hinablief. Nur ein einzelner Tropfen, dann merkte er, wie er sich der Ohnmacht hingab. Seine Gedanken sich auflösten und er langsam zurück in die Dunkelheit sank.
 

So war es besser. So sollte es bleiben... so sollte es enden. Schmerzlos. Bitte.

Er war hier. Wo auch immer das war. Er versuchte sich bemüht im Raum umzusehen, Konturen zu erkennen und auch nur den kleinsten Hinweis dafür zu bekommen, wo er war. Was das war. Was um alles in der Welt los war. Irgendetwas stimmte nicht. Nein, eigentlich stimmte gar nichts. Doch seine Sicht wollte sich nicht so recht klären, seine Augen erübrigten sich als ziemlich unkooperativ.

Doch er schien allein zu sein. Er hörte keine Stimmen, keine Schritte, keine Bewegungen. Nur Geräusche, die sein Hirn noch nicht einzuordnen wusste. Irgendwie kamen sie ihm bekannt vor. Irgendwo hatte er sie schon einmal gehört, oder eine Vorstellung davon bekommen. Außerdem waren diese Geräusche schon seit längerem hier. Woher auch immer er das wusste. Wo auch immer hier war.
 

Er war allein. Schon wieder. Irgendwie.

Denn irgendwie hatte er sich schon immer allein gefühlt. Einsam. Im Stich gelassen. Auf sich allein gestellt. Obwohl er von Menschen umgeben war. Menschen, die ihm angeblich nahe sein wollten, die ihm helfen wollten, die seine Freundschaft wollten. Doch er konnte sich an keines ihrer Gesichter erkennen. An kein einziges. Und kein einziges war hier, das wusste er. Auch wenn er es nicht richtig erkennen konnte. Er spürte es. Und so sehr er auch wusste wie schmerzlich es war im Stich gelassen zu werden... er spürte es nicht. Nur zum Teil. Denn das einzige, was er spürte, war das Zerbersten seiner Zellen, sein Körper, der unter dem Druck an sein Äußerstes zu gehen schien. Aber welcher Druck? Was war das? Er spürte, wie sich sein Körper bewegte, wie er sich leicht hob. Der Druck sich aufbaute, die ersten Fasern seines Körpers sich sträubten. Solange bis er es schier nicht mehr auszuhalten schien. Und dann verschwand es, ganz schnell. Es fiel alles in sich zusammen. Er zerquetschte ihn regelrecht. Und obwohl ihm der Atem wegblieb, so sehr schmerzte es – er atmete. Er spürte den Sauerstoff, der durch jede einzelne seiner Zellen strömte.

Aber das war nicht das einzige. Er spürte das Brennen unter ihm. Es war wie Feuer. Es nagte an ihm, langsam, quälend. Und es zog ihn mit sich. Er fühlte sich schwer, als würde sein ganzes Gewicht sich dem Feuer entgegen drücken, ihm die Türen öffnen. Sein Untergrund fühlte sich hart an. Hart und uneben. Es waren wie Risse, die unter ihm verliefen. Und es war sein Körper, welcher der Schwerkraft um ein Vielfältiges ausgesetzt zu sein schien. Der vor Schmerz pulsierte und ihm auf quälende Art und Weise klar machte, dass sein Herz noch schlug. Dass seine Haut sensibler war als je zuvor, dass jeder Reiz, jede Veränderung, jeder Kontakt ihn voll und ganz einnahm. Seine Sinne vernebelte und einen Schmerz durch seine Glieder jagte, den er kaum Widerstand leisten konnte. Den er kaum ertragen konnte. Doch irgendwie konnte er. Irgendwie balancierte er hier an der Grenze des Möglichen. Und nichts war verlockender als diese Grenze zu überschreiten. Es nicht auszuhalten und einfach ins schwarze Nichts abzudriften.

Doch der Wunsch wurde ihm nicht erfüllt. Stattdessen fühlte er, wie die Sonne auf ihn hinab schien. Wie sie ihre wärmenden Strahlen überall auf ihm verteilte. Er spürte die Wärme überall, vor allem in seinem Gesicht. Es war warm. Zu warm. Und er könnte schwören den Spott zu spüren. Das Feuer in dem er sich suhlte noch anzufachen. Dieses angebliche Positive; Sonnenstrahlen, als Folterelement in seiner persönlichen Hölle. Von innen dem Zerbersten nah, äußerlich diesem Feuer ausgesetzt. Aber war es wirklich Feuer? War es wirklich äußerlich? Er spürte es überall. Das Brennen, den Druck und den Schmerz. Der Schmerz, der seine Gedanken zunehmend vereinnahmte.

Wo war er hier? Was war dieses hier? Und wie war er hierher gekommen?

Wenn es doch nur irgendeine Möglichkeit gäbe, dem ganzen zu entfliehen. Aus dieser Situation zu entkommen. Wenn da doch nur irgendjemand wäre. Doch er war allein.

Er schloss die Augen wieder. An seiner Stirn nahm er ein Kitzeln war. Etwas bewegte sich, es rann an ihm hinab. Stimmt. Ihm war warm. Und es brannte. Er brannte. Und noch viel mehr. Es schmerzte und was auch immer unter ihm war schien sich zu bewegen. Oder? Irgendetwas bewegte sich. Irgendetwas zog an ihm.

Nein. Es waren nicht nur seine inneren Organe, die dem Zerbersten nah waren. Da war etwas an seinem Rücken. Irgendetwas versuchte seinen Rücken in tausend Fetzen zu zerreißen, er spürte die Spannung. Spürte, wie sie sich aufbaute, wie sie nachließ und wie dieser seltsame, unebene Untergrund sein Übriges hinzugab. Er spürte den Schmerz an allen Stellen. Und so sehr er schreien wollte, so sehr er hier weg wollte, er schaffte es nicht. Er wusste, er konnte sich nicht bewegen. Er war wie gelähmt. Wie kam es dazu?
 

Er musste es herausfinden. Er musste sich erinnern. Nur an was? Wo sollte er anfangen? Er wusste nicht, was passiert war, wie er hierhergekommen war, wo er war. Wer er war und welches Leben das seine war.

Die Frage nach sich selbst war schwieriger zu beantworten. Das wusste er. Irgendwie.

Also würde er damit anfangen müssen herauszufinden, wo er war und nicht wer. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht verhindern, dass die Welt um ihn herum in wieder in tiefem Schwarz versank.
 


 

~-~-~
 

Ein Krankenhaus.

Geräte. Sauerstoff.

Ein Krankenbett. Stoff.

Nadeln.
 

Das war es.

Das war, wo er war.

Das war, was hier geschah.

Das war die Ursache seiner Schmerzen. Obwohl er wusste, dass ‚Ursache‘ das nicht ganz auf den Punkt brachte. Immerhin war er nicht wegen der Geräte in einem Krankenhaus. Es war der Sauerstoff, der ihn innerlich bis an die Grenzen trieb, ihn zu zerreißen drohte. Aber er war nicht Ursache, dass dies geschah. Es war das Krankenbett, das Bettlaken und der Stoff an sich, der sich anfühlte wie Feuer. Es waren kleine Stofffalten, Material welches sich bewegte und sein permanentes Gewicht, dass ihn stetig der Hölle entgegendrückte. Aber es war nicht das, was seinen Schmerzen zugrunde lag. Dass er das alles fühlte.

Und Nadeln. Er spürte sie nicht, nur die Flüssigkeit, der sie Zugang zu seinem Körper gaben. Das Kalt in seinen Venen, welches langsam in seinen Körper eindrang. Eine klare Flüssigkeit. Und dennoch würde er darauf wetten, dass darin mehr als nur eine Chemikalie war, die seinen Verstand benebelte. Die ihn wegdämmern und keinen klaren Gedanken fassen ließ. Ihm war klar, dass das gewiss nicht die einzige Ursache dafür war, dass ihm jeder einzelne Gedanke so unendlich schwerfiel. Dass er durch ein Dickicht watete, in welchem er an sein Äußerstes gehen musste, um etwas Klares zu fassen. Etwas zu erkennen.

Unter anderem könnte er darauf wetten, dass Tropfen für Tropfen immer mehr Schmerzmittel in seinen Körper flossen. Stetig in einem kontinuierlichen Rhythmus und dennoch nicht genug.

Wie sehr hatte er Ärzte gehasst. Wie sehr verabscheute er Krankenhäuser und wie sehr hatte er sich dagegen gesträubt jemals etwas zu sich zu nehmen, das von eben jenen stammte. Und nun lag er hier. Hilflos ausgeliefert und an Maschinen gekettet, die ihn durch die Hölle und zurücktrieben. Und ihm letztendlich das Leben erleichtern sollten. Welch Ironie. Unfähig sich zu bewegen, unfähig klar zu denken und unwissend. Seine Kraftlosigkeit und Abhängigkeit quälten ihn. Es widerte ihn an, hier ausgeliefert zu liegen, nicht wissend was passiert war. Wie es hierzu gekommen war, was er getan hatte und was er tun musste, um dem Ganzen wieder zu entkommen. War das überhaupt möglich?

Es war erbärmlich. Und dennoch konnte er nicht allzu viel Kraft dafür aufopfern, brauchte er sie doch um diesen elenden Sauerstoff in seinem Körper Einheit zu gebieten. Das alles musste aufhören. Irgendwie. Er war Gefangener in seinem eigenen Körper, ohne den Grund hierfür zu wissen. Er war abhängig von Maschinen und Nadeln. Und den Umständen nach bestimmt auch von anderen. Etwas, dass er nie wollte. Andere brauchen, von ihnen abhängig sein, sie an seinem Leben Teil haben lassen (müssen). Und nun war er abhängig von Menschen, die er noch nicht einmal gesehen hatte.
 

Er wollte das hier alles nicht.
 

Die kahlen Wände dieses Zimmers, die Blässe und Kälte die allgegenwärtig war. Das Ende, welches besser nicht zur Geltung gebracht hätte werden können. Die grellen Strahlen der Sonne, die ihn verhöhnte. Der schale Geschmack in seinem Mund und sein Körper. Sein Körper, der auf seine grundlegendsten Funktionen zurückfuhr und selbst diese nicht alleine bewältigen konnte. Und dann noch dieses monotone Piepen der Geräte, die alle irgendwo an ihm verkabelt waren.

Er wusste, dass er nichts tun konnte. Nichts, was je in seiner Macht stand war ihm übrig, um etwas an der Situation zu ändern. Er war dem hier hilflos erlegen und musste es irgendwie ertragen, ohne zu wissen wie oder wie lange noch. Ob er überhaupt noch am Leben war? Konnte das wirklich alles passiert sein? Es fühlte sich real an, vor allem die Schmerzen. Aber wieso wusste er nicht was passiert war? Wieso war da diese Leere? Und dieses Gefühl, dass ihm gerade etwas Bedeutendes langsam durch die Finger glitt? Das hier war die Hölle.
 


 


 


 


 

„Du bist zu spät.“
 

„Kann mich nicht erinnern, nach deiner Meinung gefragt zu haben.“
 

„Erst zu spät kommen und dann noch die große Klappe haben. Wie man es von einem Versager nicht anders gewohnt ist.“
 

Wie aus dem Nichts waren sie da. Diese Stimmen. In der Dunkelheit. Und doch waren sie es nicht. Er wusste, dass niemand hier war. Irgendwie. Und dennoch, er hörte ganz klar. Nur ein Bild fehlte ihm. Da war kein Gesicht. Da war keine Stadt, kein Wald, kein Ufer, Nichts. Wer sprach mit ihm? Wann?
 

„Wir sollen Begleitschutz leisten. Ich vermute, dass wir durchaus ein paar Tage unterwegs sein werden.“
 

“Wann darf ich diesen Mistkerl endlich umbringen?! Muss denn erst auf einer Mission ein versehentlicher Unfall passieren?!“

„Fit siehst du auch nicht aus. Was habt ihr beide denn gestern noch gemacht?“
 

Was war passiert, wo kamen diese Stimmen her? Wen hörte er? Waren es Erinnerungen? Es wirkte so vertraut... und doch so durcheinander. Er war dort, er wusste es. Er war anwesend gewesen, mitten drin. Nur wo?
 

„Schneller!“ - „Obito?! Was -“ - „Antworte endlich! So langsam endet auch meine Geduld...“
 


 

„Ha, ha!“, ein höhnisches Lachen, welches nach einer gefühlten Ewigkeit die Stille brach, „Ich würde mal sagen, die Mission ist erledigt.“
 


 


 

Jedes Mal, wenn er in die Dunkelheit zurücksank und sich der Schwärze hingab kamen sie. Diese Bilder. Fetzen von etwas. Etwas, das mit seinen Erinnerungen zu tun hatte. Etwas, das ihm entglitt. Etwas, das bedeutend war. Etwas wichtiges. Aber er wusste nicht, wen er hörte. Was passiert war, wo es passiert war. Warum.

Zudem spürte er jeden der kleinen Fäden in seinem Rücken, die ihn zusammenhielten, seine Wunden schlossen. Er spürte die Haut, die sich dagegen wehrte, sich bis aufs äußerste spannte. Er wusste auf einmal, dass es Fäden sein mussten. Denn er wusste, dass er von etwas Scharfem getroffen wurde, er hatte es im Gefühl. Er wusste, dass er an all jenen Stellen Wunden haben musste.

Und er spürte jede kleinste Falte des Stoffes, den er anhatte. Nicht zu vergessen die Unebenheiten der Matratze und die kleinen Falten des Bettlakens. Es störte. Wahrscheinlich würde es ihm nicht einmal auffallen, könnte er sich endlich irgendwie ablenken, aber er wusste nicht wie.

Seine Gedanken zu ordnen würde keinen Sinn haben, das hatte er schon zu oft versucht. Diese Fetzen von irgendeinem Etwas, die keinen Sinn ergaben.
 

Hatte es eine Mission gegeben? Er konnte sich keinen Reim daraus machen. Auch nicht, woher diese Erinnerungen kamen, wen er hörte. Wieso eine Mission, wieso diese Fetzen? Auf einmal waren sie da. Es waren keine Schatten, die langsam verschwanden. Kein Nebel, der klarer und klarer wurde. Nein. Es war da, wie aus dem nichts. Es würde nicht gehen. Es würde bleiben, egal wie unvollständig es war.

Waren das die Antworten, die er wollte? War das die Antwort, die sein Gehirn auf das alles geben konnte? Klägliche Fetzen von Erinnerungen, die keinen Sinn ergaben, die er nicht zuordnen konnte… ?
 

Vielleicht erinnerte er sich an mehr, als er eigentlich wollte... das Letzte, was er mitbekam, waren verzweifelte Schreie, die nur einen Bruchteil der Panik und der Angst ausdrückten, die die Leute hatten. Aber er wusste nicht, wer geschrien hatte...
 

Er schloss die Augen, ignorierte den Schmerz, der ihn bei dieser Erinnerung durchfuhr.
 

Obito... das war alles... war es… ? Aber, wo war er dann? Wenn es eine Mission war, wieso war niemand hier? Wo war er? War er wirklich noch am Leben? Waren es die anderen? Obito? Wo war sein Teamkamerad?
 

Er hatte doch sonst immer so gehöhnt, dass er echte Freunde nie im Stich lassen würde...

Hatte er ihn im Stich gelassen? Waren sie je so etwas wie Freunde? Für ihn war Obito ein Freund. Das gestand er sich selbst, hätte das jedoch nie vor irgendjemanden zugegeben. Aber wenigstens sich selbst gegenüber war er ehrlich.
 

Und das hatte es ihm jetzt gebracht. Selbst lebensunfähig an irgendwelchen Geräten angeschlossen und allein. Seine Zukunft wollte er sich gar nicht vorstellen.

War es vielleicht doch allein seine Schuld? Lag es an ihm? Aber was genau? War Obito noch am Leben? Was zur Hölle war passiert?
 


 

Er vernahm ein Klacken. Es war die Tür, da war er sich sicher. Was könnte es sonst sein? Eine Maschine, die ihm bislang entgangen war? Unwahrscheinlich.

Ohne sich zu regen versuchte er seine Sinne zu schärfen, der Dunkelheit zu entgehen. Keinen Augenblick später öffnete sich die Tür, er konnte es hören. Seine Sinne waren schärfer, seine Reflexe noch immer in seinem Inneren fest verankert. Es gab doch noch etwas, das funktionierte. Auf das er sich berufen konnte, wenn auch nur kläglich.
 

Die Person, die durch die Tür schritt, näherte sich ihm bis sie neben ihm stand. Die Distanz, die sein Besuch zum Bett gewahrt hatte, musste gering sein. Dann war Stille. Kein fremdes Geräusch, keine Bewegung rührte die Luft. Er wartete kurz. Ob er sich das eingebildet hatte, ob das nur sein Wunsch war der Dunkelheit zu entfliehen? Vielleicht die Befürchtung, dass ein Detail verloren gehen könnte. Die Stille gab ihm erneut die Chance, zurück ins Dunkel zu sinken, sich völlig fallen zu lassen. Doch dieses Mal war es nicht still. Da waren wieder diese Fetzen, Stimmen, die er nicht zuordnen konnte. Doch er konnte kaum verstehen, was sie ihm sagten, es war so undeutlich. Was war es, was sie ihm sagten? Es klang so aufgebracht, panisch, unkontrolliert. Wieso konnte er sie nicht mehr hören, obwohl sie doch in ihm verhallten? Er musste sich anstrengen, er musste ihnen irgendwie näherkommen. Jedes Detail war wichtig, es könnte die losen Teile des Puzzles zusammenfügen. Wenn sein Bewusstsein nicht schon wieder abdriften würde, ihn in brennende Watte einpackte. Es war die Hölle….
 

„Dafür werdet ihr alle büßen!“
 

„Ich“, wieder und wieder entkam seiner Kehle ein Schluchzen, „Ich… ich brauche Hilfe!“
 


 

Panik ergriff ihn. Was war das?! Wie von Strom berührt riss er die Augen auf und blickte direkt in ihm fremde Gesichtszüge.
 

"Hallo Kakashi".
 


 

Was war passiert?

Er verfolgte jede kleinste Bewegung aufmerksam, beobachtete, musterte alles bis ins Detail. Vielleicht könne sein Besucher ihm sagen, was ihm entgangen war oder ihm Auskunft über all jenes verschaffen, an was er sich nicht erinnerte. Er war die Ablenkung, die er brauchte. Die Einsamkeit fraß ihn innerlich auf, ließ ihm keine Ruhe. Denn so hatte er nur noch mehr Zeit, langsam den Verstand zu verlieren. Fragen in den Raum zu stellen, auf die er doch keine Antwort bekam.

"Lange nicht gesehen." Er grinste Kakashi neckend an, setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand.

Jedoch war es dem Hatake ein Rätsel, was ihm die Ehre verschaffte diesen Besuch zu bekommen. Wer war er überhaupt? Er erinnerte ihn an jemanden. Aber wem könnte er ähnlichsehen? Ob es mit der Mission zu tun hatte? Bestimmt, anders konnte er es sich nicht erklären. Er konnte im Grunde genommen nichts erklären. Eigentlich wusste er nichts, aber er konnte sich gut vorstellen, dass die Mission schon längst erledigt war. Eine Mission, von der er annahm, dass sie stattgefunden hatte. Was machte diese Person also in Konoha? Noch dazu im Krankenhaus?
 

Er war doch in Konoha, … oder?
 

Es war eine weitere Frage in seinem Chaos. In dem, was er derzeit wohl als ‚Leben‘ betiteln musste, obwohl es dem nicht einmal nahekam. Aber in diesem speziellen Fall wusste er ganz klar: Er hasste diese Frage. Diese Hilflosigkeit, der man dadurch Ausdruck verlieh. Die gesetzte Standartmäßigkeit, der man sich hingab. Diese Frage, die von jedem in ähnlicher Situation wohl gefragt werden musste, zumindest in all den schlechten Filmen. Das Geständnis, verloren zu sein … Aber: Wo war er?

Im Krankenhaus, so viel ihm klar, nur wo?
 

~~
 

„Kannst du mir mal verraten, was ein alter Perversling, wie du, von mir will? Müsstest du um diese Uhrzeit nicht deinen Rausch ausschlafen oder sabbernd an einem Guckloch hängen, Spanner?“

„Reg dich doch bitte nicht so auf“, beschwichtigend hob er die Hände, lächelte entschuldigend. Wenn er sie verärgerte, dann hatte das nicht nur für ihn Konsequenzen. Dann hatte er eine auf den ersten Blick einfache und vor allem harmlose Mission mit Bravour zum Scheitern gebracht. Nur war sie so harmlos gar nicht. Und erschwerend hinzukam, dass er ihre Nerven schon früher etwas überstrapaziert hatte.
 

„Raus mit der Sprache, was willst du?“, sie hatte nicht ewig Zeit und ihre Zeit war wertvoll. Wie viel wollte er davon noch vergeuden? Ausgerechnet er… sie wollte weder mit ihm etwas zu tun haben noch mit etwas, das mit ihm in Verbindung stand. Oder eher, wer hinter ihm stand. Mit all dem hatte sie abgeschlossen.

„Schön zu sehen, dass du immer noch so... temperamentvoll wie damals bist... na ja, also wie soll ich sagen… nun… also die Sache ist die...“, wie sollte er nur anfangen? Wenn er sie nicht überzeugen würde, dann… Nein. Er würde das schaffen, immerhin hatte er auf dem Weg reichlich Zeit darüber gegrübelt, wie er ihre Aufmerksamkeit gewinnen konnte. Nur die Sache mit dem Gefallen war eine andere. Und um nichts anderes handelte es sich im Grunde genommen.

„Nun mach schon, ich hab‘ noch was zu erledigen!“ Und dieser Satz gab mehr über sie preis, als ihr wahrscheinlich lieb war. Ob es wirklich immer so guttat, wenn sich manche Dinge einfach nie änderten? Aber diese Information konnte er für sich nutzen, so wie er es eigentlich auch vermutet hatte. Selbstverständlich war sie schlecht gelaunt, wenn sie wieder einmal ihre Schulden zu begleichen hatte.
 

„Ich mache dir einen Vorschlag. Ich zahle deine Schulden in dem hiesigen Casino ab und dafür begleitest du mich?“

Tsunade sah ihn einen Moment lang an, drehte sich dann um und ging weiter. „Abgelehnt.“

„Was?!"

„Du hast mich schon verstanden und nun sieh zu, dass du weiterkommst!", sie winkte salopp mit der Hand ab, würdigte ihn keines weiteren Blickes. Wieso sollte sie auch. Seine Probleme waren nicht die ihren. Als hätte es nicht gereicht, dass er sie damals heimlich beobachtet hatte, dieser Perversling. Es bestand kein Zweifel daran, dass er es jederzeit ohne zu zögern wieder tun würde. Da war sie sich sicher.

„Du würdest damit nicht mir einen Gefallen tun, sondern Minato." Er sah, wie die blonde Frau stehen blieb. Ihr Blick war kritisch, ihre Augenbraue zweifelnd nach oben gewandert.

„Fassen wir das mal zusammen. Du willst, dass ich dich wohin-auch-immer begleite. Du hast keine Lust mit der Sprache herauszurücken, was du eigentlich willst. Das heißt, dass Sensei dich schickt. Und jetzt schiebst du Minato vor? Red‘ keinen Mist. Minato erfüllt seine Aufgaben ordnungsgemäß, denn im Vergleich zu dir besitzt er Anstand. Obwohl anderweitiges bei dem Vorbild ja irgendwann zu erwarten war. Bevor du mir nun also weiter auf die Nerven gehst, sieh zu wie du diesen Mist allein ausbadest, wenn du schon als Sensei versagt hast!“
 

Jiraiya hatte sich wirklich den besten Tag ausgesucht, um Tsunade aufzusuchen. Zwar hatte er sie gefunden, aber diese Vorwürfe hätte er sich auch sparen können. Dennoch musste er sie über sich ergehen lassen und, zugegeben, ihre Worte trafen ihn tiefer, als es ihm lieb gewesen wäre.
 

~~
 

Er sah seinen unbekannten Besucher abwartend an, der gerade nach etwas Bestimmten Ausschau zu halten schien.

"Das muss ganz schön bedrückend für dich sein…", sein Blick schweifte kurz über die Gegebenheiten und richtete sich anschließend wieder auf Kakashi. Dessen vielsagenden Blick bemerkte er, aber er wusste nicht so recht wie er anfangen sollte. Oder wo? Was stand ihm zu dem Jungen zu erzählen? Er konnte in Kakashis Blick sehen, dass neben Schmerz und Verzweiflung vor allem Fragen da waren, auf die er sich keinen Reim zu machen wusste. Und so makaber es in dieser Situation auch schien, es beruhigte ihn. Es war ein gutes Zeichen. Kakashi konnte ihm folgen. Er war ansprechbar und sich seiner mehr bewusst, als viele es noch erwartet hätten.
 

"...Entschuldige bitte“, sein Lächeln war freundlich, wenn auch bedauernd, „Ich weiß nicht so recht, was ich sagen soll. Wie's dir geht muss ich kaum fragen. Ich kann dir auch schlecht erzählen, was heute so in der Zeitung stand, was die Ärzte alles für dich anordnen, oder der neueste Klatsch und Tratsch. Ich könnte dir natürlich auch erzählen, was du für Glück hast, dass deine Geschmacksnerven nicht der Krankenhausküche ausgesetzt werden... und das alles, um dich nicht mit dem herkömmlichen Gelaber von wegen Schweregrad der Verletzungen, Heilungschancen und Abwarten zu überhäufen. Darauf versteift man sich doch zu gern."
 

Er redete mit diesem seltsam freundlichen Lächeln einfach weiter vor sich hin. Ein Lächeln, dass man meinen könnte es wäre ein normaler Tag, ein normales Leben, eine normale Situation mit einer noch normaleren Unterhaltung. Ein Zusammentreffen von alten Bekannten. Und Kakashi fragte sich allmählich, ob er dem Fremden für die Abwechslung danken sollte? Und dennoch konnte er dieses Gefühl nicht ablegen, dass sie wegen ihm auf dieser Mission waren. Dass sie wegen ihm angegriffen wurden und alles unklar wurde. Man könnte fast sagen, wegen ihm lag er eigentlich hier. Und irgendwie war er es auch nicht. Irgendwie hatte dieser Fremde doch nichts mit all dem zu tun.

Aber höchstwahrscheinlich war es ihm selbst und auch Obito zu verschulden, was passiert war. Aus Gewohnheit. Weil es immer so war. Doch das war jetzt auch egal.
 

Wie gerne hätte Kakashi seine Augenbraue zweifelnd gehoben. Wie in alten Zeiten infrage gestellt, was sein Besucher denn nun eigentlich wollte. Ihn während seinen Erzählungen diskret darauf hingewiesen auf den Punkt zu kommen. Und Heilungschancen hörte sich als Anfang doch gar nicht so schlecht an. Doch seine Muskeln gehorchten ihm nicht, also war es belanglos was er wollte. Er konnte es ohnehin nicht zum Ausdruck bringen.

„Mir ist klar, dass du das alles gerade nicht hören möchtest. Dass du Fragen hast. Ich kann deinen Blick durchaus etwas deuten. Ich bin mir nur nicht sicher, was ich dir alles an Informationen geben darf. Es ist nicht ganz so leicht, aber wem sage ich das?“, er lächelte Kakashi entschuldigend an. „Also gut, fangen wir klein an.“, er machte es sich auf dem kleinen Hocker bequem, zog die Beine in den Schneidersitz. Und irgendwie wusste Kakashi, dass alles, was er jetzt hören würde, von immenser Bedeutung war.
 

~~
 

Es hatte mehr gebraucht als vernünftige Worte. Es hatte mehr gebraucht als Anerkennung ihrer Fähigkeiten. Kein Kompliment der Welt war zu ihr durchdringen. Es hatte mehr als nur einen Moment gedauert und es waren wohl die meisten seiner Geduldsfäden dieser Diskussion zu Opfer gefallen.

Doch vor allem hatte es Bestechungen gebraucht. Und schlussendlich hatte sich Tsunade dazu überreden lassen mit ihm zurück nach Konoha zu reisen. Und auch nur, weil es laut ihrer Aussage ‚auf dem Weg lag‘. Dem Hokage Folge zu leisten? Das käme für sie gar nicht infrage. Sie würde zum ‚Hallo sagen‘ schnell vorbeischauen und dann hätte sie ihre Pflicht erfüllt. Er konnte nur hoffen, dass ihr Sensei das regeln würde. Denn akzeptieren würde er ihren Eigenwillen nicht. Nicht dieses Mal. So gutmütig der Hokage auch war, so gelassen er auch wirkte, seine Schüler hatten auch andere Seiten kennengelernt. Die Lehrenden, die Tadelnden, die Strengen, und die Seiten, bei denen Kompromisse nicht mehr als Option zur Verfügung standen.
 

Shizune, die die ganze über Zeit schweigend neben den beiden Streithähnen gestanden hatte, folgte gehorsam. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sie könne in dieser Angelegenheit nichts ausrichten. Vor allem nicht, solange sie nicht wussten worum es überhaupt ginge. Also hielt sie jeglichen Kommentar zurück. Wenn sie jedoch wirklich nach Tsunade verlangten, dann konnte es sich um keine Kleinigkeit handeln. Das machte ihr Sorgen, hoffentlich war es nicht ganz so schlimm. Hoffentlich würde Tsunade in einem solchen Falle nachgeben, hoffentlich könnten sie etwas ausrichten.
 

~~
 

„Ich weiß nicht, an was du dich erinnern kannst. Dein Name ist Kakashi Hatake und du kommst aus Konohagakure. Du warst mit deiner Einheit auf Mission, auf welcher es eure Aufgabe war, einen Jungen deines Alters namens Ren in dieses Dorf zu begleiten. Erinnerst du dich an Ren?“, er sah in Kakashis Augen, dass er ihm folgen konnte. Dass er ihm eine ersehnte Gewissheit zu geben schien. Wahrscheinlich hatte Kakashi all das vermutet, wenn nicht gar gewusst. „Mein Name ist Shuichi, ich bin hier in diesem Krankenhaus in der Ausbildung. Ren ist mein kleiner Bruder, daher weiß ich ein paar Hintergründe eurer Mission.“ Shuichi holte tief Luft, atmete angestrengt wieder aus, „Kakashi, wir sind uns zum ersten Mal begegnet als dein Kamerad mit dir hier im Dorf aufschlug. Du warst schwer verletzt. Ich habe euch beide hier in die Klinik gebracht. Das Ganze ist jetzt ungefähr zwei Wochen her.“
 

Shuichi konnte sehen, welche Schwierigkeiten sein Patient hatte, gefoltert von Schmerz die Augen schloss. All das aufzunehmen und zu verarbeiten musste schwer sein. Und sicherlich klärte das noch nicht einmal ansatzweise, was Kakashi zu verstehen versuchte. Aber er wollte ihn nicht überfordern. Durfte es nicht. Nach und nach mussten sie sich voran arbeiten. Und er wusste, dass er nicht in der Position war Informationen preis zu geben, für die er nicht autorisiert war. Aber Kakashi hier allein zu lassen, nur weil es keine offizielle Besuchszeit war, schien ihm nicht richtig. Die konnte er durch seine interne Stelle zwar umgehen, aber die Stille zu brechen und Kakashi abzulenken war gar nicht so leicht. Shuichi wusste, dass es Obito zu schwer fiel mit Kakashi zu reden, auch wenn dieser nicht bei Bewusstsein war. Er seufzte ergeben und auch Kakashi konnte erkennen, dass ihn etwas plagte. Irgendwie wirkte Shuichi erschöpft. Und dennoch war Kakashi dankbar. Dankbar, dass er etwas Ablenkung bekam. Dass er für einen Moment nicht allein war. Dass es ihm etwas Klarheit gab, einen Anhaltspunkt. Doch all diese Informationen… zum einen bestätigten sie seine Vermutungen. Zum anderen brachten sie nur noch mehr Fragen auf. Welcher Kamerad brachte ihn hier her? War es wirklich Obito? Und wenn es nicht Obito war, wer dann? Und... ging es Obito gut? Was war mit dem Rest seines Teams? Sein Sensei konnte bestimmt gut auf sie aufpassen, doch… wo war Minato Namikaze? Und hatte er auf sie aufgepasst? Wie konnte er dann Kakashi so aus den Augen verlieren? Ging es Sensei Minato gut? Was war mit Rin? Sie war immer so bedacht darauf, dass es allen gut ging. Wo war Rin? Und... dieser Ren. Aber seinem Besucher nach zu urteilen, schien die Mission abgeschlossen zu sein, dessen kleiner Bruder wohl auf. Wo waren also alle? Minato, Rin… Obito? Was hatte es mit den Stimmen auf sich, an die er sich erinnert hatte? Waren sie real, waren das echte Erinnerungen?
 

Wochen… seit Wochen war er hier. Es waren Wochen vergangen. Und erst jetzt hatte er die Augen geöffnet? Wochen, in denen maschinell Sauerstoff durch seinen Körper gejagt wurde. Wochen, von denen er nichts wusste. Wochen, in denen sein Körper nicht geheilt war. Oder doch? Er merkte nichts davon. Er spürte die Fäden, das Brennen jeder einzelnen Faser seines Körpers und diese Hölle. Wochen, und alles, an das er sich erinnern konnte waren Fetzen. Nichts war klar.
 

Das Dickicht, durch das Kakashi zu waten schien, wurde mit jedem Satz nur dicker, undurchsichtiger, schwerer. Es war ein ewiger Teufelskreis. Einer der vielen, denen er nicht zu entkommen schien. Und dennoch… Shuichi konnte sich nicht vorstellen, wie sehr Kakashi es trotz allem genoss, einmal nicht diese erdrückende Stille ertragen zu müssen. Dass endlich die Laute der Geräte übertönt wurden. Doch auch Shuichis Schilderung verstummte kurze Zeit später und als Kakashi nun die Augen öffnete und zu ihm lugte, sah er, dass dieser ernster als vorher aussah. Das Lächeln war für kurze Zeit verschwunden.

„Kakashi, sei gewiss, dass sich alle Sorgen um dich machen. Deine Teamkameradin wirkte ziemlich aufgelöst, als sie zusammen mit eurem Sensei zurück in euer Dorf reisen musste. Sie freut sich bestimmt, wenn sie hört, dass du die Augen aufgemacht hast.“

Sein Sensei war wieder nach Konoha zurückgekehrt. Und Rin. Und er war hier zurückgeblieben. Irgendwie… irgendwie ergab es Sinn. Rational betrachtet mussten sie zurück in ihr altes Leben kehren. Eines, in das er nicht zurückkonnte. Doch… was war mit Obito? Ob er es nicht erwarten konnte zurück nach Konoha zu reisen? Doch Shuichi hatte ihn nicht erwähnt… oder war Obito doch mit inbegriffen gewesen? Hatte es ihn einfach so wenig gejuckt, dass es nicht weiter erwähnenswert war? Vielleicht hatte er sich gefreut, Kakashi endlich los zu sein. Jetzt war da niemand mehr, der ihn aufhielt. Ihn niedermachte oder tadelte. Ja, so war es wahrscheinlich gewesen. Für Obito musste es eine Erleichterung gewesen sein. Eine Last weniger. Und er war hier. Allein.
 

Und so logisch es doch klang, Kakashi konnte nicht leugnen, dass sich irgendetwas seltsam anfühlte. Irgendetwas stimmte nicht, aber er wusste nicht was und bislang hatte es alles Sinn ergeben. Die Fetzen seiner Erinnerung, die Erklärung Shuichis…

Eben dieser sah ihn abwartend an. Was erwartete ihn jetzt noch? Da war so viel, was er nicht wusste. Aber er erinnerte sich auch an Shuichis Unbehagen ihm überhaupt etwas zu erzählen. Es war alles irgendwie seltsam... und falsch. Und wenn Shuichi es ihm nicht erzählen wollte, wieso hatte er ihm dann doch alles gesagt? War das alles, oder doch nur ein Bruchteil? Ein Bruchteil von was? Wie viel war da, was sein Verstand ihm verwehrte? Das alles sollte nicht passieren. Er sollte nicht hier sein. Nicht davon abhängig, dass diese Geräte mit Strom versorgt wurden und ihn am Leben hielten. Dass andere sich seiner annahmen. Ihm sein Leben erklärten. So wie Shuichi gerade eben.

Es war ein Kampf mit sich selbst. Ein Zwiespalt, den er zu balancieren versuchte. So sehr er sich wünschte mehr zu wissen, mehr zu hören und in Erfahrung zu bringen, so sehr spürte er auch, dass er mit der Information, die er gerade bekommen hatte, kaum zurechtkam.
 

„Weißt du eigentlich, dass Obito bis jetzt jeden Tag hier war?“

Wollte der Kerl ihn jetzt hochnehmen? Obito sollte hier gewesen sein?! Jeden Tag? Natürlich. Ausgerechnet Obito, das ergab keinen Sinn. Nicht im Entferntesten. Für Obito war es doch gelegen gekommen, dass sein Rivale aus dem Rennen war. Eventuell sogar endgültig. Was hätte Obito davon jeden Tag herzukommen? Obito, der ewige Weltverbesserer. Der, der nie jemanden im Stich lassen wollte und trotzdem jedes Mal zu spät war. Ausgerechnet…

Kakashi gestand sich insgeheim selbst ein, dass es doch gar nicht so abwegig war. Obwohl Kakashi nicht wusste, ob er es wahr haben wollte. Obito hätte nichts davon hier zu sein. Nicht mit Sensei Minato trainieren zu können, auf Missionen zu gehen, Rin heimlich im Auge zu behalten.
 

Und wieso sollte er davon nie etwas mitbekommen haben? Gestern? Vorgestern? Heute? Er war ja nicht nur seit ein paar Minuten wach... oder? Er war doch wach gewesen. Als ihn der Schmerz übermannte, als er es nicht ertragen konnte und sich wünschte wieder abzudriften.

Wieso hatte er Obito dann nicht gesehen? Vielleicht wollte der Uchiha auch nur sein Gewissen bereinigen, seine Pflicht erfüllen und seinen großen Worten pflichtgemäß nachkommen. So, wie der Hatake ihn kannte, machte er sich bestimmt auch wieder nur Vorwürfe als Uchiha nicht rechtzeitig vor Ort gewesen zu sein, oder was auch immer die Situation war. Darauf konnte Kakashi verzichten. Obito konnte es sich ruhig sparen hier aufzukreuzen. Obito konnte mit seinem Gewissen machen was er wollte, jetzt da sein großes Hindernis endlich aus dem Weg geräumt war. Jetzt hatte der Uchiha keine Probleme mehr, niemanden, der in tadelte und auf seine Mängel hinwies. Jetzt ging es nur noch darum, dass der Uchiha seinen hohen Tönen nachkam. Dass er Rin beweisen konnte, dass er für seine ‚Freunde‘ da war. Das konnte er sich sparen. Weder interessierte Obito sein Zustand wohl wirklich ernsthaft noch konnte es Obito belieben hierher zu kommen. Vor allem, da Rin wohl bereits abgereist war.
 

Eine Frage konnte Kakashi jedoch nicht abschütteln. So sehr er es auch versuchte, so viele Dinge durch seine Gedanken rasten. So viele Fragen, die keine Antworten fanden. Fetzen, die keinen Sinn ergaben. Eine Frage hallte unentwegt in seinem Inneren wider und übertönte letztendlich alle anderen.
 

Was war passiert?
 

~~
 

Hier stand er wieder. Mit Respekt. Unterworfen. Bittend. Und innerlich flehend. Vor dem Hokage. Dieser hatte ihm nur gesagt, er hätte sich der Angelegenheit angenommen und Jiraiya bereits losgeschickt. Minato Namikaze war klar, dass der Hokage damit nichts anderes meinte, als dass nach Tsunade gesucht wurde.

In jenem Moment, als er sich nach der Suche erkunden wollte, flog die Tür lautstark auf, unterbrach mit einem lauten Knall jegliches ausgesprochene und unausgesprochene Wort.
 

Gereizt und mit den Armen vor der Brust verschränkt stand Tsunade vor ihnen. Hinter ihr drückte sich Jiraiya in den Raum, ihre Begleiterin Shizune blieb schüchtern und unangenehm berührt hinter der San-Nin stehen.

Jiraiya spürte die Anspannung, die in der Luft lag. Er sah seinen Schüler, wie er reumütig seiner Schuld beigab und es tat ihm leid. Er hatte am Rande mitbekommen, wie sein Sensei Minato durch die Mangel genommen haben musste. Er selbst hatte dafür bis jetzt noch keine Worte gefunden. Nicht, weil er schockiert, sprachlos oder gar entsetzt über das Handeln seines ehemaligen Schülers war. Nein, eher, weil er sich fragte, ob er nicht ganz genauso gehandelt hätte. Er wusste, Minato würde niemals das Leben anderer riskieren. Niemals. Und genau deswegen konnte er hier nicht mitreden. Weil er nicht wusste was passiert war – und so wie Minato wirkte, wusste dieser es selbst nicht. Tadel wäre das Letzte was Minato von ihm als seinen Sensei zu erwarten hatte. Nur leider konnte er ihn auch nicht in Schutz nehmen. Eben weil so vieles nicht klar war.

Also war die einzige Möglichkeit, die er sah, um seinem ehemaligen Schüler zu helfen, Tsunade zurück ins Dorf zu bringen. Ob sie kooperieren würde? Er hoffte es. Und so herzlos war Tsunade nicht und war es auch nie gewesen.
 

„Abgelehnt.“

„Tsunade.“ Eine Drohung. Minato kannte diese Tonlage des Hokage mittlerweile zu gut.

„Ich weiß nicht, was genau ihr von mir wollt, aber ich werde es nicht tun.“

„Ich denke nicht, dass diese Entscheidung bei dir liegt.“

„Oh doch. Sie liegt sogar nur bei mir.“

„Tsunade.“ Wieder. Wie viele mehr würde Tsunade wohl bekommen? In was würde sich das hineinsteigern? Sie durften nicht streiten, das durfte nicht eskalieren. Je weiter es ging, desto höher waren ihre Chancen Tsunade zu verlieren. Wenn sie jetzt ging, dann war vielleicht Kakashi verloren. Sie war die Beste auf ihrem Gebiet. Die Beste in Konoha, die Beste, die sie kannten. Eine San-Nin.
 

Sie stritten. Die Positionen waren ganz klar. Er war der Hokage, Oberhaupt des Dorfes und ihr Lehrmeister. Sie war eine San-Nin, sie hatte Kriege überlebt und sie war ungebunden. Und dennoch, das Dorf wollte etwas von ihr. Und sie wusste das, sie nutzte ihre Position. Sie sah keinen Mehrwert darin, ihm seinen Willen zu gönnen und eine Mission anzunehmen. Und nichts anderes war es. Eine Mission. Eine weitere von vielen. Eine Mission, um eine andere wiedergutmachen zu können.
 

„Oh je…“, leise seufzte Jiraiya, hielt sich bedacht aus dem Streit raus. Er konnte beobachten, wie in Konohas Gelben Blitz die Anspannung wuchs. Der Druck auf ihm lastete schwer. Das sonst so leichte Wesen, der Optimist, den sie alle kannten, war nicht da. Diskret wandte sich Jiraiya an Shizune, hielt bedacht sie Hand vor seinen Lippen. „Sag mal Shizune, kann es sein, dass Tsunade in diesem Dorf bereits war?“. Sein Blick verriet der Angesprochenen genau, worauf der Eremit hinauswollte. Und sie konnte es nur mit einem Nicken bestätigen. Tsunade kannte dieses Dorf sehr gut. Und sie kannte die Konsequenzen, die es mit sich bringen würde, dort aufzutauchen. „Von wie viel reden wir?“ – „Ich befürchte, dass ich dir darauf keine Antwort geben darf, Jiraiya.“

Jiraiya konnte sich nicht vorstellen, von welchen offenen Angelegenheiten sie sprachen, aber es konnte nicht ganz ohne sein. Tsunade hatte sich noch nie so geweigert jemanden zu helfen. Sie musste sich in diesem Dorf tatsächlich Feinde gemacht haben. Das hatte gerade noch gefehlt…
 

„Es war nicht mein Fehler. Ich habe damit nichts am Hut.“

„Überlege dir gut, ob du meine Autorität untergraben möchtest, Tsunade.“

„Sagen wir, ich reise in dieses Dorf. Was soll ich dort machen? Feststellen, dass es vorbei ist? Merken, dass die ganze Reise umsonst war? Verkauft mich nicht für blöd, mir ist bewusst, dass es sich hier nicht nur um harmlose Kratzer handeln kann. Solange du mir keinen klaren Lagebericht verschaffen kannst, ist diese Diskussion hier beendet!“

„Wir sind hier noch nicht fertig.“

„Ich sage es noch einmal, Sensei. Ich habe hier keinen Fehler zu verantworten.“

„Aber ich, Tsunade.“, unterbrach Minato den Streit seiner Übergeordneten. „Ich habe einen Fehler gemacht. Einen Fehler, der so folgenschwer ist, dass ich…“ er stockte, wie sollte er das nur in Worte fassen? Wie konnte er hier stehen und Tsunade darum bitten seinen Fehler geradezubiegen?
 

„Mein Team besteht aus Kakashi Hatake, Rin Uzumaki und Obito Uchiha. Ich kann nicht erklären, was genau passiert ist – das weiß ich selbst nicht. Ich habe eine Entscheidung getroffen, von der ich dachte, dass die Situation sie verlangte. Und jetzt sind die einzigen beiden, die dir Näheres schildern könnten, nicht hier. Kakashi Hatake kämpft um sein Leben und keiner weiß, wie es weitergehen wird. Ob er denn überhaupt noch ein Leben haben wird. Obito Uchiha ist in meinen Armen weinend zusammengebrochen, weil er dem Grauen nicht länger Widerstand leisten konnte. Ich kann mir nicht vorstellen, was auf diesem Kampffeld passiert sein muss, dass ich meinen sonst so tapferen Schüler in meinen Armen halten und beruhigen musste. Und Rin, du kennst sie. Sie lebt für das Wohlergehen anderer. Ich habe in ihren Augen ihre Welt zusammenbrechen sehen. Und das ist alles meine Schuld.“
 

Es war Stille eingekehrt. Die angeheizte Diskussion, die vor einem Moment noch die vier Wände erfüllt hatte, war wie vom Erdboden verschluckt. Alle Augenpaare waren auf Minato gerichtet. Jiraiya wusste nicht, ob er beeindruckt oder stolz war, oder ob es vielleicht tiefstes Bedauern war? Aber er war sprachlos.

Der Hokage selbst beobachtete kühl die Lage, er konnte sehen, wie Tsunade mit sich rang. Natürlich wollte sie helfen. Und natürlich hatte er Jiraiyas Randgespräche mitbekommen. Und er konnte es nicht verhindern, aber das hatte seine Laune nur noch mehr angeheizt. Dass sie wegen solcher Sachen eine derartige Diskussion um das Wohlergehen einen der ihren führten war unglaublich.
 

„Es ist Krieg. Was du da bei deinem Team erlebt hast, was ihnen passiert ist. Das ist Krieg, Minato. Es ist grausam, brutal und es wird sie ihr Leben lang verfolgen – ganz gleich, was als nächstes passiert.“, Tsunade sah Minato fest in die Augen, verlieh ihren Worten mehr Nachdruck. Sie wusste, dass er es verstanden hatte. All die kleinen Details, all die Grausamkeiten, die das mit sich zog. All das, was er nicht mehr ändern konnte. Selbst, wenn er es wollte…

„Und ich soll dir deine Schuld erleichtern?!“

„Nein, das kannst selbst du nicht. Das kann niemand. Ich bitte dich um der jungen Shinobi Willen um Hilfe. Weil Kakashi nicht die Konsequenzen meiner Fehler tragen darf.“
 

Sarutobi, der die Situation gewissenhaft verfolgt und auch die Reaktion seiner Schülerin zu interpretieren wusste, ließ lautstark eine Mappe auf seinen Schreibtisch fallen. Die Aufmerksamkeit galt nun wieder ganz ihm.

„Du wolltest Details, Tsunade, hier sind sie. Lies dir alles genau durch und entscheide dann, ob du wirklich weiterdiskutieren möchtest.“

„Ich habe mit keinem Wort zugesagt.“

„Jetzt.“ Und dieses Mal hatte er seine Wirkung nicht verfehlt. Dieses Mal hatte er seine Schülerin im Griff, sie auf ihre Stellung hingewiesen. Dieses Mal gehorchte sie. Langsam kam sie auf ihn zu, griff nach der Mappe.

„Womit deiner Forderung nach einer genauen Beschreibung der Lage vor Ort nachgekommen sein sollte.“

Genervt ließ sich auf einen der Stühle fallen, öffnete die Mappe und begann in den Unterlagen zu blättern.
 

Für ein paar Minuten war es still, man hörte nur das Geräusch der Zettel, die Tsunade in der Hand hielt und Seite für Seite auf den Tisch ablegte. Es waren Arztunterlagen. Sie alle drehten sich um ein und denselben Patienten. Kakashi Hatake. Es waren Einschätzungen der Ärzte, verschriebene Medikamente und eine detaillierte Beschreibung der Verletzungen. Es war gerade so, als hätten man für jede Wunde ein neues Dokument verwendet. Man hätte es bestimmt auch zusammenfassen können. Dennoch, dieser Bericht verfehlte seine Wirkung nicht. Jedes Detail, welches hier beschrieben war, ließ es ihr mehr und mehr kalt den Rücken runterlaufen. Allein bei dem Gedanken, solchen Verletzungen zu erliegen… wie hatte er das überlebt? Und jetzt? Ihr wurde schlecht beim Gedanken daran, was alles notwendig sein musste, um Kakashi am Leben zu halten. Aber dieser Bericht war bereits alt. Wie wohl die derzeitige Situation war? Ob sie überhaupt etwas ausrichten konnte?

Alles, was sie tun könnte, wäre das große Ausmaß der Wunden zu verringern. Ob das alles helfen würde, wäre wieder eine andere Sache. Natürlich waren dies alles nur ungefähre Berichte, so detailliert sie auch sein mochten. Wie es um den jungen Hatake wirklich stand, musste sie in der Tat selbst sehen. Und genau hier kam es zu ihrem Konflikt. Und Kakashi zu verlegen war völlig ausgeschlossen, nicht in diesem Zustand. Nicht, bevor sie ihn nicht gesehen hatte. Und sie wollte ihn sehen, sie wollte versuchen ihm zu helfen. Aber das würde sie vor dem Hokage nicht zugeben. Aber Minato zuliebe könnte sie sich durchringen, weil seine Worte und der Schmerz in seinen Zügen, sie an Personen erinnerte. Personen, die sie so sehr liebte. Personen, für die sie alles getan hätte, wäre es ihr nur vergönnt gewesen.
 

Nun denn, dann mussten sich eben die Rahmenbedingungen ändern.

„Was bekomme ich dafür?“

„Wie bitte?“

„Ich möchte wissen, was für mich dabei rausspringen würde. Ich mach das doch nicht umsonst.“

Jiraiya stöhnte laut auf, dessen Sensei atmete nur tief ein. Und dennoch glomm in Minato ein Funke Hoffnung auf. Wenn Kakashi doch nur die Chance bekäme, von Tsunade untersucht zu werden. Vielleicht konnte sie ihm helfen, den Schmerz lindern und vielleicht... vielleicht konnte sie ihn heilen?
 

Eine weitere Stunde hatten sie unermüdlich gestritten, versucht den jeweils anderen mit ihren Argumenten zu überzeugen. Der Hokage war zwischenzeitlich dazu geneigt, seinem Frust Raum zu geben. Doch er hielt sich zurück, riss sich zusammen. In diesem Streit war er nicht der Hokage, sondern Tsunades Sensei. Und dennoch hatte er gleichzeitig das Dorfoberhaupt zu sein. Manchmal fiel ihm das sichtlich schwer.

Vor allem, als sich weitere Stimmen in den Belang einmischten. Es mussten Kompromisse gefunden werden, Kompromisse, die er nicht tragen dürfte, die das Dorf nicht tragen dürfte. Kompromisse, die eindeutig zu weit gingen.

Dennoch, letzten Endes willigte Sarutobi doch ein, zumindest einen Großteil Tsunades Schuld vorrübergehend anzunehmen und ihren Besuch in seinem Namen ankündigen. Den Rest musste sie schon selbst regeln. Selbstverständlich würde dies alles Namikaze abarbeiten dürfen und das, so wie es sich anhörte, könnte eine Weile dauern.
 

Aber auch er stimme mit Minato zu, Kakashi durfte nicht die Konsequenzen ihrer aller Versagen tragen.

Aufgrund der Bedingungen, die erfüllt, und der Vorbereitungen, die getroffen werden mussten, konnten sie nicht gleich aufbrechen. Sie hatte also noch Zeit für sich, genoss die Ruhe hier am Waldrand, lauschte dem regen Treiben der Natur und verfolgte innerlich den leichten Wind in den Baumkronen. Sie wusste, wie schnell sich diese Szene in ein Schlachtfeld, in einen Kampf um Leben und Tod, wandeln konnte. Das warme Rauschen der Blätter hörte sich nur zu schnell wie das schrille Dröhnen der eigenen Hilflosigkeit an. Nach allem, was sie erfahren hatte, wussten das nun leider auch ein paar junge Shinobi nur allzu gut. Doch im Moment war es einfach nur ein Platz der Stille und Harmonie, ein Zuhause und Ort des Heimkehrens.

„Was denkst du?“, sie hatte lange vorher gemerkt, dass er hinter sie getreten war. Für eine Weile hatten sie nichts gesagt, ließen die Stille für sich sprechen, zeigten eine Vertrautheit, die die Zeit zwischen ihnen aufgebaut hatte. Das Grauen, das sie gesehen hatten, die Schmerzen, die sie gelebt und die Tränen, die sie geteilt hatten. Sie schnaufte belustigt. Ja, es war gut, dass Jiraiya die Stille durchbrochen hatte.

„Ich denke, dass ich mich abends wohl nicht entspannt auf ein Glas Sake hinsetzen werde können.“

„Das meinte ich nicht.“

„Was willst du von mir hören?“, ihre Frage war nicht fordernd, nicht aggressiv und von ihrer sonst mitschwingenden Gereiztheit war nichts zu spüren. Sie sprach leise, sah ihn dabei nicht an. Es störte ihn nicht. Er wusste, dass seine Mitstreiterin ihn nicht sehen musste, um zu wissen, dass er da war.

„Deine Einschätzung.“ Er war an ihre Seite gekommen, hatte sich bedacht neben seine Kameradin gesetzt, Abstand bewahrt.

„Nicht die Wahrheit?“, eine Gegenfrage, keine Antwort. Er lächelte. Nein, die Wahrheit wollte er nicht wissen. Er wollte die Meinung der Frau, die er so sehr schätzte. Eine Meinung, die er mehr respektieren und schätzen würde als die Wahrheit.

„Ich denke, dass wir vieles nicht wissen.“, sie war ruhig, blickte dem Himmel entgegen. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Jiraiya nachdenklich nickte. Die Sonne würde bald untergehen und bald würden auch alle Vorbereitungen für ihren Aufbruch getroffen sein. „Und ich denke, dass wir die beiden Jungs zur Rede stellen müssen.“ Und auch, wenn er dieses Mal keine Reaktion zeigte, Tsunade wusste, dass sie einer Meinung waren. Nicht, dass es noch einen Unterschied machen würde. Die Wahrheit zu kennen würde keinem von ihnen helfen. Aber es war zu viel Zeit vergangen. Zu viel Zeit, in der keiner erfahren hatte, was nun eigentlich passiert war. Sie alle betrachteten nur immer wieder die Konsequenzen, die sich daraus ergeben hatten. Sie würde sie zur Rede stellen. Von zwei schied einer aus. Aber was war mit dem anderen? Obito Uchiha.

„Kannst du ihnen helfen?“

„Vielleicht“, sie wartete einen Moment, fügte ihrer Antwort dann doch noch etwas hinzu, „vielleicht auch nicht.“

„Wenn selbst du dir nicht sich-“, weiter kam er nicht, Tsunade war ihm zuvorgekommen, schnitt ihm das Wort ab. „Dieser Bericht, den der Hokage mir vorgelegt hat, spricht unter anderem von signifikanten, alten Verletzungen, die unmöglich zeitgleich mit den anderen entstanden sein konnten.“

Kurz schwiegen sie. Für einen kurzen Moment war die Stille zurückgekehrt. Doch dieses Mal spürte keiner von ihnen den Frieden und die Ruhe, die dieser Wald bis gerade eben noch für sie bereitgehalten hatte. Jiraiya begriff sofort, wie folgenschwer das war, was Tsunade gerade gesagt hatte.
 

„Das ist unmöglich“, er wusste, was das bedeutete. Er wusste, welche Konsequenzen das tragen würde. Ungeachtet dessen… nein, das wollte er einfach nicht glauben. Das konnte nicht sein.

„Ich denke, dass er es einfach nicht wusste.“ Tsunade war noch immer ruhig und gelassen. Zu keinem Moment hatte sie ihre Stimme erhoben, belehrt oder geurteilt - sie hatte keinen Grund dazu. Sie wollte niemanden beschuldigen.

„Natürlich, wenn er das gewusst hätte, dann-“ „Ich weiß, Jiraiya. Hätte Minato das gewusst, wäre er mit diesem Trupp nicht auf Mission gegangen. Denn vermutlich war Kakashi nicht der Einzige. Die Wunden waren zwar älter, aber immer noch frisch genug.“

„Noch viel weniger hätte er sie allein losgeschickt.“

„Nein.“

Wieder war Stille eingekehrt. Hatte sein Schüler nicht gemerkt, dass diese beiden Jungs größere Verletzungen mit sich herumtrugen? Es konnte nicht anders sein. Was waren das für zwei junge Shinobi, von denen sie hier sprachen? Sie hatten es nicht einmal ihrer Kameradin gesagt? Sie hätte ihnen als angehender Iryo-Nin vielleicht etwas helfen können, nicht ganz, dafür reichten ihre Fähigkeiten wahrscheinlich noch nicht, aber sie hätte die Wunden zu lindern gewusst. Was war es, dass sie aufhielt? Stolz? Das, und wohl auch Starrköpfigkeit. Eine lädierte Gruppe, die dennoch aufrecht stand und ihren Dienst antreten wollte. Lädiert, weil sie verwundet und vor allem, weil sie einander gegenüber nicht offen waren.

Leise grummelte er verärgert, es war frustrierend. Wenn der Hokage erfuhr, dass Minato mit einer vorbelasteten Gruppe auf Mission gegangen war und trotz allem diese Entscheidungen getroffen hatte… nicht auszumalen!

„Anscheinend hat sich keiner den Bericht wirklich durchgelesen, oder ihn nicht verstanden“, sie seufzte ergeben als sie sah, wie ihr alter Kamerad in Gedanken versank. Und wie stetig die Sorge in ihm wuchs.

„Schluss damit, Jiraiya! Ich habe die Mappe mitgenommen. Sensei muss das nicht wissen.“, ihr Ton war streng, ihre Worte mehr als deutlich. Tsunades Bestimmtheit und Dominanz waren mit einem Mal wieder allgegenwärtig. Sorgen brachten sie hier nicht weiter. Sie würde sich der Sache annehmen und versuchen so viel zu retten, wie zu retten war. Oder besser gesagt, so viele

Der Eremit blickte überrascht auf. Sie hatte vor, Minato in Schutz zu nehmen? Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Züge. Er wusste, dass Tsunade es mit allen gut meinte. Er wusste um ihre Güte.

Tsunade straffte die Schultern und stand auf, ohne ein weiteres Mal zu ihm zu blicken. Die Sonne war fast untergegangen und die angenehme Wärme des Tages schwand langsam. Sie verzichtete auf Worte des Abschieds und machte sich auf den Weg, ließ somit ihren Kollegen auf der Bank zurück. Auch Jiraiya verabschiedete sich nicht, immerhin glaubte er fest daran Tsunade bald wieder in Konoha anzutreffen. Abschied deutete immer auf einen langen Zeitraum hin – das war nicht in ihrem Sinne. Dennoch, um eines musste er sie noch bitten.

„Tsunade!“ Etwas, das ihm wichtig war. Etwas, dass er als Sensei gut machen wollte. Wenigstens etwas, vor dem er seinen Schüler beschützen wollte.

Tsunade hielt inne, zögerte kurz bevor sie sich nochmals zu Jiraiya umsah. Es war das erste Mal, dass sie sich ihm bewusst zuwandte, ihm in die Augen blickte. So, wie sie es immer gemacht hatte, als sie gemeinsam waren. Als sie ein Team waren. Als sie gemeinsam gekämpft und sich hinterher geneckt hatten.

„Ist schon gut, Minato wird davon nichts erfahren.“
 

Er wusste, er konnte sich auf sie verlassen. Schon immer.
 

~~
 

„Ich will für dich hoffen, dass auch wirklich alles wie abgesprochen erledigt wurde.“

„Sofern die Liste, die mir der Hokage überreicht hatte, vollständig war, ist alles erledigt.“

Gut. Das war gut. Tsunade hatte nicht vor ihre Erleichterung darüber öffentlich zur Schau zu stellen. Aber Minatos Worte beruhigten sie in der Tat. Er musste sich wirklich schlecht fühlen, wenn er all die Dinge in so kurzer Zeit erledigen konnte. An der finanziellen Schuld würde er wohl dennoch noch etwas länger zu knabbern haben.

Tsunade hatte sich gefragt, ob sie Scham empfinden oder sich unangenehm berührt fühlen sollte, weil ihre Spielschuld nun zu Konohas, und praktisch gesehen zu Minatos Last wurden. Aber sie war zu dem Entschluss gekommen, nicht weiter Gedanken daran zu verschwenden. Sie hatte ursprünglich niemanden darum gebeten sich in ihre Angelegenheiten einzumischen und letzten Endes war es ein Handel. Im Gegenzug wurde nun auch etwas von ihr erwartet. Etwas, von dem sie nicht wusste, ob sie es erfüllen konnte: Sie sollte es in Ordnung bringen. Für Minato hätte es gereicht, wenn sie Obitos und Kakashis Welt wieder in Ordnung bringen konnte. Und somit auch Rins. Der Hokage wollte, dass sie Kakashi wieder zu einem der ihren machte und der Hatake nicht länger als politische Obligation in seinen Akten verwahrte. Ihr Sensei wollte sich auf sie verlassen können, dass sie ihr Bestes gab. Und sie wusste, dass es weder ihm noch ihr an Realitätssinn mangelte. Sie war eine Heilerin – keine Hexe, die Tote zum Leben erweckte oder Geschehenes ungeschehen machte. Das konnte sie nicht, diese Macht oblag ihr nicht. Wenn sie es könnte, dann wären die, die sie so sehr liebte, noch hier an ihrer Seite. Wenn sie doch nur eine solche Macht gehabt hätte, dann… sie spürte, wie sich ihre Schultern verkrampften und ihre Fingernägel sich in ihr Fleisch bohrten. Daran sollte sie jetzt nicht denken. Die Vergangenheit ließ sich nicht ändern. Trotzdem wusste sie, dass auch Jiraiya ein solches Wunder erwartete. Dass er das von ihr erwartete. Dass sie es in Ordnung brachte. Auch wenn sie sich über Jiraiyas Vertrauen freute, so hinterließ der Gedanke daran doch einen faden Beigeschmack. Und auch, wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, es setzte sie unter Druck. Sie wollte ihn nicht enttäuschen. Sie wollte nicht schon wieder eine ihr nahestehende Person enttäuschen… und versagen.

„Kommen wir an den Ruinen vorbei?“, Tsunade wusste bereits bevor sie es ausgesprochen hatte, dass sie damit einen wunden Punkt berührte. Es überraschte sie nicht, dass Minato ihr nicht gleich antwortete. Er zögerte und sie konnte sich nur zu gut ausmalen, was in ihm vorgehen musste. Auch sie war damals im entscheidenden Moment nicht da gewesen.
 

„Nein. Dieser Weg ist kürzer.“ Und keiner von ihnen hatte damals die Chance gehabt diesen Weg zu wählen, weder er noch Kakashi und Obito. Minato haderte mit sich. Hätten sie damals doch nur ihre Feinde nicht erst in die Enge, dann auseinander und somit tiefer in den Wald getrieben. Ihre Angreifer waren ihnen deutlich überlegen gewesen. Sie waren ortskundig, hatten den Ort und auch den Moment des Angriffs bestimmt. Selbst ihre Gegner hatten sie sich ausgesucht. Sein Team war ihnen geradewegs in die Arme gelaufen. In eine Falle, die im ersten Moment nur nach Erfolg strotzte. Vielleicht waren ihre Angreifer deswegen übermütig gewesen, vielleicht hatten sie ihn deswegen unterschätzt. Ihn, Konohas Gelben Blitz. Auch wenn es nicht leicht war, so waren Rin und er glimpflich davon- und ihrem Begleitschutz nachgekommen. Aber auch Kakashi und Obito hatten den Kampf für sich entschieden. Er hatte es gesehen. Sie waren zu dritt der Richtung gefolgt, die die beiden Shinobi eingeschlagen hatten. Seiner Einschätzung nach hätten Kakashi und Obito nicht weit kommen können, bis sie vom Feind zum Kampf gestellt worden wären. Und er hatte Recht behalten. Er hatte die Ruinen gesehen, noch bevor Ren und Rin dort angekommen waren. Er hatte sie noch rechtzeitig angewiesen stehen zu bleiben, Abstand zu halten. Er wollte die Lage sichern und sich einen Überblick verschaffen. Aus Angst davor, was sie sehen könnten. Minato wusste augenblicklich, dass er das Feld nach seinen Schülern absuchen musste. Dass er mit dem Schlimmsten rechnen musste. Er hatte nicht gewollt, dass die beiden Jüngeren das sahen – vor allem Rin nicht. Er hatte die Kadaver ihrer Angreifer gesehen und wenn Kakashi und Obito auch nur ähnlich zugerichtet worden wären… das hatte Rin nicht verdient, auch, wenn das zum Dasein eines Ninja hinzugehörte. Diese Lektion sollte sie nicht so grausam anhand ihrer eigenen Teamkameraden lernen müssen. Als Iryo-Nin würde sie in ihrem Leben noch genug sehen und verkraften müssen.

Doch im Endeffekt kam alles anders. Kakashi und Obito waren nicht dort gewesen, ihre Gegner jedoch vollzählig zu Boden gegangen.

Minato erinnerte sich noch gut an all das Blut, das an den Ruinen und Bäumen trocknete oder in den Boden sickerte. Vor seinem geistigen Auge sah er erneut die Blutlachen und Spuren, an deren Ende er keine Körper hatte liegen sehen. Er spürte das nervöse Kribbeln, das seinen Körper bis ins Innerste befallen hatte als er weiter über den Platz schritt. Die Panik, die sich in ihm versucht hatte an die Oberfläche zu kämpfen, die über ihn herfallen und ihn zu Boden zwingen wollte. Und sein Verstand, der diesem Sturm mühsam versucht hatte Stand zu halten. Aber als er die massive Menge an Blut gesehen hatte, die tiefer, weg von den Ruinen, in den Wald hineinführte, hatten sich sein Instinkt und seine Muskeln wie von selbst aktiviert. Er hatte gewusst, dass sie sich beeilen mussten. Er hatte bereits in diesem Moment gewusst, dass es keinen guten Ausgang mehr für sie gab.
 

Und seither lief nichts mehr in seinen gewohnten Bahnen. Seither hatte sich alles auf den Kopf gestellt. Sein Team war nicht wiederzuerkennen und er wagte es kaum, die drei Shinobi noch als sein Team zu bezeichnen. Nicht, weil ihre Mission fast gescheitert wäre. Nicht, weil der Hokage höchst unzufrieden mit der Sachlage war. Nicht, weil Kakashi und Obito den Feinden nicht gewachsen waren – und das waren sie nicht, wenn sie gerade so mit dem Leben davonkamen. Und auch nicht, weil Rins Leistung seit jener Mission nicht mehr dieselbe war. Ganz besonders nicht, weil er in irgendeiner Weise enttäuscht von ihnen wäre. Nein - sondern weil man einem Team, seinem eigenen Team, so etwas nicht antat. Weil man sein Team kannte, es schützte und zusammenarbeitete, nicht getrennt. Weil man in einem Team Verantwortung zu tragen hatte, nicht nur für sich selbst. Und darin hatte er versagt. Er war der einzige Erwachsene und er allein hatte eine so fatale Entscheidung getroffen. Er hätte es besser wissen müssen. Er hätte Verantwortung übernehmen und sicherstellen müssen, dass seine jüngeren, unerfahreneren Begleiter mit der Situation umzugehen wussten.

Doch wie es schien, war man noch lange nicht qualifiziert Verantwortung zu tragen nur weil man erwachsen war. Auch sein Jonin Titel änderte daran nichts. Er hatte in den vergangenen Tagen oft darüber nachgedacht. Aber im Grunde genommen hatte er als Jonin nicht komplett versagt. Der Feind war geschlagen, der Schützling unversehrt angekommen. Als Jonin hatte er, mit Scheuklappen betrachtet, seinen Job erledigt. Aber als Sensei seiner Schüler hatte er auf ganzer Linie versagt. Er hatte sie nicht auf diese Situation vorbereitet. Er hatte sein Team einfach getrennt. Er war mit Ren, dem zu Schützenden, und Rin zurückgeblieben. Er wusste ganz genau, dass er die beiden schützen und den Feind entgegentreten konnte. Kakashi und Obito hatte er weggeschickt, hoffend, dass die Streithähne zusammenarbeiten würden. Doch selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so fehlte ihm die Vorstellung zu was die beiden in Zusammenarbeit fähig waren. Er wusste nur, wie sie einzeln unter seiner Anleitung agierten. Das war nicht das, was ein Team ausmachte. Und das war seine Schuld. Er hätte dieses Problem schon viel eher angehen müssen, er hätte sich nicht immer auf Rins Streitschlichtung verlassen dürfen und auch nicht darauf, dass Kakashi und Obito auf seine strengen Worte hörten. Er hätte aus ihnen ein Team machen müssen, denn genau das wäre sein Job gewesen. Doch er hatte versagt, helfen konnte er letzten Endes keinem der drei. Weder Kakashi noch Obito noch Rin hatte er in irgendeiner Weise seit jenem Tag helfen können.

In Anbetracht der Konsequenzen und der Vorwürfe, die im Büro des Hokage von allen Seiten kamen, hatte er sich seines Scheiterns auf allen Ebenen zu verantworten. Als Sensei, weil er seine Schüler trotz besseren Wissens ins offene Messer hatte rennen lassen. Als Jonin, weil die Berater zu hohes Konfliktpotential in Zeiten des Krieges sahen und als Erwachsener, der selbst den Rat des Hokages nicht zu schätzen wusste. Immerhin hatte dieser ihn in Bezug auf Kakashi gewarnt, die kritische Konstellation seines Teams gesehen ohne sie auf Mission je erlebt zu haben.

Im Prinzip hatte er von Kindern abverlangt feindliche, ausgebildete Krieger mit dem doppelt und dreifachen Maß ihrer eigenen Erfahrung auszulöschen. Minato holte tief Luft, er fühlte sich miserabel. Was war nur in ihn gefahren? War es der anhaltende Krieg, der sie so weit getrieben hatte? Der aus Kindern automatisch Krieger machte? Und war das ausreichend Rechtfertigung sie auch als solche in vollem Maße anzusehen und einzusetzen? Er erinnerte sich an Kushinas Worte, die versuchte die Schuld von ihm zu nehmen, und an die Diskussion, die sie hatten. Vor allem aber erinnerte er sich an die Sorge, die sie vor ihm nicht hatte verbergen können. Sie hatte ihn gefragt, was er hätte anders machen wollen, was es gebracht hätte. Ob er glaubte, dass sie es anders gemacht hätte. Wie Jiraiya ihm in einer solchen Situation zugeraten hätte, oder noch viel wichtiger, ob Jiraiya ihm mit seinem Kameraden nicht auch zu hundert Prozent vertraut hatte, so wie er Kakashi und Obito jetzt vertraute. Er hatte auf keine ihrer Fragen eine Antwort gehabt. Er wusste es nicht, er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann er als Jiraiyas junger Schüler in einer solchen Lage gewesen war. Er wusste, dass es vergleichbare Missionen gab, aber alles war in diesem Moment wie weggeblasen. So sehr er sich auch anstrengte, seine Erinnerung war einer Leere gewichen, die ihm keine Antwort geben konnte. Natürlich vertraute er Kakashi und Obito, aber hatten seine Schüler nicht auch ihm vertraut? Er hatte es nicht geschafft, seinem Sensei unter die Augen zu treten und nach Rat zu suchen. Er hatte es nicht einfach nur nicht gewagt, er wollte es auch nicht. Er konnte die Vergangenheit nicht ändern und er wollte nicht mit seinem Sensei sprechen, nur um sich danach selbst besser zu fühlen. Es ging nicht um ihn, sondern um Kakashi, Obito und Rin. Und er würde alles versuchen, was ihm möglich war, um seinen Schülern zumindest jetzt eine Hilfe zu sein. Sie mussten die Konsequenzen seiner Fehler tragen – Kakashi hatte es am schlimmsten getroffen. Wenigstens einen kleinen Teil dieser Last wollte er seinen Schülern abnehmen. Wenn er könnte, hätte er all ihr Leid auf sich genommen, aber dies war ihm verwehrt.

„Es steht mir eigentlich nicht zu, aber der Hokage hatte mich nochmals deutlich darauf hingewiesen, sicherzustellen, dass –“

„Dass ich unverzüglich mit der Arbeit beginne. Ich möchte wetten, dass er das auch Shizune nochmals ausdrücklich eingebläut hat, nicht wahr?“, Tsunade warf einen tadelnden Blick ihrer Begleiterin zu. Als würde sie ihren Sensei nicht langsam gut genug kennen und mit Shizune hatte er ein zugängliches Ziel gefunden. „Da hat dir der alte Mann aber ganz schön zugesetzt, Minato.“

„Er hat recht.“ Minato hatte verstanden, worauf die Sannin anspielte, aber er würde keinen der Vorwürfe gegen ihn abstreiten. Er wusste selbst, was er getan hatte. Und vor allem, was er nicht getan hatte.

„Gib niemanden recht, bevor du nicht die ganze Wahrheit kennst.“, Tsunade machte eine kurze Pause, überlegte, ob sie sich wirklich einmischen wollte. Aber nüchtern betrachtet war dies ohnehin bereits geschehen – sie war zwangsläufig eingemischt worden. Wenn Minato nicht bald wieder auf die Beine kam, dann würde sein Team das so schnell auch nicht. „Außer den beiden weiß keiner, was in diesem Wald wirklich passiert ist. Keiner von uns weiß, warum es so kam, wie es kam. Und solange wir das nicht herausgefunden haben, solltest du dich auch nicht richten lassen. Nicht von dem alten Greis, und auch nicht von dir selbst.“

Bei ihren letzten Worten horchte er auf. Ob das wirklich der Fall war? Ob er tatsächlich neben dem Hokage einer der härtesten war, die mit ihm ins Gericht gingen?

Minato spürte, dass Tsunade das nicht nur für ihn gesagt hatte. Dass sie ihn nicht aufmuntern wollte. Irgendetwas schwing in ihren Worten mit, irgendetwas, das seltsam tief zu ihm vordrang. Es stimmte, was sie sagte. Aber es fühlte sich falsch an, wie eine Ausrede. Doch etwas an Tsunade, ließ Minato ihren Worten einen Funken Glauben schenken. Ob es Erfahrung war? Es war kein Geheimnis, dass das Leben auch Tsunade schwer zugespielt hatte. Auch sie hatte ihre Last zu tragen. Ob dies vielleicht auch dazu beigetragen hatte, dass sie ihnen letztendlich doch half? Shizunes sanftes, wenn auch wehmütiges Lächeln bestätigte seine Vermutung. Dennoch, selbst die Worte der Sannin konnten die Situation nicht so einfach ändern und die Schuld von ihm nehmen. Nicht die Vorwürfe, und vor allem nicht die Sorgen, die er sich machte. Zwei junge Shinobi, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten, wurden aufgrund seiner Fehlentscheidung für immer geprägt.

„‘Es ist meine Schuld, Sensei‘“, wiederholte er leise die Worte, die sich in sein Gedächtnis gebrannt hatten. „Das war es, was Obito sagte als ich ihn im Krankenhaus fand.“ Tsunade merkte, wie Minato jeglichen Blickkontakt mied. Für sie stank die ganze Sache zum Himmel. Wenn man angegriffen wurde, kooperierte man als Team. Den Verlauf oder gar den Ausgang konnte bei einem Angriff niemand vorhersagen. Aber wie konnte es sein, dass der Feind besiegt war, Kakashi um ein Haar sein Leben verloren und Obito im Vergleich nur Kratzer davongetragen hatte? Entweder hatten sie nicht zusammengearbeitet, einander ans Messer geliefert oder einer den Lockvogel spielt. Nichts davon wurde heutzutage noch in Konoha gelehrt. Erst recht nicht von Minato Namikaze.

„Umso mehr Grund, die beiden endlich zur Reden zu stellen.“
 

~~
 

Sie waren im Dorf angekommen und steuerten geradewegs auf das Krankenhaus zu. Minato erinnerte sich, wie Ren sie durch das Labyrinth kleiner Nebenstraßen damals direkt dorthin gebracht hatte. Namikaze konnte sich nicht helfen, aber er wusste instinktiv, dass er dort anfangen musste nach den verlorenen Shinobi zu suchen. Er hatte kein gutes Gefühl. Doch trotz allem war er sich sicher, dass sie es bis ins Krankenhaus geschafft hatten. Wenn sie die Kraft hatten, sich von den Ruinen zu entfernen und dennoch keine Zeit geblieben war, um auf ihn zu warten, oder ihn gar aufzusuchen, dann nur, weil sie keine Zeit verlieren durften.

Dieses Mal nahmen die Dorfbewohner sie kaum wahr, ruhigen Schrittes und nicht von Panik und Sorge getrieben wirkten sie weitaus weniger aufsehenerregend. Jedoch konnte Minato nicht leugnen, dass ihm die Blicke des ein oder anderen Dorfbewohners nicht entgingen. Vermutlich galten diese nicht einmal ihm, der hier offensichtlich als Ninja aus einem fremden Dorf einmarschierte, sondern Tsunade. Er hatte einen Vorgeschmack ihrer hiesigen Lasten bekommen - womit ihm klar wurde, dass es sich nicht um ein paar wenige handeln konnte, die ihr nicht gut gesonnen waren. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass in Zeiten eines ständig lauernden Krieges sich so etwas wohl nur ein Sannin erlauben konnte.
 

Tsunade ignorierte ihre Umgebung gekonnt. Sie war einerseits froh, dass sie endlich angekommen waren. Andererseits plante sie keine Minute länger zu bleiben, als sie wirklich musste. Sie würde ebenso abwägen, ob Shizune für sie einspringen konnte. Ihre Begleiterin war mehr als fähig ernste Fälle zu übernehmen. Es würde sich bald zeigen, wie sich ihr Aufenthalt gestaltete.

Als erstes musste sie ins Krankenhaus. Sie würde mit allen Zuständigen reden, Fronten klären und verstehen, was bis jetzt alles unternommen wurde. Und vor allem musste sie selbst sehen, wie es dem Jungen inzwischen ging. Tsunade schloss nicht aus, dass es für Kakashi doch noch Hoffnung gab. Auch, wenn keine der Unterlagen ein solches Szenario in Betracht zogen. Aber so schnell gab sie nicht auf, Akzeptanz war nicht immer eine ihrer Stärken, Zielstrebigkeit hingegen schon. Obwohl Sarutobi es vermutlich als Sturheit beschreiben würde.

Sie hatte sich gewehrt, als der alte Herr sie in dieses Dorf schicken wollte. Nun war sie trotzdem gekommen. Nicht für den Hokage, sondern für Kakashi, Obito und Minato. Ihr Ziel war es, die zwei jungen Shinobi in der bestmöglichen Verfassung zurück nach Konoha zu bringen. Je weniger Schaden, desto besser für Minato. Tsunade wusste, umso mehr sie für Kakashi tun konnte, umso glimpflicher würde Minato davonkommen. Er, der er als Verantwortlicher das hätte verhindern müssen und nun als Schuldiger herangezogen wurde. Das hatte er nicht verdient. Namikaze war ein guter Mensch und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er ein ebenso guter Sensei war. Aber all das würde noch lange nicht reichen. Sie mussten die beiden Jungs zum Reden bringen. Am besten beide, und zwar jeden einzeln.

Dann könnte Minato vielleicht auch Ruhe finden - seine Zweifel und die Vorwürfe, die er sich machte, standen ihm ins Gesicht geschrieben.
 

Die Eingangshalle war groß und geräumig, der erste Eindruck weiß und fahl. Tsunade hörte das Echo ihrer schallenden Schritte und die Tür, die sich hinter ihr schloss. Es war befremdlich nach so langer Zeit wieder Fuß in ein Krankenhaus zu setzen. Sie musterte die Halle, die ihr nicht nur sehr ausladend vorkam. Sondern dachte sie auch an die vergeudeten Ressourcen, den Platz, der hätte anderweitig genutzt werden können. Ob es Absicht war, den Eingang eines Krankenhauses so zu konstruieren, dass die Wände alles, nur keinen Willkommensgruß ausdrückten? Irgendwie passend, und dennoch… Sie stellte sich vor, wie Obito und Kakashi hier ankamen. Wie verloren musste sich der Uchiha wohl gefühlt haben?
 

„Guten Tag, Misami!“

„Oh, hallo!“, Angesprochene blickte von ihren Unterlagen auf und soweit Tsunade es beurteilen konnte, wirkte sie erfreut. „Schön, dass Sie angekommen sind! Ich hoffe, dass die Reise ohne Zwischenfälle verlaufen ist.“ Misami machte eine kurze Pause, wandte sich dann direkt Tsunade zu, „Wir haben Sie bereits erwartet. Hier habe ich alles aus Kakashi Hatakes Akte für Sie zusammengestellt und geordnet. Die neuesten Befunde sind ganz oben, ebenso eine Liste mit den Namen der Ärzte, an die Sie sich wenden können. Ich werde Bescheid geben, dass Sie hier sind.“ Die Sannin stockte, es fiel ihr schwer, ihre Verwunderung zu verstecken. Sie wusste, dass sie erwartet wurde. Dass Ihr Kommen angekündigt und ihre Arbeit hier weitgehend genehmigt wurde. Aber keinesfalls hatte sie mit so viel Zuvorkommen gerechnet, dass die Dame an der Rezeption ihr entgegenbrachte. Tsunade nahm die Unterlagen an sich und fing unverzüglich an, sich die ersten Seiten flüchtig anzusehen. Die Dame schien die Sachen tatsächlich bereits sorgfältig vorbereitet und strukturiert zu haben. „Danke. Wo finde ich den Jungen und diese Leute von der Liste?“

„Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich war so frei und habe Shuichi Bescheid gegeben, dass er Ihnen hier voll und ganz zur Hand gehen soll.“ Misami nickte in Richtung des jungen Mannes, den Tsunade bereits aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte. Hübsches Kerlchen, er verdrehte hier bestimmt der ein oder anderen Kollegin den Kopf. Tsunade schätzte ihn recht jung, er musste also noch in der Lehre sein. Die Dame hatte ihn also herbeordert? Die Sannin wurde skeptisch. Welche Befugnis hatte die Dame, dass sie das medizinische Fachpersonal einteilte? Hätten die Ärzte den Jüngling nicht zu ihr schicken sollen? Er solle ihr voll und ganz zur Hand gehen – Tsunade befürchtete, dass sie sich ihre Handlungsrechte wohl doch noch erkämpfen musste. Und anscheinend würde sie diese Schlacht bereits vor ihrem offiziellen Beginn mit freiwilligen Helfern einleiten. Das war ihr nur recht. Wenn sie erst mit den Ärzten sprechen musste, um Kakashi in ihre Behandlung zu übergeben, dann würde sie eben den Schönling zwischenzeitlich Anweisungen geben. Es war nicht so einfach in einem fremden Dorf freie Hand zu bekommen, wenn der Krieg vor der Haustür lauerte – ganz gleich um welche Einrichtung es sich handelte, Krankenhäuser machten da keine Ausnahme. Im Gegenteil, im Krankenhaus suchte man oft die Feinde, die man nicht hatte rechtzeitig ausschalten können. Die, die eventuell kritische Informationen preisgeben könnten, die die eigene Kriegsposition gefährdeten.

Der junge Mann gehörte hier zum Personal, bestimmt hatte er Zugang zu allen Informationen und gegebenenfalls Medikamenten, die sie brauchte.

„Shuichi also, richtig?“

„Richtig, und Sie müssen Tsunade sein. Die berühmte Heilerin.“ Er trat näher an die Rezeption und stellte sich ihr vor. Minato und der junge Mann schienen sich zu kennen.

„Du hast also bereits Kakashi mitbehandelt?“ Tsunade blätterte weiter in den Unterlagen, die Misami ihr gereicht hatte. Sie konnte seinen Namen nirgends entdecken, also hatte er nur Anweisungen bekommen und diese dann ausgeführt.

„So ist es.“ Sehr schön, es würde also auch keiner nachfragen, wenn sie ihn gleich mit ganz anderen Anweisungen zu Kakashi schicken würde.
 

„Misami, haben Sie vielleicht Obito gesehen? Wissen Sie, wie es ihm geht?“, hörte sie Minato sagen, der sich bis jetzt zurückgehalten hatte. Er war ganz er selbst. Auch, wenn sich alles um Kakashi drehte, der bei dieser Mission im Vordergrund stand, so würde er niemals Obito vergessen. Sein anderes Teammitglied, das vielleicht keine Behandlung, aber dafür Minatos Hilfe dringend brauchte.

„Sicher doch, er ist regelmäßig hier. Aber wissen Sie…“, sie zögerte, suchte nach Worten. Tsunade entging diese Reaktion keineswegs. Sie wurde neugierig, über was Misami ihnen gleich berichten würde. „Er kämpft mit sich. Es ist schwer zu beschreiben, aber manchmal frage ich mich, was für Obito wohl die schwierigere Situation war: Als es so aussah, als würde Kakashi nicht mehr aufwachen, oder jetzt, wo die Möglichkeit besteht, dass Kakashi wach ist, wenn er ihn besucht. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch! Wir alle, und ganz besonders Obito, wussten, was für ein äußerst gutes Zeichen es war, als Kakashi die Augen aufmachte. Doch mittlerweile erkundigt sich Obito stets, ob Kakashi gerade wach ist. Die Stationsschwestern dachten zunächst, dass er seinen Kameraden nicht wecken wollte. Doch im Gegenteil, wann immer Obito ihn besucht, er betritt den Raum ausschließlich dann, wenn er davon ausgehen kann, dass Kakashi schläft.“

Für einen Moment kehrte Stille unter ihnen ein, Misamis Züge zeigten die Empathie, die sie für Obito empfand. Shuichi sagte nichts, immerhin war er bestens im Bilde, was die Situation betraf. Abwartend blickte er Minato Namikaze an, immerhin war er der Lehrmeister der beiden Jungen. Wenn jemand sie kannte und das zu bewerten wusste, dann wohl er. Aber Shuichi merkte schnell, dass auch für jemanden, der die beiden gut kannte, dies nicht nachzuvollziehen war. Namikazes Ausdruck und dessen Schweigen waren nicht zu deuten, er hatte auch keine Antwort.

„Und Minato, was denkst du jetzt?“

Es war Tsunade, die die Stille brach, schwungvoll die Mappe schloss und mit den fest umgriffenen Unterlagen ihren Tatendrang und ihre Handlungsbereitschaft ausdrückte. Sie hatte Minato mit ihren Worten einen strengen Blick zugeworfen, ihn somit an ihr vorheriges Gespräch erinnern wollen. Die beiden Shinobi waren offensichtlich nicht ohne eigenes Zutun in ihre jetzige Lage gekommen.

Tsunades Zeichen, loslegen zu wollen, entging Shuichi nicht. Er wies ihr die Richtung und begleitete sie ins Innere der Klinik, sodass sie aus dem Sichtfeld der Rezeption verschwanden. Tsunade erwartete keine Antwort auf ihre Frage, Minato würde selbst wissen müssen, wie er jetzt vorgehen würde.

Hallo liebe Leser! :)
 

Nach langer Zeit kommt auch mal wieder ein Kapitel von Caught Cold zum Vorschein. Bevor das Kapitel beginnt, noch ein ganz großes DANKESCHÖN an meine grandiose Betaleserin _Scatach_, die mich jetzt schon seit einiger Zeit unterstützt und sich auch dieses Kapitel vorgeknöpft hat ;) Ich könnte mir keine bessere Betaleserin vorstellen! :)
 

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!
 

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„Ist der Laden nicht ein bisschen groß für euer Dorf?“

„Es wirkt überdimensional, nicht wahr? Ein Krankenhaus dieser Größe findet man für gewöhnlich nur in den Zentren der Regionen, wie in Konohagakure, oder Iwagakure.“

„Dieses Dorf wird wohl kaum alle Kapazitäten dieser Einrichtung ausnutzen, oder?“

„Sie müssen wissen, dieses Krankenhaus ist das einzige, das es hier in der Umgebung gibt. Alle anliegenden Dörfer sind recht klein und haben neben einzelnen Ärzten nur kleinere Tageskliniken, wenn überhaupt. Also kommen die Leute hierher, um sich zu behandeln lassen. Aber auch, um zu lernen. Die Entfernung zu unseren Nachbarn ist überschaubar und die Gefahr für gewöhnlich gering. Da es keine weiteren Krankenhäuser in der Nähe gibt, kommen Ärzte in der Hoffnung hierher, ihre Fähigkeiten und ihr Gelerntes voll nutzen zu können.“

„Und das wiederum bringt euch wertvolle Lehrer, um neue Ärzte ausbilden zu können.“

„Ganz genau.“

„Mit anderen Worten hatten Kakashi und Obito gewaltiges Glück.“

„Wären sie in ein anderes Dorf in der Umgebung gekommen… daran will ich gar nicht denken. Kakashi wäre noch auf der Straße verblutet.“ Sie gingen weiter, bis sie am Ende eines Ganges ankamen. „Auch, wenn unsere Mittel nicht mit dem Standard der großen Dörfer mithalten können, so ist es immer noch ein Krankenhaus und nicht nur eine kleine Klinik in einer Nebenstraße.“ Tsunade verstand die Nachricht, die Shuichi zwischen den Zeilen übermittelte. Sie taten ihr Bestes hier, auch wenn das manchmal nicht gut genug war.

„Ich vermute, dass solche Patienten hier eher eine Ausnahme darstellen.“

„Das stimmt, Kriegsopfer sind hier selten gesehen.“ Shuichi öffnete eine der Türen und bat Tsunade und Shizune mit einer kurzen Handbewegung in den Raum. „Das ist das Lernzimmer für alle angehenden Ärzte. Um diese Uhrzeit ist es hier für gewöhnlich immer leer, so haben Sie Platz und Ruhe, um die Unterlagen ungestört durchzugehen. Wenn Sie möchten, kann ich bleiben. Für den Fall, dass Sie Fragen haben.“

Die Sannin hatte Shizune die Unterlagen gereicht, die damit begann die Dokumente auf einem größeren Tisch auszubreiten und entsprechend der Vorgehensweise ihrer Meisterin zu ordnen.

Tsunade hatte durch die pausenlose Anreise völlig das Zeitgefühl verloren, doch der Blick auf die Uhr verriet ihr, dass der Tag im Prinzip gerade erst angefangen hatte. Umso besser, das vereinfachte ihre Planung.

„Die aktuellen Unterlagen habe ich gerade überflogen, den anderen Teil kannte ich ja bereits. Ich befürchte, dass du nicht bleiben kannst. Du müsstest mir nämlich einen Gefallen tun.“ Shuichi schloss die Tür, während er Tsunade zuhörte. Er verstand schnell, dass das Folgende keiner seiner Kollegen hören sollte. „Und zwar noch bevor ich mich über mehrere Stunden mit den Verantwortlichen hier treffe, meinen Handlungsspielraum auslote und diese Berichte durchgehe. Ich würde nur ungern Zeit verschwenden.“

„Sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.“
 

~~
 

Wieso fand er sich immerzu in derselben Position wieder? Immer wieder stand er vor dieser verdammten Tür und traute sich jedes Mal aufs Neue nicht das Zimmer zu betreten. Was sollte er nur tun? Was konnte er tun? Hatte er denn eine Wahl? Eigentlich nicht. Er musste. Es war das Mindeste, was er tun konnte. Nach allem konnte er nicht vor Kakashi weglaufen. Auch wenn ihm diese Situation schon viel zu bekannt vorkam. Er sammelte sein Selbstvertrauen und gleich im nächsten Moment konnte er nichts mehr davon finden.

Es war wie früher. Egal wie oft Kakashi ihn in irgendeiner Weise niederzwang, er stand immer wieder auf und versuchte es erneut. Und genau das musste er auch jetzt tun. Er musste sich aus dem Sumpf, in dem er gefangen war, wieder herausziehen und sich der Herausforderung stellen. Er musste alles dafür tun, um die Dinge so meistern, wie sie eben waren. Außerdem hatten die Schwestern ihm gesagt, Kakashi würde gerade schlafen. Auch wenn er wusste, dass dies nichts in Stein Gemeißeltes war und sein Kamerad jeden Moment aufwachen könnte, war es oft der entscheidende Grund, der ihn über die Türschwelle schubste. Er hatte nahezu panische Angst davor, sich Kakashi zu stellen und ihm in die Augen zu sehen.

Was sollte er nur machen, wie konnte er es anstellen nicht ständig einen Rückzieher zu machen? Was erhoffte er sich eigentlich davon, das Gespräch zu meiden? Es hatte keinen Sinn, jetzt noch wegzulaufen.
 

Bei diesem Gedanken lächelte er bitter und dachte an die Ironie, die ihn inzwischen auf Schritt und Tritt begleitete. Wie wahr, es hatte keinen Sinn wegzulaufen. Kakashi würde es auch nicht mehr können. Genauso, wie er vielleicht nie wieder ein Ninja sein konnte.
 

Er würde jetzt bis drei zählen und dann langsam und entschlossen diese Tür öffnen. Danach würde er, sollte sein Freund doch wach sein, sich mutig Kakashi gegenüberstellen und in jenem Moment wissen, dass es nicht das letzte Mal sein würde, das er bei ihm sein würde. Er würde ihn nicht noch einmal im Stich lassen. Er würde sich seiner Schuld stellen und er würde alles tun, was Kakashi zuließ, um ihm zu helfen. Das war sein Plan. Der Uchiha spürte, dass er endlich in das Zimmer gehen musste, bevor er sich zu sehr in seinen Gedanken verstrickte.
 

Er sah noch einmal an sich hinab, als wollte er überprüfen, dass er wirklich er selbst war. Nicht jemand, der seinen besten Freund anlügen und weglaufen würde. Doch während sein Blick an ihm hinabwanderte wusste er bereits, dass etwas fehlte. Er wusste aber auch, dass er es nicht vermissen würde. Dieser eine wichtige Gegenstand, der ihn noch nie im Stich gelassen hatte. Seine orangene Brille. Er konnte sich an keine Mission erinnern, bei der er seine Sturmbrille nicht mindestens einmal aufgesetzt hatte. Kein Kampf gegen seinen Endgegner Kakashi verlief ohne sie. Wie sagte man immer? Manche Leute sehen die Welt durch eine rosarote Brille… oder so ähnlich, wenn er sich recht erinnerte. Und so war es auch mit der seinen. Sie war zwar nicht pink, aber die Welt sah mit ihr trotzdem ganz anders aus. Besser. Beherrschbarer. Die Welt sah dann einfach anders aus und das machte ihm jedes Mal Mut. Sie hatte ihm immer Kraft und Schutz gegeben und ihn somit zum Durchhalten und Weitermachen angespornt.

Er war sich bewusst, dass sie nicht wie sonst um seinem Hals hing doch es störte ihn nicht. Er hatte sie mit Absicht abgelegt, in der Hoffnung, sie könnte vielleicht auch einem anderem helfen, so wie sie ihm immer geholfen hatte. Obito hoffte, dass vielleicht ein anderer sah, was dieser kleine orangene Gegenstand für eine Wirkung haben konnte. Und noch viel mehr hoffte er, dass Kakashi sehen würde, dass es noch immer etwas gab, das ihm dabei helfen konnte, Mut zu schöpfen und weiterzumachen. Und auch, wenn Obito es vielleicht nicht schaffte, ihm das direkt zu sagen, so war es doch zumindest dieses eine Etwas, das er hatte tun können. Er hatte seine Brille noch am Tag zuvor neben Kakashis Kopfkissen an einer der Bettstangen angebracht. Ob der Hatake es gesehen hatte?

Hastig schüttelte er den Kopf, als wollte er diesen Gedanken abschütteln. Die Antwort war völlig irrelevant und lag zudem auf der Hand: Vermutlich nicht, denn wahrscheinlich lag es gar nicht in seinem Blickfeld. Außerdem spielte es keine Rolle, ob sein Partner die Brille gesehen hatte. Schließlich ging es nicht darum, ob Kakashi Notiz von ihm oder der Brille nehmen würde, sondern vorerst nur darum, dass es ihm schnell besser ging.

Entschlossen, sich von nichts und niemanden aus der Ruhe bringen und seinen Mut nicht schwinden zu lassen, holte er nochmals tief Luft. Er konnte sich Kakashi auch ohne seine orangene Sicht auf die Welt stellen und die Verantwortung für sein Handeln übernehmen.
 

„Hi, Obito!“, erschrocken sprang der Uchiha zurück, hatte er überhaupt nicht gemerkt, dass er nicht allein war. Diese Stimme direkt neben seinem Ohr hatte er nicht erwartet.

„Sh- Shuichi?!“, Angesprochener grinste Obito frech und belustigt an. Dass der Kleine so springen würde hätte er nicht gedacht; und das als kampferprobter Shinobi. Da musste er ja wieder ziemlich tief in seinen Gedanken versunken sein. Ob der Junge überhaupt noch im Hier und Jetzt lebte?

„Zu Kakashi kann ich dich leider gerade nicht lassen. Eure Sannin, Tsunade, hat das so angeordnet.“

„Tsunade… ist hier?“

„Jap, wieso schaust du nicht einfach unten bei Misami vorbei?“

„Was- was meinst du damit?“

„Geh einfach.“ Und mit diesen Worten spürte Obito, wie er an den Schultern in die entsprechende Richtung geschoben wurde.
 

~~
 

Tsunade schritt zielstrebig die fahlen Gänge des Krankenhauses entlang. Den ganzen Morgen und bis in den Nachmittag hinein hatte sei mit den verschiedensten Leuten gesprochen und dabei das Gefühl gehabt, ihre Zeit zu verschwenden. Sie würde sich jetzt Kakashi widmen und sich das Ganze genauer ansehen. Vielleicht konnte sie sogar schon mit ihm reden. Sie hatte sich gerade eben schon mit den zuständigen Medizinern in Rage diskutiert - über Dinge, die sie im Büro des Hokage nicht ansprechen konnte. Unklarheiten, Unstimmigkeiten, und offensichtlich nichts, was je hätte einem anderen Arzt von außerhalb vorgelegt werden sollen. Es gab so viele Punkte in diesem Bericht, die für sie einfach nicht zusammenpassten und sie hatte an mehreren Stellen das Gefühl gehabt, dass etwas fehlte. Also hatte sie reinen Tisch gemacht und Antworten gefordert. Doch das, was sie bekommen hatte, entsprach nicht ihren Erwartungen, sondern ihren Befürchtungen. Ihre Antworten würde sie sich jetzt von dem Hatake direkt holen müssen. Sie würde sich alles ganz genau ansehen und versuchen, seine Wunden und deren wahres Ausmaß, den tatsächlichen Schaden, den sie angerichtet hatten, einzuschätzen. Manchmal wünschte sie sich, in ihre Patienten hineinsehen zu können. Dann könnte sie die Wunden in ihrer ganzen Form sehen, könnte sehen, auf welche Weise sie ein in sich stimmiges System ins Wanken brachten und wie sehr sie dem Körper bereits zugesetzt hatten. Doch anstelle dessen bekam sie oft nur die Sicht von außen, sie sah die klaffenden Wunden, die die Haut in zwei rissen und meist ein Chaos hinterließen, das sie nicht schnell genug überblicken konnte. Ein Chaos, das sie schon so manches Mal zum Scheitern gebracht hatte. Weil ein Krieg nichts anderes hervorbrachte und man überall nur noch Blut in Strömen sah. Weil es manchmal nicht darum ging, einfach die Wunden zu schließen. Weil der Teufel im Detail lag - Details, die den Tod mit sich brachten.
 

Und jetzt, jetzt konnte sie weder das eine noch das andere. Weder konnte sie in Kakashi hineinsehen, noch gab es offene Wunden, die sie auf Tiefe und Winkel hätte untersuchen können. Zwei Kriterien, die so unendlich wichtig waren und so viel über den wahren Zustand eines Patienten preisgeben konnten. Informationen wie was, wie und wie sehr konnte sie nur erahnen. Sie traute den Unterlagen nicht. Sie hatte zu viele Fragen, es fehlten ihr zu viele Details und deren versteckte Haken. Sie verbargen sich in verschlossenen Wunden und saßen spottend direkt unter der mit Fäden zusammengehaltenen Haut.

Das hiesige Personal war sich sicher, korrekt gehandelt zu haben. Dass es das einzig richtige gewesen wäre. Doch sie fand es zu konservativ. Zu vorsichtig. Es sollte nicht darum gehen, Kakashi irgendwie am Leben zu halten. Sondern darum, dass er wirklich leben konnte. Dafür musste man eben auch mal ein Risiko eingehen, aber vielleicht irrte sie sich. Vielleicht war der Tatbestand ein anderer. Sie würde es herausfinden müssen, daran führte kein Weg vorbei – weder für sie, noch für Kakashi. Aber genau deswegen war sie ja auch hergekommen.
 

Sie atmete tief ein, wappnete sich innerlich und ging noch einmal die laut Bericht größten Wunden durch. Vor allem Rücken und Lunge beschäftigten sie. Nervenschäden, bleibende Narben an Sehnen, Muskeln und eine nicht funktionierende Lunge waren das sichere Aus eines Shinobis. Der Junge würde unvorstellbar viel Kraft brauchen, um dies alles zu überstehen. Und ob sie ihn wieder auf die Beine bringen konnte stand noch offen. Ob er sich jemals damit abfinden könnte?

Schmerzlich erinnerte Tsunade sich an Sakumo – auch er hatte eine Last geschultert, die ihn letzten Endes unter sich begraben hatte.
 

Als sie um die Ecke des Krankenhausganges bog, konnte sie bereits Shuichi sehen, der vor Kakashis Zimmer wartete. Er lächelte schelmisch, als er sie sah. „Ich habe alles so ausgeführt, wie Sie es wollten.“

„Gut.“ Tsunade nickte, wohl wissend, dass der Student gerade Anweisungen befolgt hatte, die ihm keiner seiner Vorgesetzten je erteilt oder gar genehmigt hätte. Knapp ließ sie sich von dem jungen Arzt über jegliche Veränderung des Zustandes ihres Patienten innerhalb der letzten Stunden informieren.

Sie war über Stunden hinweg beschäftigt gewesen, daher hatte Shuichi für sie alles erledigt, worum sie ihn nach ihrer Ankunft gebeten hatte. Tsunades Empfinden nach hätte Kakashi mit einer so hohen Medikamentendosis gar keine Chance gehabt, richtig zu Bewusstsein zu kommen. Also hatte sie Shuichi gebeten, alle Substanzen fürs Erste abzusetzen. Für das, was sie vorhatte, würde sie nicht nur Kakashis Verstand brauchen, sondern vor allem dessen Reaktionen und Schmerzempfinden. Immerhin musste sie seine Wunden erneut untersuchen - und das blind.

Es war ausreichend Zeit vergangen, sie sollte es jetzt also mit einem ansprechbaren Patienten zu tun haben. Theoretisch verlief es fast so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Nur wehrte sich der Körper des Hatake gegen keine der Maßnahmen, die ihn bislang versorgt und am Leben gehalten hatten. Das war kein gutes Zeichen, ein funktionierendes Organ sollte sich gegen ein künstliches Eingreifen sträuben. Vor allem jetzt, da sich alle Substanzen, die den Schmerz lindern und Muskeln entspannen sollten, langsam abbauten, sollten natürliche, angeborene Reflexe wieder greifen. Es beunruhigte sie, dass er allem Anschein nach nicht selbstständig zu atmen versuchte. Wenn die Lunge so geschädigt und geschwächt war… Tsunade seufzte angestrengt.

Doch so leicht hatte sie noch niemanden aufgegeben und es war mehr nötig, damit sie sich einer Situation nicht gewachsen fühlte.

„Kakashis Besuch habe ich weggeschickt.“

„Welcher Besuch?“

„Obito.“ Für einen Moment dachte Tsunade darüber nach, ob sie den Uchiha Jungen über den aktuellen Stand seines Kameraden in Kenntnis setzen sollte. Die beiden waren ein Team und auch Seite an Seite durch diesen Alptraum gegangen. Aber nur, weil sie zu zweit waren, hieß das noch lange nicht, dass sie es gemeinsam soweit geschafft hatten. Noch wusste niemand, was eigentlich passiert war.

Sollte sie den Jungen treffen, würde sie spontan entscheiden, ob sie Obito aufklärte. Nicht nur über Kakashi, sondern auch über die Konsequenzen, die das alles für Minato hatte. Vielleicht war es dann sogar sie selbst, die aufgeklärt wurde und erfuhr, was damals im Wald geschehen war.

Wie dem auch sei, das musste warten.

„Danke. Wenn du möchtest, kannst du jetzt gehen.“
 

~~
 

Minato Namikaze streckte sich schwerfällig in einem der Stühle und ließ sich anschließend mit einem ergebenen Seufzen wieder zurückfallen. Er war zuversichtlich, dass Tsunade die aktuelle Situation erheblich bessern konnte. Die kommende Zeit würde somit auch für Obito und Rin etwas weniger belastend werden, auch wenn sie sich deswegen nicht würden ausruhen können. Ob er die zwei Heranwachsenden überhaupt involvieren sollte?

Er hatte zugestimmt, Tsunades Schulden zu tilgen, wenn das Dorf sie fürs Erste begleichen und man Kakashi helfen würde. Aber diese Schulden waren nicht so einfach mit ein bis zwei A- oder B-Missionen beglichen und er ahnte, dass der Hokage ihn zu allem Überfluss mit D- und C-Missionen strafen würde. Er würde mit seinem Team wieder von ganz unten anfangen müssen, weil er als Sensei versagt hatte. Weil er bewiesen hatte, keine Verantwortung übernehmen zu können. Sicherlich würden Obito und Rin bei den Missionen helfen wollen… trotzdem war es nicht fair. Er wünschte sich, dass sich die beiden wie alle ihrer Kameraden weiterentwickeln und ihre Ziele erreichen konnten. Und sie waren weit über das Niveau einer D-Mission hinaus.

Er würde ihnen die Wahl lassen, sie sollten selbst entscheiden. Nicht, weil er sich vor der Verantwortung drücken wollte, sondern weil den beiden das Mitspracherecht genommen wurde seitdem dieser Alptraum seinen Lauf genommen hatte.

Ob Obito weiterhin so übereifrig bei der Sache sein würde? Auf der einen Seite hoffte er es, auf der anderen spürte er Unmut. Obitos Eifer grenzte teilweise schon an Lebensmüdigkeit. Und inwiefern die aktuelle Lage Obitos zukünftiges Handeln beeinflussen würde, würde sich ebenfalls noch herausstellen. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, den Uchiha bei ein paar Missionen etwas genauer zu beobachten. Für gewöhnlich gab sich der Uchiha nicht lange geschlagen und suchte nach Fehlschlägen immer wieder die Herausforderung. Minato hoffte inständig, dass Obito zu diesem alten Ich zurückfand. Früher war sein Antrieb dafür Kakashi gewesen, aber in Anbetracht der aktuellen Lage ging Minato davon aus, dass auch das sich ändern würde. Zumindest vorerst. Kakashi… Diesem Thema würde er sich die Tage mit Tsunade widmen. Er wollte wissen, wie sie seinen Zustand einschätzte. Erst dann würde sich entscheiden, wie es von nun an weiterging.
 

Aus dem Augenwinkel erhaschte er Obito, der sich gerade der Rezeption näherte. Er war also tatsächlich im Krankenhaus - ob er Kakashi besucht hatte? Auf Minato machte der Junge einen eher verlorenen Eindruck. Während Obito sich über die Theke der Rezeption zu Misami lehnte, erhob Minato sich von seinem Platz und kam langsam von hinten auf ihn zu.

„Hallo Obito!“

„Der Nächste!“, wie vom Blitz getroffen sprang Angesprochener erschrocken zur Seite und machte seinem Missbehagen Luft, „Wieso müssen sich denn heute alle von hinten anschleichen?!“

„Hab‘ ich dich erschreckt?“, mit einer Hand am Hinterkopf, grinste Minato halb verlegen, halb entschuldigend seinen Schüler an. Dem Uchiha fiel erst jetzt auf, mit wem er es zu tun hatte. Vor Schreck hatte er gar nicht darauf geachtet. „Se- Sensei?!… Was machen Sie denn hier?“

„Soll ich wieder gehen?“

„N-Nein, so war das nicht gemeint. Ich meinte nur, dass… na ja… also-“

„Schon gut, es ist alles okay, Obito. Das war nicht ernst gemeint.“ Minatos Lächeln war sanft und fürsorglich, ebenso wie seine Hand, die er auf Obitos Schulter legte. Mit etwas Druck bedeutete er seinem Schüler, mit ihm zu kommen und sich von möglichen Zuhörern zu entfernen.

„Ich bin mit Tsunade hergekommen.“ Minato sah seinem Schüler an, wie seine Gedanken sich drehten und er herauszufinden versuchte, was das nun für sie alle bedeuten würde. Leise hörte er ihn vor sich hin nuscheln. „Ich habe gehört, dass sie hier sein soll, konnte es aber nicht ganz glauben.“ Obito wusste, er sollte sich freuen, aber eigentlich machte es ihm Angst, dass eine Sannin - die Wunderheilerin Tsunade - sich nun Kakashi annehmen würde. Es unterstich den Ernst der Lage.

"Du machst dir zu viele Gedanken, Obito.“, Minatos Stimme war ruhig, als er den Jungen aus seinen Gedanken riss, bevor er sich in ihnen verlieren konnte. Minato schob seinen Schüler behutsam an den Schultern in Richtung der Stühle und bedeutete ihm, sich zu setzen. „Dass Tsunade hier ist, ist gut. Mach dir darüber keine Gedanken.“

„Aber das bedeutet, dass-“

„Es bedeutet, dass wir alle Shinobi aus Konoha sind und das Dorf zusammenhält. Wir helfen uns gegenseitig, das macht uns stark. Und das war noch nie anders.“ Auch wenn es einen Moment dauerte, so konnte Namikaze sehen, wie ein Teil der Last von Obitos Schultern fiel. Tsunade einzuschalten war ein großer Schritt gewesen, doch das sollte nicht Obitos Sorge sein. Im Gegenteil. Immerhin war das Ziel, ihm und Kakashi zu helfen.

„Wir werden bald nach Konoha zurückkehren, dieses Mal wirst du mich begleiten.“

„W-was? Wieso? Und… Kakashi?“

„Nun, das hängt mitunter damit zusammen, dass Tsunade hier ist.“ Immerhin konnte er nach der Geschichte über Konohas Teamgeist seinem Schüler nicht erzählen, dass es einen Preis dafür gab, dass die Sannin nun vor Ort war - Und dass er diesen Preis abzuarbeiten hatte. „Denn sie kümmert sich ab jetzt um Kakashi. Das werden also alles sie und Shizune regeln. Wenn ich mich nicht irre, ist Shizune sogar schon dabei, alle Möglichkeiten abzuschätzen, die ihnen in Anbetracht der Umstände zur Verfügung stehen.“

„Also weiß sie es auch nicht…“

„Hm?“

„Dann weiß Tsunade auch nicht, ob Kakashi…“

„Wie gesagt, du machst dir zu viele Gedanken, Obito! Hab ein bisschen Vertrauen!“, er lächelte seinen Schüler auf vertraute Weise an, als er mit seiner Hand aufmunternd und zugleich tadelnd dessen Haare zerzauste.

„Eins nach dem anderen. Ich denke, den morgigen Tag werden wir noch hier verbringen, aber spätestens abends oder noch in den frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages werden wir uns auf den Weg machen, um die Dunkelheit ausnutzen zu können.“
 

~~
 

Als Tsunade den Raum betrat verschaffte sie sich rasch einen Überblick. Trotz des Status als Provinzkrankenhaus waren sie technisch gut ausgestattet. Die großen Ninja Dörfer hatten ihre Krankenhäuser gänzlich anders aufgebaut, immerhin hatten sie die Möglichkeit, Iryo-Nins für die Behandlung der Verletzten einzusetzen. Da dieses Dorf jedoch keinerlei Ninja ausbildete, mussten sie sich anderweitig helfen. Und soweit Tsunade die Lage beurteilen konnte, war dieses Krankenhaus gut vorbereitet. Besser, als sie es erwartet hatte.

Dennoch, ihr Ziel war es, Kakashi von jeglicher Technik zu befreien.

Ihr Patient schien zu schlafen und sie nicht bemerkt zu haben. Sie fragte sich, wie viel Bedeutung sie dem beimessen sollte. Müsste der Junge nicht Schmerzen haben, die ihn keine Sekunde ruhen ließen? Oder hatten eben genau diese ihn erneut überwältigt? Während Tsunade sich darüber Gedanken machte, fing sie an, die Knöpfe der einzelnen Geräte auszuprobieren, bis sie den gewünschten Effekt erreicht hatte. Viele davon waren ihr neu und das gelegentliche Piepen signalisierte ihr, dass sie ihr Ziel noch immer nicht erreicht hatte. Sie merkte, wie sie langsam die Geduld verlor und entschied, notfalls einfach kurzerhand die Stecker eines jeden einzelnen ziehen, bevor sie ihre Zeit vergeudete. So würde es auch gehen.
 

„Hallo Kakashi“, sprach sie ihn aufmunternd an. Die Geräusche mussten ihn geweckt haben und Tsunade war froh, dass er nun doch von selbst die Augen geöffnet hatte. Seine Iriden folgten langsam ihrer Stimme, bis sie auf ihrem Gesicht Halt machten. Sein Blick war verklärt und noch etwas benommen, eine Tatsache, die Tsunade sichtlich entspannte. Dass der Junge nicht reagiert hatte, als sie ins Zimmer kam, lag also nicht an seinen Wunden. Seine geweiteten Pupillen hatten ihn verraten - die Medikamente wirkten wohl länger, als sie angenommen hatte. Ihr entging nicht, wie es in seinem Kopf anfing zu arbeiten, er musste sie erkannt haben. Auch wenn seine Reaktionen stark verzögert und schwach waren. Laut Shuichi war Kakashi jedoch bereits vor ein paar Tagen ansprechbar gewesen. Vielleicht hatten die Ärzte bemerkt, dass sie eine höhere Dosis verabreichen mussten, um ihm den Schmerz nehmen zu können. Wie Tsunade erfahren hatte, war das Ziel, Kakashi solange ruhig zu stellen, bis seine Verletzungen nicht mehr kritisch waren. Aber Abwarten und Nichtstun würde in diesem Fall nicht helfen, davon war sie überzeugt.

„Ich bin hier, um dich zu untersuchen.“ Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, entfernte sie auch schon das dünne Laken, das als Decke diente.

Für einen Moment hielt sie inne und überlegte. Wenn Kakashi seine Verletzungen nicht richtig spürte, würde sie aus seinen Reaktionen im Moment nichts Wissenswertes gewinnen. Dennoch, gegen eine erste Untersuchung sprach nichts, nur würde sie entgegen ihres ursprünglichen Vorhabens so behutsam wie möglich vorgehen und jegliche Reizung vermeiden. Außerdem hatte sie den ein oder anderen Apparat nicht ausschalten können und das Risiko, einen Alarm auszulösen und die halbe Ärztekammer dadurch hier zu versammeln, wollte sie nicht eingehen - ihr stand nicht der Sinn nach weiteren Diskussionen. Bis morgen würde sie sich über die Technik informiert haben, oder den Stecker einfach von Anfang an ziehen.
 

Schnell hatte sie sich freie Sicht auf Kakashis Oberkörper verschafft. Sie sah die abheilenden Blutergüsse und nur wenige offene Wunden auf seiner Vorderseite – keine davon fesselte ihn an dieses Bett. Aber sie konnte sofort den Unterschied der Läsionen erkennen. Diese Wunden stammten aus verschiedenen Kämpfen, sie waren unmöglich am gleichen Tag entstanden. Und die Älteren waren nicht weniger ernst als die Jüngeren. Da hatte jemand ganze Arbeit geleistet.
 

Sanft fuhr sie mit ihren Fingern die dunklen Stellen auf Kakashis Haut nach und tastete sich vorsichtig voran. Soweit schienen ihre Unterlagen korrekt zu sein. Und dem Hatake machten diese Berührungen noch nicht allzu viel aus. Ihre eiskalten und somit auch kühlenden Hände spielten ihr positiv zu.
 

Trotz allem konnte sie die Panik in den Augen des Jungen sehen. Er wusste, dass sie sich mit seinem Brustkorb nicht zufriedengeben würde. Wahrscheinlich konnte er seine Wunden und deren Ausmaß bereits die ganze Zeit spüren, wenn auch abgeschwächt. Natürlich, keiner war näher am Geschehen als er selbst, als ihm die Wunden zugefügt wurden. Er musste sie wahrscheinlich gar nicht spüren, Kakashi wusste, wo die Messer seine Haut durchdrungen hatten. Er versuchte noch nicht einmal sich zu wehren, oder einen Laut von sich zu geben. Nur seine dunklen Iriden sprachen Bände.

Tsunade atmete tief ein, sammelte sich und ließ die Luft langsam wieder entgleiten. „Ich sehe es mir nur an.“ Sie musste ihm nicht schon jetzt sagen, dass sie morgen nicht mehr so viel Nachsicht mit ihm haben würde, und im Grunde genommen wollte sie selbst nicht daran denken. Auch ihr widerstrebte ein solches Vorgehen, aber ihn zu heilen war leichter gesagt als getan. Eine falsch kurierte Verletzung war gleichzusetzen mit einem irreversiblen Schaden.
 

Tsunades Hände wanderten über Kakashis Körper, bis sie eine Position gefunden hatte, in der sie ihn in eine Seitlange bringen konnte, ohne ungewollt Druck auf eine der Wunden auszuüben. Vorsichtig begann sie, Kakashi auf die Seite zu drehen und wartete, als sie ihn in der gewünschten Haltung hatte. Tsunade spürte unter ihren Fingern Kakashis Muskeln und Sehnen, die schwach versuchten, sich gegen die Bewegung zu wehren und hörte die erstickten Laute der Qual. Den Schmerz, den Kakashi in diesem Moment durchlebte, konnte sie ihm ansehen. Soweit Tsunade wusste, war Kakashi als Shinobi nicht nur stark und ausdauernd, sondern auch unempfindlich was den Kampf anging. So schnell würde man ihm nichts anmerken, doch die jetzige Situation zerrte an seinen Nerven – und das im wahrsten Sinne. Auch, wenn es nicht die erste schwierige Phase in seinem Leben war, so durfte keiner von ihnen je vergessen, dass Kakashi kein Erwachsener war. Er war immer noch ein Kind, ein Jugendlicher, der genauso wie andere auch Weisung, Unterstützung und Nachsicht brauchte. Der noch so viele Jahre seines Lebens vor sich hatte und so viel erleben sollte – und sie würde persönlich dafür sorgen, dass er das auch tat.

Seitdem sie mit der Untersuchung begonnen hatte, vermied sie jeden Augenkontakt und auch Kakashi versuchte nicht einmal, sie aus den Augenwinkeln zu beobachten. Sie konnte sich vorstellen, wie entblößt sich Kakashi aufgrund seiner Hilflosigkeit fühlen musste und war froh, sich gänzlich seinem Rücken widmen zu können. Ihn nicht direkt in die Augen sehen zu müssen, machte es für sie und sicherlich auch für Kakashi einfacher. Doch das stille, salzige Nass, das sich in Kakashis Augenwinkel gesammelt hatte, war ihr nicht entgangen. Er hatte all diese Verletzungen erleiden und diesen Albtraum durchleiden müssen und dennoch vergoss er nur eine einzige Träne. Und auch diese war wahrscheinlich nur durch den Reiz, den sie verursacht hatte, ausgelöst worden. Tsunade löste eine ihrer Hände und begann behutsam, die Verletzungen freizulegen. In einer fast selbstverständlichen und unscheinbaren Bewegung hatte sie sanft die Träne weggewischt. Weder hatte sie ihm dabei ins Gesicht geblickt noch hatte sie vor es zu kommentieren. Sie wollte Kakashis Stolz respektieren, bevor er in sich zusammenbrach, und außerdem war er ihr Patient. Kakashi konnte also nicht nur die Behandlung, sondern auch Einfühlungsvermögen von ihr erwarten. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.
 

Als sie allmählich die Pflaster, Wundkompressen und Verbände gelöst hatte, stockte ihr der Atem. Das war nicht das, was sie erwartet hatte. Das waren keine einfachen Stichwunden, die es zu behandeln galt. Was sie sah, spiegelte wider, was sie selbst zu gut kannte und das, was Minato im Wald gesehen haben musste. Sie hatte den Horror in den Augen des berüchtigten Gelben Blitzes wiedererkannt. Jedes Schlachtfeld hatte eine eigene Sprache, durch die es mit den Zurückgebliebenen kommunizierte.

Da Kakashi es jedoch lebend ins Dorf geschafft hatte, hatte sie ein derartiges Ausmaß nicht erwartet. Es waren nicht nur Stichwunden und Schnitte simpler Klingen, die sich tief in seinen Rücken gebohrt hatten. Wenn sie sah, wie sehr die Haut zerschnitten und sogar zerfetzt worden war, konnte es sich nicht um normale Kunai oder Messer handeln, die die beiden Shinobi abbekommen hatten.

Diese Wunden waren die Spuren eines Kampfes auf Leben und Tod, sie waren Beweise einer Schlacht, die Kakashi noch lange nicht überstanden hatte. Solche Verletzungen hatte sie lange nicht gesehen. Nicht seit dem letzten Krieg.
 

Für einen Moment fühlte sie sich ratlos und Zweifel überkamen sie. War es wirklich eine gute Idee, die Medikation des Hatake herabzusetzen? Sollte sie die schmerzlindernden Mittel wieder erhöhen? Hätte sie ihn sich vorher ansehen sollen? Es überraschte sie nicht länger, dass die Dosis um einiges stärker angesetzt war, als sie erwartet hatte. War es wirklich das Richtige, was sie hier tat?

Wieder hielt sie inne, atmete lautlos tief ein, spürte ihre Lungen, die sich mit Sauerstoff füllten, fühlte die Luft, die ihr Inneres bewegte und den Moment des Stillstandes, bevor sie langsam ausatmete. Wieder und wieder. Sie musste sich sammeln, ihre Gedanken ordnen.

Sie tat das Richtige. Denn auch, wenn Kakashis Verletzungen ein weitaus gravierenderes Ausmaß hatten, als sie es erwartet hatte, so würde sie ihre Behandlung nicht ändern können. Sie wollte es auch gar nicht; um seines Willen. Um aus dieser Sache wieder herauszukommen, musste er dadurch, auch wenn es hart war. Sie konnte sich den Luxus nicht leisten, sich jetzt in Selbstzweifel verlieren zu können. Kakashi brauchte Hilfe und die würde er von ihr bekommen – auch, wenn es sich für ihn vorerst nicht danach anfühlen würde.

Danach würde sie ihn ordentlich durch die Mangel nehmen und anschließend Obito. Und abschließend würde sie ihren Sensei darauf hinweisen, dass Namikazes Team diese Mission nie hätte bekommen dürfen. Das Versagen lag nicht bei Namikaze, sondern bei ihrem Sensei selbst. Das hier waren Kriegsverletzungen. Verursacht durch Waffen, die man weder zum Kampf noch zur Verteidigung, sondern ausschließlich zum Töten einsetzte.

Ihr Sensei hatte den Anforderungsgrad der Mission erheblich fehleingeschätzt und ein Team ausgewählt, das diesem Level nicht gerecht werden konnte. Minato hatte lediglich auf Basis beidseitiger Fehlinformation gehandelt. Er hatte sich auf den Hokage, die ihm gegebenen Informationen und sein Team verlassen.
 

Und trotz allem hatten die zwei Jugendlichen es irgendwie aus dem Wald geschafft.
 

„Ihr beide seid wirklich interessante Shinobi.“

Träge öffnete er seine Augen, doch er wusste auch ohne hinzusehen, dass der Morgen gerade erst hereinbrach. Es war die Phase, in der es zu hell für die Nacht und zu dunkel für den Tag war. Eine Phase, in der sich weder der Mond noch die Sonne vollständig am Himmel zeigten und jegliche Strategien auf Eis gelegt wurden. Es war zu dunkel, um den Feind sehen zu können, zu hell, um nicht gesehen zu werden. Eine Phase, in der alles stillstand. Eine Phase, die nicht besser zu ihm hätte passen können. Alles stand still, es gab keinerlei Handlungsspielraum und er hatte keinerlei Kontrolle darüber, was als Nächstes passieren würde. Die einzige Gewissheit war, dass die Dinge sich ändern würden – ganz gleich wie.
 

Und er hasste es.
 

Schlimm genug, wenn sich eine Situation seiner Kontrolle entzog - doch jetzt?
 

All die Zeit war er nicht Herr seiner Sinne gewesen; sein Körper gehorchte ihm nach wie vor nicht. Ihm war nicht nur jegliche Kontrolle über die Situation und darüber, was mit ihm passierte abhanden gekommen, sondern auch über sich selbst. Er war all dem hilflos ausgeliefert – ein Gedanke, der ihm bitter aufstieß. Er konnte dem nicht entkommen. Wie sehr er es auch wollte, er konnte nicht weg. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr, ebenso wenig wie sein Geist. Er hatte es immer wieder gespürt; all die Gedanken und Erinnerungen, die Informationen, die versuchten sich an die Oberfläche zu drängen und dennoch nicht zu ihm durch drangen. Er hatte gewusst, dass sie da waren, gewusst, etwas stimmte nicht. Doch je angestrengter er versuchte, diese Gedanken festzuhalten, desto energischer entglitten sie seinem Griff. Als wären sie wie dunkler Rauch zwischen seinen Fingern hindurch geglitten, als er seine Hand nach ihnen austreckte.
 

Wann immer er sich diesem erlösenden Schwarz hingegeben hatte, waren seine Erinnerungen, sein Verstand, alles was ihn ausmachte, so nah gewesen. Doch jedes Mal waren dort auch diese unsichtbaren Mauern gewesen, die ihm die Sicht versperrt und den Weg abschnitten hatten. Jede Nacht, jeden Tag. Und mit nichts hatte er diese Mauern überwinden können. Seine Erinnerungen waren ihm verwehrt geblieben und nur Bruchstücke waren zu ihm durchgedrungen. Bruchstücke, die von nichts anderem deuteten, als dass alles, gegen das er sich so gewehrt hatte über ihn herein gebrochen war - Kontrollverlust, Gefühle, Nähe.
 

Und so war es auch gewesen – das wusste er. Jetzt.
 

Unausweichlich, wie eine Naturgewalt hatten die Dinge einen Lauf genommen, den er nicht mehr hatte aufhalten können.
 

Alles hatte damit angefangen, dass er die Kontrolle über die Situation verloren hatte. Schon lange, bevor sie angegriffen worden waren. Lange, bevor ihre Mission überhaupt startete. Es waren Details, denen er sich verwehrt und Regeln, die er missachtet hatte. Er hätte doch genau wissen müssen, wo das hinführen würde.
 

Er hätte es besser wissen müssen.
 

Er wusste doch, was passierte, wenn man die Regeln brach.
 

Im Nachhinein erschien alles so vorhersehbar, es war unvermeidlich gewesen, dass es zur Katastrophe gekommen war. Einer Katastrophe, deren Ausmaß er nicht hatte ahnen können, doch deren Ablauf ihm jetzt so logisch erschien, dass es ihm kalt den Rücken herunterlief.
 

Weil er es wieder wusste.
 

Alles.
 

~~
 

Sie waren da. Ganz eindeutig. Sie waren da und versuchten vergeblich, sich an die Oberfläche zu kämpfen und zu ihm durchzudringen. Dinge, an die er hätte denken müssen. Dinge, die er hätte tun müssen. Dinge, die er hätte sagen müssen. Sie waren da, er konnte es fühlen. Gefangen in den ungreifbaren Tiefen seines Geistes, darauf wartend, gedacht, gelebt und gesprochen zu werden. All diese Dinge waren da, bereit, das zerstreute Puzzle erneut zusammenzusetzen.
 

Doch das Einzige, worauf sich seine ganze Wahrnehmung fokussieren konnte, waren Tsunades Berührungen auf seinem Körper. Ihre kalten Hände, von denen er nicht wusste, ob sie eine kühlende Wohltat oder beißendes Eis auf seiner brennenden Haut waren.
 

Tsunade.
 

Sie hatte er erkannt. Nicht sofort, aber er hatte Tsunade erkannt; es war ihre Präsenz, an die er sich klar erinnert hatte.
 

Wieso sie? Warum kam ihm ausgerechnet als erstes die Erkenntnis darüber, wer Tsunade war, in den Sinn? Wieso diese Frau und nicht all die anderen Dinge, die so wichtig zu sein schienen? All die Dinge, die seit Tagen versuchten, in sein Bewusstsein zu dringen, seinen Verstand zu infiltrieren und die Mauer einzureißen.

Aber einzig und allein Tsunade war es, die diese Mauer sofort hatte durchdringen können. Tsunade, die er in der Vergangenheit nur ein einziges Mal gesehen hatte. In einer Vergangenheit, auf die er sonst keinerlei Zugriff mehr hatte.
 

Nur sie und ihre kalten Hände nahm er so deutlich wahr, wie den Schmerz, der seinen Körper so unaufhörlich heimsuchte.
 

Warum konnte er das nicht kontrollieren? Warum konnte er selbst seine Wahrnehmung nicht steuern? Es hatte keinen Zweck; egal, auf was er sich zu konzentrieren versuchte, da waren nur diese eisigen Finger, die seine brennende Haut malträtierten und den Schmerz ihn ihm weiter anfachten.

Wie Eiskristalle fühlten sich Tsunades Finger auf seinem Rücken an, selbst die Luft im Raum war wie eine Peitsche auf seiner offenliegenden lädierten Haut.
 

Seine Fähigkeit, sein Umfeld im Blick und die Situation unter Kontrolle zu haben, war wie ein lang vergangener Traum fernab der Realität. Der Raum, die Tür, die Laken - alles verschmolz vor seinen Augen immer weiter zu einem verschwommenen weißen Nichts, in dem keine Form und keine Gestalt mehr zu erkennen war.
 

Er wollte schreien, wollte weglaufen, sich all dem entziehen. Doch er konnte noch nicht einmal frei atmen.
 

Nur noch ein allumfassendes weißes Nichts und das wandernde Eis auf seiner Haut waren geblieben. Und noch etwas. Da war noch irgendetwas anderes.
 

Etwas Vertrautes. Er kannte es, doch je mehr er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, desto mehr verblasste es und ebnete den Weg für den Schmerz, der bei jeder Bewegung und jeder von Tsunades Berührungen wie ein wildes Feuer durch seinen Körper wallte und sengend an seinem Fleisch züngelte.
 

Weißes Nichts, Eis und Feuer… und noch etwas.
 

Da war etwas, dass sich in sein Sichtfeld drängte. Etwas, an das er sich hätte erinnern sollen, aber gleich den Fetzen von Erinnerungen – Schreie eines Kampfes - die in seinen Gedanken aufgetaucht waren, wollte sich auch hier kein Bild in seinen Kopf schärfen. Da war nichts, was ihm in irgendeiner Weise Klarheit verschafft hätte. Nur allumfassendes Nichts.
 

Verdammt!
 

Innerlich verfluchte er nicht nur die Situation, sondern auch sich selbst. Es war ihm unbegreiflich, wie er in so eine Situation hatte kommen können. War es denn nicht einst sein Vorsatz gewesen, stets die Regeln zu befolgen? War das das Ergebnis, wenn man sich an die Regeln hielt? Hatte er sich denn an die Regeln gehalten?! Wenn da doch nur irgendeine Erinnerung wäre, doch er konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen und zu allem Übel konnte er noch nicht einmal definieren, was genau ihn so sehr quälte.
 

Verdammt! Verdammt!
 

Und dennoch wusste Kakashi, dass das so nicht stimmte – nicht ganz. Nicht alles war in dieses verschlingende Weiß getaucht. Die Verzweiflung und vor allem den Frust über seine Lage spürte er messerscharf. Tsunades Berührungen waren schneidend klar und auch die Frau selbst war ihm nicht unbekannt. Weder sie noch Sensei Minato, Rin und Obito. Konohagakure, die Regeln, Missionen…
 

Doch zur Hölle damit, das reichte nicht! Er wollte Antworten. Er wollte – nein, er musste wissen, was passiert war.
 

Der nahezu gleichbleibende Schmerz signalisierte ihm, dass Tsunade ihr Wort zu halten schien – sie sah sich die Hölle, die ihn gefangen hielt nur an. Kakashi war dankbar dafür, wusste jedoch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch Tsunade andere Geschütze auffahren würde. Eigentlich sollte er sich freuen, immerhin würde dies bedeuten, dass sich sein Zustand in irgendeiner Weise ändern würde. Dennoch schien es trotz Tsunades Einschreiten viel zu unwirklich, diesem Inferno entfliehen, seinen Verstand klären und das fest verschlossene Tor zu seinen Erinnerungen jemals entriegeln zu können. Und nicht zu allerletzt in sein Leben zurückkehren zu können. Doch das schien nicht nur unwirklich, sondern gar unmöglich.
 

Die kalten Finger entfernten sich und etwas Weiches legte sich auf seinen Rücken, das peitschende Kalt der Luft auf seiner Haut verschwand.
 

Vorsichtige Berührungen, als sein gebrochener Körper bewegt wurde und Tsunades Versprechen, dass sie morgen wiederkommen würde.
 

Er hörte noch das sanfte Klacken ihrer Schritte und das Schließen der Tür.
 

Dann wurde es wieder still, seine Lider fielen herab und er ließ sich in die Dunkelheit sinken. Seine wenigen klaren Gedankengänge ließ er von dem dumpfen Pochen in seinen Gliedern und der zurückkehrenden Wärme auf seinem Rücken davontragen, die wie eine junge Flamme an seinem Fleisch züngelte.
 

Das tiefe Schwarz, dass seine Gedanken einlullte und den Schmerz linderte, eine Finsternis, in der die Zeit ohne ihn verstrich – das war genau das, wonach er sich jetzt sehnte.

Nichts denken. Nichts fühlen. Zeit außerhalb seines eigenen Gefängnisses.
 

Doch sie kam nicht.
 

Im Gegenteil.
 

Anstelle der betäubenden Dunkelheit, nach der er sich sehnte, hatte er das Gefühl, lediglich die Rückseite seiner Lider angestarrt zu haben, während das dumpfe Pochen in seinen Muskeln zu einem unerträglichen rasenden Pulsieren wurde.
 

Ein beißendes Höllenfeuer, das stetig wuchs und schließlich die letzte verbliebene Klarheit in seinem Kopf zunichte machte. Seine Gedanken waren so ungreifbar wie die Zungen des Feuers, wild tanzten sie wie kleine Teufel vor seinem inneren Auge, unkontrollierbar und durcheinander.
 

Ein imaginäres und zugleich so reales blutrotes Feuer, aufblitzende orangene Flammen inmitten einer Dunkelheit, die ihm keine Erlösung bringen würde.
 

Und plötzlich stierten ihn zwei scharlachrote Sharingan mit einer Intensität an, die das Feuer und die Pein in seinen Gliedern gegenstandlos machten. Wie ein Blitz waren die beiden Tod suchenden Iriden innerhalb eines Sekundenbruchteils wie aus dem Nichts aufgetaucht.
 

Zwei rasende Sharingan umrandet von einer orangenen Sturmbrille.
 

Uchiha Obito.
 

Und mit einem Mal stürzte alles auf ihn herein. Ein Durcheinander von Bildern, Worten und Bruchstücken seiner Erinnerung brach auf ihn nieder. Nein, nicht nur Bruchstücke, alles, was geschehen war, in seiner Gesamtheit mit all seiner Facetten. Es war so nah und so echt; er konnte sie hören, das von den Explosionen verbrannte Holz riechen, die metallenen Griffe seiner Kunai. Er war zurück im Wald.
 

All die Stimmen wüteten durch seinen Verstand, zornerfülltes Schreien, verzweifelte schmerzvolle Laute, das scharfe Klirren aufeinander treffender Klingen… wie ein unbändiges ohrenbetäubendes Chaos tobte es in ihm.
 

Er erinnerte sich.
 

Na? Ist der ach so tolle Uchiha etwa verletzt?! - Spar' dir deine Arroganz! - Hast du da etwa ein Weh-weh-chen? - Schnauze, Versager! Kümmere dich lieber um deine eigenen! –
 

Was sollte das?! - Ich bin nur hier, weil man dich Versager mal wieder suchen muss. Du bist wie immer zu spät! - Halt doch einfach die Klappe, Vogelscheuche. Ich bin nicht müde. –
 

Hör auf Kakashi, das ist nicht lustig und auch nicht sonderlich hilfreich. - Kakashi, Obito. Ihr werdet nach rechts weitergehen. Ich werde euch später einholen, der Rest kommt mit mir mit. –
 

Schneller! - Obito?! Was… - Verdammt! Was zum Teufel machst du da?! - Was ist dein Problem? - Antworte endlich! –
 

Du bist verliebt. Und weiter? – Nicht in Rin, du Idiot. – Dich -
 

Ich würde mal sagen, die Mission ist erledigt.- Was soll die Scheiße?! Dafür werdet ihr alle büßen! –
 

Kakashi… Ich bekomm' das schon hin, ich muss nur den Rest unseres Teams finden. Das wird schon...irgendwie. - Nein! - Ich… ich brauche Hilfe! - Helfen Sie mir! -
 

Der Gegner, das modrige und kalte Aroma der Ruine, die Wucht des Angriffs ihrer Feinde, der Hohn in deren Stimme, das Surren der Messer durch die Luft und das dumpfe Geräusch, als sie in sein Fleisch drangen.
 

Uchiha Obito.
 

Ein Schmerz, der erst verspätet kam. Alles, was er gespürt hatte, war die Wucht des Aufpralls und die Kälte der Klingen an seinem Rücken gewesen. Er war von dem Adrenalin wie berauscht gewesen, das durch seine Adern geströmt war. Es war nichts anderes, als genau dieses Adrenalin gewesen, das ihn so lange auf den Beinen gehalten und ihn angestachelt hatte; das ihn funktionieren ließ. Weil es ihm das Gefühl gegeben hatte, aus der Sache noch lebend herauszukommen. Weil es ihm die Illusion eines Kampfes gegeben hatte, in dem sie noch eine Chance hatten.
 

Weil es ihn dazu getrieben hatte, sich in diesem nahezu aussichtlosen Kampf auf Obito zu stützen.
 

Uchiha Obito.
 

Obito, der bereits verletzt gewesen war. Obito der die ganze Zeit schon seltsam gewesen war. Obito, der wie er selbst noch alte Verletzungen mit sich herumgetragen haben musste. Obito, der ihm bereits zu diesem Zeitpunkt bestenfalls etwas Deckung hätte geben können.
 

Uchiha Obito.
 

Obito, der das Adrenalin in seinem Körper hatte einfrieren lassen.
 

Uchiha Obito…
 

…hatte ihn innerhalb eines Augenblickes kampfunfähig gemacht.
 

Im Bruchteil einer Sekunde war alles wieder da. Seine Erinnerungen, sein Bewusstsein und all das, was er in diesem Moment gefühlt hatte - was damals tief in seinem Inneren geschwelt hatte und nur so aus ihm herausbrechen wollte.
 

Frust, Unverständnis, Panik, Wut… Schmerz.
 

Es war, als wäre wie aus dem Nichts ein Felsbrocken mit seiner ganzen Wucht auf ihn gestürzt. Er fühlte ein unsägliches Gewicht auf seiner Brust, das ihn unter sich zu zerquetschen drohte; seine Lungen zogen sich krampfhaft zusammen. Er konnte nicht atmen. Egal, wie sehr er es auch versuchte, jeder einzelne Muskel in seiner Brust verspannte sich so sehr, dass kein Sauerstoff mehr durch seinen Körper fließen konnte und jede Zelle seines Körpers begann qualvoll zu brennen. Wie ein Hammer schlug sein Herz hart und panisch gegen seine Brust, als würde es mit letzter Kraft aus dem enger werdenden Gefängnis ausbrechen wollen. Er brauchte Luft – irgendwie!
 

Doch nichts passierte.
 

Panik überkam ihn, seine Lider flogen getrieben von Angst und Schock auf. Seine Lunge, seine Brust – nein, alles in ihm brannte und spannte sich an. Er versuchte, sich instinktiv gegen den immensen Druck, der sich mehr und mehr auf ihn legte, aufzubäumen. Doch noch im selben Moment schoss stechender Schmerz durch seine Glieder und lähmte seine Sinne, es hatte alles nur schlimmer gemacht.

Kakashi spürte die Schnur, die sich immer enger um seinen Brustkorb zog, seine Muskeln und Lungen, die sich unter der Anspannung verhärteten und wie schwere Steine anfühlten; sie reagierten auf nichts. Irgendetwas blockierte seine Luftröhre, drückte sich gegen sie und drängte sich qualvoll gegen jede seiner noch so kleinen Bewegungen. Es verstärkte nur das höllische Brennen seiner Lungen und verriegelte seine Kehle so sehr, dass er das Gefühl hatte, an seinen eigenen Lauten zu ersticken.
 

Kakashi versuchte zu würgen und gegen diesen Widerstand anzukommen - vergebens. Zurück blieb nur noch die Panik vor dem Unvermeidlichen.
 

Wie durch Watte hörte er die helle Stimme, die plötzlich an seiner Seite auftauchte. Sie rief etwas. Seinen Namen? Hatte er seinen Namen gehört, rief sie nach ihm?

Seine Iriden zuckten gehetzt in die Richtung, aus der die Stimme kam, doch er konnte nur Schemen erkennen, alles war verschwommen.
 

Eine Person – eine Frau.
 

… Tsunade? War es Tsunade, die seinen Namen rief?
 

Er spürte kalte Finger auf seiner Brust und in seinem Nacken und eine verhallende Stimme, bevor sich größer werdende dunkle Flecken in seine Sicht drängten und nach und nach die unscharfen Umrisse in Schwärze getaucht wurden.
 

~~
 

„Nehmt ihn sofort von dieser verdammten Maschine“. Tsunades Stimme war nicht nur laut, sondern auch wütend. Und was sie selbst am meisten störte, war die Sorge, die in jedem einzelnen Wort mitschwang. Dabei hatte sie sich vorgenommen, dies wirklich nur einen Job sein zu lassen und ihre Distanz zu wahren.
 

„Unter keinen Umständen!“
 

„Bitte?!“, fauchte sie. Ihre Hände lagen noch immer auf dem zierlichen Körper vor ihr, strichen mit sanften Druck beruhigend im Takt des Pulses über das Herz und die Halsschlagader, ließen stetig Chakra in ihren Patienten hineinfließen.
 

Tsunade spürte, wie sich Kakashis Muskeln langsam entspannten und konnte an den aufleuchtenden Zahlen des kleinen Monitors erkennen, dass sein Körper wieder mehr und mehr mit Sauerstoff versorgt wurde. Es wirkte – zum Glück!
 

Immerhin das stand in ihrer Macht, wenn sie schon nicht direkt seine Wunden heilen konnte.
 

„Auf gar keinen Fall! Der Junge ist in keiner Verfassung, die das rechtfertigen würde!“
 

Der Junge wäre fast erstickt, weil er aufwachte und dieses verdammte Teil ihn am Atmen hinderte!“, ihre Stimme war eiskalt.
 

Sie würde keine Diskussionen zulassen und wenn es sein musste, dann würde sie auch selbst Hand anlegen. Aber eigentlich wäre es ihr wirklich lieber, wenn ein Arzt mit mehr Erfahrung in diesem Bereich das übernehmen würde, immerhin stützte sie sich vorrangig auf ihr Chakra und ihre Kenntnisse von medizinischen Gerätschaften basierten einzig und allein auf Theorie. Auf Shuichi wollte sie nicht warten müssen und auch bei ihm hatte sie keine Garantie, dass er bereits über die entsprechende Erfahrung verfügte.
 

Genervt seufzte sie, machte ihrem Verdruss Luft. Was für eine Nacht!
 

Es war purer Zufall gewesen, dass sie so spät noch vor Ort gewesen war. Sie hatte gemeinsam mit Shizune noch einmal alle Unterlagen gesichtet, beide waren sie die dokumentierten Verletzungen durchgegangen, hatten das jeweils Glimpflichste aber auch das Schlimmstmögliche durchdiskutiert und mit dem abgeglichen, was sie selbst bei Kakashi gesehen hatten. Je länger sie die Unterlagen gesichtet hatten, desto stärker hatte sich in ihr ein mulmiges Bauchgefühl breit gemacht und nur um sich selbst zu beruhigen, wollte sie noch einmal nach dem Hatake sehen und sicherstellen, dass er das Nachlassen der Schmerzmittel gut verkraftete.

Doch kaum war sie bei ihm angekommen, hatte sie auch schon eine der Krankenschwestern hektisch ins Zimmer eilen sehen.
 

Ihr lief es kalt den Rücken herunter, wenn sie an den Ausdruck in Kakashis Blick dachte. Blankes Entsetzen und panische Angst, der Horror eines real gewordenen Alptraums hatte sich tief in die dunklen Iriden gefressen.
 

Wieder seufzte sie. Was würde sie in diesem Moment für ein Glas Sake geben!
 

Die ganze Nacht hatte sie kein Auge zugetan – vor allem nach dem Zwischenfall mit Kakashi war es undenkbar gewesen, dass sie auch nur eine Minute ruhigen Schlaf finden könnte. Sie hatte dem Frieden kein Stück über den Weg getraut und seither die Stunden in unmittelbarer Nähe des Zimmers des Hatake verbracht, darauf gefasst jeden Augenblick einzugreifen.
 

Kaum hatte sich das Adrenalin in ihren Venen gelegt, war ihr die Erkenntnis über das Risiko, das sie so bereitwillig eingegangen war, wie ein Schlag ins Gesicht geflogen. Auch wenn sie in diesem Moment sofort hatten handeln müssen, war es vielleicht doch etwas töricht gewesen, Kakashi ganz sich selbst zu überlassen; erst hatte sie ihm die erlösenden Schmerzmittel genommen und nun auch die überlebenswichtige Zufuhr von Sauerstoff. Kakashi nahm nun zum ersten Mal das volle Ausmaß seiner Verletzungen wahr. Es war nicht mehr als eine kleine Hoffnung, dass der Junge mit dem physischen und psychischen Stress umgehen konnte, auf der ihre Handlungen inzwischen beruhten.
 

Gespannt war sie auf ihrem Platz verharrt und hatte gehofft, dass Kakashi die nötige Kraft hatte und seine Lungen diese Anstrengung allein bewältigen konnten. Sie mussten nur diese eine Nacht überstehen – so lange, bis sie damit anfangen konnte, Kakashis Wunden zu behandeln. Allen voran seine Lunge.
 

Ein Glas Sake würde nicht reichen.
 

Doch selbst Sake würde ihren Ärger dieses Mal nicht betäuben können; sie spürte, wie in ihr die Galle aufstieg. Soweit hatte sie es nicht kommen lassen wollen, soweit hatte sie Kakashi nicht kommen lassen wollen. Wann war das passiert, wann hatte Kakashi ihre Mauern durchdrungen und sich in ihrem Inneren einen Platz geschaffen, den sie ihm nie hatte einräumen wollen? Doch so sehr sie sich auch dagegen sträubte, konnte sie nicht leugnen, dass sie ihm um jeden Preis helfen wollte. Nicht, weil es ihre Verpflichtung war, nicht für ihren Sensei, nicht für Minato. Sondern weil sie Sympathie für ihn empfand. Sie hatte Mitleid mit ihm.

Ein junger Shinobi, der am Anfang seiner Laufbahn stand und noch so viel vor sich hatte. Ein Junge, der noch sein ganzes Leben zu leben hatte. Das Bild eines lachenden Jungen tauchte in ihren Gedanken auf und mit ihm ein Schmerz, von dem sie nicht wusste, wie lange sie ihn noch ertragen konnte.
 

Nawaki…
 

Der Schmerz, nein, dieser ganze Alptraum lag noch immer direkt unter ihrer Haut und versuchte unentwegt, sich an die Oberfläche zu drängen. Es war zu früh, ihre Wunden zu groß und ihre Qual zu lebendig, als dass sie sie hätte ignorieren können. Ihren kleinen Bruder hatte damals niemand mehr retten können.
 

Vielleicht, wenn es jemanden gegeben hätte, der seine Kräfte nur darauf mobilisiert hätte, ihm zu helfen. So, wie Obito es bei Kakashi getan hatte. Doch das war auf einem Kriegsschauplatz völlig unmöglich, am Ende hätte es nur das Leben von noch mehr Menschen gekostet.
 

Ihre Finger legten sich fast krampfhaft um den Anhänger ihrer Kette, suchten Halt, um nicht von all den Gefühlen, die sie durchfluteten, hinweggeschwemmt zu werden.
 

Sein großes Herz, das warme Lachen und die unbändige Freude am Leben…all das hatte der Krieg Nawaki genommen.
 

Und auch ihr.
 

Tsunade schüttelte fast unmerklich den Kopf. Sie sollte – nein, sie durfte sich nicht von ihren Gefühlen mitreißen lassen. Nicht, wenn sie das hier schnell und pragmatisch beenden wollte. Und vor allem, wenn sie das Ganze nicht noch näher an sich heran lassen wollte, sofern sie diese Grenze überhaupt noch ziehen konnte.
 

Lass den Mist. Kakashi ist nicht Nawaki. Nicht einmal im Ansatz!
 

Und dennoch war auch er ein junger Shinobi, der seine Pläne - seine Zukunft - noch verwirklichen konnte. Das durfte der Krieg ihm nicht nehmen.
 

Tsunade spürte, wie der Groll in ihr immer größer wurde und sich ihre Kehle hinauf drängte. Keine Bar hatte um diese Zeit bereits geöffnet und ob sie in diesem Dorf überhaupt eine aufsuchen wollte, stand auf einem ganz anderen Blatt.
 

Sarutobi… dieser Hund.
 

Wenn er sie doch nur nicht auf diesen Fall angesetzt hätte, wenn er doch nur irgendeinen anderen Iryo-Nin gesucht und hierher gesandt hätte… Ach was, wenn er von Anfang an den Grad der Mission richtig eingeschätzt und ein adäquates Team damit beauftragt hätte - eines, das den Anforderungen einer solchen gerecht werden würde! Dann müssten sie alle nun nicht seine Fehler ausbaden. Das waren nicht Minatos Fehler, die sie hier versuchten gerade zu biegen. Auch, wenn der Namikaze es blind vor Sorge und Reue im Büro des Kage behauptet hatte.
 

Und warum nochmal muss ausgerechnet ich das Ganze geradebiegen?
 

Ein verstimmtes Murren entwich ihrer Kehle, als sie auf ihrem Stuhl hinabrutschte und ihren Ellbogen auf dem Tisch neben ihr aufstellte, um ihren Kopf genervt auf der locker geformten Faust aufzustützen.
 

Sie hatte aus gutem Grund um ihres eigenen Friedens willen das Dorf gemieden und dann schickte ihr Sensei auch noch Jiraiya nach ihr. Als ob sie dem Perversling nichts ausschlagen könnte – was sollte das? Was hatte sich ihr Sensei dabei gedacht? Und wieso hatte sie sich eigentlich dazu breitschlagen lassen…
 

Aber vielleicht hatte ihr Sensei bereits erkannt, dass er eine nicht zu verachtende Mitschuld an dieser ganzen Misere trug. Und als ob das alles nicht schon genug gewesen wäre, waren diese beiden Shinobi zu allem Übel auch noch mit alten Verletzungen zu dieser Mission aufgebrochen.
 

Wem auch immer sie hatten etwas beweisen wollen, das war es ganz gewiss nicht wert gewesen…
 

„Können wir los, bist du soweit?“, fragte Shizune. Sie stand an der Tür und blickte zu ihrer Meisterin hinüber; ihre helle, zuversichtliche Stimme hallte in Tsunades Ohren wider.
 

„Keine Lust.“
 

„W-wie bitte?“ Shizunes Tonfall war augenblicklich gesunken und Tsunade konnte bereits an der Frage ihrer einstigen Schülerin hören, dass sie sie gleich zum Arbeiten verdonnern würde.
 

„Die Nacht war viel zu lang, ich habe kein Auge zugetan und außerdem hatte ich seit Ewigkeiten keinen Sake mehr.“
 

„Tsunade, würdest du bitte deinen Pflichten nachkommen?“, knurrte Shizune. Sie hatte sich darauf gefasst gemacht, dass Tsunade heute nicht erpicht darauf sein würde, Kakashi zu behandeln. Immerhin entsprach dieses Vorgehen auch nicht ihrer Art, sie wollte die Menschen heilen und sie dabei nicht noch größeren Qualen aussetzen. Aber dass ihre Meisterin wie ein quengelndes Kind vor ihr saß, spannte letztendlich auch Shizunes Geduldsfaden bis aufs Äußerte.
 

„Meine Güte, lass den Jungen doch noch ein bisschen schlafen, bevor wir anfangen.“
 

„Glaubst du wirklich, dass er schläft oder überhaupt schlafen kann?“
 

„Nein, eigentlich nicht. Aber besser wär’s.“
 

„Tsunade…“
 

„Schon gut, ich komme ja schon.“
 

~~
 

Sein Blick war starr an die Decke gerichtet, als seine Gedanken durch seinen Kopf rasten und ihn keine Ruhe ließen.
 

Es war seltsam. Alles, was er zuvor nicht hatte greifen können, was sich ihm so verwehrt hatte, lag nun ganz klar vor ihm. Erinnerungen an das was passiert war; Dinge, die er gehört und gesehen hatte. Die Worte, die der junge Arzt zu ihm gesagt hatte, Tsunades Ankunft und alles, was sie damit ausgelöst hatte; der undefinierbare Schmerz, den er nicht hatte zuordnen können.

Und dann noch dieses Etwas, das er gesehen hatte und das ihm so vertraut vorgekommen war. Dieses Etwas, das nichts anderes war als Obitos Sturmbrille.
 

„Alles klar. Du bist verliebt. Und weiter?“
 

„Ja. Das ist ja genau das Problem.“
 

„Na und? Jeder weiß, dass du in Rin verliebt bist.“
 

„Nein, nicht in Rin, du Idiot.“
 

„Sondern?“ Er wurde ruhiger, fordernder und auf seltsame Weise auch neugierig.
 

„In...“ Der Uchiha sah betrübt zu Boden, es wirkte, als hätte sich ein dunkler Schatten auf sein Gesicht gelegt. Bedauern, Schmerz und Traurigkeit.
 

„...dich.“
 

Wieder und wieder hallte dieses Gespräch seit dieser Nacht in seinem Kopf wider und er konnte es einfach nicht abstellen. Wie hatte es nur jemals zu diesem Punkt kommen können?! Und das inmitten eines feindlichen Angriffs!

Aber er kannte die Antwort bereits und jedes Mal, wenn sich Obitos Worte erneut in seine Gedanken zwangen, fragte er sich ein bisschen mehr, ob er wirklich alle seine Erinnerungen hatte zurückerlangen wollen.
 

Aber wenigstens passte jetzt alles zusammen, endlich fügten sich die Teile zusammen. Wäre die Situation eine andere, dann hätte er vielleicht gelacht. Obito soll also immer hier gewesen sein und ihn besucht haben? Er konnte sich lebhaft vorstellen, was den Uchiha dazu bewegt hatte.
 

„In... dich.“
 

Genug davon! Er hatte ganz andere Probleme als Obito Uchiha. Besser gesagt hatte er Probleme wegen Uchiha Obito.
 

Wie würde es jetzt weitergehen? Er war weiß Gott wie lange bereits hier in diesem Krankenhaus, von dem er nicht einmal wusste, wo es sich befand – jedenfalls nicht in Konohagakure.

Und er war in erbärmlicher Verfassung, sofern diese Beschreibung der Realität auch nur annähernd gerecht wurde.

Kurz zuckte der Gedanke, wie viele Wunden er wohl haben musste, durch seinen Kopf. Doch im fast gleichen Moment war in ihm alles wie leer gefegt von der Erinnerung an die Wucht und die Kälte der Messer, die eines nach dem anderen in seinen Körper drangen. Eine Erinnerung, die so lebendig war, dass das Gefühl der schneidenden und bohrenden Klingen noch immer wie im ersten Moment durch seinen Körper rauschte.
 

„In... dich.“
 

Verdammt…
 

Er fühlte sich wie gelähmt. Seine Glieder waren schwer wie Blei und der Schmerz, der nahezu unerträglich und so allgegenwärtig war, schloss selbst den Versuch einer Bewegung aus.

Waren es diese Zeichen des Körpers, die einem das Ende des Weges signalisierten, dass es vorbei war… dass es sinnlos war, von hier aus weiterzumachen…
 

Nein. Er würde nicht aufgeben, bis nicht auch der letzte Funke Hoffnung erloschen war – Tsunade. Mit ihrer Ankunft war auch seine Erinnerung zurückgekehrt, seine Gedanken klar und er wagte, seiner Wahrnehmung wieder Glauben zu schenken.
 

Doch er war kein Idiot.
 

Er wollte so sehr daran glauben, dass es nur Wunden waren, dass es bald alles vorbei sein würde, doch dass ausgerechnet Tsunade hier war, bestätigte nur das Ausmaß seiner Verletzungen. Von allen Iryo-Nins, die Konoha zur Verfügung hatte, war nun Tsunade hier.

Er musste kein Genie sein, um zu wissen, dass es nichts Gutes bedeutete, wenn eine der drei Sannin geschickt wurde, um sich eines Falles anzunehmen. Nein, dass Tsunade hier war, sagte bereits viel zu viel über seine Lage aus.

Ihre Anwesenheit und seine vage Vorahnung, ließen ihn letztendlich nur einen kleinen Funken Hoffnung. Die Sannin war als beste Heilerin Konohas auch weit über die Grenzen des Landes bekannt. Allerdings war sie keine Wunderheilerin, sie konnte keine Wunder schaffen, sie konnte das Unmögliche nicht möglich machen. Und ihn ließ die Befürchtung nicht los, dass er aber genau das brauchte.
 

„In... dich.“
 

Wieder spürte er die kalten Klingen seinen Körper durchbohren, den Stoß, der jedes Mal durch seinen Köper fuhr, als jede einzelne von ihnen ihr Ziel fand. Kakashi merkte, wie allein die Erinnerung seinen Puls beschleunigte und sich in seiner Brust eine schnürende Enge ausbreitete. Mit irgendetwas musste er sich ablenken, weg von diesen Worten, weg von den Messern. Doch sein Verstand brachte ihn immer wieder zurück zu diesem Moment. Er versuchte sich an den Feind zu erinnern, ihre Gesichter, das Stirnband, das sie trugen, die Ausrüstung… in welches Kriegsgebiet waren sie eingedrungen, was hatte sie zum Ziel gemacht? Wer hatte ihn angegriffen?
 

Uchiha Obito.
 

Verdammt…! Verdammt! Verdammt!
 

Es war zwecklos auch nur zu versuchen seine Gedanken umzulenken. Es würde ohnehin nicht klappen. Nicht, solange er hier lag und das Gefühl hatte, auf sein Ende zu warten.
 

„In... dich.“
 

Nein. Nein. Nein! Er musste sich von diesem Irrsinn ablenken. Es konnte, nein, es durfte nicht sein, dass wegen eines solch schlechten Scherzes sein Leben gänzlich auf den Kopf gestellt wurde. Er musste einfach daran glauben, dass Tsunade ihm helfen konnte. Dafür war sie doch hier – um ihn zu helfen. All das, wofür er so hart gearbeitet hatte, die Kraft und die Zeit, die er in sein Training gesteckt hatte, um so weit zu kommen… das durfte nicht einfach so - nicht wegen so etwas - umsonst gewesen sein.
 

Nicht wegen Uchiha Obito.
 

Fast erleichtert schloss er die Augen, als es an der Tür klopfte und ihn aus dem Teufelskreis seiner Gedanken riss.
 

Keinen Moment später hörte er das Öffnen der Tür. Seine Iriden folgten dem Geräusch, bis sie auf Tsunade liegen blieben.

Obwohl ihre Miene auf nichts schließen ließ, konnte er ihre schlechte Laune deutlich spüren.
 

„Morgen.“ Kakashi sah, wie sie ergeben die Luft aus ihren Lungen stieß und augenblicklich ihre aufrechte Haltung nachgab. So neutral ihr Gesichtsausdruck auch sein mochte, es war unschwer zu erkennen, dass sie nicht hier sein wollte.
 

Nun… er auch nicht.
 

Tsunade hatte deutlich gemacht, was ihm bevorstand. Und so sehr es ihm auch Angst einjagte, er musste einfach daran glauben, dass das Ergebnis es wert war; dass Tsunade ihm helfen konnte. Denn noch weniger Lust hatte er, sein Leben, wie es war, aufgeben zu müssen. Auch, wenn es kein sonderlich glückliches bislang gewesen war - ein anderes wollte er nicht.
 

„Guten Morgen, Kakashi!“ Hinter Tsunade trat eine weitere Frau in das Zimmer. Ihr Lächeln war warm, ihre Züge freundlich die Haare dunkel und kurz. Sie stand im totalen Kontrast zu der Sannin. War sie am Tag zuvor auch bereits bei ihr gewesen?
 

„Shizune ist meine Assistentin. Sie wird mir zur Hand gehen.“
 

Shizune… Der Name kam ihm bekannt vor. Wenn er sich recht erinnerte, dann hatte Rin ihn einmal erwähnt und dass sie sie beneidete; sie hätte auch gerne das Zeug dazu, von Tsunade unterrichtet zu werden.
 

Noch immer lächelte die junge Frau ihn an, in ihren Händen hielt sie ein kleines Tablett mit einem Glas gefüllt mit Eiswürfeln und einer kleinen Karaffe. „Ich habe dir etwas Wasser und Eis mitgebracht. Ich dachte, dass etwas Kaltes dir vielleicht gut tun wird.“
 

Er hatte den Eindruck, der jungen Frau irgendwie antworten zu müssen. Doch was sollte er schon sagen? ‚Danke‘ noch bevor es begonnen hatte? Kakashi ahnte, was Tsunade vorhatte, der gestrige Tag hatte ihm einen guten Vorgeschmack gegeben und mehr wollte er auch gar nicht wissen. Es sollte nur schnell vorbei sein, aber das war pures Wunschdenken, das wusste er.
 

Es gab nichts, was er in diesem Moment hätte sagen wollen. Und abgesehen davon, fühlte sich seine Kehle staubtrocken und rau an, sodass allein der Versuch, ein Wort über die Lippen zu bekommen, wahrscheinlich nicht mehr als ein brennendes Kratzen in seinem Hals verursachen würde. Sein Blick fiel auf das Wasser. Das alles hatte sie wohl bereits geahnt.
 

„Keine Sorge, sobald du in einer aufrechten Lage bist, kannst du so viel trinken, wie du willst. Danach werden wir uns ein paar der Verletzungen ansehen, die wir am kritischsten betrachten.“ Tsunades Stimme war eiskalt; eine Kälte, die Kakashi bekannt vorkam. Wie eine Mauer, die man um sich errichtete.
 

„Wir arbeiten uns Stück für Stück voran und sehen dann weiter. Das ist natürlich alles auch von dir abhängig.“
 

Keine Sorge, huh?! Innerlich lachte Kakashi auf. Er hatte verstanden, was Tsunade gesagt hatte und vor allem auch, was das implizierte. Allein das Atmen quälte ihn so sehr, dass es für ein ganzes Leben an Schmerz ausreichte und sie hatte nun wer-weiß-was mit ihm vor. Es war abhängig von ihm. Abhängig davon, wie viel er ertragen konnte.
 

Im Raum wurde es still. Tsunade wollte sich einreden, Kakashi noch diesen einen Moment Gnadenfrist zu gewähren. Insgeheim wusste sie jedoch, dass sie ihn nur sich selbst gab. Wenn sie ihm wenigstens garantieren könnte, dass all das nicht umsonst war und es ihm danach gut gehen würde. Aber sie wusste es nicht. Wenn sie damals direkt vor Ort gewesen wäre, wenn sie ihn sofort behandelt hätte, vielleicht hätte sie ihm dann dieses Versprechen geben können. Gerade eben jedoch war sie sich nicht sicher, ob sie nicht einfach nur Schadensbegrenzung betrieben.
 

Shizune fühlte sich nicht wohl, die Situation lief in eine völlig falsche Richtung. Sie konnte spüren, wie Tsunades Stimmung mit jedem Schritt, den sie Kakashis Zimmer nähergekommen waren, weiter gesunken war. Die Entwicklung, die das Ganze seit Betreten des Raumes angenommen hatte, bedarf keiner weiteren Worte. Doch sie war der festen Überzeugung, dass Kakashi dabei nicht mit reingezogen werden durfte.

Tsunades Laune und Kakashis Behandlung waren zwei verschiedene Dinge – sie waren hier, um dem Jungen zu helfen! Ganz gleich, welche Meinung ihre Meisterin dazu hatte; Shizune konnte es nicht gutheißen, Kakashis Hoffnung und seinen Willen, zu genesen, aufs Spiel zu setzen, noch bevor sie überhaupt angefangen hatten!
 

„Aber du wirst sehen, Kakashi, noch bevor der Tag rum ist, wirst du dich schon besser fühlen. Und mit jedem Mal wird es noch ein bisschen besser – nicht wahr, Tsunade?“
 

Angesprochene zögerte kurz, sie hatte Shizunes verstecke Nachricht an sie verstanden. Tsunade seufzte im Stillen.
 

„Ja.“

Das Leid in den Zügen eines Menschen.
 

Die Qualen, unter denen sich ein Verwundeter wand.
 

Die Angst in den Gesichtern der Umstehenden.
 

Die Resignation in den Augen der Betroffenen.
 

Das Ende.
 

Das alles waren Dinge, die mit den Aufgaben eines Iryo-Nin einhergingen. Dinge, vor denen sie vorher keiner gewarnt hatte. Dinge, die erst auf dem Schlachtfeld die hässliche Seite ihres Weges offenbarten. Anfangs wurde ihnen nur gesagt, dass sie nicht alle retten konnten, dass Menschen – Verbündete, Freunde und nicht zuletzt Geliebte – sterben würden, ohne dass sie etwas dagegen tun konnten.

Und dennoch, jemanden zu verlieren war hart; ein grausames Spiel, das der Krieg mit ihnen spielte.

Doch zu sehen, wie sich Verbündete unter Höllenqualen unter ihren Händen wanden und Mitstreiter mit angehaltenen Atem angsterfüllt das Blut ihrer Begleiter anstierten… was das mit einem machte, hatte ihnen keiner gesagt.
 

Doch all das hatte Tsunade mit der Zeit in Kauf genommen. Es waren die erfolgreichen Momente, die sie antrieben. Die Erleichterung, wenn sie den Schmerz linderte, die Last, die von den Schultern aller fiel, sobald Linderung eintrat und die Hoffnung, dass alles gut werden würde. Dass dies nicht das Ende war.
 

Es war der Moment, wenn sie mit ihren Fähigkeiten das Blatt wendete. Wenn sich Angst in Hoffnung umkehrte und sie als eine Einheit auf dem Schlachtfeld standen, bereit, alles zu geben und gemeinsam heimzukehren.
 

Wenn Resignation in Lebenswillen umschlug.
 

Das war es, das sie als Iryo-Nins immer weitermachen ließ; der Glaube daran, die Verluste schmälern zu können.
 

Aber das Vertrauen darauf, das Richtige zu tun und das fragile Selbstbewusstsein, aufgebaut auf den Kriegsverletzungen anderer, waren wie ein Kartenhaus, das jeden Moment in sich zusammenfallen konnte.
 

Wenn sich die Hoffnung, die trotz aller Qualen so unerbittlich festgehalten wurde in Resignation wandelte und sich das Bewusstsein, dass dies das Ende des Weges war, in den freudlosen Iriden ihres Patienten widerspiegelte.
 

„Wie wird es jetzt weitergehen?“
 

Sie hatte Kakashi einmal mehr durch die Hölle geschickt, als sie sich seinen Verletzungen gewidmet hatte. Viel zu viele davon bei seinen Wirbeln, in der Nähe von Nervenzentren und so tief, dass selbst seine Lunge Schaden genommen hatte. Aber er hatte es tapfer über sich ergehen lassen. Tsunade zweifelte jedoch nicht daran, dass ihm mehr als einmal durch den Kopf gegangen sein musste, einfach aufzugeben.
 

Doch sie hatte ein Versprechen gegeben.
 

„Aber du wirst sehen, Kakashi, noch bevor der Tag rum ist, wirst du dich schon besser fühlen. Und mit jedem Mal wird es noch ein bisschen besser – nicht wahr, Tsunade?“

„Ja.“
 

Und Kakashi hatte daran festgehalten. An der Hoffnung, dass es ihm besser gehen würde. Dass es gut werden würde.
 

„Wie wird es jetzt weitergehen?“
 

Es war sein gutes Recht, diese Frage zu stellen. Und sie hatte die eigentliche Frage in seinen Augen ablesen können.
 

Bekomme ich mein altes Leben zurück?
 

Doch nach allem, was sie in Erfahrung gebracht hatte, hatte sie diese Frage und vor allem ihre Antwort verdrängen wollen. Bis ins hinterste Eck ihres Bewusstsein hatte sie diesen Punkt geschoben und hatte sich auch während der Behandlung nicht damit befassen wollen. Was sie gesehen hatte, hatte sie alles überdenken lassen.
 

Und obwohl Kakashi jedes Recht hatte, diese Antwort von ihr zu verlangen und sie die Frage hatte kommen sehen, hatte sie keine Antwort parat gehabt.
 

Sie hatte gezögert.
 

Noch im gleichen Moment hatte sie Kakashis Hoffnung brechen sehen.
 

Sein Lebenswille wandelte sich vor ihren Augen in Resignation, ohne dass sie es hätte aufhalten können.
 

Sie hatte gezögert.
 

Und wie ein Dominostein, der alles zu Fall brachte, war sie stumm und wie gelähmt verblieben und hatte nur zugesehen. Vor ihren Augen brach ein so komplexes System in sich Stück für Stück zusammen, dass keines ihrer Worte diesen Zerfall noch hätte stoppen können.
 

Es war nur ein kleiner entscheidender Augenblick gewesen, der auch Shizune nicht unbemerkt blieb. Sie hatte noch versucht, die Situation zu retten. Vergebens.
 

Tsunade stöhnte genervt.
 

Es war ihr Job, den Verletzten ihr Leid zu nehmen und ihre Resignation in Hoffnung und den Willen, weiterzumachen zu wandeln.
 

Nun hatte sie Hoffnung zerstört und mit Leid den so qualvoll festgehaltenen Lebenswillen in Resignation umgewandelt.
 

Allerdings…rein faktisch hatte sie ihr Versprechen gehalten. Es ging ihm bereits besser, viel besser. Zumindest körperlich.
 

Trotzdem hatte sie das Gefühl, ihr Wort gebrochen zu haben.
 

„Shizune, wenn ich nicht bald ein Glas Sake bekomme, dann-“
 

„Tsunade, bitte! Nicht so laut! Wenn das Krankenhauspersonal dich hier so reden hört!“
 

„Na und? Was soll dann sein?“ Sie massierte sich mit den Fingern genervt den Nasenrücken. Da hatte sie ihr Sensei wieder in etwas hineinmanövriert!
 

Dieser elende alte Mann…
 

„Shizune!“, sie spürte das regelmäßige Pochen, das sich unterschwellig in ihrem Kopf breit machte.
 

„Gewiss nicht. Ich werde keinen Sake in dieses Krankenhaus schmuggeln.“ Und selbst war sie leider bekannt, wie ein bunter Hund. Verdammter Mist.
 

„Wo bin ich da nur wieder reingeraten…“
 

„Du solltest die Sache klären.“
 

„Mit den Barbesitzern?“
 

„Mit Kakashi!“ Shizunes tadelnder Tonfall verstärkte das Pochen unter ihren Schläfen. Sie musste ihre Begleiterin nicht ansehen, sie konnte den Blick erahnen, mit dem sie sie strafte.
 

„Ich habe ihm seine Frage bereits beantwortet. Du warst doch dabei, als ich ihm erklärt habe, wie es weitergeht.“
 

„Ja, das schon…“, stammelte Shizune zögerlich. Tsunade wusste, worauf sie anspielte. Die unausgesprochene Frage, die noch immer unbeantwortet im Raum stand. „aber ich denke, dass Kakashi von dir noch etwas anderes hören wollte.“
 

Bekomme ich mein altes Leben zurück?
 

„Seine Frage war, wie es weitergeht. Die habe ich ihm beantwortet.“ Und Kakashi hatte nur noch geschwiegen, seine Iriden ausdruckslos nach vorne gerichtet und jegliches Interesse an dem, was sie noch gesagt hatte, war erloschen. Es war egal gewesen. „Eine andere Frage gab es da nicht.“
 

Noch immer mied sie Shizunes Blick, hörte nur, wie ihre Begleiterin geräuschvoll ihre Unterlagen ordnete und die Mappe zuschlug.
 

„Dann ist ja gut. Dann brauchst du auch keinen Sake.“, sagte Shizune streng.
 

„Eeeh?!“ Doch noch bevor die Sannin reagieren konnte, ergriff Shizune erneut das Wort. „Und nun möchte ich dich bitten, wieder zurück an die Arbeit zu gehen.“
 

Manchmal zweifelte die Ältere, wer wessen Schülerin war, wenn sie sich Shizunes Umgangsform ansah, sobald sie unter sich waren. Aber dazu gehörten vermutlich zwei und wahrscheinlich schadete es ihr nicht, jemand so pflicht- und verantwortungsbewusstes wie Shizune an ihrer Seite zu haben.
 

Genervt stieß die die Luft aus und sank gegen die Lehne ihres Stuhls. Immerhin hatte die Jüngere nicht länger in dem Thema herumgebohrt.
 

Mit müden Augen beobachtete Tsunade die Schwester, die leise die Tür hinter sich schloss, als sie das Krankenzimmer verließ; behutsam balancierte sie ein kleines graues Essenstablett in ihrer Hand, darauf eine kleine Schale und ein Glas.
 

„Nanu? Er hat gar nichts angerührt. Schläft er etwa?“, fragte Shizune mit hörbarer Verwunderung.
 

„N-nein, er ist wach und wirkte auch nicht müde. Aber er hat auf das Essen keinerlei Reaktion gezeigt.“ Die Krankenschwester wirkte unsicher in ihrer Antwort. Doch das überraschte Tsunade nicht; für das Personal dieser Einrichtung war eine so rasche Besserung eines Patienten ungewohnt. Ohne den Gebrauch heilenden Chakras war die Genesung dem ganz natürlichen Lauf der Dinge überlassen.
 

„Was meinst du Tsunade, ob er zu starke Schmerzen hat?“
 

Anstelle einer Antwort richtete Angesprochene auffordernd ihren Blick auf die junge Schwester und gab die Frage im Stillen an sie weiter. In Gedanken versunken blickte die Frau auf das Tablett in ihren Händen. Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete; wägte ab, was sie gesehen hatte.
 

„Nein, auf mich hat es nicht den Anschein gemacht, als hätte er Schmerzen. Im Gegenteil, er wirkte seltsam ruhig. Ich hatte das Gefühl, dass er mich ganz bewusst nicht beachtete. Weder sah er mich an noch reagierte er auf mein Nachfragen, ob er nicht etwas essen wolle.“
 

Es muss in ihm wüten, vielleicht brodelt er sogar vor Wut und Frust. Von ‚ruhig‘ kann kaum die Rede sein.
 

Tsunade legte den Kopf in den Nacken, um ihn an der Rückseite ihres Stuhls abzustützen, ihr Blick war ziellos geradeaus gerichtet.
 

Nur ein einziges Glas Sake…
 

~~
 

„Obito, ich werde morgen gegen vier Uhr Nachmittag noch zum Dorfvorstand gehen und ein paar letzte Dinge regeln. Danach können wir uns am Rand des Dorfes westlich vom Krankenhaus treffen und aufbrechen.“
 

„Soll ich dann etwa eine Stunde später dort auf Sie warten, Sensei?“
 

„Hmmm“ Minato legte nachdenklich die Finger ans Kinn und sah zum Himmel hinauf; dann seufzte er. „Nein, ruhig etwas später. Der Dorfvorstehende ist ein sehr gesprächiger Herr und nach all der Gastfreundschaft, möchte ich ihm nicht das Wort abschneiden.“
 

Obito hatte am Gesicht seines Senseis erkannt, dass mehr dahinter stecken musste, als pure Gastfreundschaft – politisch bedacht wäre wohl eine treffendere Beschreibung gewesen.
 

Gesprächig huh?
 

Er zuckte ergeben mit den Schultern. Das war nichts, in das er seine Nase stecken sollte; vermutlich wollte ihr Sensei ihn einfach nur nicht beunruhigen. Der Uchiha hatte also die Chance genutzt, sich bei Rens Familie zu bedanken und zu verabschieden, um am Nachmittag noch einmal mit Misami das kleine Lokal zu besuchen, in das sie ihn zuvor eingeladen hatte.
 

Heute würden sie abreisen; es kam ihm seltsam und unwirklich vor. So viel Zeit hatte er hier verbracht, so viele Tage waren es gewesen, die nichts weiter als ein intensiv gelebter Alptraum gewesen waren – alles im völligen Kontrast zu seinem Leben in Konoha. Wie es wohl sein würde, zurück nach Konoha zu kehren und Rin und die anderen alle wiederzusehen? Alle – außer Kakashi.
 

Ob sie bereits wussten, was passiert war? Hatte Rin es ihnen erzählt? Was wohl die Nohara die ganze Zeit ohne ihr Team gemacht hatte? Er konnte nicht leugnen, dass er sich auf Zuhause, seine Familie und Freunde aus der Akademie und seine gewohnten vier Wände freute. Und gleichzeitig war da dieser bittere Beigeschmack der Schuld, die er trug und das schlechte Gewissen, das ihn quälte.
 

Zielsicher ging er die Straße entlang auf dem Weg zum Krankenhaus. Obito spürte das nervöse Kribbeln in seinem Magen mit jedem weiteren Schritt stärker werden. Er würde Kakashi noch ein letztes Mal hier besuchen und sich verabschieden - das musste er. Aber genau das bereitete ihm Unbehagen – was, wenn Kakashi wach war? Er wusste, dass es keine Rolle spielte, ob er bereit war, sich Kakashi zu stellen; es war einfach das Unvermeidbare, das ihn früher oder später einholen würde. Dennoch linderte dieses Wissen seine Angst vor diesem Moment kein Stück.
 

Das letzte Mal, als er wirklich mit Kakashi gesprochen hatte… der Uchiha schluckte. Bilder ihres Kampfes, der Ruinen im Wald und seines letzten Gespräches huschten durch seine Gedanken. Erinnerungen, die er am liebsten nie gemacht hätte. Er hatte das Kakashi niemals antun wollen – nie!

Wenn er doch nur stärker gewesen wäre, wenn ihm dieser Kampf nicht so unglaublich schwer gefallen wäre! Und dann noch sein völliges Versagen im Krankenhaus, als Kakashi endlich die Augen geöffnet hatte; was war er ihm nur für ein erbärmlicher Kamerad. Er hatte auf ganzer Linie bewiesen, dass er bis zum heutigen Tag Kakashi nicht ein einziges Mal zur Seite hatte stehen können – nicht einmal dann, wenn er es wirklich gewollt hatte.
 

Vor dem Eingang des Gebäudes blieb er stehen. Es war sein nicht enden wollender innerer Kampf: sollte er Kakashi der Freund sein, der er eigentlich sein wollte oder ihn besser in Ruhe lassen, angestellt hatte er immerhin mehr als genug.
 

Obito seufzte; für all diese Zweifel hatte er eigentlich gar keine Zeit. Was auch immer er tun würde, er musste es bald tun. Sensei Minato hatte dem Ganzen einen zeitlichen Rahmen gesetzt, an den er sich halten musste.
 

Er betrat die Eingangshalle des Krankenhauses, sein Blick schweifte an der Stuhlreihe an der Wand entlang; hier hatten sie sich alle wiedergefunden. Ihr Sensei, Rin und auch Ren waren hier hergekommen. Rin hatte sich so gefreut, ihn zu sehen, doch in dem Moment, als sie nach Kakashi gefragt hatte, war ihm das Herz in die Hose gerutscht.
 

Seine Iriden durchwanderten die restliche Halle; die grauen Fließen, auf denen er vor seinem inneren Auge noch immer das Blut sah, das von Shuichis Händen auf das Anthrazit tropfte; Blut des Jungen in seinen Armen. Obito erschauderte bei dieser Erinnerung, er spürte den kalten Schweiß an seinem Rücken hinablaufen, die Härchen auf seiner Haut stellten sich auf.
 

Und letztendlich war da noch die Rezeption, an der Misami ihn immer herzlich begrüßt hatte. Er würde sie vermissen.
 

Seine Beine bewegten sich unentwegt weiter durch die Flure, für seinen Geschmack kannte er sich hier viel zu gut aus. Die Gänge waren ihm viel zu vertraut, an den Geruch des Desinfektionsmittels gewöhnte er sich viel zu schnell und den weisenden Schildern schenkte er keinerlei Aufmerksamkeit mehr.
 

Er wurde langsamer, als er auf der Station ankam, die er angestrebt hatte. Vorsichtig näherte er sich dem Schwesternzimmer, um seinen Besuch ankündigen. Doch vor allem wollte er wissen, wie es Kakashi ging und ob er wach war.
 

„Hallo Obito! Schön dich zu sehen“, die junge Frau lächelte ihn sanft an.
 

Zögerlich erwiderte er ihren Gruß und beobachtete sie, während sie ein befülltes Tablett auf einen der kleinen Transportwagen abstellte. Es sah aus wie eine der typischen Mahlzeiten, die den Patienten gereicht wurden; nur diese war unberührt. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er ihren Namen eigentlich gar nicht kannte, obwohl sie häufig hier war und sich jedes Mal freute, wenn ihre Patienten Besuch bekamen. Ob sie vielleicht ein Namensschild trug? Er würde darauf achten, wenn sie sich ihm zuwandte.
 

Doch noch während Obito sich darauf konzentrierte, entgingen ihm die beiden Augenpaare, die ihn neugierig fixierten und ebenso die Person, die sich ihm näherte.
 

„Dann bist du Obito? Obito Uchiha? Freut mich dich kennen zu lernen!“ Erschrocken riss er den Kopf in Richtung der Stimme herum, die plötzlich hinter ihm aufgetaucht war.

Vor ihm stand eine Frau mit kurzen dunklen Haaren, sie sah jung aus. Ihre Haltung war aufrecht, die Schultern gestrafft, ihre Hände hinter dem Rücken gefaltet und ihre Züge waren durch und durch freundlich. Kannte er sie? Sie schien jedenfalls ihn zu kennen…

Hinter ihr sah er eine weitere Frau auf einen der Stühle des Stationsstützpunktes sitzen.
 

Seine Augen zuckten zurück zu der Person vor sich, als sie weitersprach. „Bestimmt hast du schon gehört, dass wir hier sind. Ich bin Shizune und das ist meine Lehrmeisterin-“
 

„Tsunade-sama.“, beendete Obito den Satz für sie. Ja, das war eindeutig Tsunade. Auch wenn er sie nur vom Sehen kannte, bestand daran gar kein Zweifel.
 

Shizune stockte kurz, verwarf ihre Verwirrung dann jedoch lächelnd mit einem Kopfschütteln. „Natürlich, mir hätte klar sein müssen, dass du sie kennst. Alte Gewohnheit, außerhalb Konohas erkennt nicht jeder Tsunade sofort.“, erklärte sie sich ihm freundlich.
 

Doch Obito hörte nur auf halbem Ohr zu. Zu wissen, dass die Sannin für Kakashi in dieses Dorf gekommen war, war eine Sache. Sie direkt vor sich zu haben, eine völlig andere.

Tsunade war wirklich hier. Eine Sannin und die wohl anerkannteste Heilerin unter den Shinobi.
 

Fast gelangweilt saß sie in dem Raum, ihr Blick lag auf ihm, als würde sie versuchen, ihn einzuordnen und die Situation abzuwägen.
 

Kakashis Hoffnung – vielleicht die einzige. Und somit auch Obitos.
 

Kein Wort verließ Obitos Lippen, viel zu gebannt starrte er auf die blonde Frau vor sich, ein warmes Kribbeln erfüllte seinen Brustkorb. Erst jetzt wurde diese Erkenntnis, dass wirklich alles getan wurde, um zu Kakashi zu helfen, zu etwas Realem; Tsunades Anwesenheit war nicht mehr nur eine Information, die sein Sensei ihm gegeben hatte.
 

Aber so sehr die Hoffnung auch in ihm keimte, einen wirklich wohlwollenden Eindruck machte die Sannin auf ihn nicht. Obito wusste zwar, dass Tsunades Ruf über den einer Heilerin hinausging und es viele Dinge gab, die in Bezug auf die Schülerin des dritten Hokage unter vorgehaltener Hand gesagt wurden, doch das erklärte nicht das seltsame Gefühl, das sich unter ihrem wachsamen Iriden in ihm breit machte.
 

Er beobachtete, wie die Sannin ihre Position änderte, sich ihm zuwandte, den Ellenbogen auf der Tischplatte aufgestellt, den Kopf auf der locker geformten Faust gestützt. In ihrem bislang kalkulierenden Blick blitzte auf einmal etwas auf, das Obito nicht einzuordnen wusste und ihre Lippen verzogen sich zu einem fast spöttischen Grinsen.
 

Was…?
 

Von dem gelangweilten Eindruck, den sie bis gerade eben noch gemacht hatte, war nichts mehr übrig. Und so schnell das warme Kribbeln in Obitos Brustkorb gekommen war, so schnell war es auch wieder im Keim erstickt. Irgendetwas an Tsunade verunsicherte ihn.
 

Und er sollte recht behalten.
 

„Soso, du hast also deinen Freund ins Krankenhaus gebracht.“
 

Die Worte trafen Obito direkt in die Magengrube. Er wusste nicht, wie Tsunade an diese Information hätte kommen können, aber er war sich sicher, dass Tsunade sich der Zweideutigkeit ihrer Frage bewusst war. Ja, sie hatte ihre Worte ganz eindeutig so gewählt.
 

Aber warum sollte sie so etwas tun? Woher konnte Tsunade überhaupt davon wissen? Er hatte es hier im Dorf niemanden erzählt, Ren war damals bei Rin und ihrem Sensei, gegenüber Shuichi und Misami hatte er kein Wort diesbezüglich über die Lippen gebracht. Hatte er im Schlaf gesprochen?! Dass er im Schlaf vor sich hin murmelte, war nicht auszuschließen, aber gleich einen ganzen Bericht über ihre Mission inklusive der persönlichen Note? Nein, unmöglich. Völlig ausgeschlossen.
 

Und wenn Tsunade es doch anders gemeint hatte? Sein Gefühl sagte ihm allerdings, dass dem nicht so war.
 

Obito schluckte, seine Kehle war wie ausgetrocknet und seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Er wagte es nicht, seinen Blick von Tsunade abzuwenden. Das war völlig absurd.
 

Die einzige Person, die außer ihm wusste, was damals passiert war, war Kakashi. Ob er…? Hatte Tsunade es geschafft, Kakashi zu heilen, sodass er ihr… dass er… dass…
 

„Ist Kakashi…?“
 

Tsunades ihre Augenbraue wanderte langsam auf ihrer Stirn nach oben. Der Junge vor ihr war bei ihren Worten innerhalb von Sekundenbruchteilen kreidebleich geworden und hatte sie wie versteinert angestarrt. Sie hatte erwartet, dass er es abstreiten würde, dass sie ihm vielleicht sogar einen Hinweis entlocken könnte, was dort im Wald wirklich passiert war. Ein ‚Nein, so ist das nicht gewesen‘ oder Ähnliches war es, worauf sie spekuliert hatte. Doch anstelle sich zu erklären, fragte er einfach nur nach seinem Kameraden.
 

Genau wie die alte Dame es gesagt hatte. Er suchte die Schuld bei sich und es schien ihn im Stillen fast umzubringen.
 

Doch das kam Tsunade recht. Es bestätigte ihr nur, dass irgendetwas auf der Mission außer Kontrolle geraten sein musste. Etwas, das mit ihren Gegnern möglicherweise in keinem Zusammenhang stand.
 

Vielleicht war es Zeit, den beiden etwas auf die Sprünge zu helfen. Vor ihr ein leichenblasser Uchiha, der von Schuldgefühlen aufgefressen wurde und nur eine Tür entfernt der Hatake, der sich seiner Resignation in vollen Zügen hingab.
 

Kakashi hatte die Schwester nicht ignoriert, weil er etwa keinen Hunger oder Schmerzen hatte. Er gab auf. Und obwohl die Sannin mehr von dem Hatake erwartet hatte, so konnte sie es ihm nicht verübeln. Der Junge hatte sein ganzes Leben seinem Dasein als Shinobi gewidmet, sein Alltag – alles – war darauf ausgerichtet. Wie viele Regeln hatte er verinnerlicht und sich strikt an sie gehalten; der letzte Grashalm, an den er sich noch geklammert hatte, nachdem die Person, zu der er aufblickte und die er von ganzen Herzen geliebt hatte, seine Familie, entschieden hatte, ihn zurückzulassen. Kakashi hatte alles getan, um Sakumos Fußstapfen zu füllen und ihm gleichzeitig auf seinem Weg nicht zu folgen; irgendwie das Loch in seinem Inneren zu füllen.
 

Sie konnte verstehen, dass der Junge sich nach dem Tod seines Vaters emotional abgeschottet hatte, dass er niemanden an sich heranließ. Sie wusste selbst zu gut, wie es war, eine geliebte Person zu verlieren. Und was für Kakashi jetzt auf dem Spiel stand war alles, was noch übrig geblieben war. Alles, was ihm seither Halt gegeben hatte.
 

Innerlich schalt sie sich selbst – sie hätte nicht zögern sollen. Aber dass der Junge gleich aufgab, ohne es vorher probiert zu haben… und jetzt stand das perfekte Gegenstück dazu direkt vor ihr. Obito Uchiha.
 

Hn. Vielleicht kann der Junge ja ein bisschen die Lebensgeister des Hatake wecken.
 

Wie auch immer das aussehen würde. Und da die beiden offensichtlich das Hühnchen ihres Schweigens gemeinsam zu rupfen hatten, half sie ihnen dabei gerne auf die Sprünge.
 

„Minato und du, ihr brecht heute auf, nicht wahr?“, überging sie seine Frage.
 

Stocksteif stand Obito vor ihr als würde er jedes weitere Wort von ihr fürchten, eine Antwort auf ihre erste Frage hatte sie noch immer nicht bekommen. Aber damit hatte sie auch nicht gerechnet.
 

„…Ja. Das ist richtig“, entgegnete er ihr atemlos. Obito versuchte noch immer der Situation zu folgen. Tsunade konnte sehen, wie angestrengt es hinter den dunklen Iriden des jungen Shinobi arbeitete und er doch zu keinem Ergebnis zu kommen schien.
 

„Hmmm, du wolltest dich also verabschieden.“
 

Gespielt zog sie die Brauen zusammen, der Klang ihrer Stimme war nun lockerer.
 

„J-ja.“, sagte Obito zögerlich. Nicht nur, weil er Tsunade nicht einschätzen konnte. Sondern weil er sich nach wie vor nicht sicher war, was er nun machen sollte. Ob er Kakashi gegenüber treten konnte.
 

„So ein Pech.“
 

War es nicht.
 

„Er schläft. Tief und fest.“
 

Tat er nicht.
 

Kalkulierend lag Tsunades Blick auf dem jungen Uchiha. Sie konnte die leichte Entspannung in seinen Zügen sehen. Es stimmte also; er hatte Angst vor einer Konfrontation mit Kakashi.
 

Es war zu ihrem Vorteil, dass Obitos gesamte Aufmerksamkeit auf ihr lag und er weder Shizune noch der Krankenschwester Beachtung schenkte. Es war ihr nicht entgangen, wie Shizunes Kopf reflexartig in ihre Richtung flog, ihre Lippen bereit ihr ins Wort zu fallen. Und auch die Krankenschwester formte lautlos ihren Einspruch.
 

Doch ihr Wort war schneller.
 

„Du kannst natürlich trotzdem kurz zu ihm und dich verabschieden.“
 

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Nach dem, was sie bis jetzt mitbekommen hatte, war sie sich sicher, dass die beiden einiges zu besprechen hatten. Und sei es nur, um ihre Geschichte miteinander abzustimmen.
 

Was auch immer dort im Wald passiert ist…
 

~~
 

Es war wie damals, als Guy seinen Kick mit voller Wucht auf seinen Solarplexus geschmettert hatte. Spüre die ewige Jugend hatte er dabei gerufen, aber weder konnte Obito in diesem Moment irgendeinen Hauch von ewigem Leben, geschweige denn von Jugend spüren. Im Gegenteil, in diesem Moment hatte sich sein Dasein sehr endlich, wenn nicht gar an der Klippe zu vorbei angefühlt. Und das, obwohl der der Schmerz erst mehrere Augenblicke später in seinem gesamten Körper bis in die Fingerspitzen explodiert war.
 

Das hier war vergleichbar.
 

Es war ein Angriff, auf den er weder vorbereitet gewesen war noch hätte er ihn irgendwie abwehren können. Er traf ihn mit voller Wucht mitten ins Gesicht, auf die Brust und hallte bis tief in die Eingeweide nach. Doch der Nachklang war nicht nur der schwelende Schmerz in seinem Körper, sondern auch ein nervöses eisiges Kribbeln.
 

Aber hatte Tsunade nicht gesagt, dass…
 

„D-du…bist…“ Obitos Stimme versagte, wie gebannt blickte er in das Augenpaar, das auf ihm lag.
 

Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, sein Magen überschlug sich und er konnte nicht sagen, ob es an der Angst vor dem, was ihm bevorstand, oder an der Aufregung und Freude lag, die ihn wellenartig durchfluteten.
 

„…wach.“ Es war nur noch ein Hauch, der über seine Lippen strich.
 

Kakashi lebt. Kakashi lebt. Kakashi lebt.
 

Obitos Gedanken konnten an nichts anderes denken, als dass die Person, die ihm am wichtigsten war, wirklich lebte. Den Hatake jetzt so zu sehen und zu erleben, war etwas völlig anderes, als ihn blass in diesem Bett liegen zu sehen.
 

Den Rücken tief in den weißen Stoff des Kissens gelehnt und seine Miene ausdruckslos und abwartend wie all die Male, die er auf dem Trainingsplatz den Beginn ihrer Mission ersehnt hatte; es wirkte fast entspannt, wie Kakashi vor ihm saß.
 

Fast.
 

Wäre da nicht diese eiserne Kälte in seinen Augen, die wie eine Klinge durch die Luft schnitt und ihn zu zerfetzen drohte. Von den getrübten Iriden, die einst so ziellos in seine Richtung gerichtet waren, war keine Spur mehr.
 

Obito schluckte trocken. Irgendwie erleichterte ihn der Anblick, der sich ihm bot, doch zugleich spürte er den Druck auf seiner Brust zunehmen.

Obwohl er vor Freude außer sich sein sollte, konnte er dieses seltsame, mulmige Gefühl nicht abschütteln. Dabei war das doch genau das, was er sich so sehnlichst erhofft hatte. Aber letzten Endes – und das würde er keine Sekunde wagen zu vergessen – trug er die Schuld.
 

Seinen Instinkten und den eiskalten Schweiß, der sich langsam seine Wirbelsäule hinab bahnte, zum Trotz, verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln – unsicher, aber keinesfalls gezwungen.
 

„W-wie geht es dir?“, fragte er leise. Sein Blick war fest auf Kakashi gerichtet, doch so sehr er sich anstrengte, er konnte kaum eine Reaktion in dessen Zügen erkennen. Die Konturen, die sonst Anmut und Stolz ausstrahlten und sorgfältig hinter dunklem Stoff versteckt waren, verweilten regungslos; es blieb nur die Kälte in Kakashis Augen.
 

Wieso sagte er denn nichts? Konnte er nicht? Hatte er sich etwa zu früh gefreut und der Schein trog?

Ein weiterer Schweißtropfen rann seinen Rücken hinab.
 

„Ka… Kakash-“ Doch weiter kam er nicht, scharf durchschnitt die Stimme des Hatake sein Wort.
 

„Bist du jetzt fertig?“ Die tonlose Kühle traf Obito wie ein Schlag in die Magengrube. Ein weiterer. Seine Lippen öffneten sich, doch es kam kein Laut heraus. Er verstand nicht, was Kakashi meinte.
 

„Was?“, krächzte er.
 

„Bist du zufrieden? Hast du genug begafft, was du angerichtet hast?“
 

Der Moment in dem der Schmerz, der erst mehrere Augenblicke nachdem Guy ihn voll erwischt hatte, wie Sprengstoff in ihm detonierte und ihn keuchend zu Boden gerissen hatte – das war er.
 

„Was? N-nein… das stimmt nicht… so war das ni... nein…“ Atemlos versuchte er seine Gedanken zu sammeln, spürte, wie die Panik in ihm langsam empor kroch und seine Glieder mit jeder Sekunde steifer wurden.
 

Nein! So war das nicht, das stimmt nicht!
 

Was sagte Kakashi da? Nein, nicht was – warum sagte er das?
 

„Ach nein?! Bist du nicht zufrieden, dass ich dir nie wieder im Weg stehen werde?!“ Gestochen scharf und ohne dem Uchiha eine Pause zu gönnen, durchtrennten die Worte des Hatake gewaltsam den Raum zwischen ihnen; die Feindseligkeit und Gehässigkeit in seiner Stimme waren Obito fremd. Nie zuvor hatte er Kakashi so erlebt, dabei wahrte der Hatake nach wie vor seine abweisende und kühle Fassade.
 

Nie wieder im Weg stehen…? Nein! Das stimmt nicht! Ich wollte das nicht – nie!
 

„Gratuliere. Du hast deinen ewigen Rivalen kampfunfähig gemacht.“
 

Nein! Nein! Nein! Nein! Der Schock über Kakashis Worte legte sich wie ein eisiger Schleier über seine Knochen. Das stimmte alles nicht. Nichts davon hatte er gewollt!
 

„A-aber … wir wurden angegriffen.“
 

„Richtig. Einen Angriff, den wir hätten bewältigen oder vielleicht sogar vermeiden können, wenn du der Mission und nicht deinen privaten Angelegenheiten Vorrang gegeben hättest!“
 

Einmal mehr traf ihn die Realität wie ein Fausthieb ins Gesicht; auch wenn Kakashi auf den ersten Blick gelassen gewirkt hatte, bei vollen Bewusstsein war, mit ihm sprach und bereits so viel besser aussah… nichts würde jemals zu seinem gewohnten Status zurückkehren. Es gab kein ‚wie früher‘ mehr und das würde es auch niemals wieder geben.
 

Der Schaden war da. Und er trug Schuld.
 

Kakashi hatte recht. Nur weil er seine eigenen Probleme bei dem Hatake abgeladen hatte, hatte er die Mission gefährdet und letztendlich zum Scheitern gebracht.

Er hatte Kakashi abgelenkt, er war nicht in der Lage gewesen sein Erbgut rechtzeitig zu aktivieren, er hatte nicht das nötige Chakra, egal wie sehr er sich auch anstrengte. Er hatte die Situation völlig unterschätzt und sich anfangs – und Obito schämte sich, sich dies einzugestehen - über ein bisschen Action sogar insgeheim ein klein wenig gefreut. Wenn er doch nur nicht so töricht gewesen wäre! Nur weil… weil er…Obito schluckte.
 

Kakashis Worte entsprachen der Wahrheit. Es hätte nicht so laufen müssen – dürfen! Und gleichzeitig machte der Hatake ihm klar, dass er keines seiner Worte vergessen hatte. Dass er sich genau daran erinnerte, wie es zu dieser Katastrophe gekommen war.
 

Kakashi wandte den Blick ab. Der Uchiha hatte seine Nerven bereits bis zum Zerbersten gespannt und zerrte unaufhaltsam an seiner Selbstbeherrschung.

Wenn Obito nur bei der Sache gewesen wäre, hätten sie all das vielleicht noch abwenden können und ihrem Feind nicht so hoffnungslos erliegen müssen. Wenn er sich an die Regeln gehalten hätte, wenn er seine privaten Probleme nicht mit auf das Schlachtfeld gebracht hätte, nur um sie dort vorzutragen, nur um... !
 

Innerlich in Rage merkte er, wie seine Atmung stetig schneller wurde. Er spürte das unsägliche Brennen in seinem Rücken, das sich durch ihn hindurch bis hin zu seiner Brust fraß; die Verletzungen, die an seinem gesamten Körper zehrten. Er musste versuchen, sich zu beruhigen – zumindest körperlich. Er schluckte einen Teil seiner Wut runter, aber es war, als würde jeder Funke seines Zorn beim Aufprall gegen seine kühle Außenfassade in tausend kleine weitere Funken gestreut werden.
 

Bemüht, sich auf eine flache Atmung zu konzentrieren, schenkte er Obito keinerlei Aufmerksamkeit. Der Uchiha sollte einfach gehen und ihn in Ruhe lassen.
 

Doch als er den erstickten Laut vernahm, den Obito so kläglich versuchte zurückzuhalten, spürte er, wie sich anderes ein unangenehmes Gefühl in ihm ausbreitete. Eines, das er nicht beschreiben konnte.

War es ein Schluchzen, das der Uchiha zu unterdrücken versuchte? Nein, viel mehr klang es, als würde er nach Luft ringen. Und so leise und schwer erkennbar dieses Geräusch auch war, er konnte das Beben des Uchiha deutlich hören.
 

Verdammt…
 

Ruhig schloss er seine Augen und konzentrierte sich weiter auf seine Atmung. Was interessierte ihn Obito? Er hatte im Moment ganze andere Probleme.
 

Kameraden sind wir ja jetzt ohnehin nicht mehr, zynisch legte sich dieser Gedanke gemeinsam mit dem bitteren Geschmack von Galle auf Kakashis Zunge, doch er verkniff sich den Kommentar. Es ging den Uchiha nichts an.
 

„Es…es… Kakashi… es tut mir leid“ Nur schwer und mit brüchiger Stimme hatte Obito sich überwinden können, diese Worte über seine Lippen zu bringen. Er meinte es, allerdings wusste er auch, dass das nicht ausreichte. Doch was hätte er noch sagen sollen? Er wusste selbst, dass nichts, was er jetzt hervorbrachte, irgendetwas an der Situation ändern würde. Dafür war es zu spät und es gab nichts, mit was der das irgendwie ausgleichen konnte.

Eiskalte Schauer wallten stoßartig durch seinen Körper, alles um ihn herum fing sich langsam an zu drehen. Es war fast so, als würde sein Körper ihn mit Gewalt an Ort und Stelle halten wollen. Er schaffte es nicht, sich zu bewegen.
 

Auch Kakashi kämpfte mit sich selbst, er konnte seine Wut kaum zurückhalten und spürte, wie sie sich langsam ihren Weg aus ihm heraus fraß. Es tat ihm leid?! Als ob diese lächerlichen Worte irgendetwas ändern würde! Eine weitere Aussage des Uchihas auf die er ohne Weiteres hätte verzichten können.
 

Voller Zorn huschte sein Blick zurück zu seinem ungebetenen Gast und wieder mischte sich für den Bruchteil einer Sekunde ein anderes Gefühl zu dem emotionalen Gemisch, das in seinem Inneren brodelte. Kreidebleich stand der junge Shinobi vor ihm und zittere sichtbar; der Welt schutzlos ausgeliefert. Hilflos starrten Obitos gerötete Augen zu ihm, als würden sie ihn um Halt anflehen.
 

Mitleid. Es war Mitleid, das sich ihm aufdrängen wollte.
 

Es versetzte Kakashi einen Stich, Obito so zu sehen, auch wenn er sich nicht ganz erklären konnte, warum das so war.
 

Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte er ihn auf seine Art und Weise vielleicht unterstützt, aber es war alles ganz anders gekommen. Die Situation war keine andere und er nicht gewillt, dem Uchiha entgegenzukommen.

Er konnte und wollte jetzt keine Rücksicht auf Obito nehmen; das hatte er lange genug getan. Nur weil er Rücksicht auf den Uchiha genommen hatte, befand er sich nun in dieser Lage. Weil der Uchiha sein Privatleben nicht von der Mission trennen konnte und er selbst ihm dann auch noch entgegen seiner Prinzipen eine helfende Hand gereicht hatte.

Nur damit Obito… damit er… Was war das für ein krankes Schauspiel, dass sich damals im Wald abgehandelt hatte? Was zur Hölle hatte Obito Uchiha damals geritten und was um alles in der Welt hatte er damit erreichen wollen?!
 

Er wurde förmlich überrannt von Zorn, Verzweiflung und dem Frust, der sich in ihm angestaut hatte. Und je länger er Obito anblickte, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass er es war, der der Welt komplett hilflos gegenüberstand. Und sobald er seine Ninja Laufbahn offiziell aufgeben musste, konnten es alle sehen.
 

Er versuchte nicht einmal mehr, sich zurückzuhalten als die Worte wie von allein aus ihm heraussprudelten.
 

„Geht es dir jetzt besser? Hast du jetzt endlich dein Gewissen befriedigt? Hättest du dich nämlich einmal an Regeln gehalten, wäre das anders gelaufen. Wir hätten eine Chance gehabt. Sieh dir genau an, was du angerichtet hast. Ich hoffe du hast, was du wolltest.“
 

Kakashis Worte hafteten im Raum und Obito wagte es nicht, sich zu rühren. Der Hatake hatte ihn mit jeder einzelnen Silbe härter und brutaler getroffen. Obito wollte nur noch weg, fliehen – ganz egal wohin. Doch er war wie versteinert. Entsetzt von der Wirkung, die Kakashis Anschuldigungen auf ihn hatten, spürte er, wie sich sein Brustkorb schmerzhaft zusammenzog. Nichts von dem Gesagten war ihm neu, es hatte ihn jeden Tag ein Stück mehr zermürbt, lange bevor Kakashi es ihm vorwerfen konnte. Aber es hörte sich nochmal verdammt anders – erbarmungsloser, endgültiger - an, wenn der Hatake es sagte. Vernichtender.
 

Die darauffolgende Stille war lediglich ein Verstärker der Wut, die der Hatake auf dem Uchiha abgeladen hatte. Gefangen in seiner Schockstarre stand Obito vor ihm, mitten im Raum an den Pranger gestellt und gerichtet. Es kostete den lädierten Shinobi fast all seine Energie, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen und sich zu beruhigen. Er erkannte sich selbst nicht wieder – aber wie sollte das unter den gegebenen Umständen auch möglich sein? Nichts davon war er, oder passte zu ihm.

Erschöpft ließ er sich in das Kissen sinken und schwieg. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen und die Überhand über die Emotionen, die ihn wie eine Puppe lenkten und mit ihm spielten, zurückzugewinnen. Aber der Uchiha war der Letzte, der ihm dabei half.
 

„Verschwinde!", knurrte er sein gegenüber an.
 

Obito bewegte sich kein Stück. Er hatte Kakashis Aufforderung verstanden und obwohl seine Muskeln zum Zerreißen gespannt waren und nur auf ein Startsignal warteten, sein Körper blieb starr und unbewegt. Er wollte weg, einfach nur noch weg. Raus aus diesem Zimmer, weg von dieser Situation und vor allem weg von Kakashi.
 

Weg, weg, weg.
 

Doch seine Glieder rührten sich einfach nicht.
 

Übertönt von dem unaufhörlichen Trommeln seines Herzschlags in seinen Ohren, rasten seine Gedanken so schnell durch seinen Kopf, dass er keinen einzigen von ihnen greifen konnte. Was sollte er machen? Die ganze Situation war real und irreal zugleich.

Seine Muskeln brannten höllisch unter der Spannung, der Schmerz seiner abgeheilten Verletzungen zog sich stechend durch seine Glieder; Schweiß lief langsam sein Rückgrat herab. Es war, als wäre er in seinem eigenen Körper gefangen.
 

Wie eine Erlösung war das leise Geräusch und der sanfte Luftzug, der ihn umspielte, als die Tür sich öffnete und somit die peinigende Stille zwischen ihnen durchbrach.
 

„Nanu? Du bist noch hier, Obito? Dabei habe ich mich extra beeilt, um nochmal bei Kakashi vorbeizuschauen, weil ich mir sicher war, dass du schon am Treffpunkt auf mich wartest!“.
 

Sensei?!
 

Nervös zuckten Obitos Iriden zu ihrem Lehrmeister, der mit seiner offenen und munteren Natur gegen die gespannte Atmosphäre zwischen ihnen kämpfte. So, wie er es schon immer getan hatte. Nicht immer klar, was Absicht und was Zufall war – ersteres trotz allem in der Überhand.
 

„Ich dachte, dass ihr beide euch schon verabschiedet hättet, wenn ich hier ankomme“, flunkerte Minato in seiner gewohnten Art. Denn eigentlich hatte er etwas ganz anderes gedacht. Etwas, das zu Obitos verhaltenem Handeln in letzter Zeit passen würde. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn Obito bis zuallerletzt Kakashi gemieden hätte – aus welchen Gründen auch immer es so weit kommen konnte. Doch in keinem Moment hatte er damit gerechnet, dass seine beiden Schüler sich so anfeinden würden.
 

Er hatte Kakashis letzte Worte gehört, auch wenn sie von außerhalb des Raums nur gedämpft zu verstehen waren. Beunruhigt war er allerdings schon vorher, als Shizune ihm einen besorgten Blick zugeworfen hatte und Tsunade im Gegensatz zu ihrer Schülerin noch immer völlig unberührt in ihrem Stuhl lehnte.
 

Gerade als er zu den Jungen in den Raum treten wollte, hatte er die wütende Stimme des Hatake vernommen. Und eigentlich hatte er warten und die beiden das unter sich klären lassen wollen, doch als beide verstummten und selbst nach einigen Augenblicken noch immer nicht das geringste Geräusch zu hören war, hatte er sich Sorgen gemacht – und war eingeschritten.
 

Die Atmosphäre, die um die beiden Shinobi herrschte, bestätigte nur sein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht. Und wie so oft in letzter Zeit, huschte der Gedanke durch seinen Kopf, dass ihm etwas Entscheidendes entgangen war. Es behagte im ganz und gar nicht, dass dieses Gefühl wieder einmal in Zusammenhang mit Kakashi und Obito in ihm aufkeimte.
 

Minatos Gesichtsausdruck gab nichts von seinen Bedenken preis, als er mit einem zuversichtlichen Lächeln tiefer in den Raum trat und auf den Uchiha zuging. Doch noch bevor seine Hand Obito erreichen konnte, um ihn aus seiner Starre zu holen, zuckte der junge Shinobi vor ihm zurück.

Reflexartig schnellte Obito unter der Berührung hervor und an ihm vorbei, als würde er einem Angriff ausweichen.
 

Von Obitos instinktiven Reaktion erschrocken, schaffte es Minato nicht rechtzeitig seinen Schüler aufzuhalten, der panisch an ihm vorbei und aus dem Zimmer rannte.

„Obito?! Hey, Obito!“ Doch zu spät, der junge Uchiha war bereits in den Gängen des Krankenhauses verschwunden. Minato war der verletzte und anklagende Blick nicht entgangen, den der Junge Kakashi noch zugeworfen hatte, bevor er losgerannt war. Bevor er geflohen war.
 

Besorgt sah Minato noch einige Augenblicke in den nun leeren Korridor, ehe er sich Kakashi zudrehte. Offensichtlich war dem Hatake der Ausdruck auf Obitos Miene nicht entgangen. Und auch, wenn er nicht einschätzen konnte, was zwischen den beiden vorgefallen war - es war Obitos gutes Recht, die Vorwürfe des Hatake nicht einfach so zu schlucken. Denn ganz gleich, was auch passiert war, es handelte sich immer noch um seine Schüler, Kakashi und Obito; er kannte die beiden gut genug. Obito Uchiha würde niemals einem Kameraden absichtlich Schaden zufügen.
 

Niemals. Und zur Hölle, das weißt du Kakashi!
 

Angespannt atmete Minato geräuschlos aus. Es war unwahrscheinlich, dass die beiden das ohne Zutun unter sich regeln würden. Doch gerade eben gab es nichts, das er als ihr Sensei tun könnte. Obito hatte die Flucht ergriffen und zu Kakashi würde er im Moment wahrscheinlich auch nicht durchdringen können.
 

„Ich habe bereits von Tsunade gehört, dass es dir besser geht. Sie konnte deine Lungen vollständig heilen – das sind doch großartige Neuigkeiten, Kakashi!“ Ein warmes Lächeln umspielte seine Züge. Nach allem, was geschehen war, hatte Minato diese Nachricht zutiefst erleichtert. Er wusste, dass Kakashi das nicht reichte, aber der Hatake würde sich gedulden und abwarten müssen, was passierte. Ein Schritt nach dem anderen.
 

„Hm…ja.“ Kakashi war nicht überzeugt. Wenn sein restlicher Körper nicht mithalten konnte, brachte ihm die beste Lunge nichts.
 

„Hab etwas mehr Geduld, Kakashi. Du solltest Tsunade eine Chance geben.“
 

„Wenn Sie das sagen, Sen-“ Kakashis Antwort war teilnahmslos, doch er geriet ins Stocken, bevor er seinen Satz beenden konnte. Sensei. Wenn Tsunade ihn nicht heilen konnte, dann war Minato Namikaze nicht mehr sein Sensei. Und er kein Ninja.
 

Dem Älteren entging das Zögern des Hatake nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, was gerade in dem Jungen vorgehen musste und es versetzte ihm einen Schlag in die Magengrube, ausgerechnet Kakashi so zu sehen.
 

„Es ist zu früh, um schon aufzugeben. Findest du nicht?“ Er ging ein paar Schritte auf seinen Schüler zu, ehe er weitersprach. „Obito und ich werden heute noch nach Konoha aufbrechen. Tsunade wird sich hier um alles Weitere kümmern.“
 

Sanft legte Minato seine Hand auf Kakashis Schulter, dann: „Wenn etwas sein sollte, bin ich da.“ Er lächelte ihn warm an. Dieses Mal wäre er das wirklich; dass er seine Schüler im Stich ließ, würde ihm kein zweites Mal passieren.
 

Kakashi quittierte dies jedoch skeptisch und hob misstrauisch eine Augenbraue. „Haben Sie mich gerade mit Ihrem Jutsu an meiner Schulter markiert?!“
 

Namikaze lachte. „Lass es nicht drauf ankommen und bau keinen Mist, sonst bin ich sofort da. Also dann, Kakashi!“
 

Der Hatake beobachtete, wie sein Sensei noch die Hand zum Abschied hob als er zur Tür hinaus verschwand.
 

Für einen Augenblick hatte Minato Namikaze es geschafft, seine Wut und Verzweiflung zu zerstreuen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Liebe Leser,

lyncht mich nicht, ich kann mir vorstellen, auf welche Szene ihr wartet und verspreche, dass sie im nächsten Kapitel vorkommen wird!

Ich freue mich natürlich immer über eure Meinung!

Ganz liebe Grüße,
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Kommentare zu dieser Fanfic (40)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Animefanboy
2022-07-13T16:02:24+00:00 13.07.2022 18:02
Ohhh Gott, die Rettung. Endlich!
Von:  Animefanboy
2022-07-11T19:06:00+00:00 11.07.2022 21:06
Onlyknow3 hat genau das gesagt. Es gibt 2 Möglichkeiten...entweder er oder sie hat gespickt oder wir haben den Detektive des Jahres gefunden.
Von:  Animefanboy
2022-07-11T13:29:14+00:00 11.07.2022 15:29
Maaaan Kakashi! Dieser Vollidiot, werend eines Streites kann er kämpfen aber Gefühle sind dann doch eine Nummer zu groß oder was? ;-;
Von:  Animefanboy
2022-07-11T12:56:38+00:00 11.07.2022 14:56
Minato ,, Das ist nicht witzig!"
Me ,, Hahaha haha doch! haha"
Von:  Animefanboy
2022-07-11T12:15:35+00:00 11.07.2022 14:15
Uhhhi, Kakashi macht sich Sorgen~~~
Antwort von:  Animefanboy
11.07.2022 14:16
Sonnst hatte er Obito in Grund und Boden gestampft.
Von:  Animefanboy
2022-07-11T11:57:16+00:00 11.07.2022 13:57
Ansonsten ist die Story aber wirklich gut und schön zu lesen. Lob an dich <3
Antwort von:  Komori-666
17.07.2022 22:24
Vielen lieben Dank für das Lob! Es freut mich mega, dass dir die Geschichte gut gefällt und du sie weiterverfolgst!! x3 Hab mich auch riesig über deine Kommentare gefreut! :D DANKE! <3
Von:  Animefanboy
2022-07-11T11:56:13+00:00 11.07.2022 13:56
Kleiner Tipp: So öange die nicht 5 sind ist Kakashi kein Genin. Der war nähmlich mit 6 schon Chunin.
Von:  Tobirama_
2022-07-10T07:10:06+00:00 10.07.2022 09:10
Finde diese Geschichte prima und freue mich wenn es weiter geht
Antwort von:  Komori-666
10.07.2022 12:27
Aaaw, vielen lieben Dank für dein Review! Es freut mich riesig, dass dir die Geschichte gefällt und du sie weiterverfolgen wirst! :)
Von:  _Scatach_
2021-02-18T23:08:55+00:00 19.02.2021 00:08
Sooo, jetzt habe ich es doch auch endlich mal geschafft, Caught Cold bis hierher fertig zu lesen! :)

Mir gefällt das Thema deiner FF sehr gut, es ist mal was anderes und fügt sich gut in das Gesamtbild des Naruto Universums ein.
Was mir auch besonders gefällt ist, dass man (vor allem auch durch die teilweise recht großen Pausen zwischen den Kapiteln) wirklich merkt, wie sich dein Schreibstil zusammen mit dem Voranschreiten der Geschichte entwickelt. Gerade in den letzten Kapiteln merkt man, dass die Schreibqualität enorm zugenommen hat! Es war von Anfang an eine schöne FF, aber mit jedem Kapitel wurde der Schreibstil flüssiger, die Grammatikfehler weniger und der Inhalt verständlicher. Ich finde es immer toll, einen solchen Prozess in einer Geschichte miterleben zu dürfen! :)

Deine Charakterentwicklung ist gut getroffen, man merkt, dass du dir Mühe gibst, die Protagonisten so charaktertreu wie möglich darzustellen, wovon ich weiß, dass es nicht immer einfach ist! ;)
Hin und wieder habe ich das Gefühl, dass du dich etwas in Beschreibungen verlierst oder in Szenen festfährst, sodass es an seltenen Stellen etwas langatmig wirkt. Was aber überhaupt nicht schlimm ist, da du das durch eine schöne detailreiche Tiefe allemal wieder wett machst!

Ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt, wohin sich die Handlung und vor allem das Verhältnis zwischen Kakashi und Obito noch entwickeln wird! :)

LG
Scatach
Von:  Fuyukko
2020-11-09T01:02:40+00:00 09.11.2020 02:02
Soo jetzt bin ich hier durch. Ich bin sehr froh das nächste Kapi in meinen E-Mails zu haben ^^


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