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Force of Nature

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hui, doch noch pünktlich! Komplett anzeigen

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Jungfräulich

Jean fragte sich schon, ob Knox‘ lautes und schiefes Gesinge ein Ausdruck von Vertrauen war oder ob sein Kapitän manchmal einfach vergaß, dass er nicht alleine in diesem Apartment lebte. Jean glaubte Letzteres zwar nicht und war aber umso zurückhaltender damit, Ersteres anzunehmen. Zumindest er hatte das Vertrauen gehabt, sich in aller Offenheit seinem Kapitän zu öffnen und die Dinge anzusprechen, die ihn störten. Er hatte ihm sogar einzelne Situationen geschildert, kurz bevor Knox ihm zu verstehen gegeben hatte, dass er dabei in seine Muttersprache gerutscht war.
 

Was hatte Jean innerlich geflucht und die Hälfte dessen, was ihm vorher herausgerutscht war, wieder verschluckt.
 

Doch das, was übrig geblieben war, hatte anscheinend gereicht, damit dieser seinen Worten Gehör schenkte und seinem Wunsch entsprach. Worüber Jean immer wieder staunte. Drei Tage war es nun her und Knox gab sich wirklich Mühe, seinen Wünschen zu folgen.
 

Dann, wenn er nicht hinsah oder Knox unbeobachtet fühlte, war das allerdings nicht der Fall, was Jean auch nur herausgefunden hatte, als er durch Zufall durch das Schlüsselloch ihres Bades geschaut hatte, nachdem es im Schlafzimmer verdächtig still geworden war. Und siehe da, Knox hatte abwechselnd auf sein Handy und dann auf die geschlossene Badezimmertür geschaut, das Gesicht sorgenvoll gerunzelt.
 

Wäre Jean sich nicht wie ein Spanner vorgekommen, hätte er etwas dazu gesagt, doch so beobachtete er das Verhalten seines Kapitäns mit klopfendem Herzen und stellte fest, dass dieser mit jedem Mal, das er im Bad war, weniger nervös wurde. Und weniger zur geschlossenen Tür sah.
 

Dafür sah Jean öfter durch das Schlüsselloch und war fasziniert von dieser beschränkten Welt, die nur einen Ausschnitt der Realität erlaubte und den Fokus auf etwas setzte, das einer Momentaufnahme glich, einem absoluten Fokus. Auf Knox, auf Eva oder einfach auch auf einen schlichten, alltäglichen Gegenstand in ihrem Raum. Vielleicht sollte er Fotos von eben dieser Welt machen, befand Jean.
 

Vor ein paar Sekunden hatte er einen Blick in ihr leeres Schlafzimmer geworfen und festgestellt, dass Knox sich bereits in der Küche befand, wo er Kaffee zubereitete. Er nutzte anscheinend Jeans bisherige Anwesenheit im Bad um sich anzuziehen um zu singen, zu tanzen und den Raum zu einer Disco umzufunktionieren.
 

Jean warf einen kurzen Blick in den Spiegel und sah an seinem Ebenbild herab. Die letzten drei Tage hatte er damit verbracht, sich langsam an die neuen Sachen zu gewöhnen, die er gekauft hatte. Immer ein Teil, lange Sachen, die er zu seiner Jeans trug, wenn er nicht gerade eine der Trainingshosen der Trojans und ein rotes Shirt mit seiner Nummer darauf trug. Heute jedoch war Samstag und sie hatten die erste Runde Fitnessstudio schon hinter sich. Die nächste Trainingseinheit stand für den Nachmittag an und in der Zwischenzeit hatte Knox ihm angeboten, dass er ihm Fahren beibrachte. Und da war dann noch die Party, von der Valentine gesprochen hatte, bei der Jean sich aber nicht sicher war, ob er sie überhaupt ansprechen sollte.
 

Es würde sicherlich warm werden, so hatte Jean sich die locker sitzende Leinenhose ausgesucht, deren gedecktes Blau ihm so gut gefiel. Sie wurde vorne mit einer Kordel befestigt und saß so locker, dass Jean hin und wieder fühlen musste, ob er überhaupt Kleidung trug. Dazu hatte er eines der weißen Leinenhemden angezogen, die die Narben an seinen Handgelenken überdeckten.
 

In dem Geschäft hatte er das Hemd hochgekrempelt, wie er es bei Ajeet öfter gesehen hatte und da er heute alleine war, machte er es auch. Die leichten Sneaker aus Leinen trug er auch schon und sie passten sehr gut zu der wadenlangen Hose.
 

Jean strich nachdenklich über die hellen Stoffe, die ihn ganz anders wirken ließen. Seine Augen waren auch heller und er bildeten mit der Beanie, die er auf dem Kopf trug und aus der seine überlangen Strähnen fielen, ein harmonisches Farbschema. Die Schnitte waren verheilt und er hatte keine Hämatome im Gesicht.
 

Fasziniert blinzelte Jean, als er sich vor Augen hielt, was das eigentlich für ihn bedeutete.
 

Die Hämatome, die er auf seinem Körper finden konnte, kamen durch ihr Training. Er wurde nicht exzessiv gecheckt oder mit Schlägern verprügelt, er spielte einfach, wie alle anderen auch. Er hatte die gleichen Blessuren, wie alle anderen auch.
 

Huh.
 

Jean löste sich von seinem Anblick und drehte sich um, drehte sich so, dass er Knox in der Küche beobachten konnte. Die Geräuschkulisse hatte noch um ein Vielfaches zugenommen und als er einen Blick in den Raum warf, sah er, wie Knox seine Hüfte in komischen Bewegungen an der Küchenanrichte hin und herwiegte und dabei anscheinend einen der Pfannenwender dazu missbrauchte, ein Mikrofon darzustellen.
 

Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte und ob das etwas war, das normale Menschen so machten. Er hatte Laila sich ein paar Mal so ähnlich bewegen sehen und auch einige andere Mitglieder der Trojans. Aber nie in dieser speziellen Art und Jean kam nicht umhin, sich zu fragen, ob das tanzen war.
 

Jean lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete das Ganze aus sicherer Entfernung, da sein Instinkt ihm riet, nicht in die Nähe dieses Schauspiels zu kommen. Er wusste auch nicht, was er sagen sollte, also wartete er geduldig ab, bis Knox sich seiner gewahr wurde.
 

Dass dieser sich erschreckte, hatte Jean bedacht, dass dieser allerdings erstarrte, als er Jean sah, weniger. Groß und rund wurden die hellen blauen Augen, als Knox ihn anstarrte und seine Augen ihn von oben bis unten musterten, bevor sie abrupt und irgendwie auch ertappt zu seinem Gesicht zurückkehrten. Ohne Nutzen hielt sein Kapitän den Pfannenwender weiterhin aufrecht, während auf dem Herd das Rührei vor sich hinbriet, das er wie so oft für Jean zubereitete und es sich nicht nehmen ließ, das immer wieder zu tun.
 

Jean blinzelte und wartete darauf, dass irgendetwas die Lippen des blonden Jungen verließ, das erklären würde, warum er derart angestarrt wurde.

„Wow“, wurde sein Wunsch schließlich auch belohnt, wenngleich auch wenig aufschlussreich.

Fragend legte Jean den Kopf schief.

„Wow?“, echote er und Knox deutete mit dem Pfannenwender auf ihn. Reflexartig sah Jean an sich hinunter.

„Das sieht toll aus“, erläuterte sein Kapitän mit einem Lächeln und Jean löste seine Hände um sie unsicher in seine Hosentaschen zu stecken. Er wusste nichts mit den Worten anzufangen, war er doch nicht an Komplimente gewöhnt, schon gar nicht an diejenigen, die sich auf sein Aussehen bezogen. Er trug Kleidung, wie jeder andere auch. Das war doch keine Leistung, wieso gab es dafür ein Lob?
 

„Das Rührei brennt an“, konzentrierte sich Jean deswegen auf die greifbaren Dinge der momentanen Situation. Er deutete auf den Herd und Knox fuhr mit einem Laut des Entsetzens herum.

Fluchend versuchte er mit dem Pfannenwender das Meiste zu retten und betrachtete das Ergebnis, das er auf einen Teller geladen hatte, mit kritisch gerunzelter Stirn.
 

„Ich mache dir Neues“, entschied er dann und Jean schüttelte den Kopf.

„Das ist doch essbar“, deutete er auf das vollkommen normal aussehende Ei.

„Ich habe es anbrennen lassen.“

Jean schüttelte den Kopf. „Es ist okay. Ich esse das.“

„Ich kann dir wirklich Neues machen.“

„Ich esse das hier, kein Problem.“

Hilflos gestikulierte Knox. „Das dauert keine zwei Minuten, wirklich nicht.“

Jean starrte schweigend auf seinen Kapitän hinunter und kam langsam zwei Schritte auf ihn zu. Ohne seine Augen von Knox abzuwenden, griff er zu dem Teller des Anstoßes und zog ihn mit einem schabenden Laut über die Arbeitsfläche zu sich.
 

„Es ist okay“, sagte er noch einmal und trat einen Schritt zurück, als er den Striker zucken sah. Instinktiv wechselte Jean seine Position und drehte sich so, wie er einen Check abfedern würde. Der Gedanke daran, dass sie um das Frühstück kämpfen würden, war absurd und anscheinend hatte auch Knox gerade den gleichen Eindruck.

Zumindest brach er in sonniges Gelächter aus, als er Jeans Körpersprache gewahr wurde.
 

„Ganz ruhig, Jean Moreau, Backliner der USC-Trojans, unser nächstes Spiel ist erst nächstes Wochenende“, grinste er und Jean schnaubte, während er sich mit samt seines Tellers an den Bartisch begab. „Und Training ist erst heute Abend.“

„Man kann nie genug trainieren“, erwiderte Jean und kam, immer noch mit aufmerksamen Blick auf seinen Teller, zur Kaffeemaschine. Er holte zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit der schwarzen, bitteren Flüssigkeit, misshandelte Knox‘ Kaffee zusätzlich noch mit Milch und Zucker.

„Sagt derjenige, der gleich mein Auto fahren möchte.“
 

Herausfordernd hob Knox seine Augenbrauen und Jean schnaubte, während er die Tasse seines Kapitäns an seinen Platz stellte. Schließlich hatte er nun mehr als genug Zeit gehabt, diesen dabei zu beobachten, wie er seinen Kaffee trank und so konnte er sich wenigstens für das Rührei revangieren, das er nun motiviert mit einer großen, gehäuften Gabel aß... und es beinahe augenblicklich bereute.
 

Es schmeckte verbrannt und fürchterlich, ungefähr so, als würde er Asche essen. Aber er würde den Teufel tun, das jetzt zuzugeben.
 

~~**~~
 

Die Tatsache, dass Jean schon öfter in einem Auto gesessen hatte und mitgefahren war, hatte ihn absolut nicht darauf vorbereitet, wie es sein würde, wenn er mal hinter dem Steuer saß und von ihm erwartet wurde, dass er dieses Gefängnis aus Stahl und Rost zum Fahren brachte. Zumal ihn ein Augenpaar dabei beobachtete, dass er auch ja nichts falsch machte, auch wenn der Besitzer sich noch so Mühe gab, das vor ihm zu verbergen.
 

Bemüht ruhig bettete Jean seine Hände auf den Schoß und sah nach rechts und begegnete dem unsicheren Lächeln seines Kapitäns, der ein einziges Nervenbündel war, schon seit sie die Plätze getauscht hatten.
 

Jean runzelte die Stirn. „Wir müssen das nicht tun.“
 

Knox winkte ab, doch auch die Geste hatte nichts Ruhiges an sich und schon gar nichts Nonchalantes. „Doch doch, du sollst ja nicht vollkommen unbeleckt in deine erste Fahrstunde gehen.“

„Unbeleckt?“, fragte Jean ungläubig nach und der blonde Junge lachte zittrig.

„Das sagt man so. Also jungfräulich halt.“
 

Aber auch das war er nicht. Er war schon lange nicht mehr jungfräulich und wenn Jean es sich ehrlich eingestand, dann konnte er auch keine Verbindung zwischen seiner ersten Vergewaltigung und einer Fahrstunde herstellen.

Nun selber unsicher ballte er die Hände zu Fäusten und schluckte mühevoll, als sich durch seine Schweigen Stille zwischen ihnen ausbreitete, die mehr als schwer lastete. Vielleicht sollte er es einfach lassen. Dann würden auch keine Fragen kommen und er würde nicht in seine Vergangenheit zurückgestoßen werden.
 

„Ich habe etwas Falsches gesagt, oder?“, drang die Stimme seines Kapitäns durch Jeans dunkle Erinnerungen und für einen Moment lang war er irritiert darüber. Knox hatte es damals noch nicht in seiner Nähe gegeben, wieso war er dann hier?

Weil er nicht mehr in Evermore war, stellte Jean blinzelnd fest. Er war in Los Angeles und saß mit Knox in dessem Wagen auf einem leeren Industriegelände, auf dem er ungestört Auto fahren üben konnte. Knox war nicht Riko, nicht einmal im Ansatz. Knox war genauso unsicher wie er.
 

Jean wollte etwas sagen, doch es kam nur ein Krächzen hervor. Er räusperte sich. „Ich verstehe nicht, warum man für die Fahrschule jungfräulich sein muss“, erwiderte er nach einer kurzen Weile ehrlich und starrte auf seine Finger. Der überraschte und beinahe schon erleichterte Laut des anderen Jungen ließ ihn zusammenzucken und fragend sah Jean zu Knox.
 

„Das sagt man so, wenn man etwas zum ersten Mal macht. So wie du gerade zum ersten Mal hinter einem Steuer sitzt. Oder wie ich dich zum ersten Mal fahren lasse. Dann ist man jungfräulich.“

Jean blinzelte. „Das hat nichts damit zu tun, dass man…“ Er konnte den Satz nicht beenden, doch Knox verstand auch so.

„Nein, das muss es nicht. Es kann alles Mögliche sein.“
 

Das Konzept, dass er trotz der Spieler, die sich ihm aufgezwungen hatten, noch Jungfrau war, weil er viele Sachen in seinem Leben noch nicht gemacht hatte, hinterließ in Jean eine Art Beruhigung, die er selbst noch nicht ganz verstand. Sein Buch war voll mit Dingen, die er zum ersten Mal gemacht hatte und bisher hatte er noch nie wirklich darüber nachgedacht, was es überhaupt bedeutete.

Er nickte und atmete tief durch.

„Also bin ich eine Autofahrjungfrau?“, fragte er trocken nach und Knox räusperte sich.

„Ja, wenn du es so nennen magst, dann schon.“
 

Jean musterte seinen Kapitän, dessen braungebranntes Gesicht wieder einen peinlich berührten Rotschimmer zeigte. Er kam nicht umhin, sich darüber zu wundern, was genau daran die Röte ausgelöst hatte und seine Gedanken kehrten zurück zu den Kondomen in Knox‘ Kulturtasche, die seit geraumer Zeit verschwunden waren.
 

Kritisch runzelte Jean die Stirn. „Bist du noch Jungfrau? Errötest du deswegen?“, fragte er so offen und ehrlich, wie Knox es von ihm wünschte, doch anscheinend löste er damit eine noch größere, peinliche Berührtheit aus. Knox riss entsetzt die Augen auf.

„Oh mein Gott, Jean! Nein, natürlich nicht, aber ich…“ Sein Kapitän verstummte.

So ganz verstand er Knox‘ gestotterten Protest nicht, musste Jean gestehen. Anscheinend zeigte sich das auch deutlich auf seinem Gesicht.

„Das war eine sehr direkte Frage“, presste dieser schließlich hervor und Jean hob die Augenbrauen.
 

Langsam verstand er, wo das Problem war. Das machte die Sache für Knox nicht besser.

„Du wolltest direkte Fragen“, erwiderte er beinahe inquisitorisch und der Junge neben ihm öffnete hilflos den Mund, während seine Hände stumm gestikulierten.

„Ja, aber.“

„Aber?“

„Lass einem Mann doch sein Rotwerden!“
 

Das war nun keine gute Begründung, befand Jean, zeigte aber Mitleid und Gnade. Er nickte und deutete auf das Lenkrad.

„Soll ich?“

Tapfer lächelte sein Kapitän. „Aber klar!“
 

Schritt für Schritt erklärte der blonde Junge ihm, wie er den Automatikwagen dazu brachte, sich zu bewegen, wie er bremste, anfuhr, was die Buchstaben auf dem Steuerknüppel bedeuteten und worauf er achten musste.

Das war gar nicht so schwer und Jean vermutete, dass das Schwere an dem Ganzen die Teilnahme am Straßenverkehr sein würde mit all seinem Chaos.
 

Nicht, dass er die Herausforderung scheute, ganz im Gegenteil. Alleine schon die niedrige Geschwindigkeit, in der sie sich bewegten, verursachte ihm eine Gänsehaut, weil er wusste, dass er derjenige war, der dieses laute Ungetüm lenkte. Die Vorstellung, dass er selbst einen Wagen besitzen und ihn bewegen würde, verursachte ein Kribbeln in seiner Magengegend, das er bisher so noch nicht gekannt hatte.
 

Als er den Wagen nach mehr als zehn Runden schließlich zum Stehen brachte, war Knox deutlich entspannter und grinste ihn stolz an. Auch Jean zuckte es kurz um die Mundwinkel und er atmete bewusst aus.

„Und?“

Jean überlegte, auch wenn es da eigentlich nichts zu überlegen gab. „Es ist ein gutes Gefühl.“

„Also willst du richtige Fahrstunden nehmen? Mit einem richtigen Lehrer?“

Jean konnte sich einen amüsierten Seitenblick mit hoch erhobener Augenbraue nicht verkneifen. „Angst, dass ich das Ungetüm hier in den Graben setze?“

Gespielt geschockt griff Knox sich an sein Herz und tätschelte liebevoll das in die Jahre gekommene Armaturenbrett. „Ist das eine ernstgemeinte Frage?“
 

Nein, das war es nicht gewesen und deswegen tat ihr kurzes Geplänkel auch so gut. Wann und wem hatte er in Evermore Fragen zum Spaß gestellt? Nie und niemandem. Kevin vielleicht, als er noch da gewesen war. Josten auch, aber diese Fragen waren eher rhetorischer Natur gewesen.

„Ich weiß gar nicht, welches Auto ich mir kaufen soll“, stellte Jean dieses Mal aber wirklich ernst gemeint in den Raum.

„Wenn du Beratung möchtest, dann stehe ich jederzeit gerne zur Verfügung.“

Jean ließ Knox sehen, wie wenig überzeugt er von der möglichen, kommenden Beratung war. Entschieden deutete er auf den Innenraum des Wagens.

„Du hast eine Vorliebe für Oldtimer“, formulierte er das, was ihm eigentlich auf den Lippen lag, so neutral um, dass Knox es nicht als Kritik verstehen würde. „Ich glaube, ich habe lieber ein neues Auto.“
 

So eins, wie Andrew hatte.
 

Knox verzog das Gesicht zu einer leidenden Grimasse. „Ich habe keine Vorliebe für Oldtimer, du Banause, ich kann mir nur kein neues Auto leisten. Und ich liebe diese alte Möhre hier, weil sie mich schon überall sicher hingebracht hat und weil man viel aufladen kann!“
 

Jean verbiss sich einen weiteren Kommentar. Er hatte aus Andrews Stimme einen ähnlichen Stolz herausgehört, als dieser über seinen Wagen gesprochen hatte. Vielleicht würde er genauso sein, wenn er erstmal ein eigenes Auto hatte, wer wusste das schon?

„Der Fahrersitz hat noch mehr Federn als der Beifahrersitz“, merkte Jean anstelle dessen an und Knox seufzte schwer.

„Ja, das merke ich auch. Trotzdem tut es mir leid, dass du hier sitzen musst.“
 

Jean seufzte innerlich. Nur sein Kapitän entschuldigte sich für geringe Schmerzen, die er noch nicht einmal selbst zu verantworten hatte.

„Alles okay. Man gewöhnt sich daran.“

„Sicher?“

„Wenn ich meinen Führerschein habe, werde ich fahren.“

„Falls“, korrigierte Knox mit einem breiten Grinsen und Jean hob vielsagend die Augenbrauen.

„Falls…?“, echote er langsam.

„Du musst erst einmal durch die Prüfung kommen.“
 

Jean wusste nicht wirklich, was ihn ritt, als er den anderen Jungen mit gerümpfter Nase ansah. „Wenn du durch die Prüfung gekommen bist, wird das für mich kein Problem sein“, erwiderte er schneller, als er sein Mundwerk davon abhalten konnte und Knox‘ Augen weiteten sich fassungslos.

„Du Gemeiner!“, jaulte dieser und Jean schnaufte, um sein Lachen zu verstecken. Er löste den Gurt und öffnete die Tür, tauschte mit Knox die Plätze.
 

Schneller, als er es selbst gerade gewagt hat, den Wagen zu bewegen, brachte sein Kapitän sie zurück zum Highway und Jean nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Er betrachtete das gute Stück in seinen Händen und ungebeten kamen ihm Andrews Worte ins Gedächtnis. Immer wieder hatte ihm der blonde Junge gesagt, dass er trinken solle, in seiner desinteressierten Stimme, die Andrews Gedanken mitnichten widerspiegelte.
 

Es hatte seine Zeit gebraucht, bis er selbst zu einer Flasche gegriffen hatte, ohne, dass Minyard sie ihm geöffnet in die Hand gedrückt hatte. Es war egal gewesen, ob Renee oder Abby ihm versichert hatten, dass er soviel trinken konnte, wie er mochte – erst Minyard hatte es ihm durch simple Gesten beigebracht.
 

Wenn Jean es sich ehrlich eingestand, hatte er zum Schluss damit nur auf Minyard gewartet, weil es den anderen Jungen nervte. Deutlich sichtbar nervte.

Soviel schuldete er ihm nach dessem Versuch, ihn zum Reden zu bringen.
 

Jean seufzte und drehte die Flasche in seinen Händen. Gedanken an Andrew brachten auch Valentines Einladung wieder hervor, die er bisher geflissentlich ignoriert hatte. Gebracht hatte es ihm nichts, sie hatte ihm unlängst eine Nachricht geschrieben, dass es sie sehr freuen würde, wenn er auch käme.

„Die Uniparty heute Abend“, begann er und wusste nicht recht, was er überhaupt fragen sollte. Er kannte Knox‘ Antwort. Nur, wenn er wollte, das war das Credo, aber Jean wusste gar nicht, ob er wollte. „Was passiert dort?“
 

„Das ist die klassische Studentenparty“, erwiderte sein Kapitän, begriff aber nach Jeans Schweigen, dass er mit dem Begriff nichts anfangen konnte.

„Es wird viel auf engem Raum getanzt, gesungen und getrunken. Wenn wir es können, gehen wir zu den guten Partys. So wie heute Abend nach dem Training.“

„Gehst du auch dahin?“, fragte Jean nun direkt. Knox hatte noch nichts davon erwähnt und hatte sich auch, als das Thema beim Training zum ersten Mal aufgekommen war, nicht dazu geäußert. Auch jetzt neigte er seinen Kopf in der für ihn typischen Art und Weise, eine Antwort herauszuzögern.

„Wenn es sich anbietet, dann schon.“
 

Jean grollte innerlich. Wenn es sich anbietet war nichts Anderes als eine seichte Umschreibung dafür, dass er ihn nicht alleine lassen würde. Darüber mit Knox zu diskutieren, hatte wenig Sinn, also musste er einen anderen Weg gehen, auch wenn ihm dieser Weg Unbehagen bereitete. Das war das Mindeste, was er für den anderen Jungen tun konnte.

„Hast du Lust darauf?“, fragte er dementsprechend direkt und Knox nickte.

„Das wird sicherlich witzig.“

„Gut, dann gehen wir“, betonte er das „Wir“ in einer Art, die Knox sichtbar schlucken ließ.

„Jean, du musst nicht…“

„Du sagst, es ist eine der guten Partys?“

„Ja, aber…“

„Ich schulde Valentine noch etwas. Wenn ich ihre Einladung annehme, dann habe ich das vom Tisch.“

„Aber…“

„Knox?“

„Ja?“

„Was soll daran schon so schlimm sein?“, fragte Jean mutiger, als er sich wirklich fühlte und der blonde Junge neben ihm strich sich die aus dem Minidutt gefallenen Strähnen zurück und seufzte leise. Aber er nickte. Wenigstens das.
 

~~**~~
 

Alles.
 

Alles war schlimm daran.
 

Die Musik, deren Lautstärke, die reine Fülle an Menschen, die Enge, mit der sie freiwillig aufeinanderklebten, die fürchterlichen Getränke, die nichtssagenden, viel zu betrunkenen und lauten Gespräche, alles.
 

Jeans erste Party würde auch seine letzte sein, das schwor er sich und gleichzeitig versprach er Valentine einen blutigen Tod dafür, dass sie ihn in diese Falle gelockt hatte. Ihr und Knox. Gute Party? Soviel schlechter Geschmack auf einem Haufen war doch gar nicht möglich.

Die Trojans waren beinahe komplett anwesend. Ajeet konnte nicht, er musste seinen Eltern aushelfen, aber ansonsten waren alle da und mischten sich unter die Studenten.
 

Der Boden klebte unter den Sohlen seiner Sneaker und Jean schauderte es.
 

„Alles in Ordnung?“, brüllte Valentine ihm ins Ohr und er sah blinzelnd auf sie herab. Ihre pinken Haare hatten seit Neuestem auch noch türkisfarbene Strähnen und Jean ertappte sich immer wieder dabei, wie er fasziniert auf ihre Haare starrte.

„Der Boden klebt, es ist laut, eng und voll“, erwiderte er ehrlich und sie lachte.

„Der feine Herr! Sind wir etwa aus Evermore Besseres gewohnt?“, spottete sie und Jean grollte.
 

Auch wenn die Erinnerung an Evermore ein schales, bitteres Gefühl in seinem Mund hinterließ und ihn gefährlich nahe an den Rand eines Flashbacks brachte, so war es doch eben jener, rücksichtsloser und frecher Spott, den er in den letzten Wochen zu schätzen gelernt hatte.

Valentine nahm kein Blatt vor den Mund, nirgendwo und bei keinem Thema. Jean hatte es sich angewöhnt, es ihr gleich zu tun, auch aus dem Grund, dass sie immer in gewissen Grenzen Respekt zeigte.

„In Evermore wurde sich mit so etwas Banalen nicht abgegeben“, erwiderte er mit erhobener Augenbraue und Valentine lachte.
 

„Deine Nase ist banal! Das hier ist Teambuilding, Netzwerken, PR-Arbeit, du Banause!“

Das ewige Trojansmantra. Freundlich zu allen sein. Jean rollte mit den Augen. Dies war ein Punkt, in dem er vermutlich immer Raven bleiben würde. Andere Menschen waren ihm egal, insbesondere die, die nicht Exy spielten. Mit Mühe konnte er sich vorstellen, sich auf sein Team einzulassen und tat hier die ersten, vorsichtigen Schritte. Der Rest des Teams hatte mit dem Netzwerken da weniger Probleme und Jean wusste, wenn er sich umsah, würde er sie weit verstreut in der Menschenmenge finden. Oder auf der improvisierten Tanzfläche.
 

Jean musste gestehen, dass die Studenten dort alle so aussahen wie Knox in der Küche. Er stellte fest, dass das Gewackel und die Bewegungen seines Kapitäns noch nicht einmal das Schlimmste war, was er zu Gesicht bekommen hatte. Stumm lauschte er dem Bass des Liedes, das durch die Boxen schallte und seine Ohren mit einem Text belästigte, der ihm sehr flach schien. Das interessierte die Tänzer aber nicht, die ihre Körper im Takt zur Musik bewegten und sich aneinanderrieben, als hätten sie ihre intimen Aktivitäten vom Bett auf die Tanzfläche verlagert.
 

Das Lied änderte sich und Valentine lachte. „Oh, nein… pass auf, Moreau, jetzt kommt die Alvarez-Laila-Jeremy-Show“, sagte sie und stieß ihn leicht an. Er sah zu ihr und sie nickte mit ihrem Kinn zur Tanzfläche, auf der er alle Drei entdeckte. Sie alberten herum, während sie ihre Körper zur Musik bewegen, deren Text Jean sofort bekannt vorkam. Knox hatte das gesungen, als er ihm zum ersten Mal die Haare gewaschen hatte. Wie anders es geklungen hatte, wie anders Knox sich nun verhielt, als er gelöst und ohne Zurückhaltung seinen Körper zum Rhythmus der Musik bewegte, vor ihm Laila, hinter ihm Alvarez, die sich mit ihm bewegten und die vollkommen in ihrem Moment aufzugehen schienen, ihre Gesichter gerötet und gelöst vor Freude und Lachen.
 

Jean runzelte die Stirn. Er sah die Präzision und Körperspannung, die alle Drei auch beim Training aufzuweisen hatten. Er konnte die Muskeln sehen, deren Zusammenspiel sie zu guten Spielern machten. Dass diese Kraft und Präzision dazu missbraucht wurden, sich in rhythmischen Bewegungen auf der Tanzfläche hin und her zu wiegen, war frustrierend und verstörend gleichzeitig, eben weil Jean seine Gefühle diesbezüglich nicht einordnen konnte.
 

Der Raven in ihm schrie, dass es Zeitverschwendung war, was hier geschah. Der Mensch in ihm, nahm die Ästhetik dessen vorsichtig zur Kenntnis wie er auch gutes Spiel zur Kenntnis nahm.
 

Als die Musik sich noch einmal änderte, sah Jean den Collegereporter auf der Tanzfläche, der damals die Eingangsfrage gestellt hatte. Dieser näherte sich Knox und übernahm seinen Kapitän aus den Händen der beiden Mädchen. Knox lächelte voller Freude und Jean sah das Leuchten in den Augen des blonden Jungen, als er dem Reporter über das Gesicht strich und sich im Takt der Musik an ihn schmiegte. Sie bewegten ihre Hüften so eng aneinander, dass kein Blatt Papier dazwischen passte. Sie tanzten Stirn an Stirn, die Lippen geöffnet. Der Reporter, Allan, hatte seine Hände an Knox‘ Hüften, während sein Kapitän seine Arme auf den Schultern des etwas größeren Jungen abgelegt hatte.
 

Überrascht blinzelte Jean.
 

Er hatte nicht vermutet, dass Knox einem anderen Jungen so nahe war, denn das zwischen den Beiden eine eindeutige Anziehung bestand, das sah selbst er. Sie schienen perfekt aufeinander abgestimmt zu sein, miteinander im Einklang und Wohlwollen. Es war ein wenig wie die selbstverständliche Leidenschaft, die Wilds und Boyd teilten, nicht der verborgene Hürdenlauf zwischen Josten und Minyard.

Das, was in Evermore Demütigung und Strafe war, war hier gelebte Normalität und wider Willen starrte Jean fasziniert auf die beiden Jungen. Auch das schien hier so einfach zu sein, so selbstverständlich. Ohne Gewalt, ohne Sadismus, sondern…normal, dass ein Mann einem anderen Mann nah war.
 

Er schluckte und stellte fest, dass sein Hals trocken war, obwohl er heute eigentlich genug getrunken hatte. Sein Plastikbecher war ebenfalls leer und so wandte er sich mit einem Schnauben ab.
 

Direkt zu den aufmerksamen Augen von Valentine, deren Gesicht ruhiges Wissen ausdrückte.

„Allan oder Jer?“, fragte sie und Jean runzelte die Stirn.

„Was meinst du?“

Sie glaubte ihm keine Silbe seiner Frage, das sagte ihm das Zucken um ihre Mundwinkel und ihre spöttisch erhobene Augenbraue.

„Du bist kein überzeugender Lügner, Nummer sieben“, schnarrte sie und er grollte. Wenn er nicht so auf Gesellschaft angewiesen wäre, dann hätte er sich jetzt umgedreht und wäre gegangen. So blieb ihm nichts Anderes übrig, als ihre Worte zu ertragen.

„Was hat das mit den Beiden zu tun?“, deutete er unwirsch auf die Tanzfläche.
 

Sie musterte ihn für schier endlos lange Sekunden, dann lächelte sie wissend. „Viel. Alles. In deinen Augen: nichts.“
 

Einer der Vorteile seiner Größe war, dass er mit Leichtigkeit über andere hinwegsehen und sie ignorieren konnte. Das tat er nun. Nicht, dass es ihm bei dem pinkhaarigen Sturkopf etwas brachte, egal, wie unerfreut er sie versuchte zu ignorieren, während sie ihn mit Details über den Reporter und seine On-Off-Nichtbeziehung mit Knox fütterte.
 

~~~~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Lieder, zu denen getanzt wird, in der Reihenfolge:

Dua Lipa – Let’s get physical
Camilla Cabello – Crying in the club
Sam Smith – Dancing with a stranger

:D

Und noch etwas: Jer, Laila und Alvarez sowie die Leute auf der Party bewegen sich natürlich ganz normal. Nur Jean, der noch nie mit Tanzen in Kontakt gekommen ist, findet das natürlich höchst seltsam. Und weiß auch nicht so recht, wie er es benennen soll. Komplett anzeigen

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