Zum Inhalt der Seite

Force of Nature

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Dieses Mal ist es ein wenig kürzer, aber passend zum Dienstag. Damit ist nun der erste Teil der Geschichte (nach 25 Teilen und round about 143.000 Wörtern) fertig ^_^;. Mal sehen, ob der zweite kürzer wird. Wir werden es sehen.

Danke bisher für's Mitlesen und Mitleiden, ihr alle! Ich verspreche hoch und heilig, dass bessere Zeiten folgen werden und ich euch so sehr mit Zucker zustopfen werde, dass es euch zu den Ohren herauskommt :P. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das blonde Gift

Als Jean wieder zu Sinnen kam, stellte er fest, dass er instinktiv zu einem Punkt geflohen war, den er bereits kannte und mit dem er, wenn er es sich ehrlich eingestand, positive Erinnerungen verknüpfte.

Zittrig atmend stand er vor dem Eisladen, den anscheinend alle Studenten der USC so vergötterten und nach dem nun auch noch Minyard süchtig war. Mit wild klopfendem Herz starrte er auf das Gebäude und die Fensterfront. Wenigstens konnte er hier Bescheid sagen, wo er war, denn alleine zurück zu finden, das stand außer Frage für ihn. Auch jetzt schon kribbelte es überall auf seinem Körper und sein Instinkt schrie ihn an, dass er falsch gehandelt hatte. Dass er niemals, unter keinen Umständen alleine sein durfte.
 

Sein Blick fiel auf den Verkäufer. Es war der Gleiche, der Knox beim letzten Mal so freundlich und überschwänglich bedient und Minyard eine Kugel Eis extra gegeben hatte und der ihn nun ohne Umschweife entdeckte. Jean schluckte und wollte sich wegdrehen, als dieser schon sein anscheinend typisches Lächeln auflegte und ihn zu sich heranwinkte.

„Hey, Lieblingsbackliner!“, grüßte er ihn und Jean versuchte, sich an den Namen des Mannes zu erinnern. Er scheiterte und so nickte er nur stumm. Wie angewurzelt stand er vor dem Laden, nicht wissend, was er tun sollte.
 

„Möchtest du ein Eis?“
 

Er wollte vor allen Dingen ein Stück Gewohnheit und etwas Positives in all dem Chaos dieses Tages.

„Von allem ein Bisschen?“, echote Jean, bevor er seine Lippen davon abhalten konnte, Worte in die Welt heraus zu posaunen, die er definitiv bereuen würde. Überrascht zog der Mann seine Augenbrauen hoch und lachte dann schallend.

„Jers Einfluss, ich sehe das schon! Kommt sofort, Lieblingsbackliner!“
 

Während Chris, so hieß er, eine Teller voller Eis vorbereitete, setzte sich Jean langsam in Bewegung und betrat umsichtig den Laden. Er mied den Blick auf die anderen Gäste, die zu dieser Uhrzeit spärlich anwesend waren und konzentrierte sich auf die Theke, die ihm soviel buntes Eis zeigten, das er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Zumindest nicht, bevor er hierher gekommen war.
 

Jean beendete seine stumme Auflistung der Eissorten, als ihm sein Teller gereicht wurde und er diesen mit seiner Karte bezahlte. Wie Knox es ihm mitgeteilt hatte, wurde Bargeld in Los Angeles eher weniger gerne gesehen und so war es auch einfacher, hatte er doch immer noch Probleme, die Münzen und Scheine auseinander zu halten.
 

„Guten Hunger, Moreau!“, grinste Chris und zwinkerte ihm zu. Jean nickte, sich immer noch darüber wundernd, dass jemand wie er der Lieblingsbackliner von einem Fremden war, und nahm sich seinen Teller um hinter dem Laden zu einem der Bäume zu gehen, die im Schatten lagen. Dort würde er sich keinen noch größeren Sonnenbrand holen und konnte sich in aller Ungestörtheit durch das Eis beruhigen lassen. Der einzige Wermutstropfen war, dass er es nicht alleine schaffen würde, soviel Eis zu essen.
 

Vielleicht würde sich das Problem erledigen, denn er musste sowieso Knox Bescheid geben, wo er war. Insbesondere nach dem heutigen Morgen würde sein Kapitän mehr als ungehalten darauf reagieren, wenn er ihn plötzlich aus den Augen verloren hätte.

Nein, nicht ungehalten. Verzweifelt, was viel schlimmer war.
 

Jean ließ sich mit dem Rücken zum Stamm nieder und zog sein Handy hervor, während er den Teller vorsichtig auf seinen Oberschenkeln balancierte. Er machte ein Bild davon und schickte es seinem Kapitän. ~Ich bin hier~, schrieb er dazu, nur um sicher zu gehen und erhielt keine Sekunde später einen geschockten Smiley zurück.

~Soviel Eis ohne mich?~, erläuterte Knox eben jenen und Jean schnaubte.

~Wenn du schnell genug bist, Kapitän, ist noch etwas da.~
 

So ganz genau wusste er auch nicht, warum er den letzten Satz so formuliert hatte, insbesondere, weil er in seinen Augen außerordentlich forsch klang, neckend beinahe. Vielleicht war der damalige Traum seines Kapitäns Schuld und die ihm darin unterstellte Rolle des Eisdiebes.
 

~Du wirst dich noch wundern, wie schnell ich sein kann!~

Nein, das würde Jean sicherlich nicht, schließlich kannte er Knox doch auf dem Spielfeld. Er hatte seine Schnelligkeit genauestens analysiert. Jean runzelte die Stirn und legte das Handy beiseite. Langsam begann er zu essen und erneut explodierten Zucker, Sahne und verschiedenste Geschmacksrichtungen in seinem Mund, die er nicht alle benennen konnte.
 

Er kam noch nicht einmal bis zum letzten Viertel der Eissorten, dann hörte er eilige Schritte hinter sich und sah gerade rechtzeitig hoch, um Knox dabei zu beobachten, wie er vor ihm zum Stehen kam und sich neben ihm ins kühle Gras fallen ließ: rotgesichtig, außer Atem und mit wild abstehenden Haaren. Jean hob die Augenbrauen.

„Meine persönliche Bestleitung!“, grinste Knox.

„Anscheinend mit Platz nach oben“, erwiderte Jean ironisch und sein Kapitän grollte spielerisch.

„Kann ja nicht jeder deine langen Beine haben“, ließ er seinen Blick bedeutungsvoll auf eben jenen ruhen und Jean folgte der Richtung unsicher. Er hatte, weil er wenigstens an seinem letzten Tag eine kurze Hose tragen wollte, seine Shorts angezogen. Es war luftig, allerdings sah man auch Teile seiner Narben. Niemand hatte ihn deswegen schief angesehen oder angestarrt, wurde Jean bewusst.
 

„Neil ist auch schneller“, sagte er stirnrunzelnd.

„Neil ist ja auch kein Mensch.“

Überrascht hob Jean die Augenbrauen. Was meinte Knox damit? Kein Mensch? Er hatte doch auch gesagt, dass er kein Besitz, sondern ein Mensch war, wieso sah er Josten anders an? Unsicher spielte er mit dem Löffel in seiner Hand.

„Was ist er dann?“, fragte er um sicher zu gehen.

„Irgendetwas zwischen Gepard und Graukopfalbatros.“
 

Jean blinzelte. „Warum das? Und was ist ein Graukopfalbatros?“, fragte er perplex und Knox zog mit einem Grinsen sein Handy hervor.

„Zum Einen, weil es das schnellste Tier an Land ist und zum Anderen deswegen“, erwiderte sein Kapitän und hielt ihm ein Bild unter die Nase, das Jean unweigerlich lächeln ließ. Ja, da bestand tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit.

Als er aufsah, traf er direkt auf die Augen seines Kapitäns, die an seinem Mund festzukleben schienen und Jean hielt irritiert inne.

„Was ist?“, fragte er und erst verspätet schüttelte Knox den Kopf.

„Gar nichts“, grinste er zurück und nickte dann in Richtung des Tellers.

„Du vernachlässigst dein Eis.“ Jean war, als hörte er einen latenten Vorwurf aus den Worten heraus und er hob die Augenbraue.

„Der Rest gehört dir“, erwiderte er und reichte Knox den Teller samt Löffel. Entsprechend zeremoniell wurde dieser angenommen, bevor sich Knox daran machte, in aller Windeseile die erheblichen Reste des Eis zu vernichten.
 

Jean schnaubte innerlich und lehnte seinen Kopf an den Stamm, ließ den Blick über das Gelände schweifen und hin und wieder zu seinem Kapitän zurückkehren.
 

„Ich habe Kevin auf unsere Couch verfrachtet und Laila hat Andrew aus dem Auto geholt, damit er sich um ihn kümmert“, sagte Knox schließlich und Jean nahm das stumm zur Kenntnis. Natürlich wusste er, dass es eine Bitte um Informationen wie auch ein Hilfsangebot war.

Jean zuckte mit den Schultern. Es schmerzte ihn, über Day nachzudenken und über das, was er bereit gewesen wäre zu posten, hätte Jean ihn nicht davon abgehalten.
 

Überhaupt war er über seine gemischten Gefühle verwirrt, die es ihm schwierig machten, eine Entscheidung zu treffen. Day war hierher gekommen, nicht, wie er sagte, um seinen Ruf zu retten, sondern weil ihm etwas an Jean lag. Das zu glauben, fiel ihm schwer. Dennoch hatte Day in all seiner Feigheit den Weg hierhin aufgenommen und war sogar soweit gegangen, Knox zu warnen.

Was das bedeutete, wollte Jean nicht wissen und auch nicht darüber nachdenken. Er wollte das Wissen darum ruhen lassen, damit er sich in Ruhe damit auseinandersetzen und Frieden finden konnte. Das, was er definitiv nicht wollte, war, das zu lesen, was ihm im Beisein von Day angetan worden war, auch wenn sich Jean darüber im Klaren war, dass er dadurch das Leben des anderen Jungen eben nicht zerstören würde, wie er es angedroht hatte.
 

„Ich habe ihn nicht geschlagen“, sagte Jean schließlich und Knox fuhr sich verlegen durch seine Haare. Er kräuselte die Nase und fuhr mit seinem Finger über den Teller, leckte das Eis davon ab. Stirnrunzelnd beobachtete Jean ihn dabei. Für einen Striker hatte Knox schmale Finger, auch wenn sie verhältnismäßig lang waren und viele Schwielen aufwiesen.

„Das habe ich auch nicht angenommen.“

„Unsere Vergangenheit ist schwierig.“

„Wird es eure Zukunft dadurch auch sein?“

Jean sah auf seine eigenen Hände. Day hatte sich mehr als einmal um ihn gekümmert, nachdem seine Finger gebrochen worden waren.

„Wir haben keine gemeinsame Zukunft.“

„Ihr werdet beide in die Nationalmannschaft kommen.“
 

Überrascht sah Jean hoch und schnaubte. „Unwahrscheinlich.“

„Du bist der beste Backliner der Liga, Jean.“

„Aber nicht der beste Backliner.“

„Das kommt noch.“

Darüber hatte sich Jean nie Gedanken gemacht. Musste er bisher auch nicht. Dieses Ziel war so weit außerhalb seiner Reichweite gewesen, dass er es noch nicht einmal ins Auge gefasst hatte.

„Mal sehen“, erwiderte er entsprechend ausweichend. „Erst muss ich meinen Abschluss schaffen.“

Knox winkte ab. „So diszipliniert, wie du lernst, sehe ich da kein Problem.“
 

„Der Abschluss war immer nur Mittel zum Zweck gewesen“, gestand Jean schulterzuckend ein. „Es ist nichts, was mich sonderlich reizt oder herausfordert.“

Für einen Moment herrschte Stille und Jean fragte sich mit einem Blick auf den gequälten Ausdruck auf Knox‘ Gesicht, ob er wieder etwas Falsches gesagt hatte.

„Sie haben dir noch nicht einmal dabei die Wahl gelassen?“, fragte der andere Junge schließlich leise nach und Jean schüttelte den Kopf.

„Natürlich nicht.“

Für einen Moment sah es so aus, als würde Knox seine Hand drücken oder ihn umarmen wollen, doch dann entspannten sich die Muskeln seines Kapitäns wieder. Jean war dankbar darum. „Gibt es denn etwas, das du lieber machen würdest?“
 

Die Frage hatte sich Jean schon öfter gestellt und war nie zu einem schlüssigen Ergebnis gekommen. Er war gut darin, Sprachen zu lernen. „Ich weiß es nicht. Ich mochte den Rundgang in diesem Kunstdistrict und ich lese gerne“, gab er zu und kam nicht umhin, festzustellen, was für ein Fortschritt das doch war. Früher hätte er Riko niemals solche Schwächen offenbart, in dem Wissen, dass sie ihm verleidet werden würden.

„Dann könntest du dein Wirtschaftsstudium mit Kunst oder Literatur verbinden. Also nach deiner exorbitant durch die Decke schlagenden Exy-Karriere, die dich bis an dein Lebensende reich machen wird“, grinste Knox und Jean rollte mit den Augen.

„Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht.“
 

Knox stellte den Teller neben sich ins Gras, lehnte sich zurück und stützte sich auf seine Hände ab. Er legte den Kopf schief und musterte Jean schweigend. „Wenn du es dennoch tun möchtest und Hilfe brauchst, sag Bescheid. Niemand von uns ist Kunststudent, aber wir finden da jemanden, der jemanden kennt. Ellie hat Literatur belegt, sie kann dir zumindest da weiterhelfen.“

„Ellie?“, fragte Jean und sein Kapitän schnaubte.

„Die große Blonde deines Teams“, erwiderte er lakonisch.

„Die so aussieht wie Allison.“

„Die Foxes-Allison?“

„Ja.“
 

Knox brummte und Jean kam nicht umhin, sich darüber glücklich zu schätzen, dass er den Deal mit Andrew abgelehnt hatte. Auch wenn es nur ein normales Gespräch war, so tat es ihm gut. Es tat ihm gut, dass es seine Wünsche waren, die zählten. Es machte die Angst vor einer ungewissen Zukunft geringer und gab ihm eine Perspektive, die er niemals vorher gehabt hatte.
 

~~**~~
 

„Wirst du es eigentlich nie leid, dich um ihn zu kümmern?“, fragte Jean verächtlich, während er auf die abgewandten, schlafenden und leise schnarchenden Körper starrte, der seine Couch verpestete.

Jeremy sah von der Kaffeemaschine auf, die er gerade zum Laufen brachte und warf einen Blick auf Andrew, der an ihrem geöffneten Wohnzimmerfenster saß und rauchte. Wirklich gut hieß Jeremy das nicht, aber er war sich nicht sicher, ob der blonde Torhüter das nicht als Kompensation brauchte.
 

Man erklärte sich doch nicht einfach so dazu bereit, einen Menschen umzubringen ohne dass es spurlos an einem vorbeiging. Zumindest fiel es Jeremy schwer, das zu glauben, insbesondere, weil die beiden anderen Jungen eine Art hatten, miteinander umzugehen, die nicht wirklich nahelegte, dass sie sich hassten. Im Gegenteil. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr Situationen vom letzten Bankett fielen Jeremy ein, die dagegen sprachen.
 

„Wenn er schläft oder betrunken ist, ist er erträglich“, erwiderte Andrew, ohne den Blick von draußen abzuwenden und Jeremy kam nicht umhin, festzustellen, dass der Unterton nicht wirklich zu den unsensiblen Worten passte. Wenn er sich nicht recht irrte, dann sorgte sich Andrew um Kevin, wie er sich auch um Jean sorgte.

Er füllte Kaffee in den Filter und sorgte dafür, dass die Maschine ausreichend Wasser hatte, bevor er ebenso ins Wohnzimmer kam.
 

„Trotzdem lässt du ihn nicht aus deinen Augen“, sagte er und Andrew schnaubte. Er klopfte die Asche von der Zigarette und bedacht ihn mit einem kurzen, verächtlichen Blick.

„Er ist ein Idiot.“

„Nein, ist er nicht. Er ist jemand, den du schützt.“

Andrew rollte mit den Augen und Jeremy spürte, wie Jeans Blick Löcher in seine Seite bohrten. Sicherlich kam das auch deswegen, weil er zwischen Jean und Kevin stand und sein Backliner seit ihrer Rückkehr nichts Anderes getan hatte, als Kevin aus sicherer Entfernung heraus wütend anzustarren.
 

Jeremy räusperte sich mit einem minimalen Lächeln und Jean löste sich aus seiner Starre. Mit einem Schnauben wandte er den Blick ab.

„Vielleicht geht es ihm nicht gut und wir sollten Doc Chandler holen?“, schlug Jeremy vor und wurde mit einem zweifachen Grollen belohnt.

„Das Prinzesschen schläft seinen Rausch aus“, schnarrte Andrew und drückte seine Zigarette aus. Er schnippte den Stummel zu Jeremy Missbilligung aus dem Fenster und sprang von der Fensterbank.

„Das Mädchen hat mir Kaffee versprochen“, sagte er und Jeremy deutete mit einem Nicken auf die vor sich hin sproddelnde Kaffeemaschine.

„Ist gleich fertig.“

„Gut. Nach einem Kaffee werde ich fahren und den Betrunkenen hier mitnehmen, es sei denn, du willst noch mit ihm reden, Moreau?“

„Nein.“

„Wenn du ihm eine reinhaust, dann haue ich dir eine rein, damit das klar ist.“
 

Nun war es Jeremy, der missbilligend grollte. „Hier schlägt niemand irgendjemanden.“

Andrew sah ihn an, als hätte er etwas sehr Dummes gesagt.

„Klar, hier in eurem Elfenbeinturm aus Kristall, Glitzer und Watte passiert so etwas nicht“, spottete Andrew zu seinem Missfallen und kritisch runzelte Jeremy die Stirn.

„Ich werde ihn nicht schlagen“, lenkte Jean neutral zum eigentlichen Thema zurück.

„Gut“, erwiderten Andrew und Jeremy unisono und Jean hob die Augenbrauen.

„Hast du ihm noch etwas zu sagen?“

Entschieden schüttelte Jean den Kopf. „Nein, es ist alles gesagt.“
 

Das wagte Jeremy zu bezweifeln, wenn er die Anspannung in Jeans Körper sah, doch er sagte nichts darauf. Er hatte das Gefühl, dass das, was zwischen den Beiden stand, Zeit brauchte, viel Zeit, um schlussendlich bewältigt zu werden. Oder aber viel Zeit, damit die Beiden sich in Ruhe ignorieren konnten. An Letzteres glaubte Jeremy jedoch nicht. Jean hätte Kevin ignorieren können, als sie von der Eisdiele zurückgekehrt waren, doch seine Augen hatten den anderen Jungen immer wieder gesucht.
 

Jetzt galt es erst einmal, den Status Quo hier in L.A. auf 200 Prozent zu pushen, damit Jean noch nicht einmal mehr im Ansatz daran glauben konnte, dass Selbstmord ein besserer Weg war als mit ihnen zu leben.

Jeremy schluckte, doch bevor seine Gedanken wieder in eine dunkle Spirale geraten konnten, klingelte ein Handy. Jeans Handy um genau zu sein und Jeremy zuckte beinahe genauso ertappt zusammen wie der größere Junge auch, der noch nie so zögerlich sein Telefon hervorgezogen hatte wie in diesem Moment. Mühevoll schluckte er und nahm den Videoanruf, wie Jeremy nun sah, mit zittrigen Fingern an.
 

„Hallo Großer“, drang Renees ruhige Stimme durch den Lautsprecher und an Jeans großen Augen sah er, dass das Regenbogenmädchen am anderen Ende der Leitung genauso wenig eingeweiht gewesen war wie er selbst auch.

„Hallo“, erwiderte er rau, das Wort in einen tiefen, französischen Akzent getaucht. Jean nestelte nervös mit seinen Fingern und ließ beinahe das Handy fallen.

„Wie geht es dir?“, fragte Renee sanft und er nickte abgehackt.

„Und dir?“, fragte er zurück und für einen Augenblick herrschte Schweigen in der Leitung. Jeremy konnte es von seiner Position aus nicht sehen, doch er hatte das Gefühl, dass er den Ausdruck, der gerade auf Renees Gesicht liegen musste, durchaus bereits kannte.
 

Ihr Stirnrunzeln hörte er bis hierhin.
 

Es war Andrew, der Jean mit einem Grollen das Telefon aus der Hand riss und es zu sich drehte. „Ich bin hier und der Idiot liegt hier und schläft.“ Abrupt drehte er das Handy zu Kevin und dann wieder zu sich zurück. „Lass mich raten, der Junkie hat geplaudert?“

„Andrew.“ Zuckersüß formulierte Renee den Namen ihres Teamkollegen und nun konnte Jeremy tatsächlich sehen, wie sie mit den Augen rollte.

„Tatsächlich hat er das. Er sagte so etwas wie ‚Kevin und Andrew sind nach Los Angeles geflogen. Andrew hat mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen.‘“

„Soweit korrekt.“

Andrew.“ Ihre Stimme hatte etwas Warnendes, das Jeremy die Nackenhaare zu Berge stehen ließ und der blonde Junge seufzte.

„Ja, Kevin hat rechtzeitig das Maul aufbekommen und dem Sonnenschein-Frieden auf der Welt-Team gesagt, dass Moreau sich umbringen möchte. In einer herzzreißenden Rettungsaktion in der Wüste haben sie ihn dann davon abgebracht, seinen Deal mit mir einzuhalten.“
 

Während Jeremy und Jean noch ungläubig auf Andrew starrten, warf dieser bereits das Handy zurück zu Jean und nickte knapp in Richtung Schlafzimmer.

„Sei ein braver Überlebender und erklär deinem Schutzengel, was passiert ist, bevor sie auch noch hierherkommt“, schnarrte er und Jean war ebenso stumm vor Fassungslosigkeit wie Renee und Jeremy für einen Moment auch. Renee gab einen erstickten Laut von sich.
 

„Jean? Stimmt das, was er sagt? Jean?“, fragte sie dann eindringlich und Jean nickte. Wortlos drehte er sich von ihnen weg und ging in Richtung Schlafzimmer, schloss die Tür leise hinter sich. Stumm sah Jeremy ihm nach und als er sich wieder umdrehte, sah er sich im Fokus des blonden Jungen, der ihn mit einer Mischung aus Teilnahmslosigkeit und Abneigung anstarrte.
 

„Was?“, fragte Jeremy unsicher, als das Schweigen zwischen ihnen beiden anhielt und Andrew lächelte. Es war kein schönes Lächeln, ganz und gar nicht. Es war mörderisch und grausam.

„Ich sehe, wie du ihn ansiehst, Captain Sunshine“, sagte Andrew nonchalant und Jeremy schauderte. Er fühlte sich bedroht und wusste noch nicht einmal wirklich warum. „Wenn also hinter deinem sonnigen Los Angeles-Lächeln auch nur einen Funken Gewalt oder Sadismus steckt und du unserem suizidalen, französischen Idioten auch nur eine Sekunde Schmerz zufügen solltest, dann komme ich dich holen und höre nicht wie bei Riko auf, dir den Arm zu brechen.“
 

Jeremy blinzelte vollkommen perplex ob der plötzlichen Gewaltandrohung und schluckte schwer. Ebenso überhastet wich er zurück, als Andrew in seine Richtung kam, dann aber Gott sei Dank an ihm vorbeitrat und in die Küche ging um sich Kaffee zu holen und den mit ordentlich Milch und Zucker zu süßen.
 

Während der andere Junge so tat, als wäre nichts gewesen, versuchte Jeremy sein wild klopfendes Herz zu beruhigen und sich darüber im Klaren zu werden, dass diese Drohung nur aus Sorge um Jean ausgesprochen worden war. Und weil er ein Kapitän war, der seine Macht dazu missbrauchen könnte, schlimme Dinge zu tun. Dass es Jeremy niemals einfallen würde, das stand außer Frage.
 

~~**~~
 

Am Liebsten hätte Jean den Videochat ausgeschaltet. Er verfluchte Minyard, der es sich nicht hatte nehmen lassen, mit einem einzigen Satz ein solches Chaos anzurichten, dass Jean kaum wusste, wie er es wieder aufräumen sollte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hätte er es Renee und allen anderen gerne verschwiegen, was in der Wüste beinahe geschehen wäre. Er hätte gerne so weitergelebt, als hätte er nie versucht, all ihre Mühen mit Füßen zu treten.
 

Doch das gönnte ihm Minyard nicht und dafür hatte er nicht übel Lust, das blonde Gift solange zu schütteln, bis dieser einsah, in was für einen tiefen Mist er ihn hineingestoßen hatte.
 

Jean hielt sein Handy zwar in den Händen, starrte jedoch, seit er sich auf sein Bett gesetzt hatte, eisern auf seine Beine, die er im Schneidersitz unterschlagen hatte. Er wollte die Bestürzung in Renees Gesicht nicht sehen, die Trauer und die Enttäuschung.

„Jean?“, drang ihre Stimme zu ihm und sie enthielt nichts von all dem. Sie ließ ihn zusammenzucken und unwillkürlich zog er die Schultern hoch.
 

„Es tut mir leid, Renee“, murmelte Jean, ohne sie anzusehen. „Es tut mir wirklich leid und ich kann verstehen, wenn du mich hasst und nie wieder etwas von mir hören möchtest, jetzt, wo ich dein Vertrauen wieder enttäuscht habe, obwohl ich dir etwas Anderes versprochen habe. Und auch, weil ich Minyard mit hineingezogen habe.“ Er schloss die Augen und presste die Lider so stark aufeinander, dass er bunte Sterne in der Dunkelheit tanzen sah. Ergeben wartete er auf ihr Urteil, das für endlose Sekunden – oder waren es Minuten? – nicht kam.
 

Als sie schließlich die Stimme erhob, war sie streng und unnachgiebig, wie zu dem Zeitpunkt, als sie ihn aus Evermore herausgeholt hatte.

„Sieh mich an, Jean Moreau.“

Er brauchte etwas Zeit, doch dann öffnete er seine Augen und sah sie vorsichtig an. Sie nickte, als hätte er etwas Gutes getan, etwas Mutiges. Letzteres war definitiv der Fall, denn sein Herz raste vor Angst.

„Ich möchte wissen, was passiert ist. Erzähle es mir bitte.“

Jean schluckte. Wer war er, dieser Bitte nicht zu entsprechen?
 

Er brauchte noch ein paar Momente, dann erzählte er Renee detailliert alles, von Anfang an, von dem Moment an, in dem Andrew und er ihren Handel auf seinen Wunsch hin abgeschlossen hatten, über den Countdown hin bis zum heutigen Tag. Er ließ nichts aus, weder seine Verzweiflung zu Beginn seines Hierseins noch seine Zweifel zum Ende der Frist hin bis zur Erleichterung, die er jetzt gerade empfand, noch am Leben zu sein, und dass sein Kapitän seinen Fluchtversuch nicht strafte, sondern ihn mit offenen Armen und hilflosen Scherzen begrüßte. Er erzählte, dass Day trotz seiner Drohung sich tatsächlich auf den Weg hierhin begeben hatte, nun aber auf ihrer Couch seinen Rausch ausschlief und dass Minyard sich von Laila zu einem Eis hatte überreden lassen.
 

Renee war eine ruhige Zuhörerin, deren Mimik nichts als Ruhe zeigte und die seinen Worten aufmerksam lauschte. Zum Schluss hin lächelte sie sanft und Jean gestattete es sich, dieses Lächeln zu erwidern.
 

„Ich werde dich niemals hassen oder im Stich lassen für etwas, das du empfindest, Großer. Ich bin immer an deiner Seite und werde niemals den Kontakt zu dir abbrechen. Du hast mein Vertrauen nicht enttäuscht, in keinem Fall. Ich hatte Vertrauen in dich, dass du stark genug bist, das Leben zu versuchen und das hast du. Und ich bin wirklich froh, dass du noch hier bist, Jean“, sagte sie schlicht, als er verstummt war und Jean schossen Tränen in die Augen. Erschrocken blinzelte er sie weg, als sie sein Sichtfeld verschwimmen ließen.

„Ich bin es auch“, murmelte er und sie legte den Kopf schief.

„Wirklich?“

Jean nickte aus vollem Herzen. Er empfand keinerlei Unsicherheit diesbezüglich. „Ja, wirklich.“
 

Renee lächelte ihr sanftes Lächeln voller Zuneigung und Jean verlor sich in der Güte, die ihm zuteil wurde.
 

„Wenn ich könnte, würde ich dich jetzt gerne umarmen, Jean Moreau. Aber da ich nicht da bin, kannst du Andrew sagen, dass er das für mich erledigen soll.“

Ein wenig erschrocken schnaubte Jean. „Niemals.“

„Er ist ein guter Ersatz.“

„Er mag es nicht, Menschen anzufassen.“

„Menschen, die ihm nichts bedeuten.“

„Also so wie ich.“
 

Renee lächelte vielsagend, schwieg jedoch und Jean gab sich schließlich geschlagen. Er würde es trotzdem nicht tun, denn das Seltsamste, was er sich vorstellen konnte, war, von Minyard umarmt zu werden.
 

~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So. Der zweite Spannungs- und Handlungsbogen wird sich um die Frage drehen, wie sich Jeans Leben in L.A. nun gestaltet und wie er seinem Team auf vielfältige Art und weise emotional und gewissen Teilen eben jenen vielleicht auch körperlich näherkommt. Stay tuned, Updates erfolgen weiterhin wöchentlich! ^_^v Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück