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Großstadtgeflüster

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich hatte so viel Spaß mit diesem Kapitel - vielleicht merkt man es :D

Leider merke ich gerade, dass sich die Geschichte nun dem Ende zuneigt. Wahrscheinlich kommt noch ein Kapitel, und dann ist es auch schon Zeit für den Epilog :( Ich bin sehr traurig! Denn diese Fic war so ein bisschen meine Pandemie-Therapie und ich merke gerade, dass ich alle meine Sommersehnsüchte dort verarbeitet habe. Ich fühle mich noch nicht bereit, das loszulassen T.T

Aber erstmal noch mal Songs zu diesem Kapitel:
Einmusik, Seth Schwarz - Awakening (für den Minirave auf dem Tempelhofer Feld)
2raumwohnung - Wir sind die anderen (zum Runterkommen :) )
Ellen Allien - Love Distortion (Introversion Remix) (Für den Dancefloor) Komplett anzeigen

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An einem Morgen um halb fünf

Kai fühlte sich ein bisschen an die verschwörerischen Treffen der Figuren aus „Harry Potter” erinnert, als er sich mit den anderen im „Black Lion”, dem neuen Restaurant von Lais und Reis Familie, traf. Die Tatsache, dass er zuletzt mit Ralf und Giancarlo hier gewesen war, machte es auch nicht besser. Rei, der an diesem Tag hier arbeitete, führte ihn zu einem großen Tisch in der hinteren Ecke, der gut vor Blicken geschützt war. Das beruhigte Kai ein wenig, obwohl sie eigentlich gar nicht so ein Geheimnis um ihr Treffen würden machen müssen. Ralf war gerade in Stuttgart, Giancarlo war eingeweiht und ansonsten interessierte sich niemand für ihre Belange.

Moses kam als erster. Kai kannte ihn nur flüchtig, denn er arbeitete wie Garland im Keller, und ihre Wege kreuzten sich kaum einmal. Moses war recht schweigsam, und so hatten sie selbst damit, ein wenig Smalltalk zu halten, ihre Schwierigkeiten. Es wurde einfacher, als kurz darauf Max erschien und sofort anfing, sie zuzutexten. Im Gegensatz zu Moses schien er sich überhaupt nicht zu wundern, warum Kai ihn aus heiterem Himmel zu einem gemeinsamen Mittagessen eingeladen hatte.

Als letztes erschienen Garland und Giulia. Das erste, was Kai auffiel, war, dass Garland weitaus ruhiger wirkte als noch vor ein paar Wochen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um ihn nach seinem Befinden zu fragen, doch sie sahen sich kurz in die Augen und Kai meinte, die Nachricht, die der andere ihm stumm zukommen ließ, zu verstehen. Auch Giulia lächelte und stellte schließlich als erste die Frage des Tages: „Also Kai, warum sind wir hier?”

Kai schmunzelte und griff nach der Speisekarte. „Wollen wir nicht erst mal bestellen? Geht auf mich.”

„Was? Sag bloß, du hast eine Gehaltserhöhung bekommen? Oder wurdest du befördert?”

„Weder noch”, murmelte er und vertiefte sich in die Auswahl der Hauptspeisen.

„Ach, ich weiß!”, sagte Giulia, „Du hast endlich Yuriy flachgelegt!” Bei diesen Worten hob Moses erstaunt den Kopf und von Garland kam ein unterdrücktes Schnauben. Einzig Rei, der just in diesem Augenblick vorbeikam, um ihre Bestellungen aufzunehmen, rettete Kai vor neugierigen Fragen.

Als alle ihre Wahl getroffen hatten, lehnte Kai sich auf seinem Stuhl zurück und blickte in die Runde. „Der Grund, warum ich euch heute hierher gebeten habe, ist tatsächlich nicht sehr feierlich, sondern hat unmittelbare Auswirkungen auf unsere zukünftige Arbeit.” Er erntete verwunderte Blicke, doch niemand sagte etwas. „Ich möchte, dass wir einen Betriebsrat gründen.”

Während Max noch immer nicht zu verstehen schien, was gemeint war, hellte Moses’ Gesicht sich auf. „Das ist eine gute Idee!”, sagte er.

„Fangen wir von vorn an”, meinte Kai und nickte in Max’ Richtung. Während sie auf ihr Essen warteten, erklärte er noch einmal für alle, was die Aufgaben eines Betriebsrats waren und unter welchen Bedingungen er gewählt wurde. Moses wusste schon sehr viel und konnte hier und da Dinge ergänzen. Garland und Giulia hörten aufmerksam zu und Max wirkte, als würde sich ihm eine ganz neue Welt eröffnen. Als schließlich endlich ihre Teller vor ihnen standen und sie nach dem Besteck griffen, entstand eine kleine Pause, in der alle das soeben Gesagte verarbeiteten.

„Und warum sind jetzt ausgerechnet wir hier?”, fragte Garland schließlich in die Stille hinein.

„Ganz einfach”, sagte Kai, „Wir brauchen Leute, die diesen Job übernehmen wollen. Wenn wir einfach eine Wahl vom Zaun brechen und sich am Ende niemand bereit erklärt, im Betriebsrat mitzuwirken, dann war alles umsonst. Also dachte ich mir, ich spreche euch direkt an und frage, ob ihr euch das vorstellen könnt.”

Daraufhin schwiegen wieder alle.

„Oh...wow”, kam es dann von Max. „Das klingt total cool, Kai, aber ich weiß nicht, ob ich der Aufgabe gewachsen bin, um ehrlich zu sein.”

Kai nickte; ihm war klar, dass er hier keine Kleinigkeit verlangte. Doch solange mindestens drei Personen zusammen kamen, würde er zufrieden sein.

Garland stocherte noch ein bisschen in seinem Essen herum, dann sah er ihn direkt an. „Ich würde es machen”, sagte er. In diesem Moment spürte Kai die Gesamtheit aller Dinge, die zwischen ihnen standen. Ja, die Tatsache, dass Garland heute hier war, war auch irgendwie ein Friedensangebot von Kai. Er fühlte sich immer noch schuldig, weil er mit Brooklyn geschlafen hatte, und die Tatsache, dass Garland Yuriy geküsst hatte, ließ ihn leider auch nicht vollends kalt. Aber er war professionell genug, um diese Dinge zu überspielen. Garland war im Grunde kein schlechter Kerl, und der Abstand zu Brooklyn schien ihm gut zu tun.

„Ich würde mich freuen, wenn du dich zur Wahl stellst”, sagte er deshalb.

„Was ist mit dir selbst, Kai?”, fragte Giulia.

„Ah, das wäre keine gute Idee. Ich bin ja eigentlich schon leitender Angestellter und habe, wenn man es ganz genau nimmt, kein Mitspracherecht.”

„Verstehe. Ich würde es auch machen”, fuhr Giulia fort. „Wenn du willst, frage ich bei den anderen Frauen mal rum. Es wäre ja schön, wenn wir nicht nur eine Quotenfrau im Betriebsrat haben.”

„Guter Punkt”, erwiderte Kai.

Moses lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Danke für die Einladung”, sagte er noch einmal, „Wir kennen uns ja nicht so gut, umso mehr freut es mich, dass du an mich gedacht hast.”

„Eventuell habe ich einen Tipp bekommen”, gab Kai zu und Moses verzog amüsiert den Mund. „Jedenfalls. Ich würde es auch machen. Und Max könnte sich ja auch als Ersatzmitglied aufstellen lassen, wenn er möchte”, fügte er mit Blick auf den Genannten hinzu.

„Es können sich sowieso alle Angestellten zur Wahl stellen”, sagte Kai, „Aber mir wäre wohler, wenn es ein paar Leute gibt, die es ernsthaft versuchen und sich darauf vorbereiten. Start-ups haben nur in sehr seltenen Fällen Betriebsräte. Wir werden also eine Menge Informationsarbeit leisten müssen.”

Giulia wiegte den Kopf. „Und bei der Geschäftsführung werden wir das durchbekommen?”

„Gianni wird nichts dagegen haben”, sagte Kai fest. Vielleicht ein bisschen zu fest, denn es schien, als keimte in Giulia der Verdacht, dass mehr hinter der ganzen Sache steckte, als Kai zugeben wollte. Nun, sie musste ihm jetzt einfach vertrauen.

„Also”, sagte er und versuchte, zumindest ein bisschen dynamisch zu klingen, obwohl jetzt, da dieser wichtige Schritt geklärt war, endlich Erschöpfung über ihn kam, „Lasst uns zeitnah alles Weitere planen. Wer will Espresso?” Er gab Rei ein Zeichen, der daraufhin wieder zu ihnen kam. Als Kai die Espressi bestellt hatte, beugte Rei sich noch einmal zu ihm herunter. „Guck mal auf dein Handy”, sagte er leise, „Yuriy verteilt Gästelistenplätze für den Bunker.” Dann wandte er sich zum Gehen.

„Ist es schon so weit?”, rief Kai ihm hinterher.

„Nächstes Wochenende!”, entgegnete Rei, ohne sich umzudrehen.

Sieh an, dachte Kai, wie die Zeit vergeht. Während sich die anderen wieder zu unterhalten begannen, zog er sein Handy aus der Tasche. Er hatte tatsächlich nicht eine, sondern zwei Nachrichten von Yuriy bekommen.

Du. Freitag. Bunker. Und wenn du nicht reinkommst, klatscht’s, aber keen Beifall!!

Und etwas später:

Heute Nachmittag Minirave mit Salima, Tempelhofer Feld. Komm vorbei :)

Das klang tatsächlich nach einem verlockenden Angebot. Das Tempelhofer Feld war auch gar nicht so weit vom Büro entfernt, wenn es auch in einer komplett anderen Richtung lag als seine Wohnung. Aber mit dem Rad würde das schon alles gehen. Yuriys erste Nachricht löste allerdings Belustigung bei ihm aus. Womöglich ging dem Rothaarigen ganz schön die Muffe vor seinem großen Auftritt.

Das Handy unterm Tisch verborgen tippte Kai schnell seine Antwort: Oh nein, was soll ich bloß anziehen??
 


 

Wie immer im Sommer war auf dem Tempelhofer Feld ziemlich viel los. Auf dem Rollfeld schossen Kiteskater hin und her, aufgrund des recht starken Windes so schnell, dass nur wenige es wagten, sich auf ihrer Bahn zu bewegen. Die meisten zogen ihre Runden laufend oder auf dem Rad, Touristen machten auf dem Asphalt liegend Selfies oder bestaunten das alte Flughafengebäude hinterm Zaun. Über den Liegewiesen waberten die Rauchschwaden der Grills. Kai mochte diesen Ort; als er zum ersten Mal hier gewesen war, hatte er nicht fassen können, dass sich die Stadt eine derart große Brachfläche in ihrer Mitte leisten konnte. Denn es gab hier tatsächlich keine besonderen Attraktionen, abgesehen von den Führungen, die in der ehemaligen Schalterhalle stattfanden. Sonden bloß Raum und Weite für alle. Immer wenn Kai hier war, nutzte er die kilometerlange, hindernisfreie Bahn, um ordentlich zu beschleunigen und einfach nur den Fahrtwind zu spüren, den Fernsehturm im Augenwinkel.

Obwohl Yuriy ihm seinen Standort geschickt hatte, brauchte Kai eine ganze Weile, um das kleine Grüppchen zu finden. Sie hatten es sich etwas abseits vom Trubel gemütlich gemacht, auf dem Grünstreifen an der Südkante des Felds, wo alle paar Minuten eine S-Bahn vorbeiratterte. Hier spendeten ein paar junge Bäume Schatten. Eine begrünte Erhebung sollte den Wind abhalten, was mäßig gelang. Der Blick nach Norden auf die Stadt war dadurch versperrt, zumindest im Sitzen.

Salima hockte unter einem der Bäume auf einer Decke, vor sich ihren Laptop. Dieser war mit einem Lautsprecher verbunden, der zwar bei Weitem keine Clubgefühle aufkommen ließ, für ihre Zwecke aber vollkommen ausreichte. Um sie herum saßen Ivan, Boris, Yuriy, Mathilda und Giulia. Kai hatte sich schon gefragt, ob seine Kollegin auch eingeladen worden war, jedoch nicht die Zeit gefunden, sie darauf anzusprechen. Jetzt winkte sie ihm kurz zu, bevor sie sich wieder zu Mathilda drehte, während er sein Fahrrad neben zwei anderen auf den Boden legte. Ivan und Salima begrüßten ihn flüchtig. Sie hatten sich gemeinsam über den Laptop gebeugt und Salima schien Ivan irgendetwas zu erklären. Also schlenderte Kai zu Yuriy und Boris und drängte sich umständlich zwischen die beiden, um noch einen Platz auf der Decke zu ergattern. „Tag die Herren.”

„Na du kleiner Herzensbrecher”, sagte Boris übertrieben fröhlich, während Kai Yuriy flüchtig umarmte, „Hab da ganz unanständige Sachen über dich gehört.”

„Unanständig?”

„Glaub ihm kein Wort”, sagte Yuriy nah an seinem Ohr und Boris zwinkerte ihm bloß zu, statt zu antworten. Dann legte er sich auf die Seite, den Kopf in eine Hand gestützt. So hatten sie zu dritt mehr Platz und er hatte sie trotzdem gut im Blick. „Du hast nicht zufällig ein paar Bier mitgebracht?”, fragte er.

„Zufällig nicht”, entgegnete Kai, „Aber ich habe noch eine Flasche Wein im Büro gefunden. Ist in meinem Rucksack.” Auch er machte es sich nun bequemer, wobei der Abstand zu Yuriy etwas größer wurde. Da sie nur halb im Schatten saßen, trug Yuriy ein dünnes, langärmeliges Hemd über seinem Shirt. Die Jeans hatte er dafür bis zu den Knien hochgekrempelt. Auch Kai machte sich nun an den Beinen seiner Stoffhose zu schaffen, um sich etwas abzukühlen. Bei fast dreißig Grad durch die Stadt zu radeln war nicht schön.

„Gehen wir am Freitag zusammen in den Bunker?”, fragte Boris.

Kai hob den Kopf. „Dachte, du machst die Tür?!”

„Quatsch, ich will doch mit euch feiern! Wobei Yura ja schon Angst hat, dass wir nicht reinkommen…”

„Schwör, wenn ihr das verkackt, dann schläfst du unter der Brücke!”, sagte Yuriy.

Kai schmunzelte. Der Bunker hatte eine harte Tür, aber sie planten, schon gegen Mitternacht dort zu sein, was früh genug sein sollte, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Und vielleicht half es ja, dass sie auf der Gästeliste standen.

„Wer kommt denn noch?”, fragte er. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Boris sich unauffällig nach seinem Rucksack streckte. Er kam nicht ganz heran, war aber wohl zu faul, um aufzustehen.

Yuriy seufzte und begann aufzuzählen: „Du, Boris, Serjoga, Salima, Vanja, Mattie, Giulia, Raul, Lai, Rei, Mao, Garland, … ein paar Studienkollegen, aber keine Ahnung, ob die pünktlich sein werden, wahrscheinlich tauchen die um drei Uhr früh auf und kommen nicht rein. Bisschen peinlich, Kane hat gesagt, ich kann zehn bis zwanzig Leute organisieren, so viele kenn ich gar nicht. Jedenfalls keine guten.”

„Zwanzig Leute für lau in einem der besten Clubs der Stadt?”

„Jaah”, sagte Yuriy langgezogen, „Es kommt schon gut rüber, wenn du als Opener dafür sorgst, dass die Tanzfläche nicht völlig leer ist. Selbst im Bunker, wie es scheint. Ich glaube ja, Kane will mich ein bisschen antesten, aber was soll’s.”

Kai nickte und streckte die Beine aus. Die Musik, klangvoll mit einem seichten Beat, waberte über ihn hinweg. Mathilda und Giulia standen auf, um sich neben dem Deckenlager im Takt zu wiegen. Für eine Weile beobachtete er sie; irgendwann ließ Boris sich auf den Rücken fallen und schloss die Augen. Yuriy konnte er nicht sehen, aber er spürte ihn neben sich.

„Wie bist du eigentlich DJ geworden?”, fragte er irgendwann ohne sich umzudrehen. In Yuriy kam Bewegung, ihre Arme streiften sich, als er sich vorbeugte und wieder in Kais Blickfeld kam.

„Lange Geschichte, um ehrlich zu sein”, sagte er. Dann strich er sich nachlässig die Haare aus dem Gesicht, als überlegte er, wie er beginnen sollte. „Ich glaube, angefangen hat es tatsächlich, als ich ein Kind war und im Fernsehen die Loveparade gesehen habe. Das war schon ziemlich irre. Wir haben ansonsten nicht viel davon mitbekommen, ich meine, das war Ende der Neunziger, da war ich gerade noch in der Grundschule. Aber es gab schon ein paar Raver - Boris, weißt du noch, die Gestalten?”

„Die waren vierundzwanzigsieben drauf”, brummte Boris, ohne die Augen zu öffnen.

„Ja”, sagte Yuriy und es klang wie eine gute Erinnerung, „Und dank denen gab es auch Turntables in unserem Jugendzentrum. Da war so ein Typ, der einen auf DJ gemacht hat. Der hat mir dann die Basics gezeigt, als ich so vierzehn war. Da war Techno eigentlich schon wieder out, stattdessen haben alle Rap gehört - und die Nazis halt ihren Rechtsrock, wie immer.”

„Wie wir bei denen gerannt sind”, kam es wieder von Boris, „Ich schwöre, hätten die am Ende der Hundert-Meter-Bahn gestanden, ich hätte eine Eins im Sprint gehabt.”

„In Weitsprung und Ausdauer auch”, bestätigte Yuriy, „Die waren echt nicht ohne. Aber genau deswegen war Techno auch irgendwie so gut für mich. Das war so ein bisschen mein Ding, das hat sonst kaum jemanden interessiert. Lange Rede, kurzer Sinn - nach den ersten Raves war die Sache eigentlich klar.”

„Sag mal, war das eigentlich Sergeijs Schuld?”, fragte Boris.

„Ja, schon.” Yuriy drehte sich zu Kai. „Sergeij hat Kontakte und hat mich damals mitgenommen. Beim ersten Mal war es noch so richtig mit nachts rausschleichen und bloß rechtzeitig wieder zurück sein, damit meine Eltern nichts merken.”

„Und dann hat er mich mit reingezogen!”, echauffierte sich Boris grinsend, „Dabei war ich voll der coole Hip Hopper! Weiter Pullover, weite Jeans, nur das Cappi hat gefehlt.”

„Hat doch sowieso nichts gebracht, die Nazis sind trotzdem hinter dir her”, sagte Yuriy.

Kai konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass Boris vor jemandem Reißaus nahm, aber früher hatte er mit Sicherheit noch nicht seine jetzige Statur gehabt. Seine Jahre als Teenager im Internat erschienen ihm im Vergleich auf einmal ziemlich monoton.

„Das ist...anders als meine Jugend”, sagte er schließlich, weil er zwar viele Fragen hatte, es aber auch nicht der richtige Zeitpunkt war, sich so sehr in das Thema zu vertiefen. Yuriy schien das nur Recht zu sein, denn er stieß ihn für diese Bemerkung in die Seite und beließ es dabei.

„He Yura, kriegst du das am Freitag eigentlich bezahlt?”, fing Boris in diesem Moment wieder an.

„Japp. Kane und ich teilen entsprechend der Zeit.”

„Ist das normal?”, fragte Kai neugierig. Er hatte keine Ahnung, wie DJs arbeiteten, selbst von Yuriy hatte er noch nicht so viel mitbekommen.

„Ja, schon”, antwortete der ihm, „Wenn du bekannter werden willst, bist du auf Leute wie Kane angewiesen, die dich unterstützen und auch mal Veranstaltern empfehlen. Wir haben mit Ostblocc inzwischen einen guten Stand in der Berliner Szene, aber eben mehr so in den kleineren Clubs. Kane kann uns da echt weiterhelfen. Die anderen profitieren übrigens auch davon”, fuhr er fort und nickte in Richtung von Salima und Ivan. „Kane plant nämlich gerade eine Partyreihe für den Herbst. Sieht so aus, als könnte er uns alle vier da gut unterbringen. Und das ist echt großartig.”

„Aber ganz ehrlich”, kam es von Boris, „Opener ist doch ein Scheißjob. Oder? Ich meine, niemand ist da und du mühst dir die ganze Zeit einen ab, die Tanzfläche voll zu kriegen. Wie so ein Animateur.”

„Naja, gut, aber das bin ich ja auch, oder?”, entgegnete Yuriy amüsiert. „Mein einziger Job ist es, die Leute zum Tanzen zu bringen. Du weißt doch, wie lange ich im Zentrum Opener für alle möglichen Leute war, Boris. Elf bis eins”, sagte er an Kai gewandt, „Schlimmste Zeit, wirklich. Aber man lernt unglaublich viel.”

„Unglaublich, Herr Ivanov.”

„Fängst du schon wieder damit an.”

„Wir haben ihn früher auch immer Herr Ivanov genannt”, kam es in diesem Moment von Mathilda, die immer noch mit Giulia tanzte. „Der kann das ab.”

Kai beobachtete eine Weile, wie sich die beiden Frauen wiegten, als wären sie ganz allein auf der Welt. Augenblicke wie dieser übermalten die weitaus unangenehmeren Dinge, die gerade in seinem Leben passierten. Das letzte Telefonat mit seinem Großvater beispielsweise, der sich natürlich diebisch über seine Zusage gefreut hatte. Immerhin hatte Kai nun wieder Zugriff auf einen Teil seiner Vermögenswerte. Einige von ihnen würde er möglichst schnell und unauffällig zu Geld machen müssen, damit er ein bisschen Kapital besaß, wenn er Hiwatari Enterprises endgültig den Mittelfinger zeigte. Von Soichiro befürchtete er weiter keine Gefahr; natürlich würde der Alte die Wände hochgehen, aber wann tat er das nicht? Jürgens-McGregor waren eine ganz andere Sache. Die waren in Berlin etabliert und konnten ihm das Leben schwer machen. Aber mit ein bisschen Glück ließ sich das klären. Kai hoffte inständig, dass Ralf zur Vernunft kam und erkannte, wie Soichiro auch ihn an der Nase herumgeführt hatte. Das allerdings war nicht seine oberste Priorität. Nun hieß es erst mal, mitzuspielen und es so aussehen zu lassen, als wäre alles in Ordnung. Und was sprach denn dagegen, ganz nebenbei den Sommer zu genießen?
 


 

Am Freitag standen Kai und Boris kurz vor Einlass vor dem Club. Sie mussten trotzdem eine halbe Stunde in der Schlange stehen, was aber weitaus weniger war als die durchschnittliche Wartezeit. Kai war sich wirklich nicht sicher, ob er reinkommen würde. Es hieß, mit Schwarz konnte man nichts falsch machen, und wenn das Outfit nicht nach Fetisch aussah, sollte es bloß nicht zu aufgetakelt sein. Er trug also ein älteres Paar Stoffhosen und ein schon etwas ausgeleiertes Shirt und versuchte, das fehlende Stilgefühl mit Attitüde wett zu machen. Als er sich umsah, bemerkte er jedoch, dass er ganz gut zum Rest der Wartenden passte. Auch Boris sah nicht unbedingt so aus, als hätte er sich Mühe gegeben, doch zum ersten Mal fiel Kai auf, dass der andere mehrere Piercings im Ohr trug. Kurz bevor sie am Eingang ankamen, tauchten Giulia, Salima und Mathilda auf. Und siehe da, die Türsteher winkten sie alle ohne zu murren rein.

Kai war schon einmal im Bunker gewesen, denn für Zugezogene war das eigentlich Pflichtprogramm. Doch das war nun schon mehrere Jahre her, und so konnte er sich nicht mehr an alles erinnern. Eines war klar: Dieser Club war riesig. Er befand sich ein einem alten Kraftwerk, die verschiedenen Dancefloors waren auf drei Ebenen verteilt. Ganz oben gab es eine Bar und einen House-Floor. Die Haupthalle befand sich auf der mittleren Etage. Unten gab es einen Zugang zum Außenbereich und vor allem die Darkrooms, die für einige wilde Gerüchte und anrüchige Geschichten sorgten. Wie viel davon stimmte, wusste Kai nicht; beim letzten Mal war er erst gar nicht so weit gekommen. Auch heute schenkten sie den dunklen Ecken keine Beachtung, sondern nahmen die Treppen zur Tanzfläche.

Vielleicht lag es daran, dass es noch recht leer war, vielleicht waren seine Erinnerungen doch verschwommener als er dachte - für Kai war es auf einmal, als wäre er wieder zum ersten Mal hier. Vor ihm öffnete sich der Raum, eine riesige Industriehalle mit einer Decke, die sich weit über ihnen wölbte, getragen von Betonsäulen. Auf einer der Längsseiten befand sich eine Bar, die im Vergleich zu ihrer Umgebung winzig wirkte. An der Stirnseite gab es eine Erhebung, die sicherlich auch als Bühne genutzt werden konnte, heute aber im Dunkeln lag. Aus den Boxen dröhnte schon Techno, jedoch weit weniger intensiv, als sie es gewöhnt waren.

„Das ist noch Dose”, sagte Boris in sein Ohr. „Müsste aber gleich losgehen. Sollen wir was zu Trinken holen?”

An der Bar trafen sie Garland, Lai und Raoul. Letzterer war, wie sich herausstellte, zum ersten Mal überhaupt in einem Technoclub und sah sich ständig um, als wäre er auf einem fremden Planeten ausgesetzt worden. Langsam strömten immer mehr Menschen in den Raum, die ersten bewegten sich schon zur Musik.

„Ich liebe diesen Club einfach!” Als Kai sich umdrehte, standen Mathilda und Giulia hinter ihm. Mathilda wirkte als fühlte sie sich hier wie zu Hause und grinste ihn breit an. Giulia beugte sich währenddessen über den Tresen und bestellte.

„Legst du auch bald hier auf?”, fragte Kai.

„Oh, ich hoffe doch!”, entgegnete Mathilda. „Ivan ist auch schon ganz versessen drauf. Aber erst mal hat Kane uns ein paar andere Gigs besorgt, das wird auch schon ziemlich gut.”

„Sag mir Bescheid, wenn es soweit ist!”

„Bin sicher, Yuriy hält dich auf dem Laufenden.” Sie zwinkerte ihm zu und drehte sich wieder zu Giulia, die ihr ein Glas in die Hand drückte. Kai stieß mit ihnen an. Während er trank, bemerkte er, wie sich die Musik veränderte. Der Bass wurde tiefer, spürbarer. Sehr langsam erhöhte sich die Geschwindigkeit. Sein Blick wanderte zur Bühne, wo er das DJ-Pult vermutete, aber dort war noch immer alles dunkel. Vermutlich sollte der Fokus auf der Tanzfläche liegen, nichts die Tanzenden von sich selbst ablenken.

Boris auf seiner anderen Seite bewegte sich. „Geht los!”, rief er in Kais Ohr, denn inzwischen war die Musik so intensiv geworden, dass sie alle Gespräche schluckte. Und die Leute verstanden den Wink: Die Tanzfläche wurde immer voller. Auch Giulia und Mathilda stürzten sich ins aufkommende Gedränge. Kurz darauf folgten Lai und Raoul ihnen. Garland blieb zurück, wippte aber schon ein wenig im Takt auf und ab. Kai beugte sich zu ihm. „Hörst du ihn heute zum ersten Mal?”

„Ja”, antwortete Garland, „Also, bis auf das eine Mal auf der Hausparty, aber das war ganz anders.”

„Stimmt.” Kai trank sein Glas aus. „Wie geht es dir?”, fragte er, obwohl der Zeitpunkt für so ein Gespräch denkbar ungünstig war. Das war vielleicht auch ein wenig Selbstschutz.

„Besser!”, sagte Garland knapp und beließ es dabei.

„Gut.” Er stieß Boris an. „Gehen wir tanzen?” Daraufhin exte auch sein Begleiter seinen Drink. Kurzentschlossen schob Kai die Hand unter Garlands Arm und zog ihn mit, während Boris vorausging. Sie schoben sich zwischen den Tanzenden hindurch (was zu diesem Zeitpunkt noch recht einfach war) und fanden sich irgendwann im vorderen Drittel des Floors wieder. Ein paar Lichter geisterten über ihre Köpfe, die jedoch weit weniger grell waren als in anderen Clubs. Die Musik dröhnte inzwischen durch den Raum, füllte ihn aus. Kai war, als könnte er jeden Ton körperlich spüren, und es fiel ihm leicht, sich dazu zu bewegen. Es erstaunte ihn höchstens ein kleines Bisschen, zu sehen, dass auch Boris ein geübter Raver war. Garland war noch etwas zurückhaltend, taute aber zusehends auf, vor allem, als die anderen wieder zu ihnen stießen und sich ihr loses Grüppchen etwas vergrößerte. Auf einmal ragte Sergeij neben ihnen auf, schlug mit ihnen ein, bewegte seinen großen Körper erstaunlich kontrolliert und Kai hegte nun keinen Zweifel mehr daran, dass er derjenige war, der Yuriy auf seine ersten Raves geschleppt hatte. Von irgendwoher tauchten jetzt auch Salima und Ivan, Rei und Mao auf. Sie sprachen nicht viel untereinander, genossen einfach nur die Gesellschaft bekannter Menschen um sich herum.

Kai meinte, heute einen Unterschied zu Yuriys sonstigen Sets zu bemerken. Es war unverkennbar sein Stil, doch er musste sich auch Kane anpassen, damit der Übergang zwischen ihnen gut passte. Ein allzu harter Bruch würde beim Publikum nicht gut ankommen. Außerdem hielt er sich sicherlich zurück, denn Kane war das Highlight des Abends und sollte nicht schon vor seinem Auftritt übertrumpft werden. Soweit Kai das beurteilen konnte, machte Yuriy seinen Job aber ziemlich gut, denn die Stimmung war entspannt und es wurde langsam voll um sie herum. Das führte auch dazu, dass sie sich mit der Zeit in alle Richtungen verstreuten. Für eine Weile waren Mathilda und Giulia eng umschlungen neben ihm, dann wurden sie von der Menge verschluckt. Er meinte, schon weit früher bemerkt zu haben, wie Raoul Lai in eine dunklere Ecke zog, war sich dessen aber schon nicht mehr sicher. Und selbst der große Sergeij war irgendwann nicht mehr auffindbar. Bald konnte er nur noch Boris in seiner Nähe sehen, der selbstvergessen tanzte. Auch Kai blieb für sich, behielt den anderen aber im Blick, um nicht gänzlich allein zu sein.

Er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, als die Lichter begannen, etwas wilder zu kreisen. Auch die Musik wurde noch ein Stück lauter, obwohl Kai das nicht für möglich gehalten hätte. Auf der Tanzfläche war hier und da kurzer Jubel zu hören. War etwa Kane schon dran?

Es musste so sein, denn plötzlich war auch die Bühne beleuchtet. Hinter dem Pult warfen Beamer psychedelische Visuals an die Wand, während die Menge mit neuem Elan weitertanzte. Dank der plötzlichen Helligkeit konnte Kai flüchtig sehen, wie voll es geworden war. Es wurde eng um ihn herum, und er suchte wieder Boris’ Nähe. Der griff nach seinem Ärmel und hielt ihn fest, während es sich anfühlte, als würde eine Welle durch den Raum gehen. Kane konnte gut mit der Stimmung arbeiten und nahm Yuriys dröhnende Baselines auf. Mit der Zeit regelte er ihre Wucht aber etwas runter. Anscheinend legte er etwas mehr Wert auf die höheren Klangebenen.

„Wir können gleich mal an die Bar gehen und gucken, ob wir Yuriy finden”, rief Boris ihm zu, als Kane sich eingespielt hatte.

Das mussten sie aber gar nicht. Nur ein paar Minuten später schlang sich plötzlich ein tätowierter Arm von hinten um seine Mitte, und als Kai sich umdrehte, sah er als erstes das breite Grinsen in Yuriys Gesicht. Auch er war, wie fast immer, komplett in Schwarz gekleidet. Ein leichter Schweißfilm ließ seine Haut glänzen, seine Haare waren zerwühlt. Er wirkte komplett elektrisiert.

„Bist du high?”, fragte Kai ihn.

„Es war so geil, Mann!” Dann entdeckte er Boris. „Boryaa!” Sie umarmten sich überschwänglich und schaukelten ein paar Takte hin und her.

„Shots und Tanzen?”, rief Yuriy. Boris nickte nur und zog ihn zur Bar. Kai musste sich beeilen, damit er sie nicht in der Menge verlor. Er hätte inzwischen nicht mehr genau sagen können, in welche Richtung die Bar lag, aber Boris hatte scheinbar einen unschlagbaren Orientierungssinn. Auf ihrem Weg dorthin sprang ihnen plötzlich Mathilda entgegen, die Yuriy ebenfalls fest umarmte und lautstark sein Set pries. In ihrem Gesicht stand derselbe Ausdruck wie in Yuriys, während sie sich nicht enden wollende Liebesbekundungen zuriefen. Als Boris das zu viel wurde, stieß er den anderen weiter voran, und so landeten sie schließlich doch noch am Tresen. Yuriy bestellte die erste Runde Shots.

„Dieser Raum ist der Hammer!”, sagte er, als sie getrunken hatten, „Du spürst den Bass überall! Überall!”

„Du sollst doch nicht das Pult ficken!”, sagte Boris, der schon die zweite Runde an sie verteilte.

„Ich war so kurz davor!”, rief Yuriy. „Weißt du, wie die hier ausgestattet sind? Technik vom Feinsten, Soundanlage vom Feinsten… Ich will wieder zurück.”

„Erst mal tanzt du mit uns!”, beschloss Boris.

Natürlich musste Kai auch noch eine Runde Shots spendieren, bevor sie irgendetwas anderes machten; dann packte Yuriy ihn am Arm und zog ihn wieder zurück auf die Tanzfläche. Boris ging voraus und bahnte ihnen den Weg. Schon nach ein paar Metern konnte Kai die Menschen um sich herum nicht mehr unterscheiden. Dafür war das Licht einfach zu schummrig, die Strahler zu flüchtig. Je näher sie der Bühne kamen, desto stärker pulsierte der Beat in seiner Brust. Es war unmöglich, sich zu unterhalten.

Schließlich blieb Yuriy stehen und ließ ihn los, damit sie beide ihren eigenen Rhythmus finden konnten. Kai, das fiel ihm erst jetzt auf, hatte Yuriy noch nie tanzen sehen. Und so erfreute er sich an dem Anblick, achtete gar nicht so sehr darauf, wie er sich selbst bewegte. Sei Körper fügte sich instinktiv der Musik. Er beobachtete, wie Boris sich Yuriy langsam näherte, ihn von den umstehenden Menschen abschirmte und irgendwann von hinten umarmte. Yuriy schien gar nichts dagegen zu haben, im Gegenteil: Er warf dem anderen einen kurzen Blick über die Schulter zu, dann fielen sie in einen gemeinsamen Takt. Boris wirkte tiefenentspannt; er hielt Yuriy in einem lockeren Griff und lehnte die Stirn an seinen Kopf, schloss die Augen. Und Yuriy streckte die Hand nach Kai aus. Seine Lippen formten „Komm!” und seine Finger krümmten sich lockend. Kai zögerte vielleicht eine Sekunde, dann setzte er sich in Bewegung. Yuriy zog ihn zu sich heran, legte die Arme um ihn und Kai erwiderte diese Geste. Seine Hände fanden Boris’ Shirt; gleichzeitig fühlte er, dass Boris nun sie beide hielt; und Yuriy war zwischen ihnen, ihre Verbindung, ihr Zentrum. Kais Wange berührte seine Schulter und er ließ sich noch ein wenig mehr auf die Umarmung ein, ignorierte, was um sie herum passierte, konzentrierte sich stattdessen auf die Wärme und die Bewegungen der anderen beiden. Die Gefühle, die dabei in ihm aufkamen, waren ein bisschen überwältigend. Zum ersten Mal nach sehr langer Zeit, vielleicht auch zum ersten Mal überhaupt in dieser Stadt, war er im Einklang mit sich selbst. Inmitten hunderter Menschen fühlte er sich auf einmal sicher. Und was sollte er bloß mit dieser ganzen Liebe anfangen, die durch ihn strömte?

Als sie sich nach einer ganzen Weile wieder auseinandergingen, erschien die Luft um ihn herum für einen Moment kühl, bevor wieder all die anderen Eindrücke auf ihn einprasselten. Inzwischen war das Gedränge so dicht, dass er regelmäßig von anderen Körpern angestoßen wurde. Doch heute, und besonders in diesem Augenblick, war ihm das beinahe willkommen. Er hatte Nähe nie als etwas Schönes empfunden, zumindest nicht die Nähe von Fremden; jetzt wollte er Menschen um sich herum fühlen, ein Teil dieses Ganzen sein. Noch etwas benommen beobachtete er, wie Yuriy sich zu Boris umdrehte, der sich vorbeugte und ihm einen Kuss auf den Mund gab. Dann löste er sich gänzlich von ihnen und verschwand in der Menge. Kai sah ihm nach, bis er auf einmal Yuriys Lippen an seinem Ohr spürte. „Haben wir dich überrannt mit unserer Liebe?” Jetzt klang er wirklich ein bisschen high.

„Mich kann nichts mehr erschüttern!”, gab er zurück. Seine Arme fanden wie von selbst ihren Weg um Yuriys Taille. Der strich ihm mit beiden Händen durchs Haar, kam ihm dann wieder näher: „Tanzt du mit mir?”

Statt zu antworten zog Kai ihn zu sich heran, vergrub das Gesicht in seinem Nacken, und Yuriy schlang die Arme um seine Schultern. Jetzt war alles dunkel und warm. Fast war er versucht, seine Empfindungen in Worte zu fassen; er wollte, dass Yuriy wusste, wie dankbar er dafür war, ihn im Chaos dieser Stadt gefunden zu haben. Nicht nur, weil er mit seiner Hilfe aus der schlimmsten Misere der letzten Jahre herauskommen würde, sondern auch, weil er sich endlich wieder mit seiner Umgebung verbunden fühlte. Aber irgendwie wurden seine Gedanken nicht klar genug, um sich verbal auszudrücken.

Er spürte, wie der Bass durch sie beide vibrierte. Yuriys Hände strichen über seinen Rücken, seine Arme, beinahe meinte er, fühlen zu können, wie der andere lächelte, denn seine Wange lag auf Kais Scheitel.

Oh Gott, er wollte ihn küssen. Nicht so, wie Boris vorhin, sondern lang und intensiv und innig.

Sein Puls wurde stärker als die Musik; wahrscheinlich bemerkte selbst Yuriy das, so nah wie sie sich waren. Kai lockerte seinen Griff ein wenig, um den Kopf wieder heben zu können. Sein Blick traf den des anderen, und auf einmal war er sich sicher, dass Yuriy genauso sehr wollte wie er. Er spürte seine Hand im Nacken, wie sie ganz leicht Druck auf ihn ausübte. Yuriy lächelte ihn an, und er konnte nicht anders, als dieses Lächeln zu erwidern, während sie sich aneinander festhielten. Dann fielen seine Augen sehr langsam zu, er presste die flache Hand in Yuriys Rücken und Yuriy beugte sich vor und ihm war, als könne er die Lippen des anderen auf seinen fühlen -

Jemand rempelte sie von der Seite her an. „Ha, gefunden!” Sie verloren beinahe das Gleichgewicht, Kai packte Yuriy instinktiv am Arm und merkte, wie dessen Finger sich in seine Schulter krallten. So wurde auch ihre Umarmung aufgelöst, denn sie wichen automatisch voneinander zurück, um den Störenfried anzusehen.

Es war Ivan, und er schien entweder sehr genau oder überhaupt nicht zu wissen, bei was er sie gerade unterbrochen hatte.

„Kane ist scheiße”, rief er ihnen entgegen, „Yuriy - dein Set war der Hammer. Du solltest Kane ausbooten, ehrlich. Deine Transitions sind viel sauberer als seine.”

„Und das hättest du mir nicht morgen sagen können?”, fragte Yuriy entgeistert. „Bist du drauf?”

„Nein, aber!” Ivan hob den Finger und grinste verschwörerisch, „Und das ist der eigentliche Grund, warum ich euch gesucht habe - Salima hat da ein bisschen Zeug gefunden und wir wollten fragen, ob noch jemand mitmacht. Na?”

Yuriy und Kai sahen sich an. Sie konnten wohl beide nicht so recht glauben, was hier gerade passierte. Yuriy prustete als erster los, dann steckte er Kai mit an. „Vanja, nein!”, rief er lachend, „Und jetzt verpiss dich, okay?!”



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  WeißeWölfinLarka
2020-06-14T17:34:01+00:00 14.06.2020 19:34
Liebe Jay, ich fühle dein Vorwort sehr. Und, wie du vielleicht schon weißt oder es dir denken kannst, Großstadtgeflüster ist mir sehr ans Herz gewachsen und ich glaube, ich werde ein bisschen weinen, wenn es zu ende ist, weil – eben genau wie du beschreibst, es hat Sommergefühle, dann die Playlist dazu, das ist alles so… Spätfrühling/Sommerlich, und ich werde es sehr vermissen. Wirklich. (Aber dann kann ich es ausdrucken und ins Regal stellen und immer wieder rausholen! Oh yeah! Das tröstet mich.)

… Giulia, du altes Plappermaul XD
(Wobei ich mir auch die Frage stelle. Du bringst uns um Yuka-Smut, und geknutscht haben sie auch noch nicht, Was zum Fick, jay? ARgh! )
Und das vor Moses, na, wenn der ihn das nächste Mal trifft, ob er da nachfragen wird? :DD Allein die Tatsache, dass Kai ihm den „Tipp“ offenbart, finde ich sehr herzerwärmend, und auch die Reaktion von Moses darauf. Ihn könnte ich mir sehr gut im Betriebsrat vorstellen.
Ohhh, mir kommt grad der Gedanke, dass Kai die vier ja nicht einweihen kann, in alles, und das zumindest Giulia vllt doch noch drauf kommen könnte, dass da krasser Scheiß im Hintergrund abläuft? Vor allem, wenn Kai CEO wird? Oder wird das erst gar nicht bekannt? Oh mannomann… SPANNEND!

Haaaaaaaaaaaaaaaaaaaaach.
Ich liebe die Art, wie Yuriy Einladungen simst.
: )
Das wärmt mein wohlig Herzelein. Und Kais Antwort darauf! Na, muss er entweder wieder in Schwarzen Klamotten mit Lederjacke antanzen – oder er fragt Stilberater Takao erneut :D
Hmmm… Schöner Einstieg in das Kapitel, tralalala! :)


Ich mag diese Beschreibung vom Tempelhofer Feld sehr. Und dass Kai die lange Strecke zum „Fliegen“ (so find ich nämlich, dass sich das anhört) nutzt, ist wirklich toll.
Und dann schmeißt er sein Rad zu zwei anderen. Das hat alles so eine recht sorglose Atmosphäre, das erinnert mich an Kinder/Jugendzeit, wo man mit den Rädern irgendwo hinfährt, abstellt, auf Bäume Klettert, oder picknickt. Ein tolles Gefühl!
Und es ist wirklich soooooo toll, wie sie sich auf den Bunker freuen! Wundervoll! Großartig! Boris vibriert irgendwie auch voller Vorfreude, und das ist so goldig an ihm, und so bodenständig!
Und Yuriy freut sich so. Ich freu mich für Yuriy. Und dieses entspannte Sitin, das gibt mir fühls!
Und Mensch Yuriy, du hast ja schon 12 Leute beisammen, plus die Studienkollegen. Das ist doch gut! Achh, das wird schon, aber ich verstehe voll, dass er nervös ist – ich mein, DER BUNKER!! Da wollte er immer schon rein.

Oh diese Erinnerungsphase. Das ist urlieb und auch traurig in gewisser Weise. Ich merke, dass man echt in einer Blase leben kann, ohne etwas mitzukriegen, wenn man nicht selbst betroffen ist. Ich hätte nicht gedacht, dass das mit den Nazis so schlimm war, ich mein, du beziehst dich ja sicherlich auf u. a. wahre Begebenheiten?
Heftig eh.

Ich find’s allgemein urgut, dass man hier noch mehr Einblicke in Yuriys Leben kriegt. Und dass Boris immer wie aus dem Off noch was zum Besten gibt. XD

>>„Unglaublich, Herr Ivanov.”
„Fängst du schon wieder damit an.”<<
XD Ich liebe das!
Erstens: BROMANCE ftw.
Zweitens: ♥ Es ist einfach lieb, wie Kai Yuriy neckt. Das tun Freunde. :D SCHÖN!!!

Ah, ok, also doch? Ja? Kai möchte den Sommer genießen? Ich hoffe, wir kriegen einen Mini-Urlaub mit Kai und den Bois. :)

Ach, und ich find, wenn die Erinnerung so verschwommen ist… dann ist einmal keinmal und Kai ist wirklich zum ersten Mal im Bunker. Lol.

Ehrlich, ich liebe sehr vieles an dieser Fic, aber ich bin auch immer wieder sehr beeindruckt von Yuriys DJ-Fähigkeiten. Ich finde, du fängst die Atmosphäre sehr gut ein und ich fühle mich mitgetragen von der Musik. Selbst ohne dass ich Musik höre.

Hmm, ja, erzähl mir mehr von Boris als geübtem Raver… #TheTHIRST

Und was macht Sergei eigentlich in dieser Story? Irgendwie… hab ich ihn bis auf die eine Hausparty gar nicht mehr fix in Erinnerung…? Ich find seine Rolle hier passend, dass er Yuriy eingeführt hat. (Und ja, ich denke an Hipster Viking) XD

Und es ist sehr lieb, dass Kai Boris‘ Nähe sucht – und dass Boris auch nach Kai greift, als die Welle über die Masse kommt. Ich bin gespannt, Yuriy ist sicher total verschwitzt aber mega begeistert von seinem Gig, hm? Oh, der Liebe, ich freu mich so sehr für ihn!
Und oh, du schaffst es echt, dieses Freudengefühl in Yuriy aufleben zu lassen. „Elektrisierend“ ist ein so gutes Wort dafür! Oh, und ich mag die Beschreibung von dem tätowierten Arm, der sich um Kai schlängelt. Wundervoll, verursacht wohliges Kribbeln im Bauch, find ich :D
Argh, und diese Unterhaltungen über fickbare Pulte. Omg. LIEBE!

ASKDEJFKDLJFKLEFJKLEFJEKLLFJLKAdjkfdkfjkdjfkldjf!!!!
BoYuKa-Trockenfick-auf-der-Tanzfläche?
Ich schmelze! Ich kann nicht in Worte fassen, diese Szene wirkt so wholesome auf mich, es ist magisch!
Oder nein, vielmehr ist es eine Mini-Love Parade? Kais Satz über die ihn durchströmende Liebe sprengt meine Brust vor Glückseligkeit!
Und der Kuss von Yuriy und Boris! Ich hab mir schon geahnt, dass sowas kommt, einfach weil die Art der beiden zu tanzen so vertraut und intim war.
(Kann es sein, dass es ohne BoYu-Küsse in all unseren Fics nicht mehr geht? Bei Mitternachtsblick ist es Saldenlistenkönigs Lieblingsmensch, bei dir hier, diese Szene, bei mir Brüderküsse in Love despite… Jetzt fehlt nur noch FreeWolf mit einer BoYu-Szene. Aber sie versorgt uns ja mehr mit Kakaomi:D)
Hach, und wie Yuriy das dann nonchalant sagt… Verschreckt mit Liebe. Nein, Mann – eingefangen hast du ihn dir jetzt!

Ich möchte Ivan erwürgen. Jetzt gleich, und zwar mit Wyborg um seinen Hals, WALLA!
Ich war so im Flow, dass sie sich küssen und dann dieser DEPPPPPPPPP! ICH FLIPP AUS!
*huff huff*
Aber ich mag das Ende, es ist so ein nettes „Verpiss dich“, das irgendwie immer nur Yuriy drauf zu haben scheint. Das mag ich sehr an ihm.
Mhmmm.. Aber ich will einen Kuss! Einen Richtigen! Argh Mann! GIMME!

Von:  LittleLionHead
2020-06-11T16:49:39+00:00 11.06.2020 18:49
Aaaaawww. Endlich ist es (fast) passiert, und mein Herz hüpft. Unglaublich dass sich diese wundervolle Geschichte dem Ende zu neigt. Ich kann mir noch gar nicht vorstellen wie es ist wenn es nichts neues aus der Hauptstadt gibt... Aber bestimmt hast du schon viele tolle neue Ideen und vielleicht gibt es ja noch die ein oder andere Sidestory. Zum Beispiel wenn die Jungs im September ans Meer fahren. ❤️
Dieses Kapitel war einfach das wunschlos-glücklich-Paket. Hier findet so vieles zusammen. Und dass du Spaß hattest merkt man tatsächlich :) Ich liebe die Clubszene wieder sehr. Insbesondere den kurzen BoYuKa-Moment. Aber natürlich auch alles was danach kommt, und alles was dorthin geführt hat. LIEBE!
Antwort von:  lady_j
12.06.2020 12:26
Tjaaaaa, eventuell (!) gibt es Ideen wie ich euch weiterhin nerven kann. Noch nicht ausgegoren, aber es gibt sie. Und es warten ja auch noch andere ffs auf meine Aufmerksamkeit *pfeif*
Von:  Mitternachtsblick
2020-06-11T12:10:06+00:00 11.06.2020 14:10
JAY DU BIST SO GEMEEEEEEEEEEIN
Zuerst werden wir hier mit LIEBE und BoYuKa Vibes überrollt und ich fühl mich beim Lesen dieses Kapitels genauso high wie Yuriy und dann kommt Ivan und ist ein ganz hundsgemeiner Cockblocker! Blerghl ich kann nicht mal richtig böse sein, weil‘s schon irgendwie so passt. Und generell hach. Ja, man merkt den Sommer, man merkt, dass es einem Ende zugeht, aber es ist ein schönes Ende, eines mit ganz viel warmen Gefühlen und eins, wo alle irgendwie ein bisschen mehr dort sind, wo sie sein sollen bzw. sein wollen. LIEBE! ❤️
Du würdest ja eigentlich ein wesentlich elaborierteres Review mit einer tiefgründigen, raumtheoretischen Analyse der in diesem Kapitel angewandten Stadträume und ihrer Rolle im Entwicklungsprozess der einzelnen Charaktere verdienen, aber ich bin alt und müde, also muss das reichen, sorry. :x
Antwort von:  lady_j
12.06.2020 12:27
Mein Gott ich bin so heiß auf diese Raumanalyse, hnnnng. Irgendwann, wenn wir mal angetüdelt im discord hängen, meine Liebe.
Von:  FreeWolf
2020-06-11T11:24:23+00:00 11.06.2020 13:24
Das war herrlich wholesome
Antwort von:  FreeWolf
11.06.2020 21:52
Ok, jetzt bin ich etwas eloquenter: Ich habe das Kapitel heut Mittag richtiggehend inhaliert. Ich finde es toll, zu sehen, wie Kais und Yuriys Plan, Soichiro so richtig eins reinzuwürgen, in die erste Phase geht, auch, dass Kai sich ganz eindeutig doch ein wenig in Berlin eingelebt hat und das vor allem im Bunker spürt. Ich fühle Sommer, ich fühle Liebe, ich habe mir sowohl den privaten Minirave genauso wie Yuriys Auftritt im Bunker sehr toll vorgestellt. Ich hab mich, wie Elli, beim Lesen in etwa so High gefühlt wie Kai und das war einfach nur grandios.
Im Bunker mag ich, wie Kai immer wieder jemanden im Blick hat, mit dem er hier ist bzw. den er kennt. (Kudos, dass es Garland besser geht!), und hach, die BoYuKa-Momente waren einfach nur schön. Wenn Kai mit Boris' und Yuras Liebe vielleicht nicht überfordert war, ich schon ein wenig - aber auch schon vorher. Ich finde deinen Take dabei aber echt schön und würde gern mehr mit den dreien Lesen.
Vanja hatte echt grandioses Timing - aber dafür sehnen wir uns noch etwas länger nach einem Kuss (und Jay, wenn sie sich nicht am Ende küssen, dann bin ich glaub ich ein bisschen beleidigt)
Antwort von:  lady_j
12.06.2020 12:29
Ich war auch voller liebe und das hat irgendwie abgestrahlt? Weißt, wenn so höhere Mächte deine Finger leiten *hust*. Übrigens liebe ich deine ein-Satz-Kommentare, die geben so schön den Gesamteindruck wieder xD
Werden sie noch knutschen? Werden sie nicht? Tja. Wer weiß.


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