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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Treulos

François schlug seine Äuglein auf, als ihn jemand berührte und sanft rüttelte. Er lag neben seiner Mutter – warm und behütet, aber derjenige, der ihn weckte, wollte anscheinend, dass er aufstand. Er blinzelte durch das helle Licht des Morgens und noch schlaftrunken drehte er sich auf die andere Seite um. Das alternde, runde Gesicht der Großmutter seines Ziehvaters zeigte Zufriedenheit. „Aufstehen François und wecke Lady Oscar nicht.“

 

Der Junge nickte stumm und legte ein Zeigefinger auf seine Lippen. Sophie schmunzelte. „Ja, hast recht, wir sollen leise sein. Komm, ich helfe dir.“ Sie schob vorsichtig die Decke und Oscars Arm von ihm weg, damit er mehr Platz hatte. François kletterte vom Bett herunter und achtete sorgsam darauf, seine Mutter nicht zu wecken. Sophie nahm ihn bei den Schultern und verließ mit ihm das Schlafzimmer. „Wir decken den Tisch zum Frühstück.“, flüsterte sie und der Junge nickte wieder, dass er sie verstand. Er stieg auf einen der Stühle am Tisch, blieb darauf knien und begann das Geschirr von dem Tablett abzustellen.

 

„Die Tasse und die Teller lass auf dem Tablett.“, sagte leise Sophie. „Lady Oscar wird heute im Bett frühstücken. Sie ist doch verletzt und darf deshalb nicht aufstehen.“

 

„Wie lange?“, fragte er kaum hörbar und stellte das Geschirr wieder auf das Tablett zurück.

 

Sophie bestrich gerade eine Brotscheibe mit Butter und dann mit Erdbeermarmelade. „Nun, solange Doktor Lassone sagt, dass sie wieder aufstehen darf. Aber bis dahin muss sie im Bett bleiben.“ Sophie legte die beschmierte Scheibe Brot auf den Teller und nahm die Teekanne. „Jetzt geh und wasch deine Hände und dein Gesicht. Du weißt, wo alles steht.“

 

Wortlos stieg der Junge vom Stuhl, ging zu der Kommode im Nebenzimmer und holte Tücher. Eine Schale und ein Krug, bereits gefüllt mit Wasser, standen darauf. Er goss das Wasser in die Schüssel und machte die Morgenwäsche, so wie es ihm beigebracht wurde. Im Salon ging die Tür auf und jemand betrat ihn. Schnell rieb er sich das Gesicht und die Hände trocken und kam zurück in den Salon. Madame de Jarjayes bemerkte ihn, noch bevor sie das Schlafzimmer ihrer Tochter erreichte. „Du bist schon hier?“

 

„Mama schläft.“, meinte François leise und ging zurück zum Tisch, wo die Hausherrin zum Stehen kam.

 

„Du bist schon wieder größer geworden.“ Emilie strich zu Begrüßung durch die hellbraunen Locken und schaute ins Schlafzimmer rein. Sophie half Oscar gerade beim Aufsitzen und stopfte ihr das Kissen hinter den Rücken. Emilie vergaß sogleich den Jungen und ging besorgt ans Bett ihrer Tochter. „Oscar, mein Liebling, wie geht es dir? Die Königin hat mich sofort beurlaubt, als wir über den Unfall erfuhren und hat mich nach Hause geschickt, damit ich mich um dich kümmern kann.“

 

„Danke, Mutter, mir geht es besser als gestern.“ Oscar sah sich um und runzelte die Stirn. „Wo ist François? Er war doch die ganze Nacht bei mir.“

 

„Hier, Mama!“, rief der Angesprochene aus dem Salon und alle richteten die Blicke zu ihm. Er saß kniend auf dem Stuhl, mit dem Rücken zum Tisch, hielt sich mit einer Hand an der Lehne und mit der anderen winkte er seiner Ziehmutter zu.

 

„Du kannst ruhig wieder reinkommen. Lady Oscar ist ja wieder wach.“, sagte Sophie, aber der Junge schüttelte mit dem Kopf. „Gespräch der Frauen.“, wandt er ein und alle mussten schmunzeln. „Welch ein anständiger und vornehmer, junger Mann!“, bemerkte Emilie dabei entzückt.

 

„Er lernt schnell, Madame.“ Sophie nahm den Teller vom Tablett, welches sie auf dem kleinen Tisch in der Nähe des Bettes abgestellt hatte, und hielt es vor Oscar.

 

„Danke.“ Oscar nahm die Scheibe Brot, die schon beschmiert mit Butter und Marmelade war und biss hinein. Das war ihr gewöhnliches Frühstück jeden Tag und sie wollte nie etwas anderes. Bis auf den Tee, den Sophie bereits in eine Tasse eingoss.

 

„Guten Morgen die Damen, Madame de Jarjayes.“ André tauchte an der Bogenöffnung zum Schlafzimmer auf und verneigte sich vor der Hausherrin.

 

„Endlich bist du aufgestanden!“, brummte sogleich Sophie, ging zu ihm und drückte ihm die Tasse mit Tee in die Hände. „Das ist eigentlich deine Aufgabe! Aber nein, muss ich immer alles erledigen, bis der Herr ausgeschlafen hat!“

 

„Verzeiht, Großmutter.“ André nahm den Unterteller mit der Tasse an sich und begab sich ans Bett. Oscar aß derweilen ihr Brot auf, ohne ihn anzusehen. André nahm ihre abweisende Haltung nicht zu Herzen. Sie machte das bestimmt wegen der Anwesenheit ihrer Mutter und seiner Großmutter.

 

„Du bist und bleibst ein Nichtsnutz!“, schimpfte seine Großmutter mürrisch hinter ihm.

 

„Was ist ein Nichtsnutz?“, fragte François aus dem Salon und begriff nicht, warum sie seinen Ziehvater so nannte.

 

„Ein Nichtsnutz ist der, der nichts macht und immer zu spät kommt.“, erklärte Sophie und ging zu ihm in den Salon.

 

„Aber Papa macht sich Sorgen um Mama und pflegt die Pferde.“, widersprach der Kleine und André mit Oscar mussten sich ein Grinsen verkneifen. François war ein richtiger Goldschatz, dass er sogar der meist so strengen Haushälterin das Herz einweichen konnte, ohne dabei etwas getan zu haben. Vielleicht lag es daran, weil er noch ein kleines Kind war.

 

„Ja, das stimmt schon, aber das ist etwas anderes.“ Sophie nahm eine andere Scheibe Brot aus dem Korb, der auf dem Tisch stand, legte eine Scheibe Käse darauf und gab es dem Jungen. „Hier, iss erst einmal etwas, damit du groß und stark wirst.“

 

Oscar beobachtete ihn die ganze Zeit, während sie nach dem Essen den Tee trank, den André ihr gereicht hatte und hörte mit halben Ohr zu, wie er ihrer Mutter die gestrigen Ereignisse erzählte. Unwillkürlich musste sie an Graf von Fersen denken und in ihrem Brustkorb entstand wieder dieser Druck wie gestern. Warum nur? Was empfand sie für den Grafen aus Schweden? Etwa das Gleiche wie Marie Antoinette? Aber wie war das möglich? Sie liebte doch André! Oder etwa nicht mehr? Oscar konnte diesen Gedanken kaum noch ertragen und schämte sich, dass sie solche Gefühle zu einem anderen Mann überhaupt zuließ. Und das auch noch in Anwesenheit von André! Wie niederträchtig und gemein! Oscar trank schnell ihren Tee aus und unterbrach ihn bei seiner Erzählung. „Du kannst die Tasse wegbringen, André, ich bin satt.“

 

André stellte die Tasse auf das Tablett zurück auf den kleinen Tisch. „Brauchst du noch etwas, Oscar?“ Das war eine Frage mit versteckter Botschaft, um noch einmal zu ihr zu kommen, wenn niemand mehr außer sie beide in ihrem Zimmer war.

 

Oscar hatte die versteckte Botschaft verstanden und hätte es mit Freuden angenommen, wenn ihre Gefühle wegen dem Grafen aus Schweden nicht gerade hin und her gerissen wären. „Nein, Danke, ich werde noch ein wenig schlafen.“, sagte sie deshalb und mied noch immer seinen Blick.

 

„Dann ruhe dich aus, mein Liebling.“ Emilie kam an das Bett und küsste Oscar auf die Stirn, bevor sie sie verließ. „André, du bringst mir Tee in meinen Salon und erzählst mir dort genauer, was gestern passiert war.“, ordnete sie an und ging.

 

„Jawohl, Madame.“ André nahm das Tablett vom Tisch und schaute kurz zu Oscar. „Ich sage Bescheid, wenn Doktor Lasonne da ist.“ Er schaffte das Tablett in die Küche, ein Dienstmädchen bereitete den Tee zu und André brachte es in den Salon von Madame de Jarjayes, mit einem mulmigen Gefühl, dass mit seiner Oscar etwas nicht stimmte.

 

In den Gemächern von Oscar half Sophie ihrem Schützling sich wieder hinzulegen und räumte im Salon den Tisch ab. François nutzte das aus und kam noch einmal zu seiner Ziehmutter ans Bett. „Bis später, Mama.“

 

„Bis später.“ Oscar verabschiedete ihn und als sie alleine blieb, konnte sie ihre Tränen kaum zurückhalten. Nicht nur, weil sie den Jungen nicht als ihren Sohn bezeichnen durfte, sondern wegen André. Seit sie gestern von Fersen wiedergesehen hatte, bekam sie eigenartige Gefühle zu ihm, die sie nicht deuten konnte und das machte ihr zu schaffen. Sie hoffte sehr, dass es nur die Schwäche wegen ihrer Verletzung war und wenn sie wieder gesund sein würde, dann würde alles wieder beim Alten sein. Das war eine törichte Hoffnung...

 

Oscar verfluchte sich mit jedem Tag mehr dafür, dass sie neben ihrem geliebten André, auch zu einem anderen Mann etwas empfand. Sie wusste zwar nicht, was genau das war, aber sie fühlte sich wie eine gemeine Verräterin gegenüber den zwei Menschen, die sie eigentlich am meisten liebte.

 

Die Hoffnung, die sie vor zwei Wochen gehegt hatte, war zerplatzt, sobald sie ihren Dienst in Versailles wieder antrat und Graf von Fersen dort antraf. Er wollte auf Wunsch seines Vaters heiraten und hatte das auch der Königin gesagt. Oscar hatte Tränen in den Augen ihrer Majestät bemerkt und stellte von Fersen wenig später zu Rede. „Wieso habt Ihr der Königin davon erzählt?!“, verlangte sie von ihm zu wissen, aber bekam keine Antwort. Sie wurde ungeduldig und gereizt. „Ich habe Euch etwas gefragt, antwortet!“

 

„Hätte ich ihr denn sagen sollen, dass ich sie liebe? Ihr habt offenbar vergessen, dass sie die Frau des Königs von Frankreich ist.“, schleuderte Graf von Fersen verzweifelt ihr ins Gesicht und schämte sich gleich darauf für seinen Ausbruch. „Ich verstehe mich selbst nicht, wie ich es wagen kann, solche Gefühle für die Königin zu empfinden. Das war der eigentliche Grund, warum ich es ihr vorhin gesagt habe. Ich hatte einfach keine andere Wahl, um endlich wieder klar denken zu können, um mich endlich von Marie Antoinette lösen zu können.“

 

Seine so offenherzigen Worte bezüglich der Frau, die er niemals lieben durfte, hatten Oscar zu tiefst berührt. Den restlichen Tag dachte sie nur an dieses kurze Gespräch und es zerriss ihr die Seele - so sehr, dass sie Zuhause alleine sein wollen. Zum Glück war François schon im Bett, als sie auf das Anwesen de Jarjayes ankamen, und André musste noch die Pferde von der Kutsche lösen und sie versorgen. Weil sie noch ihren rechten Arm in der Schlinge trug, durfte und konnte sie nicht reiten. Aber sobald der Verband entfernt sein würde, würde sie das tun. Am besten wollte sie weit fortreiten: von hier und von ihren Gefühlen!

 

Oscar schenkte sich ein Glas Wein in ihrem Schlafzimmer ein und nahm einen großen Schluck. Die Stichwunde an der Schulter war so gut wie verheilt, aber nicht die Wunde, die in ihrem Herzen entstand.

 

Sie setzte das Glas von ihren Lippen ab und stellte es auf den Tisch. In der roten Flüssigkeit bildete sie sich ein, Graf von Fersen und Marie Antoinette in einer tiefen Umarmung zu sehen. „Was könnten die beiden nur für ein wunderbares Paar abgeben, wenn es ihnen erlaubt wäre, sich zu lieben.“ Dann war die Einbildung weg und sie sah sich selbst in dem Wein. „Aber was ist mit mir nur auf einmal los?“ Sie stand vom Stuhl auf, ging zu ihrem Bett und fiel rücklings auf die Matratze.

 

Im Salon ging die Tür auf und Oscar saß auf. Schuldgefühle und Gewissensbisse stiegen in ihr hoch, als André zu ihr kam und sich neben sie hinsetzte. „Ich habe alles erledigt. Jetzt kann ich noch ein wenig bei dir bleiben.“

 

Ja, das wäre schön, aber... „Ich sagte doch, ich will heute alleine sein.“, sagte sie ein wenig schroff und das tat ihr selbst weh.

 

„Wie du willst.“ Zärtlich legte André ihr seine Hand auf die Wange und wollte ihr ein Kuss schenken, als Oscar ihr Gesicht abwandte und ihren Blick senkte. André stutze, denn sie hatte das noch nie getan. „Was ist los mit dir?“

 

„Nichts. Meine Schulter schmerzt noch.“, log sie und fühlte sich miserabler als vorhin.

 

„Verstehe.“ André erhob sich. Ihm kam es so vor, als verheimliche sie etwas vor ihm. „Dann komme ich morgen vorbei. Schlaf schön… Liebes.“

 

„Danke. Schlaf du auch schön… Geliebter.“ Oscar sah ihn gehen und dabei schrie ihr Herz, sie sollte ihn zurückholen. Er sollte sie in seine starken Arme nehmen und nie mehr loslassen! Warum dann aber hatte sie ihn gerade gehen lassen? Oscar verstand sich selbst nicht mehr und fiel erneut rücklings in die Matratze. Sie bedeckte ihr Gesicht mit der Hand und konnte sich kaum noch ertragen. Sie war nicht nur eine Rabenmutter, sondern auch eine treulose Geliebte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tito
2020-01-04T13:47:07+00:00 04.01.2020 14:47
Arme lady oscar , Gefühlschaos bin gespannt wie es weitergeht
Antwort von:  Saph_ira
09.01.2020 17:44
Dankeschön. :-) Ja, Oscar hat es zur Zeit nicht leicht mit ihren Gefühlen...


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