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Die Farbe Grau

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: alles nicht mir bis auf die Ideen zu dieser Geschichte.

Sodele, Endspurt, Leute. Dies ist der vorletzte Teil. Komplett anzeigen

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Die Neutralisierung

Die muffige Hitze, die ihnen entgegen geschlagen war, als sie das Haus betreten hatten, war Aya immer noch in der Nase, auch jetzt noch, Stunden, nachdem sie wieder hier eingezogen waren und alle Fenster aufgerissen hatten in dem fruchtlosen Versuch zu lüften. Sein Shirt klebte an ihm, weil er anscheinend in den letzten Wochen, die er am Meer verbracht hatte, verlernt hatte, die schwüle Hitze der Metropole auszuhalten. Unangenehm drückend schien es Aya und so fand er auch nicht wirklich Schlaf in seinem kleinen Zimmer mit den Bücherregalen, wie es Crawford ihm bei Lasgo damals mit zynischer Bitterkeit an den Kopf geworfen hatte.
 

So vertraut ihm sein Raum vorher gewesen war, so fremd war er nun und vor allen Dingen so ungeliebt. Niemals würde er es offen zugeben, aber er sehnte sich nach dem Haus am Meer, seiner weitläufigen Nonchalanz und seiner klaren, offenen Inneneinrichtung. Wer hätte das gedacht? Er sicherlich nicht. Ebenso wenig wie er mit der Bitterkeit gerechnet hatte, die ihn seit dem heutigen Tag nicht mehr losließ, wenn er an Crawford dachte. Wie es der Anführer von Schwarz geschafft hatte, innerhalb von Wochen von einer Person, die er töten wollte, zu einem Mann geworden war, mit dem er das Bett geteilt hatte und dessen mentaler Tod ihn nun mehr mitnahm, als er es vermutet hätte.
 

Aya wusste nicht wohin mit dieser Bitterkeit und so blieb er wach, ungeachtet der Tatsache, dass sie morgen früh ihren Laden wiedereröffnen würden und das laute und unnötige Gequietsche der Mädchen seine ohnehin schon starken Kopfschmerzen vermutlich in weitere Höhen treiben würde. Aufstöhnend ließ er sich auf sein Bett zurückfallen und starrte auf die andere Häuserwand, die ihm noch nie so nah vorgekommen war wie in diesem Moment. Der Lärm der entfernten Hauptstraße drang penetrant durch das geöffnete Fenster.
 

Den Sieg über Takatori hatte er sich anders vorgestellt: triumphal, euphorisch, ein Wendepunkt in seinem Dasein, nun, da er den Mann besiegt hatte, der für all das hier verantwortlich war. Doch nichts von dem war eingetroffen. Sein Leben ging weiter, als hätte es diesen Einschnitt nie gegeben. Er würde immer noch Blumen verkaufen, Aufträge erfüllen, für Gerechtigkeit sorgen, bis er irgendwann einmal starb oder getötet wurde. Seine Schwester würde, wenn er Glück hatte, erwachen, doch noch sah es nicht so aus und er würde den Teufel tun, Schuldig nach Ayas Zustand zu fragen.
 

So verzweifelt war er dann doch noch nicht, auch wenn eine kleine, nagende Stimme ihn immer wieder darauf hinwies, dass Schuldig anscheinend mit seiner Schwester in irgendeiner Form kommuniziert hatte und es eventuell noch einmal tun könnte.
 

Aya seufzte und presste sich die Handballen auf die Augen, als er sich mit Gewalt von diesem Thema ablenkte und dann unweigerlich wieder bei dem landete, was Crawford und er geteilt hatten. Wie bei einem Gewitter hatte sich die Spannung zwischen ihnen aufgebaut, bis sie in der letzten Nacht ausgebrochen war. Sie hatten gar nicht voneinander lassen können, so schien es Aya und seine anfängliche Unsicherheit, wie weit er mit dem Orakel aufgrund seines Traumas gehen konnte, war durch verschiedene Tonlagen an Grollen sowie durch eindeutige Reaktionen austariert worden. Natürlich hatte Aya Fehler gemacht, doch diese waren ihm verziehen worden und so hatte er den Mann, den er vor Wochen am Wenigsten in seine engere Auswahl für einen potenziellen Bettpartner mit einbezogen hätte, als eben solchen gewählt.
 

Und es nicht bereut.
 

Er stöhnte unterdrückt. Oh nein, und wie er es so gar nicht bereut hatte. Crawford wusste, was er tat und das, was er tat, hatte er mit der gleichen überlegenen, arroganten Sturheit getan, mit der er auch sein Team führte. Natürlich hatte das Orakel gewusst, womit er ihn zur Verzweiflung treiben konnte. Natürlich hatte er jede verdammte, erogene Zone gefunden und solange umschmeichelt, bis Aya aus dem Fluchen nicht mehr herausgekommen war. Stück für Stück hatte Crawford ihn süchtig gemacht nach sich selbst und nun saß Aya auf dem Trockenen, mit nichts als seinem unmöglichen Wunsch nach einer Wiederholung.
 

Wie unfair und ungerecht es doch war, dass der Anführer von Schwarz trotz seines Erfolges, trotz seiner Bereitschaft, für sein Team und seine Organisation alles zu geben, nichts bekam. Nichts, außer seinem eigenen Tod, ausgeführt von seiner Mutter, die ihn zu einer willenlosen Marionette machte. Welche Mutter würde so etwas tun? Aya schnaubte und drehte sich auf die Seite, weg von der nahen Häuserwand und den geschäftigen Geräuschen einer Stadt, die niemals stillstand.
 

So sehr es ihn auch geschmerzt hatte, dass Crawford ihn mit einem kurzen „Geh“ weggeschickt hatte, so sehr verstand er es jetzt auch. Er wäre bereit gewesen, eben diesen Punkt mit der Dame des Hauses auszudiskutieren, vermutlich zu ihrer aller Nachteil. Er hätte in dem Moment nicht Abschied können von dem Mann, der sein Leben für sie alle geopfert hatte. Sicherlich hatte das Orakel eben das vorhergesehen.
 

~~**~~
 

Schuldig ertrug die Stille nicht, die wie bleischwerer Nebel durch das Anwesen waberte. Er hatte die Dunkelheit ebenso wenig ertragen, die auf dem Haus gelastet hatte und hatte jedes verfügbare Licht eingeschaltet, das er hatte finden können. Es zog die Motten an, die durch die geöffneten Terrassentüren und Fenster Einlass fanden und schwirrte und summte es ohne Unterlass. Eine gute Gesellschaft waren sie nicht, zumal sie eines gewissen Verstandes entbehrten, den er brauchte, um sich nicht alleine zu fühlen. Nagi war da auch keine große Hilfe, schließlich hatte ihr Jüngster sich, kaum, dass sie hier angekommen waren, in sein Zimmer verkrochen und heulte dort nun schon seit Stunden.
 

Schuldig fragte sich, nach dem fünften, mehr als gut gefüllten Glas Whisky aus Crawfords Vorrat, ob dem Satansbraten nicht langsam die Tränenflüssigkeit ausgehen musste oder ob er seinen eigenen Körper dazu brachte, ihm immer mehr nachzuproduzieren, damit er heulen und heulen und heulen konnte. Ein gemeiner Gedanke an sich, den Schuldig mit seinem überzogenen Alkoholgenuss rechtfertigte. Aber das war sowieso bald vorbei, denn er musste noch etwas aufbewahren. Gerade soviel, dass er die ersten Jahre einen auf Crawford trinken konnte, wenn sich seine Verschiffung nach Österreich jähren würde. Sicherlich würde ihm das genaue Neutralisierungsdatum nicht mitgeteilt werden, ebenso wenig, wie er seinen Anführer – ehemaligen Anführer, wenn es nach ihrer Arschlochorganisation ging – vermutlich nicht mehr sehen würde, der dahinvegetierend weiterhin die Geschicke der Organisation voraussah. Als Marionette seines Puppenspielers.
 

„Fickt euch doch, ihr Arschlöcher“, grollte Schuldig, zumindest versuchte er es. Herauskam, wenig überraschend, ein unsicheres, undeutliches Lallen. Aber zumindest die Bedeutung war klar! Und da er gerade schon dabei war…
 

Schuldig runzelte die Stirn, während er sich seinen Weg bahnte, durch die Menschen der Stadt, durch ihre Träume und Gedanken hin zu dem Mann, der nun williger Empfänger seiner Wut sein würde. Da stand nämlich noch etwas aus und ihre stümperhafte Organisation, die ihm seinen Anführer für nichts wegnahm, ließ jemanden Unwichtiges einfach mit Inkompetenz und Feigheit davon kommen. Aber nicht er. Er würde sich um das Team kümmern, was ihm anvertraut worden war.

Schmerzhaft drang er in die lächerlich beschützten Gedanken des Empathen ein, der Jei verloren hatte. ~Ey, Kevin, wie sieht’s aus?~, schnarrte er weitaus nüchterner, als es seine Stimmbänder zuließen, und das erschrockene und schmerzhafte Zusammenzucken des Rosenkreuzagenten ließ ihn lächeln.
 

So wollte er das.
 

~Herr Schuldig, ich bitte um Verzeihung. Ich habe versucht, Herrn Jei ausfindig zu machen, aber ich…~

~Spar dir deinen höflichen Mist. Du hast ihn immer noch nicht gefunden?~, fuhr Schuldig ihm dazwischen und wurde mit einem panischen Schwall und Nichtigkeiten belohnt, den er angewidert beiseite schob.

~Nein, Herr Schuldig, ich…~

~…bin ein Versager, der mir anvertraute Personen aus den Augen lässt und sie verletzt durch Tokyo laufen lässt, auf dass sie Leute umbringen und damit Zwischenfälle provoziert, die Rosenkreuz in das Fadenkreuz der öffentlichen Aufmerksamkeit bringen. JAP. Das bist du. Ein jämmerlicher Versager, der zu nichts nutze ist und bei dem man sich fragt, warum er nicht neutralisiert wird!~
 

Ekelhafte Panik und Verzweiflung schlugen Schuldig entgegen und für einen Moment lang erlaubte er es sich, genau darin zu baden, weil sie sein verdammtes, eigenes Leid besser machten. Und doch war es weit davon entfernt, in irgendeiner Art und Weise befriedigend zu sein, weil er den letzten Schritt nicht gehen durfte. Oh wie gerne hätte er den Geist, in dem er sich gerade befand, in Stück gerissen, hätte das sogar noch ausgekostet. Wie gerne hätte er den Empathen schreien hören, eben weil er ein Empath war und Crawford wegen eines beschissenen Empathen neutralisiert wurde. Aber nein, Kevin war Teil ihrer Organisation und damit ein wertvolles Mitglied für ihr Vorhaben.
 

Blah. Blah. Blah.
 

~Bitte, Herr Schuldig, es tut mir leid, wenn ich gewusst hätte…~

~Hast du aber nicht. Und jetzt ist er weg. Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Fallout~, grollte Schuldig und zog sich abrupt aus den erbärmlichen Gedanken zurück.
 

Die Stadt nach Jei abzusuchen, war obsolet. Es wäre eine Sisyphusarbeit, die ihn Tage kosten würde, mit unsicherem Ausgang. Also würde er morgen auf Nagi zurückgreifen und den Jungen die Drecksarbeit machen lassen. Verkehrskameras, Überwachungsbilder, Büchereien. Das Übliche, wenn es um das Verschwinden ihres Iren ging. Beinahe schon wünschte sich Schuldig, dass der Mondjunge klug genug war, sich abzusetzen und Rosenkreuz ein für alle Male hinter sich zu lassen.
 

~~**~~
 

Dreimal öffnete und schloss er seine Augen, bis er sich sicher sein konnte, dass sie auch tatsächlich offen blieben. Er hatte es genau gezählt. Dreimal, also insgesamt sechsmal. Sechs war eine gute Zahl, auch wenn er nicht so recht wusste, warum. Wenn er es dachte, dann musste es so sein, befand er und sah zur Seite.

Das Weiß des Raumes stach in seinen Augen und beinahe war er versucht, aus dem sechsmal ein achtmal zu machen, im Bewusstsein, dass acht eine noch bessere Zahl als sechs war.
 

Hm.
 

Sicherlich konnte er sich mit Zahlenreihen den ganzen Tag vertreiben, jetzt verspürte er jedoch wenig Muße dazu. Es drängte ihn dazu, aufzustehen, als er erkannte, dass er in einem Bett lag, das nicht ihm gehörte. Das war nicht gut, das wusste er. In der Vergangenheit hatte das nie gut geendet und so stand er auf. Das ließ ihn schwanken und er fragte sich warum. Diese Frage wiederum brachte ihn zu der Erinnerung an den blonden Jungen, der gerade mal zwölf Jahre alt sein mochte. Ein mächtiger Empath, dessen gesammelte Emotionen auf einmal in ihn gedrungen waren.
 

Deswegen die Bewusstlosigkeit. Das war logisch. Ebenso logisch wie die Nachwirkungen dessen und Crawford lächelte belustigt. Er würde zugedröhnt vor Emotionen zu seiner Befragung vor dem Rat und seiner Neutralisierung erscheinen. Sehr amüsant. So hatte er sich das nicht vorgestellt, aber wenn es so sein sollte, dann war er damit zufrieden. Wenn er schon mit nichts Anderem zufrieden sein konnte, dann wenigstens damit.
 

Gelassen sah Crawford sich in seinem Raum um. Seiner Zelle, wenn er so wollte. Weiß in Weiß, natürlich, denn Weiß war die Farbe des Unwohlseins, das hatte er schon in dem grellen Keller bei Lasgo gelernt. Alles hier war gekachelt, so konnte er sich die Zeit damit vertreiben, die Fugen zu zählen und ihre Größe zu schätzen. Wenn er dann noch die Kantenlängen addierte, dann hatte er für die nächsten Stunden etwas zu tun. Und er konnte die Metallstreben vor der Neonröhre zählen, die über ihm summte.
 

Soviel Geld und dann doch nicht genug, für etwas Ordentliches, das nicht summte. Fantastisch.
 

Crawford seufzte und ging um das Bett herum. Auf dem Stuhl daneben sah er eine – natürlich – weiße Robe, die sorgfältig zusammengefaltet dort hingelegt worden war. Er nahm sie und faltete sie auseinander. Es würde ihm passen, sein Büßergewand, mit dem er vor den Rat treten würde, den Blick ehrfürchtig gesenkt, auf den Lippen eine Entschuldigung dafür, dass er versagt hatte. In allem. Sich überwältigen zu lassen. Sich foltern zu lassen. Sich vergewaltigen zu lassen. Nicht stark genug gegen die Nachwirkungen anzukämpfen. Nicht stark genug zu sein, um gegen den Verrat anzukämpfen. Es sollte Crawford nicht amüsieren, dass ihm das zum Vorwurf gemacht wurde, doch das tat es.

Vielleicht hatte der Puppenspieler doch etwas Gutes an sich. Er hatte es ihm leicht gemacht, über die himmelschreiende Ungerechtigkeit hinwegzusehen.
 

Langsam hob Crawford seine Hände und knöpfte sein Hemd auf. Brille, Krawatte und Jackett hatte er anscheinend schon irgendwo auf dem Weg verloren, ebenso wie seine Schuhe. Wie sorgsam. Da musste er sich noch nicht einmal um die Entsorgung kümmern. Crawford seufzte tief und ließ mit einem triumphalen Gefühl das Hemd zu Boden fallen. Das hatte Rosenkreuz nun davon. Seine Hose kam gleich hinterher, ebenso wie die Socken. Sollten sie ihn doch dafür maßregeln. Sollten sie doch. Er würde lächeln und lächeln und lächeln, bis es nicht mehr ging.
 

Ach herrjeh.
 

Die Tür öffnete sich, just in dem Moment, in dem er die Robe über seinen Körper gestreift hatte. Natürlich, schließlich waren hier überall Überwachungskameras, die ihn filmten, bei allem, was er tat. Seine Mutter stand in der Tür, wobei nein. Nicht sie. Thanatos, die Dame des Hauses, in vollem, prachtvollen Ornat, das sicherlich um einiges zu warm war für diese Temperaturen. Wolle, wer beschaffte schon Wolle für die Roben? Das war eine Fehlplanung, die man hätte vermeiden können, befand er mit müßig umherwandernden Gedanken. Seide oder Leinen für den Sommer, Wolle für den Winter. Aber nein. Schließlich fiel Wolle besser.
 

Pointiert ignorierte sie den stofflichen Haufen an Chaos auf dem Boden und Crawford bedauerte das. Sehr sogar. Sollte sie ihn doch dafür maßregeln, das wäre wenigstens ein adäquater Grund für die Neutralisierung, nicht der Schuldigsprechung dafür, dass er das Opfer war.

Verspätet und reichlich undiszipliniert glitt Crawford in die Verbeugung und schwankte leicht. Oh, auch dafür würde sie ihn strafen können. Mal sehen, wie viele Minuspunkte er sammeln konnte auf den letzten Metern, wo er sich doch die letzten Jahre über frei davon gehalten hatte.
 

„Oracle, ich werde dich nun dem Rat vorführen, damit die ehrwürdigen Ratsmitglieder über dein Tun richten.“ Formelle Worte, die sie so sicherlich schon hunderte Male gesprochen hatte. Immer mit der gleichen Unsinnigkeit, war die Meinung des Rates doch klar. Eigentlich brauchte man das ganze Brimborium nicht. Sollte der Rat doch urteilen und sie dieses Urteil ausführen. Fertig. Er musste ja sicherlich nicht noch einmal hören, was er Schlimmes und Unverzeihliches getan hatte.
 

Er war ja dabei gewesen. Also mittendrin quasi, statt nur dabei. Ein Zeitzeuge. Ein Betroffener. Ein Überlebender. Zumindest bis jetzt.
 

Ihre unverhohlene Missbilligung schien genau die Instinkte anzusprechen, die er anscheinend benötigte, um sich in Bewegung zu setzen und zu ihr zu kommen. Natürlich würde sie vorgehen und er würde mit seinen nackten Füßen über den angenehm kühlen Marmor hinterherschreiten. Oder wanken, denn an schreiten war momentan nicht zu denken. Er könnte auch tanzen, das würde dem Anlass gerecht werden. Mehr als gerecht.
 

~Es reicht, Oracle~, war es ihre Gabe, die ihn zusammenzucken und innehalten ließ, als sie sich mit einem Mal schmerzhaft in seine Gedanken bohrte und den zugedröhnten Film zum Erliegen brachte. Er gab sich größte Mühe, seine müßigen Gedanken zum Schweigen zu bringen und konzentrierte sich auf ihre Schuhe. Das war gut. Schuhe waren neutral.

Ebenso wie die stilisierte Rose auf ihrem Rücken. Oh. Crawford runzelte die Stirn, als ihm etwas einfiel.

~Jemand muss sich um den Garten kümmern.~ Also den unweit von Tokyo, der mit seinem Schwimmbad und dem Haus. Sein kleines Refugium.

~Es ist für alles gesorgt.~

Natürlich war es das. Was fragte er auch. Vermutlich wurde er verkauft an den Meistbietenden. Einnahmen waren wichtig für Rosenkreuz und das Stück Land hatte Premiumlage. Es hatte ihn selbst ein kleines Vermögen gekostet und das war bei seiner Ankunft in Japan gewesen. Mit der Steigerung der Immobilienpreise hatte das Grundstück sicherlich eine Wertdopplung erfahren.
 

Nicht, dass er es jemals verkauft hätte, solange er in Japan war, aber er war ja nunmal nicht mehr in Japan, also konnte es ruhig verkauft werden. Ein ewig drehender Kreis.
 

Schweigend folgte er ihr durch den langen Gang zu der Empfangshalle des Rates, in dem sie sein Todesurteil sprechen würden. Lautlos setzte er einen Fuß vor den anderen und beobachtete den Saum des Büßergewandes, das ihn von allen weltlichen Besitztümern befreite und für seine zukünftige Aufgabe vorbereitete. Er runzelte die Stirn, als seine Gedanken zur Beschaffenheit des Stoffes abwichen und keine klaren Schlüsse über seine Situation zuließen.
 

Er konnte mit Mühe seine Gedanken zusammenhalten. Jenen auch noch Struktur zu verleihen oder aber strategisch zu denken, schloss sich aus und Crawford kam nicht umhin, sich darüber zu wundern, ob genau das nicht Absicht gewesen war.

Leonard hatte ihm mittels des Empathen, der seine Kräfte ungehindert auf ihn hatte einwirken lassen, seine letzte Möglichkeit genommen, sich zu verteidigen oder sein Schicksal noch einmal abzuwenden.
 

Wenn er so näher darüber nachdachte, dann war das auch letzten Endes nicht mehr wichtig. Es gab Interessanteres, so zum Beispiel die kunstvollen Fresken unter der Decke, die Jahr um Jahr sorgsam gepflegt und restauriert wurden, wenn es notwendig war, schließlich war Rosenkreuz eine Organisation mit jahrhundertealter Tradition und ehrwürdigen Grundsätzen, die es zu bewahren galt.

Die ganze Welt, in der sie lebten, galt es zu bewahren, genau darauf waren alle Regeln von Rosenkreuz ausgerichtet. All der Gehorsam, der so wichtig war und den er so sehr hinter sich gelassen hatte in den letzten Wochen.
 

Sie blieb stehen und er mit ihr ebenso. Stirnrunzelnd maß er die massive Holztür, die mit kunstvollen Schnitzereien versetzt war, die wiederum ein kleiner Teil der Geschichte ihrer Organisation darstellten. Eine, die er hatte fortführen sollen und deren Opfer er nun wurde.

Bitter war das und vermutlich hätte es ihn wütend gemacht oder ihm Sorgen bereitet, wenn er nicht so gewesen wäre, wie er jetzt war.
 

Die Tür wurde von den Protokolldienern geöffnet und er trat zusammen mit der Dame des Hauses in den Thronsaal, wie sie den Empfangsraum inoffiziell immer genannt hatten. Drei hochlehnige Holzstühle inmitten von Marmor, der ihre Schritte hallen ließ, dahinter ein freier Blick auf die Berge im Hintergrund. Er kannte das Prozedere, das konnte er auch jetzt noch rezitieren, auch wenn es schwer war, seine Gedanken davon abzuhalten, dem Muster der Schlieren im Marmor nachzugehen. Schritt um Schritt trat er nach vorne um schließlich vor den höchsten Vertretern ihrer Organisation auf die Knie zu sinken und die Stirn auf den kalten Marmor zu pressen.
 

Er verneigte sich in Respekt und Demut auch vor demjenigen, der ihn dieser Situation erst ausgeliefert hatte, vermutlich aus niederen Beweggründen und Neid. Alles, was er ihm aufgezwungen worden war, hatte er dem Ratsherrn zu verdanken, der in der Mitte saß und ihn durchdringend musterte. Natürlich würde er auch mit dem letzten Schritt seines Plans Erfolg haben und die traditionellen Regeln ihrer Organisation öffneten ihm dafür Tür und Tor. Jemand wie Crawford, so sehr er auch Kronprinz sein mochte, hatte kein Widerspruchsrecht, denn das, was der Ratsherr tat, war vollkommen und Kritik zu üben, ein Frevel, der bestraft werden würde.
 

Schließlich hatte der Rat ihr aller Ziel vor Augen.
 

„Ich grüße den ehrwürdigen Rat“, richtete die Dame des Hauses das Wort an die PSI, die dort saßen. „Ich bin hier, um Ihnen wie gewünscht Oracle vorzuführen.“

Er hatte zu schweigen, bis ihm die Erlaubnis erteilt werden würde zu sprechen. Ob das geschah, konnte er nicht sagen, so musste sich Crawford damit begnügen, seine Stirn an dem Marmor zu kühlen, obwohl ihm schon kühl genug war mittlerweile. Seit Lasgo Kälte dazu genutzt hatte, ihn zu foltern und ihm seinen Willen aufzuzwingen, war er kein Freund mehr davon, eben jener ausgesetzt zu sein.

Bald nicht mehr sein Problem, denn er würde bald überhaupt keine Probleme mehr haben, gelenkt durch einen kleinen Jungen.
 

„Ich danke der Dame des Hauses“, erwiderte Ratsherr Leonard förmlich und Crawford musste sein Gesicht nicht sehen, um sich seinen präkognitiven Lehrmeister vorzustellen. Ein distinguierter Brite, rotblonde Haare mit grauen Strähnen in ihnen. Seine Augen waren ein lichtes Blau, das je nach Lichteinfall grau wirkte. Er mochte sein gepflegtes, perfektes Äußeres und hatte Crawford nichts Anderes beigebracht, als er ihn als Schüler angenommen hatte.
 

Neben ihm saß Ratsherr Artemij, ein nicht zu erschütternder, russischer Pyrokinet, dessen Kräfte sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte proportional zu seinem Körperumfang um ein Vielfaches gesteigert hatten. Er war das komplette Gegenteil von Leonard, chaotisch und mit wenig Vorliebe für korrekte Kleidung. Er war auch derjenige, der Crawford hasste wie die Pest und der ihm Zeit seines Eintretens in ihre Schule das Leben schwer gemacht hatte, weil er nichts von ihm und seiner Verbindung zur Dame des Hauses hielt. Natürlich hatte er Leonards Plan zugestimmt, ihn zu neutralisieren.
 

Ratsherrin Elenora hatte sehr wahrscheinlich nicht zugestimmt, aber sicher konnte sich Crawford da nicht sein. Die Deutsche war Pedantin durch und durch. Sie hasste alles, was nicht vollkommen perfekt war und trieb die Organisation dementsprechend ehrgeizig in Richtung ihrer Ziele. Eigentlich hatte sie weiße Haare, doch welche Farbe genau sie sich gerade gegeben hatte, konnte er nicht sagen, eben weil die Gestaltwandlerin sie entsprechend ihrer Stimmungen wechselte. Anscheinend hatte die Ratsherrin einen Gefallen an seiner Arbeit gefunden, denn er hatte ihr weitaus öfter berichten müssen als den anderen Beiden. Stück für Stück hatte sie seine Schriftstücke dann auseinandergenommen und ihm so beigebracht, wie er zu handeln und zu agieren hatte.
 

Was sie wohl zu seinen gefälschten Berichten gesagt hatte, die vor Liderlichkeiten nur so strotzten? Sie war sicherlich unzufrieden gewesen und vielleicht hatte sie auch aus dem Grund entschieden, dass er es nicht mehr weiter wert war, gefördert zu werden.
 

„Berichte, Thanatos.“
 

„Ergänzend zu meinem letzten Bericht bezüglich des vorangegangenen Verhaltens von Oracle ergänze ich, dass der anwesende Anführer von Schwarz sich während der Erfüllung des vergangenen Auftrages den Befehlen des Rates widersetzt und seine Schilde in Gebrauch genommen hat. Darüber hinaus haben Schwarz und Weiß unter seiner Führung und der Planung mit Kritiker sowohl die eigentliche Zielperson als auch Reiji Takatori und die drei führenden Köpfe von SZ vernichtet. Es gab keine Überlebenden.“
 

Gut zusammengefasst, lobte Crawford, nachdem er ihren Worten hatte folgen können. Alles Wichtige hatte sie weggelassen, nur die Essenz dessen, was er gemeinsam mit seinem Team und Weiß getan hatte, war übrig geblieben. Und natürlich sein Ungehorsam, der die ganze Organisation zum Wanken brachte. Aber wenigstens hatte er sie von der Plage namens SZ befreit.
 

Überrascht stellte fest, dass die Flüchtigkeit seiner Gedanken einer zynischen Bitterkeit wich und ihn langsam wieder zu dem zurückführte, was er eigentlich war. Seine Finger schienen es eher begriffen zu haben als er selbst, stellte er nun fest, als er spürte, wie er sie in den Marmor gekrallt hatte. Der Schmerz der Wunden, die er sich bei seinem letzten Kampf zugezogen hatte, kehrte damit ebenso zurück und er war sich beinahe sicher, dass die Fäden erneut gerissen waren. Vielleicht wäre es da doch eher von Vorteil gewesen, weiterhin unter den Nachwirkungen des empathischen Eingreifens zu stehen.
 

Ratsherr Leonard räusperte sich. „Dann werde ich mir erlauben, die Informationen, über die wir nun gesamt verfügen, noch einmal zusammen zu tragen. Oracle, mit der Aufgabe betraut, Schwarz zu führen und Rosenkreuz‘ Einfluss auf die Politik Japans zu mehren, scheitert an dem Auftrag, Reiji Takatoris abtrünnigen Geschäftspartner zu liquidieren. Auf einer Einzelmission wird er gefangen genommen und ihm wird körperliche Gewalt zugefügt. Er vertuscht das, fälscht die nachfolgenden Berichte, bleibt den vorgeschriebenen Nachfolgeuntersuchungen fern, entführt trotz anders lautender Vertragslage zwei Agenten des gegnerischen Teams, von denen er den Sohn Persers foltert und beinahe umbringt, den anderen als seinen Katalysator nutzt, bereits in dem Wissen, dass seine Gabe nicht zuverlässig funktioniert. Darauf gelingt es der Zielperson, ihn erneut zu entführen und zu foltern, doch dieses Mal wird aufgrund seiner ohnehin unzuverlässig agierenden Gabe der teameigene Telekinet entführt und dazu missbraucht, ihm Gewalt anzutun. Erst dann, durch den Anruf Berserkers, werden sowohl der Umstand als auch die Verfehlungen aufgedeckt. Es ist sogar notwendig, dass die durch den Rat eingesetzte Exekutorin sich persönlich einer engmaschigen, wochenlangen Kontrolle annimmt, an deren Ende trotz eindeutiger Warnung erneut eine Befehlsverweigerung steht, als er die Entscheidung des Rates und der Exekutorin hinterfragt und eine eigene Entscheidung vorzieht.“
 

Das Schlimmste war, dass Leonard mit allem, was er sagte, Recht hatte. Alles davon hatte er getan, in exakt der Reihenfolge. Die Gründe, die er gehabt hatte, zeichneten ihn allesamt als fehlerhaften Menschen, jedoch nicht als guten Agenten aus. Das zählte hier aber nicht. Ein Kronprinz hatte, wie er wusste, Ersteres eben nicht zu sein.
 

„Ein Präkognitiver zeichnet sich dadurch aus, dass er sich der Verantwortung, die er trägt, bewusst ist und sie nicht bei der ersten, sich bietenden Prüfung zugunsten eigener Wünsche hinten anstellt und seine Interessen versucht durchzusetzen. Das ist schamlose Disziplinlosigkeit gepaart mit aufsässiger Rebellion, die unsere Organisation in ein Chaos stürzt, das unser aller Untergang bedeuten kann. Aus diesem Grund befürworte ich es, das Orakel von Schwarz, den Kronprinzen, all seiner Ämter zu entheben und ihn zu neutralisieren.“
 

Auch das konnte Crawford aus einem objektiven Standpunkt nachvollziehen. Rein subjektiv hinterließ es in ihm ein bitteres Gefühl des doppelten Verrates. Nicht nur, dass Leonard sich seiner entledigen wollte, nein. Es war nicht seine Schuld, dass er vergewaltigt worden war. Lasgo hatte ihn dazu gezwungen, wieder und wieder und wieder. Er hatte es nicht kompensieren können und dadurch hatte er Fehler gemacht. Weil er ein Mensch war. Er hätte das Trauma niemals in dieser Zeit verarbeiten können, das sich tief in ihn geschnitten hatte. Und so, wie ihm nun die Schuld gegeben wurde, war seine Organisation, der er sein Leben gewidmet hatte, der Meinung, dass seine Hilflosigkeit seine Schuld war.
 

Kleidung raschelte und er schloss die Augen. Er wollte noch nicht einmal den Marmor sehen, wenn sie zu ihrem Urteil kamen, zu dem sie ihn noch nicht einmal befragen würden, weil die Dame des Hauses einen Spiegel seiner Gedanken bereits weitergeleitet hatte und weil seine Ansicht darüber hinaus nicht von Interesse war.
 

Die Ratsherrin Elenora war die Nächste an der Reihe und ein leises Seufzen verließ ihre Lippen. „Aufgrund der gegebenen Umstände und der erlangten Informationen insbesondere mit dem letzten Regelbruch, so gering er auch scheinen mag, folge ich der Ansicht des Ratsherrn Leonard und stimme dafür, dass die Gabe des Orakels der Organisation auf eine geeignete Weise zugeführt wird, wenngleich ich zum Ausdruck bringen möchte, dass ich dieses Vorgehen bedauere.“
 

Wie sachlich und neutral sich beide doch in ihrem perfekten Deutsch anhörten. Crawford schnaubte innerlich. Diejenige, von der er gehofft hatte, dass sie auf seiner Seite stand, sah es genauso wie Leonard, was spielte ihr Bedauern da für eine Rolle?

Was Artemij zu sagen hatte, brauchte er entsprechend gar nicht mehr zu hören. Dieser würde sich bereits seit seinem ersten Versagen darauf freuen, dass er ihm kein Dorn im Auge sein würde. Dass der Ratsherr sich dafür von seinem Thron erhob, überraschte Crawford dann aber doch und bald spürte er die schwere Anwesenheit des Pyrokineten an seiner Seite.
 

Sacht wurden seine Haare umfasst und sein Kopf daran hochgezogen. In die Falle, dass er dadurch automatisch die Erlaubnis hätte, dem älteren Mann in die Augen zu sehen, tappte Crawford nicht. Schweigend verbiss er sich an dem Kragen des Russen, während dieser es anscheinend genoss, ihm in seinen letzten Momenten noch Schmerzen zuzufügen.
 

„Hmm. Mir genügt die Aussage noch nicht. Ich will noch mehr über das Versagen unseres arroganten Goldjungen wissen.“ Das Lächeln in den Worten des älteren Mannes war so deutlich hörbar, dass es Crawford einen Moment lang an Lasgo erinnerte. Sein Körper zuckte und er wollte sich von dem Anderen losreißen, Abstand gewinnen, auf dass es nicht noch einmal passierte, doch er wurde nicht gelassen. Die Gabe der Dame des Hauses hielt ihn an Ort und Stelle, damit der Ratsherr ihn in aller Ruhe berühren konnte. Verraten von seiner eigenen Organisation und seiner Mutter, wie passend das doch war. Sie ließ zu, dass dieser Mann ihn ebenso behandelte, wie Lasgo ihn behandelt hatte. Das war nicht nur bitter, nein, das Wort reicht noch lange nicht dafür.
 

Bevor ihn die Erinnerungen an den Menschenhändler, die ihn im festen Griff hatten, überwältigen konnten, würde er sich lieber der Frage widmen, ob es Ratsherr Artemij wie Lasgo auch händelte. War dieser Männern zugeneigt? Hatte er eine Vorliebe für sexuelle Gewalt? Crawford konnte all diese Fragen mit nein beantworten, doch das bedeutete rein gar nichts. Bei Lasgo hatte er sie fälschlicherweise ebenso ausgeschlossen.
 

„Was meinst du?“, fragte ausgerechnet Leonard und Crawford rief sich ins Gedächtnis, dass der Hellseher Artemij nicht tracken konnte. Ebenso wenig wie Elenora. Es diente der gegenseitigen Kontrolle und Steuerung, ebenso der Transparenz der eigenen Handlungen und war durchaus logisch, jetzt aber war es in höchstem Maße befriedigend.

Der Pyrokinet erhob sich und zog Crawford mit sich auf die Beine. Gewaltsam drehte er ihn an den Haaren zur Tür, als würde er eine Puppe drehen. Schweigend verharrte Crawford in dem Griff.

„Wir werden sehen, mein Freund. Wir werden sehen“, erwiderte er in seinem einzigartig bösartigem Deutsch mit deutlich hörbarem, melodisch-russischen Einschlag.
 

Als wenn der Saaldiener nur darauf gewartet hatte, dass Artemij ihm ein Zeichen gab, öffnete er die Tür und es war zu Crawfords bodenloser Überraschung Perser, der in Begleitung der zuständigen Protokollagenten den Raum betrat. Sorgsam neutral nahm der aufmerksame Blick alles in diesem Raum auf, zeigte sich jedoch nicht im Geringsten erstaunt über die Konstellation und die anwesenden Personen.
 

Crawford begriff, dass Perser bereits einmal hier gewesen sein musste und er ahnte auch wann. Vielleicht hatte es sogar regelmäßige Treffen gegeben.
 

Das war es nicht gewesen, was er im Sinn gehabt hatte, als er Perser die Unterlagen übergeben hatte, die Leonard des Verrates überführen würden, zusammen mit der Adresse dieses Anwesens und den entsprechenden Schlüsselwörtern. Er hatte angenommen, dass der Anführer von Kritiker erst nach seiner Neutralisierung hier eintreffen würde, wenn überhaupt. Dass er nun allerdings gegen ihn aussagen würde, hatte Crawford so nicht eingerechnet. Es sollte ihn nicht verbittern, doch das tat es, sehr leicht und sehr intensiv. Stück für Stück wurde ihm das genommen, was er jemals in Betracht gezogen hatte, Unterstützung zu nennen.
 

„Herr Takatori, oder möchten Sie momentan Perser genannt werden?“, fragte Artemij mit einem spöttischen Lächeln in der Stimme auf Deutsch und Perser hob die Augenbrauen. Dass der Japaner fließend Deutsch sprach, wurde ihm erst jetzt bewusst und innerlich grollend dankte er seiner Mutter, dass sie auch diese Informationen vor ihm geheim gehalten hatte. Dass der Anführer von Kritiker alleine hier war und sich anscheinend entsprechend sicher fühlte, war da nur ein kleiner Tropfen
 

„Ich möchte zunächst einmal den Rat und die Dame des Hauses grüßen, in aller gebotenen Höflichkeit und Form. Beides ist mir recht.“ Höflich verneigte er sich kurz vor den anwesenden Mitgliedern.

Crawford wagte einen Blick auf Thanatos, deren Mimik so eingefroren war wie schon lange nicht mehr. Er wusste in diesem Moment, dass sie nichts davon geahnt und ebenso wenig mit ihm hier gerechnet hatte. Beinahe hätte er laut losgelacht. Beinahe. Das war köstlich, ein amüsantes Spektakel zu seinem Abgang.
 

Und das Beste war… Leonard hatte es ebensowenig geahnt, denn Perser konnte er ebenfalls nicht tracken, was schon seit Jahren ein Unsicherheitsfaktor gewesen war und zu einer engmaschigen Kontrolle der Tätigkeiten der Weißagenten geführt hatte.
 

„Ich möchte Sie bitten, mein unerwartetes Erscheinen zu entschuldigen, noch dazu, da ich Sie ungerne in der Erfüllung Ihrer Aufgaben behindern möchte. Ich bin jedoch gekommen, um Ihnen ergänzende Informationen über die vergangenen Wochen bereitzustellen, die von großem Interesse für Sie sein dürften.“

„Ist das so?“, hakte ausgerechnet Leonard lauernd nach und Artmeij kicherte leise.

„Und ob das so ist“, murmelte er anscheinend ausschließlich für Crawfords Ohren und so langsam gewann das Orakel den Eindruck, dass hier etwas geschah, das nichts mit dem zu tun hatte, was er geplant hatte. Nur zu gerne hätte er gefragt, was das sollte, doch er hatte immer noch nicht die Erlaubnis zu sprechen. Wieder zwängte sich Crawford der unerbetene Vergleich zu Lasgo selbst auf, der ihn ebenso hilflos gemacht hatte, wie es der Rat nun tat. Nur dass er bei Lasgo durch den Knebel nicht in der Lage war zu sprechen, nicht wie hier, dass es ihm verboten worden war, sich selbst zu verteidigen.
 

„Sprechen Sie, Herr Takatori. Das, was Sie uns bezüglich des präkognitiven Revoluzzers hier mitzuteilen haben, scheint sehr interessant zu sein, wenn Sie dafür eigens anreisen und sich in unsere heiligen Hallen bemühen.“

Eben jener nickte und für den Bruchteil einer Sekunde traf Persers Blick auf Crawfords Augen, bevor Artmeij ihn an seinen Haaren zurück auf den Boden zwang und seinen Kopf wie den eines braven Hundes an seinen Oberschenkel lehnte. Zitternd ertrug Crawford diese Zurschaustellung von Macht und Demütigung, auch wenn er sich nicht sicher war, wie lange er das noch aushalten konnte.
 

„Ich habe verlässliche Informationen, dass sich im Herzen Ihrer Organisation ein Verräter befindet.“ Grundsätzlich war das eine furiose Einleitung, wenn Crawford deren Pointe nicht bereits kennen würde.

Scheinbar schockiert keuchte Artmeij auf. „Wie fürchterlich! Im Herzen unserer Organisation auch noch. Wenn Sie mir jetzt auch noch sagen, dass es sich dabei um den Delinquenten handelt, den wir gerade aburteilen, so freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir diesbezüglich bereits tätig geworden sind.“
 

Irgendetwas an der Stimmfärbung stimmte nicht. Irgendetwas ließ Crawfords Instinkt selbst über seine Angst hinweg Alarm schlagen. Artemij log, dass sich die Balken bogen. Seine Stimme war voller Ironie und was noch viel schlimmer war, voller Wissen um eine Wahrheit, die Crawford bislang entgangen war.

Er war nicht mit den spöttischen Worten gemeint gewesen, das wurde sehr deutlich.
 

„Im Zuge unserer Recherchen bezüglich der Verbindungen des Menschenhändlers zu meinem Bruder, zu SZ und zu Ihrer Organisation, haben wir Informationen ausgemacht, die zu Ihrem Rat führen. Namen von gefälschten Pässen, Unterschriften auf entsprechenden Dokumenten, nicht authorisierte Besuche bei meinem Bruder zur Besprechung von Gegebenheiten, die den Statuten ihrer Organisationen widersprechen.“

Elenora schnaubte ungeduldig. „Das wissen wir bereits, Herr Perser. Die Dame des Hauses hat uns über Ihre Fortschritte in Kenntnis gesetzt.“

„Das hat sie“, nickte der Anführer von Kritiker. „Jedoch ist ihr ein Detail nicht mitgeteilt worden.“
 

„Welches?“, schnitt sich Thanatos Stimme zum ersten Mal wie ein scharfes Messer durch die aufkommende Stille und troff so sehr vor Missbilligung, dass ein Teil in Crawford in Erwartung eines mentalen Schlages davor zurückzuckte.

„Wir haben im Zuge dessen auch einen Kunsthändler ausfindig machen können, dessen Skulpturen Lasgo in all seinen Liegenschaften und Gebäuden hat aufstellen lassen.“

„Und?“ Täuschte er sich, oder franste Ungeduld Leonards Stimme beinahe aus und machte sie unstet?

„Darüber hinaus hat er seine engen Geschäftspartner ebenfalls mit einer bestimmten Art von Skulpturen beschenkt. Diese sehen exakt so aus.“ Mit Bedacht und langsam zog Perser ein großes Foto aus seiner Tasche und reichte es Artemij, der ihm am Nächsten stand. Es genügte, damit dieser seine Haare losließ und beinahe augenblicklich nahm Crawford so weit es ging Abstand von dem Ratsherrn, ohne sich von der Stelle zu bewegen.

„Was für ein hässliches Ding.“ Der Pyrokinet gab das Foto an Elenora weiter, diese reichte es an Leonard, zumindest interpretierte Crawford die verbalen Reaktionen des Rates entsprechend.
 

„Das ist ja schön und gut. Aber was genau wollen Sie uns damit sagen?“

Wieder suchte Perser seinen Blick und wieder erwiderte Crawford ihn mit eisigem Schweigen. Wie absurd die Hoffnung war, die auf das Gefühl der bitteren Enttäuschung gefolgt war. Wie zerstörerisch sie doch war und wie grausam. Dennoch konnte sich Crawford nicht dagegen wehren, auch wenn die Rationalität in ihm ihn deutlich davor warnte. Hier gab es kein Happy End, zumindest nicht für ihn.
 

„In einer der Dateien gab es eine Exportliste, da nicht alle Empfänger in Japan verweilten. Auf dieser Liste waren, zum besseren Verständnis, neben den Namen auch die Passnummern und die Wohnorte der Empfänger angegeben. Einer ist uns da im Besonderen aufgefallen.“ Wieder zog Perser ein Blatt Papier hervor und Crawford erkannte den Ausdruck. Dass Artemij ebenfalls erkannte, was die Zeilen zu bedeuten hatten, sah Crawford daran, dass der Ratsherr ihm wohlwollend über die Haare tätschelte, als wäre er ein Hund. Ein braver, gehorsamer Hund. Was hätte Crawford in diesem Moment um die Möglichkeit gegeben, dem anderen Mann die Hand brechen zu können. Vielleicht, so dachte er es in einem Anflug von roher, brutaler Gewalt, sollte er es versuchen. Mehr als neutralisieren konnten sie ihn nicht.
 

„Eine sehr detaillierte, aber auch brisante Recherche. Lassen Sie mich raten, Sie hatten dabei Unterstützung?“

„Selbstverständlich. Die Zusammenarbeit beider Teams hat sich als fruchtbar erwiesen und die Führung dieser Konstellation durch Abyssinian und Oracle hat aus Feinden eine hochprofessionelle Einheit gemacht.“

Nickend gab Artemij das Blatt Papier weiter und wieder war es Elenora, die es zuerst erhielt. Was er vorher für einen Zufall gehalten hatte, gewann nun an System und Crawford kam wieder nicht umhin sich zu fragen, ob hier etwas geschah, das ihm vollkommen verborgen blieb.
 

Nicht zuletzt, weil es Artemij gewesen war, der Perser hineingebeten hatte und der nun vor allen Dingen die richtigen Fragen stellte.
 

„Ich lese Name und Passnummer einer der Identitäten des Ratsherrn Leonard. Die Adresse stimmt mit dieser hier überein.“ In Elenoras Stimme hörte Crawford Erstaunen, ganz im Gegensatz zu Leonard selbst, der abwertend schnaubte.

„Bei dem Dokument muss es sich um eine Fälschung handeln. Ich habe keine derartige Skulptur erhalten geschweige denn mir schicken lassen.“

Perser schwieg und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Dame des Hauses, deren Blick anscheinend all die Dunkelheit dieser Welt gerade in sich vereinte, die der Globus aufzubieten hatte. Sie war ganz und gar nicht amüsiert über das, was sie hier hörte und das drang selbst durch ihre eiserne Selbstbeherrschung.
 

Sie war die Einzige, die einen Abgleich der Informationen mit den tatsächlichen Erinnerungen des Hellsehers durchführen konnte, doch dafür würde sie die Zustimmung des Rates benötigen. Diese würde sie nicht bekommen, nicht mit Leonard und wahrscheinlich Artemij in der Überzahl und auch nicht nach einer solch losen Anschuldigung, die jeder Grundlage entbehrte. Denn schlussendlich war es nur ein Stück Papier mit einer Zahlenkombination, das tatsächlich gefälscht sein könnte. Zusätzlich zu dem, was Tsukiyono als Kind beobachtet hatte, würde es ein Bild ergeben, aber keinen konkreten Verdacht. Crawford schloss erschöpft die Augen und lächelte bitter. Natürlich würde es nicht reichen, weil die Statuten ihrer Organisation so traditionell wie ungerecht und starr waren.
 

Ein dumpfes Klopfen drang durch seine dunklen Gedanken und Crawford öffnete verwirrt die Augen. Dreimal klopfte es, bevor sich die schwere Holztür zum Saal öffnete und einer der Saaldiener, die im Flur gewartet hatten, torkelnd den Raum betrat und sich den Kopf hielt, auf dessen Stirn eine Platzwunde klaffte. Strauchelnd ging er zu Boden und blieb dort aufstöhnend liegen, während hinter ihm ein Mann den Raum betrat, dessen schwarze Robe mit goldener Rose Crawford gänzlich unbekannt vorkam. Diese Farbkombination hatte er noch nie gesehen, wohl aber die vernarbten, muskulösen Oberarme, die geradezu bleich gegen die dunkle Wolle hervorstachen. Er hatte die raspelkurzen Haare schon einmal gesehen. Die Augenklappe, die in dem vernarbten Gesicht thronte.
 

Einmal? Crawford schnaubte innerlich. Tausende Male, doch das bewahrte ihn nicht davor, den Iren seines eigenen Teams nun anzustarren, als würde er ihn nicht kennen. Was zur Hölle machte Jei hier? In diesem Aufzug? Was waren das für Farben, die er trug?
 

„Der wahre Lügner ist so lügenhaft beschaffen, dass er allezeit lügt, und dass es ihm nur im Lügen wohl ist. Er lügt Nachts und lügt am Tage; er lügt was er nur lügen kann, er lügt seinen Vater an, wie seine Mutter, er lügt seiner Schwester vor und noch besser seinem Bruder.“
 

Die raue Stimme, welche mit einer Sicherheit eines der unzähligen Märchen rezitierte, die der Besitzer in den Jahren ihres gemeinsamen Weges verschlungen hatte, ließ Crawford zusammenzucken, als wäre er angeschossen wurden. Jetzt, in diesem Moment begehrte alles in Crawford gegen seine Auflage auf, stumm zu bleiben. Jede Muskelfaser in seinem Körper wollte aufstehen, sich erheben, wollte Jei zur Rede stellen, was er hier zu suchen hatte und ob er sich bewusst war, dass er hier mit seinem Leben spielte, wenn er es nicht schon verspielt hatte. Es würde Ratsherrn Artemij einen Wimpernschlag kosten, den Iren zu töten.
 

Doch nichts geschah, was das Verwirrendste an der Situation war. Elenora zeigte sich zwar überrascht, jedoch nicht ungnädig, ebenso wenig wie Artemij oder die Dame des Hauses. Der Einzige, der mit dem Erscheinen des Iren nicht glücklich zu sein schien, war Leonard selbst, der Jei hasserfüllt anstarrte. Ohne Angst oder Zögern starrte er in die Dunkelheit, die ihn dort erwartete und fixierte den Hellseher. Ungehindert trat Jei einen Schritt vor, dann noch einen.
 

„Dies ist keine Zeremonie, der es dir erlaubt ist, beizuwohnen“, grollte Leonard.

Unbeeindruckt davon hob Jei die linke Hand und mit ihr einen Gegenstand, den Crawford dank seiner fehlenden Brille erst verspätet als eben jene Statue, die er gerade noch auf dem Bild gesehen hatte, erkannte. Sie war kleiner als gedacht, aber unverkennbar das Werk des Künstlers, der auch Lasgo ausgestattet hatte.
 

„Zwei von euch sind geblendet von der eigenen Eitelkeit der Unbesiegbarkeit und Unbestechlichkeit. Keiner von euch hat die Muße gefunden, die Anzeichen zu sehen, die sich euch geboten haben, so wart und seid ihr blind für die kommende Katastrophe. Ihr seid blind für alles, was euch Angst machen sollte, mehr als es ein nicht befolgter Befehl jemals tun könnte.“

„Wag es ja nicht!“, donnerte Leonard in die Stille und Jei gackerte amüsiert, ein freudloses, reißendes Geräusch.

„Dieses hier befand sich in deinem Reich, böse Stiefmutter“, erwiderte er und hielt ihm die Statue entgegen. „Gut versteckt vor den Augen derjenigen, die dich anklagen können.“ Abrupt richtete er seinen Blick auf die Dame des Hauses und als sie schwieg, wandte er sich an Artemij, wie er sich an jeden von ihnen wenden würde, ohne das kleinste Zeichen von Demut oder Unterordnung.

„Verborgen in der Offensichtlichkeit vor aller Augen, damit niemand erkennt, wie groß der Neid ist um die Herrschaft über die Zukunft.“
 

Müßig spielte Artemij mit seinen Haaren und Crawford ballte seine Hände zu Fäusten. Es waren die gleichen Berührungen, die Lasgo ihm aufgezwungen hatte und Crawford erkannte, dass der neben ihm stehende Mann das mit Absicht tat. Er wollte ihn aus der Ruhe bringen, damit er erneut einen Fehler beging.

Crawford knirschte gepeinigt mit den Zähnen, als die Finger tiefer wanderten, hin zu seinem Nacken. Er wollte nicht. Er konnte das kein zweites Mal ertragen. Jei grollte und Crawford konzentrierte sich mit sturer Verzweiflung genau darauf. Vertraute Worte, vertraute Laute, Lasgo war nicht hier. Jei war hier und der Menschenhändler war tot.
 

„Du hast sie mitgebracht.“

Jei schnaubte amüsiert. „Ja. Und noch etwas.“

Der gierige Triumph in dem verbliebenen Auge, war Crawford wohlbekannt, als Jei ein Stück Papier aus seiner Robentasche zog.

„Das wäre dann was?“, schnarrte Artemij erfreut, nicht im Geringsten so erbost über die Störung wie Leonard.

„In all eurer Dummheit, mit der ihr ihn habt machen lassen, was er will, ist er gierig geworden, dreist gar. Er hat sich mehr und mehr aus dem Goldtopf bedient und diejenigen, die Herren sind über das, was kommt und das, was geht, haben es niedergelegt.“
 

Crawford hätte beinahe gelacht, als er den Übergabebeleg für den Gegenstand mit dem Stempel der offiziellen Registratur sah. Beinahe, denn der warnend aufflackernde Schmerz in seinem Schädel hielt ihn mit spielerischer Leichtigkeit davon ab, seinem Amüsement eine Stimme zu verleihen.

„Das ist immer noch kein Hinweis darauf, dass ich…“, versuchte sich Leonard zu rechtfertigen, doch Jei ließ ihn nicht. Aus welchen Gründen auch immer es ihm gelang, mit einer derartigen Respektlosigkeit durchzukommen.
 

Das Lächeln, das sich nun auf den vernarbten Lippen ausbreitete, sprach von Wissen. Es sprach von einer ruhigen Siegesgewissheit, wie Crawford sie nur selten an Jei erlebt hatte.

„Wer hat initiiert, dass der Zukunftsseher alleinig den Auftrag erhalten hat, den Menschenhändler zu töten?“

„Der Rat“, knurrte Leonard, doch es war Artemij, der schnaubte.

„Die Initiative kam von dir, weil der Hellseher in deiner Verantwortung liegt. Weiter?“

„Wer hat dem Panda die Möglichkeit gegeben, sich an dem Zukunftsseher und der Nervensäge zu vergreifen mit seinen Stromstößen und Golfschlägern?“

„Er meint Reiji Takatori“, soufflierte die Dame des Hauses so neutral, wie es ihr möglich war.

„Das warst auch du“, erwiderte der Artemij zu Leonard. Schwarz hatte mehrfach unter diesen Strafen gelitten, allen voran Schuldig. Er hatte bisher angenommen, dass sie ein Teil des Vertragswerks waren, um die Einheit zum Gehorsam zu zwingen. Er hatte nicht hinterfragt, warum es sich im Vertrag befunden hatte. Doch nun bekam die Information einen gänzlich anderen Stellenwert.
 

„Wer hat befohlen, dass der Zukunftsseher seine Schilde zu senken hat, damit die Nervensäge jederzeit Zugang zu ihm findet. Die und der unregistrierte Empath im Gefolge des Menschenhändlers?“

„Ach herrje. Die Spuren werden ja immer mehr.“ Nun war es Spott, den Crawford aus dem weichen Singsang des Russen hörte, während Ratsherrin Elenora anscheinend vollkommen ruhig dem Geschehen beiwohnte. Eine trügerische Ruhe, wie er wusste. Sie machte sich schon längst ihre Gedanken und hatte Entscheidungen getroffen.
 

„Um den Empathen zu töten, hat der Zukunftsseher sich dazu entschlossen, seinen Geist zu schützen und von den Fesseln seiner darniederliegenden Schilde zu befreien. Ihr seht Ungehorsam, wo ich nur Gehorsam sehe.“

„Gehorsam?“, höhnte Leonard. „Er war arrogant und von sich selbst überzeugt, ohne Rücksicht auf Befehle seines Rates. Schon seit Wochen und Monaten hintergeht er Rosenkreuz und stellt seine persönlichen Wünsche über die unserer Organisation. Darüber hinaus ist er eine Bürde geworden für den Rat, ein PSI ohne eine stabile Gabe und einer Vorliebe für feindliche Agenten, während er freiwillig den Schwanz seiner Zielperson in Anwesenheit von dessen Männern lutscht“, knurrte Leonard und Jei zischte mit dem Versprechen nach Gewalt in seiner Stimme.
 

Crawford konnte nicht verhindern, dass er unter den Worten und Erinnerungen körperlich zusammenzuckte und sein Körper instinktiv weg wollte von dem Mann, der ihn an seiner Seite hielt und dessen Hand nun zu seinem Kinn wanderte. Zu ähnlich waren die Positionen. Zu ähnlich waren sie sich, als dass er es noch ignorieren konnte, so kam er strauchelnd auf die Beine und hatte schneller, als er begreifen konnte, was er dort tat, Abstand zwischen sich und Artemij gebracht, der ihn amüsiert musterte. Crawford rechnete damit, dass die Dame des Hauses ihn für seine Insubordination strafen und erneut zu Boden zwingen würde, doch nichts geschah.
 

Nachdenklich ruhte ihr Blick auf Leonard. „Woher, Ratsherr Leonard, verfügen Sie über diese Information?“, fragte sie ruhig und er grollte vor Wut.

„Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen, Exekutorin!“, hielt er dagegen und trat einen Schritt auf sie zu, als könne er ihr alleine durch seine Präsenz Angst machen. Er sollte es besser wissen, befand Crawford, auch wenn er selbst wirklich nicht derjenige war, der vor Dummheiten gefeit war.

„Bislang kannten nur die an dem Vorfall beteiligten Personen sowie Mastermind und ich diese spezielle Information“, sagte sie neutral und in der darauffolgenden Stille hätte man eine Stecknadel fallen hören können.

„Das ist immer noch kein Grund, gegen ein ehrbares Ratsmitgl-“, begann Leonard, wurde jedoch durch Jei rüde unterbrochen.
 

„Ich stimme einer Untersuchung zu“, sagte er seltsam aus dem Kontext gegriffen und steif, geradeso, als hätte er diesen Satz lange einstudiert. Er wirkte unvertraut, nicht nur auf Crawford, sondern auch auf den Rat selbst und doch sagte keiner von ihnen auch nur ein Wort darüber, dass ein gewöhnlicher Agent ohne bekannte Fähigkeiten einer Untersuchung zustimmte, die das höchste Organ von Rosenkreuz betraf.
 

Im Gegenteil.
 

„So sei es“, erwiderte Elenora und erhob sich. Langsam kam sie zu Artemij und nickte der Dame des Hauses zu, deren Blick einzig und alleine auf Leonard gerichtet war. Es gab keinen Zweifel, was sie für eine Untersuchung meinte und Crawford konnte nicht anders, als diejenigen anzustarren, die Jeis Worten so einfach folgten, als wäre es das Normalste auf der Welt.

„Natürlich“, bestätigte auch der Pyrokinet und sobald er die Worte ausgesprochen hatte, flammte die Gabe der Dame des Hauses so gewaltig auf, wie er sie zuletzt in seiner Kindheit gespürt hatte. Perser zuckte regelrecht zurück vor der Wucht der Telepathie, die sich nun in dem Raum ergoss und anscheinend Leonard mit allem durchdrang, was sie aufzubieten hatte.
 

Schreiend brach der Hellseher auf seine Knie und hielt sich den Kopf, presste ihn verzweifelt gegen den kalten Marmor, ein bitterer Spiegel seiner eigenen Position, die er vor Minuten noch innegehabt hatte. Wie paralysiert sah Crawford, wie sich der Mann, der für alle das hier verantwortlich war, auf dem Boden wand, die Augen starr geöffnet, der Körper schier versteift. Alles nur auf die Zustimmung Jeis.

Thanatos ließ sich Zeit mit dem, was sie tat, bevor sie den Geist des Mannes aus ihren Fängen und das erlangte Wissen anscheinend mit den anwesenden Personen teilte, die nur durch das schmerzerfüllte Wimmern des Hellsehers unterbrochen wurde.
 

„So ist das also“, sagte Elenora schließlich beinahe zu leise, um gehört zu werden. Crawford wusste, was das zu bedeuten hatte. Sie war wütend, über alle Maßen und diese Wut zeigte sich nun auch auf ihrem Gesicht und in ihren Augen, die sie in Crawfords Gegenstücke bohrte. Ungelenk und verspätet sackte das Orakel zu Boden und berührte mit seiner Stirn zitternd den Marmor, der ihm mit seiner Kälte durch Mark und Bein drang.
 

„Du hast die Erlaubnis zu sprechen, Oracle“, begann sie und Crawford wünschte sich fast, dass dem nicht so wäre.

„Wusstest du von dem Verrat?“

Er bemühte sich um Ruhe, jedoch vergeblich. Das Zittern in seiner Stimme ließ sie rau werden, beinahe zu leise. „Ich habe es geahnt.“

„Hast du, in dem Wissen, dass dich der Befehl des Rates bewusst schwächt, deine Schilde erhoben um gegen den unregistrierten Empathen immun zu sein und ihn zusammen mit Beserker zu töten?“

„Das war der Grund.“

„Ausschließlich und in dem Wissen, dass es deine Neutralisierung bedeutet?“

„So ist es.“
 

Die Stille, die darauf folgte, erdrückte Crawford schier mit ihrer Macht. Sie ließ ihn nicht atmen, ebenso wenig wie die Hoffnung ihn aus ihren verräterischen Klauen ließ. Sie war fahl und schwach, aber dennoch war sie da und Crawford wünschte, er wäre klug genug, sie nicht zuzulassen. Trotzdem sagte ihm seine Logik, dass all das nicht ausreichen würde um das Urteil der Neutralisierung aufzuheben. Ihm würde lediglich die Genugtuung bleiben, dass Leonard zusammen mit ihm untergehen würde.
 

Elenora schnaubte. „Ich habe genug von ihm gesehen. Bringt ihn weg“, gab sie den Saaldienern unwirsch den Befehl, ihn aus diesem Raum zu entfernen und ihn wieder in seine Zelle zu bringen, die mitnichten so grausam war, wie es die zerstörte Hoffnung und Verzweiflung in seinem Inneren jemals hatten sein können.
 

~~**~~
 

Dass es ausgerechnet Artemij war, der schlussendlich seine Zelle betrat und ihm das Ergebnis der Beratung mitteilen würde, überraschte Crawford nicht wirklich. Vermutlich wollte sich der Pyrokinet an seinem Leid laben und sich vorher noch ein letztes Mal an ihm bedienen.

Entsprechend schwer fiel es Crawford, sich von dem Bett, auf dem er gesessen und die letzten Stunden schweigend an die Wand starrend verbracht hatte, sich nun zu erheben und auf die Knie zu sinken. Er wusste, was kommen würde und er hatte schon jetzt die Erinnerung des bitteren Geschmackes von Lasgo auf der Zunge. An Schlucken war nicht zu denken, erwartete er doch jeden Augenblick, dass sich Sperma in seinem Mund ergoss, das ihn entweder ersticken würde oder das er schlucken würde.
 

Noch bevor er jedoch seine Stirn auf den Boden senken konnte, hielt ihn Artemij mit einer unwirschen Handbewegung davon ab.

„Steh auf, spar dir deinen unnötigen Respekt“, grollte er ohne den spielerischen Sadismus in seiner Stimme und Crawford erhob sich mit gesenktem Blick. „Und lass die Spielchen. Sieh mir gefälligst in die Augen, wenn ich mit dir rede, Prinzchen.“

Verwirrt hob Crawford langsam nun auch seinen Blick. Was er sah, war nicht das lüsterne Versprechen nach Gewalt, das er erwartet hatte. Er sah Ernst und Enttäuschung in den blassblauen Augen des Pyrokineten, sicherlich durchtränkt mit einer Wut, die er Crawford gegenüber immer gezeigt hatte.
 

„Du wirst dich freuen zu hören, dass wir aufgrund der angestoßenen Untersuchung zu dem Schluss gekommen sind, dass der Verdacht auf Verrat seitens deines Lehrmeisters sich bestätigt hat. Wir haben den nun ehemaligen Ratsherrn Leonard neutralisieren lassen und sein Bewusstsein vom Antlitz dieses Anwesens getilgt.“

Überraschung ließ Crawford beinahe den Fehler begehen, den Mund aufzumachen und die Fragen zu stellen, die unter der Oberfläche seines erzwungenen Schweigens lauerten. Mit Mühe blieb er stumm und nickte.

„Du wirst dich ebenso freuen, dass der Grund deines infamen Handelns als so valide angesehen wurde – natürlich in Verbindung mit den erlangten Beweisen und deinen Fürsprechern –, dass deine eigene Neutralisierung aufgehoben wurde.“
 

Zunächst einmal wollte Crawford die Worte des anderen Mannes nicht begreifen. Sein Hirn weigerte sich mit aller Macht dagegen, ihnen einen Sinn zu verleihen. Als er dann keine andere Wahl hatte, als sie zuzulassen und die dahinter liegende Bedeutung zu erkennen, waren es seine verdammten Knie, die ihn unwürdig zurück auf das Bett schickten, als er sich strauchelnd und undiszipliniert setzen musste.
 

Artemij besah sich die offensichtliche Zurschaustellung von Schwäche mit unverhohlener Genugtuung und kam zu ihm. Er streckte die Hand nach Crawford aus und trotz der bodenlosen, überschäumenden Erleichterung, die das Orakel umfasst hatte, zuckte er wie verbrannt vor dem Mann zurück. War das der Preis für seine Begnadigung? Sexuelle Gefälligkeiten, nun, da er unter Beweis gestellt hatte, dass man ihn damit demütigen konnte und dass er lernte, zu schlucken, wenn er dazu gezwungen wurde?
 

Doch der Ratsherr lächelte nur. „Das dachte ich mir“, sagte er zu sich und hob die Augenbraue. „Nenn mir den Grund, warum ich dich berührte habe“, befahl er und Crawford sah zu ihm hoch.

„Weil Sie es so wünschen“, presste er hervor und wurde mit einem abfälligen Schnauben belohnt.

„Mitnichten. Ich hege keine Vorliebe für Männer und dich würde ich nur mit der Kneifzange anfassen, wenn es nötig wäre. Aber gut, lassen wir die Ratespielchen.“

Mit klopfendem Herzen lauschte Crawford auf die Worte, die für einen keinen Sinn ergaben.

„Ich wollte sehen, wie tief dein Trauma geht, das die letzten Wochen deine Entscheidungen beeinflusst hat. Ich wollte sehen, wie irrational du unter dem Einfluss von Erinnerungen und Eindrücken wirst und ich kann sagen, du hast mich nicht enttäuscht. Das große Orakel, durch einen einfachen Neutralisator niedergerungen, mit Ängsten und einer Belastungsstörung, die ihn zur Zumutung macht für seine Umgebung.“
 

Crawford schluckte, als er erkannte, welche Richtung das Gespräch nehmen würde. Hilflos ballte er seine Hände zu Fäusten, die Kehle wie zugeschnürt. Sie würden ihm Schwarz wegnehmen und ihn unter die Kontrolle des Mutterhauses stellen.

Nur mit Mühe hielt er dem überheblichen Wissen stand, das ihm nun entgegengebracht wurde. Er würde sich nicht beschweren, wenn das die Alternative zur Neutralisierung war. Wirklich nicht.
 

„Leonard meinte, dass deine Arroganz und dein organisationsschädigender Egoismus Formen angenommen hätte, die Verrat gleichkämen. Er sagte, dass du die Ideale von Rosenkreuz als nicht mehr wichtig erachtest. Dabei war dein größter Fehler, Orakel, den du in den letzten Wochen gemacht hast, dir keine Hilfe innerhalb deiner Organisation zu holen. Niemand hätte deinen Wert verringert, nur weil Lasgo dich vergewaltigt hat. Niemand hätte dir deinen Status streitig gemacht. Die Auffangmechanismen deiner Organisation hätten dir geholfen, das erlittene Trauma zu verarbeiten und hätten dich nicht dafür gestraft, dass dir etwas aufgezwungen worden ist, das du weder beeinflussen noch steuern konntest. In deiner üblichen Arroganz hast du angenommen, dass du alleine damit fertig werden und niemanden vertrauen kannst. Und jetzt, endlich, zum ersten Mal, hast du begriffen, dass dich deine Arroganz nicht weiterbringt und das ist ein Tag, den ich mir gottverdammt nochmal rot im Kalender anstreichen werde.“
 

Wie vom Donner gerührt saß das Orakel auf dem Bett und starrte den Mann an, der ihm Dinge ins Gesicht schleuderte, die er zwar längst begriffen hatte, sie ihm aber noch nie in der Deutlichkeit entgegen gebracht worden waren. Zumal Ratsherr Artemij der Letzte gewesen war, von dem er diese Worte erwartet hatte. Beinahe schon versöhnlich klangen sie trotz der Vorwürfe.
 

„Deine geballten, unverarbeiteten Emotionen waren es, die deinen Puppenspieler mühelos seiner Schilde beraubt haben, sodass Jean dich mit seinen und fremden Emotionen überflutet hat. Du hast mit deinem unausgegorenen Handeln beinahe einem unserer vielversprechendsten Nachwuchstalente geschadet und das ist inakzeptabel. Und deswegen wirst du die nächsten zwei Monate auf der Hornalm verbringen. Herr und Frau Steiner werden sich um dich und deine Belange kümmern und wage ja nicht, dem auch nur in Ansätzen zu widersprechen. Erst wenn der Rat sich sicher sein kann, dass du dich und deine Emotionen soweit im Griff hast, dass weder du noch dein Tun eine Gefahr für die Belange unserer Organisation darstellen, wirst du unter Jeans Beobachtung nach Japan zurückkehren und dein Team führen. Sollte sich dort auch nur andeuten, dass du zu deinem selbstzerstörerischen Verhalten zurückkehrst, verbrenne ich dich zu Asche und Staub, das schwöre ich dir, du Rotzbengel.“
 

Crawford blinzelte reichlich sprachlos und hatte erneut Mühe, den Worten zu folgen, die ihm ihren Sinn nicht wirklich offenbaren sollten.

Er kannte einige der Legenden, die sich um die Alm der Steiners rankten, die sie mitten in den Bergen bewirtschafteten. Es war einsam und verlassen dort auf 2896 Metern Höhe. Mögliche Wanderer wurden durch das ältere Empathenpaar davon abgehalten, einen Abstecher auf den schlichten Bauernhof zu machen. Vor Jahren hatte Rosenkreuz die beiden Agenten aus dem aktiven Dienst gelöst und ihnen die Alm übergeben, auf dass sie sich um schwierige Agenten kümmerten.
 

Unter vorgehaltener Hand hatte Crawford immer wieder Gerüchte gehört über die beiden, die er nun wohl am eigenen Leib erfahren würde und bestätigen könnte. Zwei Monate würde er dort verbringen, unter stetiger Beobachtung und, darüber machte er sich keinerlei Illusionen, als einfacher Agent ohne Anführerstatus.

Was die Zeit danach anbetraf, so hatte er seinen Aufpasser zu akzeptieren. Dass dieser eigentlich sein Puppenspieler gewesen wäre, zeigte, wie ernst es dem Rat mit seiner Warnung war und auch wenn es bitter war, so akzeptierte Crawford diese Bedingung ohne zu zögern.
 

Dass von ihm eine Antwort erwartet wurde, spürte er an der sich sprunghaft erhöhenden Temperatur des Raumes. Wäre die Warnung nicht eindeutig, hätte er sich an der Hitze gelabt, die die innere Kälte vertreiben würde. „Ich werde Sie nicht enttäuschen“, erwiderte er rau, doch Artmeij schnaubte nur.

„Das wäre ja mal etwas ganz Neues.“

Crawford neigte den Kopf. Trotz allem sollte er niemals vergessen, dass Artemij ihn verachtete, schon seit je her.

„Ist es mir erlaubt, noch eine Frage stellen, Ratsherr Artemij?“

Unwirsch bedeutete eben jener ihm, fortzufahren und Crawford nahm all seine verbleibende Kraft zusammen.

„Welchen Status hat Berserker inne? Lebt er noch?“

Das Lächeln, was sich auf dem Gesicht des Pyrokineten ausbreitete, war zum ersten Mal, seitdem er ihn kannte, ein ehrlich erfreutes. Da war keine Schadenfreude, kein Spott oder Zynismus.
 

„Ja, er lebt noch. Seinen Status… den wirst du erfahren, wenn du in den Rat berufen werden solltest. Gesetzt dem Fall, dass du jemals erwählt werden wirst, deinen Platz dort einzunehmen. So dumm, wie du dich gerade anstellst, rückt das allerdings in weite Ferne“, antwortete Artemij spöttisch und drehte sich um. Crawford knirschte unwillkürlich mit den Zähnen.
 

Seit Jahren hatte er jemanden in seinem Team, dessen Eigenarten und Sturheit er für die Nachwirkungen des Tuns seiner Mutter gehalten hatte, die die Schilde des Iren zu überhastet gebrochen hatte. Seit Jahren fügte sich Jei in ihr Team und nun stellte sich heraus, dass dieser Mann eine Position innerhalb ihrer Organisation innehatte, die es ihm erlaubte, sich dem Rat auf eine Weise zu nähern, die keinem anderen, auch nicht den Teamführern erlaubt war. Ohne Erklärung. Ohne Vorwarnung.
 

Als wenn der Pyrokinet sich seiner Gedanken bewusst war, drehte er sich noch einmal zu ihm um.
 

„In jedem Märchen liegt ein Körnchen Wahrheit, Orakel“, lächelte er vielsagend. „Vielleicht solltest du anfangen, jene dort zu suchen?“

Ein im Türknauf verborgener Fingerabdruckscanner öffnete die Tür und Artemij trat hinaus, ohne auf eine Antwort zu warten. Er ließ sie offen stehen und Crawford hörte, wie sich die Schritte des Mannes entfernten.
 

Bewusst atmete er ein und wieder aus, wiederholte das. Einmal, zweimal, dreimal, bis er sich sicher sein konnte, dass seine Lungen von alleine atmeten. Erst dann erlaubte er es sich, seine Ellbogen auf seine Oberschenkel abzustützen und sein Gesicht in seinen Händen zu bergen. Er war am Leben. Am Leben. Er würde nicht neutralisiert werden. Derjenige, der für seinen Verrat verantwortlich war, würde den Rest seines Daseins als eben die Marionette fristen, die er hatte werden sollen. Ausgleichende Gerechtigkeit, wenn man so wollte oder auch bittere Ironie. Bodenlose Erleichterung erfüllte ihn und beinahe war er versucht zu lachen.
 

Die Hand auf seinen Haaren ließ ihn zusammenzucken und er sah abrupt hoch. Vor ihm stand, mit einem derart liebevollen Ausdruck in ihren Augen, dass es ihn schmerzte, seine Mutter. Nicht die Dame des Hauses, sondern seine Mutter, die ihn in ihrer Robe ohne Rücksicht auf das Protokoll in ihre Arme schloss und ihn beinahe mit der Enge ihrer Umarmung erstickte.

~Mein unzerstörbarer Satansbraten~, murmelte sie in seine Gedanken und Crawford schnaubte gegen die Wolle ihrer Robe an.

~Du bist eine schottische Mistkröte, weißt du das? Wusstest du von all dem?~, gab er zurück und sie lachte. Kurz bevor er wirklich ersticken konnte, lehnte sie sich gerade so weit zurück, dass sie ihn bequem ansehen konnte.

~Ich war über Ratsherr Artemijs Vorhaben informiert, was die Beweise gegen Leonard und dich anging. Von Reiji und Jei hatte ich keine Ahnung, bis zuletzt nicht.~

~Hast du deswegen toleriert, dass er mich anfasst?~

~Ich habe ihm die Hölle dafür heiß gemacht, während er das getan hat.~

~Und das soll ich dir glauben, Siobhan Crawford?~

~Das musst du wohl~, grinste sie und er sah überschäumende Erleichterung in ihren Augen.

~Ich bin so froh, dass du lebst, mein unzerstörbarer Sprössling~, sagte sie und drückte ihm einen herzlichen Kuss auf die Stirn.
 

Crawford gönnte sich einen Moment des Zögerns, bevor er seine Arme hob und seine Mutter nun seinerseits an sich zog und seiner unbändigen Erleichterung eine mentale Stimme gab.

~Ich hasse dich~, fluchte er herzhaft und nur aus dem Grund, weil er das Gegenteil nicht über seine Lippen brachte. Noch nicht einmal in Gedanken.
 


 

~~~~~~~~~~~~~~~

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kritik, Kommentare, Lob und Flüche immer zu mir. :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Meggal
2019-12-06T17:07:35+00:00 06.12.2019 18:07
Hach :D Erleichterung! Was für ein tolles Ende der ganzen Sache. Und zwei Monate Urlaub in den Bergen kann auch nicht schaden.
Ich glaube, ich würde tauschen, vielleicht können die Empathen mir dann klar machen, was ich habe, wenn ich mal wieder nicht weiß, was mit mir los ist ^^'

Artemij finde ich allerdings auch ziemlich... interessant. Ich fand das Begrabschen zwar eklig, aber die Schlag-auf-den-Hinterkopf"-Ansage gegenüber Crawford durchaus angebracht.

Ich bin - genau wie Gadreel - sehr gespannt auf das letzte Kapitel :)
Wo mir einfällt: ich sollte mal "Der Glasgarten" weiterlesen^^'
Antwort von:  Cocos
06.12.2019 22:36
Heee, ganz zuende isses noch nicht. :D Aber vielen lieben Dank dir :3 Freut mich, dass es dir zusagt!

Brad kann den "Urlaub" definitiv brauchen, auch wenn die Steiners eventuell nicht seinen Vorstellungen entsprechen.

Hmm. Hätte Vorteile, so eine Therapiealm zur Selbsterkennung! Das stimmt schon.

Da bin ich ganz bei dir. Er hat zwar Crawfords Zustand schamlos ausgenutzt, aber mit Sinn dahinter und einer wahren Grundaussage, die unserem Orakel ordentlich den Kopf wäscht. Das macht ihn nicht weniger wütend und arschlochartig, dennoch nicht ganz so schlimm wie Leonard oder Lasgo.

Beim Glasgarten habe ich keine Aktien mehr drin, schon seit Jahren nicht mehr. Ich muss aber sagen, dass ich es sehr cool finde, dass die Namensvetterin der obigen Gadreel die Geschichte fortführt. Ich wünsche dir viel Spaß damit! ;)

Auch dir möchte ich die Frage stellen, wie du denkst, dass es ausgehen wird.

Liebe Grüße
Von:  Gadreel
2019-12-06T09:59:44+00:00 06.12.2019 10:59
Ich wusste es! Oder eher gesagt, ich hatte es vermutet xD
Der gute Jei, der Retter in der Not - die Rolle hätte eigentlich Aya innewohnen sollen :P
Aber ich gebe mich auch mit dem Mondjungen zufrieden - allein schon, weil Crawford nicht neutralisiert wurde und somit es doch ein kleines "Happy End" gab :)

Siobhan ist echt eine Nummer! Die Frau ist für mich schizophren ^^', trotz dessen mag ich sie und die letzte Szene zwischen den beiden hat mir auch sehr gut gefallen. Endlich konnte sie wieder in ihre Mutter-Rolle schlüpfen und ihrer Erleichterung feien Lauf lassen. Für sie war die Situation mit Sicherheit auch kein Zuckerschlecken.

Es freut mich, dass alles so glimpflich ausgegangen ist :D

Von mir aus könnte Artemij als nächstes ins Gras beißen...

Ich freu mich schon auf das Wiedersehen mit Brad und Aya - da habe ich große Erwartungen an dich!!! XD
Jedoch bin ich mir ganz sicher, dass ich diesbezüglich von dir nicht enttäuscht werde ;)

Nur noch ein Teil ;_; Skandal! Wann schreibst du deine nächste Weiß Kreuz FF? XD

Ich freu mich wahnsinnig, was du aus dem letzten Teil machen wirst :)

^___^/)))
Antwort von:  Cocos
06.12.2019 22:02
Hrhrhrrr.

Jaaa, hätte Aya. Das hätte ich aber nicht begründen können außer mit :"Ich will das so, weil :3" :D Da habe ich mich für Jei entschieden... aus Gründen 8)

Und siehste, dieses Mal kein Cliffhanger, sondern was Ruhiges! Da habe ich mal an dein Herz und die der anderen Leser gedacht!

Siobhan hat, seitdem ihr Sohnemann seine Schilde hochhezogen hat, gelitten... schließlich liebt sie ihren Sohn ja, aber sie hat nun einmal auch eine Aufgabe zu erfüllen, die ihr leider manchmal anderes befiehlt. :(

Artemij... :D Warum er wohl bloß Crawford nicht mag? Hmm.

Rein der Neugierde halber (ja die Szene ist schon geschrieben ;) ): wie denkst du denn werden sie sich wiedersehen?

Oh ich überlege tatsächlich, noch einen dritten Teil schreibe, aber das steht noch in den Sternen.

:D Kannst und darfst dich auch freuen! ;) (hoffentlich... o.O)

^_______^v


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