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Der Abgrund starrt zurück

Traumtagebuch der anderen Art
von

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Mauern

Es begann im Herbst, als das Familienhaus an der Gronaustraße verkauft wurde.

Dass die Nachbarschaft bei Gelegenheit wie einer Meute ausgehungerter Hyänen um das Grundstück streifte, störte mich wenig, ja es beruhigte mich sogar.

Denn die Neugier zerfraß mich, welche Sorte Mensch es wohl in diese abgeschottete und doch so herzliche Gegend gezogen hatte.

So sah man die Leute jeden Abend dort herumschleichen wie die Katze ums Baldrianfeld.

Sicher stellten sie sich die Frage, wer das Haus nun bewohnte.

Doch anscheinend traute sich niemand zu klingeln oder sich auch nur in soweit bemerkbar zu machen, das sich der neue Hausbesitzer zu erkennen gab.

Ich für meinen Teil würde gewiss nicht unter den Ersten sein, die den direkten Kontakt zu jenen mysteriösen Bewohnern aufnahm, denn ich litt und leide noch heute an einer sehr seltenen Erkrankung, die mich daran hindert, das Haus bei Tageslicht zu verlassen.

Erst gegen Abend, wenn die Sonne, die mein Herz rasen lässt und mir die Luft abschnürt, untergeht, wage ich mich an die Luft und suche das Gespräch mit anderen Nachtmenschen.
 

So erfuhr ich von manchen, dass sie sehr wohl mit den neuen Nachbarn in Kontakt standen und sich sehr lebhaft mit ihnen ausgetauscht hatten.

Worüber man sich mit ihnen unterhielte, darüber schwieg man mit auffälliger Hartnäckigkeit, doch versicherte man stets mit Nachdruck, es seien ehrbare Leute, sehr distinguiert und höflich.

Sonderbar, denn das Haus lag schräg gegenüber von meinem und ich sah nie jemanden ein oder aus gehen.
 

Schließlich siegte meine Neugier und ich betrat eines Abends dann doch das Grundstück.

Mir fiel auf, dass ich, obwohl ich nachts oft Spaziergänge unternahm, nie ein fremdes Grundstück betreten hatte.

So wurde mir auch mit plötzlichem (und im Nachhinein lachhaftem) Schrecken bewusst, dass mir entfallen war, wie man normalen Besuch tätigte.

Mir die passenden Worte zurechtzulegen, sobald die Tür geöffnet wurde, glich plötzlich einer Diplomarbeit.

Die Tür näherte sich, je mehr wankende Schritte ich tat und die Angst und der Schwindel griffen nach mir.

Schwitzend versuchte ich mir kurz vor der Treppe noch einmal Mut zuzusprechen, bevor ich mich letztlich wie elektrisiert zu Seite drehte.

Was tat ich hier? Ich stromerte ums Haus.

Seitlich entlang an den Fenstern, in die ich keinen Blick zu werfen wagte, hätte ich ja ungewollten Blickkontakt zu den Gestalten (Bewohner! Wie kam ich auf Gestalten?) herstellen und somit das gefürchtete Zusammentreffen provozieren können.

So wuchs das Bedürfnis nach Flucht mit jedem Schritt und das Verlangen, den Besitzer zu treffen schien nicht nur niemals vorhanden gewesen zu sein, es erschien mir geradezu selbstmörderisch.

Sobald ich das Gebäude unbeschadet umrundet hatte, atmete ich tief durch und strauchelte förmlich vom Grundstück.

Mir war klar, dass ich ein ähnliches Verhalten wie meine Nachbarn an den Tag gelegt hatte und ich schämte mich die ganze Nacht lang deswegen.
 

Und immer wenn mich jemand fragt, ob ich die Nachbarn kennen gelernt habe, hörte ich mich wie mechanisch antworten, ja, wir haben uns unterhalten, wüsste aber nicht mehr worüber und ja, es sind gute Leute, zurückhaltend und höflich. Und wenn ich tagsüber vom Fenster aus sehe, wie die Leute ums Haus schleichen, fühle ich mich wie die Sonne selbst, die ihr unerbittlich kaltes Licht auf die falsche feige Menschenrasse als Ganzes fallen lässt.



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