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Zwei Brüder

Es schneite schwach. Mir war bereits nach fünf Minuten kalt, und Mokubas Gewicht machte sich auch bemerkbar, dennoch – ich konnte und wollte nicht zurück. Außerdem war es das Beste für den Kleinen, wenn er weit weg von Sakura war. Mein Atem bildete eine Wolke über unseren Köpfen, während sich Mokuba weiterhin an mich klammerte. Er hatte mittlerweile wieder einigermaßen aufgehört zu weinen, was mich beruhigte. Obwohl es mir selbst wirklich dreckig ging, war ich doch mehr um meinen kleinen Schützling besorgt, als um mich selbst.
 

„Mokuba? Weißt du, dass ich sehr stolz auf dich bin?“ Im fahlen Licht der Laternen, welche unseren Weg erleuchteten, sah ich, wie der Schwarzhaarige zu mir aufblickte und sich vorsichtig mit dem Jackenärmel über die Augen wischte. „Ich hatte damals nicht weinen können, als mir meine erste große Liebe einen Korb verpasste. Ich habe es in mich hineingefressen, war verbittert, zornig und unausstehlich. Mein Umfeld litt sehr unter der Situation, mehr noch als ich vielleicht.“ Reflexartig drückte ich den Kleinen fest an mich und strich ihm über die Schulter. Das hatte einen netten Nebeneffekt: Seine Jacke war gut gefüttert, sowohl innen, als auch außen.
 

„S-Seto meint, man solle seine Gefühle nicht zeigen, weil das eine Schwäche sei, die man ausnützen könnte.“ Mokubas Stimme war brüchig und der Satz abgehackt, aber einigermaßen verständlich. „Ist es nicht, Mokuba. Wer Gefühle zeigt, der verarbeitet sie. Du hast alles richtig gemacht. Jeder zeigt einmal seine Emotionen, sogar dein Bruder.“ Ich zitterte bereits am ganzen Körper, und wir waren erst gut fünfzehn Minuten unterwegs; das Gespräch lenkte mich aber davon etwas ab.
 

„M-Manchmal schon, ja. Vor allem, seitdem du bei uns öfter im Haus bist. Er nimmt mich mittlerweile ab und an in den Arm, setzt sich zu mir ans Bett, und nimmt sich Zeit, egal wie viel Stress er in der Firma hat.“ Auf seine Worte hin musste ich unwillkürlich lächeln. Kaiba hatte sich meine Worte wohl wirklich zu Herzen genommen. „Ich glaube, Mokuba, dass dein großer Bruder eigentlich ein sehr liebenswerter, zärtlicher Mensch sein kann – dir gegenüber zumindest. Außerdem, wenn er mal keine Zeit hat, hast du ja noch einen anderen Bruder, hm?“ Ich schmunzelte ob Mokubas verwirrtem Gesichtsausdruck. „Hör mal, Mokuba. Ich bin siebzehn, und habe keine Geschwister. Vor dir wusste ich gar nicht, wie es ist, jemanden so gern zu haben, lieb zu haben. Obwohl du manchmal ein kleiner Quälgeist bist, so würde ich dich um nichts in der Welt hergeben. Wenn du möchtest, kann ich auch so etwas wie dein großer Bruder sein. Natürlich nicht so wie es Seto ist. Er hat mehr Geld, kennt dich besser, sorgt für dich und ist bestimmt ein toller Bruder, aber ein Zweiter schadet sicher nicht, oder?“
 

Die nächste gefühlte halbe Stunde herrschte Stille. Ich hatte wohl etwas Falsches gesagt, bis Mokuba sich in meinen Armen rührte. „Mh, ich habe dich lieb, David. Ich wäre froh, wenn du mein großer Bruder wärst.“ Seine rechte Hand krallte sich in mein Shirt und der kleine Quälgeist schmiegte sich an meine Brust. Irgendwie erfüllten mich seine Worte mit Stolz, und ließen mich das Bibbern und die Kälte fast vergessen, welche meinen Körper heimsuchten. „Das freut mich, Mokuba. Wenn wir zuhause sind, duschst du heiß und gehst dann ins Bett, ja?“ Mokuba nickte nur und hielt sich weiter an mir fest.
 

Mit meinem Bündel auf den Armen und am Rücken stapfte ich also durch die verschneite Kulisse von Domino City. Die Läden hatten alle bereits geschlossen oder waren am Schließen. Ich spürte meine Finger fast nicht mehr, und auch meine Beine waren taub geworden. Trotz dieser Umstände stapfte ich weiter und lächelte unbewusst. Mokuba war eingeschlafen. Der Kleine war mir tatsächlcih ans Herz gewachsen. Ich liebte ihn wirklich, nicht so wie Joey, oder meine Großeltern, anders aber doch sehr.
 

Als wir endlich das Tor der Kaibavilla erreichten, seufzte ich erleichtert auf. Noch zehn Minuten länger, und ich wäre wahrscheinlich erfroren. Umständlich drückte ich mit dem Ellenbogen gegen den Knopf der Sprechanlage. Ich hoffte, dass noch jemand wach sein würde.
 

„Wer besitzt die Frechheit, zu so später Stunde noch zu stören?“ Kaibas Stimme fauchte mir entgegen. Warum war er bitte noch wach? Hatte er dafür nicht Dienstpersonal. „Ich bin es, mit Mokuba auf dem Arm. Es ist arschkalt – würdest du bitte aufmachen?“ Eine Sekunde später surrte das Tor und schwang nach innen. Ich hechtete die Einfahrt hinauf, wo Kaiba schon auf uns wartete.
 

„Wie siehst du aus? Ist etwas mit Mokuba?“ Die erste Frage war gewohnt giftig, die zweite besorgt. Sein Blick spiegelte Letzteres auch wider. „Sakura hat ihm einen Korb verpasst, daher bin ich mit ihm zurückgekommen. Er schläft gerade, das ist alles.“ Der CEO nickte wortlos und schloss die Tür hinter mir. „Er sollte vielleicht heiß duschen und noch was Warmes trinken.“ Das Bündel in meinen Armen rührte sich dezent. Entgegen meiner Erwartungen wachte er nicht auf, sondern drehte sich nur ein wenig.
 

„Lass ihn schlafen. Bringst du ihn in sein Zimmer hoch?“ Kaibas Stimme war mit einem Mal äußerst freundlich geworden. Ich verstand die Welt nicht mehr – zuerst Mei und jetzt das. Drehten heute alle völlig durch? „Klar. Ich lege ihn ins Bett und würde dann auch hier übernachten, wenn ich darf?“ Auch hier wurde ich enttäuscht: Der Braunhaarige nickte nur und ich meinte fast ein Lächeln auf seinen Lippen erkennen zu können.
 

„Das Gästezimmer ist frei, wobei ich nicht glaube, dass du in deinem eigenen Bett nächtigen wirst.“ Ich blinzelte und sah vom großen zum kleinen Kaiba und wieder zurück. „Du bist nicht eifersüchtig?“ Seto schüttelte leicht den Kopf: „Nein, bin ich nicht. Bilde dir zwar nichts drauf ein, aber Mokuba hat mir von dir erzählt. Wie du dich um ihn gekümmert hast, und dass er dich sehr mag. Das hat mich ein wenig zum…Umdenken bewegt. Ich muss dich nicht in meiner Nähe haben, und als Freunde würde ich uns auch nicht bezeichnen, aber mein kleiner Bruder verbindet uns. Ich habe schon Wheeler in meinem Haus als regelmäßigen Gast akzeptiert, und der ist deutlich nervtötender als du.“
 

„Gut, dann, sehe ich mal zu, dass ich den kleinen Racker ins Bett bringe.“ Kaiba nickte erneut und wandte sich ab. „Ich möchte sowieso morgen mit dir sprechen.“ Damit war er auch schon in den Untiefen der Villa verschwunden.
 

Langsam stieg ich die Treppe hoch und schlich in Mokubas Zimmer. Diesen drapierte ich vorsichtig auf seinem Bett und sah an mir herab. Mein Shirt war klitschnass von geschmolzenem Schnee und Schweiß. Ich zitterte mittlerweile so stark, dass ich nur mit Mühe ein Klappern der Zähne unterdrücken konnte. Wie verlockend mir die Bettdecke erschien, in welche Mokuba sich eingemümmelt hatte.
 

„Was ist? Willst du da Wurzeln schlagen?“ Der kleine Wirbelwind grinste mir frech entgegen. Wann war er wach geworden? „N-N-Nein.“ Ich schlüpfte aus dem Shirt und den Schuhen. Eine Dusche hielt ich nicht für vorteilhaft: Mir war zu kalt, und dann plötzlich heißes Wasser auf der Haut konnte das Brennen nur noch verstärken. Stattdessen kletterte ich ins Bett und kuschelte mich in die Decke. Ein wenig noch, und es würde wärmer werden.
 

Mein kleiner Gefährte kuschelte sich plötzlich an mich. Ich schrägte den Kopf und wurde mit einem Lächeln belohnt. „Dir muss total kalt sein, mir ist warm…“ Irgendwie war das äußerst niedlich und süß von ihm. „Danke.“ Das Brennen auf der Haut ließ nach und ich schlang meine Arme um den kleinen Kaiba.
 

„Schlaf jetzt, es ist schon spät und außerdem wollen wir morgen nicht den ganzen Tag verpennen, oder?“ Mokuba schüttelte den Kopf: „Nein, will ich nicht. Gute Nacht, David. Hab dich lieb!“ Ich lächelte wieder: „Ich dich auch, Mokuba. Wenn du nicht schlafen kannst, mach ruhig den Fernseher an, oder weck mich, ja?“ Mein Angebot wurde von einem leisen, regelmäßigen Atmen beantwortet. Er musste wirklich geschafft sein. Das war gut: Mir war es damals nicht möglich, zu schlafen. In mein Nest aus Decken und Mokuba gekuschelt, schlief ich ein, und vergaß den heutigen Tag – zumindest für einige Stunden.



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