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Welt ohne Grenzen

von

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Auf Biegen und Brechen (Iris Amicitia)

Es scheppert gewaltig, als mein Stiefel den harten Stahl trifft. Ich kann die Kraft des Zusammenpralls in meinem ganzen Bein vibrieren spüren. Schmerz schießt durch meine Muskeln und ich setze den Fuß ganz vorsichtig zurück auf den Boden.
 

„Alles in Ordnung?“ Talcotts Stimme klingt müde, aber aufrichtig besorgt. Er liegt in der Zelle direkt neben meiner, auf dem Fußboden, weil die dünne Pritsche zu kurz und zu schmal für seinen kräftigen Körper ist. Kein Luxus für Landesverrat. „Bist du verletzt?“ Er richtet sich etwas auf und blinzelt durch die Dunkelheit zu mir herüber. Ich teste vorsichtig mein schmerzendes Bein.
 

„Nein, alles in Ordnung“, gebe ich schließlich zurück, „Nur etwas gezerrt. Die Tür ist ganz schön stabil…“
 

„Natürlich ist sie das, das ist mehrfach gehärteter Stahl. Mach dich bitte nicht kaputt, Iris. Du versuchst das schon seit Tagen… und du hast die Wache gehört, kein Mann kann diese Türen auftreten.“
 

„Ich bin ja auch kein Mann“, entgegne ich trotzig und trete noch einmal gegen das breite Schloss, „Und außerdem eine Amicitia. Wir sind stark. Wir sind mutig. Und wir hören nicht auf zu kämpfen, bis der König und seine Königin in Sicherheit sind.“ Mit jedem Satz trete ich wieder gegen das Schloss. Wieder, und wieder, und wieder. Ich kann Luna in der Zelle gegenüber traurig lächeln sehen und muss daran denken, dass sie vermutlich jedes Mal, wenn ich mein Bein hebe, mein Höschen sieht. Gladdi hatte Recht, ich sollte keine Röcke tragen zum Kämpfen. Aber umziehen kann ich mich hier nicht.
 

Talcott hat auch Recht, stelle ich fest, als ich mein Bein wieder absetzen und eine Weile schonen muss. Ich weiß, dass er gerade alle seine Taschen durchsucht, ob er nicht doch noch irgendwo einen vergessenen Heiltrank findet, aber selbst sein vorbildlich gehaltener Vorrat ist inzwischen aufgebraucht. Ich verlagere mein Gewicht auf das schmerzende Bein und trete stattdessen mit dem anderen zu. Das macht es schwieriger, das Schloss präzise zu treffen, und es dauert nicht lange, bis ich zum ersten Mal abrutsche und mit dem Fuß zwischen den Gitterstäben hängen bleibe. Es schmerzt höllisch und ich humple geschlagen zu meiner Pritsche zurück.
 

„Verdammt…“ Genervt reibe ich den verletzten Knöchel, aber er scheint zumindest nicht gebrochen zu sein. Pulsierend vor Schmerz und irgendwie zu warm, aber immer noch beweglich. Wird schon gehen.
 

„Bitte, Iris, lass es gut sein“, fleht Talcott noch einmal, „wir finden schon irgendwie einen Weg hier raus. Lass uns lieber einen vernünftigen Plan schmieden, bevor du dich ganz außer Gefecht setzt…“
 

Ich höre kaum zu. Wieder humple ich auf die Tür zu und teste, wie viel Gewicht ich auf meinen verletzten Knöchel stemmen kann. Er trägt mich, und so ziele ich wieder mit den freien Bein auf das Schloss. Und nochmal. Und nochmal. Talcott seufzt tief und murmelt etwas. Komischerweise klingt es irgendwie nach ‚Ich liebe dich‘ aber da habe ich mich sicher verhört. Das Scheppern des Schlosses ist sehr viel lauter als seine Stimme. Meine Knochen schmerzen, meine Muskeln spannen, Blut pocht in meinen Ohren und so langsam wird mir schwindlig vor Anstrengung.
 

Ich bin wütend. Ich bleibe stehen, mitten in dieser dreckigen Zelle, das Gewicht gleichmäßig auf beide Füße verteilt, die Fäuste geballt. Meine Handschuhe hat man mir abgenommen, wie alle unsere Waffen. Aber meine Kraft und meinen Stammbaum kann mir keiner nehmen. Ich bin eine Amicitia. Ich bin der Schild der Königin. Der Schild des neuen Königs. Eine dumme Zellentür kann mich nicht aufhalten.
 

Ich fasse das Schloss ins Auge. Es ist massiv. Schwerer Stahl, schwer gebaut. Meine Schuhe haben Spuren darauf hinterlassen. Dreck von meinen Stiefeln, Abrieb meiner Sohlen. Kaum wirkliche Kratzer. Aber noch bin ich nicht fertig. Eine Amicitia gibt nicht klein bei. Sie tritt höchstens einen Schritt zurück, um Anlauf zu nehmen. Viel Anlauf. Ich renne auf die Tür zu, greife die Eisenstangen mit beiden Händen, schwinge mich daran hoch und ramme beide Füße gegen das Schloss. Etwas kracht, ich verliere das Gleichgewicht und lande unsanft auf dem Steißbein. Der Schmerz lähmt mich einen Moment, als ich mich endlich aufrapple, ist die Tür immer noch zu.
 

„Iris! Iris, bist du okay?“ Talcotts Stimme ist beinahe panisch, anscheinend bin ich doch länger liegen geblieben, als ich dachte. Ich blicke in seine angsterfüllten Augen und atme tief durch, bevor ich wieder auf meine Füße komme. Inzwischen tun beide Knöchel weh, meine Beine zittern, und mein Hintern fühlt sich auch nicht gerade frisch an. Das ist das Problem, wenn man die Dreißig hinter sich lässt… Schmerzen kommen schneller und gehen später, je älter man wird. Als Kind ist man praktisch aus Gummi. Wenn ich an meine vielen Unfälle damals denke… da hab ich mir nie wehgetan.
 

Ich trete wieder auf die Tür zu und rüttle daran. Der Riegel, der das Schloss mit dem Rahmen verbindet, ist lose, klemmt aber noch fest. Ich stemme meine Schulter gegen die Tür und das abgebrochene Metallteil fällt klappernd aus der Fassung. Mit einem gewaltigen, hallenden Scheppern fliegt die ganze Tür auf und kracht donnernd gegen die vergitterte Zellenwand. Ich verliere das Gleichgewicht und falle hinaus auf den Gang.
 

„Iris, pass auf!“ Talcotts Ausruf schreckt mich auf und ich komme gerade noch rechtzeitig auf die Hände, um der heranstürmenden Wache den Fuß ins Gesicht zu schlagen. Es gibt ein lautes Krachen und der Mann schlägt mit dem Kopf auf die Wand, als ich noch den Schwung meines Kicks nutze, um wieder auf die Füße zu kommen. Mir ist schwindelig, der Mann liegt verkrümmt am Boden. „Oh Mist…“
 

Ich eile an die Seite der Wache und fühle nervös nach seinem Puls. Erst, als ich einen finde, atme ich langsam wieder aus. Er lebt noch… hoffentlich ist es nur eine Gehirnerschütterung und kein Genickbruch. An der Wand hinter ihm ist etwas Blut, passend zur Platzwunde an seinem Kopf. Sein Gesicht ziert ein dreckiger Stiefelabdruck über seiner eingedrückten Nase. Ich atme nochmal tief durch und greife an seinen Gürtel, um mir die Zellenschlüssel zu nehmen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung richte ich mich wieder auf und reiche Talcott die Schlüssel durchs Gitter. Meine eigenen Hände zittern zu stark, als dass ich irgendwas in ein Schloss pfriemeln könnte. Erschöpft und zittrig lasse ich mich auf den Boden sinken und konzentriere mich auf meine Atmung.
 

Talcott klimpert mit dem Schlüsselbund herum, es dauert eine Weile, bis er den richtigen Schlüssel gefunden und ins Schloss manövriert hat. Er eilt sofort zu mir und drückt mir einen Heiltrank in die Hand. Keine Ahnung, wo er den noch aufgetrieben hat, aber ich kann nur dankbar lächeln. Ganz der gute Buttler. Er erinnert mich an Jered, wenn ich mir beim Spielen ein Knie aufgeschlagen habe. Der gute alte Jared… er wäre stolz auf seinen Enkel. Sehr stolz.
 

„Geht es dir wieder besser?“ Lunafreyas sanfte Stimme weckt mich aus meinen Erinnerungen. Der Heiltrank hat einen bitteren Nachgeschmack auf meiner Zunge zurückgelassen, aber die Schmerzen lassen langsam nach. Ich lasse mir aufhelfen und teste meine Beine. Jetzt fühlen sie sich fast taub an, so in Abwesenheit der Schmerzen…
 

„Wie lange waren wir schon hier unten?“, frage ich und sehe mich um. Ich habe völlig das Zeitgefühl verloren.
 

„Keine Ahnung“, gibt Talcott zu, „Hier unten ist es immer dunkel, fast wie in der langen Nacht. Ohne Uhr unmöglich zu sagen, wie spät es ist. Und so trist, dass sich nicht mal Siecher hier runter trauen.“
 

„Ich glaube, das liegt eher an unserer Königin“, wende ich ein. Ich habe nicht wirklich darauf geachtet, bin aber sicher, dass ich das ein oder andere leise Gebet aus ihrer Richtung gehört habe, während ich mir die Knochen an der Tür kaputt getreten habe. Ich werfe der Kannagi ein schwaches Lächeln zu und sie erwidert meinen Blick freundlich.
 

„Vermutlich. Aber egal, wie lange wir schon hier drin sind, wir sollten jetzt möglichst schnell raus hier. Dauert sicher nicht lang, bis jemand nach unserem armen Freund hier sucht…“ Luna legt ihre Hand auf den Kopf des Mannes, als wollte sie einen Heilzauber wirken, aber natürlich hat sie keine Magie mehr übrig. Alle Heilzauber, die wir von Nyx noch hatten, gingen wie unsere Heiltränke an mich, während ich mich an der Tür aufgerieben habe. Lunas eigene Heilkräfte wirken wohl nur gegen die Dunkelheit, nicht gegen weltlichen Schaden...
 

„Ich hoffe, sie finden ihn schnell genug, um ihm zu helfen“, gebe ich zu, „So fest wollte ich eigentlich nicht zutreten.“
 

„Bei dem Lärm hier wird sicher schnell jemand kommen“, beruhigt mich Luna, „Also nichts wie weg hier. Wir müssen den Ring finden und zu Nyx bringen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn dieser Rashin seinen Sohn zum Regieren nutzt…“
 

Ich verziehe kurz das Gesicht, führe den kleinen Trupp aber nach draußen. Rashin ist extra persönlich herunter gekommen, um uns seinen – erstaunlicherweise lebendigen – Sohn zu zeigen und damit anzugeben, dass er jetzt ganz offiziell Vater und Berater des Königs ist. Ich frage mich, wie er das angestellt hat… wir haben den kleinen Nova definitiv sterben gesehen. Der Ring hat ihn bei lebendigem Leib verbrannt, und doch war er komplett unverletzt, als er uns hier unten besucht hat. Ein wenig bedröppelt, und ziemlich still, aber definitiv lebendig und wach.
 

Irgendwas ist hier oberfaul. Ich muss Luna helfen herauszufinden, was, um die Welt zu retten. Solange Gladdi und die anderen verschwunden sind, gibt es nur noch uns… jetzt sind wir die letzte Hoffnung der Menschen.



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