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Welt ohne Grenzen

von

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Zugfahrt (Noctis Lucis Caelum)

Das Rattern der Räder auf den Schwellen der Gleise. Die Welt, wie sie an den großen Fenstern vorbei zieht. Raue Sitzpolster in meinem Rücken. Ich weiß, dass es nur eine einfache Zugfahrt ist, trotzdem ertappe ich mich dabei, wie fest ich Promptos Hand halte. Er lässt es zu, rutscht sogar so weit näher, dass es nicht jeder gleich sieht. Er zumindest wirkt ruhig. Ohne Angst.
 

„Im Boardmenü gibt’s Tütensuppe“, stellt Gladio fest. Sein linker Arm liegt immer noch in einer Schlinge, trotzdem sieht es ziemlich cool aus, wie er die Uniformjacke darüber gehängt hat. Er lässt sich seine Verletzung nicht anmerken, wirkt selbstbewusst und stark. Eher verwegen als verletzt.
 

„Findest du nicht, wir sollten lieber etwas Anständiges essen?“, wendet Prompto ein und nimmt Gladio das Menü ab, „Nur weil Ignis ausnahmsweise mal schläft müssen wir ihn ja nicht übergehen.“
 

Ich merke, dass ich sofort unruhig werde, als Prompto meine Hand loslässt und atme bewusst tief durch, um der Panik entgegen zu wirken. Die Landschaft außerhalb des Fensters ist eine andere als damals; das Eis ist verschwunden, eine raue Steppe hat die einstige Polarlandschaft ersetzt. Trotzdem… erinnere ich mich zu deutlich an die langen Stunden, die ich aus eben so einem Fenster geschaut und mich gefragt habe, ob Prompto da draußen noch lebt. Jetzt sitz er direkt neben mir und dennoch habe ich Angst, ihn wieder zu verlieren.
 

„Was meinst du, Noct?“ Die unschuldige Frage reißt mich aus den Gedanken und ich muss schnell schalten, um keine dumme Frage zu stellen. Prompto hält mir die Speisekarte vor die Nase, sicher geht es noch ums Essen. Ich nehme ihm die Karte ab und atme erleichtert aus, als er sich an mich lehnt, um mit hineinzusehen.
 

Ignis ist als einziger nicht bei uns. Er hat sich in den Schlafwagen zurückgezogen um ein wenig auszuruhen, während wir noch in Ruhe zu Abend essen. Er selbst braucht nichts, meinte er. Mir ist nicht ganz wohl dabei, aber ich habe mich entschlossen, ihm die Zeit zu geben, die er vielleicht braucht. Wenn wir erst mal in Insomnia ankommen, können wir uns diesen Luxus nicht mehr nehmen. Dort zählt jeder Schritt…
 

Wir sind nicht mehr willkommen in unserer Stadt, zumindest nicht offiziell. Ich zweifle nicht daran, dass das einfache Volk mir weiter im Stillen die Treue hält, aber ich möchte niemanden gefährden. Ignis‘ Plan – und damit der beste Plan, den wir haben – sieht vor, dass wir uns inkognito in die Stadt schleichen. Über die Kanalisation, deren Eingang kurz vor der Stadtmauer liegt, kommen wir bis direkt unter die Zitadelle. Ein alter Versorgungsschacht führt hoch in die Abstellgleise der U-Bahn, von dort kommen wir hoch in den tiefsten Keller der Zitadelle. Der Kerker, in dem Luna und die anderen vermutlich gefangen gehalten werden, ist mir wenig vertraut, aber wir werden ihn sicher finden.
 

Das Problem werden die Wachen sein.
 

Sicher, einige von ihnen haben vermutlich selbst Zweifel. Zweifel, ob Nova wirklich der neue König ist, Zweifel, ob es gut ist, sich die Kannagi zum Feind zu machen. Viele kennen Gladio und werden schon vor einer bloßen Drohung zurückweichen. Aber wenn einer kämpft… weiß ich nicht, wie gut wir dastehen. Gladio ist verletzt, kann nur mit einer Hand kämpfen. Er und Prompto sind immer noch wackelig auf den Beinen wegen der Vergiftung, wir alle haben einen deutlichen Trainingsrückstand. Dazu noch die psychischen Probleme, wegen denen bisher nur zwei meiner drei Gefährten wirklich behandelt werden, und deren Ausmaß so gefährlich wie unsichtbar ist.
 

Ich überlasse es Prompto, für mich mitzuentscheiden, was wir essen wollen, und letztendlich fällt die Wahl auf Fisch. Mir zu Liebe, vielleicht, vielleicht auch, weil es gesund ist und eine Mahlzeit, für die wir uns vor Ignis nicht schämen müssen.
 

Schritte auf dem Gang lassen mich beunruhigt aufmerken. Sofort greife ich wieder nach Promptos Hand. Er drückt fest zu, sein Griff beruhigt mich. Auch, dass es nur Ravus ist, der zu uns ins Abteil schlendert. Seine Haltung ist aufrecht, aber auch ein wenig unsicher. Ich ahne, dass er mit einer Bitte kommt, und lege die Speisekarte erst mal wieder beiseite. Wir können später noch bestellen.
 

„Euer Majestät“, grüßt er und senkt höflich den Kopf. Ich erwidere die Geste verwirrt. Schweige, weil ich die richtigen Worte nicht finden kann.
 

„Ich denke, wir stehen uns inzwischen näher als das, Ravus“, bringe ich schließlich hervor, „Nenn mich bitte Noctis. Wir sind doch unter uns.“
 

„Natürlich. Tut mir Leid. Darf ich mich setzen?“ Definitiv nervös. Ich weise auf den leeren Platz neben Gladio, der ein Stück näher ans Fenster rücken muss, um sich dünn zu machen. Auch Ravus ist kein Zwerg, die Bank kommt an ihre Grenzen, reicht aber gerade so für die beiden großen Kerle.
 

„Was können wir für dich tun, Ravus?“, frage ich ruhig.
 

„Wir werden bald Tenebrae erreichen“, fängt Ravus an, „Der Zug wird dort einen längeren Halt machen, ich würde euch gerne zu einem Essen dort einladen. Nach Haus Fenestala, das jetzt mehr denn je als Sitz des Königshauses dient. Die… Prinzessin, möchte Eu… dich gerne kennen lernen.“
 

Ich blicke auf die Uhr, rechne ein bisschen nach und nicke schließlich. „Wir wollten eigentlich jetzt im Zug bestellen, aber wenn wir in Tenebrae ohnehin länger stehen können wir auch dort essen. Und wenn du mit ‚Prinzessin‘ die Erwählte des Kristalls meinst, wäre es mir natürlich eine Ehre, sie kennen zu lernen.“
 

„Eine andere Prinzessin haben wir im Moment nicht.“ Ravus schmunzelt kurz, dann wird sein Blick schnell wieder ernst. „Ich hätte da noch ein Anliegen.“
 

„Schieß los.“
 

„Es geht um Lunafreya. Ich… würde deine Gruppe gerne nach Insomnia begleiten, um sie zu retten. Nicht als König von Tenebrae, sondern als ihr großer Bruder. Mit Kanzler Polulus habe ich bereits gesprochen, er wird sich von mir distanzieren, sollte etwas schief gehen. Tenebrae ist nicht auf einen Krieg aus… aber ich kann meine Schwester nicht im Stich lassen. Nie wieder.“
 

Ich verstehe den Schmerz in seiner Stimme, weiß, wo seine Gedanken sind. Auch mein Herz blutet bei der Erinnerung an diesen schrecklichen Tag. Auch ich will Luna nicht nochmal sterben sehen, nicht nochmal diese Machtlosigkeit fühlen. Ravus Vorhaben ist politisch nicht ganz ungefährlich, aber wenn Tenebrae sich tatsächlich von ihm distanziert, lässt sich ein Krieg vielleicht noch aufschieben, selbst, wenn unser Vorhaben scheitern sollte. Ich blicke auf Gladio, dessen Arm nutzlos in der Schlinge hängt. Drücke Promptos Hand etwas fester. Ravus wirkt gesund, das ist mehr als ich von mir und meinen Jungs behaupten kann.
 

„Es ist riskant“, gebe ich zu bedenken, „Aber ich würde mich über die Unterstützung freuen. Und Luna sicher auch.“
 

Ravus bleibt noch bei uns sitzen, auch, als Ignis wieder zurück kommt. Bis der Zug in Tenebrae einrollt, besprechen wir den Plan, wie wir an Luna und die anderen herankommen, sie befreien und schließlich den falschen König vom Thron holen können. Es gibt viele Schwachstellen, es wird sicher gefährlich, aber… es gibt eine Chance, und mit Ravus an unserer Seite ist diese gerade ein wenig größer geworden.
 

Tatsächlich dauert es nicht lange, bis der Zug am Bahnhof von Tenebrae einrollt. Zischend kommt er zum stehen, die hydraulischen Bremsen pfeifen, Leute versammeln sich am Bahnsteig. Viele, um einzusteigen, manche, um uns zu grüßen. Ein hochdekorierter Soldat in Ausgehuniform erwartet uns und grüßt Ravus mit einer tiefen Verbeugung.
 

„Oberst Carway“, stellt der uns den Mann vor, „ein verdienter Mann der tenebrischen Armee.“
 

Uns stellt er im Gegenzug nicht vor, aber vermutlich muss er das auch nicht. Wir sind bekannt, wahrscheinlich sogar erwartet. Carway führt uns zu einer großen, von weißen Chocobos gezogenen Kutsche, die uns direkt in den Palast bringen wird. Haus Fenestala… ich war lange nicht mehr hier. Diesmal bleiben wir nur ein paar Stunden, bis der Zug seine Reise fortsetzt, aber ohne Luna gibt es hier ohnehin wenig, was mir den Aufenthalt wert wäre. Alles hier wirkt blass in ihrer Abwesenheit, ohne den Zauber, den es früher inne hatte.
 

Im Garten vor dem großen Gebäude spielt ein junges Mädchen Frisbee mit einem braunen Welpen. Sie ist etwas älter als Nyx, aber nicht viel, und in ihren schwarzen Haaren glänzen ein paar hellere Strähnchen. Als wir aus der Kutsche steigen ist sie gerade dabei, mit dem Hund um die Scheibe zu streiten, weil das kleine Fellbündel wohl noch nicht gelernt hat, dass ‚Apportieren‘ auch ‚Loslassen‘ bedeutet. „Angel, komm schon!“, schimpft sie, lässt dann aber los, als sie uns bemerkt. Der Welpe purzelt verwirrt nach hinten.
 

„Sie sind der alte König aus Lucis!“, quietscht das Mädchen freudig und nimmt ungefragt meine Hand, „Ich bin Rinoa.“ Ich seufze tief ob des Seitenhiebs auf mein Alter. Vierzig ist noch nicht alt… aber für Kinder wie dieses Mädchen bin ich natürlich schon ein Relikt. Ein Überbleibsel aus einer Zeit, die sie sich schon gar nicht mehr vorstellen kann.
 

„Ich bin König Noctis, ja“, antworte ich ruhig, „Freut mich, dich kennen zu lernen, Prinzessin.“ Rinoa blickt mich verwundert an, strahlt dann aber über das ganze Gesicht. Mir musste niemand sagen, wer sie ist – ich kann die Magie des Kristalls in ihr spüren. Sie fließt ganz anders als die in Lucis, ruhiger und stabiler, aber mächtig, wenn sie in Bewegung gerät. Die Magie des Kristalls der Erde und der Schutz des Gottes Titan.
 

Angel lässt enttäuscht ihre Frisbee fallen. Mit winzigen Welpenschritten trippelt sie an Rinoas Seite und drückt ihre feuchte Nase an deren Hand. Große, schwarze Augen geben zu verstehen, dass sie sich allein gelassen fühlt. Das Mädchen nutzt die Gelegenheit behände, um den Hund wieder anzuleinen und mit uns in den Speisesaal zu schleifen.
 

„Entschuldigt bitte ihre schlechten Manieren, Euer Mejestät“, entschuldigt sich Oberst Carway.
 

„Rinoas oder die des Hundes?“, gebe ich scherzhaft zurück und entlocke dem ernsten Mann ein leises Lachen.
 

„Beide, fürchte ich. Meine Frau starb in einem Autounfall vor nicht ganz fünf Jahren, es ist nicht leicht, ein kleines Mädchen allein groß zu ziehen, während man gleichzeitig für Recht und Ordnung sorgen muss. Der Krieg gegen die niflheimer Besatzung war damals zum Glück schon vorbei, aber es gab und gibt immer genug zu tun für die Armee. Und jetzt, da der Wiederaufbau endlich abgeschlossen ist, steht schon wieder der nächste Krieg ins Haus…“
 

„Wir tun unser Bestes, um das zu verhindern“, versichere ich, „Sowie Lucis wieder in meiner Hand ist sorge ich dafür, dass kein Wall mehr nötig ist, weder hier, noch um irgendein anderes Reich. Rinoa soll eine Welt regieren, in der Frieden herrscht zwischen den vier Reichen.“
 

„Keine leichte Aufgabe“, gibt Kanzler Populus zu bedenken, „In der aktuellen Lage… wir wollen alle einen Krieg vermeiden und verhalten uns so neutral wie irgend möglich, aber wenn die Kannagi tatsächlich hingerichtet würde, wäre ein Krieg unvermeidlich.“
 

„Und das wäre ein Krieg, den Rashin auch gegen sein eigenes Land führt“, versichere ich, „Lunafreya ist meine Königin und steht auch in Lucis in hohem Ansehen. Ich bin sicher, dass ihre Hinrichtung weit genug hinausgezögert wird, dass wir rechtzeitig zu ihrer Rettung kommen. Ich hoffe, dass wir größeres Blutvergießen noch vermeiden können.“
 

Die Zeit während des Essens vergeht wie im Flug. Es ist ein informelles Gespräch, privat genug, Pläne und Strategien zu besprechen, ohne groß in Bedrängnis zu geraten. Auch Premierministerin Claustra bringt sich mit ein, erzählt ein wenig über das Mädchen, das vom Kristall Accordos ausgewählt wurde. Die Kleine Yuna ist Tochter eines Hohepriesters der Wassergöttin und hat den Kristall in einem versunkenen Tempel entdeckt, als sie mit ihren Freunden Wasserball gespielt hat. Sie lebt auf einer winzigen Insel ganz am Rande Accordos, deswegen werde ich sie wohl nicht treffen. Unsere Route führt nur kurz in die Hauptstadt nach Altissia, wo das Boot meines Vaters vor Anker liegt.
 

„In Lucis gibt es Personenkontrollen an jedem Hafen und jedem Bahnhof“, informiert uns die Premierministerin, als wir wieder in den Zug steigen, „auf den offiziellen Routen werdet ihr nicht dort landen können. Mit einem so kleinen, leichten Boot wie dem euren dürfte es aber kein Problem sein, an der Küste von Cap Caem anzulegen.“
 

„So in etwa hatte ich mir das vorgestellt“, stimmt Ignis zu, „daher auch die Route über Altissia, statt die Fähre nach Cap Shawe zu nehmen wie damals Prompto. Von dort gäbe es inzwischen sogar eine direkte Zugverbindung in die Hauptstadt, aber wir schlagen uns lieber querfeldein durch. Mit Chocobos in die nächste Kleinstadt, von dort weiter mit einem Mietwagen. Im besten Fall finden wir eine Firma, die keine Fragen stellt, ansonsten buchen wir unter meinem Namen. Das sollte unproblematisch genug sein. Wenn wir erst mal in Hammerhead sind, sehen wir weiter.“
 

„Die Kontrollen am Stadttor umgehen wir mit dem Weg durch die Kanalisation“, füge ich hinzu, „ist nicht angenehm, aber immerhin unauffällig.“
 

Der Zug rattert wieder über seine Gleisschwellen, aber bis wir uns in den Schlafwaggon zurückziehen, macht es mir schon fast nichts mehr aus. Alles nur Ängste aus der Vergangenheit… Prompto geht mir nicht noch einmal verloren. Ich mache es mir so bequem wie möglich auf den zu einem Bett umgelegten Sitzen. In dem Abteil, das vorher vier Leute gefasst hat, ist jetzt nur noch Platz für zwei, Gladio und Ignis mussten eins weiter ziehen. Prompto bleibt bei mir, lehnt sich sogar direkt an meinen Rücken.
 

„Stimmt etwas nicht?“, frage ich leise.
 

„Nein, alles prima“, gibt Prompto zurück, „dachte nur, du freust dich vielleicht über meine Gesellschaft.“ Es ist zu dunkel, um es genau zu erkennen, aber ich denke, ich kann ihn lächeln sehen. Seine Augen haben dieselbe fliederblaue Farbe wie die Blumen, die Luna so liebt…
 

„Du hast Recht“, gebe ich zu und lehne mich in die Berührung, „Danke dir.“
 

„Dafür sind Freunde doch da.“
 

„Dann danke ich dir, dass du mein Freund bist.“
 

„Bedank dich bei Luna, wenn wir sie befreit haben. Ohne sie hätte ich nie den Mut gehabt, dich nochmal anzusprechen…“
 

Nun muss ich auch grinsen. „Ich weiß. Aber ich fand deinen ersten Versuch schon mutig genug… ich hätte mich das nicht getraut. Und ich war und bin unglaublich froh, dass du mich überhaupt angesprochen hast. Bist der einzige, der mich je gefragt hat, ob ich sein Freund sein will.“
 

Promptos Umarmung wird fester. „Ich hab es nie bereut.“



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