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„Sag es nicht.“

von

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Teil 1: Einsamkeit

Jayala war überrascht, als sie die Hütte nicht verlassen wiederfand.

Mitesh, der Kater, saß auf dem Schoß der so vertrauten, dunkelhäutigen Frau und schnurrte, offenbar ganz ungestört davon, dass ein notdürftiger Verband ihren linken Arm beinahe komplett verhüllte.

Jayala sah zu der anderen Frau, die mit der unverletzten Hand müde durch das Fell des jungen Katers strich. Sie lehnte mit dem Rücken an die alte Backsteinmauer, die nicht bemalt war und einzig durch einen Wandbehang geschmückt wurde. Der Wandteppich, der eine Szene aus dem Ramayana darstellte, war etwas ausgebleicht und hing nicht einmal bis zum Boden.

Manjira öffnete die Augen und sah zu Jayala. Ein erschöpftes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Bist du da, um Mitesh zu füttern?“

Jayala nickte. Sie hatte es ihrer „Nachbarin“ versprochen: Sie fütterte Mitesh, während Manjira tat, was auch immer es genau war, das sie tat.

„Danke“, flüsterte die Frau, deren Gesichtszüge von einer feinen und unmenschlichen Schönheit geprägt wurden, die trotz Erschöpfung und Schmerz noch immer zu erkennen war.

Es war nicht das erste Mal, dass Manjira verwundet von ihren Ausflügen zurückkam. Nein, es war beinahe schon normal. Mindestens nach jedem zweiten Auftrag, wie Manjira sie nannte, war sie verletzt.

Jayala ließ die schmucklose Plastiktüte, die sie aus der kleinen benachbarten Stadt mitgebracht hatte, zu Boden sinken. „Was ist passiert?“

Noch immer lächelte Manjira matt. Eine dünne Schweißschicht schien ihr Gesicht zu bedecken. Hatte sie Schmerzen? „Das übliche.“

„Du solltest besser aufpassen“, meinte Jayala. Sie runzelte die Stirn. Dann wandte sie sich ab. Sie nahm eine der metallenen Schüsseln, die von einem Haken an der Wand hingen, und ging damit hinaus.

Manjiras Haus war weder an die Wasserversorgung, noch an das Stromnetz angeschlossen. Nicht, dass es ungewöhnlich war. Jayala schätzte sich glücklich, dass die kleine Farm, auf der sie mit den anderen Mädchen und jungen Frauen lebte, Strom und fließendes Wasser hatte – selbst wenn die Stromversorgung nicht verlässlich war.

Hinter Manjiras Haus gab es einen Brunnen mit einer einfachen metallenen Pumpe. Das Metall war bereits angerostet, die einstmals grüne Farbe zu großen Teilen abgeblättert, aber sie funktionierte. Mit ein paar Pumpenschüben beförderte Jayala Wasser aus der Tiefe hinauf, ließ es in den Topf plätschern, ehe sie sich samt vollem Topf auf den Weg zurück ins Haus machte.

Irgendwie schaffte sie es, im Haus anzukommen, ohne die Hälfte des Wassers zu verschütten.

Drinnen setzte sie den Topf über die Feuerstelle und begann Holzscheite herbeizutragen, um ein Feuer zu entfachen.

„Was machst du?“, fragte Manjira schwach.

„Das weißt du genau.“ Jayala zog die Lippen hoch. Sie hatten das Spiel schon so oft gespielt, seit Manjira hierher gekommen war. Manjira kam verletzt zurück, sie umsorgte sie. Weil Manjira sonst niemanden hatte – abgesehen von Mitesh, der sich allerdings um wenig sorgte, außer um das Futter in seiner Schale. Er konnte sie schwer umsorgen.

Jayala hatte sich manch einmal gefragt, was Manjira getan hatte, bevor sie hierher gekommen war. Hatte sie jemand anderen gehabt, der sich um sie gekümmert hatte? Oder hatte sie damals noch nicht getan, was auch immer sie genau tat?

Das Wasser kochte. Jayala ging zu dem Küchenschrank – wenn man den Holzverschlag in der Zimmerecke so nennen wollte – und suchte eine Tüte heraus. Im Inneren des nur durch ein paar ungleichmäßig hineingeschlagene Nägel zusammengehaltenen Schrankes waren nur Tüten. Manjira war viel, aber nicht ordentlich. Doch Jayala fand, was sie suchte: Kräuter und Gewürze. Etwas, das die Wunde säubern konnte; etwas, das die Heilung förderte.

Mit zwei Tüten kam sie zurück, rührte einen Teil der Kräuter ins kochende Wasser und nahm dann – nicht ohne sich die Finger zu verbrennen – den Topf vom Feuer, das noch immer brannte.

„Hast du überhaupt schon etwas gegessen, getrunken?“, fragte sie dann, während sie sich auf die Suche nach sauberen Tüchern machte.

„Nein.“

Jayala seufzte. Sie machte sich daran, ein Tuch – eigentlich war es ein sauberer Stofffetzen – im Wasser zu tränken und ging damit zu Manjira. „Zeig deine Wunde.“

Manjira sah sie an. Ihre Augen hatten einen seltsamen, goldlichen Farbton. Sie waren hübsch, unmenschlich. Sie streckte ihren Arm aus und ließ es wortlos geschehen, dass Jayala den notdürftigen Verband abwickelte.

Abgesehen vom Verband trug Manjira nur ein altes Tanktop und eine Militärhose. Noch immer lag der Kampfgürtel mit Taschen, Holster und Messerscheide um ihre Hüfte. Sie war wirklich noch nicht zulange zurück.

„Was war es dieses Mal?“, fragte sie. „Wieder ein Rakshasa?“

Manjira nickte. „Was sonst?“ Sie brummte missmutig. Was anderes tat sie kaum. Sie jagte Rakshasa, manchmal auch andere Dämonen, die den Menschen das Leben schwer machten. Jedenfalls sagte sie das. Jayala hatte noch nie eins dieser Monster gesehen, nur Manjiras Magie. Manchmal wünschte sie sich selbst magische Fähigkeiten – es hätte so vieles in ihrem Leben leichter gemacht, doch was brachte ihr dieser Wunsch?

Sie konnte nur mit dem Arbeiten, was sie hatte.

Und so machte sie sich daran, die Wunde, die eindeutig von einem Paar Klauen hinterlassen worden war, auszuwaschen. Manjira ließ es über sich ergehen, die Augen geschlossen und die Katze auf dem Schoß. Sie schien beinahe zu schlafen.

Die Wunde blutete noch immer, wie es Manjiras Wunden so oft taten.

„Du solltest vorsichtiger sein“, seufzte sie leise und holte Honig, um damit einen Verband zu machen.

„Das bin ich schon“, murmelte Manjira müde. Sie öffnete die Augen und legte eine Hand in Jayalas Haar. „Glaub mir, Jala, ich tue mein Bestes, um mich nicht umbringen zu lassen.“ Ein zynisches, aber noch immer von Müdigkeit geprägtes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Ich meine es ehrlich.“ Jayala legte die Hände in die Seiten. „Was würdest du machen, wenn ich dich nicht so finde? Wenn ich mal nicht rüberkomme?“

Manjira seufzte. „Dasselbe, was ich getan habe, bevor ich hierher gekommen bin. Mich hinlegen, schlafen und warten, dass sich die Wunden schließen.“ Sie lehnte sich zurück. „Aber ich bin froh, dass du da bist, Jala, wirklich.“

Jayala sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Hast du sonst noch Wunden?“ Dabei wusste sie die Antwort schon. Sie konnte noch immer den Schmerz auf Manjiras Gesicht sehen – ein Schmerz, der mit jeder Bewegung kam. Ihre Augen wanderten über den athletischen und gleichzeitig doch zierlich wirkenden Körper der Frau, blieben schließlich an einem feuchten Fleck oberhalb des Waffengurts hängen.

Den Blick bemerkend, lächelte Manjira. „Ja ja …“ Das war eine Antwort auf eine nicht ausgesprochene Frage. Mühsam rückte sie von der Wand weg und verscheuchte damit Mitesh, der sich missmutig neben das Feuer verzog.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Jayala. Sie wartete nicht auf eine Antwort, machte sich daran, vorsichtig das Tanktop von Manjiras Hüfte zu schälen. Sie hatte die Wunde nicht einmal notdürftig versorgt.

Manjira gluckste und zog gleich darauf schmerzerfüllt die Luft ein. „In jedem anderen Kontext könnte man sonst was denken.“

Jayala sah sie nur an. „Und?“ Im Moment hatte sie anderes im Kopf als dreckige Witze. Manjiras blutige Seite wirkte alles andere als aufreizend. „Leg dich auf die Seite.“

Während Manjira vollkommen still, beinahe als wäre sie ohnmächtig, halbnackt auf ihrer Seite lag, machte sich Jayala daran, auch diese Wunde zu reinigen, so, wie sie es gelernt hatte. Sie wusste, dass irgendjemand in den Städten, wo es richtige Krankenhäuser gab, es weit besser gekonnt hatte. Immerhin wusste sie nur, was ihr einst die Großmutter beigebracht hatte. Doch Manjira weigerte sich, zum Krankenhaus zu gehen. Immer sagte sie, dass man dort zu viele Fragen stellte, doch Jayala glaubte, dass sie es sich einfach nicht erlauben konnte. Immerhin: Hätte Manjira Geld, würde sie nicht in dieser halben Ruine leben, oder?

Das Haus war, von allem, was sie wusste, schon länger hier gewesen. Manjira hatte sich nur Unterschlupf gesucht.

Sie seufzte.

Fragen stellen war sinnlos. Manjira beantwortete sie nicht. Deswegen schwieg sie nur, strich auch Honig auf diese Wunde und legte dann ein Tuch darauf, da sie keinen Verband hatte, der lang genug war, als dass er um Manjiras Hüfte reichen konnte. Doch der Honig würde den Verband schon halten und der Wunde bei der Heilung helfen.

„Danke, Jayalakshmi“, meinte Manjira, als Jayala den Topf wegstellte.

Jayala seufzte. Ihr richtiger Name war so lang. Niemand rief sie dabei, außer Manjira, wenn sie sie triezen wollte. „Du solltest wirklich aufhören, immer solche gefährlichen Sachen zu machen.“

„Ach was.“ Manjira lächelte, wenngleich das Lächeln noch immer müde und matt war. „So gefährlich ist es nicht. Sonst wäre ich schon lange tot.“

„Sag so etwas nicht.“ Jayala wollte sich abwenden, um den Topf mit dem nun rot verfärbten Wasser auszuleeren und die benutzten Tücher in frischem Wasser zu reinigen, doch Manjira hielt ihren Arm fest.

„Das hat Zeit.“ Sie wusste offenbar, was Jayala machen wollte.

„Weißt du eigentlich, wie schwer es ist, Blutflecken nach einer Weile rauszubekommen?“, meinte Jayala und zog die Augenbrauen zusammen.

Manjira deutete ein müdes Schulterzucken an. Sie hatte sich auf den Rücken gedreht. „Es ist bei den Fetzen doch egal.“

„Dir vielleicht …“

Manjira sah sie an. „Leg dich ein wenig zu mir“, forderte sie dann auf einmal.

Jayala erwiderte ihren Blick. Sie spürte ein Kribbeln in ihrem Bauch und wusste, dass es doch nicht das Richtige war, wenn sie der Aufforderung nachkam. Sie zögerte. Sie schob den Topf etwas zur Seite, während Manjira noch immer ihren Arm hielt. „Ich sollte wirklich …“

„Jala“, flüsterte Manjira.

Ihre Blicke trafen sich. Wieso fiel es ihr nur immer schwer, nein zu sagen?

„Ich bin noch immer dreckig von der Arbeit im Feld“, meinte sie schließlich.

„Ja, und?“ Manjira lächelte. „Du hast die Wunden schon verbunden.“ Sie seufzte. „Bitte.“

Noch einige Sekunden zögerte Jayala. Was, wenn eine ihrer „Schwestern“ vom Hof herkam? Sie würden etwas sagen. Vielleicht nicht zu viel, aber doch etwas. Jayala wusste nicht was. Sie fürchtete sich davor.

Und doch krabbelte sie an Manjiras rechte Seite und legte sich neben sie. Zu ihrer rechten, um keinen Druck auf die Wunden zu bringen.

Sie legte ihren Kopf vorsichtig an Manjiras Schulter an und fühlte sich dabei so seltsam. Sie wusste nie, was sie über Manjira denken sollte, die eines Tages plötzlich hier gewesen war. Manjira, die so einsam schien.

„Ich habe gelogen, weißt du?“, flüsterte Manjira.

Jayala seufzte leise. „Wieso?“

Manjira küsste ihre Stirn. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.“ Ein seltsamer Ton schwang in ihrer Stimme mit. „Ich weiß es wirklich nicht.“

Die grünen Augen Miteshs verharrten auf ihnen beiden. Auf leisen Pfoten kam er zu ihnen hinüber und legte sich auf Manjiras nackten Bauch.

Sie ließ einen knappen Schmerzenslaut hören. „Ich weiß aber, was ich ohne dich tun würde.“ Sie schob den Kater etwas weiter in Richtung Hüfte. „Kannst du nicht ein wenig Rücksicht nehmen?“

Ein Gähnen war die Antwort, ehe der Kater seinen Kopf auf den Vorderpfoten bettete.

Vorsichtig legte Jayala ihren Arm um Manjira. So, dass ihre Hand auf der linken Schulter ihrer Freundin – konnte man es so nennen? – lag. „Manjira“, begann sie, doch Manjira ließ nur ein leises „Sch“ hören.

„Sag es nicht“, flüsterte sie und küsste Jayala noch einmal auf die Stirn, ehe sie den Kopf auf dem Boden ablegte. „Sag es nicht.“

Jayala schwieg. Wie immer schwieg sie und sagte es nicht.

Teil 2: Himmelsgeist

Manjira war vor einigen Monaten aufgetaucht. Jayala hatte sie auf dem Weg zum Markt getroffen, wo sie einige der Mangos, die sie auf der Farm geerntet hatten, hatte verkaufen wollen. Sie war ihr direkt ins Auge gefallen, trugen doch die meisten Frauen hier in der Gegend wie sie einen Sari – es sei denn, sie waren Touristen oder waren von einer der Hilfsorganisationen, wie auch die, die die Farm ursprünglich angelegt hatten. Doch Touristen und Helfer stachen oft genug auch durch ihre Hautfarbe heraus.

Manjira hatte dieselbe dunkle Haut, wie die meisten Leute hier im Süden Indiens. Ihre Haut fiel einzig dadurch auf, wie unnatürlich eben sie erschien. Wie die meisten hatte sie langes, schwarzes Haar. Doch hatte sie dennoch nur ein einfaches T-Shirt und eine Hose – noch dazu eine Hose in einem männlichen Schnitt – getragen.

Jayala hatte nicht umher gekonnt, sie zu bemerken. Sie hatte gestarrt und dann hatte Manjira sie angesprochen und ihr gleich alle der Mangos abgekauft, nur um ihr dann zu versprechen, die Hälfte des Geldes später zu bezahlen.

Manjira hatte nicht viel Geld und woher das Geld, was sie hatte, kam, wusste Jayala nicht. Manjira sagte es ihr nie. Vielleicht bezahlten manche Leute sie dafür, Monster – meistens waren es Rakshasa – zu jagen. Speziell wenn es darum ging, etwaige Geliebte oder Kinder aus den Klauen von einem dieser Dämonen zu befreien. So jedenfalls stellte Jayala es sich vor.

So wirklich angefangen hatte alles damit, als sie Manjira etwas Obst und Reis gebracht hatte und sie verletzt vorgefunden hatte. Sie hatte erst gedacht, dass Manjira sich mit einem Tiger angelegt hatte. Es war auch das Naheliegendste. Immerhin war das Dorf von Dschungel umgeben und in diesem lebten nun einmal Tiger – und andere Tiere, die unschöne Kratzspuren hinterlassen konnte. Doch Manjira hatte sie eines Besseren belehrt und irgendwie – ja, irgendwie – hatte Jayala ihr geglaubt.

Und seither … Seither war es doch immer dasselbe …
 

„Ich werde wieder für ein paar Tage nicht da sein“, meinte Manjira und steckte ihr Messer in die Scheide.

Jayala war gerade angekommen. Sie hatte ein paar Bananen mitgebracht, sowie einen Topf mit etwas übrig gebliebenem Curry vom Vortag, wusste sie doch, dass Manjira selbst selten kochte. Sie war nicht einmal ganz sicher, ob Manjira kochten konnte.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte Manjira.

„Ich habe einen Anruf aus Thiruvananthapuram bekommen.“

Oh, sogar aus einer der größeren Städte. „Wieder ein Rakshasa?“

„Nein, dieses Mal ein durchgedrehter Kumbhanda.“

Jayala runzelte die Stirn. Sie wusste nicht einmal was ein Kumbhanda sein sollte. Sie wusste wenig über Mythologie oder Religion. Vielleicht hatte sie vieles davon verdrängt, seit sie auf dem Hof lebte. „Ist es gefährlich?“

„Nicht gefährlicher, als die Rakshasa“, erwiderte Manjira und lächelte sie an. Ihr Lächeln wirkte jedoch nicht besonders aufrichtig. Ihre goldenen Augen fixierten Jayalas für einen Moment, doch dann senkte sie den Blick und wandte sich ihrem Gürtel zu.

Da war etwas. Irgendetwas, worüber sie nachdachte. Doch Jayala wusste nicht, wie sie fragen sollte. Noch immer wusste sie nicht genau, warum Manjira das alles machte. Wenn sie so weiter machte, würde sie irgendwann bei einem dieser Aufträge sterben und dann  … Ja, dann würde sie einfach nicht zurückkehren und sie – Jayala – würde nicht einmal wissen, was genau passiert war.

„Wann kommst du wieder?“, fragte sie leise.

„Morgen“, erwiderte Manjira. „Vielleicht übermorgen.“

Jayala nickte stumm und erntete ein Lächeln, das wohl aufmunternd gemeint war, aber nicht ganz so wirkte. Manjira ging zu ihr und legte kurz die Arme um sie. „Mir passiert nichts.“

Ja, das sagte sie immer und doch kam sie am Ende mit Wunden zurück. Wunden, die schnell heilten, aber dennoch Wunden.

„Was?“, fragte Manjira. Sie wirkte irritiert, wenngleich nicht wütend.

„Ich mache mir Sorgen um dich, Manjira.“ Jayalas Stimme war zittriger, als sie es beabsichtigt hatte. „Ich will nicht, dass dir etwas passiert. Ich …“ Sie verstummte.

„Ich weiß“, flüsterte Manjira. Sie seufzte schwer. „Aber irgendjemand muss etwas tun.“

„Gibt es nicht noch andere?“

„Natürlich“, erwiderte Manjira. „Aber nicht alle davon sind die Tochter einer Apsara.“

Jayala sah sie an, runzelte schon wieder die Stirn. Sie konnte nicht anders. „Aber wenn es andere gibt …“

„Jeder hat seine Aufgabe“, erwiderte Manjira. „Ich erfülle nur meine.“

Und dann würde sie kämpfen, bis sie irgendwann einmal starb? War das wirklich, was sie plante? Konnte es wirklich so sein? Jayala sah sie an, wusste aber nicht, was sie sagen wollte. „Musst du sofort los?“ Ihre Stimme war leise. Sie hob den Topf in der Tüte an. „Ich habe noch etwas Curry von gestern mitgebracht. Willst du nicht erst etwas essen?“ Sie war sich dessen bewusst, dass ihre Stimme kleinlaut und etwas verzweifelt klang.

Für einen langen Moment stand Majira einfach nur da. Ihr Mund war leicht geöffnet, wie um was zu sagen und ihre Augen wanderten von der Tüte zu Jayalas Gesicht. Kurz runzelte sich auch ihre Stirn – eine Mimik, die bei ihr so selten zu sehen war – doch dann seufzte sie. „Ja, natürlich.“ Noch immer sah sie Jayala an.

Jayala bemühte sich um ein Lächeln und ging nun endlich in das Haus hinein. Sie war die ganze Zeit bei der Tür gestanden.

Da es hier keinen richtigen Ofen gab, weder Gas, noch Elektrizität oder auch nur einen Campingkocher, würde Manjira wohl noch eine Weile hier bleiben müssen. Sie musste immerhin das Essen erst warm machen. Ja, das würde etwas Zeit verbringen.

Gleichzeitig spürte sie ein schlechtes Gewissen. Wenn der Auftrag etwas gefährliches war, dann würde sie vielleicht jemanden gefährden. Das war nicht der richtige Weg. Das war egoistisch und sie sollte nicht so egoistisch sein. Und doch, sie wollte nicht, dass Manjira immer in Gefahr war. Sie wollte nicht, dass sie losging, ohne etwas zu essen. Sie wollte nicht, dass ihr etwas geschah.

Sie begann, kleinere Holzscheite in die Feuerstelle, die noch immer schwelte, nachzulegen, und stellte dann den Topf in die Mitte.

Mitesh, der auf Manjiras Nachtlager lag, beobachtete sie stumm und mit einem – wie es Jayala vorkam – verurteilenden Blick. Ach, sie bildete es sich nur ein.

„Du machst dir zu viele Sorgen um mich, meine liebe Jayalakshmi“, sagte Manjira, als sie sich breitbeinig neben sie setzte.

Jayala sah in die Flammen und zog ganz unbewusst die Unterlippe hoch.

Dann griff sie neben sich und befreite eine Banane aus der Tüte: „Hier.“

„Jala …“, seufzte Manjira, nahm ihr aber die Banane ab. Sie öffnete die Banane und biss hinein, ließ sie dann aber sinken.

„Was ist?“, fragte Jayala.

„Nichts.“ Manjiras Blick war in die müde züngelnden Flammen gerichtet. Es war schwer zu sagen, woran sie gerade dachte. Sie seufzte leise.

„Wirst du das für immer machen müssen?“, fragte Jayala schließlich. Sie hatte über die Frage nicht nachgedacht, hatte eigentlich nur irgendetwas sagen wollen.

„Was?“

„Dämonen jagen“, erwiderte Jayala.

Manjira zuckte mit den Schultern. Sie biss in die Banane und kaute bedächtig. Dann: Ein weiteres Schulterzucken. „Vielleicht.“ Etwas schweres lag in ihrer Stimme.

„Wer sagt, dass du das machen musst?“, fragte Jayala.

Erneut erwiderte Manjira nichts. Sie aß die Banane und sah weiter in die Flammen. Wollte sie es ihr nicht sagen? Durfte sie es ihr nicht sagen? So gern hätte Jayala weiter gefragt, doch kam es ihr respektlos vor.

Mitesh' Pfote ließ sie zusammenzucken, als er sie ihr auf das Bein legte und sie vorwurfsvoll ansah. Der schwarze Kater sah wirklich immer Vorwurfsvoll aus. Er wartete kurz und kletterte dann auf ihren Schoss, um sich hinzulegen.

„Mitesh. Du kannst gerade nicht …“, begann sie, doch der Kater rührte sich nicht. Er wartete darauf gekrault zu werden. Er war wirklich schlecht erzogen, doch es war wohl unmöglich eine Katze zu erziehen. Immerhin war er kein Tiger. Ein Tiger wäre schlimmer gewesen, da war sie sich sicher. Immerhin hatte sie sich auch als Kind immer vor den großen Katzen, die durch den Dschungel schlichen, gefürchtet.

Mit einem Seufzen gab sie dem Wunsch des Tieres nach und begann den Kater sanft am Nacken zu kraulen. Der einzige Ort, an dem er sich verlässlich kraulen ließ. Er war so ein störrisches, so ein launisches Tier.

„Es gibt eine Gruppe, weißt du?“, meinte Manjira schließlich.

Überrascht sah Jayala zu ihr. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, dass sie etwas sagte. „Eine Gruppe?“

Manjira nickte. „Leute, die dafür sorgen, dass …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ach, einfach, das Rakshasa und ähnliche Wesen nicht zu viele Menschen töten, weißt du?“

Stumm nickte Jayala. Wieso so kryptisch? Konnte Manjira ihr nicht mehr sagen? Vielleicht vertraute sie ihr auch nicht genug.

Als könne sie ihre Gedanken lesen, seufzte Manjira. „Ich darf darüber nicht reden.“

Jayala nickte und wandte sich dann dem Curry zu. Sie nahm vorsichtig mit einem Tuch den Deckel vom Topf und fühlte danach. „Ich denke, es ist fertig“, sagte sie leise.

Manjira lächelte matt und ging dann zum Verschlag, um Schüsseln zu holen.

Sie aßen schweigend. Jayala kam nicht umher, Manjira die ganze Zeit zu beobachten. Was machte sie nur hier? Sie sah nicht aus, als würde sie hierher gehören. Warum war sie überhaupt hierher gekommen?

Immer wieder glitten auch Manjiras Augen zu ihr, doch jedes Mal senkte sie schnell den Blick und wandte sich wieder dem würzigen Curry zu. Dann stellte sie die Schüssel auf dem Boden ab. Sie sah zu Jayala. „Danke für das Essen.“

Jayala nickte. Vorsichtig hob sie Mitesh an, um ihn von ihrem Schoss zu entfernen.

Der Kater fuhr seine Krallen aus, um sich festzuhalten, musste schließlich aber nachgeben. Mit einem wütenden Blick rollte er sich neben dem Feuer zusammen, während Jayala aufstand.

„Pass auf dich auf, ja?“, flüsterte sie.

Manjira nickte. Sie ging zur Tür.

Jayala folgte ihr.

„Mache ich doch immer.“ Manjira sah sie an.

Unsicher blieb Jayala bei ihr stehen, sah sich um und streckte sich dann, um sie auf die Wange zu küssen. Sie holte Luft, doch bevor sie etwas sagen konnte, legte Manjira ihr den Finger auf die Lippen.

„Sag es nicht“, flüsterte sie und küsste sie kurz. Dann wandte sie sich ab, stieß sich vom Boden ab und flog davon.

Sie flog tatsächlich. Etwas, das – so viel zumindest wusste Jayala – eine Fähigkeit der Apsara war. Apsara waren Windavatare, bekannt für ihre Schönheit. Sie hatte nie angezweifelt, dass Manjira die Tochter eines solchen Avatar war.

Teil 3: Regenzeit

Es regnete. Natürlich regnete es. Der Regen war schon lange über gewesen. Immerhin war es Mai und damit Beginn der Regenzeit.

Jayala trug ein festes Tuch über dem Kopf, als sie auf dem Weg durch das kleine Waldstückchen zu Manjiras Haus war. Der Trampelpfad, der von der Straße weg zu dem alten Haus führte, war matschig. Immer wieder saugten sich ihre Schuhe im Untergrund fest, doch sie traute sich nicht, sie auszuziehen, trieb das Wetter doch manchmal auch Schlangen näher an die Wege, die sie eigentlich mieden.

Ihr Sari war schnell nass geworden. Fast rügte sie sich dafür, überhaupt zu gehen. Vielleicht war Manjira nicht einmal da. Sie konnte nicht sicher sein. Immerhin sagte Manjira ihr selten Bescheid, wenn sie ging. Meistens fand sie nur einen Zettel, eine Notiz, eine Nachricht für sich, mit der Bitte, nach Mitesh zu sehen.

Doch als sie die Lichtung, an der das Haus stand, das mit seiner geringen Größe wohl eher als Verschlag bezeichnet werden konnte, erreichte, fand sie Manjira. Sie war draußen, vor dem Haus und schien zu trainieren. Sie hatte ein Schwert. Ein langes, eckiges Schwert. Jayala meinte, so etwas einmal in einem Museum oder im Fernsehen gesehen zu haben. Die Klinge war beinahe rechteckig.

Wie in manch einem Film schien Manjira Übungen mit dem Schwert zu vollführen. Sie machte einen Schritt nach vorne, schien einen unsichtbaren Gegner in Schach halten zu wollen. Sie hob das Schwert, schlug dann zu, täuschte einen Angriff an, schlug dann wieder zu.

Für einen Moment war Jayala nicht sicher, ob Manjira wirklich trainierte oder es doch einen unsichtbaren Gegner gab. Vielleicht war es sogar ein Rakshasa. Immerhin hatte sie nie einen Rakshasa gesehen. Vielleicht waren sie ja für das Auge von normalen Menschen, die nicht von Apsara oder anderen Avataren abstammten, unsichtbar? Das würde einiges erklären.

Unsicher stand sie am Rand des kleinen, matschiges Platzes, während hier – jenseits des zumindest teilweise überhangenen Pfades – der Regen erbarmungslos auf sie niederprasselte. Sie starrte zu Manjira, die weitere Hiebe mit dem Schwert ausführte. Manche waren von Ausrufen begleitet – auch das hatte Jayala so in Filmen gesehen.

Erst nach einer Weile hielt Manjira inne. Sie sah zu ihr. „Jala?“

Stumm nickte Jayala. War hier ein unsichtbares Monster oder nicht? Offenbar nicht, denn Manjira ließ das Schwert sinken und ging zu ihr hinüber. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen. Es wirkte, als sei sie sauer.

„Wie lange bist du hier?“

Jayala schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“

Manjira musterte sie. Ihr Blick glitt ihre Kleidung rauf und runter. „Du bist ganz nass.“

Leise seufzte Jayala. „Du auch.“

Das stimmte. Das einfache T-Shirt, das Manjira getragen hatte, wie auch ihre Leinenhose, die sie offenbar zum Training angezogen hatte, klebten nass an ihrem Körper. Das T-Shirt eng genug, als dass sich Manjiras BH darunter abzeichnete.

Jayala wandte den Blick unsicher ab. Sie hatte Manjira schon oft nackt gesehen und doch wirkte es so anders.

„Komm rein“, meinte Manjira und reichte ihr die Hand. Ihr Blick wanderte zum nassen Plastikbeutel an ihrer Seite. „Du hast wieder etwas zu essen mitgebracht?“

Jayala nickte zögerlich. Unwillkürlich wanderte ihr eigener linker Arm über ihre Brust, auch wenn der feste Stoff ihres Saris trotz der Feuchtigkeit alles verbarg.

Manjira musterte sie. Dann legte sie vorrangig eine Hand auf ihre Schulter. „Komm rein“, wiederholte sie und bugsierte sie vorsichtig in Richtung des Hauses.

Der Regen war recht warm und doch stellte Jayala fest, dass sie etwas fröstelte, als sie in das kleine Häuschen kam. Das Feuer war erloschen. Es sah ganz danach aus, als sei die Feuerstelle das letzte Mal in der letzten Nacht genutzt worden. Manjira kümmerte sich viel zu selten um die Asche, die in einem kleinen Berg auf der Stelle lag.

Sie stellte die Tüte, in der sie Naan und Tandoori mitgebracht hatte, ab. Kurz sah sie sich um, holte dann aber einige der Holzscheite von vor dem Verschlag, der der effektive Küchenverschlag war.

Als sie sich umdrehte, war Manjira wieder dabei, sich auszuziehen.

Unwillkürlich errötete sie wieder. Sie hatte Manjira schon so oft nackt gesehen, wenn sie ihre Wunden verarztet hatte, und doch kam sie nicht umher, den beinahe perfekten Körper der Apsara zu bewundern. Sie senkte den Blick und machte sich daran, das Feuer aufzuschichten.

Schritte. Dann kniete Manjira – nun gänzlich nackt – bei ihr. „Lass mich das machen.“

Jayala kam nicht umher, sie anzustarren.

Manjira lächelte matt. „Lass mich das machen. Du kannst mich nicht immer umsorgen, als wäre ich ein Kind.“

Für einen Moment zögerte Jayala, dann ließ sie die Holzscheite los und ließ sich zurück auf den Boden fallen. Sie zog die Beine an, schlang die Arme um sich.

„Du solltest die nassen Sachen auch ausziehen“, meinte sie.

Jayala schüttelte den Kopf. „Das geht schon.“

Manjira runzelte die Stirn, während sie die Scheite anhäufte. Sie holte etwas trockenen Zunder, ehe sie sich daran machte, das Feuer zu entfachen. Dann sah sie wieder zu Jayala. „Du kannst dir etwas von meiner Kleidung leihen, wenn es dir sonst zu peinlich ist.“

Jayala zögerte. Der nasse Stoff klebte nass an ihrer Haut und war unangenehm kühl. Ihre Wangen brannten. „Es geht schon“, murmelte sie nur wieder.

Ein Seufzen war die Antwort. „Vertraust du mir so wenig?“

„Was?“ Jayala sah auf. „Ich …“ Sie zögerte. „Es ist nur …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ziemt sich nicht.“ Auch wenn sie ihre Eltern, seitdem sie auf der Farm lebte nicht mehr gesehen hatte, konnte sie manche Dinge nicht vergessen. Und selbst auf dem Hof ziemte es sich nicht, sich öffentlich zu entkleiden. Sicher, sie badete mit den anderen Mädchen, doch es war anders mit Manjira. Wieso eigentlich?

„Soll ich solange rausgehen?“, bot Manjira an.

Wieder zögerte Jayala, dann schüttelte sie den Kopf. „Es ist schon in Ordnung.“ Oder? „Kannst du mir etwas von dir rauslegen?“

Manjira lächelte, nickte. Dann stand sie auf und ging zu einer Kiste neben ihrem Nachtlager, aus der sie ein einfaches, schwarzes T-Shirt und etwas, das Jayala als eine graue Trainingshose aus teilweise dünn gescheuertem Stoff erkannte. „Ich hoffe dich stört die Hose nicht.“

Jayala schüttelte den Kopf. Sie trug auf dem Hof manchmal Hosen, da es Arbeiten am Dach und dergleichen erleichterte. „Danke“, murmelte sie leise. Unsicher stand sie auf und ging zum anderen Ende des Raumes. Sie wandte Manjira den Rücken zu, sah sich aber dann noch einmal zu ihr um. Wie versprochen sah Manjira weg.

Mit einem leisen Seufzen begann Jayala sich zu entkleiden. Sie entrollte den Sari, der über ihre Schulter lag und ließ den Stoff zu Boden fallen. Für einen Moment zögerte sie. Der Unterrock, den sie trug, war nicht nass, nur etwas feucht. Doch dann löste sie auch ihn, der mit einem einfachen Gummiband um ihre Hüfte lag, und zog ihn aus. Zumindest ihre Unterhose war trocken. Anders als ihr Bustier. Noch einmal sah sie zu Manjira, ehe sie auch aus dem Oberteil schlüpfte und schnell das T-Shirt überzog. Zu schnell – sie hatte es verkehrt herum an.

Etwas unbeholfen – sie trug so etwas selten – bemühte sie sich, das Shirt richtig herum zu ziehen. Dann seufzte sie leise.

Manjira drehte sich um. „Oh“, meinte sie, als sie sah, dass Jayala die Hose noch nicht übergezogen hatte. Schnell drehte sie sich erneut.

Jayala seufzte. Warum fühlte sie sich nur so unbeholfen? Irgendwie schaffte sie es, in die Hose zu schlüpfen, ohne sich unnötig weiter zu blamieren. Sie holte tief Luft und drehte sich dann um. Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass Manjira ihre Wäsche irgendwann irgendwie wusch und dann aufhängen musste. Oder besuchte sie einen Waschsalon oder so etwas? Jedenfalls war sie nicht sicher, was sie mit dem feuchten Sari und Rock tun sollte.

Noch immer hielt Manjira den Blick bewusst abgewandt.

Jayala räusperte sich. „Kann ich meine Sachen irgendwo zum Trocknen aufhängen?“ Immerhin würde man ihr nur Fragen stellen, wenn sie in Manjiras Kleidern zurückkommen würde.

Beinahe erschrocken sah Manjira zu ihr. Sie brauchte einen Moment, um zu antworten: „Ich hänge meine Sache zum Trocknen über einen Stuhl beim Feuer.“ Sie sah zu dem einzigen Stuhl im Zimmer. Einen alten, mit abblätternder, weißer Farbe bestückten Holzstuhl. Dann räusperte sie sich, sprang in einer fließenden Bewegung auf und holte den Stuhl, um ihn zum Feuer zu stellen. „Ich kann meine Sachen später aufhängen.“

Jayala nickte und machte sich stumm daran. Sie sah zu Manjira. Sie wirkte heute anders als sonst. Meistens wirkte sie beherrschter, erwachsener, doch im Moment war sie beinahe unsicher. „Danke“, murmelte sie, als sie sich schließlich Manjira gegenüber vor das Feuer fallen ließ.

„Du hättest immerhin nicht kommen brauchen“, erwiderte Manjira. „Ich meine …“ Sie deutete ein Kopfschütteln an, während ihr Blick in die Flammen gerichtet war. „Wieso?“

Jayala versuchte zu lächeln, unsicher, ob es ihr gelang. „Ich wollte nach Mitesh sehen. Und wenn ich dir nichts bringe … Ich meine, was isst du dann überhaupt?“

Manjira zuckte nur mit den Schultern.

Schweigen. Der Regen, der auf das alte Dach prasselte, schien so unglaublich laut. Der Wind rauschte in den das Haus umgebenden Bäumen. Die Flammen knisterten.

Jayalas Blick wanderte zu ihrem rosa Sari.

Was machte sie nur hier?

Ihr Blick wanderte weiter zu Mitesh, der zu schlafen schien, und dann dem Schwert, mit dem Manjira zuvor trainiert hatte. Sie hatte dieses Schwert noch nie gesehen. Bisher hatte sie Manjira nur mit Messern oder Dolchen gesehen.

Konnte sie danach fragen? Wie so oft war sie sich unsicher. Warum war sie so unsicher, wenn es um Manjira ging? Eigentlich sollte sie wissen, was sie wollte. Sie konnte selbst über ihr Leben bestimmen, sollte ihren eigenen Weg wählen und Manjira … Manjira konnte manchmal so kalt sein.

Ach, wieso wanderten ihre Gedanken dahin? Ihr Blick fokussierte sich erneut auf die Waffe, die in einer rothölzernen Scheide neben Manjira lag.

Sie räusperte sich. „Was ist das für ein Schwert?“

Wieder schien Manjira erschrocken, ihre Stimme zu hören. Sie sah zu ihr, dann zu dem Schwert. „Ich habe es bekommen.“ Sie schien nach Worten zu suchen. „Von meinem Meister.“

„Deinem Meister?“

„Ja.“ Manjira zögerte. „Ich … Also von denen … Sie schürzte ihre Lippen. „Diejenigen, für die ich arbeite.“ Sie sah zur offenen Tür des Häuschens. „Sozusagen“, setzte sie dann leiser nach.

„Du meinst, von den Dämonenjägern oder was auch immer?“ Klang es herablassend? Jayala war sich nicht sicher. Es sollte nicht herablassend klingen. Sie hasste nur den Gedanken daran, dass Manjira kämpfte, ihr Leben riskierte, um was auch immer zu erreichen.

Manjira nickte.

Was sollte sie darauf noch antworten?

Jayala folgte dem Blick ihrer Freundin. „Warum kämpfst du?“ Sie hatte die Frage schon so oft gestellt.

„Weil es wenige gibt, die es sonst tun könnten“, erwiderte sie.

„Aber es gibt andere.“ Jayala sah sie an.

Manjira schüttelte den Kopf und schien gleichzeitig zu nicken. „Ja, aber …“ Noch ein Kopfschütteln. „Wenige.“

„Und?“, fragte Jayala. „Ich meine, willst du deswegen einfach weitermachen?“ Sie bemerkte zu spät, dass ihre Stimme einen wütenden Unterton bekam.

Mitesh' Ohren zuckten. Er sah auf, sah zu ihr.

Ein genervtes Seufzen war zu hören. „Ich habe nicht wirklich eine Wahl, weißt du?“ Nun klang auch Manjira angespannt, wenngleich nicht wütend.

„Warum nicht?“

Manjira antwortete nicht. Wieder sah sie zur Tür. „Warum ist es dir so wichtig?“

„Weil ich nicht will, dass du irgendwann nicht zurückkommst!“ Jayalas Stimme wurde lauter, ehe sie sich beherrschen konnte. Sie spürte ihr Herz schneller schlagen, unsicher weshalb. Waren es ihre Gefühle? War es Wut, weil Manjira nicht verstand? Sie sah zu Manjira, hoffte, dass sie etwas sagen würde, doch Manjira schwieg. „Ich …“ Sie, Jayala. „Manjira, ich …“

„Ich weiß.“ Deutlicher Nachdruck lag in Manjiras Stimme. Sie hatte die Augenbrauen in einem Ausdruck stummer Verzweiflung zusammen gezogen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß.“ Nun war ihre Stimme nachgiebiger, sanfter.

Bildete Jayala es sich ein oder glitzerten wirklich Tränen in Manjiras Augen?

„Manjira …“, begann sie erneut.

„Ich weiß“, erwiderte die Apsara erneut. „Es tut mir leid.“

Jayala zögerte. „Es ist nicht deine Schuld“, flüsterte sie dann. Über die Flammen hinweg sah sie zu Manjira. „Oder?“

Für einen Moment wirkte es, als würde Manjira ihrem Blick ausweichen, doch dann sah sie zu ihr, nun deutlich mit Tränen in den Augen. Wieso wirkte sie so nur noch schöner? Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nein. Ich … Ich habe eine Aufgabe, aber ich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid“, wiederholte sie dann wieder.

Schweigen.

Noch immer sah Mitesh sie wie gebannt an, während der Regen gegen das Dach prasselte und der Wind die Bäume rauschen ließ.

Jayala konnte es nicht länger ertragen. Vorsichtig rückte sie um die ohnehin kleine Feuerstelle herum. Sie zögerte, lehnte sich dann gegen Manjiras Schulter.

Für einen Moment saß Manjira nur da, doch dann legte sie einen Arm um sie, hielt sie. Sie küsste sie auf die Stirn und für einen Moment sah Jayala ihre Freundin an.

Doch wieder schüttelte Manjira den Kopf.

Jayala wusste, was sie sagen wollte: „Sag es nicht.“

Warum auch immer sie nicht hören wollte, was sie doch beide genau wussten.

Teil 4: Wahrheit

Der Himmel war bereits den ganzen Nachmittag klar gewesen. Nach den vergangenen Tagen Regen war Jayala beinahe schon erleichtert. Sie mochte Regen nicht.

Sie war auf dem Weg zu Manjira. Wieder hatte sie Nahrung dabei, wenngleich es sich heute auf ein paar Naan und zwei Mango beschränkte. Wieder hatten die anderen sie gefragt, wohin sie ging. Sie hatte niemandem von Manjira erzählt, jedenfalls nicht richtig, da sie auch nicht wusste, was sie ihnen erzählen sollte.

Manchmal wusste sie nicht, was sie über Manjira denken sollte. Was waren sie? Sie war sich nicht sicher. Vor allem war sie sich oft nicht sicher, was sie für Manjira war. Manchmal konnte sie so zärtlich sein, schien ihre Nähe zu genießen und manchmal wirkte sie so distanziert – beinahe kühl. Was sollte Jayala nur denken?

Sie wusste, dass Manjira für sie ein besonderer Mensch war – anders als der Verlobte, den sie kaum gekannt hatte und vor dem sie geflohen war. Dabei war sie nicht einmal ein Mensch. Sie war eine Apsara. Dennoch war sie jemand Besonderes für sie. Jayala mochte es bei ihr zu sein, in ihren Armen zu liegen und einfach nur ihre Nähe zu genießen. Sie spürte ihr Herz schneller schlagen, wenn sie bei ihr war, und dennoch war sie sich nie ganz sicher, ob Manjira es ähnlich sah.

Immer unterbrach sie Jayala, wenn diese darüber reden wollte. Sie hatte nie über ihre Gefühle sprechen können.

Ach, was sollte Jayala nur denken? Manchmal ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie dennoch beinahe jeden Tag vorbei kam. Selbst wenn Manjira nicht da war, kümmerte sie sich um Mitesh.

Sie wünschte sich, Manjira könnte bleiben. Sie wünschte sich, sie würde nicht mehr kämpfen. Warum? Warum überhaupt?

Der Wald auf beiden Seiten des schmalen Trampelpfads war dicht gewachsen. Es wäre schwer, einen Weg durch das Gestrüpp zu finden. Dennoch sah sie ab und an Tiere durch das Unterholz huschen und viel häufiger noch hörte sie Bewegungen. Schnelle Schritte auf dem Boden. Ein Rascheln im Geäst.

Auch jetzt hörte sie ein Rascheln und sah überrascht einen Pfau, der in Richtung des Geästs flatterte. Pfauen sah man im Wald eher selten. Und noch seltener sah man sie fliegen, lebten die Tiere meistens doch am Boden.

Sie wandte sich wieder dem Weg zu und ging weiter.

„Manjira?“, fragte sie, als sie die Lichtung erreichte. Sie konnte ihre Freundin nicht draußen sehen, aber das war nicht zwangsweise ungewöhnlich. „Bist du da?“ Keine Antwort.

Wahrscheinlich war sie schon wieder auf einem ihrer Aufträge.

Jayala ging zum Haus und spähte hinein. Die Hütte war verlassen, abgesehen von Mitesh, der auf Manjiras Nachtlager lag und nun zu Jayala sah.

„Ist sie schon wieder gegangen?“, fragte sie und konnte ein enttäuschtes Seufzen sich nicht verkneifen.

Mitesh mauzte.

Jayala sah sich um. Normalerweise hinterließ Manjira eine Nachricht für sie, mit der Bitte, dass sie sich um Mitesh kümmerte, während sie fort war. Doch sie fand nichts, ehe Mitesh sie mit einem Fauchen unterbrach.

Er hatte das Fell gesträubt und sah zur Tür.

Ein wildes Tier? Vielleicht ein Tiger? Jayala fürchtete sich noch immer davor, selbst wenn es nicht gänzlich rational war.

Sie wich etwas zurück, sah dann aber, dass sich draußen etwas bewegte. Kein Tiger. Eine Frau.

„Hallo?“, fragte sie.

Vorsichtig ging Jayala zur Tür. Sie hatte hier noch niemand anderen, niemanden, außer Manjira, gesehen. Die Frau war hübsch. Sie hatte edle, zierliche Züge, wie Manjira, ähnlich glattes Haar. Allerdings trug sie – anders als Manjira – einen Sari. Der Stoff wirkte edel, hatte ein klassisches Muster und schien beinahe wie Jade.

Jayala runzelte die Stirn. „Hallo“, erwiderte sie vorsichtig. „Kann ich ihnen helfen?“

Die Frau schenkte ihr ein Lächeln. Sie trug Make-Up, das kunstvoll aufgetragen schien. Auch hatte sie einen Bindi. „Ich suche Manjira.“ Sie zögerte. „Die Frau, die hier lebt.“

Wer war sie? Jayala war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. „Sie ist nicht hier, fürchte ich.“

„Oh, schade“, erwiderte die Frau. „Weißt du, wann sie wieder kommt?“

Jayala schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht warum, doch sie fand die Frau seltsam. Sie war so hübsch. Sie war wie Manjira. Aber seltsam.

Daraufhin nickte die Frau. „Ich verstehe.“ Sie zögerte.

Etwas war seltsam. Ihre Füße, die barfuß unter ihrem Rock hervorschauten, waren sauber.

„Wer sind Sie?“, fragte Jayala.

„Ich bin aus Manjiras Orden“, antwortete die Frau. Sie lächelte. „Und du bist?“

„Eine Freundin von Manjira“, erwiderte Jayala.

Die Frau nickte. Noch immer lächelte sie. Worauf wartete sie? Warum ging sie nicht?

Jayala sah sich zu Mitesh um, der sich in eine Ecke verkrochen hatte und die Frau mit starret, düsterer Miene anstarrte.

Etwas stimmte nicht. Etwas stimmte wirklich nicht. Es war ein Gefühl und vielleicht war sie zu misstrauisch, doch Jayala mochte etwas an der Frau nicht. „Vielleicht sollten Sie später wiederkommen“, meinte sie in der Hoffnung sie damit abwimmeln zu können.

Wieder war ein Nicken die Antwort. „Vielleicht.“ Sie schien laut zu überlegen. Ihr Blick glitt zum Himmel hinauf.

Unwillkürlich folgte Jayala ihrem Blick und sah etwas – eine Gestalt. Es brauchte einen Moment, ehe sie sie erkannte. „Manjira!“, rief sie unwillkürlich aus. Wieso war sie nur so erleichtert?

Manjira landete an der Lichtung und sah zu der Frau. „Wer sind Sie?“

Wusste sie es doch! „Sie ist nicht von deinem Orden?“, fragte Jayala, um sicher zu gehen.

„Orden?“, fragte Manjira. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Hand lag an ihrem Gürtel, wo ihr Messer lag. „Wer sind Sie?“, fragte sie noch einmal.

„Wir haben uns schon kennen gelernt“, erwiderte die Frau. „Du hast Srijan getötet.“

„Srijan?“ Nun zog Manjira ihr Messer. Sie schien ihr Schwert nicht dabeizuhaben.

„Mein Gefährte“, erwiderte die Frau kühl. Sie hatte ihren Körper noch immer halb Jayala zugewandt, sah aber zu Manjira.

„Jala“, sagte Manjira leise. „Geh ins Haus.“

Jayala nickte, doch bevor sie sich bewegen konnte, griff eine Kralle nach ihrem Bein und zog sie zu Boden. Schneller, als dass sie schauen konnte, war die Gestalt der Frau einer größeren, gefiederten Gestalt gewichen. Noch immer waren humanoide Körperzüge auszumachen, doch bedeckte bläuliches Gefieder ihren Körper und vogelartige Krallen wuchsen aus ihrer Hüfte. Eine davon hatte sie nun auf Jayalas Brust gestellt, drückte sie damit auf den noch immer feuchten Boden.

„Geh von ihr weg!“ Manjiras Stimme klang scharf, gefährlich. Sie hatte ihr Messer in der Hand.

Der Kopf des Wesens, der nun ebenfalls der Kopf eines Vogels war, wandte sich um. Die Frau schien halb Pfau zu sein, erkannte Jayala. Der Pfau, den sie eben gesehen hatte? Es machte keinen Sinn. Sie hatte noch immer eine menschliche Gestalt, doch das Gefieder war das eines Hahns.

Der Schnabel klackte: „Auge um Auge.“ Damit spannte das Ungeheuer seine Klauen an. Die Krallen am Ende schnitten in Jayalas Sari, bohrten sich in ihre Haut.

Sie schrie nicht einmal. Sie war für den Moment einfach nur erschrocken, wusste nicht, was sie tun sollte und dann fegte ein heftiger Windstoß über sie hinweg und warf die Frau gegen das Haus.

Jayala brauchte einen Moment um zu erkennen, dass es Manjira gewesen war, als die Pfauenfrau sich schon auf die Apsara stürzte.

Manjira duckte sich unter dem Schnabelhieb hinweg, als das seltsame Wesen angriff. Viel mehr konnte Jayala nicht erkennen. Dann sprang Manjira zur Seite und aus der Reichweite des Ungeheuers, das ihr nachsetzte.

Ein weiterer Luftstoß hob das Wesen in die Luft und es breitete seine Flügel aus, flog. Manjira setzte ihm nach.

Jayala lag noch immer auf dem Boden, sah, wie das Wesen, das wahrscheinlich eine Rakshasi war, Manjira angriff, die auswich. Sie bewegte sich so frei durch die Luft, beinahe, als wäre sie schwerelos. Sie gewann an Höhe.

Ein Gedanke kam Jayala. Konnte es sein, dass Manjira die Rakshasi von ihr weglocken wollte?

Ihre Hand fuhr zu ihrer Brust und fand Blut. Sie blutete. Die Wunden, die die vier Krallen hinterlassen hatten schmerzten und brannten, doch sie war sich relativ sicher, dass sie nicht zu tief waren.

Was sollte sie jetzt machen? Was konnte sie jetzt tun?

Sollte sie nicht irgendetwas machen?

Mit der Hand noch immer an den blutenden Stellen richtete sie sich auf. Ihre Augen wanderten wieder zum Himmel, doch sie konnte die beiden kämpfenden Gestalten kaum noch sehen.

War es wirklich eine Rakshasi? Sie wusste, dass Rakshasi Gestaltwandler waren und oftmals sowohl die Gestalten von Menschen, als auch die von Tieren annehmen konnten.

Und dann sah sie, wie eine der Gestalten die Richtung wechselte und wieder hinab flog.

Nun sprang Jayala auf. Sie rannte ins Haus. Konnte sie sich hier verstecken?

Die Rakshasi landete vor dem Haus und wandte sich ihm zu, als Manjira auf ihr landete und sie nach hinten riss. Beide landeten auf dem Boden.

Jayala konnte Blut sehen. Noch mehr Blut. Blut im Gefieder der Rakshasi, aber auch Blut an Manjiras Arm und ihrem Hals. Blut, das vielleicht ihr eigenes war.

Der Kampf war schnell, heftig. Vielleicht auch, weil Jayala sich schwer tat, alles zu verarbeiten. Manjira schlug die Rakshasi und sie schlug zurück, hackte nach ihr. Dann erwischte sie Manjira mit dem Flügel und schaffte es irgendwie auf sie zu kommen.

Manjira schien ihr Messer auch nicht mehr zu haben. Hatte sie es im Kampf verloren?

Wo war ihr Schwert? Konnte es sein, dass sie es im Haus gelassen hatte? Vielleicht konnte Jayala es ihr bringen. Ja, dann wäre sie zumindest nicht unnütz.

Sie sah sich hektisch um. Noch immer schwirrte ihr Kopf. Wo war es? Wo war es nur? Die Hütte hatte nur einen wirklichen Raum, also musste es hier irgendwo sein – wenn es hier war.

Manjira bewahrte ihre meisten Sachen in einer Kiste in einer Ecke des Zimmers auf. Also rannte Jayala dahin, öffnete sie – froh, dass sie nicht verschlossen war. Darin war Kleidung. Verschiedene Kleidung. So genau sah sie sich das alles nicht an. Sie kramte hindurch, ohne auch nur darüber nachzudenken, dass sie sich vielleicht schämen sollte. Innerlich betete sie, dass das Schwert hier war. Hier irgendwo.

Und da, tatsächlich. Ihre Finger bekamen einen dünnen, länglichen, harten Gegenstand zu fassen, der ganz am Boden der Kiste vergraben war. Sie zog ihn hervor. Es war das Schwert. Erleichtert sah sie darauf, als sie einen Aufschrei hörte.

„Manjira!“, rief sie unwillkürlich aus.

Sie stand auf und sah sich zur Tür um. Nun war die Rakshasi auf Manjira, stand auf ihr, wie zuvor auf Jayala, hatte die Klaue aber um ihren Hals gelegt. Die Krallen schnitten in Manjiras Hals, während die Klaue sie würgte.

Schrecken breitete sich in Jayala aus. Unwillkürlich rief sie aus: „Lass sie los!“

Der Pfau reagierte nicht. Die dunklen Augen waren fest auf das Opfer gerichtet – nun, eins war es, da die Chimäre den Kopf seitlich gelegt hatte.

Jayala zögerte. Was sollte sie tun? Was konnte sie tun? Sie konnte doch nichts gegen das Wesen tun. Aber sie hatte das Schwert. Und sie musste etwas tun. Irgendetwas.

Sie zog das Schwert aus der zinnoberroten Scheide und hielt es in der Hand. Konnte sie das wirklich tun? Hatte sie eine Wahl?

Wenn musste sie schnell sein. Dachte sie wirklich darüber nach? Sie wusste nicht was sie tun sollte. Aber Manjira war in Gefahr und sie konnte nicht zulassen, dass die Rakshasi sie tötete. Sie konnte es einfach nicht zulassen.

Also griff sie das Heft des Schwertes fester. Sie wusste nicht einmal, wie man so eine Waffe richtig hielt. Dennoch, sie griff das Heft fester und machte mit der linken Hand ihren Sari los, der ohnehin durcheinander geraten war. Sie hatte Angst. Aber es würde reichen, die Rakshasi nur kurz abzulenken. Ja. Nur lang genug, dass Manjira sich befreien konnte.

Also rannte sie. Sie hob das Schwert. „Lass sie los!“, rief sie und hieb mehr schlecht als recht mit dem Schwert zu.

Die Rakshasi sah sie kommen. Natürlich. Sie fuhr herum, schlug mit dem Flügel nach ihr.

Der Flügel traf Jayala im Gesicht, betäubte sie für einen Moment. Sie fiel zu Boden, verlor das Schwert aus der Hand und spürte im nächsten Moment wieder eine Klaue auf sich. Sie blinzelte und dann tropfte etwas warmes auf sie. Blut.

Sie blinzelte.

Das Schwert hatte die Rakshasi von hinten durchbohrt. Der Vogelschnabel hing offen, als sie sich umsah. Dann zog Manjira das Schwert aus der Brust der Chimäre heraus und stach damit in den Hals, durchtrennte den Nacken.

Unwillkürlich wich Jayala kriechend zurück, wollte sie doch nicht, dass noch mehr von dem Blut auf sie tropfte.

Die Chimäre brach in sich zusammen. Die Augen wurden fahl. Sie zuckte. Manjira stand hinter ihr und sah nun zu Jayala.

Dann löste sich die Rakshasi auf. Jayala verstand nicht, wie es geschah, doch sie schien sich wirklich aufzulösen, fast wie in einem Film.

„Jala.“ Manjiras Stimme löste sie aus ihrer Starre.

Sie sah zu ihr und dann war Manjira schon bei ihr, kniete vor ihr. Sie legte eine Hand auf ihre Wange. „Ist bei dir alles in Ordnung?“

Das war eine gute Frage. Jayala war sich nicht sicher. Sie sah zu ihrer Brust, wo sich Blut in ihrem Oberteil ausgebreitet hatte.

„Darf ich?“, fragte Manjira.

Jayala nickte und ließ zu, dass Manjira ihr Oberteil hochschob. Die Krallen des Wesens hatten Kratzer hinterlassen, doch schienen diese nur einfache Fleischwunden zu sein.

„Es tut mir so leid, dass du da mit hineingezogen wurdest“, flüsterte Manjira, Dann schüttelte sie den Kopf. „Was hast du da gerade gemacht?“

„Was?“ Verwirrt sah Jayala sie an.

„Was hast du dir dabei gedacht, sie anzugreifen?“

„Sie hätte dich beinahe getötet“, erwiderte Jayala. Sie verstand die Frage nicht einmal ganz. Auch sie schüttelte den Kopf. „Das war eine Rakshasi, oder?“

Manjira nickte. „Ja.“ Sie rollte Jayalas Oberteil wieder hinab und küsste sie dann auf die Stirn. „Ich weiß nicht, wie sie mich hier gefunden hat.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir so leid.“

Für einen Moment zögerte Jayala, doch dann schlang sie die Arme um ihre Freundin. „Ich bin so froh, dass du da bist.“ Sie legte ihren Kopf vorsichtig gegen Manjiras Schulter. „Ich bin so froh, dass du lebst.“

Manjira strich durch ihr Haar, erwiderte nichts.

Ein Zittern lief durch Jayalas Körper. Der Schock saß noch immer in ihr. Sie klammerte sich an Manjira, die schließlich vorsichtig die Arme unter sie schob und sie aufhob, als sei sie eine Prinzessin und Manjira ein Prinz.

„Es ist alles gut“, flüsterte sie.

„Ich hatte Angst, dass sie dich tötet“, erwiderte Jayala leise. Sie spürte Tränen in ihren Augen brennen und bemühte sich, sie zu schlucken. „Manjira …“

Manjira setzte sich mit ihr an der Wand auf dem Boden. „Mir geht es gut.“

„Aber du blutest.“ Jayala hob die Hand und berührte Manjiras Nacken. „Du blutest. Ich sollte …“

„Du solltest gar nichts“, flüsterte Manjira. „Außer dir von mir helfen lassen.“

„Aber du“, begann Jayala und sah in Manjiras Gesicht, überrascht, auch da Tränen zu sehen.

Sie starrte sie an. So viele Gefühle tobten in ihr. Erleichterung, Schock, Angst und etwas anderes. Sie konnte nicht anders. Sie küsste Manjira.

Die Hände der Apsara griffen erneut in ihr Haar, strichen hindurch. Sie erwiderte den Kuss. „Jala“, flüsterte sie sanft und legte ihre Stirn gegen die Jayalas. „Bitte …“

Doch dieses Mal ignorierte Jayala die noch unausgesprochene Bitte. Sie vergrub ihre eigenen Hände in Manjiras Haar und küsste sie noch einmal kurz. Sie konnte nicht länger warten. „Ich liebe dich, Manjira.“

Ein Zittern lief durch Manjiras Körper. Tränen liefen über ihre Wangen, als sie die Arme um sie legte und sie näher an sich zog. „Ich weiß“, hauchte sie. „Ich … Ich liebe dich auch.“



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Kommentare zu dieser Fanfic (7)

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Von:  Taroru
2018-02-22T19:03:57+00:00 22.02.2018 20:03
ach gott ey.... die beiden sind echt unglaublich süß XD

den kampf hast du echt gut beschrieben. auch wenn ich zwischen durch verwirrt war, wer denn nu wie handelt... aber das liegt eher an mir und meinem spatzen hirn, das die namen noch nicht richtig zu ordnet... ich muss es einfach öfters lesen, dann geht das ;-)

Von:  Taroru
2018-02-16T20:27:59+00:00 16.02.2018 21:27
ich bin immer noch gespannt, wohin das alles führen wird XD
die beiden sind irgendwie einfach nur süß.... und ich kann nicht mal mit bestimmtheit sagen warum XD
ich freu mich auf mehr :-) wie immer ^^
Von:  Taroru
2018-02-14T18:14:49+00:00 14.02.2018 19:14
ui... wann geht es weiter? :-)
ich mag die beiden XD
und wu wirst einige dinge auf... ich warte auferklärungen! also los los los :-p
Antwort von:  Alaiya
14.02.2018 19:36
Wird relativ schnell kommen. Keine Sorge!
Antwort von:  Taroru
14.02.2018 19:40
sehr gut :-D
ich freu mich drauf :-D
Von:  Ur
2018-02-11T09:43:31+00:00 11.02.2018 10:43
Liebe Alaiya!

Ich weiß, wie blöd es ist, wenn das Wichtelkind kurz vor knapp abspringt und man schon jede Menge Mühe in die Geschichte investiert hat - wobei bisher keine von meinen Geschichten an jemand anderen weiterverschenkt wurde ^^ Witzigerweise hatte ich, nachdem ich das Vorwort gelesen habe, sofort eine sehr genaue Ahnung, wer dein urpsrüngliches Wichtelkind gewesen sein muss. Brüder und Werwölfe, das ist definitiv Reis fiktiver Wunschtraum ;)

Ich mag Werwölfe zwar auch, aber vor allem hab ich mich gefreut, dass eine Girls Love Geschichte dabei war ^-^ Notfalloption Original hin oder her, Femslash ist eine gute Sache und es sollte mehr davon geben!

Mythologie und Religion sind ja Dinge, die mich wahnsinnig interessieren, was das angeht, hast du bei mir daher auch ins Schwarze getroffen :) Mit indischen Religionen kenne ich mich leider nicht besonders gut aus und musste deswegen auch erstmal selber ein wenig recherchieren, was es mit Apsaras auf sich hat. Rakshasa kenne ich (allerdings aus Dungeons und Dragons und die Darstellung ist sehr wahrscheinlich nicht besonders originalgetreu...), aber auch über die hab ich dann noch mal ein bisschen nachgelesen. Eine Geschichte, die mich dazu inspiriert neue Sachen zu lernen und nachzulesen ist generell schon mal eine gute Geschichte :) Danke dafür!

Dein Schreibstil lässt sich angenehm flüssig lesen und ich hab nur wenige Fehler gefunden - die haben den Schreibfluss aber kein bisschen gestört. Ich fand es sehr überzeugend, wie du die Beziehung der beiden in den kulturellen Kontext eingebettet, es aber nicht über alle Maßen dramatisiert hast - fluffige und positive wlw-Beziehungen sind wichtig und machen mein Herz plüschig.

Ein ganz banaler Einwurf: Ich liebe Katzen und hab mich ungemein darüber gefreut, dass du eine eingebaut hast :D

Es war ja am Ende immer noch alles sehr mysteriös und schwammig und ich hab geschaut, ob es noch mehr gibt, weil man ja immer noch nicht weiß, was genau es eigentlich mit Manjira auf sich hat, wo sie herkommt, was sie alles tut, was sie kann, warum sie nicht darüber reden darf uswusw.

Alles in allem hab ich mich über meine adoptierten Geschichten gefreut und ich drück dir die Daumen, dass Rei auch noch vorbeischaut und dir vielleicht Feedback hinterlässt, da die Geschichten ja ursprünglich für sie gedacht waren. Danke fürs Lesevergnügen <3
Von:  Taroru
2018-02-10T20:19:50+00:00 10.02.2018 21:19
na das fängt doch schon gut an ^^
bin gespannt wie es weiter geht, zwischen den beiden, was drum rum noch sein wird.
und was genau sind 'Rakshasa'?
Antwort von:  Alaiya
10.02.2018 21:35
Danke dir (wie immer).

Rakshasa sind mehr oder minder Dämonen in der Hindu-Mythologie.
Antwort von:  Taroru
10.02.2018 21:44
ah okay, vielleicht sollte ich mich in der richtung auch noch mal mehr belesen ;-)
danke für die erklärung ^^


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