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SKAM Season 3 "ISAK" (Special Extended)

(S 1 und 2 sind NICHT notwendig für die Story)
von

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03x04 - BOCK AUF BADEN - (Keen på å bade)

Ich lag in dieser Nacht noch ziemlich lange wach und dachte nach. Eigentlich ein Wunder, dass mein Hirn überhaupt mal zur Ruhe kam, denn immer wieder lief der Film in meinem Kopf an der Stelle weiter, an der uns Noora mit ihrem Erscheinen in der WG unterbrochen hatte. Je öfter der Film von vorne los ging, desto unterschiedlicher wurden die Versionen und reichten bis hin zu dem Gedanken, dass es mal wieder ein Joke von ihm gewesen sein könnte. Auch wenn dies nicht die Version ist, von der ich mir wünschen würde, dass sie so passiert wäre. Es war die, die ich im Moment am meisten fürchtete. Aber da kamen auch Szenen, die deutlich weiter gingen als nur dieser Beinahe-Kuss und die machten mich eher noch unruhiger. In vielerlei Hinsicht...

Mit gemischten Gefühlen wachte ich dementsprechend am nächsten Morgen kurz vor zehn Uhr auf und so war die Sache mit Even in der Küche auch gleich wieder das erste woran ich denken musste. Der automatische Blick aufs Handy konnte mich da nur mäßig von ablenken. Emma hatte mir offensichtlich kurz nach drei Uhr noch Nachrichten zukommen lassen: Bist du wach? Kann ich kommen? Außerdem stand da: Du bist so verdammt süß. Ich bin nicht süß... Du schläfst siiicheeer, vermutete sie vollkommen richtig. Zudem schrieb sie: Ich bn so voill, was wahrscheinlich hieß, dass sie total betrunken ist, beziehungsweise es zu dem Zeitpunkt war. Japp, das merkt man, wenn man das so liest.

Gut, selbst wenn ich das heute Nacht noch mitgekriegt hätte, wäre ich nicht scharf drauf gewesen, dass sie hier völlig betrunken auftaucht. Ich antwortete nicht, sondern legte das Handy wieder weg, starrte wieder an die Decke und hörte im Flur vor meiner Tür, dass meine Mitbewohner auch schon wach sein mussten.

Kurz darauf flog ein weiterer Text von Emma ein, in welcher sie sich wegen der nächtlichen Mitteilungen mehr oder weniger entschuldigte: Hahaha, sorry wegen der Suff-Nachrichten. Cringe. Ich schrieb ihr zurück: Null Stress. War's fett gestern? Offenbar war dem so. Emma schwärmte förmlich: Ja! Sonja ist totaaal toll... Bla bla... Warum sie das sein soll, überflog ich nur ganz grob. Denn eigentlich kann es mir sowas von wurscht sein. Ich wollte einfach nicht wissen, was an Evens Freundin so super umwerfend und lustig ist...

Während ich mir was anzog und überlegte was ich schreiben könnte, wurde es im Flur wieder ruhiger. Weshalb ich mir schnell wieder mein Handy schnappte und Emma antwortete: Cool, muss los, man sieht sich. Schließlich kann man ja auch ein anderes mal schreiben, oder reden. Oder viel sie mehr reden lassen. Mich einfach volllabern zu lassen, hat bisher immer funktioniert. Auch, als ich mit dieser Sara damals was angefangen hatte. Da war ich auch nur zum Zuhören gut. Was mich nicht wirklich störte. Solange Mädchen reden können, muss ich selber nichts sagen und sage demnach auch nichts falsches. Die Leute ließen dann zudem ihre bescheuerten Gay-Kommentare über mich stecken.

Im Anschluss verließ ich mein Zimmer und ging hinüber, wo ich meine Mitbewohner und Noora schon im Wohnzimmer erzählen hörte und setzte mich dazu.

Da Eskild und Linn ebenfalls auf der Party waren, auf der Emma, Sonja und womöglich auch Even gewesen sind, beschloss ich einfach mal abzuwarten und bei passender Gelegenheit zu fragen, was gestern dort noch los war. Vielleicht erfährt man ja was nützliches. Ob Even wirklich noch da war, zum Beispiel. Doch das Gesprächsthema lag natürlich voll und ganz bei Noora und ihrem Problem mit William.
 

Samstag, 22.10.2016 – 11:47 Uhr

Während meine Mitbewohner sich ihre Sorgen anhörten, saß ich nun schon eine Weile auf dem Couchtisch und überlegte krampfhaft was ich Even schreiben könnte. Die erste Nachricht überhaupt an ihn. Sollte ich das alles lieber neutral halten? Soll ich fragen, wie ich das von gestern zu verstehen habe? Oder gar nicht erst schreiben? Nee, das geht nicht.

Vielleicht sollte ich mich noch mal für seine Hilfe beim Aufräumen bedanken und fragen, was er heute so vor hat? Das geht!

Eskild und Linn, welche links und rechts von Noora saßen, hörten sich die Geschichte mit William noch einmal ausführlicher an, dass ihm Geld und die Beziehung zu seinem Vater plötzlich soviel wichtiger ist als seine Freundin. Auch ich lauschte mit halbem Ohr, während ich die Nachricht an Even eintippte. Eigentlich wollte ich noch schreiben, ob er noch was mit mir machen will, doch ich löschte im Grunde alles wieder. Schrieb aber noch mal: Hallo, danke für gestern, was hast du heute vor? Ohne mich mit einzubeziehen oder irgendwelche Smileys. Las den Text erneut und sendete die Nachricht. Normalerweise schreibe ich einfach irgendeinen Text, wie er mir in den Sinn kommt. Ohne drei mal drüber gucken und ohne fünf mal irgendwas zu löschen. Manchmal achte ich noch nicht mal auf irgendwelche Satzzeichen. Hier tat ich das komischerweise und kaum hatte ich die Nachricht versendet wurde ich nervös. Nervös bei dem Gedanken, was da kommen könnte.

Im nächsten Moment hatte allerdings Eskild meine Aufmerksamkeit. Ich hab zwar nebenher mitgeschnitten, dass er sich wegen Chaos ausgelassen hat, das angeblich bei uns herrschen soll, aber als er sich bei Noora beschwerte, dass ich zwar ein guter Kerl sei, aber ziemlich faul. Da wurde es mir dann doch zu viel. Ich meine, wer hat denn gestern den ganzen Kram vom Suff in die Küche gestellt? Okay, aufgrund gewisser Umstände bin ich nicht weit gekommen, aber der Wille sollte doch wohl zählen!

„Eskild?“, sprach ich ihn also ungläubig an und nachdem ich seine Aufmerksamkeit hatte, setzte ich fort: „Ich sitze gleich hier.“ Ehrlich, jetzt. Kann er so was vielleicht mal mit mir persönlich klären? Abgesehen davon, möchte sich Noora jetzt womöglich auch nicht darüber unterhalten, wie faul ich angeblich sei. Unser Mitbewohner sah mich an und konterte auf meinen Einwand: „Ja. Du musst das jetzt mal ertragen, dass ich mich freue Noora wieder zusehen. Kein Grund verletzt oder eifersüchtig zu sein. Ich mag dich auch.“ Verständnislos schaute ich zu ihm hinüber.

What? Niemand sagt was dagegen, dass er sich freut, aber hier ging's gerade um meine vermeintliche Faulheit, mit der er sich direkt vor mir bei jemand anderem beschwert. „Eifersüchtig?! Ich bin nicht eifersüchtig“, antwortete ich Augen verdrehend. Was soll's. Mit ihm streiten bringt nichts, weswegen ich an der Stelle lieber ein anderes Thema anschnitt, worüber man sich mal mehr Gedanken machen sollte, als angeblicher Eifersucht und Faulheit meinerseits: „Aber wir müssen eine Lösung finden, wenn Noora jetzt hier leben will. Wir sind vier Leute auf drei Räume.“ Eskild hätte an der Stelle wohl am liebsten seine Gesichtszüge entgleisen lassen, als er fragte: „Ist das dein ernst?“ Irritiert warf ich ihm einen fragenden Blick zu, bevor er förmlich mit ihr mitleidend motzte: „Noora ist gerade erst nach Hause gekommen, nachdem sie vom Mann ihrer Träume sitzen gelassen wurde. Und du kümmerst dich nur darum wer wo schläft. Wieso schläfst du nicht auf dem Boden?“

Bin ich im falschen Film? Okay, ich weiß, Eskild kann 'ne Dramaqueen sein und sich von Gefühlen leiten lassen, aber dass er das eine Thema nicht vom anderen unterscheiden und damit bei den Fakten bleibt, dass ist mir neu. Doch auch Noora mischte sich nun ein: „Ich wurde nicht verlassen.“ „Nein, du wurdest nicht verlassen, aber...“, wollte sich Eskild korrigieren, doch sie fiel ihm ins Wort: „Ich war es, die einfach gegangen ist. Wir haben nicht Schluss gemacht. Wir haben... auf Pause gedrückt.“

Meine Mitbewohner verhätschelten Noora schon die ganze Zeit, mit Streicheleinheiten und Kakao. Ich meine, sicher, ich stell mir ihre Situation auch beschissen vor und wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch auf dieser gottverdammten Welt, der noch nie mit so was persönlich zu tun hatte. Aber das heißt nicht, dass ich nur daran interessiert bin, wo mein eigener Arsch in Zukunft zu nächtigen gedenkt. Immerhin kenne ich die Geschichte schon von gestern Abend, wenn auch nicht so ausführlich wie jetzt.

Aber gut, vielleicht bin ich halt ein Arsch. Ich nenn's eher praktisch veranlagt. Eine Lösung dafür muss trotzdem früher oder später her. Von mir aus ziehen wir Streichhölzer, wer von uns jetzt weiter auf dem Sofa pennen soll.

Im Moment jedoch lag der Fokus Aller offenbar noch auf dem seelischen Bereich. „Und wenn er mich wirklich liebt, dann wird er zu mir kommen“, sagte Noora, was mich zum Grübeln anregte.

„Ich denke, dass... Ich weiß nicht, aber... Leute verlassen Frau und Kind, um mit denen zusammen zu sein, die sie lieben. Und wenn er dich wirklich liebt, dann wählt er dich. Ich denke, das wird schon klappen“, entgegnete Eskild ihr aufbauend und ich fragte mich, ob Even sich womöglich für mich entscheiden würde. Aber das ist völliger Unsinn. Dazu müsste er mich lieben, oder wenigstens sehr mögen und das mehr als seine Freundin, also... hak's ab, Isak.

Schon fast, als wolle das Schicksal den letzten meiner Gedanken bestätigen, las ich die Nachricht die mich gerade erreichte. Sie war von Even: Danke für gestern, hoffe es läuft gut mit dieser Noora. Hab vergessen, dass ich heute was mit Sonja vor hatte, sorry, sehen uns in der Schule.

Natürlich. Wie dämlich von mir auch nur daran zu denken...

Vielleicht, irgendwo auf der Welt oder in einem anderen Universum gibt’s einen Isak, der seinen Even kriegt und die Welt ist voller scheiß Einhörner und Regenbögen... Diese Welt jedenfalls, kann mich jetzt gerade mal kreuzweise.

Während Eskild noch immer kaum seine Freude über Nooras Rückkehr bremsen konnte, könnte ich mir am liebsten die nächstbeste Wand suchen und meinen Kopf dagegen hämmern. Vielleicht geht es dann endlich in meinen Schädel, dass ich mir keine Hoffnungen machen brauche.

Bei meinen Mitbewohnern ging es indes gerade darum, wer den Tröst-Kakao zubereitet hatte. Als Noora mich diesbezüglich mit skeptisch fragendem Blick ansah, zuckte ich nur unwissend mit den Schultern, stand auf und beschloss mich später weiter damit zu befassen, wie die Wohnsituation geklärt werden sollte. Im Moment wollte ich mich lieber selbst bemitleiden. Scheiß auf Even und was immer er gestern noch gemacht haben könnte, als er hier weg ist.

Ich weiß echt nicht, wieso ich mir das antue. Wie kann man sich so mind-fucken lassen? Wieso kann ich es auch einfach nicht abstellen?
 

Später an diesem ohnehin schon herrlichen Samstag meldete sich Papa mal wieder und fragte, ob ich Mama zum Geburtstag gratuliert habe. Shit. Vergessen...

Aber irgendwie wusste ich auch nicht, ob ich wirklich anrufen oder schreiben sollte. Wer weiß ob sie heute zurechnungsfähig ist.Vielleicht weiß sie inzwischen nicht mal mehr, dass sie heute Geburtstag hat. Oder wer sie ist, oder wer ich bin...

Ich denke, du solltest heute zu ihr nach Hause gehen. Kann ich dich fahren? Schlug er vor, doch das käme mir sicher nicht in den Sinn, weshalb ich ihm schrieb: Hab keine Zeit.

Irgendwo plagt einem ja schon das schlechte Gewissen, aber wenn ich da nur wegen des schlechten Gewissens aufkreuze, dann endet das für uns beide nicht gut. Sie ist meine Mutter, ja, aber ihr geistiger Zustand überfordert mich total. Ich weiß einfach nicht wie ich mit ihr umgehen sollte. Bei meiner gegenwärtigen Verfassung bin ich mir ja selber nicht ganz sicher, ob ich irgendwie nicht ganz dicht bin, so sehr wie mich Even im Griff hat, ohne auch nur die geringste Mühe damit zu haben. Das ist erbärmlich.

Und dann ist da noch die Sache mit der Zimmeraufteilung zu klären. Nicht, dass hier irgendwas ohne meine Anwesenheit entschieden wird. Nein, ich kann da echt nicht hin. Sonst werde ich wirklich noch verrückt. Und das ist nicht mal so abwegig, immerhin bestehe ich zur Hälfte aus den Genen meiner Mutter.

Außerdem: Papa hat's verbockt mit ihr und nicht ich. Sie ist damals nur wegen ihm komplett kollabiert. Deshalb ist es jetzt ja auch erst so weit ausgeartet. Nein, ich zieh mir den Schuh nicht an und eben dies ließ ich ihn auch wissen: Geh selbst, du bist es der auf sie aufpassen sollte. Schließlich hat er sie geheiratet und geschworen in guten wie in schlechten Zeiten zu ihr zu halten. Ich bin nur das, was dabei raus kam...

Vielleicht wird meine Mutter wieder normal, wenn die beiden das auf die Reihe kriegen. Aber im Moment scheint er kein Interesse daran zu haben, irgendwas an der Sache richten zu wollen, den er schrieb zurück: Verstehe, du bist beschäftigt. Ich kann Blumen von uns schicken. So wird das sicher nichts... Mehr als ein: ok, bekam er dann auch nicht von mir.

Zwar kam kurz darauf die Fragen von ihm, ob wir die Woche Essen gehen, doch ich hatte nicht wirklich Bock drauf mich auch noch damit zu beschäftigen.

Der Rest des Wochenende verlief wenig aufregend. Nur am Sonntag Abend schickte mir Even völlig aus dem Nichts ein Bild mit 'nem Typen über dem ein Text stand: One day I hope to be as happy as this guy who found his plate on an episode of seinfeld

Was genau möchte er mir damit sagen? Etwa, dass er unglücklich ist? Ich war mir nicht sicher was ich davon halten und nun dazu schreiben sollte, weshalb ich sein Bild lediglich mit: hahaha, kommentierte und der Frage: Schönes Wochenende gehabt?

Eine Antwort kam jedoch nicht. Aber da will ich mich mal nicht drüber aufregen. Ist ja nicht so, als würde ich jeden Mist sofort beantworten, den man mir schreibt. Und ob ich wirklich wissen wollte, ob er Spaß mit Sonja hatte? Nein. Eher nicht.
 

Montag, 24.10.2016 – 10:42

Die ersten Stunden hatte ich mehr oder weniger gechillt hinter mich gebracht und war nun in der Pause auf dem Weg zu meinem Spind. Nichts ahnend, dass dieses scheiß Ding mich mal wieder im Stich lassen will. Aber zunächst mal fiel mein Augenmerk auf diese orangen Zettel, die mit schwarzem Klebestreifen befestigt, in der ganzen Schule zu finden sind. Überall hat man die Spinde damit zugepflastert, so auch den meinigen. Ich rupfte dieses Ding ab und las was drauf stand. Eine Halloween-Party an diesem Freitag. Schon wieder diese Revue-Nerds? Wahrscheinlich eher nicht, denn dann hätte Vilde sicher schon Wind gemacht. Ach was soll's, ich geh ich eh nicht hin. Halloween nervt und verkleiden noch mehr.

Ich knüllte das Blatt zusammen und warf es hinter die Schränke. Sollen mich bloß mit dem Kram in Ruhe lassen...

Okay, damit wäre die erste Sache erledigt, folgt nun der verdammte Schrank. Der wollte sich ja neulich schon nicht schließen lassen, ohne Gewalt. Ich gab die Zahlenkombi ein und hatte schon Probleme den kleinen Hebel umzulegen, an welchem man die Tür aufzieht und der einem signalisiert, dass der Schrank offen ist. Mit etwas Kraft ließ dieser sich zwar dann doch bezwingen, doch als ich die Tür öffnen sollte ging nichts. Gar nichts. Ich ruckelte und rüttelte, klopfte ein paar mal und hoffte, dass, was immer sich verklemmt hatte, würde sich lösen. Aber nein. Natürlich nicht. Nicht mal, als ich mit der Faust etwas derber dagegen wummerte. Resigniert seufzte ich, überlegte was man noch tun könnte und kramte etwas hervor, um die Tür irgendwie aufzuhebeln. So wie es die Typen in Filmen mit einer Scheckkarte machen. Aber so was klappt eben nur im Film. Nicht bei 0 8 15 Trotteln wie mir.

Gereizt zerrte ich noch einmal an der Tür, doch das Ding weigerte sich einfach standhaft. „Hallo“, sprach mich in meinem Zweikampf eine mir wohlbekannte und wohlklingende Stimme an. Überrascht schaute ich zu Even auf: „Hi.“ Und lachte leise überspielnd auf, um meine Niederlage mit dem Spind zu verstecken, eh ich mich lässig tuend an eben diesen lehnte.

„Gehst du zu diesem Halloween-Ding?“, wollte er wissen und ich entgegnete dem: „Eh, nein. Oder... vielleicht. Ich weiß nicht. Gehst du?“ Er zuckte mit den Schultern, als er vorschlug: „Geh mit mir.“ Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Wie könnte man da nur ablehnen? „Okay!“, kam es begeistert von meiner Seite und so hakte er sich vergewissernd nach: „Okay?“ „Ja“, bestätigte ich und hörte Even dann fragen: „Gut, dann glühen wir zusammen vor?“ „Ja“, antwortete ich ihm daraufhin und hätte innerlich in Jubel ausbrechen können.

Als er sich in Bewegung setzte, stieß er mit dem Ellbogen kurz aber kräftig genug gegen meine Spindtür, sodass diese endlich aufging und er anschließend hinter mir im Flur durch eine Tür verschwand.

Wow. Nicht nur unfassbar sexy und ein Gespür für brenzlige Situationen, sondern auch noch brauchbar im Alltag. Er eben schien nicht wirklich Mühe mit dem Teil gehabt zu haben.

Am liebsten hätte ich ja jetzt noch ein wenig in dem Glücksgefühl schwelgen wollen, nach Evens persönlicher Einladung mit ihm was zu unternehmen und wenn es dieses Halloween-Ding ist. Doch Jonas stand nun unweit vor mir an seinem Spind und begrüßte mich mit einer weniger glücklichen Stimmung: „Hallo...“ „Hi“, entgegnete ich ihm und begann mich um den Inhalt meines nun offenen Fachs zu kümmern.

Es war irgendwie eine unangenehme Stille zwischen uns. Er schwieg zwar zunächst, aber ich wusste, dass irgendwas war. „Hast du... was lustiges am Wochenende gemacht?“, fragte er vorsichtig und ein wenig distanziert. Na ja... lustig wäre wohl nicht ganz das richtige Wort. „Eh, nein“, antwortete ich ihm also und schloss meinen Spind kraftvoll, als ich daraus hatte was ich brauchte. Der Hebel ging schwer zu und ich hoffte das blöde Ding würde mich beim nächsten mal nicht wieder im Stich lassen. „Hab versucht dich anzurufen am Freitag“, sagte er und ich überlegte. Hat er? Hab ich irgendwie nicht mitgekriegt. „Ja, hab ich gesehen“, log ich daraufhin und redete mich schnell raus: „Aber es war soviel los am Wochenende. Hm. Noora kam nach Hause. Davon gehört?“ Jonas sah alles andere als freudestrahlend aus, als er nickte: „Ja.“ Er schaute mich kaum an, als er weiter sprach: „Ich hab auch gehört, dass.. du eine Feier hattest.“

Und er denkt natürlich ich wollte ihn nicht dabei haben. Dabei wollte ich eigentlich die ganze Party gar nicht haben, auch wenn die Sache irgendwie anders gelaufen ist, als ich geplant hatte.

„Jo... ja, ich nehme an, ich hab... oder viel mehr, ich hatte eigentlich nicht wirklich eine. Also... Vilde hat mich praktisch gedrängt, das zu machen. Sie ist verrückt nach diesem Revue-Kram, also hat sie mit Eskild gesprochen. Am Ende hatte ich keine Wahl. Es war eigentlich mehr so, dass sie ihre Party bei mir gemacht hat. Aber es war echt verdammt langweilig. Es ist nicht so, dass du irgendwas verpasst hättest.“ Ich versuchte ihn mit einer langen Rede davon zu überzeugen, dass das nichts für ihn oder die anderen gewesen wäre. Wer weiß wie es gekommen wäre, wären die Jungs da gewesen. Wahrscheinlich wären sie nicht ohne mich zu dieser Nerd-Feier gegangen, dann hätte ich den Moment mit Even in der Küche nicht gehabt und wenn der nicht gewesen wäre, stünde das Halloween-Date mit uns nicht. Also... wenn ich es Date nennen darf. Okay, nennen wir es ein Treffen.

„Magnus' Geburtstag ist am Samstag“, informierte mich Jonas und sah schon etwas entspannter dabei aus. Ich wusste nicht wann Mags Geburtstag hat, weshalb ich überrascht war: „Echt?“ „Jo“, antwortete mein bester Freund und sprach weiter: „Also, ja... Mahdi und ich dachten, wir könnten irgendwas cooles für ihn machen.“ „Ja, ich bin dabei“, kündigte ich an und Jonas hakte noch etwas skeptisch nach: „Ja?“ „Wir könnten dafür sorgen, dass er endlich das erste mal Sex hat“, schlug ich lachend vor und auch Jonas war sichtlich begeistert von der Idee, denn auch er schien nun besser drauf, als eben noch. „An seinem Geburtstag, ja.“

Vielleicht ist der Katzenknutscher dann weniger verzweifelt. „Das wird genial. Wir könnten eine von diesen Tanz-Chicks fragen“, witzelte ich weiter und Jonas schien von meinem Plan voll angetan zu sein: „Ja!“ „Die mochte er, also...“, setzte ich fort und mein bester Kumpel unterbrach mich mit einen weiteren Vorschlag: „Oder Vilde!“

Bei dem Gedanken an Magnus und seinem Traum, den er kürzlich von ihr hatte, musste ich laut lachen: „Ja, ja! Oh mein Gott.“ „Da kann er seinen Sado-Traum ausleben“, sagte Jonas belustigt und hatte damit offenbar den gleichen Gedanken wie ich: „Ja... 'ne Domina. Irgendwas stimmt bei ihm nicht. Er ist crazy.“ Aber auf eine positive Art crazy.
 

Apropos positiv. Am Nachmittag schien sich das Problem der Raumaufteilung zu Hause zu lösen als Linn im WG-Chat schrieb: Ich fahre für ein paar Tage nach Larvik, damit Noora in meinem Zimmer bleiben kann. Was Noora offenbar sehr gelegen kam, denn sie schrieb: Danke Linn. - Ich nehme das Angebot an. Ich brauche eine Pause von Eskild und dem was sich nachts wie feuchte Träume anhört.

Ich ließ ich mir selbstverständlich nicht nehmen meine Belustigung darüber ebenfalls kund zu tun: Hehehe.

Noora hatte die letzten zwei Nächte bei Eskild im Zimmer geschlafen, da sein Bett über eine zweite Liegefläche zum Ausziehen verfügt. Man könnte seine gelegentlichen Drama-Ausbrüche persönlich nehmen oder einfach den hilfsbereiten Menschen in ihm sehen, der er trotzdem ist.

Unser Mitbewohner wollte die Sache aber nicht unkommentiert lassen und schrieb: Ha-ha-ha. – Noora ist ziemlich frech geworden in London. Sie antwortete ihm mit einem Herzchen. Wenigstens muss ich mir darum keine Gedanken mehr machen. Schön, wenn sich Probleme ohne mein Zutun erledigen.

Die Dinge können ja nicht nur schlecht laufen. Da tut ein wenig Abstand von Frust und Ärger ganz gut.

Was man von Mahdi am nächsten Tag nicht sagen konnte, denn der hatte es sich in der Mittagspause unfreiwillig zur Aufgabe gemacht, einen Basketball mit dem Hinterkopf abzufangen und klagte nun über Kopfschmerzen. Weshalb die Jungs und ich, Kumpel wie wir nun mal sind, mit ihm zur Schulärztin gegangen sind. Wir drei warteten draußen und Magnus hatte mal wieder nur Mist im Hirn. Da stand so ein Torso, der als Modell für Verdauungsorgane dient und mit dem Ding 'flirtete' er.

Wir sollten ihm echt mal dieses Date verschaffen zu seinem Geburtstag. Egal, ob mit Vilde oder so 'ner Tänzerin. Hauptsache er will nicht mehr alles mögliche besteigen. Als Jonas fachmännisch anhand des dargestellten Verdauungsapparats erklärte, wie schwer unser gemeinsamer Buddy im Magen liegen würde, wenn der Torso ein lebender Mensch wäre, tat Mags so als würde mit dem Ding rumknutschen. Ich machte natürlich ein Foto davon, um die Peinlichkeiten meiner Mitmenschen für die Ewigkeit festzuhalten. Und wenn es zur Abschreckung von Nachahmern dienen muss.

Als Mahdi aus dem Zimmer kam, teilte er uns mit: „Wahrscheinlich alles halb so wild, sagt sie. Hab ich euch doch gleich gesagt.“ „Und deine Kopfschmerzen?“, hakte Jonas nach und Mahdi antwortete ihm: „Sollten spätestens morgen weg sein. Ich soll im Augen behalten, ob mir schwindelig oder schlecht wird, um eine Gehirnerschütterung auszuschließen, oder so.“ Jonas klopfte ihm auf die Schulter: „Na, da hast du aber Glück. Der hier hat sein Hirn nicht mal mehr im Schädel.“ Damit zog er Magnus vom Torso weg und dieser jammerte theatralisch: „Aber... es lief doch so gut zwischen uns!“ So ein Spinner...

Doch Magnus ist offenbar nicht der einzige Spinner. Auch Even sendete mir mal wieder völlig aus dem Nichts ein Bild mit irgend einem Typen und dem Spruch darunter: Imagine, you can walk around drunk all day. Ich schrieb zurück, wie random das ist und er findet random scheinbar toll. Ich war unschlüssig darüber wieso er das überhaupt tat. Ich meine, so wirklich was sagen oder aussagen tut man mit solchen Dingen nicht, aber warum macht man es dann? Warum macht er es? Einfach nur Aufmerksamkeit? Lange Weile? Versteckte Botschaften, und ich bin zu blöd die zu erkennen?

Apropos blöd... Beinahe hätte ich Blödmann den Test in Physik am Donnerstag verpennt. Das fiel mir auch erst ein, als ich am Abend meinen Krempel für den nächsten Tag zusammen suchen wollte. Und verdammt noch mal, ich konnte meine scheiß Notizen nicht finden! Fuck! Und dabei ist Physik nicht unbedingt mein allerbestes Fach. Ich durchwühlte meine ganzen losen Zettel, in der Hoffnung sie würden sich irgendwo anfinden. In Momenten wie diesen verfluche ich meinen Hang zur Unordnung. Shit, was mach ich jetzt?

Ich weiß! Sana! Wir haben beide Physik, wenn auch verschiedene Kurse und sie hat sicher mitgeschrieben.

Sogleich zückte ich mein Handy und fragte sie: Hallo – Kann ich deine Notizen von Physik haben? Sie hat zwar den Test schon geschrieben, aber vielleicht weiß sie noch was dran kam. Wofür?, wollte sie wissen und ich erklärte: Wir haben einen Test am Donnerstag über Kap. 4. Hattest du den nicht letzte Woche? Erinnerst du dich an die Fragen? Doch sie war skeptisch: Das ist Betrug. Aber ich war anderer Meinung: Das ist nicht wirklich Betrug. Ich meine, kann ja schon mal vorkommen, dass sich Schüler über Unterrichtsstoff unterhalten und sich zufällig darüber austauschen, was bei dem einem im letzten Test dran war, oder?

Nach erneuter erfolgloser Suche nach meinen eigenen Notizen, verdeutlichte ich daher die Dringlichkeit der Sache noch einmal: Ich bin echt gefickt. Bitte. Sie ließ sich erweichen und schickte mir eine Mail. Ich bedankte mich natürlich auch brav: Danke Sana-Sonne!!!! Puh... Gern geschehen Isabell, entgenete sie mir, und auch wenn ich es nicht leiden kann, wenn man mich so nennt, beließ ich es dabei. Ich hatte was ich wollte, das zählt! Obwohl ich sie morgen in Biologie sowieso noch mal gesehen hätte. So konnte ich wenigstens jetzt noch ein paar Stunden vor dem Schlafen ein bisschen was für Physik tun.
 

Mittwoch, 26.10.2016 – 13:31 Uhr

Wie immer an diesem Wochentag und um die selbe Zeit, hatten wir zusammen Biologie, Sana und ich. Wir bekamen in dieser Doppelstunde eine Hausaufgabe auf und sollten zusammen aus dem zehnten Kapitel herausarbeiten, was dort erklärt steht. Es war mir ganz recht, als sie vorschlug, dass doch schnell im Anschluss nach Bio zu machen, dann müssten wir uns nicht später noch mal treffen und haben es gleich hinter uns. So saßen wir wenig später im Aufenthaltsraum der Kantine und sie las mittlerweile den Text von Abschnitt zwei vor. Den ersten hatten wir zunächst jeder für sich gelesen, doch irgendwie klappte es mit der gemeinschaftlichen Arbeit nicht wirklich, weshalb sie die Idee hatte, einer liest und der andere schreibt die wichtigen Fakten auf.

Ich war auch voll und ganz dabei, bis mein Handy vibrierte und ich feststellte, dass meine Mutter mir mal wieder gefühlt tausend Nachrichten über den Vormittag hinweg geschrieben hatte. Wie immer Bibelverse. Zum einen war ich irgendwie froh, dass keine selbstverfassten Vorwürfe kamen, wegen ihres Geburtstags gestern. Aber mit einem: 'Schön, dass ihr alle nicht gekommen seid', hätte ich wenigstens was anfangen können, als diesen Mist aus der Bibel.

Ich war mir unsicher, ob in diesen Versen nicht vielleicht doch irgendwo ein versteckter Vorwurf sein könnte, aber für mich hört sich das alles gleich an. Nach Bullshit. Von Sünden reinigen... Lösch' meine Überschreitungen aus... Wasch mich gründlich...

Wieso glaubt jemand so felsenfest an diesen Quark?

„Kannst du dich mal konzentrieren?“, riss mich Sana aus den Gedanken, nachdem sie offenbar den Text fertig vorgelesen hatte. Da ich kaum irgendwas mitbekommen hatte, schaute ich mich verwirrt auf meinem Platz um, legte das Handy weg und warf einen kurzen Blick auf mein Buch und mein annähernd leeres Blatt. Doch mir wurde an der Stelle eines bewusst: Auch Sana glaubt an einen Gott, wenn auch an einen anderen und sie textet niemanden damit zu. Zumindest nicht, dass ich wüsste.

Soll ich sie fragen, was mir auf der Seele brennt? Sie könnte es mir wahrscheinlich beantworten, warum meine Mutter so versessen auf diesen Mist ist.

Ich entschied mich dazu es zu wagen: „Sana, ich hab eine Frage.“ „Hm“, hört ich es leise von ihr, da sie scheinbar auf ihren Laptop* fokussiert war und dort selbst ihre Notizen machte. „No offense, aber warum bist du eigentlich religiös?“, fragte ich also und sofort stoppte sie ihr Tun und sah mich an. Mit einem Blick, der mich am liebsten für diese Frage schon töten wollte, weshalb ich nervös davon fortsetzte: „Wir haben 2016 und die Welt entwickelt sich immer weiter. Du bist ein schlaues Mädchen im naturwissenschaftlichen Bereich. Verstehst du nicht, dass das Unsinn ist?“ Sie ließ gänzlich von ihrem PC ab, um sich ganz mir und meiner Frage zu widmen: „Was ist mit meiner Religion, dass dich stört?“ „Nichts spezifisches, aber dass du glaubst, dass manche Dinge richtig und manche falsch sind. Und dass da ein Gott ist, der... das entscheidet und der sagt Homosexualität ist nicht richtig“, eierte ich nervös herum, bis mir auffiel, dass ich den letzten Teil besser nicht als Beispiel gebracht hätte und ließ mir daher schnell noch ein weiteres einfallen: „Oder... oder, dass du keine Hotdogs essen kannst oder so was...“ Sie hatte immer noch diesen Killer-Blick, als sie wissen wollte: „Woran glaubst du, Isak?“ „Ich? Ich glaube... an Wissenschaft. Evolutionstheorie. Und keinen anderen Scheiß“, stammelte ich unruhig und sie fragte mich daraufhin: „Okay. Also sehen wir uns die Evolutionstheorie an. Wie erklärst du dir Homosexualität in der natürlichen Selektion?“ Wie jetzt? Ich hätte sie nicht auf das Thema bringen sollen... Bin ja selbst schuld. „Hm?“, kam es also unsicher von mir und so legte Sana erst richtig los: „Evolutionsmäßig ist Homosexualität eine genetische Sackgasse. Homosexuelle bringen die Welt nicht voran. Gemäß der Evolutionstheorie hätten sie vor Millionen von Jahren ausgestorben sein müssen. Demnach wäre Homosexualität nicht genetisch, sondern eher eine psychische Krankheit oder eine Entscheidung, die man trifft. Was denkst du darüber?“

Ich musste während ihrer Ausführung schlucken. Mehrfach. Sana hat echt Talent dafür einen zu Staub zu zermahlen. Eigentlich wollte ich nur wissen, wieso so schlaue Menschen an irgendwelche Götter glauben und nicht meine Existenzberechtigung in Frage stellen... „Was weiß ich. Ich lauf nicht rum und denke ständig über Homosexualität nach“, wich ich dem ganzen Thema so gut es ging aus und versuchte mein niedergetrampeltes Selbst zu retten. Meine Bio-Partnerin war noch immer in der angriffslustigen Haltung, als sie sagte: „Nein. Solange du also auch keine Antwort auf alles hast... können wir uns darauf einigen, dass es extrem viel zwischen Himmel und Erde gibt, was wir nicht erklären können?“ „Äh...“, wollte ich noch immer geplättet von ihrer Rede auf die Frage antworten, doch Sana legte noch einen nach: „Statt hier zu sitzen und meine Religion zu kritisieren, kannst du einfach respektieren, dass wir alle verschiedene Weltanschauungen haben.“ „Okay, what ever“, wollte ich die Sache endlich abhaken, eh sie sich womöglich noch über den Tisch wirft und mich deswegen frisst. Ich wollte doch wirklich nur verstehen können, wieso meine Mutter an Gott glaubt und wieso sie mich mit ihrem Bibelmist voll müllt, und keine Grundsatzdiskussion lostreten.

„Hi!“, platzte nun auch noch Emma über mich herein wie ein Unwetter, als wäre ich nicht schon genug gestraft. „Ich hab mit Sonja geredet und sie wollte wissen, ob wir bei dir vorglühen können?“, fragte sie mich und ich war verwirrt: „Hm?“ Was für Vorglühen? Wovon redet die da? „Sonja? Freundin von Even“, sprach Emma weiter, als wüsste ich nicht wer Sonja ist. Doch was ich nicht wusste war, was Sonja ausgerechnet bei mir will. „Ja?“, kam es verwirrt von mir und die neben mir stehende erklärte: „Sie sagt, du und Even plant für die Halloweenparty vorzuglühen.“ Ja, und? „Eh ja...“, kam es leise von mir und Emma ergänzte: „Mit uns?“ Ach ja? Davon weiß ich nichts.

Aber jetzt nein sagen, kann ich nicht bringen, also murmelte ich konfus: „Jo? Ja...mhm...“ „Ja, ja! Cool. Und Sonja und Even wollen sich verkleiden, als Gott und Engel. Also dachte ich es wäre toll, wenn wir auch so zusammen passen würden. Wir könnten uns als Katze und Maus verkleiden, oder Batman und Batwoman, oder so“, überrannte mich Emma komplett und mir fehlten sämtliche Worte. What the fuck..?

Ihr Telefon klingelte in dem Moment und verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit, doch sie sprach weiter mit mir, während sie in ihrer Tasche danach wühlte: „Fändest du das witzig? Also nur, wenn du es auch gut findest.“ Als sie ihr Handy gefunden hatte, wandte sie sich noch einmal an mich: „Aber ich schreibe dir“, dann nahm sie das Gespräch an und rauschte davon, ohne auch nur irgendeine Antwort meinerseits abzuwarten.

Nicht, dass ich überfordert, wie ich war, irgendwas hätte antworten wollen oder können. Soviel zu meinem Date mit Even...

Ich musste mich erst einmal sammeln. Immerhin saß ich hier eigentlich gerade an meinen Biologie-Hausaufgaben, wurde zuvor von meiner Bio-Partnerin in Grund und Boden geredet und nun das. Ich fühlte mich überfahren und so sah ich zu Sana auf. Sie grinste, sichtlich amüsiert von dem was mir hier eben mit Emma widerfuhr. „Was ist?“, kam es gestresst von mir und ich versuchte ausweichend ebenfalls zu lächeln, um die Situation zu überspielen. Sie tat mir jedoch den Gefallen, beließ es beim Grinsen und sagte kein Wort dazu. Mädchen stressen... Aber Even auch... irgendwie... Zur Zeit stresst einfach vieles. Weshalb ich mein Buch direkt vor mich legte und leise fluchte: „Shit.“

Ich sah kurz nach, wie viele Absätze noch vor uns liegen würden und blätterte in den Seiten. „Machen wir weiter bei zehn – drei... Geschlechtliche Fortpflanzung“, schlug ich also vor, um das Thema zu wechseln und zudem auch mal hier endlich voran zu kommen. „Oder hastest du davon schon gesprochen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein? Okay. Soll ich vorlesen? Dann kriegen wir mal was erledigt“, schlug ich vor und begann dann mit dem Text vor mir: „Geschlechtliche Fortpflanzung: Ein Abkömmling entsteht durch die Verschmelzung zweier haploider Geschlechtszellen zu einer diploiden Zygote.“ Kennen wir ja im Grunde alles eigentlich schon. Nur die Bezeichnungen sind anders und hier geht’s mehr ins Detail. Aber sonst... sollte das kein Problem darstellen. Weshalb ich guter Dinge war: „Sounds easy!“

Während ich weiter vorlas, notierte Sana die wichtigsten Sachen auf dem Laptop und fasste alles in kurzen Stichpunkten zusammen. Auf diese Weise und ohne Störungen kamen wir doch recht schnell voran, weshalb ich mich später zu Hause ganz dem Test in Physik morgen widmen konnte.
 

Am Abend, als ich so gut wie durch war, mir den Stoff für das Fach reinzuprügeln und dann auch ein ganz gutes Gefühl hatte alles verstanden zu haben und wiedergeben zu können, vernahm ich eine Chat-Mitteilung von meinem Handy. Ich räumte bald darauf meinen Kram zusammen und warf mich zur Entspannung auf das Bett, schnappte mir mein Telefon von der Ladestation und las. Mahdi hatte einen neuen Gruppenchat gestartet und wies uns noch mal darauf hin, das Magnus am Samstag Geburtstag hat. Ich fragte die Jungs also: Ja was werden wir tun? Wir müssen was richtig fettes für ihn machen. Auch Jonas meldete sich zu Wort: 17 Jahre. Das ist ein entscheidendes Alter. Was wäre denn fett? Da wir ja schon in der Schule über Mags crazy Träume gesprochen hatten, witzelte ich einfach: Wir bringen ihn in so einen Sado-Schuppen. Mahdi stieg drauf ein: ...Ziehen ihn aus... Auch Jonas spielte das Spiel mit: ...setzen ihm eine Maske auf... Und setzte ich das Ganze grinsend fort: Und einen Knebelball... Oh Gott, wenn Magnus nur wüsste. Jonas verpasste dem Ganzen den letzten Schliff, als er schrieb: Und wir beschaffen Vilde im Katzenkostüm.

Ich stell's mir bildlich vor und ich weiß echt nicht, ob ich lachen oder weinen oder wegrennen möchte. Na ja, bis Samstag wird uns schon noch was einfallen. Was vernünftiges, brauchbares. Ohne den ganzen Sado-Scheiß.

Meinen Physiktest Tags darauf hatte ich dank Sanas Notizen wunderbar überstanden und wusste alles. Na ja, fast alles. Schlimm kann es jedenfalls nicht werden. Sollte für eine 2 reichen.

Da für Freitag bezogen auf den Unterricht nichts weltbewegendes anstand, konnte ich in aller Ruhe bis abends chillen, eh mich das nahende Wochenende mit Emma und die beknackte Halloweenparty morgen vollkommen einnehmen.

Im Internet surfen, Musik hören und... Even. Der mir gerade schrieb: Hallo, Isak. Bereit für Halloween morgen? Tja ich schätze, ich kriege meine Zeit mit Even nur im Gesamtpaket mit Halloween, Emma und Sonja... Hallo, ja was war da los? Emma redete von 'nem Vorglühen?, wollte ich also wissen, wieso sie überhaupt damit ankam, wo mein Stand der Dinge bis dato doch nur Even und mich beinhaltete. Aber wahrscheinlich wird er mit Sonja gesprochen haben und die wiederum hat Emma von unserem Vorhaben erzählt. Meine Vermutung bestätigend schrieb er: Ja wie du siehst, habe ich offensichtlich einen persönlichen Eventplaner.

Haha, das hätte ich wissen müssen, antwortete ich ihm und er fragte nach: Kannst du es bei dir machen? Die Eventplanerin braucht eine Bestätigung. Ich hasse es, wenn jemand solche einen Stress wegen irgendwelchen Vorfeiern verbreitet und ich lasse mich nur wegen ihm auf diesen Kram ein: Ok, bestätigt[. Widerwillig, aber was tut man nicht alles?

Außerdem fragte er noch nach der Uhrzeit, die er weiter geben soll, denn scheinbar ist Sonja mit Planen ganz in ihrem Element und legt Wert auf Pünktlichkeit. 8?,war mein Vorschlag und Even schrieb, dass es passt. So stand wohl unser... na ja, sagen wir mal Doppeldate für morgen und er hoffte, dass ich in meinem Kostüm zu nördig aussehe. Abgesehen davon, dass ich noch gar keines hab, entgenete ich dem: Haha, selber! Die Beiden wollen Emma auch gleich mitbringen. Yay...

Eben dieser teilte ich später an diesem Abend noch mit: Hey, Vorglühen bei mir morgen. Besser ich sag es gleich selbst, eh ich mir anhören darf, Emma würde alles nur über Sonja erfahren. Sie wollte auch gleich wissen, ob ich ein Kostüm habe, was ich verneinte. Hab weder Zeit noch Bock mich auch noch darum zu kümmern. Aber dies wollte sie mir offenbar abnehmen: Ich besorge was für dich. – Ok, fett, brachte ich dem entgegen. Da kann man wohl nur hoffen, dass sich das im Rahmen hält und kein aufwändiger Firlefanz ist.

Vielleicht wird es ja wider erwarten ganz lustig. Emma freute sich auch drauf und so versuchte ich dem ganzen positiv entgegen zu sehen.

Was soll schon passieren?

Der Freitagabend näherte sich mit großen Schritten. So bereitete ich das Wohnzimmer soweit vor und stellte Gläser bereit. Eskild und Noora waren bei Eva und Linn war derzeit für ein paar Tage bei ihren Eltern. Ich hatte somit sturmfreie Bude und vom letzten Freitag noch etwas Bier zu Hause, wovon ich mir schon eines davon gönnte, bevor die Drei hier aufschlagen würden.

Und das taten sie pünktlich auf die Minute. Dank Partyplaner nehme ich mal an. Ich öffnete ihnen die Haustür und wartete oben an der Wohnungstür auf meine Gäste. „Hi!“, begrüßte mich Emma überschwänglich in einem aufwändigen, komplett goldenen Fummel. Aufgeregt drückte sie mir eine Tüte in die Hand und einen Kuss auf Mund, eh sie an mir vorbei und ins Wohnzimmer lief. Nach ihr trat Sonja ein: „Hi.“ Sie hatte ihre Engelsflügel unter dem einen Arm und eine eine weitere Tüte unter dem anderen, ansonsten war sie ebenfalls schon ganz in weiß kostümiert. Alle hatten sich lediglich eine Jacke übergeworfen. Und dann kam Even. Ebenfalls komplett in weiß. Er hatte selbst eine weiße Langhaarperücke und einen weißen langen Bart. Und ein langes weißes Hemd, welches bis unter die Knie reichte. „Oh Gott“, entwich es mir und er grinste: „Jepp.“

Ich schloss die Tür, als alle drinn waren und sah ihm nach, bis mich Emma vom Wohnzimmer aus ansprach: „Isak? Hast du irgendwo eine Rüstung oder so?“ What? Woher soll ich denn eine Rüstung haben? „Eh..nein?“, entgegnete ich ihr, woraufhin sie wissen wollte: „Hast du irgendwie... graue Klamotten?“ „Sicher“, sprach ich und ging voran in mein Zimmer. Emma kam mir nach und nahm mir die Tüte ab, die sie mir eben erst in die Hand gedrückt hatte: „Hier, die Schärpe legen wir dir um und den Lorbeerkranz setzt du einfach auf.“

Mit Kranz und einem roten Stofffetzen in der Hand stand ich nun da und fragte mich, was das darstellen soll. „Zieh dir erst mal irgendwas graues an. Das muss als Rüstung reichen“, sprach Emma und verließ gleich darauf wieder den Raum, um hinüber ins Wohnzimmer zu gehen, wo sich Even und Sonja vermutlich aufhielten.

Rüstung. Okay, wenn sie meint. Ich schritt also zur Tat und zog mich um. Wie gewünscht, stand ich wenig später mit grauem Pullover und einer grauen Hose wieder im Wohnzimmer und hatte den anderen Kram abermals in den Händen. Den goldenen Lorbeerkranz setzte mir Emma auf den Kopf und den roten Stoff legte sie mir um eine Schulter. Ich sah an mir herab und fragte unschlüssig: „Und wer oder was bin ich?“ Sie sah mich für einen Moment an, als wäre meine Frage irgendwie abwegig. „Julius Cäsar?“, sprach sie und nun erkannte auch ich es. „Okay... Und du bist...?“, hakte ich vorsichtig nach. Zwar hatte ich eine Idee, dass es irgendwas Ägyptisches seine könnte, aber besser man weiß es genau. Sie antwortete mit leichtem entsetztem Gesichtsausdruck: „Kleopatra?“ „Ahh...“, kam es leise von mir und so klärte Emma mich auf: „Cäsar und Kleopatra waren ein Paar.“ Ah ja. Okay, gut.

„Seine Liebe zu Kleopatra war Cäsars Untergang“, war Evens leiser, aber zynisch klingender Kommentar dazu, während er sein Bier und Chips auf den Tisch stellte. Ich schaute zu ihm, jedoch sah ich ihn leider nur von hinten. Dafür konnte ich Sonjas Blick sehr gut erkennen. Sie selbst sagte zwar nichts, aber dafür der Blick, den sie Even nun zukommen ließ.

Jener nahm die Weinflasche und öffnete diese ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stellte sie vor seiner Freundin auf den Tisch und setzte sich neben sie auf das Sofa. Ist ja 'ne spitzen Stimmung hier gleich zum Einstieg. Darauf lässt sich aufbauen...

„Will jemand Musik hören?“, fragte ich in den Raum hinein und Emma zückte ihr Handy: „Hier, da hab ich extra Musik drauf geladen.“ Ich nahm das Ding kommentarlos an mich und steckte es an die Anlage, während sie sich aufs Sofa setzte. Sonja hatte inzwischen die beiden Weingläser, gefüllt und sie stießen an.

Als das, was Emma Musik nennt, endlich lief, setzte ich mich neben sie und öffnete mein Bier. Even schwieg, knabberte ab und an Chips und trank ebenfalls sein Bier.
 

Freitag, 28.10.2016 – 21:21 Uhr

Während ich also Justin Bieber ertragen musste und Even noch immer nicht viel sagen wollte, dafür aber immer öfter zum Bier griff, sprachen seine Freundin und Emma darüber wie sehr sich Sonja langweilt, seit sie nicht mehr zur Schule geht. Sie würde es vermissen etwas zu tun zu haben.

Also ich würde mich ja freuen, mal nichts zu tun zu haben. Keine Hausaufgaben mehr oder mir keinen Kopf machen zu müssen, wie ich die nächste Tests oder Prüfungen überstehe. Das wär's.

Aber Sonja langweilt das. Sie vermisst es außerdem an Projekten mitzuwirken, wie die Revue. Im Bezug auf darauf fand sie es eben so unverständlich wie Emma, dass es Leute geben soll, die da keinen Bock drauf haben. Ja, die Zwei waren sich einig, dass das ziemlich seltsam ist. Ja... totaaal seltsam...

Also ich persönlich finde ja eher die Leute seltsam, die sich das freiwillig antun. Zwar mach ich bei dem Schauspiel selbst nicht mit, aber aufgrund diverser Umstände, die exotische Pflanzen und Erpressung beinhalten, bin ich eben in einer der Supportgruppen gelandet, die die Revue unterstützen. Mehr nicht. Aber was Emma nicht weiß macht sie nicht heiß...

Und wer weiß was Even überhaupt dazu getrieben hat, dort mitzumachen...

Sonja sagte, sie war alle drei Jahre der Oberstufe dabei, was Emma offenbar irritierte und dazu veranlasste nachzuhaken: „Alle drei Jahre?“ „Ja, ich bin drei Jahre älter als du“, war Sonjas Antwort und dies ließ auch mich grübeln. Aber Even ist noch im letzten Jahr... Hmm.

„Bist du 97 geboren? Echt?“, fragte Emma sichtlich erstaunt nach und Sonja trank einen Schluck von ihrem Glas, bevor sie lächelnd nickte: „Ich finde es aber total nett. Trotz des Altersunterschieds.“ Diesen Altersunterschied empfinden die beiden allerdings wohl nicht komisch. Was an sich schon wieder seltsam ist, wenn man bedenkt, dass den Mädels in meiner Stufe es schon unangenehm bis peinlich ist, mit denen aus der ersten Stufe zu tun zu haben. Und Sonja ist da ja schon drei Jahre drüber und nicht nur eines. Aber was geht's mich an...

Allerdings warf das eine Frage auf. Ich versuchte mir Aufmerksamkeit im angeregten Gespräch der Beiden zu verschaffen und hob vorsichtig die Hand, als ich Sonja fragte: „Bist du ein Jahr älter als Even?“ Sowohl die Gefragte, als auch Even selbst antworteten mir mit: „Nein“, jedoch setzte letzterer fort: „Ich bin auch 97 geboren.“

„Oh...“, entwich es mir in meiner Überraschung leise. Also... ist er sogar zwei Jahre älter als ich?

In unserem Alter bedeutet so ein Unterschied schon was, und laut Vilde bedeutet das manchmal die Welt.

Was mach ich mir eigentlich schon wieder einen Kopf darum, ob Evens Alter zu meinem passt? Selbst wenn, es gibt andere Sachen die mehr differenzieren als zwei Jahre Altersunterschied. Eine vierjährige Beziehung mit einer Freundin zum Beispiel. Das wirft man nicht einfach mal weg.

„Kannst du dich bitte mit dem Bier zurückhalten?“, wandte sich Sonja an Even, nachdem dieser innerhalb kürzester Zeit die nächste Dose geöffnet hatte und er revanchierte sich mit: „Kannst du aufhören mich zu kontrollieren?“ Skeptisch warf ich einen Blick zu den Beiden hinüber, wo die Stimmung gerade offensichtlich im Sturzflug war. Even sah sie mit gehobenen Augenbrauen an und sprach ruhig, aber dennoch ernst: „Ich meine es so, hör auf mich zu überwachen.“

Meine Gefühle waren im Zwiespalt. Ich gebe zu, dass die Sache ein klitzekleines bisschen Hoffnung weckte, dass doch nicht alles so rosig läuft zwischen den beiden, andererseits mochte ich Evens Gemütszustand im Moment nicht. Er wirkte so... mental eingeengt, irgendwie. Ich sehe ihn lieber glücklich und gechillt.

Sonja stand auf und fragte hörbar verstimmt: „Wo ist das Bad?“ „Eh... Im Flur, rechts rum“, antwortete ich ihr und zeigte noch zusätzlich in die Richtung. Mein Augenmerk wanderte zuerst zu Emma und anschließend zu Even, welcher tief durchatmete und sein Bier weiter trank.

Als dann auch noch die neben mir Sitzende aufstand und hinterher ging, wurde mir ein wenig anders. Es machte mich etwas nervös mit einem angepissten Even alleine gelassen zu werden. Ich wollte die Sache ja nicht noch schlimmer machen als es schon ist. So überlegte ich, was ich tun oder sagen sollte, um das zu ändern. Denn er schaute stur gerade aus und nippte weiter an seiner Dose.

„Ich hab gehört, dass eine menge Leute zu der Party kommen“, probierte ich ein Thema anzuschneiden, doch Even fiel mir schon fast ins Wort, als er plötzlich wissen wollte: „Wie spät ist es?“ Ich hatte nicht mit der Frage gerechnet und war mir nicht sicher, ob er nicht eigentlich auf etwas anderes hinaus will, also kam von mir nur ein: „Hm?“ „Wie spät ist es?“, wiederholte er sich und so schaute ich dann doch mal auf mein Telefon: „21:21.“ „Echt?“, fragte er und ich schaute sicherheitshalber noch einmal nach: „Ja, wieso?“ Doch ich bekam keine Antwort, sondern eine Aufforderung von ihm: „Wir hauen ab!“

„Wohin?“, fragte ich ihn und er nahm noch einen letzten Schluck von seinem schon wieder fast leeren Bier, eh er sagte: „Irgendwo.“ Damit stand er vom Sofa auf, lief in den anderen Teil des Flurs und verdeutlichte den Ernst seines Vorhabens im gehen noch einmal: „Komm schon!“

Okay, keine Ahnung wohin er will, aber es ist mit Sicherheit spannender als hier zu bleiben.

Als ich neben ihm im Gang stand und sah wie er seine Schuhe anzog, tat ich es ihm unschlüssig gleich. Beim Zumachen der Schuhe fiel ihm die Perücke runter und statt diese hier zu lassen, setzte er sie wieder auf und lächelte mir mit wippenden Augenbrauen zu. Gut, wenn Even den scheiß anbehält, kann ich das auch. Es ist Halloween, da wird schon keiner blöd gucken, wenn man so irgendwo aufkreuzt.

Er durchwühlte seine Jacke nach seinem Handy, warf einen kurzen Blick drauf und steckte es wieder in die Jackentasche zurück. „Ich lass das Ding hier. Keinen Bock auf Kontrollanrufe“, sprach er leise und so entschloss auch ich mich, alles da zu lassen, bis auf die Schlüssel. Mein Handy legte ich auf lautlos und ohne Vibrationsalarm in die Schublade der Garderobe und so verließen wir, so wie wir waren, die Wohnung.

Im Treppenhaus holte Even eines der Fahrräder unter der Treppe hervor, mit denen er und die Mädels eingetroffen sind. „Okay... meins ist im Keller, dass muss ich erst hoch holen“, murmelte ich und er winkte ab: „Scheiß drauf, setzt dich einfach auf den Gepäckträger.“ Ich hasse Gepäckträger...

Aber, once again: Was tut man nicht alles?

Draußen angekommen, schwang er sich aufs Rad und ich versuchte im Anschluss irgendwie eine halbwegs erträgliche Sitzposition zu finden. Normalerweise ist es Jonas, der vor mir auf dem Rad sitzt. Als wir noch jünger waren, war das auch irgendwie nicht ganz so schmerzhaft. Aber wie soll ich mich hier festhalten? Wäre es mein bester Freund würde ich mich an ihm festhalten, aber was tu ich bei Even? Dieser ließ mir allerdings kaum Zeit mir das zu überlegen, denn er fuhr los. Eilig klammerte ich mich unterhalb des Sattels fest und versuchte meine Beine nicht auf dem Boden schleifen zu lassen.

Wir eierten ziemlich herum, bis wir relativ stabil voran kamen. So fuhren wir durch die Nacht, ohne Ziel, ohne Justin Bieber und ohne Sorgen. Zumindest Even wirkte nun sorgloser als eben noch. Fast schon wieder glücklich und das ließ auch mich lächeln.

Ich fand es echt schön mit ihm so unverhofft alleine zu sein und vor allem, weil er auch mit mir alleine sein wollte, sonst wäre er ja bei den anderen beiden geblieben und hätte sicher weiter getrunken, bis zu Party. Für die wir uns spätestens in einer halben Stunde auf den Weg gemacht hätten.

„Alles klar dahinten?“, rief er und ich antwortete tapfer: „Ja ja, mein Arsch tut nur weh.“ „Okay, ich meide Schlaglöcher und Bordsteinkanten“, lachte er und entgegnete dem: „Das wäre echt geil!“

Irgendwie konnte ich es noch immer kaum glauben, dass ich Even jetzt ganz für mich alleine hatte. Am liebsten hätte ich mich einfach an ihm festgehalten und nie wieder losgelassen.

„Hey!“, meckerte ich gespielt, als er nun doch eine Welle im Boden mitnahm und Even giggelte: „Ja, es ist nicht so einfach, wenn du hinten jemand drauf hast.“ Er wandte sich beim Reden etwas zu mir nach um, weshalb wir ins Straucheln gerieten und der Fahrtwind mir dabei seine Perücke ins Gesicht wedelte. Kurz hielten wir an: „Moment, das haben wir gleich.“ Er richtete sein künstliches Haar wieder auf seinem Kopf und weiter ging's.

Mit einem mal bog er in eine Einbahnstraße ein und stoppte erneut. Ich war nicht drauf gefasst, weshalb ich ins Wanken geriet und mich schnell an seiner Schulter festhielt, um nicht doch noch runter zu fallen und ließ ihn aber gleich darauf wieder los, auch wenn die Schulter eine neutrale Stelle gewesen sein dürfte, um jemanden anzufassen.

Er kümmerte sich aber kaum darum, sondern schaute zielgerichtet auf ein Haus und ich fragte mich was wir hier wollen könnten. Doch dann er äußerte er sich endlich: „Ich hab Bock auf Baden. Du nicht?“ Äh.. huh?

Even stieg derweil vom Fahrrad und lief in die Richtung des Hauses weiter. Irritiert von dieser plötzlichen Aktion, saß ich noch immer auf dem Gepäckträger und fragte ungläubig: „Baden?“ Er drehte sich herum und bestätigte im Laufen: „Ja!“

Was zum…? Will er mich veräppeln oder so? Baden? Jetzt? Wo denn?

Okay... Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Zweifelnd an der Ernsthaftigkeit dieser Sache, erhob auch ich mich vom Fahrrad und ließ es an Ort und Stelle fallen. Zum Einen, klaut in der Gegend niemand was, soviel mir bekannt ist und zum Anderen schon gar nicht in solchen abgelegenen, fast schon versteckten Ecken. Hier muss man schon mit dem Vorsatz irgendwas zu tun auftauchen. So wie Even.

Ich folgte ihm, unentschlossen was ich hiervon halten soll. Hinter einigen Bäumen und Büschen eines Gartengrundstücks sah ich ihn an einem Kellerfenster hocken. Da er offensichtlich genau gewusst hat, wohin er wollte, fragte ich: „Wer wohnt hier?“ „Meine Tante“, antwortete er, während er mich ansah, doch geheuer war mir das nicht: „Und... sie findet das Okay, dass wir hier sind?“ Even hatte mittlerweile einen Schraubendreher oder irgendwas in der Hand, womit er das Fenster zu öffnen versuchte, als er sagte: „Natürlich. Nur kein Stress.“ Gewissermaßen ist das ja schon Einbruch, was er da treibt. Tante hin oder her...

Ich beäugte des ganze weiterhin kritisch: „Aber... wo ist deine Tante?“ „Sie macht Ferien“, kam es recht gelassen von Even, also fragte ich ihn grinsend: „Warum hast du dann keine Schlüssel?“ „Weil sie Ferien macht“, wiederholte sich der augenscheinliche Hobbyeinbrecher vor mir und ich schüttelte mit dem Kopf: „Das ist deine Antwort auf alles.“ „Entspann dich! Kein Stress“, hörte ich ihn sagen, eh er das Fenster geknackt zu haben schien und es öffnete: „Ah, na bitte.“ Even stieg rückwärts durch das kleine Fenster ins Haus ein und fragte mich: „Kommst du?“

Mir war das noch immer nicht geheuer, aber ich versuchte es einfach mal mit Vertrauen, dass er mich nicht in die Scheiße reitet.

Also, Even... du bist echt ein spezieller Typ. Mit dir wird’s nicht langweilig.

Der Raum war groß, hell und beleuchtet. Niemand fährt in den Urlaub und lässt Festbeleuchtung an. Also muss sich noch irgendwer hier befinden. Ein anderes Familienmitglied oder so. Feiert vielleicht selbst gerade Halloween. Wer weiß.

Vorsichtig kroch ich ihm hinterher, während er mit der Hand prüfend durchs Wasser fuhr: „Angenehm.“ „Okay...“, murmelte ich und begann zögerlich meine Schuhe auszuziehen. „Okay? Warum bist du so skeptisch?“, wollte er von mir wissen, während er seinen Gürtel öffnete und mir damit auch erst bewusst wurde, dass Baden gehen auch beinhaltet, dass man sich auszieht.

Ich stockte kurz, eh ich antwortete: „Ich bin nicht skeptisch, aber es ist schon komisch, dass wir hier...“, doch Even unterbrach mich, während er sich die Perücke und den Bart abnahm: „Hast du Angst vorm Baden?“ Ich? „Angst vorm Baden? Tze...“, hakte ich vorwurfsvoll, ob dieser Frage, nach und er grinste: „Ja? Bist du Wasserscheu?“ Der verarscht mich doch schon wieder. „Wasserscheu?!“ Ich? Niemals! Abermals bestätigte Even, dass er seine Frage durchaus ernst meinte, giggelte aber dennoch belustigt. Er zog sich dabei das lange Hemd aus, unter welchem er noch ein weißes T-Shirt trug und war allgemein sichtlich amüsierter als vorhin noch. „Ohje...“, kam es von mir, bevor ich mir diesen komischen Lorbeerkranz vom Kopf nahm und auch der rote Schal wanderte zu Boden.

„Ja, es ist eben nicht das Haus meiner Tante“, erklärte ich also meine zögerliche Haltung, dem ganzen gegenüber und während Even ebenfalls aus den Schuhen stieg, stichelte er weiter: „Ah, also hast du nur Angst deine Frisur abzufucken?“ Meine Frisur ist mir so was von scheiß egal! Aber ich spielte sein Spielchen weiter mit: „Denkst du wirklich, mich interessieren meine Haare?“ „Was soll ich denn denken? Sieht ein bisschen danach aus“, kam es weiterhin witzelnd von ihm und ich zeigte verständnislos auf meinen verwuschelten Lockenkopf: „Sieht das aus, als wäre mir meine Frisur wichtig?“ So ein Spinner.

Even hatte merklich seinen Spaß mich zu necken, denn er setzte fort: „Jetzt gerade nicht, aber sonst schon.“ Jetzt reicht es! Ich schubste ihn mit samt seiner restlichen Klamotten in den Pool und fiel selbst hinterher. „Fuck!“, schrie ich, während wir ins Wasser flogen und er dann eine Weile unter der Oberfläche blieb, nachdem ich wieder aufgetaucht war. Man konnte ihn unter Wasser ausmachen, aber da dieses noch recht aufgewühlt war, war es schwer was genaueres zu erkennen. Doch es dauert nicht mal lange bis er direkt vor mir aus dem Wasser kam: „Hast du gedacht ich wäre gestorben?“ „Ja, ich hatte ja solche Angst!“, stieg ich auf seinen erneuten Versuch mich zu necken ein und so mussten wir beide lachen. Jedoch befand ich, dass ich jetzt mal dran bin ihn hochzunehmen: „Du bist echt scheiße im Luftanhalten!“ „Ich bin scheiße?!“, giggelte er und ich nickte: „Ja!“ „Fuck you! Versuch du's mal!“, schlug er gespielt beleidigt vor und ich fragte: „Du willst mich herausfordern?“ Even bestätigte: „Bist du dabei?“, und ich teilte ihm mit: „Ich bin ein verdammter Meister im Luftanhalten!“ „Beweis es“, forderte er. „Okay, ja“, sagte ich und schritt zur Tat. Ich tauchte unter und hatte dabei ganz vergessen, dass man schon ein klein wenig mehr Vorbereitung braucht, wenn man die Luft länger anhalten will. Außerdem hatte ich die Augen unter Wasser offen und sah wie sich die Klamotten an seinen Körper schmiegten und man gerade echt zu viele Details erkennen konnte. Da blieb mir gänzlich die Luft weg. Was im Endeffekt dazu führte, dass ich nach drei Sekunden wieder auftauchte und Even sich kaputtlachte: „Wow! Du hörst ja gar nicht mehr auf mich zu beeindrucken!“ Ich schnappte nach Luft, lachte gleichzeitig ein wenig ertappt und suchte händeringend nach der erstbesten Ausrede: „Ich hab Wasser in die Lunge bekommen.“ War immerhin besser als zu sagen, dass die Aussicht unter Wasser mir den Atem raubte...

„Ja, right!“, grinste Even und ich verteidigte mich schnell: „Ich hab Wasser geschluckt!“ „Okay!“, nickte er nachgebend und ich machte einen Vorschlag zur Güte: „Ich versuch's nochmal.“ Nur diesmal lass ich die Augen einfach zu und gut. „Wir machen das zusammen“, kam es von ihm und ich fragte lieber noch mal nach: „Zusammen?“ Er nickte: „Auf Drei!“ „Der letzte der hoch kommt gewinnt“, sprach ich und er war einverstanden: „Okay.“ „Bereit?“, wollte ich wissen und Even hob die Hand sagte: „Wir starten zusammen bei drei. Nein, bei eins. - Drei, zwei, eins!“ Wir holten gemeinsam Luft und tauchten zeitgleich ab. Mein Shirt rutschte dabei hoch und so zerrte ich es schnell wieder runter, während mir bewusst wurde, dass Even ebenso unter Wasser die Augen offen hatte und er mich direkt ansah.

Der Kerl ist echt nicht von dieser Welt. Selbst unter Wasser sieht er so unglaublich schön aus, und heißer als alle anderen.

Aber auch hier konnte er seine Späße nicht lassen und fasste mit einer Hand an meinen Hals. Nicht sonderlich doll, aber ich wollte mich in unserem Duell auch nicht durch solche halbherzigen Cheating-Versuche ablenken und besiegen lassen. Weshalb ich seine Hand schnell wieder von meinem Hals entfernte. Ich versuchte ihm mit einem Blick deutlich zu machen, dass er mit so was keine Chance auf einen Sieg haben würde. Doch wer hätte damit rechnen können, dass Even alle Geschütze auffährt. Er kam langsam immer näher. Wie letztens in der Küche. Kurz schien er noch einmal abzuwägen und er irritierte mich mit seinem Tun noch mehr. Dann schloss er seine Augen und küsste mich. Unter Wasser. Direkt auf den Mund.

Hilflos und vor allem verwirrt, starrte ich ihm in die wieder geöffneten Augen an und tauchte zwangsweise auf. Mein Herz hatte in dem Moment einen riesigen Satz gemacht und zwang mich zum Luftholen. Kurz nach mir kam auch Even an die Wasseroberfläche und jubelte siegessicher: „Yes!“

„Yes, was?“, kam es aufgeregt von mir und er antwortete: „Ich hab gewonnen!“ „Huh? 'Yes'?! - Nein!“, sprach ich mit Nachdruck, doch Even giggelte und blieb bei seiner Meinung: „Ja, ich hab gewonnen! Veräppelst du mich?“ „Das war Betrug!“, war meine Ansicht und ich war zudem völlig aufgewühlt und konfus. War der Kuss jetzt nur um des Sieges Willen oder war da doch noch was anderes im Spiel?

„Was?“, kam es ungläubig von ihm und nach dem ich ein paar Atemzüge getan hatte, wiederholte ich nun etwas ruhiger: „Ja, das war Betrug.“

„Du dachtest, es gibt hier Regeln?“, fragte Even amüsiert und verwirrte mich noch mehr: „Eh, ja!“ Er schwamm um mich herum und lachte ziemlich ausgelassen, was auch mich ansteckte und lachen ließ. Ich weiß noch immer nicht wie er das macht, aber er gibt mir das Gefühl, dass ich sein kann wer ich bin. Das fühlt sich so herrlich schwerelos an, wie vom Wasser getragen zu werden.

„Was denkst du denn?“, wollte er wissen und ich verhaspelte mich grinsend: „D.. D... Das war einfach Betrug! Das...macht man nicht! Ich werde nicht akzeptieren, so zu verlieren.“ „Okay, dann machen wir das noch mal“, schlug Even vor und holte gleich Luft. Auch ich atmete schnell ein und tauchte mit ihm unter. Diesmal unternahm er nichts und sah mich unter Wasser einfach nur an. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und mir kam nur ein Gedanke: Jetzt oder nie, Isak. Jetzt oder nie.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und das Risiko in Kauf, jetzt doch noch alles abzufucken mit uns beiden. Aber dieses Spielchen zwischen uns, dieses hin und her, das hätte früher oder später sowieso ein Ende nehmen müssen, wenn ich irgendwann mal wieder klarkommen will.

Falls Even ausflippen sollte, wovon ich bei seiner allgemein besonnen Natur nicht ausgehe, dann könnte ich noch immer sagen, dass für mich die selben Cheating-Methoden zur Verfügungen stünden, in den nicht-vorhanden Regeln in diesem Duell.

Ich tat es also. Ich küsste Even, genauso wie er es zuvor tat. Er tauchte jedoch nicht auf, sondern öffnete seine Lippen, um meinen Kuss zu erwidern. Kurz trennten wir uns wenige Millimeter, sahen uns an und abermals trafen unsere Lippen aufeinander. Ich fasste an seine Arme und wir tauchten zusammen auf. Jetzt gab es wohl zwei Gewinner...

Evens Hände legten sich an meinen Kopf und er knutschte mich, als hätte er im Leben nie was anderes getan. Oder gewollt. Ich dagegen war komplett überrumpelt von meinen Gefühlen. Ich wusste nicht, ob ich glauben konnte, was ich gerade erlebte. Ich konnte mich kaum bewegen, geschweige denn die Leidenschaft im gleichen Maße erwidern, wie sie Even in seine Küsse legte.

Mir fehlte auch mal wieder der Atem, weshalb ich kurz unterbrechen musste und in das glücklich aussehende Gesicht vor mir sah, eh er mich wieder in einen Kuss verwickelte. Nicht minder heißblütig. Weshalb ich im Wasser automatisch ein Stück zurück wich. Doch ich hatte kaum Zeit, mit der Situation zurecht zu kommen, denn im Augenwinkel bemerkte ich etwas. Jemanden. So drehte ich meinen Kopf zur Seite und schaute irritiert auf ein kleines Mädchen, was dort am Poolrand stand und uns zusah. Dadurch fühlte sich nun auch Even dazu veranlasst, von mir abzulassen und wir starrten sie an. Unschlüssig, was das zu bedeuten hatte, wartete ich ab was passieren würde, bis sie plötzlich schrie: „MAMA!“ Panisch wandte ich meinen Blick Even zu und auch er sah zu mir, als er fluchte: „Fuck, Fuck Fuck!“ Da er es ganz plötzlich verdammt eilig hatte aus dem Pool zu kommen, schwamm ich schleunigst hinterher und fluchte: „What the...hell?“

Als Even sich aus dem Pool hievte fragte ich: „Wer zur Hölle ist sie?“ Da seine Hose durch das Gewicht des Wasser im Stoff nach unten rutschte, zerrte er diese provisorisch wieder hoch. Das hatte schon fast was lustiges, wenn ich nicht gerade selbst unter Druck stehen würde. Spätestens dann, als er auf meine Frage einging: „Eh... das ist nicht das Haus meiner Tante.“ Wer hätte das nur vermutet..?

Auch ich hatte es mittlerweile aus dem Pool geschafft, während Even hektisch sämtliche Klamotten und Schuhe aus dem Fenster warf. „Wer wohnt dann hier?“, wollte ich gestresst wissen, denn irgendwoher musste Even ja schließlich gewusst haben, dass es hier unten einen Pool gibt. „Jemand, mit dem ich in die Grundschule gegangen bin“, gestand er, hievte sich auf das Fensterbrett und kroch hinaus. Als er dann draußen war und ich probieren konnte, ob ich es hoch schaffen würde, scheiterte ich kläglich. Versuchte es also noch einmal und hing dann ein wenig hilflos auf dem Fensterbrett, zappelte und strampelte mit den Beinen und kam nicht wirklich vorwärts.

Oh Gott, worauf habe ich mich hier eingelassen?
 

Ich hatte echt zu tun, mit den nassen Klamotten aus diesem Fenster zu kommen. Even schien das doch etwas leichter gefallen zu sein. Vielleicht ist er ja öfter auf der Flucht. Mit den Beinen strampelnd, hievte ich mich irgendwie doch noch Stück für Stück hinaus, nicht zuletzt deswegen, weil er mir eine helfende Hand gereicht wurde und mich hinaus zog. Eigentlich dachte ich nicht ganz unsportlich zu sein, aber da geht offenbar mehr.

Als ich endlich wieder auf den Füßen stand und das Fenster von außen anlehnte, spürte ich nur allzu präsent die Kälte durch die triefende Kleidung. „Kommst du?“ rief Even mit einer gewissen Hektik in der Stimme. Er hatte unsere Klamotten unter einem Arm und seine Schuhe mittlerweile angezogen. Eben dies tat ich nun auch, so schnell es unter diesen nasskalten Umständen ging. Sah mich noch einmal um, ob nicht doch noch irgendwer hinter uns her jagen würde und lief hinüber zu Even. Dieser hatte sich das weiße lange Hemd seines Kostüms und die Perücke wieder übergeworfen und stand mit dem Fahrrad bereit. Er reichte mir die rote Schärpe von meinem Cäsar-Kostüm und ich legte mir diese Ding ebenfalls um, bevor ich auf den Gepäckträger stieg. Allerdings begnügte ich mich dieses mal nicht damit, mich nur unterhalb des Sitzes fest zu halten. Ich legte meinen Arm um Evens Hüfte und schmiegte mich an seine Rückseite, hielt dabei in der anderen Hand diesen dämlichen Lorbeerkranz.

Zum Glück waren wir nicht zu weit weg von meiner WG, weshalb wir diese auch ansteuerten. „Das war 'ne bekloppte Aktion von dir“, bemerkte ich und versuchte mehr Belustigung als Beschimpfung einfließen zu lassen und er fragte leicht außer Atem: „Findest du?“ „Nein. Eigentlich, war es das genialste, was ich je mitgemacht habe“, murmelte ich zugebend und hörte ihn lachen. Ja, es war sicherlich 'ne bescheuerte Idee, aber echt geil!

Even hat den restlichen Heimweg über nicht viel gesagt, aber er hatte auch wirklich einen scheiß Job, mit mir im Rücken und den nasskalten Umständen, das Rad während der Fahrt halbwegs stabil zu halten. Kurz überkam mich der Schreck womöglich meine Schlüssel im Pool verloren zu haben, aber ein kontrollierender Griff an meine Hosentasche ließ mich aufatmen.

Als wir vorm Haus zum Stehen kamen, machte Even ein bibberndes Geräusch, aber er lächelte mich gleich darauf an. Ich beeilte mich die Schlüssel aus meiner nassen Hose hervorzuziehen und die Tür aufzuschließen. Es ist nicht einfach, während man zittert das Schlüsselloch zu treffen. Doch endlich drinnen angekommen, schob Even sein Fahrrad nach hinten in den Flur hinein, stellte es unter die Treppe zurück und folgte mir nach oben. „Sonjas Rad ist weg“, ließ er mich mit gedämpfter Stimme wissen. Ich wusste nicht was ich dazu beitragen sollte, also beließ ich es bei einem: „Hm.“ 'Scheiß drauf', wäre sicher nicht das richtige und 'los, renne ihr nach', dafür war ich zu ego. Einmischen generell ist selten eine gute Idee. Das hab auch ich inzwischen gelernt. Ihm steht's ja jeder Zeit frei zu gehen, wenn er will, aber das tat er bisher nicht.

In der Wohnung angekommen warfen wir beide als erstes einen Blick auf unsere Handys. „ Was zur Hölle soll der Scheiß von euch? - Sonja ist echt angepisst. - Ich auch. - Geh doch ans Telefon...“, las ich im Flüsterton nur den Anfang vor, den mir Emma während unserer Abwesenheit aufs Handy geschickt hatte. Eigentlich hätte ich ja mindestens mit einem 'Fick dich' gerechnet oder dem guten alten Klassiker: 'Arschloch'. Im Moment wollte ich mich damit aber nicht zwingend weiter beschäftigen, obwohl mir schon jetzt klar war, dass so was immer irgendwas nach sich zieht. What ever.

Bei Even schien es nicht anders auszusehen, er zuckte nur mit den Augenbrauen und steckte sein Handy wortlos wieder in die Jackentasche. War vielleicht auch besser so, wir mussten so schnell wie möglich aus dem Flur verschwinden und die nassen Sachen ausziehen.

Er nahm seine Jacke vom Haken der Garderobe und lief voran, als wir uns ungesehen an der Küche vorbei schleichen wollten, denn Noora und Eskild waren dort zu hören. Ging wahrscheinlich noch immer, oder schon wieder um William, aber das Thema musste ich mir letztes Wochenende schon geben und ich hatte absolut keinen Bock, so klatschnass und durchgefroren wie wir waren, mir noch mehr davon reinziehen zu müssen. „Isak?“ rief Eskild nach mir und ich knurrte unwillig: „Ja?“ „Deine Gäste waren echt angepisst, dass du dich verdrückt hast.“ Even sah mich an und ich legte den Kopf genervt in den Nacken. Was soll ich denn großartig dazu sagen?

„Ja, war ein Notfall!“, antwortete ich also und hoffte mein Mitbewohner würde es gut sein lassen, aber das Wort 'Notfall' weckte nun wohl sein Interesse. „Ist was passiert?“, hakte er nach und war offenbar im Begriff zu uns in den Flur zu kommen, denn ein Stuhl scharrte hörbar über den Küchenboden. „Nichts, nichts!“, würgte ich das Gespräch gleich ab und gab Even per Handzeichen zu verstehen, dass wir sofort in mein Zimmer gehen und ganz sicher keine blöden Fragen beantworten werden.

Wir zogen die Schuhe schleunigst aus und kaum, dass wir im Raum waren, verrammelte ich die Tür. Ich kenne Eskild. Wenn der News wittert, lässt er selten locker und platzt gern mal ungebeten rein.

Ohne einen weiteren Moment verstreichen zu lassen, schälte sich Even indes direkt vor meinen Augen aus den Klamotten. Erstarrt klammerte ich mich an den Türgriff und beobachtete fasziniert das Schauspiel. Was soll ich sagen. Er war halt komplett in weiß und noch immer nass. Wir alle wissen was weiße Sachen für eine Wirkung haben, wenn sie nass sind und eng auf einem echt heißen Körper anliegen. Vorhin bei der Flucht aus dem Pool, hatte ich ja kaum Zeit diese Aussicht bewundern zu können. „Willst du dir das Zeug nicht mal ausziehen?“, riss mich Even aus meiner Trance und sah mich abwartend an, bevor er das nächste Stück ablegte. „Doch, ich... doch... nur... die Tür... und so...“, stammelte ich ertappt und steuerte zielstrebig auf meinen Schrank zu, kramte nervös irgendwelche Klamotten hervor, die wir zum Aufwärmen anziehen konnten. Zwei Shirts, zwei Hoodies und zwei Sporthosen. Als meine Hand aus Gewohnheit in Richtung meiner Unterwäsche greifen wollte, stockte ich. Was tun? Ich meine, sowas kann man ja nicht einfach anbieten. Und selbst nehmen und dem Anderen nichts geben, ist auch irgendwie nicht richtig oder? Verdammt ey, dass man sich über so was keinen Kopf macht, wenn man Zeit für solchen Mist hat. Ach komm, scheiß drauf. Weglassen. Fertig.

Während ich mit meinem gedanklichen Konflikt vor dem Schrank stand, hatte Even sich komplett entkleidet und schon etwas von dem ausgesucht, was ich bisher aufs Bett geworfen hatte. Gerade noch sah ich seinen nackten Hintern in einer der Sporthosen verschwinden. Schnell drehte ich mich herum und ließ dabei die Schranktür versehentlich zu krachen, was Even dazu veranlasste sich nun auch zu mir umzudrehen. Er lächelte gewitzt. Ich musste nun ebenfalls lächeln. Ob nun deshalb, weil ich gerade echt peinlich sein musste und versuchte das ganze irgendwie zu überstehen, ohne das noch mehr Peinlichkeiten passieren oder weil sein Lächeln so unglaublich ansteckend und schön zu gleich ist. Vermutlich beides.

Einerseits war es gut, dass Evens nackte Haut sich langsam wieder bedeckte, auch obenrum, denn dann könnte auch ich womöglich wieder runter kommen, aber andererseits... Ich kann nicht leugnen, dass ich echt verdammt angetan davon bin, was es bei ihm zu sehen gibt.

„Wo soll ich das hintun?“, fragte er mich und hielt mir durchweichten weißen Teile seines Gott-Kostüms entgegen. Normalerweise würde ich das schnell im Bad aufhängen, wie wenn sich bei Partys jemand mit irgendwas voll kippt. Aber so viele Klamotten würden sofort wieder Fragen aufwerfen, wieso die Kleidung nass ist und warum überhaupt fremde Sachen hier rumhängen. Schließlich wusste niemand, dass Even noch hier ist. Und das sollte auch so bleiben.

In den Waschkeller wollte ich damit auch nicht erst rennen, daher zeigte ich auf ein paar Stellen im Raum: „Hier, und da drüben.“ Das musste an Möglichkeiten zum Aufhängen erst mal reichen.

Während Even seine Klamotten zum Trocknen auf dem Sessel in der Ecke und an die Hakenleiste an der Wand hinter der Tür hing und sich anschließend in meinem Zimmer umsah, zog auch ich mich endlich um. Meine nassen Sachen breitete ich dabei provisorisch über die wieder offenen Schranktüren aus. Ohne dabei so eingängig studiert zu werden wie der alte Ofen neben der Tür, auf den Even nun ein Auge geworfen hatte. Er beugte sich nach vorn, um einen genaueren Blick drauf werfen zu können, doch mein Augenmerk fiel dabei eher auf seinen Hintern. Den ich eben noch für den Bruchteil einer Sekunde in natura vor mir hatte. „Schönes Ding“, bemerkte Even, noch während ich seine Rückseite bewunderte und ich schreckte auf: „Huh?“ Er zeigte auf den Ofen, ich räusperte mich und stammelte ertappt: „Äh, ja...sehr schön...“

Noch bevor wieder irgendein Bullshit meinen Mund verlassen konnte, näherte er sich mir und küsste mich. Er drehte mich dafür zu sich herum und drängte mich rückwärts auf mein Bett, ich wehrte mich nicht und ließ es geschehen. Wenn ich ehrlich bin, mit einem etwas mulmigem Gefühl. Ich meine, ich hab noch nie... Also nie mehr als Knutschen und so. Und auch das war immer nur so la la... Und auch nur mit Mädchen. Weil ich dachte, ich muss das irgendwie tun. Ich muss das gut finden und dass es sich irgendwann bessern wird. Dass das Gefühl, dass irgendwas schief läuft, weggeht. 'Learning By Doing' oder wie man es nennt. Auf jeden Fall lief nie was Ernstes... nichts 'Richtiges'...

Aber Even hatte da, ganz sicher, schon weit mehr Erfahrung. Und ich hatte noch nicht mal wirklich die Zeit und Ruhe das irgendwie erst sacken zu lassen, was vorhin im Pool passiert ist. Das wäre mir eigentlich ganz recht, eh ich in meiner Panik wieder irgend einen Scheiß fabriziere. Doch meine Bedenken waren scheinbar unbegründet. Mehr als ein wenig rummachen unternahm er nicht. Er stupste mich immer mit der Nasenspitze an, wenn er küssen wollte.

Wenn man auf neutraler Ebene über diesen Fakt nachzudenken versucht, dann ist das irgendwie ziemlich kitschig. Und bei Kitsch nehme ich für gewöhnlich schnellstens Reißaus. Doch das hier störte mich irgendwie so gar nicht. Wir lagen einfach nur zusammen im Bett, wärmten uns gegenseitig und hin und wieder küsste er mich. Ja, es war meistens er, der was anfing und ich machte mit. Es war irgendwie schwierig, mich auf Even einzulassen, gerade weil ich ihn schon jetzt so sehr wollte,, aber genau das machte mir Angst. Dass ich deswegen irgendwas völlig vergeige, wenn wir das hier überstürzen. Das wäre nach all dem Hin und Her der absolute Worst Case.

Er beugte sich über mich und knipste die Lampe auf meinem Nachtschrank an, bevor er aufstand und zur Tür vor ging: „Ich mach mal das grelle Licht aus.“ Damit betätigte er den Schalter für das Licht an der Decke und begab sich wieder zu mir: „Viel besser...“, sprach er in gedämpften Ton ganz dicht bei mir und begann mich abermals zu küssen. Ich bekam eine wohlige Gänsehaut beim Klang von Evens Stimme so nah bei mir und von der Wärme die von ihm ausgeht, wie sich sein Körper anfühlt, auch wenn dieser nun von einer Schicht Klamotten bedeckt war. Will gar nicht wissen, wie sehr ich es mögen würde, wenn die wegfällt... Aber vor allem mag ich es von ihm berührt zu werden. Da ist einfach nichts Vergleichbares. Ich konnte es nie sonderlich leiden, wenn mich irgendwer angefasst hat. Aber hier, von ihm, wollte ich auch nicht genug bekommen.

Mir persönlich wurde verdammt schnell warm, nachdem Even einmal angefangen hatte ein wenig intensiver rumzumachen. Wie schon zuvor, ging ich drauf ein und genoss es, aber hielt mich eher zurück irgendwas von meiner Seite aus zu unternehmen. Er schien das zu bemerken und ließ es nun auch etwas ruhiger angehen. Er fuhr mit der Hand unter meiner Kapuze entlang an meinen Hinterkopf und kraulte mich dort ein wenig, sah mir dabei in die Augen und lächelte. Mir blieb eigentlich gar keine Wahl, ich konnte ebenfalls nur grinsen, wenn ich sein freudiges Gesicht so sah. Even fuhr mit dem Daumen über meine Wange und strich ganz sachte über mein Grübchen.

Es war echt nicht so, dass ich nicht mehr mit ihm machen wollte. Wirklich nicht. Mein Körper schrie förmlich danach, so viel mehr zu wollen, doch mein Kopf hinderte mich daran. Vielleicht lag der Grund für mein Zögern auch hauptsächlich darin, dass ich so viele Fragen hatte, die ich nicht zu stellen wagte und einen Haufen ungeklärter Umstände. Ich bin nun mal ein vorsichtiger Mensch und hatte eben auch Angst, dass es falsch wäre diese Fragen zu stellen.

An Schlafen war im Moment nicht zu denken, auch wenn's immer später wurde. Ich war innerlich viel zu aufgewühlt und hier mit ihm zu liegen war einfach viel zu schön, als dass man die Zeit verpennen wollte. Morgen müssen wir nicht zur Schule oder so und ich hab Even endlich für mich alleine. Vielleicht sogar das ganze verdammte Wochenende!

Wir redeten noch ein wenig und schwiegen auch einfach mal eine ganze Weile. Doch egal was wir taten oder nicht taten, es fühlte sich verdammt gut und richtig an. Noch nie in meinem Leben hatte sich etwas so gut und richtig angefühlt.

Vor ihm, hätte ich nicht gedacht, dass ich der Typ fürs Küssen und Streicheln wäre, aber Even hat mir wohl nicht zum ersten mal gezeigt, was ich will. Kann sein, dass ich das nur deshalb bisher nicht wollte, weil ich irgendwie bei den falschen Menschen erwartet hab, es mögen zu müssen.
 


 

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* In norw. Schulen gehören Laptops zum Unterricht wie, wie bei uns Hefte und Stifte. Mit den Laptops werden Hausaufgaben, Übungen ect. gemacht und an den Lehrer gesendet.
 

Da ich weiß, dass manche meiner Leser den Sülz, den ich hier unten drunter immer ablasse, sogar lesen und manche dies zudem vor dem eigentlichen Kapitel tun, und einige vllt. nur hier sind, um zu erfahren wann es woanders weiter gehen könnte, nutze ich die Gelegenheit, um noch mal ein Video zu verlinken: https://www.youtube.com/watch?v=OM_xMgzcj3o ,dass mir in einem Kommentar gesendet wurde, auch wenn ich es vorher schon kannte. Es zeigt 100 Gründe wieso man Evak einfach lieben muss und viele Details von Isak und Even, die so manchem nicht auffielen.
 

Fun-Fact: Sogar Leute wie Matt Damon haben schon den Skam-Slang (also in norweg.) gelernt und er machte das echt nicht schlecht für seine amerikanischen Verhältnisse.
 

***EDIT: Einige wenige Clips funktionieren (derzeit und auf unbestimmte Zeit) auf der Skam Hauptseite daher verlinke ich sie hier:

http://skam.p3.no/2016/10/22/sjalu/

http://skam.p3.no/2016/10/24/provde-a-ringe-deg/

http://skam.p3.no/2016/10/26/evolusjonsteorien/



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