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Sunset over Egypt

Even if tomorrow dies
von

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Wie alles begann..

Ein ganz gewöhnlicher Tag, so schien es, sollte es werden. Unter der heißen Sonne Ägyptens erstrahlte ein Königreich von enormen Reichtum.

Als Hohepriester am Hofe des Pharaos hütete Seth den Millenniumsstab, einen von sieben mysteriösen Gegenständen, die, sollten sie in die falschen Hände geraten, tödlich sein konnten. In der Vergangenheit hatte es sich bereits abgezeichnet, dass diese Gegenstände eine große Aufmerksamkeit auf sich zogen. Seth selbst war sich dessen bewusst, doch er achtete auf den Stab mit großer Umsicht.

Die Gegenstände verbargen eine große Kraft, die in jenem, der sie zu kontrollieren vermochte, leicht den Wunsch erweckte, diese Kraft noch zu erweitern. Auch Seth war diesem Zauber erlegen, vor einiger Zeit. Als Cousin des Pharaos hätte er einen Anspruch auf den Thron gehabt, wenn nicht eben jener Mann dazwischen gekommen wäre. Unrechtmäßig, hieß es, wäre Seth von seinem Platz vertrieben worden und auch er hatte dies eine lange Zeit geglaubt. Mit der Macht der Millenniumsgegenstände hatte er versucht, die Macht im Königreich an sich zu reißen, doch der Pharao und seine Freunde und Diener hatten ihn daran gehindert.

In seinem Gram hatte sich Seth verändert. Viele Jahre nun schon, verfolgte er ein ganz anderes Ziel. Das Amt des Hohepriesters, das er trotz allem noch inne hatte, verlieh ihm eine Position, von der aus er dem Pharao ebenwürdig war – wenn auch nur inoffiziell.

Der Pharao war ein leichtgläubiger Mensch, und als Seth von da an treu an seiner Seite kämpfte, vergab er ihm dessen Schuld. Seth verachtete Atemu und Atemu wusste es. Doch da die Etikette in der Öffentlichkeit gewahrt wurde, sah Atemu darüber hinweg – das Risiko den Hüter des Millenniumsstabes zum Feind zu haben, war zu groß. So wurden Seths Eigenheiten weitestgehend geduldet.

Seth war ein guter Hohepriester, er erfüllte das Amt gewissenhaft und sorgfältig. Die persönliche Fehde gegen den Pharao machte seine Arbeit nicht schlechter, ganz im Gegenteil. Sorgsam kümmerte sich Seth um die ihm übertragenen Aufgaben und machte darüber hinaus noch einiges mehr.

Ihm zur Seite stand, seit nun mehr sechseinhalb Jahren, ein treuer Diener, den er an einem Morgen mit an den Hof gebracht hatte. Niemand kannte seinen Namen, niemand fragte danach. Mit gerade einmal 10 Jahren war er angekommen und seitdem war er der einzige, der Seth jemals lächeln gesehen hatte. Er hatte freien Zugang zu Seths Gemächern, stand ihm mit Rat und Tat zur Seite. Wer die beiden beobachtete, hätte sich gewundert, wieso der Priester an dem Jungen festhielt. Jung und naiv wie er war, brachte er sich immer wieder in Schwierigkeiten und Seth gleich dazu. Alles was er anfasste, misslang, doch nicht eine Tat blieb folgenlos. Ihm war es zu verdanken gewesen, dass Seth den Kampf um den Thron verloren hatte, dennoch schickte er ihn nicht weg.

Was auch immer Seth zu dieser Tat veranlasst hatte, den Pharao störte es wenig. Das Land blühte auf, die Priester gingen ihren Pflichten nach, man erfreute sich des Lebens.

Niemand konnte ahnen, dass ein uraltes Pergament, das der junge Diener in der Wüste fand, nie gekannte Feinde auf den Weg brachte.

Fürs erste jedoch war es ruhig, in und um Ägypten. Der Pharao gab seine Verlobung mit Prinzessin Teana bekannt, die bereits ihr erstes Kind erwartete. Das Volk beglückwünschte ihn zu dieser Entscheidung; volksnah, wie Teana eben war, hatte sie viele Bewunderer und so dauerte es nicht lang ehe sie als zukünftige Königin etabliert war.

In Seths Leben lief es nicht so glatt, seine Freundin Kisara verhielt sich immer abweisender, immer verschlossener. Seth hatte für ein solches Gefühlschaos weder die Zeit noch Nerven, und so wurde das Mädchen mit dem langen blassblauen Haar immer häufiger zum unerwollten Gast. Eines Morgens verschwand sie, ohne etwas zu sagen.

Was ihr in der Wüste zugestoßen war, konnte Seth nicht wissen, und auch Kisara selbst hatte es wohl nicht verstanden, als zwei Unbekannte plötzlich vor ihr standen. Die beiden wirkten in Ägypten ebenso fremd wie sie, die heiße Sonne Ägyptens schien ihrer Blässe nichts anhaben zu können. Kisara war verwirrt, sie anzutreffen, Cyrus und seine Schwester Meira schienen alles über sie zu wissen, dabei war sie ihnen an diesem Tage das erste Mal begegnet. Um sie herum schien es plötzlich neblig zu werden, und die beiden kamen immer dichter auf sie zu. Dabei entdeckte Kisara einen Gegenstand, den sie nicht dort hätte entdecken dürfen. Als sie die Millenniumskette am Hals der rothaarigen Meira sah, erkannte sie voller Angst, was dies zu bedeuten haben musste. Priesterin Isis, die Hüterin der Kette gewesen war, war vor einiger Zeit aus dem Palast verschwunden, zusammen mit ihrem Bruder Marik. Keiner hatte gewusst, was mit ihnen passiert war, doch für Kisara nahm das Bild nun Formen an.

Ihr entsetzter Blick ließ Meira und Cyrus laut auflachen – als Kisara fliehen wollte, war sie bereits gefangen. Gefangen im Nebel, den die beiden kontrollierten.

Als Kisara schließlich wieder im Palast ankam, war sie nicht wieder zu erkennen. Auf dem Gang begegnete ihr Mana, eine junge Priesterschülerin, die sehr gut mit Seth befreundet war. Ohne zu zögern, griff Kisara das Mädchen an.

Die Wirkung des Nebels ließ bald darauf nach, doch Kisara konnte sich an nichts erinnern. Die bewusstlose Mana war von Seth gefunden worden. Ungläubig hörte er ihr zu, was sie berichtete, und seine Abneigung wuchs mit jedem von Manas Worten. Kisara hatte ihren Platz in Seths Herzen verloren.

Hoffnung

Nervös trat der junge Diener von einem Bein aufs andere. Er wusste, seine Situation war nicht die beste. Wie hatte es nur passieren können, dass er den halben Palastgarten umgegraben hatte? Oder, viel wichtiger, wie hatte es passieren können, dass er von den Palastwachen dabei erwischt worden war? Was ihm nun blühte, war nicht schwer zu erraten. Unzählige Male schon hatte er hier vor dieser Tür gestanden, gehofft, sie würde sich niemals öffnen, doch jedes Mal stand er schon kurz darauf dem Hohepriester gegenüber.

An diesem Tag jedoch war es anders und das verunsicherte ihn völlig. Neben ihm auf dem Boden hockte eine entmutigt wirkende Frau, die Beine angewinkelt und vor sich hin ins Leere starrend. Der Diener kannte diese Frau, natürlich, es war Kisara, er hatte sie schon unzählige Male gesehen, schließlich war sein Herr mit ihr zusammen. Dass sie nun ebenfalls wirkte, als drohte ihr der Weltuntergang, passte einfach nicht ins Bild.

„Hast du auch was angestellt?“, fragte er sie vorsichtig. Respekt war für ihn noch nie ein Thema gewesen. Kisara erschrak beim Klang seiner Stimme, sie hatte seine Anwesenheit nicht bemerkt. Schnell sprang sie auf die Füße und richtete ihr Kleid.

„Wieso angestellt?“, fragte sie zurückhaltend. Sie hatte nur selten mehr als ein, zwei Worte mit dem Jungen gewechselt, ihn sonst aber nicht weiter beachtet, er war Seths Diener, mehr aber auch nicht.

Er sah sie entgeistert und verwirrt an. „Ich krieg immer Ärger, wenn ich hierher komme“, sagte er und klang dabei eher belustigt, als eingeschüchtert.

Betroffen sah die junge Frau ihn an. „Ich seit neustem auch..“, antwortete sie schließlich leise seufzend.
 

Währenddessen saß eine junge Priesterschülerin ein paar Räume weiter verzweifelt über ihren Unterlagen. Ihre Ausbildung war bereits fortgeschritten, sie hatte allerlei zu lernen. Immer wieder fragte sie sich, ob das alles die Mühe wert, war, doch sie war schon zu weit um jetzt aufzugeben. Außerdem war es schon immer ihr Traum gewesen, eines Tages Priesterin zu sein.

Seufzend warf Mana ihr dunkles Haar zurück. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, es war wirklich zum verrückt werden. Missmutig stand sie auf, das alles hing ihr zum Halse heraus. Sie wollte nichts mehr lernen, verstand den Sinn auch nicht. Schließlich war das alles vor ein paar Wochen erst noch völlig unwichtig gewesen, nun auf einmal aber nicht mehr. Seit Stunden saß sie nun schon hier, doch mehr als ein paar Seiten hatte sie nicht geschafft.

So hatte das alles keinen Sinn, sie wollte ein anderes Mal weiter machen, wenn sie sich besser würde konzentrieren können. Ohne darüber nachzudenken, schleuderte sie ihre Unterlagen zur Seite, stand auf und lief den Gang entlang.

Sie konnte nicht wissen, dass es dem Mann, in den sie kurz darauf hineinlief, ähnlich ergangen war, wie ihr selbst.
 

„Was ist denn hier los?“, erklang die strenge Stimme, und es war nicht zu erkennen, ob er überhaupt wahrgenommen hatte, dass Mana ihn soeben angerempelt hatte, „Große Versammlung?!“ Skeptisch sah er sich um und sah in zwei schuldbewusste und ein strahlendes Gesicht.

„Vollversammlung!“, rief Mana lachend, während sie sich vom Boden wieder erhob. Sie hatte die Situation als witzig empfunden. Doch als sie merkte, dass offensichtlich keiner der drei so dachte wie sie, verstummte sie wieder.

Kisara war es, die als erste das Wort wieder an Seth richtete. „Ich wollte mit dir sprechen“, sagte sie schüchtern und sah dabei zu Boden. „Allein..“

Mana warf ihr einen vernichtenden Blick zu. Sie war doch nicht hierher gekommen, um gleich wieder weggeschickt zu werden!

Seth jedoch hob nur kurz die Schultern und bat Kisara herein.

Ungläubig starrte Mana den beiden hinterher. Nach allem, was Kisara getan hatte, vertraute er ihr trotzdem? Das konnte nicht sein, war er denn blind?

Enttäuscht drehte sie sich um und beobachtete den Diener dabei, wie er sich gerade häuslich auf dem Flur einrichtete. Sie lächelte. „Bleibst du länger hier?“

Der Junge lächelte zurück. „Eigentlich wollte ich hier in den Erdboden versinken, damit ich keinen Ärger krieg, aber den schein ich auch so nicht zu kriegen“, er blickte auf die verschlossene Tür. „Seth scheint heute gut gelaunt zu sein.“

Kopfschüttelnd sah Mana ihn an. Sie mochte ihn, das stand ganz außer Frage, und er war in ihrem Alter. Seine naive Art war einfach faszinierend. Seth hatte alles andere als gut gelaunt ausgesehen, das wusste Mana, aber das konnte sie ihm nun auf keinen Fall sagen.

„Du bist echt knuffig“, sagte sie stattdessen und lachte. Sie war enttäuscht, dass Seth die Tür geschlossen hatte, sie hatte zumindest hören wollen, was Kisara zu sagen hatte, aber wenigstens musste sie nicht allein warten.

‚Knuffig’, war nicht gerade das Wort, mit dem der Diener sich selbst beschrieben hätte, deswegen war er sehr verwundert, dass Mana so dachte. Fragend sah er sie an, das Unverständnis war ihm ins Gesicht geschrieben. „Wenn du das sagst..“, erwiderte er und legte den Kopf schief. Mana tat es ihm nach und grinste. Es war so leicht, sich mit ihm zu unterhalten, völlig ungezwungen und einfach nur lustig.

„Du siehst aber auch komisch aus! Voll niedlich irgendwie“, sagte er und strahlte sie an. Diese Bemerkung brachte Mana durcheinander. Sie wusste nie, wann er etwas wirklich ernst meinte oder wann er etwas einfach nur sagte, weil ihm gerade nichts anderes einfiel.

„Warum findest du mich niedlich?“, frage sie schüchtern lächelnd, und hoffte inständig, dass er eine gute Antwort hatte.

„Na ja“, antwortete er unsicher, „Du bist doch niedlich.. oder nicht?“

Sie seufzte leicht, grinste aber gleich darauf wieder. Ihm war also einfach nichts anderes eingefallen, er war so fürchterlich einfach zu durchschauen. So war er halt. Trotzdem hatte seine Aussage sie nachdenklich gemacht. Ob Seth das wohl auch dachte? Lächelnd schüttelte sie den Kopf und verbannte damit die Gedanken an den Priester aus ihrem Gedächtnis.
 

„Du wolltest mich sprechen?“ Seth war direkt nachdem er die Tür geschlossen hatte, ans Fenster gegangen. Er hatte Kisara nicht ein einziges Mal angesehen.

Nervös und unsicher setzte dieses sich auf einen Stuhl.

„Ja, wollte ich“, sagte sie leise, „und zwar über etwas bestimmtes..“ Sie wusste einfach nicht wie sie anfangen sollte.

Seth dagegen schien keine Geduld zu haben. „Und worüber?“ Durch die Sonne im Rücken war sein Gesicht kaum zu erkennen. Er hatte nicht viel Lust auf dieses Gespräch, selbst die unspektakulären Neuigkeiten aus dem Land, die er noch durchzusehen hatte, wären ihm nun lieber gewesen.

Kisara stand auf und trat ein paar Schritte an ihn heran. „Über uns..“ Sie sah ihn an. „Über unsere Beziehung..“ Sie fühlte sich alles andere als Wohl in ihrer Haut, dennoch musste es sein, sie konnte nicht anders. Sie hing doch an ihm, wieso lief in letzter Zeit immer alles nur so schief?

Traurig wendete sie den Blick von ihm ab. „Ich vermisse.. unsere Beziehung.. und deine Nähe.. Du verbringst doch kaum noch Zeit mit mir..“ Sie hatte gar nicht so vorwurfsvoll klingen wollen, das ging schon wieder schief.

„Du warst doch verschwunden.. und du hast dich danach merkwürdig verhalten.. und du hast auch Mana angegriffen.. Was soll ich davon halten?“

Kisara spürte seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken, dennoch wagte sie es nicht, sich umzudrehen. Sie nickte nur leicht seufzend. „Kann es nicht wieder so werden, wie es früher einmal war?“

Sie wollte nicht zu Mana kriechen und sich entschuldigen, sie wollte nicht für etwas gerade stehen, an das sie sich nicht einmal erinnern konnte. Wieso verstand sie keiner?

Seth ließ sich nicht erbarmen. „Solange du mir nicht sagst, was in dich gefahren ist, werde ich dir nicht verzeihen.“ Es lang soviel Entgültigkeit in diesen paar Worten, dass Kisara erschauderte.

„Ich weiß es doch selbst nicht..“, sagte sie und weinte fast, „Ich will mir keine Gedanken mehr darüber machen.. Ich will meine Zeit mit dir verbringen und glücklich sein! Ich will versuchen, dass alles besser wird.. ich will doch..“, sie sah ihm nun direkt in seine eisblauen Augen, „Ich will doch nur merken, dass du mich noch liebst..“

Eiskalt, als hätte er niemand anderes als eine einfache Dienerin vor sich, sah der Priester sie an. „Dann gib mir einen Grund dazu. Wie willst du irgendetwas merken, wenn du ständig weg bist?“

Kisara wusste nicht, was sie noch sagen sollte. „Aber ich bin doch jetzt hier..“, flüsterte sie verzweifelt, „Und ich bleibe nun auch hier.. Lass uns doch bitte aufhören zu streiten..“

Es war hoffnungslos, das hatte Kisara längst eingesehen, dennoch kämpfte sie weiter. Sie kannte Seth schon so lange, es war schon so viel passiert. Doch noch nie war eine Situation so ausweglos gewesen, wie diese hier.

„Von mir aus“, sprach Seth genervt, „Aber erwarte nicht von mir, dass ich vergesse, was passiert ist.“

Sie hatte nicht erwartet, dass er es vergessen würde, aber sie hatte erwartet ein wenig Rückhalt von ihm zu bekommen, wenigstens etwas Verständnis. Doch sie hatte sich getäuscht, mit Tränen in den Augen versuchte sie dem Unausweichlichen zu entgehen, als ein grausamer Gedanke ihre Verzweiflung in Wut verwandelte. „Hast du mich überhaupt vermisst?“ Sie warf alle Vorsicht über Bord, es half ja doch nichts. „Wieso bist du so genervt? Du bist mit deinen Gedanken die ganze Zeit schon ganz wo anders“, stellte sie trocken fest.

Seth seufzte. Das ganze langweilte ihn inzwischen. „Meine Gedanken sind in meinem Kopf und nirgendwo anders“, sagte er schlicht.

„Mach dich nicht lustig über mich!“, fauchte Kisara, „Um wen drehten sich deine Gedanken? Du hast doch nicht einen einzigen davon an mich verschwendet!“ Sie sah ihn an, grimmig und verletzt. Sie wusste, dies war nicht der richtige Weg, um Seth zurückzugewinnen, aber selbst das war ihr inzwischen egal. Er hatte sie doch eh schon aufgegeben. Am liebsten hätte sie sich in irgendeine Ecke verkrochen und still geweint, aber Seth stand nun vor ihr, wie sollte sie ihm ausweichen?

Er achtete überhaupt nicht darauf, dass sie inzwischen zitterte. „Um wen sollten sie sich deiner Meinung nach denn drehen?“

Kisara konnte kaum an sich halten, er hatte ihr nicht widersprochen, hatte tatsächlich nicht an sie gedacht.

„Ich weiß es ja nicht“, sagte sie, und mit jedem Wort wurde ihre Stimme schriller, „Wie hieß die Kleine noch? Braune Haare, ganz niedlich, du weißt wen ich meine! Du hast doch nur noch Augen für sie!!!“

„Mana?“ Falls Seth diese Anschuldigungen irgendetwas ausmachten, so verbarg er es gut. „Das glaubst du? Was willst du hier eigentlich erreichen?“, fragte er schlicht und unberührt.

„Ich dachte wir wären ein Paar! Ich wollte mit dir reden, aber dich interessiert das anscheinend alles nicht“, kreischte Kisara verbittert, „Ich war lange weg, ja! Aber du scheinst dich nicht im geringsten um mich gesorgt zu haben!“

Nun jedoch wurde auch Seth ungehalten. Sauer richtete er sich vor ihr auf. „Was mich interessiert und was nicht ist dir doch völlig egal! Du bist abgehauen! Einfach so! Und du bist wieder gekommen, ohne etwas zu sagen.. Meinst du nicht, dass ich vielleicht nach dir gesucht habe?! Und dann greifst du Mana an, völlig ohne Grund, und du kennst ihn selbst auch nicht, wie du sagst. Wenn das so ist, okay, aber es scheint dir auch in keinster Weise Leid zu tun! Was soll das alles? Und auch das Schmierentheater, das du hier aufführst, welchen Zweck hat das?“ Er war lauter geworden, als ursprünglich beabsichtigt, trotzdem bereute er nicht, das gesagt zu haben. Er war schließlich Hohepriester, er hatte genug Pflichten und Kisara durfte sich nicht alles herausnehmen.

Doch diese ließ sich nicht einschüchtern und schrie stattdessen noch lauter zurück. „Ich dachte, ich bedeute dir etwas! Aber da lag ich wohl ganz falsch! Ich dachte, du weißt, was Liebe ist! Welchen Zweck hatte die Beziehung für dich eigentlich? Welchen Grund hattest du, mir deine Liebe vorzugaukeln?!“ Sie schrie ihn an, direkt ins Gesicht. Seine Kälte machte sie wahnsinnig, wie hatte sie sich in diesem Mann nur so täuschen können?

Genervt und desinteressiert drehte Seth ihr den Rücken zu. „Bist du fertig?“

Kisara stockte, die Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie in sich zusammensackte. Sie hatte aufgegeben, nickte nur stumm.

„Dann geh jetzt, sonst lasse ich dich von den Wachen entfernen.“

Eifersucht

Vorsätze waren eine Sache, Geduld eine völlig andere. Mana hatte kurz nachdem Seth die Tür geschlossen hatte, den Gang verlassen. Einfach nur da sitzen und warten, das war nichts für sie. Schon gar nicht in der Situation, sie wollte etwas machen, etwas unternehmen, ansonsten hatte es keinen Sinn ihre Aufgaben zu verschieben.

Eine Weile hatte sie versucht an der Tür zu lauschen, aber sie konnte kaum ein Wort verstehen. Seth und Kisara waren ziemlich laut geworden und als Kisara schließlich schluchzend davon gelaufen war, war Mana sicher, dass sie die Zeichen richtig gedeutet hatte.

Unweigerlich musste sie grinsen.

Doch Seth war nicht noch einmal aus seinem Gemach gekommen, deswegen hatte Mana beschlossen zu warten, eine Nacht darüber zu schlafen. Sie war aufgestanden und hatte den sichtlich verunsicherten Diener mitgezogen. Seinen Herrn schreien zu hören, kannte er zwar, dennoch war es ein merkwürdiges Gefühl für ihn, nicht der Auslöser dafür zu sein. Denn Seth schrie selten, aber wenn er schrie, dann hatte er meistens einen guten Grund.

Mana zog ihn hinter sich her, vorbei an dem Garten, um den der Diener allerdings einen großen Bogen machen wollte. Er war schon eigenartig, verhielt sich nicht seines Alters entsprechend, sondern eher wie ein verirrtes, kleines Kind. Vielleicht war er das auch, schließlich war er noch ein Kind gewesen, als Seth ihn zu sich geholt hatte. Trotzdem hatte sie erwartet, dass die Jahre, die er mit dem Priester verbrachte, Auswirkungen auf ihn haben würden. Vergeblich.

Lächelnd sah sie ihn an. „Duu, darf ich dir mal eine Frage stellen?“ Es brannte ihr auf der Zunge, es hatte sie schon immer gewundert.

Überrascht nickte der junge Diener, sah sie fragend an. Interesse an seiner Person war er nicht gewohnt, aber er mochte es, weil er Mana mochte.

„Na jaa“, begann das Mädchen zögernd, „Ich würde gerne wissen.. Wie heißt du eigentlich?“

Nie hatte jemand nach seinem Namen gefragt. Nie hatte er darüber nachgedacht, dass es ungewöhnlich war, einfach nur Diener genannt zu werden. Damals, vor sechs Jahren, hatte er seinen Namen genannt, der Hohepriester hatte genickt und an mehr konnte der Junge sich nicht erinnern.

Seitdem hatte er seinen Namen nie wieder gehört, ja ihn sogar vergessen. Nun, als Mana danach fragte, dachte er eine ganze Weile darüber nach, doch es strengte ihn an.

Aber schließlich hüpfte er freudestrahlend vor Mana auf und ab.

„Akim, heiße ich!“, jubelte er, und Mana lächelte.
 

Am nächsten Morgen stand Mana schon früh bei Seth vor der Tür, Akim im Schlepptau. Sie hatte ihn auf dem Gang aufgelesen, wo er offensichtlich am Tag vorher eingeschlafen war.

Sie wusste, der Hohepriester hatte vormittags eine Menge zu tun, aber sie hoffte vorher noch einige Worte mit ihm wechseln zu können. Wenig zaghaft klopfte sie an die Tür, öffnete sie ein Stück und spähte in den Raum.

„Dürfen wir?“, fragte sie höflich.

Der Angesprochene sah auf, nickte kurz, zögerte dann. „Was heißt wir?“

„Akim und ich natürlich!“, grinste Mana, und ging auf Seth zu. Sie stemmte die Arme in ihre Taille und sah ihn herausfordernd an. „Und? War sie sehr nervig?“

Die Aussicht, nun über Kisara zu reden, erweckte nicht gerade Interesse in Seth, doch er hatte nichts anderes erwartet. Trotzdem horchte er auf, etwas hatte ihn stutzig gemacht.

„Weißt du, ich denke, ich kenne ein ganz einfaches Mittel sie los zu werden“, fuhr Mana hingegen ungestört fort, „Du könntest sie K.O. schlagen und sie in den Nil werfen oder von einem Turm, sagen, sie wäre umgefallen und heruntergestürzt.“

Es war offensichtlich, dass die Priesterschülerin ihre Freude an diesen Gedanken hatte. Auch Seth lachte kurz auf. Er war im Moment ebenfalls nicht besonders gut auf Kisara zu sprechen, daraus einen Hehl zu machen, war völlig unnötig und überflüssig.

Gerade als Seth etwas erwidern wollte, spürte er etwas gegen seine Rippen prallen und trat einen Schritt zurück.

Sofortiges Gelächter von Mana war die Antwort darauf.

„Akiiim!“, rief sie, „Was tust du da?!“

Doch er wusste es selbst nicht. Er hatte sich gelangweilt, das Gespräch zwischen Mana und Seth fand er nicht interessant, und so hatte das getan, was ihm gerade eingefallen war – und sich damit in keine gute Situation manövriert. Noch immer ruhte sein Kopf in des Hohepriesters Seite, der sich nun zu voller Größe aufrichtete, Mana kurz ansah, und begann sich die Ärmel hochzukrempeln.

„Magst du dein Leben?“

Mana bekam kaum noch Luft, so sehr lachte sie. Es sah aber auch zu komisch aus. Beschwichtigend nahm sie Seths Hände um ihn aufzuhalten, doch der sah sie nur lächelnd an.

„Er will das doch so“, sagte er schlicht und baute sich hinter seinem Diener auf, der noch immer nichts verstand.

„Er wollte doch nur Aufmerksamkeit!“, sie hatte schon Tränen in den Augen.

Wenn es weiter nichts war, die sollte er bekommen. Seth war ja einiges von dem Jungen gewöhnt, aber manchmal fragte er sich, ob es nicht schlauer gewesen wäre einen Affen als Diener anzuheuern.

Jedenfalls würde er ihm dieses Mal nicht so leicht davon kommen. Während Mana noch lachte, näherte er sich seinem Diener, langsam aber stetig trat er dichter an ihn heran. Drohend stand er nun hinter ihm, warf sogar schon einen dunklen Schatten auf ihn.

Überrascht drehte sich Akim um und erschrak fürchterlich. Er duckte sich reflexartig und sprang verschüchtert auf Manas Schoß. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, er hatte doch gar nichts getan, nichts böses jedenfalls. Aber der Priester schien das anders zu sehen.

Hilflos wandte sich Akim an Mana, „Ist der schon die ganze Zeit da?!“, er zeigte auf Seth, dessen Unheilbringender Blick nun auf ihm lastete.

„Natürlich ist er das!“, prustete Mana los, Naivität war eine Sache, aber so naiv konnte selbst Akim nicht sein.

Doch er konnte.

Seth selbst war schon kaum mehr sauer, nur noch amüsiert. Der Affe wäre intelligenter gewesen, eindeutig. Unheimliche Laute von sich gebend, beugte er sich über den Jungen, und sah auf ihn herab. Er hatte ihn in der Hand, soviel stand fest. Die Frage war nur, wie lange noch.

Als Akim versuchte, sich noch kleiner zu machen, um in Deckung zu gehen, gab Seth auf. Er richtete sich auf, ließ sich dann auf sein Bett fallen und begann zu lachen.

Der Junge war komisch, es bestand überhaupt kein Zweifel. Mana schubste ihn von ihrem Schoß und setzte sich kichernd neben den Priester. „Was ist denn mit dir los?“, fragte sie begeistert, ihre Augen leuchteten, folgten Seths Blick und seiner Hand, denn er zeigte nun auf Akim. „Er ist soo überfordert mit der Welt!“ Das war es also, der Herr machte sich über seinen Diener lustig. Und er hatte auch allen Grund dazu, wie Mana beschloss. Sie nickte zustimmend.

Akim konnte mit dem plötzlichen Umschlag der Situation gar nichts anfangen. Verwirrt saß er am Boden, dort, wo er gelandet war, nachdem Mana ihn weggestoßen hatte. Er saß da und wunderte sich über die zwei anderen, wieso sie lachten konnte er nicht nachvollziehen. Seine Hände trommelten unruhig über den Boden. „Was ist so komisch?“, fragte er ruhig, erhielt aber keine Antwort. „Über wen lacht ihr?“

Schließlich konnte sich Mana nicht mehr zurückhalten. „Über dich, du Volltrottel!“, rief sie lachend, mit Tränen in den Augen. Dass sie sich inzwischen an Seth lehnte und der sich an sie, merkte sie gar nicht.

Akims Blick verhärtete sich. „Ich.. bin ein Volltrottel?“, schüchtern und unsicher fragte er nach. Seine Frage wurde sogleich bejaht. Er verstand es nicht.

Mana sah seinen verwirrten Blick, versuchte zu erklären. „Du bist einfach sooo trottelig!“, lächelte sie und zeigte dabei eine größere Entfernung mit ihren Händen an. Eine zufriedenstellende Antwort war das nicht. Akim rutschte unruhig auf dem Boden hin und her. Diese Behandlung gefiel ihm nicht, da wurde er doch lieber ignoriert.

Er ließ den Kopf hängen. „Bin ich gar nicht..“, widersprach er trotzig, jedoch hatte diese Äußerung nicht gerade die erwünschte Wirkung.

„War der schon immer so?“, inzwischen plagten sie Bauchschmerzen, aber sie konnte einfach nicht aufhören zu lachen.

Seth jedoch wurde auf diese Frage hin ganz ruhig. „Nein“, sagte er nach einer Weile, „Verblüffender Weise nicht. Er muss sich zurückentwickelt haben.“ Was er sagte, entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber es war auch nicht gelogen. Er beobachtete Akim, während er dies sagte, bekam jedoch keine Reaktion. Erleichtert blickte er auf, lächelte wieder.

„Weißt du waas?“, Mana hatte ihn von der Seite her beobachtet, nun drehte er sich zu ihr um.

„Ich weiß so einiges“, sagte er stolz, wartete aber darauf, dass sie sagte, was sie dachte.

Augenverdrehend lächelte Mana ihn an. „Ich hab dich noch nie so lachen gehört!“ Offensichtlich hatte sie nicht bemerkt, wie nachdenklich er soeben geworden war.

„Wie kommst du darauf?!“

Das Mädchen grinste nur. „Na jaa, wann hast du denn schon mal richtig gelacht?“, fragte sie mitfühlend, und dieses Mitgefühl passte Seth gar nicht, „In der Zeit als du diese..“, sie rang nach den richtigen Worten, aber es fiel ihr einfach nichts passendes ein, „diese Kisara an dir kleben hattest? Du willst mir doch nicht erzählen, dass du glücklich warst!“

Seths skeptischer Blick genügte um die Schülerin in ihrer Vermutung zu bestärken.

„Aber jetzt scheinst du es zu sein!“, schloss sie fröhlich.

Da war es also wieder, Kisara schien wirklich ein bleibendes Gesprächsthema zu sein. Wenn man bedachte, dass er einfach nur ignorieren wollte, dass es sie gab, fiel ihr Name recht häufig. Es verwunderte ihn jedoch viel mehr, dass es ihn nicht im geringsten störte, dass Mana immer wieder davon anfing.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Kisara wirklich geliebt hast.“ Es ermutigte die Priesterschülerin, dass ihre Meinung offenbar tatsächlich gefragt war, Seth legte Wert auf ihre Meinung! Und obwohl sie ihrem Freund soeben unterstellt hatte, dass er Kisara nur etwas vorgelogen hatte, strahlte sie vor Freude. „Ich habe dich nie wirklich lachen gehört“, fuhr sie fort, „Und du warst immer mies drauf. Jetzt bist du viel besser gelaunt!“

Seth blieb skeptisch, musste sich aber im geheimen eingestehen, dass sie Recht hatte. „Das lag alles nur an Kisara?“ War es wirklich so? Hatte sie ihn nicht glücklich machen können? Nun, in letzter Zeit nicht, deswegen war ja auch alles so eskaliert. Warum hatte sie auch soviel Wert auf jede Kleinigkeit legen müssen. Und überhaupt, was fiel ihr ein, sich irgendeinen Schwachsinn über Mana auszudenken? Es machte ihn schon wütend, wenn er nur daran dachte.

Akim saß noch immer auf dem Boden und grübelte unentschlossen vor sich hin. Die beiden schienen ihn vergessen zu haben, waren ganz in ihr Gespräch vertieft. Nein, entschied er, ignoriert werden war auch nicht besser – und so piekte er Mana in die Seite. „Duu..“, sagte er leise, „Ich bin gar nicht trottelig..“

Sofort drehte das Mädchen sich zu ihm um. Wieder lachte sie. „Ein bisschen vielleicht?“Ein Kompromiss war immer das beste.

Er legte den Kopf schief. „Ist das gut oder schlecht?“

„Mhmmm, ich denke, für dich ist es gut.“

Er strahlte. Er war so einfach zu begeistert, sprang wieder auf Manas Schoß und in ihre Arme. Perplex schloss sie diese um ihn, war zwar verwundert, aber dachte sich nichts dabei. Stattdessen sah sie wieder zu Seth, dessen kalter Blick auf Akim ruhte.

„Habe ich etwas falsches gesagt?“, fragte Mana überrascht. Doch Seth blockte ab. Er war auf einmal völlig abwesend, tief in seinen eigenen Gedanken versunken. Gedanken, die ihn verwirrten.

„Hey, das war doch nicht böse gemeint!“ Was war denn auf einmal los mit ihm?

Seth blinzelte. Mana sah ihm direkt in seine eisblauen Augen, auf ihrem Schoß saß noch immer Akim, und lächelte vor sich hin. Er musste sich wieder fangen, sich zusammenreißen. Ein solch kindisches Verhalten war eines Hohepriesters nicht angemessen. Trotzdem konnte er einen patzigen Unterton nicht unterdrücken. „Ja, ich weiß, tut mir Leid.“

Knappe Antwort, knapper Sinn, knappe Meinung. Mana war nicht zufrieden gestellt. Enttäuscht und verletzt sah sie Seth an, fuchtelte mit den Händen vor seinen Augen herum.

„Bist du noch da? Was hast du denn plötzlich?“

Eine Antwort des Priesters bekam Mana nicht, denn in dem Moment, fing Akim an, sie zu kitzeln. Sie lachte, sie zappelte. Sie war unglaublich kitzlig, schrie, strampelte und kreischte, und Akim machte ebenfalls lachend weiter.

Ruckartig erhob sich Seth, das Gesicht verzerrt vor Zorn. Diesem Jungen würde er jeden Knochen einzeln herausreißen. „Lass deine Finger von ihr!!“, fauchte er.

Chaos

Verwirrung.

Ernst.

Stille.

Keiner der drei wagte es, ein Wort zu sagen. Akim war unglaublich erschrocken, zusammengefahren und hatte sofort von Mana abgelassen, die ebenfalls verwundert aufblickte. Seths Blick war erschreckend gewesen, daran bestand nicht der leiseste Zweifel. Nie hatte sie ihn so erzürnt gesehen, jedenfalls nicht, wenn es keinen Grund dafür gab. Gab es einen? Akim hatte sie doch nur gekitzelt, seit wann war so etwas schlimm? Gut, sie hatte gestrampelt, hatte sich dagegen gewehrt, aber sie hatte doch auch gelacht. Es gab keinen ersichtlichen Grund, gleich zornig zu werden, für Mana jedenfalls nicht.

Verwirrt drehte sie sich zu Seth um, hoffend sogleich eine Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten zu bekommen. Der jedoch hatte sich abgewendet, sein Blick war nicht zu erkennen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Mana verhalten, bekam jedoch keine Antwort. Der Hohepriester selbst schien von seiner Reaktion überrascht gewesen zu sein. Mana sah ihn beunruhigt an, wiederholte ihre Frage. Und schließlich, endlich brach er sein Schweigen.

Alles war in Ordnung, es ging ihm gut, seine Worte waren klar, seine Mimik widersprach diesen – und konnten Mana dadurch nicht überzeugen.

„Und da bist du dir sicher?“, sie stellte sich in seinen Blickwinkel, „Akim hat mich doch nur gekitzelt.. Wieso bist du nun so patzig?“

„Bin ich nicht..“ Seth drehte sich zum Fenster, er war mit seinen Gedanken völlig wo anders. Was war auf einmal los mit ihm? Er verstand es nicht. So hatte er sich noch nie benommen. Wieso war er auf einmal so sauer auf den Jungen?

Mana rümpfte die Nase. „Warum weichst du mir dann aus?“

Viel zu schnell drehte sich Seth zu ihr um – nur um so gleich wieder wegzusehen. Hatte sie Recht? Er benahm sich merkwürdig, aber war es so offensichtlich? Er, der Hohepriester Seth, der sonst jeden Feind mit einem einzigen Blick durchschauen, selbst Freunde zu Fall bringen konnte, verstand sich nicht.
 

Ungeduldig, aber noch immer eingeschüchtert, wippte Akim hin und her. Weder Mana noch Seth reagierten, wieder wurde er ignoriert. Ob es ihm recht war, er wusste es nicht. Es war sicher nicht schlau, den Priester nun herauszufordern, doch einfach verschwinden wollte er auch nicht.

„Was habt ihr denn auf einmal?!“

„Du schaust mich nicht einmal an!“, es war nur zu deutlich, dass die Priesterschülerin nicht gedachte, auf den Jungen zu achten.

„Seid ihr noch daaa?“, versuchte er es wieder, wieder erfolglos.

Manas Blick ruhte auf Seth, der nun in Erklärungsnot war. Doch wie sollte er etwas erklären, wenn es ihm selbst nicht klar war? Akims Anwesenheit nahm er nicht einmal wahr, zu tief war er in seine Gedanken versunken.

Schließlich blickte er auf.

„Es tut mir Leid.“

Es tat ihm Leid. War das etwas das einzige, was der Priester dazu zu sagen hätte? Mana seufzte, trat dichter an ihn heran. So war er ihr noch nie gegenüber getreten, er war doch sonst immer Herr der Lage, wieso denn jetzt nicht?

Manas Herz tat einen leichten Sprung, unsicher legte sie den Kopf schief. „Ist es wegen Kisara?“ Dachte er etwa noch immer an sie? Vielleicht hätte sie doch nicht gleich heute morgen danach fragen sollen, wenn es ihm noch so nah ging. Was hatte sie denn erwartet? Die beiden waren sehr lang zusammen gewesen, dass das zwischen ihnen einmal zu Ende gehen würde, das hatte wirklich niemand erwartet.

„Nein.. es ist nichts.. wirklich nicht..“

Also doch. Wie benahm man sich in so einer Situation? Sie hatte soviel lernen müssen, doch das half ihr jetzt wenig. Einfühlsam sah sie ihn an. „Habe ich etwas falsches gesagt?“

Wieder schüttelte er den Kopf. „Hast du nicht..“

War er etwa verlegen? Was konnte sie denn nur tun, damit er sich wieder normal benahm? Das war ja wirklich zum verzweifeln.

„Sollen wir lieber gehen?“ Vielleicht wollte er ja allein sein. Vielleicht brauchte er Ruhe? Doch auch das verneinte er vehement, versuchte sogar zu lächeln. Er wollte nicht, dass sie gingen. Oder etwa doch? Er war unentschlossen, dachte erneut über diese Frage nach. Nein, er wollte nicht, dass sie gingen. Das hieß, er wollte nicht, dass sie ging.

Mana war ernsthaft besorgt. Aber er hatte versucht zu lächeln, das war schon einmal ein gutes Zeichen. Sie musste ihn irgendwie dazu bewegen können, dieses seltsame Verhalten wieder abzulegen. Die Luft im Raum war bedrückend. Kurz entschlossen griff Mana nach Seths Hand, mit der anderen schnappte sie sich Akim und lief dann los, die beiden hinter sich her ziehend.

Sie erntete nichts als Verwirrung, ließ sich aber nicht aufhalten. Sie wollte an die frische Luft, wollte in den Garten, um die trüben Gedanken zu vertreiben.

Akim war sofort Feuer und Flamme. In den Garten lief er gern, besonders gern nicht allein und nun sollten Mana und Seth ihn begleiten. Es kümmerte ihn nicht, dass er am Tag zuvor von eben dort vertrieben worden war, dieses Mal konnte ja nichts passieren, schließlich war der Hohepriester dabei. Die Wachen würden es nicht wagen ihn erneut darauf anzusprechen.

Eben jener Priester war überrascht, ließ sich aber problemlos von Mana mitziehen. Sein Blick ruhte auf ihrer Hand, die seine fest umklammerte. Er war verunsichert.

Im Garten angekommen, ließ Mana ihren Freund erst einmal stehen, und zog Akim weiter. „Du buddelst doch gern, oder?“, fragte sie, und schob ihn an ein frisch umgegrabenes Feld, ohne zu wissen, dass es das Feld war, dass bereits gestern unter Akim zu leiden gehabt hatte.

Er strahlte.

„Schön!“, rief Mana, „Dann fang du schon an, ich komm gleich zu dir und helfe dir.“ Sie lächelte, als sie dem Diener den Rücken zudrehte, der bereits die Hände in der Erde hatte.

Tief durchatmend und sich selbst Mut zusprechend, kehrte sie zu Seth zurück, lächelte ihn an. Sie standen an einem kleinen, künstlich angelegten Teich, der den Palastgarten zierte.

„So, nun brauchst du nicht mehr auf ihn zu achten“, sagte Mana und wies dabei auf Akim. Etwas hilflos sah Seth sie an. „Habe ich das etwa getan?“

*Glaubst du, ich bin blöd?“, sie grinste, „Ist doch klar, dass du vor deinem Diener nicht sagen willst, was dich so beschäftigt! Magst du nun darüber reden?“

Sein unsicherer Blick, verwirrte sie. Wieder blieb er ihr die Antwort schuldig. Diesen Blick mochte sie nicht, mochte nicht, wie er ihr immer wieder auswich, mochte nicht die Hilflosigkeit, die er ausstrahlte.

Dass sie sich so um ihn sorgte, ehrte ihn, gleichzeitig jedoch fragte er sich nach dem Grund dazu. Es war überhaupt nicht seine Art, dennoch war er unruhig. Er trat unschlüssig immer wieder von einem Bein auf das andere, schüttelte dabei den Kopf.

Eine ganze Weile stand er so da, tief in Gedanken versunken. Mana versuchte unentwegt seine Aufmerksamkeit zu bekommen, seinen Blick irgendwie auf sie zu lenken, doch es dauerte ehe er reagierte. Schließlich jedoch fanden ihre Augen die seinen. Er blinzelte.

„Es tut mir Leid, Mana“, sagte er leise.

„Was tut dir Leid?“, sie war inzwischen ziemlich unruhig geworden, das Warten war ihr lästig.

„Du bringst mich völlig durcheinander!“

Mana trat einen Schritt zurück, diese Aussage hatte sie weder erwartet, noch wusste sie, was sie davon halten sollte. Sie brachte ihn durcheinander? Wie war das möglich? Verwirrt wich sie einen weiteren Schritt zurück, ohne auf den Zierteich zu achten.

Sie stolperte. Erschrocken schrie sie auf, als eine starke Hand sie festhielt, vorm Sturz bewahrte und an sich zog.

„Ist alles in Ordnung?“ Seth schien seine Stimme wieder zu haben.

Mana grinste verlegen und nickte. „Das war ganz schön knapp, danke..“, seufzte sie, und dachte im gleichen Moment, dass ihr nichts besseres hätte passieren können. Er sprach wieder mit ihr, sein Blick war wieder klar. Und er hielt sie in dem Armen.

„Es geht dir gut, ja?“ Er schien ehrlich besorgt zu sein und schmeichelte ihr damit. Sie nickte zufrieden, kuschelte sich dann dichter in die Arme, die sie noch immer schützend hielten.

Mana und Seth konnten nicht wissen, dass Kisara sie von einem Balkon aus beobachtete und all ihre Befürchtungen als bestätigt ansah.
 

Langeweile machte sich breit. Die Erde war noch locker, so machte das Ganze wenig Spaß. Die Pflanzen hatte Akim am vorigen Tag schon ausgegraben, sie waren nur provisorisch wieder eingesetzt worden. Sie stellten keine Herausforderung dar.

Leise seufzend wartete er auf Manas Rückkehr, sie wollte ihm schließlich helfen. Aber hatte sie es vergessen?

Er hatte sie und den Priester beobachtet, und es sah nicht danach aus, als würden die beiden bald anfangen zu graben. Er ging jedenfalls fest davon aus, dass sie es vorhatten, kannte keinen ihm sinnvollen Grund weshalb man sonst in den Palastgarten gehen sollte. Doch Seth wirkte irgendwie.. verkrampft.

Sollte er etwa ewig hier am Boden sitzen und warten? Womit waren die beiden solange beschäftigt, was taten sie?

Er traute seinen Augen nicht, als er Mana in Seths Armen sah.

„Hey!“, rief er und wühlte in der Erde, „Beachtet mich mal!“ Zwischen seinen Fingern formte er einen Klumpen, zielte damit auf die beiden warf – und traf.

Die Priesterschülerin hatte Akims Geschrei gehört und sich zu ihm umgedreht. Im nächsten Moment hatte sie den Klumpen im Gesicht und taumelte erschrocken zurück.

Sie hatte Glück gehabt, der Klumpen enthielt nur Erde, keine größeren Steine, so hatte sie nur wenig Schmerzen. Der Schreck war das Schlimmste daran gewesen, aber den hatte sie schnell überwunden und fing schon kurz darauf an zu lachen. Der Dreck fiel zu Boden und hinterließ einen dunklen Fleck auf ihren Wangen.

Doch sie lachte. „Akiiiim!!! Das bereust du!“, ihre Drohung war klar, doch nicht boshaft. Akim verkroch sich vorsichtshalber in das Loch im Boden, dass er gegraben hatte.

Mühsam versuchte Mana, den Schmutz mit ihren Händen abzustreifen, doch das hinterließ schwarze Streifen.

„Ich habe wohl keine andere Wahl“, erklärte sie lächelnd, und sprang kurzerhand in den Teich. Das Wasser war kalt, aber es verfehlte seine Wirkung nicht.

Nachdem Seth sich vergewissert hatte, dass es Mana gut ging, sah er aufgebracht in Akims Richtung, die Augen zu engen Schlitzen verengt. Dafür würde dieser noch bezahlen.

Seth wusste nicht, ob es sich gelohnt hatte, Mana aufzufangen nur damit sie anschließend doch in den Teich springt, aber er hatte es nicht bereut. Und als Mana Wasser prustend wieder auftauchte und lächelte, erwiderte er es.

„Ist das nicht kalt?“

Sie nickte sofort, doch ihr Lächeln erstarb dabei nicht.

„Du erkältest dich noch!“ Der Priester klang vorwurfsvoll, als er ihr die Hand hinhielt um sie aus dem Teich zu ziehen, die sie sogleich ergriff.

„Wenigstens bin ich nun wieder sauber“, meinte sie nur und schüttelte sich das Wasser aus dem Haar.

Mana ließ Seth Hand nicht los, als sie wieder nach Akim rief, der nach mehreren Versuchen schließlich schuldbewusst aus seinem Loch geklettert kam und sich neben sie stellte, möglichst weit entfernt von Seth. Als er dessen Blick gesehen hatte, war es ihm eiskalt den Rücken heruntergelaufen.

Böse sah Mana ihn an. „Was sollte das?“, fragte sie und ging ganz nah auf ihn zu. Eingeschüchtert sah der Junge zu Boden.

„Ich wollte doch nur wissen, was ihr macht..“, gab er kleinlaut zu.

„Wa.. was wir machen?“, Mana drehte sich verwirrt zu Seth um und ließ dabei dessen Hand los. „Warum?“

„Ihr habt mich gar nicht beachtet! Und du hast doch gesagt, du würdest gleich wiederkommen..“

Mana legte den Kopf schief. „So.. so lang waren wir doch überhaupt nicht weg?!“ Doch sicher war sie sich nicht. Sie hätte nicht sagen können, wie viel Zeit wirklich vergangen war.

Akim starrte beleidigt auf den Boden. „Wart ihr wohl..“

Seth schwieg. Er war sauer auf seinen Diener, sehr sauer. Doch er wollte nicht, dass Mana davon viel mitbekam und so nahm er sich vor, ihn klein zu rupfen, sobald diese es nicht sah.

„Trotzdem musst du mich nicht mit einem Klumpen Dreck bewerfen!!“, fauchte Mana und Akim wurde ganz klein unter ihren Worten.

„Aber..“, er ring nach Worten, „aber das hab ich doch gar nicht böse gemeint..“

„Wie war es dann gemeint?“, fragte Mana patzig und verschränkte dabei die Arme. Das Wasser tropfte an ihrem Haar herab, und auch ihre Kleidung war völlig nass. Das hatte sie nur ihm zu verdanken, sie mochte ihn, aber seine Naivität und Dummheit gingen ihr bisweilen auf die Nerven.

„Ich wollte doch nur, dass ihr mich bemerkt..“, meinte Akim enttäuscht und seine Stimme wurde mit jedem Wort fester. „Aber ihr wart so abgelenkt..“

Mana seufzte. „Ja und?! Du kannst doch auch allein buddeln!“ Wieso machte er so einen Aufstand, nur weil sie etwas länger gebraucht hatte?

Kleinlaut stimmte er ihr zu, doch seine Gestik verriet, dass er das Gegenteil meinte.

„Was hast du denn?!“, wollte sie wissen. Doch die Antwort, die sie darauf bekam, ließ sie aus allen Wolken fallen.

„Gar nichts!“, fauchte nun Akim, ebenso patzig wie sie zuvor, „Kuschle doch weiter mit Seth!“

Hass

Ungeduldig hatte sie alles beobachtet, ungeduldig auf eine Wendung gehofft, doch nichts dergleichen war geschehen. Das Mädchen mit dem langen weiß-blauen Haar hatte weder gezögert noch überstürzt gehandelt. Sicheren Schrittes war sie losgezogen, direkt in den Palastgarten.

So leicht würden Mana und Seth nicht davon kommen, sie hatten es sich viel zu einfach vorgestellt, doch Kisara würde sich nicht abschütteln lassen. Wie konnte sie kampflos aufgeben? Es passte nicht zu ihr.

Wort für Wort hatte sie den dreien gelauscht, sie beobachtet und nur auf eine Gelegenheit gewartet, sich zu zeigen.

Nun als Akim die zwei anderen offenbar soeben in tiefe Verlegenheit gestürzt hatte, sah sie ihre Chance gekommen.

Mana wirkte wie aus allen Wolken gefallen, als sie Kisara hinter Akim auftauchen sah. Eben noch hatte sie ihn verlegen zur Rede stellen und alles bestreiten wollen, nun jedoch.. Dass er alles gesehen hatte, war noch zu verkraften, er war zwar nervig, aber würde sich sicher nichts weiter dabei denken. Bei Kisara allerdings sah die Sache anders aus. Sie wusste, was sie gesehen hatte und sie wusste auch, was das zu bedeuten hatte.

Seth verriet mit keinem Anzeichen, dass es ihn störte, Kisara so schnell schon wieder zu sehen.

„Wieso bist du hier?“, fragte er kalt, ohne Anteilnahme und ohne Verständnis. „Hatte ich dir nicht zu verstehen gegeben, dass ich dich nicht mehr sehen will?“ Sie ging ihm auf die Nerven, klammerte viel zu sehr, hing sich an etwas, das längst verloren war. Und dafür würde sie den Preis zu zahlen haben, Rücksicht war nicht das, was den Hohepriester auszeichnete.

„Ich habe dich beobachtet!“, fauchte das Mädchen wutentbrannt, „Dich und das Weib da!“ ihr zittrige Hand zeigte auf Mana. Empört stieß diese einen Laut aus, Seth jedoch blieb ganz ruhig.

„Ist dir nicht klar, was du damit anrichtest? Du solltest wissen, dass das ein unverzeihliches Vergehen ist!“ Die Drohung in Kisaras Stimme war nicht zu überhören, doch das änderte an Seths abwesender Haltung nicht das geringste. „Ich weiß nicht, was du meinst“, sagte er schlicht, und für ihn war das Gespräch damit beendet.

Nicht so für Kisara. „Du solltest nicht mit mir spielen, Seth!“, fauchte sie ungehalten, ihr Haar wehte leicht und mit Zorn in den Augen starrte sie Mana an, die ebenso entgeistert zurückstarrte. ‚Du Drache‘, dachte sie mit Genugtuung, ‚Kein Wunder, dass Seth sich von dir getrennt hat‘.

„Wer sagt, dass ich mit dir spiele?“ Der Ausdruck des Priesters war kalt, offen und ohne jede Gnade. „Habe ich einen Grund zum spielen?“ Seine Worte waren schneidend wie die unzähligen Scherben ihrer verlorenen Liebe.

„Fordere mich nicht heraus, Seth! Glaubt nicht, du könntest dir alles erlauben nur weil du Hohepriester bist!“

Doch auch diese Worte verfehlten ihre Wirkung, Seth blieb ganz ruhig. „Aus welchem Grund sollte ich dich herausfordern?“

Kisara sah ihn verachtend an. Er regte sie auf, sie eisige Art machte sie krank. „um deine Ehre zu verteidigen?“, fauchte sie, „Es rechtmäßiger Thronerbe stehst du ganz schön dumm da!“ Mit jedem Wort wurde ihre Stimme lauter, schriller. „Und außerdem versuchst du dein Gesicht zu wahren, um nicht zugeben zu müssen, dass du verliebt bist!!“ Sie schrie, lauter als je zuvor. „Und zwar in ein kleines Mädchen!“

Manas Mund fiel auf. Erschrocken sah sie zu Seth, damit hatte sie wirklich nicht gerechnet. Sie erhoffte sich von ihm eine Antwort, irgendeine Reaktion seinerseits, doch er dachte nicht daran, darauf einzugehen.

„Als rechtmäßiger Erbe habe ich eine bedeutend bessere Position als du, Straßenkind!“
 

Akim sah von Seth zu Kisara und wieder zurück. Er wusste, sein Herr war streng, verachtend und kalt, doch so hatte er ihn noch nie erlebt. Kisara tat ihm Leid, sie verdiente es nicht, so behandelt zu werden. Kurz entschlossen nahm er das völlig verdutzte Mädchen in seine Arme.

„Mach dir nichts daraus“, meinte er tröstend, „Der ist schon die ganze Zeit so komisch..“

Eigentlich hatte er helfen wollen, doch Kisara stoß ihn gereizt von sich. Er fiel zu Boden. „Lasst doch nicht immer eure Laune an mir aus!“, meckerte er beleidigt und stapfte davon, jede Pflanze rausreißend, an der er vorbei kam.
 

„Glaubst du, ich lasse mich so einfach abservieren?“, Kisara funkelte Seth aus hassvollen Augen an. „Du solltest mich nicht unterschätzen!“ Wütend schloss sie die Augen und legte die Hände zusammen.

„Nicht doch, pass du lieber auf, dass du mich nicht unterschätzt..“, er sah sie bedrohlich an, drehte sich dann zu Mana um, die noch immer nicht verstand, was passierte, und nahm ihre Hand. Gerade als sie sich auf den Weg zurück zum Palast machen wollten, öffnete Kisara ihre Augen, die nun eisblau leuchteten. Hinter ihr erschien der Weiße Drache.

„Ich werde dich nicht einfach an diese Mana verlieren!!“, schrie sie, „Entweder du wählst mich, oder den Tod!“

Seth griff nach seinem Millenniumsstab, starrte den Drachen an. „Dem Tod bin ich schon mehrfach entgangen“, sagte er schlicht, „Das solltest du eigentlich wissen.“

Schrilles Lachen war die Antwort. „Du hattest es noch nie mit mir zu tun! Und ICH weiß, wie man dich schwächen kann!“ Sie grinste böse, hob die Hand. Der Drache folgte ihrer Bewegung, schlug eindrucksvoll mit seinen gigantischen Schwingen. Kisaras Blick lag lastete auf der Priesterschülerin, die grummelnd vor sich hinmurmelte, ihren Stab in der Hand hatte und Kisara verfluchte. „Was bildet die sich eigentlich ein? Einfach zu kämpfen.. Wir haben doch gar nichts gemacht! So ein Drecksstück, Straßenkind passt gar nicht..“

Als der Drache angriff, war Mana nicht bereit ihn abzuwehren. Seth jedoch hatte es kommen sehen und den Angriff mit seinem Stab abgeblockt, noch bevor etwas geschehen konnte. „Kisara!“, rief er sauer, „Damit hilfst du dir kein bisschen!!

Völlig entgeistert starrte Mana zuerst auf den Drachen und dann auf Kisara. „Spinnst du?!“, rief sie empört, wurde jedoch von der Angesprochenen ignoriert.

„Ich will dich nicht an dieses Gör verlieren!!“ Seth zu verlieren, war eine Sache. Doch ihn an jemanden wie Mana zu verlieren, konnte sie nicht ertragen, wollte sie nicht zulassen. Tränen schossen ihr in die Augen, der Drache verschwand. „Verstehst du das nicht...?“

Erbarmungslos sah der Priester sie an. „Und deswegen willst du sie umbringen? Meinst du, das bringt dir was? Bist du völlig bescheuert?!“ Unglauben stand ihm ins Gesicht geschrieben, er schüttelte den Kopf. Niemals würde er ihr das verzeihen. Niemals wieder würde er ihr vertrauen. Mit einem letzten vernichtendem Blick musterte er sie, dann drehte er sich zu Mana um. „Ist bei dir alles in Ordnung?“ Er sah sie besorgt an. Das Mädchen nickte. „Lass uns gehen..“ Geschickt zog er sie auf die Füße. Und ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ließen sie Kisara einfach stehen.
 

Das Mädchen sah ihnen noch hinterher, sowohl traurig als auch wütend zugleich. Wie hatte es nur soweit kommen können? Sie verstand es nicht. Sie wusste nicht, weshalb er sie so hasste. Sie wusste nicht, weshalb zwischen ihnen alles so schief gelaufen war. Es war doch so schön gewesen..

Völliges Vertrauen, Zweisamkeit zwischen Gleichgesinnten. Doch nun.. Kisara seufzte, senkte ihren Kopf.

Hinter ihr ertönten Stimmen, jemand fluchte. Ein junger Mann war über die Pflanzen gefallen, die Akim aus der Erde gezogen hatte. Sie drehte sich zu ihm um, blickte in sein erstauntes und von Staub und Sand bedecktes Gesicht. Er richtete sich auf, kam ihr entgegen. Kisara verdrehte die Augen, Small Talk war das letzte was sie im Augenblick gebrauchen konnte. Sie wollte weg, wollte sich umdrehen und gehen, doch er kam ihr zuvor.

„Warte doch!“, rief er ihr nach, „Vielleicht kannst du mir helfen!“

Das Mädchen blieb stehen.

„Wer seid Ihr?“, fragte sie misstrauisch, und voller Unlust. Er trug kaum mehr als ein paar Tücher, Fetzen fast, die seinen Körper bedecken und ihn vor der heißen Sonne schützten.

Der Mann keuchte, wirkte erschöpft. „Mein Name ist Xerxes“, antwortete er schnell, „Ich bin ein Bote von der libyschen Grenze. Ich habe eine wichtige Nachricht für den Pharao.“ Er musterte sie skeptisch, sein Blick lag auf ihrer weißen Haut. „Du scheinst fremd hier zu sein“, stellte er sachlich fest.

Genervt verdrehte sie ihre blauen Augen, schüttelte den Kopf. „Ägypten ist meine Heimat. Ich weiß nicht, wieso Ihr hier seid, oder wo ihr her kommt, aber ich habe wichtigere Dinge zu tun..“ Sie wollte wirklich nicht mit diesem Fremden diskutieren. Der Tag war auch so schon schlecht genug gelaufen.

„Der Pharao, wie kann ich ihn finden?!“ Beharrlich blieb er an ihrer Seite, ihre unhöfliche Art ignorierend.

Kisara sah ihn an, blieb aber nicht stehen. „Der Palast ist nicht gerade klein, Ihr werdet ihn schon finden..“, genervt blickte sie in die Richtung und wies ihm damit den Weg, „Und wenn Ihr am Hohepriester vorbeikommen solltet, dann fragt ihn, ob er nur an meinem Drachen interessiert war.“

Xerxes blieb stehen, sah sie verwirrt an. „Dein Drache?“ Dieses Mädchen hatte nicht nur eine ungewöhnliche Hautfarbe, sondern auch einen eigenwilligen Sinn für Humor.

Kisara jedoch meinte es ernst, auch wenn er nicht verstand, weshalb sie sich so aufregte. „Mein Ka“, meinte sie patzig und wünschte sich nichts sehnlicher als endlich allein zu sein. Sie hatte wirklich keine Lust mehr auf ihn. Doch er ließ nicht locker, fragte immer weiter. Seufzend erklärte sie es ihm. „Ich beherrsche dieses Monster. So lange, bis es gebannt wird. Ich existiere nur zusammen mit dem Drachen.“ Es ging ihn wirklich nichts an.

„Und wenn er gebannt wird? Was geschieht dann? Stirbst du dann?!“

Das Mädchen nickte nur.

Er sah sie mitfühlend an. „Wer würde ihn dann bannen?“

Langsam reichte es Kisara, sein geheucheltes Mitleid brauchte sie nicht, wollte sie auch nicht haben. Er kannte sie nicht einmal, und doch fragte er sie nach ihrer halben Lebensgeschichte. Ihr Blick schien Bände zu sprechen, jedenfalls begann er sofort sich zu rechtfertigen. Er habe sich nur gefragt, wer so etwas tun würde, wenn er ihr doch dadurch das Leben nähme.

Erneut schüttelte Kisara den Kopf. „Wer den Drachen bannt, der kann ihn kontrollieren..“

Ein unerwartetes Lächeln legte sich auf seine rauen Lippen. Kontrolle über den Drachen? Ohne darauf zu achten, was Kisara denken würde, fragte er, was er wissen wollte. „Wie kann man den Drachen bannen?“

Als Antwort bekam er eine heftige Ohrfeige. „Glaubt nicht, ich sei dumm!“, fauchte sie ungehalten, drehte sich um und stapfte davon. „Ich hätte es wissen müssen!“ Obwohl er sie nicht mehr hören konnte, fluchte sie weiter, „Männer sind doch alle gleich!!“

Nebellabyrinth

Es war ruhig, der Raum, der von schweren steinernen Wänden umsäumt war, wirkte kalt und verlassen. Riesige Berge von Grabschätzen stapelten sich bis unter die Decke. Im Tempel des Anubis war Stille eingekehrt.

Nur eine einzelne Person rührte sich, in all der Anmut, die der Tempel versprühte. Stolz sah er sich um, sein weißes Haar hing schwer mit Ketten beladen herab. Er betrachtete seine Schätze, das Gold, das sich sehr zu seinem Wohlgefallen vor seinen Füßen aufstapelte. Er war sehr stolz und eitel, der König der Diebe.
 

Eine Tage waren vergangen, doch noch immer war Seth auf Kisara äußerst schlecht zu sprechen. Wann immer er sie sah, mied er ihren Blick und auch wenn sie es zu akzeptieren schien, seine Laune sank trotz allem jedes Mal aufs Neue, er war wirklich sauer auf sie.

Mana betrachtete ihn besorgt, während sie neben ihm herlief. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Schuldbewusst sah der Priester sie an, nickte knapp. Er wusste, sie würde nicht locker lassen, er wusste, er konnte ihr nichts vormachen.

„Woran hast du gedacht?“, fragte die Priesterschülerin ihn grinsend und erwartete seine Reaktion, die jedes Mal wenn sie ihm diese Frage stellte, gleich ausfiel. Seth grummelte. „Kisara..“

Mana lächelte ihn an. „Mach dir nichts daraus“, meinte sie aufbauend, „Das war vielleicht nicht die beste Trennung, aber du kommst schon über sie hinweg!“

Doch Seth schüttelte den Kopf. „Darum geht es mir gar nicht“, widersprach er entschieden, „Aber dass sie dich da mit hineingezogen hat, ist unverzeihlich..“ Er spürte ihren bohrenden Blick auf sich, dennoch, seine Meinung stand fest. „Sie wollte dich verletzen um mich zu schwächen“, er sah sie an, „Das ist doch.. feige.“

Das Mädchen sah ihn verwundert an, mit so etwas hatte sie nicht gerechnet, ganz im Gegenteil. Dass er so offen mit ihr sprach, das war wirklich etwas eigenartiges, brachte sie leicht in Verlegenheit. „Mag schon sein..“, flüsterte sie gedankenverloren und sah sich um. Sie waren wirklich ziellos durch die Gänge gewandert, wie sie jetzt feststellte. Kurzentschlossen setzte sie sich auf eine breite Fensterbank und zog ihn neben sich. Sie kicherte. „Du hast auch nicht darauf geachtet, wo wir hingegangen sind, oder?“

Die Frage beantwortete sich von selbst, trotzdem bereute Mana es nicht sie gestellt zu haben. Seths Blick war wirklich einzigartig gewesen, als er erkannte, dass sie Recht hatte. „Das habe ich tatsächlich nicht“, gab er überrascht zu, und setzte sich neben sie.

Es entstand eine ungewöhnliche Stille, die Mana nicht ertragen konnte. Sie war einfach niemand, der lange schwieg und schon gar nicht jetzt. Ihre Gedanken überschlugen sich, die ganze Zeit hatte sie darüber nachgedacht, Seth zu fragen, sich aber nie wirklich getraut, weil sie ihn nicht gleich wieder in Rage bringen wollte. Doch nun, da er selbst angefangen hatte, über das Thema zu sprechen, sah sie ihre Chance gekommen.

„Kisara hat dir ja einiges an den Kopf geworfen..“, meinte sie leise und sah ihn an. Als er nickte, fuhr sie fort, „Stimmten denn die Sachen, die sie gesagt hat?“ Unsicher senkte sie ihren Blick und starrte auf ihren Schoß. Doch nichts geschah, was darauf hindeuten ließ, dass Seth ihr die Frage übel nahm. Sie atmete tief durch.

Eine Weile lang antwortete der Priester nicht, dann jedoch schob er mit einer Hand geschickt ihr Gesicht hoch, sodass sie ihn ansehen musste.

„Was von all dem meinst du?“, fragte er ruhig und sah ihr in die Augen. Schüchtern rutschte Mana auf der Fensterbank hin und her. „Najaa.. vor allem die, die mit mir zu tun haben..“ Inzwischen bereute sie es doch wieder, überhaupt damit angefangen zu haben.

Seth jedoch blieb ruhig, blickte leicht lächelnd nach unten. „Und wenn es so wäre?“

Diese Antwort, die doch keine war, überraschte die Priesterschülerin so sehr, dass sie errötete und noch stärker hin und her rutschte. Sie wagte es nicht, ihn anzusehen. „Ich weiß nicht“, nuschelte sie verlegen, „Fänd ich..“, sie holte tief Luft, „Fänd ich.. sehr.. schön..“

Erleichtert lächelte Seth sie an. „Dann..“, er rutschte dichter an sie heran, „Dann stört dich das auch nicht?“

Und noch bevor Mana lächelnd den Kopf schütteln konnte, spürte sie des Priesters Lippen direkt auf ihren.
 

Stille machte sich breit, verlegene Stille, in der Beide überrascht und berührt zugleich zu Boden sahen, nicht wagten den Anderen anzusehen. Verwirrung herrschte in ihren Köpfen, Mana lächelte und rutschte dabei ein Stück von ihm weg.

Das jedoch brachte Seth endgültig aus der Fassung, verunsichert sah er sie an. Er verstand selbst nicht, was in ihn gefahren war, wieso sie ihn so durcheinander brachte, er verstand es alles nicht. „Habe ich etwas Falsches gemacht?“, fragte er schüchtern, ihre Geste fehldeutend. Mana schüttelte den Kopf. „Nein, das hast du nicht“, wollte sie ihn beruhigen, war sich aber selbst nicht so sicher, „Aber..“, sie zögerte, „Ist das denn wirklich in Ordnung?“ Sie wünschte sich im Augenblick nichts sehnlicher, als dass er zustimmen würde, dass er ihr sagte, dass er nur sie wollte, doch in ihrem Kopf blieben Zweifel. Schließlich war sie nur Priesterschülerin, er jedoch Hohepriester am Hofe des Pharaos.

Ihre Frage hatte Seth noch verunsicherter zurück gelassen. „Wieso sollte es nicht in Ordnung sein? Spricht etwas dagegen?“ Mana zuckte mit den Schultern, ehe sie leise einen Namen flüsterte, „Kisara?“

Erneut missverstand der Priester sie. „Was sollte mit ihr sein? Hast du Angst, dass sie dir etwas antut?“ Sollte es so sein, könnte er es schon verstehen, schließlich hatte Kisara nun schon mehrfach nicht gezögert, sich an Mana zu vergreifen. Er würde es ihr nie verzeihen.

Doch Manas Antwort erfuhr Seth nicht mehr. Denn gerade als sie zum Sprechen angesetzt hatte, zog ein dichter Nebel auf, und ließ sie stocken. „Was.. was ist das?!“, fragte sie entsetzt, der Nebel war ihr nicht geheuer. Weder im Palast noch in der Wüste generell, war ein solcher Nebel gewöhnlich.

Seth sprang auf, den Millenniumsstab in der Hand. Der Nebel wurde dichter, legte sich um alles, was er fand, so auch zwischen Mana und Seth. Es war ganz so, als wollte er sie voneinander trennen, und noch bevor die Beiden es verhindern konnten, war es geschehen.

Verwirrt drehte Mana sich um, sprang ebenfalls von der Fensterbank auf. Sie konnte Seth nicht mehr sehen, sah sich verzweifelt nach ihm um. „Seth?“, fragte sie kleinlaut in die Gänge, tat ein paar Schritte und entfernte sich dabei immer weiter von dem Priester. Der Nebel verdeckte ihr die Sicht, sodass sie kaum noch etwas erkennen konnte. „Seth!“, rief sie erneut, dieses Mal lauter und panischer.

Doch auch ihm ging es nicht anders. Auch er suchte nach ihr, überrascht und verwirrt zugleich, dass sie einfach so von ihm getrennt worden war. Er hörte zwar ihr Rufen, doch es war leise und wirkte gedämpft, obwohl sie nur wenige Schritte von ihm entfernt sein konnte. Die Entfernung zwischen ihnen nahm mit jedem Schritt zu.
 

Ihr langes rotes Haar wehte im Nebel, umspielte dabei ihr lächelndes Gesicht. Der erste Schritt war getan, alles verlief nach Plan. Meira kontrollierte den Nebel, lenkte ihn nach ihrem Gewissen. Die Millenniumskette an ihrem Hals leuchtete. Neben ihr, tief in seine eigenen Gedanken versunken, stand ihr Bruder Cyrus, der ebenfalls den Nebel nach Belieben manipulieren konnte. „Bald ist sie hier..“, flüsterte er ihr zu, und Meira nickte. „Sie kommt immer näher.. der Nebel führt sie.“

Belustigt betrachteten sie Mana, die noch immer durch die Gänge irrte. In der Zwischenzeit hatte sie ihren Stab erscheinen lassen, ein Stab, mit dem sie ihre Magie, die zwar nicht ausgereift, aber dennoch vorhanden war, lenken konnte. Erneut rief sie nach dem Priester.

Meira lachte, und ihre Stimme erschien Mana wie aus dem Nebel, „Was hast du denn?“, sie genoss es, mit dem Mädchen zu spielen, ihre Angst vor dem Unbekannten auszunutzen, während der Nebel sie verhüllte.

„Wer ist da?“, rief Mana erschrocken, versuchte nicht zu zeigen, wie sehr es sie ängstigte, doch es misslang völlig. Sie taumelte ein Stück zurück, hielt den Stab schützend vor sich. Sie wollte einfach nur weg, zurück zu Seth, zurück in seine starken Arme, die ihr noch vor wenigen Augenblicken so viel Wärme gegeben hatten. Meiras Lachen hallte durch den Raum, noch immer zeigte sie sich nicht. Und auch Cyrus war nicht untätig. Während seine Schwester mit dem Mädchen und ihrer Angst spielte, schlich er sich an sie heran, verhüllt durch den Nebel und dadurch unentdeckt.

Genau in dem Moment, als Meira durch den Nebel auf die Priesterschülerin zu ging, und aus dem Schutz des Nebels trat, griff Cyrus nach Manas Stab, und entriss ihn ihr.

„Hey!!“, schrie sie den Nebel an, denn sehen konnte sie Cyrus noch immer nicht, „Gib ihn mir zurück! Sofort!“ Und auch Cyrus trat aus dem Nebel auf sie zu. „Bedaure“, sagte er, ohne viel Mitgefühl, „Den brauchst du doch sowieso nicht, du kannst doch gar nicht damit umgehen.“

Mana zog scharf die Luft ein. Es war wahr, der Stab bereitete ihr tatsächlich einige Probleme, sie hatte noch viel zu lernen, bevor er ihr bedingungslos gehorchte. Doch das zählte jetzt nicht für sie, auch wenn sie ihn nicht fehlerfrei beherrschen konnte, es war dennoch ihrer. „Das stimmt nicht!“, fauchte sie, drehte sich erneut um, und wollte in die Richtung laufen, aus der sie kam. Immer wieder murmelte sie des Priesters Namen vor sich hin. Meira bemerkte es, schnitt Mana den Weg ab. Finster lächelnd sah sie sie an. „Was willst du von ihm? Brauchst du seine Hilfe? Hast du etwa Angst vor uns?“ Sie wusste, dass es stimmte, doch sie wusste auch, wie sehr es Mana quälte zu wissen, dass sie Recht hatte. Sauer blieb das Mädchen stehen. „Was wollt ihr hier?“

Meira ging auf sie zu, legte ihre Arme um ihre Schultern und zog sie so an sich. „Mit dir spielen?“, fragte sie vergnügt und hielt sie fest. Erschrocken versuchte Mana sich aus ihrer Umklammerung zu befreien, keuchte und wand sich. „Lass mich los!“, rief sie verzweifelt, wenn auch ohne Hoffnung.

„Magst du mich etwa nicht?“, fragte Meira lächelnd und sorgte damit dafür, dass Manas Wut noch weiter anstieg. Dieses Lächeln auf dem bleichen Gesicht machte sie rasend, regte sie unendlich auf. Entschieden schüttelte Mana den Kopf. „Natürlich nicht!“ Ihr Blick fiel wieder auf Cyrus, der noch immer ihren Stab in der Hand hielt. „Gib mir meinen Stab wieder!!!“

Meira ließ sie los, beugte sich zu ihr herunter und sah sie an. „Und was willst du damit? Uns Angst machen?“ Belustigt betrachtete sie des Mädchens entsetzten Blick und auch Cyrus schien von ihrer Idee alles andere als begeistert zu sein. „Ich denke, den behalt ich lieber“, meinte er abwesend. Mana wollte unbedingt weg, aber gleichzeitig wollte sie es den beiden auch beweisen, dass sie nicht so hilflos ist, wie sie glaubten.

„Unterschätz mich nicht!“, zickte sie, und klang dabei mutiger als sie sich fühlte, „Ich kann mehr als du glaubst!“ Doch die beiden zeigten sich unberührt. „Und das wäre?“

Die Priesterschülerin blinzelte unsicher. „Das wirst du noch früh genug erfahren“, meinte sie schließlich patzig. Erneutes Lachen der Rothaarigen war die Antwort. „Das ist aber keine besonders schlaue Antwort.“ Sie grinste, als Mana verzweifelt versuchte einen Weg durch den Nebel zu Seth zu finden und dabei ihren Fängen zu entkommen. Meira lief hinter ihr her, lachend. „Du kannst uns nicht entkommen“, flüsterte sie ihr in ihr Ohr, als sie sie erreicht hatte, und ließ Panik in Mana aufsteigen, während sie weiter durch den Nebel lief.
 

Seth lief und lief, Manas Stimme wurde immer deutlicher. Er konnte sich nicht erklären, wo der dichte Nebel auf einmal hergekommen war, doch es bedeutete ganz gewiss nichts Gutes. Eine ungute Ahnung stieg in ihm auf, ließ einen Schauer über seinen Rücken laufen. Ein Schatten seiner Vergangenheit.

Seine Schritte führten ihn weiter durch den Nebel, und je weiter er kam, desto undurchdringlicher wurde er. „Wo bist du?“, rief er in den Nebel, in der Hoffnung, dass sie ihn hörte. Und tatsächlich, sie rief nach ihm. Die Angst in ihrer Stimme war nicht zu überhören, und trieb Seths Schritte an.

Dieser Nebel konnte nur eines bedeuten. Doch er konnte sich jetzt nicht darum kümmern, er musste Mana finden und zwar schnell. Er war sich sicher, dass er fast am Ziel war.
 

Mana versuchte, Meira zu entkommen, doch wohin sie sich auch wendete, immer wieder tauchte sie vor ihr auf. Sie hatte inzwischen die Orientierung im Nebel völlig verloren. Wenn es nicht Meira war, dann stand sie Cyrus gegenüber, der sie mit offenen Armen empfing. „Nicht so schnell, Kleine!“, grinste er sie an. Mana verfiel in Panik. „Ihr sollt mich in Ruhe lassen!“, schluchzte sie, die Tränen unterdrückend. Cyrus hielt sie fest. „Was hast du denn?!“, fragte er, gespielt beleidigt, „Wir haben dir doch gar nichts getan.“ Er grinste böse. „Ihr sollt es auch nicht tun!“, schrie Mana verzweifelt. Sie versuchte sich von ihm wegzustoßen, zitternd stand sie vor ihm. Doch sie konnte den beiden nicht entkommen.

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Seth durchbrach den Nebel mit dem Millenniumsstab und stellte sich Meira und Cyrus entgegen. Doch gegen seine Millenniumskräfte setzte die Tochter des Nebels die Magie der Millenniumskette. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, ehe er hier ankam und so war sie bestens vorbereitet. Die kombinierten Kräfte des Nebels und der Kette standen unter Meiras Kontrolle und sie wusste sie einzusetzen. Sie hüllte den Priester ein und legte Nebelfesseln um seinen Körper. Er konnte sich nicht rühren, war gefangen in ihrem Nebel, noch bevor er mit seinem Stab zum Gegenschlag ansetzen konnte.

Währenddessen hielt Cyrus die zappelnde Mana weiter fest, forderte sie auf, aufzugeben, damit ihr nichts geschah, doch sie weigerte sich ihm zu vertrauen. Sein finsteres Lachen zeigte ihr deutlich, dass er log. „Lasst ihn in Ruhe!“, fauchte sie, doch keine Reaktion folgte, die sie erhoffte.

„Kümmere dich lieber um sich selbst“, schlug Cyrus ihr stattdessen vor, während er auch um sie den Nebelschleier dichter zog um sie damit gefangen zu halten. Mana hustete und strampelte. Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, doch es ging nicht. Noch immer zitterte sie. Ihr Blick fiel auf Seth, all ihre Hoffnung lag in diesem Mann.

Er starrte auf die Kette an Meiras Hals, die Millenniumskette, die niemals in ihren Besitz hätte geraten dürfen. Ohne die Kinder des Nebels wäre die Priesterin Isis wohl noch immer deren Hüterin, und auch ihr Bruder Marik wäre noch am Leben. Und dann, Seth stockte, dann würde wohl auch Manas Herz noch immer ihm gehören.

Schuldbewusst blickte Seth drein. Wenn er genau darüber nachdachte, wusste er nicht genau, ob er den Tod des Priesters bedauerte. Doch Meiras und Cyrus Taten würde er niemals gutheißen, schon gar nicht, dass die Millenniumskette nun in ihren Händen war. Er kontrollierte sich auf seinen Millenniumsstab und richtete ihn gegen den Nebel. Auf diese Weise gelang es ihm, die Fesseln zu lösen, die ihn gefangen hielten. All zu gut schien Meira die Kette noch nicht beherrschen zu können. Gereizt und sauer sah sie ihn an, in ihren Augen funkelte ein bedrohlicher Glanz. „Niemand legt sich mit mir an“, drohte sie leise, doch Seth, ließ sich nicht einschüchtern, sondern richtete den Stab stattdessen gegen Meira, die davon zurückgeschleudert wurde. Sie hatte den Angriff nicht schnell genug kommen sehen. Eine Nebelwolke fing sie auf und verhinderte so ihren Sturz. Doch noch bevor sie sich wieder aufrappeln konnte, wurde sie ein weiteres Mal zurück geschleudert.

Mit hassvollem Blick drehte sich Seth zu Cyrus um, der noch immer Mana in seiner Gewalt hatte. „Jetzt zu dir..“, murmelte er, ehe er den Millenniumsstab aktivierte und Cyrus angriff.

Doch dieser hatte es kommen sehen und war darauf vorbereitet. So einfältig war er nicht. Ohne zu zögern konzentrierte er sich auf den Nebel und zog Mana vor sich. „Du solltest dein Temperament zügeln“, meinte er gelassen, „Sonst wird noch jemand verletzt.. und das willst du doch nicht, oder?“
 

Seths Angriff traf Mana, ohne dass er es noch verhindern konnte. Entsetzt sah er mit an, wie sie nach hinten geworfen wurde, hörte ihren erschrockenen Schrei. Sofort lief er zu ihr, von Gewissensbissen geplagt. Was hatte er nur getan? Er hatte sie auf keinen Fall verletzten wollen. Hätte es kommen sehen müssen, wissen müssen, dass so etwas würde geschehen können. Hinter ihm lachte Meira amüsiert und beeindruckt auf. „Gut gezielt, Priester! Weiter so!“

Doch Seth konnte nicht auf sie achten, all seine Aufmerksamkeit war auf Mana gerichtet. Sie versuchte sich aufzurichten, doch sie brach sofort wieder zusammen. Sie lächelte schwach, als sie in sein ernstes Gesicht blickte. „Ich versteh nicht, wie die das überstehen“, sagte sie leise und grinste leicht.

Doch dem Priester war alles andere als zum Lächeln zumute. Er kniete sich neben sie, sah sie schuldbewusst an. „Mana.. das tut mir so leid..“ Er wusste kaum, was er sagen sollte. Er machte sich unglaublich viele Vorwürfe. Das Mädchen schüttelte den Kopf, lächelte immer noch. „Es ist nicht deine Schuld, hörst du?“

Nicht überzeugt, sah Seth zu Boden. „Ich hätte damit rechnen müssen“, bestand er auf seine Meinung, was wiederum ein Kopfschütteln Manas zur Folge hatte. Sie setzte sich leicht auf, verzog dabei schmerzhaft das Gesicht, sah ihn dann aber wieder lieb an. „Du kannst halt nicht alles wissen“, zwinkerte sie ihm zu, „Also.. kümmer dich um die beiden.. ich kann es nicht, sie haben mir meinen Stab weggenommen..“ Als sie das sagte, sah sie sehr traurig aus, und auch wenn Seth ihren Wunsch erfüllen wollte, so hatte doch etwas anderes zunächst Priorität. Er musste sie hier wegbringen. Und zwar schnell. Doch dafür musste er zunächst einmal an den beiden vorbeikommen, und es sah nicht danach aus, als würden sie sie so einfach gehen lassen. Seth versuchte Mana anzulächeln, scheiterte allerdings daran. Er drückte ihre Hand, ehe er aufstand. „Dafür werden sie bezahlen..“
 

Von Meira und Cyrus war nichts anderes als herzhaftes Gelächter zu hören. „Wie herzzerreißend!“, höhnte Meira, „Sieh mal, Cyrus, ist das nicht niedlich? Sieht ganz so aus, als stünden die beiden sich näher.“

„Das hätte ich wirklich nicht gedacht“, war von Cyrus zu vernehmen, „Ist so ein Verhältnis nicht schlecht fürs Image?!“ Sein Blick ruhte auf Seth, der voller Abscheu zwischen ihm und seiner Schwester hin und her blickte. Er aktivierte seinen Millenniumsstab und zielte auf die beiden.
 

Doch auch Mana hatte Cyrus Worte vernommen. Verwirrt sah sie zu Seth, richtete sich vorsichtig auf. Mit der einen Hand stützte sie sich leicht an der Wand an, mit der anderen hielt sie sich ihren schmerzenden Bauch. „Schlecht.. fürs Image?“ Sie verstand nicht, was Cyrus damit sagen wollte. Doch Meira bot sich sofort an, es ihr zu erklären. „Natürlich, Kleine..“ Sie lächelte boshaft, „Meinst du ein Hohepriester kann es leisten, mit einem kleinen Mädchen etwas anzufangen?“

Ihre Worte waren wie ein Stich in Manas Herz. Unsicher schaute sie Meira an, blickte vorsichtig und kurz zu Seth und schüttelte den Kopf. „Du lügst!“ Die Rothaarige grinste finster, „Meinst du wirklich?

Mana wankte. Zitternd sah sie zu Boden. Sie durfte ihr nicht glauben. Doch ihre Worte wiederholten sich endlos in ihrem Kopf. Ein Hohepriester konnte es sich nicht leisten etwas mit einem Mädchen anzufangen.. Entschieden schüttelte sie den Kopf, wollte die Gedanken daraus vertreiben.

Meira lächelte. „Du wirst es ja sehen. Spätestens dann, wenn er dich abserviert hat, wirst du wissen, dass ich dir die Wahrheit gesagt habe.“

„Das stimmt nicht..“, sagte die Priesterschülerin ganz leise, doch sie wusste nicht, ob sie es auch selbst glauben konnte. Sein Image.. „Aber..“, Mana blickte verzweifelt auf, „Er war doch auch.. mit Kisara…“

Doch Meira ließ nicht locker, im Gegenteil. Sie hatte Spaß an dieser Unterhaltung, besonders weil sie Mana so quälte. „Kisara, ja?“, sie grinste, „Das Mädchen hatte den Drachen“, erklärte sie trocken und genoss jedes ihrer Worte, „Was hast du ihm zu bieten?“

Mana sackte in sich zusammen. Sie ließ Meira zwar nicht aus den Augen, doch widersprechen konnte sie ihr nicht mehr. Nein. Sie hatte ihm nichts zu bieten. Schmerzhaft verzog sie das Gesicht und schluchzte leise. Sie konnte kaum die Tränen zurückhalten.

„Ich sage ja, warte darauf, bis er dich abserviert, es ist nur eine Frage der Zeit.“ Meiras Lächeln machte Mana wahnsinnig. Sie wollte ihr nicht glauben, wusste aber nicht, ob sie es nicht doch tat. Trotzdem. Sie musste sich zusammenreißen und so stand sie, auch wenn es ihr schwerfiel wieder auf, wischte sich die Tränen weg und hielt sich den Bauch. Sie sah Meira böse an. „Du hast doch keine Ahnung!“, fauchte sie entschieden, „Vielleicht wird das passieren, aber dieser Tag ist noch nicht Heute!“ Sie wollte auch gar nicht darüber nachdenken.
 

„Bist du dir ganz sicher?!“ Cyrus stellte sich Seth entgegen. Er lächelte, sein Blick lag auf dem Millenniumsstab. „Hast du an die Folgen gedacht?“

Der Priester erschrak, brach seinen Angriff sofort ab. Cyrus Gelächter war blanker Hohn in seinen Ohren, natürlich hatte er das provozieren wollen. Regungslos starrte Seth vor sich hin. Es konnte nicht sein. Er musste ihn angreifen, aber er konnte es nicht. Er hörte auch nicht, was Meira sagte, alles was er hörte, war Cyrus, der, noch immer lachend, wieder dichter an Mana herantrat. Seth war total entsetzt. Er verstand nicht, weshalb er nicht angreifen konnte, er wusste, dass er ihnen dadurch in die Hände spielte, doch er konnte einfach nicht. Ein einziger Gedanke setzte sich in seinem Kopf fest. Er musste Mana fortschaffen, irgendwie musste er es schaffen.

Als sie plötzlich neben ihm stand, gelang es ihm kaum zu verbergen, wie verunsichert er war. „Und? Wie lautet der Plan?“, sie erschien zuversichtlicher als sie war. Seth schüttelte leicht den Kopf. „Augen zu und durch?“ Er versuchte dabei witzig zu klingen, was ihm jedoch nicht so ganz gelang. Nun, da sie direkt neben ihm stand, war die Wahrscheinlichkeit, dass Cyrus sie angriff noch viel höher als zuvor.

Mana sah ihn skeptisch an, seine Unsicherheit konnte ihr nicht verborgen bleiben. Sie nickte zustimmend. „Und ohne Rücksicht auf Verluste! Dieses Mal lassen wir sie nicht entkommen, klar?!“ Sie lächelte ihn lieb und ernst an. Sie konnte seine Gedanken förmlich lesen. „Auch ohne Rücksicht auf mich oder den Palast!“, setzte sie entschlossen hinzu.

Seth sah sie nicht an. Der Palast war ihm egal, doch sie war es nicht. Er musste die Nebelgeschwister nur angreifen, seiner Millenniumsmagie waren sie nicht gewachsen, wenn sie sich nicht hinter ihrem Nebel versteckten. Doch er musste sie angreifen. Erneut aktivierte er seinen Stab, zögerte.

Meira lachte auf. „Meinst du das klappt dieses Mal?!“ Es war nur allzu deutlich, dass sie nicht daran glaubte. Auch Cyrus sah es nicht anders, zweifelte an des Priesters Willensstärke und dessen Mut. Seine Schwester anlächelnd, ließ er dichteren Nebel aufziehen. Sie konnten kaum noch etwas sehen, angestrengt versuchte Mana eine Veränderung wahrzunehmen. Seth wollte die Schmach nicht auf sich sitzen lassen, grummelnd konzentrierte er sich auf seinen Stab und griff Meira an. Mit Genugtuung beobachtete er, wie sie schwer getroffen in die Ecke geschleudert wurde und am Boden liegenblieb. „Ja, das klappt!“

Mana jubelte, hüpfte trotz ihrer Schmerzen auf und ab. Cyrus war erschrocken zu sehen, dass seine Schwester nicht wieder aufstand. „Das wirst du bereuen!“, schrie er und ließ den Nebel dichter werden. Einen Teil davon legte er um Meira, aus dem Rest formte er Kugeln, die in seinen Händen rot leuchteten. Er bewarf Seth damit, der jedoch rechtzeitig auswich.

Er sah der Kugel hinterher. Feuer? Der Nebel brannte? Er musste zugeben, er hatte Cyrus unterschätzt, doch das hielt ihn jetzt nicht auf. Immer wieder wich er den Geschossen aus, einige wehrte er mit dem Millenniumsstab ab, andere folgen einfach vorbei. Cyrus war sauer, schleuderte ohne Unterlass weitere Feuerkugeln. Einer der Vorhänge, die vor dem Fenster hingen, fing Feuer, es breitete sich immer weiter aus. Seth wusste, dass er handeln musste, doch Cyrus griff in einem Tempo an, das ihm lediglich Zeit zum Ausweichen ließ, nicht jedoch zum Gegenschlag.

Auch Mana musste einigen Kugeln ausweichen, sie konnte im Nebel kaum etwas erkennen. Hoffentlich passierte Seth nichts, dachte sie, beruhigte sich aber mit dem Gedanken, dass er sich zur Wehr setzen konnte. Sie erschrak, als sie erkannte, dass sie es nicht konnte, denn noch immer war ihr Stab verschwunden. Doch zu ihrem Glück griff Cyrus stumpf den Priester an, bis er ihn schließlich traf. Ein leichter Aufschrei zog sich durch den Raum, Seth humpelte. Er hatte die Kugel direkt gegen sein Bein gekriegt, das Feuer mit Mühe aber wieder ausgeklopft. Doch dadurch, dass er die Kugel gespürt hatte, wurde ihm bewusst, dass es sich bei ihnen um mehr als bloße Flammen handeln musste. Er zwang sich, den stechenden Schmerz zu ignorieren, zwang seine Augen durch den dichten Nebel und den dichter werdenden Rauch hindurch zu sehen. Mana hustete. „Bring dich in Sicherheit!“, rief er ihr zu, konzentrierte sich erneut, während er einer weiteren Kugel auswich und griff Cyrus an. Der jedoch konnte den Angriff gerade so abwehren. Er hatte Seths Worte gehört und fing nun an wie irre zu lachen. Seinen nächsten Angriff richtete er nicht auf den Priester, sondern auf Mana. Hustend und orientierungslos stolperte sie durch den Raum, fiel zu Boden, noch bevor die Kugel sie hatte treffen können. Erschrocken verschränkte sie ihre Hände vor ihrem Gesicht, zog sich voller Angst zusammen, machte sich so klein sie konnte. Sie konnte sich nicht wehren, sie wusste es, Seth wusste es und auch Cyrus wusste es. Und er nutzte seine Gelegenheit, griff sie immer wieder an.

Seth konnte nur hoffen, dass er sie nicht traf, während er selbst Cyrus ohne Unterlass angriff. Die Schmerzen, die er selbst dabei verspürte, unterdrückte er so gut es ging.

Cyrus war stark, doch mehrere Angriffe mit dem Millenniumsstab konnte auch er nicht überstehen. Er sank neben seiner Schwester zu Boden. „Das werdet ihr bezahlen..“, drohte er, zog den Nebel um sich und Meira dichter, legte einen Arm um sie und verschwand.

Stur

Keuchend und schwer atmend setzte Mana sich auf, immer wieder hustend. Sie saß direkt neben dem brennenden Vorhang, musterte die Gegend. Es war kaum zu glauben, wie schnell sich dieser Ort in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Der Rauch brannte in ihren Augen, ließ sie tränen. Sie sah erst auf, als sie Seth neben sich stehen sah, der sich zu ihr herunterbeugte und sie förmlich vom Boden aufhob. „Du musst hier weg!“, drängte er, und ignorierte dabei weiterhin den Schmerz in seinem Bein.

Mana sah ihn fragend an, hielt sich an ihm fest. „Warum muss ich hier weg?“, fragte sie einfältig, „Du wurdest doch auch getroffen!“ Sie war eindeutig besorgt, doch der Priester winkte ab. Sie sollte sich keine Gedanken um ihn machen. Er zeigte auf den Vorhang. „Es kann sein, dass hier gleich alles in Flammen steht, wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Auch wenn Cyrus und Meira geflohen waren, ihr Chaos herrschte hier noch immer.

Die Priesterschülerin fühlte sich wohl in Seths Armen, auch wenn die Situation alles andere als entspannt war. Trotzdem, seine Nähe brachte ihr eine ungeahnte Fröhlichkeit. „Ach, so ein bisschen Feuer“, sagte sie lässig, „Das macht mir doch nichts aus. Allerdings“, wieder hustete sie, „Solltest du es wirklich stoppen.“ Als sie dies jedoch sagte, legte sich ein trauriger Glanz in ihre Augen. „Ich kann dir keine allzu große Hilfe mehr sein..“ Meiras Worte klangen in ihren Ohren. Nun hatte sie ihm noch weniger zu bieten. Sie schüttelte schwach den Kopf.

Seth sah sie irritiert an. „Natürlich kannst du das!“, wiedersprach er, und setzte sie ab. „Würdest du die Tür öffnen?“ Natürlich konnte er es auch selbst tun, doch er wollte sein verletztes Bein so wenig wie möglich belasten. Verwirrt blinzelte das Mädchen ihn an, öffnete jedoch trotzdem die Tür. Ihr Blick fiel auf sein Bein. „Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte sie skeptisch. „Ich bin mir nicht allzu sicher“, antwortete er beiläufig, während er seine Konzentration auf den Stab richtete und dadurch draußen Sand aufwirbelte, den er auf das Feuer schleuderte, damit die Flammen erstickten. „Ich habe mal eben die Wüste ins Haus geholt“, erklärte er sachlich und stolz auf seine Leistung. Mana sah ihn erst erschrocken an, find dann aber an zu lachen. „Wie toll!“, rief sie, ehrlich beeindruckt. Sie sah sich im Raum um. „Meinst du, der Pharao sollte hiervon erfahren?“, fragte sie grinsend. Sie wusste genau, was Seth von Atemu hielt und auch sie wollte ihre Zeit nun nicht mit ihm verbringen.

Seth betrachtete noch immer sein Werk. „Der macht doch eh nichts“, meinte er abwertend, „Wegen so ein bisschen Sand, sollten wir ihn nicht aus seiner heilen Welt reißen.“ Seine Antwort war ganz so, wie Mana es erwartet hatte. „Gut“, sagte sie, und ihre Stimme wurde wieder ernster. „Dann müssen wir dich erst einmal verarzten.“

Das wiederum war überhaupt nicht in Seths Sinne. Er wollte nicht so viel Aufmerksamkeit darauf lenken. Doch das Mädchen verschränkte die Arme, betrachtete skeptisch sein Bein. „Tut dir das nicht weh?!“ Mana konnte kaum glauben, wie gleichgültig ihm das war. Glaubte er denn, dass er so stark sein musste, dass er über alle Verletzungen erhaben war? Das war doch Unsinn.

Doch Seth ging nicht auf ihr Drängen ein. „Das ist gleich wieder gut“, meinte er und brachte Mana damit fast zur Verzweiflung.

„Gleich?“, sie sah ihn grummelnd an, allen Respekt vergessend, der einem Hohepriester gebührte. „Vielleicht ist das ja etwas ganz schlimmes?!“, fuhr sie fort, „Du hast ja nicht einmal nachgeschaut! Aber du musst ja so tun, als würde es dich nicht interessieren!“

„Hätte ich mich vielleicht darum kümmern sollen?“, konterte der Priester skeptisch, „Dann wären wir beide nun vermutlich gegrillt.“ Das konnte schließlich auch nicht das sein, was das Mädchen wollte. Und tatsächlich. Mana blinzelte kurz verwirrt und sah dann leicht beschämt zu Boden. „ist ja gut“, meinte sie nachgebend, „Danke für deine Hilfe..“

Seth winkte ab. Vielleicht war er stur, doch Mana war nicht weniger stur. Und auch an ihrer Argumentation war einiges stichhaltig. Er sah sich sein Bein an, und blickte auf eine klaffende Wunde, die er selbst gar nicht so wahrgenommen hatte.

„Das war kein gewöhnliches Feuer..“, sprach er schließlich murmelnd, „Da war noch etwas in der Kugel..“

Mana sah ihn alarmierend an, immer wieder auf sein Bein schielend, „Und was meinst du, was das war?“

Zu ihrer Enttäuschung wusste er es nicht, schüttelte nur nachdenklich den Kopf. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, gab er zu, „Es war ziemlich kalt.. Wenn man beachtet das es Feuer war..“

Die Priesterschülerin betrachtete ihn besorgt, überhäufte ihn dann mit Fragen. Ob es noch sehr weh tat, ob es brannte oder doch eher zog, ob sie es kühlen oder wärmen sollten oder vielleicht beides? Sie redete so schnell, dass sie fast das Atmen vergaß und erschöpft Luft holen musste.

Seth hielt ihr kurz den Mund zu um sie zu stoppen. Er brauchte nun niemanden, der vor Panik durchdrehte, so schlimm war es nun wirklich nicht. „Eigentlich ist das ein ganz merkwürdiges Gefühl“, sagte er, mehr zu sich selbst als zu Mana, „Als würde .. irgendetwas.. darauf sitzen.. oder so..“ Es war schwer zu beschreiben. Er fasste auf die Stelle, merkte erst jetzt wie stark es blutete. „Aber da ist nichts.. vielleicht liegt es daran, dass es so pocht..“

Mana sah ihn ernst an. All das gefiel ihr gar nicht, sie packte seinen Arm, zog ihn vorsichtig hinter sich her. Sie hatten schon genug zeit vergeudet, es musste endlich etwas getan werden. Dagegen musste es doch etwas geben, irgendetwas, das Seth helfen konnte. Er folgte ihr ohne Widerworte. Obwohl jeder Schritt schmerzvoller wurde, ließ er sich nichts anmerken. „Wo willst du denn hin?“, fragte er stattdessen.

„In mein Zimmer“, antwortete Mana, kurzangebunden und zickig. „Dann wirst du verarztet! Ich habe noch Verbände vom Unterricht mit Mahado!“

Mahado hatte Mana unterrichtet, sie, solange er noch konnte, in die Kunst der Magie eingeführt. Er war ihr Mentor gewesen und hatte eine Priesterin aus ihr machen wollen. Doch er hatte sein Werk nicht vollenden können. Viel zu früh war er in einem Kampf gefallen, hatte Mana mitten in ihrer Ausbildung allein zurückgelassen. Damit sie sie dennoch beenden konnte, hatte Seth sich ihrer angenommen.
 

Seth sah leicht skeptisch zu ihr. „Und du glaubst, das bringt etwas?“ Er konnte es sich nicht vorstellen, einfache Tücher konnten keine Magie vertreiben. „Wenigsten verblutest du dann nicht!“, behaarte Mana und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Sie lächelte leicht verlegen. Im ganzen Raum lagen Papyrusrollen verteilt. „Ich.. hab nicht aufgeräumt.“

Ich? Verbluten? Seth lächelte leichtkopfschüttelnd, blieb aber lieber bei ihrem Zimmer als Thema, wollte sie beschwichtigen ohne sie damit aufzuziehen. Er betrachtete ihr Chaos, wusste kaum, wo er hintreten sollte. „Ist doch nicht so schlimm mit dem Aufräumen..“ Er musste darauf achten, nicht zu stolpern und ihre Aufzeichnungen nicht mit seinem Blut unleserlich zu machen.

„Doofe Lernerei“, versuchte Mana sich zu rechtfertigen, packte geschickt nach ein paar der Rollen, stapelte sie auf dem Tisch, der in der Ecke stand, und schmiss dann einige Kissen zurück auf ihr Bett. Ernst und besorgt beobachtete sie die rote Flüssigkeit, die sich langsam ihren Weg an des Priesters Unterschenkel suchte. Du verblutest schon nicht.. Nein.. Mana sah ihn kurz beleidigt an, fasste sich dann aber wieder. „Setze dich aufs Bett“, sagte sie bestimmend, „ich hole die Verbände.“

Sogleich durchwühlte sie alles, was auf ihrem kleinen Holztisch lag, nach den Binden. Einige der Rollen, die sie soeben erst dort abgelegt hatte, fielen wieder zu Boden.

Seth gehorchte. Er wollte es nicht zugeben, doch sein Zustand verschlimmerte sich Zusehens. Viel Blut hatte er nun schon verloren, ihm war leicht schwindlig, so dass er kurz die Augen schloss. Er öffnete sie erst, als er einen kalten Lappen auf seinem Bein spürte, mit dem Mana konzentriert versuchte, seine Wunde zu säubern. Es brannte, doch viel mehr machte dem Priester der anhaltende Schwindel zu schaffen. Nebelmagie.., dachte er, sie wird mich wohl auf ewig verfolgen..

Erneut schloss er die Augen. Unterdessen hatte Mana begonnen sein Bein in feste Verbände zu wickeln. „Bist du sicher, dass alles okay ist?“, fragte sie ernst, als sie in sein Gesicht blickte. Er war kreidebleich.

„Mir ist nur etwas schwindlig“, antwortete er matt, versuchte sich zusammenzureißen. Doch Mana ließ sich nicht beirren. Entschlossen stand sie auf und drückte ihn in die Kissen. „Dann leg dich hin!“, sagte sie, fast gebieterisch, „Es ist vielleicht nicht so ein tolles Bett wie deines, aber ich werde dich nicht durch den ganzen Palast schleppen.“

Seth lächelte daraufhin. Nichts anderes hatte er von ihr erwartet. „Das musst du auch nicht“, erwiderte er. Für ihn war es eine Erleichterung zu liegen und der Verband tat sein Übriges.

Die Priesterschülerin setzte sich neben ihn, legte ihren Kopf schief. „Willst du etwas trinken? Essen? Soll ich bei dir bleiben, oder willst du schlafen?“ Erneut bombardierte sie ihn mit Fragen. Doch Seth wollte weder essen noch trinken. Er lächelte sie an. „Gehst du weg, falls ich einschlafe?“

Auch auf Manas Lippen legte sich ein leichtes, wenn auch unsicheres Lächeln. „Soll ich?“, fragte sie schüchtern, „Ich kann auch auf dich aufpassen..“ Ihre Stimme wurde immer leiser. Der Priester griff ungeschickt nach ihrer Hand. Er fühlte sich unglaublich schwach. „Bleib hier..“

Sie beugte sich leicht zu ihm herunter. Besorgnis stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie ihn vorsichtig küsste. „Du solltest schlafen“, meinte sie schließlich augenzwinkernd, „Rettungsaktionen sind anstrengend.“
 

Ein einziger Treffer hatte ausgereicht um ihn so sehr zu schwächen. Seth selbst konnte es nicht verstehen. Er ließ sich tiefer in die Kissen sinken, hielt noch immer Manas Hand. Sie lag leicht angekuschelt neben ihm, hielt ihn fest.

„Du verlässt mich doch nicht, oder?“, fragte sie ängstlich, „Du schaffst das doch, nicht wahr?“

Ihre Frage irritierte Seth. Er lächelte sie ausdruckslos an. „Meinst du wirklich, die kriegen mich klein? Mach dir keine Sorgen, es geht mir bald wieder gut..“

Er hatte sie aufbauen wollen, doch das Gegenteil trat ein. „Und wann ist dieses ‚bald‘?!“

Mana hatte schon oft einen nahestehenden Menschen verloren. Ihren Vater hatte sie kaum in Erinnerung und ihre Mutter war früh gestorben. Auch der Verlust der Priester Mahado und Marik, der gemeinsam mit seiner Schwester Isis verschwunden war, hatte sie gezeichnet. Seth konnte ihre Angst verstehen, doch ihre Sorge war unbegründet. „Ehrlich“, flüsterte er und strich ihr sanft über die Wange, „Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Mach ich mir aber!“, widersprach Mana stur und drückte ihr Gesicht leicht gegen seine Hand. „So kenne ich dich gar nicht.“

Seth stockte kurz, lächelte traurig. „Es tut mir Leid“, meinte er ehrlich, „Nachdem ich dich sogar angegriffen habe, falle ich dir nun auch noch zur Last..“ Er richtete sich mühsam auf.

Völlig entgeistert und empört drückte Mana ihn zurück in die Kissen. „Du bleibst hier! Ich habe doch schon komplett vergessen, dass du mich angegriffen hast!“ Schuldbewusst legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Die Schmerzen hatte sie gewiss nicht vergessen. Aber sie wollte nicht, dass er deswegen ein schlechtes Gewissen hatte. „Außerdem kannst du da nichts für!“, fuhr sie entschlossen fort, und sah ihn an, als sei das Thema damit für sie beendet.

Nicht so jedoch für Seth. Er wusste, dass er sie angegriffen hatte, ob beabsichtigt oder nicht, er hatte es getan. Und genau aus diesem Grund konnte er es nicht einfach so abtun. „Bist du verletzt?“, fragte er und erntete damit nichts weiter als ein Schulterzucken. „Keine Ahnung..?“

Mana sah an sich herunter, erkannte Blut an ihrem Kleid. Widerwillig schaute sie wieder hoch, grinste verlegen und antwortete erneut. „Nein, bin ich nicht.“

Doch Seth war nicht überzeugt. Er war ihrem Blick gefolgt und auch ihm war der rote Fleck nicht entgangen. „Und was ist das?“

„Ein Kratzer?“, schloss Mana voreilig, „Ich weiß es nicht, ich habe doch nicht nachgeschaut!“ Sie sah ihn fragend an. „Aber sei stolz auf mich“, fügte sie schließlich hinzu, „Ich habe deinen Angriff ganz schön gut weggesteckt!“

Wenn sie damit die Stimmung hatte auflockern wollen, dann war es gründlich misslungen. Seth betrachtete sie besorgt und schuldig, „Dann sollten wir aber dringend nachschauen“, sagte er leise, „Vielleicht ist es etwas ernstes?“ Er ignorierte das wieder stärker werdende Schwindelgefühl, und sah sie auffordernd an. „Also..“, setzte er an und sah ihr dabei direkt in ihre strahlenden Augen, „Zeig her!“

Vertrauen

„Spinnst du?!“ Mana sah ihn ungläubig und schockiert an. Er musste doch wissen, was es für sie bedeutete ihm ihren Bauch zu zeigen. Da konnte sie sich ja gleich ganz ausziehen. Mit hochrotem Kopf starrte sie ihn an. Der Priester grinste leicht. „Nun komm schon“, meinte er beiläufig, „Da ist dich nichts dabei. Wir müssen doch herausfinden, wie schwer du eigentlich verletzt bist.“ Genau genommen war es schon sehr verwunderlich, dass sie den Angriff einfach so weggesteckt hatte.

Sie schüttelte den Kopf, sah verlegen zu Boden, mied seinen Blick. „Das.. das geht doch nicht.. Du willst das doch nur ausnutzen..“ Sie nuschelte sehr und so war es schwer ihre Worte zu verstehen. Doch Seth hatte sie verstanden, lächelte nur sanft. „Wie sollte ich das ausnutzen?“

Mana fielen hierzu viele Dinge ein, sie kniff ihre grünen Augen zusammen. Es ist nur Seth, versuchte sie sich einzureden. Gleichzeitig protestierte etwas in ihr. Was hieß hier nur? Völlig durcheinander und verwirrt hielt sie ihr Gewand fest, kämpfte mit sich um die richtige Entscheidung.

„Soll ich mich lieber umdrehen?“, fragte Seth aufmerksam, versuchte ihr damit entgegen zu kommen und als Mana zur Antwort ganz stark nickte, legte der Hohepriester theatralisch die Hände vor seine Augen und kehrte ihr den Rücken zu. Selbst Mana musste grinsen, sie zog sich schnell aus, warf dabei ihr Gewand über Seths Kopf um zu verhindern, dass er doch hinsah. Dann wollte sie eigentlich ihren bauch untersuchen, doch stattdessen krabbelte sie so schnell sie konnte unter die Kissen und zog sich die Decke über den Kopf.

Der Priester versuchte mit aller Macht das Gewand zu ignorieren, doch es irritierte ihn dermaßen, dass er kaum klar denken konnte. Ihr Duft war in jede Faser des Stoffes eingewebt und ließ ihm fast die Sinne schwinden. Er achtete weiterhin darauf, nicht die Augen zu öffnen, richtete dann das Wort wieder an sie. „Und? Wie sieht es aus?“

Von Mana war nur ein Quieken zu vernehmen. „Weiß nicht“, kicherte sie, und ihre Stimme klang gedämpft durch die Decke, „Ich habe nicht nachgeschaut.“ Ein liebgemeintes Lachen entwich dem Priester. „Das solltest du aber“, meinte er amüsiert, „Oder soll ich nachsehen?“

Mana überlegte kurz, zermarterte sich das Gehirn. Sie schwankte, wollte nicht, dass er sie so sah, wusste aber auch, dass sie sich selbst niemals würde behandeln können. Und außerdem war es Seth. Ihm vertraute sie doch? Nach langem Zögern stimmte sie schließlich zu. Der Priester machte sich einen Spaß daraus, sie aufzuziehen. „Du bist dir auch ganz sicher?“, fragte er grinsend und hinterhältig, „Weißt du, dazu muss ich nämlich die Augen aufmachen!“

„Verarsch mich nicht!“, zickte Mana ihn an, „Mach oder ich über leg es mir anders!“ Grummelnd zog sie die Decke ein Stück herunter, sodass ihr leuchtender Kopf zum Vorschein kam. „So schlimm sieht das gar nicht aus..“, meinte sie schließlich murrend.

Das Gewand vom Kopf nehmend, drehte Seth sich wieder um, sah das Mädchen an, konnte aber natürlich nichts erkennen, da sie noch immer von der Decke verdeckt wurde. Mana musste seine Gedanken erraten haben. Mühsam versuchte sie die Decke so hinzuschieben, dass ihr Bauch und damit die Schnitte, die dort waren, nicht mehr verdeckt waren, doch es misslang ihr gründlich. Grummelnd legte sie die Arme über die Brust, schlug die Beine übereinander und kniff die Augen zusammen, bevor sie Seth die Decke wegziehen ließ. Er sah sie, noch immer lächelnd, an. „Entspann dich“, sagte er sanft, und griff nach einem sauberen, feuchten Tuch, „Ich will dich nicht fressen.“ Geschickt säuberte er ihre Wunden, die Schnitte schienen nicht tief zu sein, und es blutete kaum. Sie war doch härter im nehmen, als er gedacht hätte.

Mana verzog schmerzvoll das Gesicht. „Das breeennt!!!“, wimmerte sie, biss aber die Zähne zusammen. Es sollte sich schließlich nicht entzünden, sie wusste, dass sie es aussitzen musste.

„Es scheint wirklich nur geschnitten zu sein“, murmelte Seth abwesend und tastete vorsichtig ihren Bauch ab. Mana nickte, seine Berührungen verunsicherten sie total, dennoch war sie nun ruhiger als zuvor. „Was hast du denn gedacht?“, fragte sie verwirrt und der Priester seufzte.

„Millenniumsmagie ist nicht gerade schwach“, erklärte er und fühlte sich wieder schuldig, sein schlechtes gewissen machte ihm wirklich zu schaffen. „Und ich habe mit voller Kraft angegriffen.

Mana sah ihn ernst an, das Thema hatten sie schon einmal gehabt. „Hey!“, maulte sie und legte ihren Kopf schief, „Mir ist aber nichts weiter passiert, okay?“ Warum eigentlich? Warum war ihr nichts passiert, wenn er doch entschlossen gekämpft hatte? Sie verstand es nicht, und sie las in seinem Gesicht, dass auch er es nicht verstand. Ein Grinsen legte sich auf ihre Lippen. Es konnte nur eine Erklärung geben.

„Vielleicht seid Ihr einfach zu schwach, Hohepriester!“
 

Sie wusste genau, dass sie Seth damit herausforderte, sie legte es darauf an. Der Angesprochenen musterte sie zunächst skeptisch, sah sie schließlich ebenfalls grimmig lächelnd an.

„Ist das so?“, fragte er und in seiner Stimme lag etwas Bedrohliches. Mana zog erneut an der Decke, sah ihn herausfordernd und breit grinsend an. „Na ja, es ist möglich, oder?“, sie achtete sorgfältig auf ihre Worte. „Wenn Ihr nicht einmal eine Priesterschülerin beseitigen könnte..“ Sie streckte stolz ihre Nase in die Luft, sah dabei aus, als würde sie gleich eine Bombe platzen lassen wollen, und tatsächlich. „Vielleicht bin ich einfach über Eurem Niveau!“

Ihre Unterstellung hatte eindeutig die gewünschte Wirkung. Seth baute sich neben ihr auf, setze sich schließlich zu ihr. Finster grinsend, aber ernst, blickte er sie an. „Sei froh, dass dir nichts passiert ist, ich hätte dich genauso gut in Fetzen reißen können“, meinte er sachlich und traf damit die Wahrheit wohl eher als sie. Kichernd drehte Mana sich von ihm weg. „Vielleicht“, gab sie zu, ließ aber deutlich vernehmen, dass sie ihm kein Wort glaubte.

Er schüttelte den Kopf. „Nicht vielleicht, auf alle Fälle!“, meinte er entschlossen, drehte ihren Kopf wieder in seine Richtung und sah ihr grimmig direkt in die Augen. „Willst du mir etwa widersprechen?“

Verunsichert sah Mana zu ihm hoch, es gefiel ihr nicht, wenn er so ernst war. „Und wenn es so wäre?“, fragte sie schüchtern.

„Das überlege ich mir noch“, meinte er drohend, wandte dann aber den Blick kurz von ihr ab. Er musste sich mir den Händen an Bett abstützen, hatte fast vergessen, dass auch er verletzt war.

Besorgt und verwirrt versuchte Mana seinen Blick wieder auf sich zu lenken. „Ist alles in Ordnung?“

Der Priester nickte, atmete tief durch, und fasste sich dann wieder. Das stärker gewordene Schwindelgefühl hatte wieder nachgelassen und so wollte er sie auf keinen Fall unnötig beunruhigen. „Du glaubst also, ich bin schwach“, sprach er, und lenkte damit die Aufmerksamkeit wieder von sich ab. Er richtete sich auf, sah Mana herausfordernd und entschlossen an. „Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen!“

Und noch bevor sie sich dagegen wehren oder auch nur protestieren konnte, hatte Seth seine Hände unter die Decke geschoben und angefangen sie zu kitzeln. Erschrocken fuhr Mana zusammen, strampelte und meckerte lachend. Dass die Decke dabei zu Boden fiel, beachtete sie gar nicht. Sie lachte. Sie war so unglaublich kitzlig, dass sie gar keine andere Wahl hatte. „Heeeeeeyy!“, rief sie, um sich schlagend, „Lass das!“

Seth dachte nicht daran auf sie zu hören, folterte sie weiter, grinsend. Es gefiel ihm, wie Mana lachte, auch wenn er sie förmlich dazu zwang. Immer näher beugte er sich zu ihr herunter, war schließlich genau über ihr.

„Ich soll das lassen?“, wiederholte er sie und hielt für einen Moment inne. Mana nickte gequält und völlig außer Atem. Sie sah ihn traurig an, doch er wusste, dass diese Traurigkeit nur gespielt war. „Dann musst du zugeben, dass ich nicht schwach bin“, sagte er bestimmend und zog sie lächelnd an sich. Mana ließ es geschehen.

„Ein bisschen schwach?“, setzte sie an, doch der Hohepriester schüttelte den Kopf. „Gar nicht schwach“, sagte er hochmütig.
 

Ironisch lächelnd blickte die Priesterschülerin ihn an, kuschelte sich an ihn. Sie zitterte, wie er sofort feststellte und ihr brannte die Frage unter den Nägeln. „Kalt hier, oder?“ Sie blinzelte ihn an, blickte in sein frech grinsendes Gesicht. „Dir ist kalt?“, fragte er leicht spöttisch, „Ist doch kein Wunder, so wie du hier herumläufst.“ Er hielt sie mit einer Hand im Arm, mit der anderen griff er nach der Decke und legte sie ihr über die Schultern.

Mana wurde auf einen Schlag knallrot, vergrub panisch ihren Kopf in seinem Gewand. In all dem Eifer hatte sie völlig vergessen, dass sie sich hatte entkleiden müssen. Nun wurde es ihr schlagartig wieder bewusst. Vor Scham wäre sie am liebsten im Boden versunken. Stattdessen drückte sie sich nun an Seth, vermied es, ihn anzusehen.

Seth strich ihr über den Kopf, lächelnd. Er war ruhig geworden. „Du brauchst dich nicht zu verstecken“, flüsterte er leise.

Mana blinzelte verwirrt, sah aber nicht auf. „Ach nein?“ Ihre Stimme war schriller als sie es beabsichtigt hatte, doch Seth störte sich nicht daran.

„Nein“, antwortete er und wollte wieder anfangen sie zu kitzel, damit sie sich nicht so verkroch. Doch Mana schrie prustend auf, wirbelte herum und erhob unschuldig die Hände. „Nicht!“, sagte sie, und sah verträumt in seine eisblau glitzernden Augen, „Du bist auch nicht schwach.“

„Das hast du gut erkannt.“ Er lachte. Sein Blick fiel auf ihren Körper, er konnte ihn nicht mehr abwenden. Erneut schoss die Röte in Manas Gesicht, doch dieses Mal störte es sie nicht. Seine Augen faszinierten sie, hielten sie in ihnen gefangen. Sie blinzelte erst, als er seine Augen schloss und sie küsste, schloss dann ebenfalls sie ihre grünen Augen und versank in seinem Kuss.
 

„Ist dir immer noch kalt?“, fragte der Priester neckisch, und zog sie an sich. Mana sah ihn unschuldig an, schüttelte entschieden den kopf. Ihr war nicht mehr kalt, seine Nähe ließ sie schwitzen. Die Unsicherheit zwischen ihnen spürten Beide deutlich, doch was nun zählte, war das Gefühl, das die beiden teilten. Ein Gefühl, dass keiner von ihnen geglaubt hatte, je wieder zu spüren. Dicht aneinander gekuschelt erkannten Beide, was es hieß, geborgen zu sein.

Mana griff nach des Priesters Kopfbedeckung, ließ sie zu Boden fallen und sah ihn verspielt an. „So kenne ich dich gar nicht.“ Sie kicherte. Er blickte verwundert auf. „So kennt mich keiner“, stellte er mehr oder weniger überrascht fest.

Manas Mund klappte auf. „Echt keiner?“, plapperte sie interessiert drauf los und sah ihn mit großen Augen an. Er dachte darüber nach. „Abgesehen von meiner Mutter niemand, nein“, antwortete er schließlich. Und Kisara, doch an sie wollte er jetzt nicht denken.

Mana strich ihm durch sein Haar, hauchte ihm einen weiteren Kuss auf die Lippen. „Ohne siehst du freundlicher aus..“

Er fing ihren Blick auf. „Findest du?“ Vor seinen Augen drehte es sich, doch er achtete nicht darauf. „Dann muss ich es gleich wieder aufsetzen“, sagte er grinsend.

Mana protestierte. Sie fand seine Haare höchst interessant, strich weiter hindurch. „Ich mag die so“, meinte sie und sah ihn lieb an. „Für mich, ja?“

Sie mochte sie? Seth betrachtete sie skeptisch. Er verstand nicht, was sie meinte. „Es sind doch nur Haare“, sagte er abwertend, woraufhin Mana ihn dichter zu sich zog. „Aber es sind deine Haare“, betonte sie erklärend und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Was an seinem Haar so besonders sein sollte, konnte der Priester noch immer nicht nachvollziehen, es war ihm aber schließlich doch egal. Auch dass ihm wieder schwindlig war, wollte er ignorieren, konzentrierte sich auf ihre Berührungen. Es wurde immer schlimmer, er konnte kaum noch Oben und Unten unterscheiden.

Er wollte Mana nicht beunruhigen, wollte sich zusammenreißen, doch es ging nicht. Er löste den Kuss und ließ sich zur Seite in die Kissen fallen, die Augen krampfhaft geschlossen und innerlich fluchend. Schmerz durchzog seinen Körper, ließ ihn keinen klaren Gedanken mehr fassen.

Mana setzte sich erschrocken auf, sah ihn verwundert an. „Seth?!“, fragte sie vorsichtig, „Was hast du denn?!“ Er sah sie nicht an, konnte die Augen nicht öffnen, ohne dass alles schlimmer wurde. Er verstand es nicht, Mana verstand es nicht. Eben noch war alles in Ordnung gewesen, abgesehen von einem bisschen Schwindel.

Nun jedoch.. Alles war nun anders.

„Mein.. Bein..“, brachte der Priester krächzend hervor, versuchte tief durchzuatmen, was ihm jedoch völlig missling. Voller Angst sah das Mädchen zu seinem Bein. Sie konnte einen Aufschrei nur knapp unterdrücken. Seine Wunde musste wieder aufgegangen sein, der ganze Verband war dunkelrot, selbst das Laken, auf dem er lag, war voller Blut.

Tränen schossen in Manas Augen, sie wusste nicht, was sie tun sollte, fühlte sich völlig nutzlos, murmelte immer wieder seinen Namen.

Warum verschloss sich die Wunde nicht? Seth verstand es nicht, zwang sich mit all der Willenskraft, die er aufbringen konnte, einen kühlen Kopf zu bewahren und nachzudenken. Er kam zu keinem Schluss, hörte Mana neben sich hilflos schluchzen.

Unmöglich.. dachte er, die Augen immer noch geschlossen. Es gab nur einen Weg.

„Mana...“, sagte er schwach, aber entschlossen, „Nimm.. meinen Stab..“

Wandel

Erschrocken starrte Mana den Hohepriester an. „Aber“, setzte sie voller Angst an, „Ich kann doch gar nicht damit umgehen!“

Sie war zwar Priesterschülerin, doch in der Kunst der Magie bei weitem nicht so bewandert, dass sie..

Der Millenniumsstab war viel zu mächtig für sie, da konnte so vieles schief gehen.

Seth zwang sich die Augen zu öffnen, und auch wenn er kaum etwas sehen konnte, richtete er seinen Blick auf sie. Er griff nach ihrer Hand, sie war eiskalt. „Du musst es versuchen.. Da ist Magie am Werk.. sonst würde es aufhören zu bluten..“ Jede Bewegung strengte ihn an, er hätte es selbst getan, doch er war nicht in der Verfassung dazu. Er konnte sich nicht einmal selbst halten, die Magie zu entfesseln, die es brauchte um den Stab zu beherrschen, konnte er beim besten Willen nicht aufbringen.

Magie.. Verunsichert betrachtete Mana ihn, blickte dann zu seinem Millenniumsstab. Sie hatte entsetzliche Angst, zitterte am ganzen Körper. Doch sie nickte. Kurz entschlossen warf sie sich ihr Gewand wieder über und griff nach dem Stab. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, er war um einiges schwerer als der Stab mit dem sie sonst kämpfte.

„Und wenn ich dein Bein abhacke?!“ Sie hatte so etwas noch nie zuvor gemacht.

„Das wirst du nicht..“, antwortet Seth und holte tief Luft. Der Millenniumsstab musste sie akzeptieren, das war essentiell dafür, dass es funktionierte. Sollte er es nicht tun..

„Du musst dich konzentrieren..“ versuchte er zu erklären. Er hätte ihr gern die Angst genommen, doch er hatte nicht einmal sich selbst im Griff.

Wieder nickte Mana. Sie sah den Stab fragend an, ganz so, als wünschte sie, er würde ihr die schwere Aufgabe abnehmen. Mit großer Mühe versuchte sie alle Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben und sich auf das zu konzentrieren, was sie tun musste. Doch immer wieder krochen die Zweifel zurück in ihr Bewusstsein, egal, wie sehr sie sich auch anstrengte.

Sie schüttelte den Kopf, sah ihn hilflos an. Die Gefahr war so groß, dass sie ihn schwer verletzte, Magie war so unberechenbar, wenn man sie nicht kontrollieren konnte. Seth sah sie schwach an. Er konnte sie kaum erkennen, wusste aber, wo sie stand.

„Versuch es einfach..“ Es gab sowieso keinen anderen Weg. Und er glaubte an Mana, auch wenn er sonst gern Witze über ihre plumpen Zauberversuche gemacht hatte.

Mana wischte sich die Tränen weg. Sie durfte jetzt nicht schwach sein. Zwar zitterte sie noch immer, aber sie riss sich nun zusammen, sie musste es tun.

„Wehe, die Götter lassen mich jetzt im Stich..“, murmelte sie, richtete den Millenniumsstab auf sein Bein, konzentrierte sich und aktivierte ihn.

Nichts geschah. Dann, ganz plötzlich, schrie Seth vor Schmerz, lauter als sie ihn je gehört hatte. Mana sah ihn entsetzt an, ließ den Stab sofort fallen. Sie stürmte näher an das Bett heran, unzählige Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie rief ihn, panisch, immer wieder. Was hatte sie nur getan?

Hätte sie im Magie-Unterricht damals bei Mahado nur besser aufgepasst.. Aber sie hatte es nicht als besonders schwierig empfunden, eher amüsant. Ihre Leistungen waren miserabel gewesen.

Sie griff nach seiner schweißnassen Hand und find an zu schluchzen. „Es tut mir so Leid..“, flüsterte sie kaum verständlich, wagte es nicht in sein schmerzverzogenes Gesicht zu blicken.

„Mana..“, setzte Seth an, und versuchte mehrmals ruhiger zu atmen. „Mana..“, seine Stimme war ganz leise. „Danke..“ Er drückte ihre Hand. Der Schmerz hatte nachgelassen und er konnte wieder sehen.

Mana sah ihn völlig entgeistert an. Sie hatte ihm so wehgetan und nun bedankte er sich bei ihr? Wofür? Dafür, dass sie den Stab hatte fallen gelassen und nicht weitergemacht?

„Wa..as?“

Und zum ersten Mal lächelte er. „Dir braucht nichts Leid zu tun..“, er ließ ihre Hand nicht los, drückte sie fest. „Ich glaube.. das hat funktioniert..“

Mana hob den Kopf. Es hatte funktioniert? Sie sah ihn an, biss sich auf die Lippen – und find hemmungslos an zu weinen. Sie warf sich vorsichtig in seine Arme, schluchzte.

So gut es ging, legte Seth seine Arme um sie, er war völlig überfordert. „Hey.. es tut mir Leid..“ War sie seinetwegen so traurig? „Wein doch nicht..“

Mana schüttelte leicht den Kopf, sah ihn aus ihren verheulten Augen groß an. „Ich habe mir so Sorgen um dich gemacht!“, schluchzte sie, biss wieder auf ihre Lippe. Dafür würden sie bezahlen. In ihrem Kopf nahm ein gewagter Entschluss Formen an, sie blickte auf, sah ihn ernst an und wischte sich die Tränen weg. „Du solltest jetzt schlafen, damit es besser wird“, sagte sie abwesend zu Seth. Ihre Gedanken waren an einem völlig anderem Ort. „Du brauchst Ruhe.“

Der Priester widersprach nicht, erschöpft wie er war, blieb ihm gar nichts anderes übrig. Doch er merkte, dass Mana selbst sich keine Ruhe würde gönnen wollen. „Tu nichts unüberlegtes, ja?!“, mahnte er besorgt. Sie antwortete nicht, stand auf und legte die Decke über Seth.
 

Kurz darauf war sie verschwunden. Er hatte sie nicht aufhalten können. Sie wollte dem Nebel einen Besuch abstatten. Er sollte sie rufen, wenn er etwas brauchte. Es war lächerlich, er lachte bitter auf. Das tat sie nur seinetwegen, das wusste er, aber..

Glaubte sie denn er würde sich freuen, wenn sie sich bereitwillig in Gefahr brachte?

All seine Worte waren ins Leere gelaufen. Ihre Willenskraft hatte ihn beeindruckt, dich auch das rechtfertigte eine Kurzschlusshandlung nicht. Er Seufzte, allein in einem Raum, dem er nie zuvor Beachtung geschenkt hatte.

Doch er sah ihn nicht, nahm ihn einfach nicht wahr. Ihre letzten Worte klangen noch in seinen Ohren nach, Worte, die er nicht erwartet hatte zu hören. Ich liebe dich. Sie hatte an der Tür gestanden und sich noch einmal zu ihm umgedreht, bevor sie lächelnd, aber von einer unglaublichen Wut erfüllt, das Zimmer verlassen hatte.
 

Sie rannte durch die Gänge. Schnaubend vor Wut, aber fest entschlossen, sah sie sic immer wieder um, in der Hoffnung eine Spur von ihren zu finden. Wenn ihr euch traut, dann zeigt euch, dachte sie immer wieder.

„Ich weiß, dass ihr mich hört! Also kommt raus!“

Ihr Weg führte sie in den Palastgarten, direkt in Akims Arme. „Was schreist du denn so?“ Er saß auf dem Boden, blickte irritiert zu ihr auf. Mana wirbelte herum, erkannte ihn und betrachtete ihn genervt und sauer. „Tut mir Leid“, meinte sie, leicht patzig, „Ich habe jetzt keine Zeit für dich!“

„Warum nicht?“, fragte er beleidigt.

Das Mädchen verdrehte die Augen, klammerte sich an den Millenniumsstab, den sie mitgenommen hatte. Ihr eigener war noch immer bei dem Nebelwurm, wie sie ihn nannte, bei Cyrus.

„Nerv mich jetzt nicht“, zickte sie und sah drohend in den Himmel. „Ich finde euch auch so!!“

Akim ließ nicht locker, beobachtete sie interessiert, aber noch immer gekränkt. „Wen willst du finden?“

Erneut fiel Manas Blick auf ihn. Dass er nicht einfach einmal still sein konnte..

„Akim, kannst du mich bitte in Ruhe lassen?!“, sie schrie ihn fast an, „Ich habe jetzt keine Zeit für deine Spielereien!“ Nie zuvor hatte sie so mit ihm geredet, und es tat ihr auch fast Leid, doch im Augenblick hatte sie einfach keine Nerven dazu mit ihm zu diskutieren. Sie war sauer, wollte Cyrus und Meira büßen lassen, was sie Seth angetan hatten. Akim hatte ihr nun gerade noch gefehlt.

„Spielereien?“, er sah sie böse an, schrie dann zurück. „Das ist kein Grund, mich anzuschreien!“

Ob er sie provozieren wollte, oder nicht, jedenfalls klappte es. „Natürlich ist das einer!“, schrie sie weiter, „Du benimmst dich wie ein kleines Kind!“
 

Die Millenniumskette leuchtete an ihrem hals, zeigte ihr alles, was sie zu sehen wünschte. Im Moment ruhte Meiras Blick auf einem brünetten Mädchen, das sich wild gestikulieren mit einem Jungen unterhielt. Sie schien außer sich zu sein, irgendetwas brachte sie völlig aus der Fassung.

„Sieht ganz si aus, als wäre sie sauer..“, murmelte Meira ihrem Bruder zu, der begierig jede Information, die sie ihm gab, aufnahm. „Die Kleine?“, fragte er und die Rothaarige nickte.

Sie beobachtete die Priesterschülerin weiter, sah etwas, das sie stocken ließ. „Sie hat den Millenniumsstab!“, meinte sie ganz überrascht, „Und da ist noch jemand bei ihr.“ Verwirrt sah sie den Jungen an, irgendetwas an ihm kam ihr unglaublich vertraut vor. Cyrus sah auf. „Noch jemand? Wer?“ Der Priester konnte es nicht sein, die Kugel musste ihn längst außer Gefecht gesetzt haben.

„Ein Junge“, flüsterte Meira und sah ihn weiterhin fasziniert an. „Er sieht fast so aus wie du..“
 

Sauer starrte er sie an, sein Blick wirkte plötzlich kalt und wie versteinert. „Ich?“, fauchte er schrill, und alle Wärme hatte seine Stimme verlassen, „Ein Kind?!“ Finster funkelte Akim Mana an, er hatte sich inzwischen aufgerichtet.

Und dann ohne Vorwarnung, schlug er ihr ins Gesicht. „Was fällt die eigentlich ein?“, flüsterte er ungehalten und drohend.

Entsetzt fasste Mana sich an die Wange, sah ihn mit offenem Mund an. Doch es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder gefangen hatte. „Drehst du nun völlig ab?!“, brüllte sie, so laut, dass es fast im ganzen Palast zu hören war, „Du sollst mich in Ruhe lassen! Und vor allem sollst du mich nicht schlagen!“
 

Dichter Nebel zog auf und nahm Mana die Sicht. Voller Genugtuung stellte sie es fast, nun endlich war es soweit, nun endlich konnte sie Meire und Cyrus dafür bezahlen lassen, was sie getan hatten.

Akim jedoch war wirklich zu weit gegangen, was war nur in ihn gefahren?

Sie verstand es nicht, wusste nicht, weshalb er mit einem Mal so anders war. Sie kannte ihn nun schon so lange, doch noch nie zuvor hatte er ihr absichtlich wehgetan.

„Du solltest aufpassen, was du sagst!“, meinte er bedrohlich, „Unterschätze mich nicht!“

Langsam hatte sie wirklich genug gehört. „Ach, halte doch einfach deine Klappe!“, fauchte sie geringschätzig, sie würde ihm später schon die Meinung sagen. Akim schien wenig begeistert.

Dennoch.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht hatte sie geändert, in dem Moment, als der neble sich um ihn legte. Fasziniert griff er hinein, nahm eine Hand voll und betrachtete die daraus entstehende Kugel. Ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit durchzog ihn.

Genervt drehte Mana sich zu ihm um. „Lass den Nebel in Ruhe!“, fauchte sie, ehe sie verstand, was gerade geschah. Und dann dämmerte es ihr. Erschrocken sah sie ihn an, hielt den Millenniumsstab in seine Richtung. „Seit wann kannst du das?“, fragte sie entsetzt. Es wäre ihr doch aufgefallen, wenn er so etwas schon öfter gemacht hätte..

Er behielt die Kugel weiter in den Händen, spielte damit. Auch er war leicht verwundert, doch er zeigte es nicht. „Das hast du mir überhaupt nicht zugetraut, oder?“, fragte er schließlich, und seine Stimme durchschnitt die Luft förmlich, „Dass ich auch etwas kann?!“ So viel Vorwurf lag in diesen Worten, dass das Mädchen zurückwich. Ernst und voller Gedanken, die ihren Kopf durch schwirrten, blickte sie ihn an, seufzte. „Doch..“, murmelte sie unverständlich, „ich denke schon..“ Sie war verwirrt, die Sache mit dem Nebel gab ihr wirklich zu denken. „Entschuldige, Akim.. Ich wollte nicht so fies zu dir sein..“ Sie versuchte sich vorzustellen, wie es war, wenn alle sich über sie lustig machten, doch das konnte sie nicht, sie konnte es nicht verstehen und konnte auch nicht nachvollziehen, was mit Akim los war.

Er glaubte ihr kein Wort. „Ach, nun siehst du, dass ich auch etwas kann, und auf einmal tut es dir Leid?!“ Voller Hohn griff er erneut in den Nebel, zog fasziniert eine weitere Kugel heraus.

Nun ihrerseits gekränkt, drehte Mana sich von ihm weg. „Ich hab dir doch gar nichts getan!, maulte sie, und blickte erneut um sich. Der Nebel war zwar da, beängstigend undurchsichtig, doch von den Nebelgeschwistern fehlte jede Spur. Sie sollten endlich auftauchen, sie hatte keine Lust mehr zu warten, wollte nicht weiterhin das Ziel von Akims unterdrückten Gefühlen sein. Sie wollte endlich kämpfen. Doch wer kam, war nicht Meira und auch nicht Cyrus. Es war Seth, der sich durch das Gestrüpp zu ihr hindurch gekämpft hatte, und nun unglaublich ernst und besorgt zu Akim und Mana herüber blickte. „Mana!“, schrie er und es war deutlich zu erkennen, dass er noch immer stark unter seinen Verletzungen zu leiden hatte, „Weg von ihm!!“

Akim

Immer wieder wälzte er sich im Bett herum, zweifelnd, unentschlossen. Konnte er sie wirklich allein lassen? Er machte sich unglaubliche Sorgen. Und als er schließlich Schreie durch den Palast hallen hörte, die eindeutig aus ihrem Mund stammten, war es mit seiner Ruhe endgültig vorbei. Er wollte wissen, was geschehen war, wollte sie unterstützen, doch er brachte es kaum fertig, sich aufzurichten. Er fluchte. Er konnte gar nichts tun, nicht mal der Millenniumsstab stand ihm zur Verfügung.

Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Untätig im Bett zu liegen und zu warten. Das konnte er nicht. Mühsam zog er sich nach oben, stand auf und schleppte sich zum Fenster. Er sah hinaus. Sein Blick fiel auf den Nebel, doch nicht dessen Anwesenheit ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Es war die Nebelkugel in Akims Hand. Wie konnte das sein? Wieso erinnerte er sich wieder?

Er durfte nicht zögern. Wenn Akim wusste, wer er wirklich war, dann war Mana in viel größerer Gefahr als sie glaubte. Er konnte sie dem nicht einfach aussetzen, egal was es auch kostete.

Irgendwie gelang es ihm, in den Palastgarten zu kommen, der Nebel versperrte ihm zwar die Sicht, doch er hatte vom Fenster aus gesehen, wo er lang gehen musste. Mana schien mit Akim zu streiten, jedenfalls sah es so aus. Er musste sie unbedingt warnen.

Als sie ihn schließlich erkannte, war sie fassungslos, starrte ihn an, wie vom Donner gerührt.
 

Meiras Worte gingen nicht aus seinem Kopf, immer wieder dachte er darüber nach, überlegte hin und her, doch keine Spekulation konnte ihn überzeugen. Er musste ihn sehen, mit seinen eigenen Augen, musste wissen, wer dieser Junge war. Konnte es etwa..?

Wie um sie zu testen, ließ Cyrus einen dunstigen Nebel um Mana und Akim herum aufziehen, beobachtete dann weiterhin seine Schwester, die ihrerseits die beiden Anderen im Auge hatte.

Er musste nicht lange warten. Meira erschrak, blickte entsetzt auf Akim herab, was sie sah, konnte nicht stimmen, machte keinen Sinn. Und doch sah sie es, sah wie Akim den Nebel kontrollierte, den ihr Bruder hatte aufziehen lassen. Doch niemand konnte die Nebel kontrollieren außer ihnen Beiden, Meira war sich vollkommen sicher gewesen, dass sie die Einzigen waren, die diese Fähigkeiten besaßen. Cyrus griff nach ihrer Hand. „Komm“, sagte er nachdrücklich, zog sie mit sich. Sie verschwanden im Nebel.

Als sie wieder auftauchten, standen sie in einer Ecke des Palastgartens, in einiger Entfernung zu Mana, Akim und nun auch Seth, doch so, dass sie jedes Wort der Drei verstehen konnten.

Cyrus starrte Akim an, flüsterte den Namen seiner Schwester. „Weißt du, wer das ist?“, fragte er aufgeregt, er konnte es selbst kaum glauben. Sie sah ihn verwirrt an, ohne ihn zu verstehen zuckte sie mit den Schultern, schüttelte den Kopf. Auch sie betrachtete Akim, nun nicht mehr durch die Millenniumskette, doch sie wusste nicht, weshalb Cyrus so aufgebracht war.

Noch immer starrte er ihn an, begann dann langsam zu erklären: „Meira.. das ist unser Bruder..“

Meira verstand nicht. „Bruder?“, sagte sie laut, schlug dann die Hände vor ihren Mund, ungläubig auf Akim starrend. „Du meinst.. Er ist es..?“
 

„Seth!“, rief Mana wütend, nicht auf seine Worte achtend. „Was tust du hier?“ Schnell stapfte sie auf ihn zu, sah ihn vorwurfsvoll an. „Du gehörst ins Bett!“, zischte sie und ärgerte sich über seine Dummheit. Wurden nun alle verrückt? Erst Akim und nun auch Seth, was sollte das?

Doch der Priester kümmerte sich im Augenblick nicht um ihre strafenden Worte, finster hatte er seinen Diener mit den Augen fixiert, beobachtete jede seiner Bewegungen. „Tut mir Leid, Mana“, meinte er ernst, ohne seinen Blick zu lösen, „Aber du hast keine Ahnung, wer da vor dir steht.. Ich konnte das nicht einfach so mit ansehen..“ Er wankte leicht, konnte sich kaum vernünftig auf den Beinen halten. Doch er war der Einzige, der sich erklären konnte, was sich in diesem Moment im Palastgarten abspielte. Er war der Einzige, der wusste, was dieses sonderbare Schauspiel bedeutete.

Mana verstand ihn nicht, sah zwischen Seth und Akim hin und her. Was hatte Akim nun wieder angestellt? Warum war Seth so sauer auf ihn? Und warum benahm Akim sich so eigenartig?

Akim grinste hinterhältig. „Du..“, hauchte er voller Abscheu, als er Seth erblickte, und ging bedrohlich auf ihn zu. „Du hast mich versklavt..“ Seine Hände waren erfüllt von Cyrus Nebel.

Mana hatte keine Geduld mehr. Was sollte das bedeuten? „Was geht hier eigentlich vor?!“, fauchte sie ungehalten, konnte ihr bitte endlich jemand erklären, was überhaupt los war?

Seth löste kurz seinen Blick von Akim, sah Mana ernst an. Er hatte nie geglaubt, dass dieser Augenblick eines Tages kommen würde. „Er.. ist..“, setzte er an und seufzte, „Das ist der Bruder von Meira und Cyrus..“
 

Sie war noch sehr klein gewesen, als er eines Tages verschwunden war. So klein, dass sie sich kaum an ihn erinnern konnte, und doch wusste sie, dass es ihn gab. Ihr Bruder. Doch es machte keinen Sinn, er konnte nicht hier sein, nicht jetzt, nicht an diesem Ort. Sie hätte es doch wissen müssen, hätte ihn doch finden müssen.

Cyrus trat ein paar Schritte auf Akim zu, Meira noch immer an der Hand. Er zog sie hinter sich her. „Akim?“, sagte er, „Erkennst du mich?“

Sofort drehte der Angesprochene sich um, ließ den Priester und Mana stehen und starrte Meira und Cyrus unsicher an. „Ich kenne dich..“, murmelte er schließlich und auch ihr Gesicht kam ihm merkwürdig vertraut vor. Cyrus nickte. „Jaa, du kennst mich..“ Er konnte es immer noch nicht glauben, doch Akim war hier, Akim war real. „Ich bin Cyrus“, stellte er sich erklärend vor, „Dein Bruder.. und das ist deine Schwester Meira..“

Cyrus.. Meira..

Akim schloss die Augen, dachte angestrengt nach. Er kannte diese Namen, wusste, dass sie eine Bedeutung für ihn hatten.

Bruder.. Schwester..

Und schließlich erinnerte er sich. Wie vom Donner gerührt sah er auf, starrte sie an. „Wo seid ihr gewesen?!“

Lächelnd trat Cyrus dichter an ihn heran. „Wir wussten nicht, dass du noch lebst..“ Doch ganz offensichtlich war es so. Niemals hätte er darauf gehofft, ihn eines Tages wieder sehen zu können. Nun stand er vor ihnen.

„Was ist passiert?“ In Akims Kopf war alles durcheinander, und doch schien es, als würde alles zum ersten Mal überhaupt Sinn ergeben. „Als..“, er blickte abwertend zu Seth, „Als er mich geholt hat?“

Erstmals richtete nun Meira das Wort an ihn. „Wir haben dich gesucht.. so lange..“, erinnerte sie sich und rote Strähnen fielen ihr ins Gesicht, „Aber du warst nicht aufzufinden.. und schließlich mussten wir davon ausgehen.. er hätte dich getötet..“ Schwarz waren ihre Gedanken daran, sie hatte all das verdrängt, so lange schon.

Akim schüttelte den Kopf. „Er hat mich nicht getötet“, widersprach er, doch das Ergebnis war kaum ein anderes. Er hatte sein ganzes Selbst ausgelöscht, doch seinen Körper am Leben erhalten.. „Ich war sein Sklave, die ganze Zeit über!“
 

„Willst du mich verarschen?!“, zischte Mana sauer zu Seth, hatte er nun den Verstand verloren? Hatte die Kugel auf Auswirkungen auf seinen Kopf?

Sie verstand es nicht, drehte sich unsicher zu Akim, der, auch wenn er ihr im Moment fremd erschien, doch noch immer ihr Freund war. Er konnte einfach nicht.. Seth musste sich das ausgedacht haben, es war ein ganz unfairer Zug von ihm, so etwas zu sagen. Doch der Priester hielt ihrem prüfenden Blick stand. Er schüttelte den Kopf, musste dabei darauf achten, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Seine Beine wollten ihn kaum tragen, doch er zwang sie dazu. „Will ich nicht..“, flüsterte er, ließ seinen Diener nicht eine Sekunde aus den Augen.

Ein Seufzen entfuhr der Priesterschülerin, das machte alles überhaupt keinen Sinn, was Seth da sagte, doch sie wusste auch nicht, weshalb er sie anlog, weshalb er ihr nicht einfach die Wahrheit sagte. Einfach gestand, dass es ein Scherz war, wenn auch kein besonders lustiger.

Stützend griff sie ihm unter die Arme, konnte sein Gewicht kaum halten, doch es gelang ihr dennoch, ihm in die Augen zu sehen. Keine Lüge war dort zu lesen, Mana wankte. Nie hatten seine Augen ehrlicher ausgesehen wie in diesem Augenblick, nie hatten sie einen tieferen Einblick in seine Gedanken zugelassen. Absolutes Unverständnis. „Warum erinnert er sich wieder?“, murmelte Seth leise, ohne auch nur auf eine Antwort darauf hoffen zu können.

Ungeduldig tapste Mana von einem Bein aufs andere. „Ich versteh das nicht..“, gestand sie trotzig, „Ich dachte, er wäre ein Freund..“

Als der Priester in ihre großen fragenden Augen blickte, konnte sie sowohl Mitleid als auch Schuld in den seinen lesen. „Es tut mir Leid..“, versuchte er zu erklären, „Ich dachte.. er hätte sich geändert..“. Er wusste kaum, wie er es ihr sagen sollte, und er wusste auch nicht, wie es ihm noch länger gelingen sollte, aufrecht zu stehen, „Deswegen.. wollte ich.. ihm eine Chance geben..“ Schwindel stieg erneut in ihm auf. Die Welt drehte sich, doch worum, das konnte er nicht sagen.

„Das hat doch keinen Sinn!“, fauchte Mana plötzlich los, unter seiner Last mehr und mehr zusammensackend, „Du musst hier weg!“ Auch wenn sie noch immer nicht verstand, wenn noch tausende Fragen auf ihrer Zunge lagen, sie konnte es doch nicht mit ansehen. Er brauchte Ruhe, dies war ein denkbar ungünstiger Moment für ihn, mit Meira, Cyrus und Akim zu streiten.

„Überlass das mir!“, sagte sie entschlossen, den Millenniumsstab fest umklammert. „Ich krieg das schon hin!“

Widerwillig nur reagierte Seth auf ihre Worte. Er wollte sie nicht allein lassen, wollte sie auf gar keinen Fall hier zurücklassen, doch er konnte nicht widersprechen. Und wenn er schon keine Hilfe sein konnte, so wollte er wenigstens nicht zur Last für Mana werden, die sovieles für ihn bereit war zu riskieren. Schwer seufzend schaffte er es, ohne ihre Hilfe zu stehen und schleppte sich zurück in den Palast. Immer wieder sah er sich um, jeder Schritt war wie eine Qual. Eine Folter, die nur darauf wartete, ihn für seine Taten büßen zu lassen. Schmerzen, die er durchaus verdient hatte..

Mit letzter Kraft schaffte er es, sich in sein Gemach zurück zu schleppen, wo er völlig entkräftet auf dem Bett zusammenbrach.
 

„Er ist weg!“ Cyrus Stimme durchschnitt die Luft.

Kalt trat Mana ihm entgegen. „Blitzmerker!“, rief sie ihm zu, Akims letzte Worte klangen noch in ihren Ohren. Er hatte ihn ganz sicher nicht versklavt, Seth hatte Akim immer bei sich gehabt, ihm vertraut! Er war nicht sein Sklave.. Wie konnte er nur..

Meira und Cyrus betrachteten die Stelle, an der Seth eben noch gestanden hatte, mit unverhohlener Verachtung. „Dann holen wir uns die Kleine“, zischte Meira ihren Brüdern zu, und trat einige Schritte an sie heran. „Wo ist der Priester?“, fragte sie Mana höhnisch. Doch diese dachte nicht im Entferntesten daran, sich auf das Spiel einzulassen. „Nicht hier! Wie du schon bemerkt haben dürftest!“, giftete sie zurück, angriffslustig den Stab vor sich hebend. Ihr Blick ruhte zunächst auf Akim, doch sie konnte ihn nicht lange ansehen, schüttelte nur leicht ungläubig und traurig den Kopf.

„Seit wann fuchtelst du mit dem Millenniumsstab herum?“, höhnte Cyrus, der ihren Blick auffing. Sofort verhärteten sich ihre Züge wieder. „War nicht dein eigener Stab schon viel zu groß für dich?“ Er hatte gut Reden. Natürlich. Schließlich hatte er ihr den Stab bei ihrem letzten Zusammentreffen fast mühelos abgenommen. „Kannst du das Ding denn auch gebrauchen?!“

Mana biss sich wütend auf die Zunge. „Natürlich!“, fauchte sie, und konnte es sich nicht verkneifen zu prahlen, „Erinnerst du dich an diese Kugel, die Seth am Bein abbekommen hat? Jedenfalls wurde die Blutung gestoppt!“ In einer anderen Situation wäre sie stolz auf diese Leistung gewesen, nun weckte sie in ihr nicht anderes als pure Genugtuung. Genugtuung darüber, dass sie Cyrus Magie gestört und damit zunichte gemacht hatte.

„Was für einen wunderbare Leistung“, gähnte Cyrus unbeeindruckt, „Ich war überrascht, wieso der Priester noch stehen konnte..“ Ernst sah er zu ihr auf. „Aber das hilft dir nun auch nicht“, flüsterte er vielsagend, und ein dichter Nebel legte sich tief über den Palastgarten, in dem alle Geräusche verstummten.

„Soll der mich vielleicht beeindrucken?“, meckerte Mana, ohne ganz verbergen zu können, dass er es tatsächlich tat. Wenigstens musste sie sich um Seth keine Sorgen machen, er war sicherlich im Palast angekommen.

Akim, der sich bisher bedeckt gehalten hatte, trat nun auf Mana zu. „Das sollte er, ja“, beantwortete er ihre Frage und umspielte den Nebel mit den Fingern. „Weißt du, wie viel Magie in diesem Nebel steckt?“

Was sollte das werden? Ein Rätsel? Mana hatte keine Lust auf seine Spiele, sah ihn verletzt und enttäuscht an. „Das ist mir doch egal, du Idiot!“, fauchte sie grimmig, und genau so war es. Sollte er ihr doch erzählen, was er wollte. Sie würde sowieso nicht darauf hören.

Lächelnd drehte Akim sich zu seiner Schwester um, zeigte kurz auf Mana und erklärte dann leise und voller Ahnung, dass Mana für Seth alles tun würde. Dass es andersherum kaum anders war, war nicht schwer zu erraten, er hätte sonst niemals den Millenniumsstab aus seinen Händen gegeben. Meira aktivierte die Millenniumskette, fing sogleich an zu lachen. Irgendetwas musste sehr komisch sein. Mana gefiel es nicht. „Was ist so lustig?“, verlangte sie zu wissen, doch das amüsierte die Nebeltochter nur noch mehr. Sie lachte laut. „Dein Seth ist absolut keine Gefahr mehr!“, kicherte sie, „So erbärmlich.. so jämmerlich.. und das soll ein Hohepriester sein!“

Manas Eingeweide zogen sich zusammen, sauer starrte sie auf die Millenniumskette an Meiras Hals. „Es gibt keinen Grund, Seth erbärmlich zu nennen!“ Ihr Blick fiel kurz auf den Palast. Es gab doch keinen, oder? Er war doch sicher angekommen, oder?

Meira lachte noch lauter. „Oh doch, den gibt es!“, höhnte sie, „Wieso würde er sonst eine Priesterschülerin hier ganz allein lassen? Und sich verstecken?!“ Sie formte ein Abbild von Seth, ein Lächeln auf den Lippen. Dann ohne Vorwarnung, schlug sie hinein, so dass die Figur verpuffte, kalt erklang ihre Stimme. „Dein Priester ist so gut wie tot!“

Bedrängnis

Das war nicht Seth, das konnte er nicht gewesen sein, das war nur Nebel, nichts als Nebel..

„Du lügst!“, schrie Mana, panisch und doch voller Trotz, Seth war am Leben, es ging ihm gut, er war in Sicherheit..

Meira lächelte nur zur Antwort und brachte die Priesterschülerin damit zur Weißglut. Sie hatte keine Lust auf diese Spielereien, warum konnten sie nicht einfach aufhören? Sie hatten doch schon genug angerichtet.

Akim trat dichter auf sie zu, Cyrus schloss den Nebelschleier um sie herum.

„Vielleicht sollten wir ihr zeigen, was es heißt, das Gedächtnis zu verlieren“, flüsterte Akim leise und funkelte das Mädchen an.

Was hatte das nur alles zu bedeuten? Seth hatte schon gesagt, er würde sich wieder erinnern, und schon er hatte es nicht verstanden. Doch es hatte ihn nicht gewundert, nein.. Er hatte nur nach dem Grund gesucht.. Der Grund, weswegen Akim sich wieder erinnerte.. Das machte alles keinen Sinn.

„Lass mich in Ruhe!“, antwortete Mana, sie fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut, versuchte sich zusammenzureißen, ihre Gedanken zu ordnen, doch es gelang ihr nicht. Sie waren zu dritt, Mana allein. Wie sollte sie sich ihnen nur entgegen stellen, wie sollte sie das ganz ohne Hilfe schaffen?

Sie drehte den Kopf von Akim weg. „Ich habe dir vertraut!“, fauchte sie, doch er ließ sich nicht beeindrucken.

„Du hast auch Seth vertraut, aber von seinen Machenschaften hat er dir gar nichts erzählt..“ Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht, während er darauf wartete, sie seine Worte Wirkung zeigten.

Und das taten sie. Mana zuckte. Er hatte Recht. Seth hatte ihr nichts gesagt, ihr verheimlicht, was sie so dringend hätte wissen müssen. Vertraute er ihr nicht?

Zweifel, die sie nicht hegen wollte, krochen ihr Bewusstsein hoch, sie biss sich auf die Lippen, hielt den Stab fest umklammert um sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Ja und?!“, zischte sie voller Abneigung.

Cyrus trat bedrohlich näher stellte sich neben seinen Bruder. Geringschätzig musterte er sie. „Was ist? Willst du gegen uns kämpfen?!“ Er schüttelte den Kopf, es war lächerlich, was sie hier versuchte. „Du allein? Du kannst doch noch nicht einmal den Millenniumsstab kontrollieren..“

„Natürlich kann ich das!“, konterte Mana und wich zeitgleich einen Schritt zurück. Jetzt, wo sie direkt nebeneinander standen, war ihre Ähnlichkeit wirklich verblüffend. Wie hatte sie es nur übersehen können? Sowohl Akim als auch Cyrus waren nicht allzu groß, etwa einen Köpf kleiner als Seth und beide trugen längeres violettes Haar, auch wenn das von Akim um einiges heller war. Überhaupt wirkte er um einiges jünger als sein Bruder, doch dass sie verwandt waren.. daran bestand wirklich nicht der geringste Zweifel.

Mit jeder Sekunde, die verging, wuchs Manas Unsicherheit. Sie richtete den Stab auf Cyrus. „Komm mir nicht zu nah!“, drohte sie wenig erfolgreich.

Er trat noch dichter an sie heran. „Was ist, wenn ich es doch tue?!“, fragte er grimmig, ohne auf eine Antwort zu warten. Stattdessen sprach Akim erneut, grinsend und mit der festen Absicht, Mana noch weiter zu verunsichern. „Er wird dir nie verzeihen, wenn du seinen Stab verlierst“, murmelte er Mitleid heuchelnd.

Mana keuchte, sah die beiden sauer an. Sie zog ihren Arm leicht zurück, richtete den Millenniumsstab dann auf Akim. „Nur weil du einst mein Freund warst“, begann sie und ihre Stimme zitterte leicht, „Glaub nicht, dass ich dich verschone, geschweige denn dir glaube! Und du!“, sie wirbelte herum und sah Cyrus herausfordernd an, „Du bleibst schön da stehen!“

Er hatte gerade wieder dichter kommen wollen, hielt nun inne und tat so, als würde er sich unglaublich fürchten und zittern. „Ohhhh“, meinte er spöttisch, „Soll ich nun Angst haben? Vor einer Schülerin? Das glaube ich nicht..“

Mana biss sich auf die Zunge. Schülerin ja? Er hatte doch keine Ahnung! Verbissen konzentrierte das Mädchen sich auf den Millenniumsstab in ihrer Hand, wenn er ihr jetzt nicht vertraute.. Sie aktivierte ihn, riss den Nebel um sich herum auf. Mit ein wenig mehr Licht gefiel ihr das ganze schon besser, doch es blieb nicht lange dabei. Cyrus wollte sofort wieder den Himmel verdunkeln, wurde jedoch von seinem Bruder aufgehalten, der nun, da er die Macht der Nebel in den Händen hielt, zum ersten Mal seit langem wieder wirklich zu leben schien. Dunkelrote Nebelkugeln formten sich zwischen seinen Fingern, erneut legte sich dichter Nebel um Mana, die panisch und zickig um sich schlug, versuchte, die Finsternis wegzudrängen.

Eine Hand klopfte auf ihre Schulter, Mana fuhr erschrocken herum. Hinter ihr stand Meira, gelassen und lächelnd auf sie herabsehend. „Meinst du wirklich, du hast eine Chance gegen uns?“, flüsterte sie. Alle drei hatten nun Nebelkugeln in den Händen, sie hatten Mana eingeschlossen, nahmen ihr jeden Weg zur Flucht. Sie konnte weder vor noch zurück. Sobald sie versuchte, auszuweichen, stieß sie an einen der drei. Panik machte sich ihn ihr breit, sie versuchte sie zu unterdrücken, versuchte alles um das beklemmende Gefühl des Ausgeliefertseins zu ignorieren, das sich langsam ihren Verstand holen wollte. Ich Blick lag auf den Kugeln. „Was sind das für Teile?!“, fragte sie schrill, „Die selben wie vorhin?“ Zu deutlich hatte sie die Wirkung von Cyrus Nebelkugel in Erinnerung.

„Willst du es ausprobieren?“, fragte dieser lächelnd. Er kostete es aus, dass sie vor ihnen zitterte, genoss es, wie sie um Fassung rang. Akim hielt ihr eine nun blaue Kugel unter die Nase. „Du hast die Wahl.“

Vor sich sah sie Cyrus, dicht daneben Meira, hinter ihr stand Akim, Mana hatte keine Wahl. Sie seufzte leise verzweifelt, wieso nur hatte sie sich überhaupt darauf eingelassen? Wenn sie nun darüber nachdachte, war es doch recht voreilig gewesen, zu glauben, sie könnte das alles allein schaffen. Sie konnte keinen der drei angreifen, ohne dass die zwei Anderen sie angriffen, es war einfach viel zu riskant.

Meira legte von hinten ihre Arme um Mana und zog sie an sich. „Was hast du denn?“, flüsterte sie in ihr Ohr, und löste damit eine Gänsehaut bei der Priesterschülerin aus, „Du wirkst nervös.“

Akim strich ihr über die Wange. „Es könnte leichter sein, weißt du?“, sagte er lächelnd. Mana verstand nicht, stieß Meira von sich weg und landete dabei beinahe in Akims Armen. „Du könntest aufgeben und uns den Stab geben..“

Darum also ging es. Mana dachte nach. Niemals würde sie diesen Stab wieder her geben, niemals würde sie ihn in andere Hände geben als zurück in die seines Besitzers. „Vergiss es!“, fauchte sie aufgebracht.

„Tja..“, sprach der Junge, den sie einst ihren Freund nannte, „Dann müssen wir ihn dir wegnehmen, du wolltest es nicht anders.“

Wut und Entgeisterung spiegelte sich auf Manas Gesicht. Sie wollte sich auf den Stab konzentrieren, ihn aktivieren, und sich endlich zur Wehr setzen, wollte angreifen, doch, wie sie zitternd feststellte, konnte sie es nicht. Akim. Sie konnte ihn nicht angreifen, es ging einfach nicht. Er war doch..
 

Meira lächelte. Das Mädchen steckte wirklich in Schwierigkeiten, doch es waren Probleme, sie sich sehr leicht beheben ließen. Unsägliche Kleinigkeiten, die niemanden wirklich belasten mussten. Sie aktivierte die Millenniumskette. Es war ganz einfach. Wenn Mana den Stab nicht herausrücken wollte, weil er ihn zurückverlangen könnte..

„Ich werde dich aus deiner verzwickten Lage befreien, Kleine“, hauchte sie Mana ins Ohr, sah dann ihren Bruder für einen Moment eindringlich an, ehe sie sich im Nebel auflöste und verschwand.
 

„Was ist? Hast du Angst?“, genüsslich betrachtete er die Wirkung seiner Worte, lächelte Mana unverwandt an, las die Panik in ihren Augen. Akim spielte mit ihr, sollte sie doch um Hilfe rufen, es war völlig egal.

Doch Mana schrie nicht um Hilfe. Ganz im Gegenteil. Sie sagte überhaupt nichts, starrte nur stumm auf die Stelle, an der Meira so eben noch gestanden hatte, doch sie sah kaum was sich dort vor ihren Augen abspielte. Sie konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, was das Mädchen vorhatte, verstand nicht, wieso Akim einfach so alles wegwarf, was gewesen war, und Cyrus, nun ja, den konnte sie sowieso nicht in ihre Gedanken einordnen. Sie zwang sich, nicht weiter über die Tage mit Akim nachzudenken, sie musste nun einfach vergessen, dass es sie jemals gegeben hatte, es war nun von viel größerer Wichtigkeit, dass sie hier irgendwie wieder herauskam.

Akim strich ihr über die Wange. Sie konnte kaum verhindern, sich leicht dagegen zu lehnen, war deswegen sauer auf sich selbst, schüttelte energisch den Kopf. Nein, sie würde keine Schwäche zeigen. „Lass mich!“, zischte sie grimmig und schlug seine Hand weg.

„Man könnte meinen, ich hätte dir etwas getan“, murmelte Akim vorwurfsvoll, „Dabei hast du doch mit mir gespielt und dich über mich lustig gemacht!“

Das war so unfair! So ungerecht! Wusste er überhaupt, was er da redete? Enttäuscht sah sie ihn an. „Das stimmt doch gar nicht! Zwischendurch vielleicht mal, aber das war nicht böse gemeint! Und außerdem hast du mir doch etwas getan!“ Sie wurde immer lauter. Es war ihr egal, dass alle zuhörten. „Immerhin hast du mich geküsst!“

Es war wahr. Auch wenn es nur freundschaftlich war, auch wenn es nichts bedeutete, er hatte sie geküsst. Sie wusste, dass er das selbst nicht verstanden hatte, und doch, für sie war das nicht einfach irgendetwas gewesen.

Beeindruckt sah Cyrus seinen Bruder an, grimmig lächelnd hatte er Mana zugehört. Offensichtlich wusste Akim nur zu gut, wie man seinen Gegner effektiv verwirrte. Er war wirklich stolz auf ihn, ohne dass er selbst so etwas von sich erwartet hätte.

Akim blieb gelassen vor Mana stehen, deren Kopf vor Zorn und Enttäuschung hochrot war. „Und deswegen bist du jetzt so sauer?“ Er sah sie abschätzend an. „Das war doch nur kein Kuss, kein Grund so ein Drama daraus zu machen.“

Mana sah ihn finster an. Es war kaum zu glauben, doch sie konnte ihn noch lauter anschreien, als sie es ohnehin schon tat. „Nur ein Kuss?! NUR EIN KUSS?!! Das war nicht nur ein Kuss, und nicht nur der hat mir viel bedeutet, sondern auch du!“ Wie hatte sie sich in ihm nur so täuschen können?

Er sah sie skeptisch an. „Ich habe dir viel bedeutet?“ Seine Stimme war erschreckend leise und dennoch klar und deutlich. „Das bezweifel ich..“ Eiskalte Augen blickten Mana an, Augen, die selbst Seth Konkurrenz machen konnten. Akim fuhr fort: „Ich war für euch alle doch nur der Clown. Doch das“, grimmig und mit Genugtuung blickte er das Mädchen an, „Das ist jetzt vorbei!“

Cyrus lächelte. Akim hatte Recht. Schon bald würde hier ein anderer Wind wehen. Verträumt und doch entschlossen fiel sein Blick auf den Palast. „Schon sehr bald wird dein kleiner Priester tot sein“, grinste er, und nun, endlich, verstand Mana. Sie sah ihn erschrocken an, die Erkenntnis traf sie fast wie der Schlag. Sie schluckte. Akim war egal, alles war egal. Meira. Sie hatte gesagt, sie würde ihr aus ihrer Lage heraushelfen. Sie war so dumm gewesen! Sofort rannte sie los, hoffentlich kam sie nicht zu spät, sie hätte Seth niemals wegschicken sollen! Hätte ihn einfach bei sich behalten sollen..

Wenn ihm nun etwas passierte..

Sie musste Meira unbedingt aufhalten.
 

„Wo willst du hin?!“

Dichter Nebel schnitt ihr den Weg ab, panisch versuchte Mana daran vorbei zu kommen, doch es war unmöglich.

„Zu Seth!“, schrie sie Akim an, sah plötzlich verzweifelt aus. „Akim.. Bitte...“

Er ließ sich nicht erweichen. „Warum sollte ich dem Mann helfen, der mir das Gedächtnis genommen hat?“, fragte er kalt.

Tränen schossen in Manas Augen. „Du sollst nicht ihm helfen“, flüsterte sie mit bebender Stimme, „Sondern mir! Ich habe dir doch gar nichts getan!“ Er musste es doch verstehen, er konnte doch nicht einfach so tun als wäre das alles nie gewesen.

Entnervt seufzte Akim. „Aber du willst ihm helfen! Wenn ich also dir helfe, dann helfe ich damit auch ihm“, erklärte er, als hätte er ein kleines Kind vor sich und ließ den Nebel noch dichter werden. „Du kannst von mir keine Hilfe erwarten.“

Die Priesterschülerin sackte in sich zusammen. Auf ihren Knien sitzend, weinte sie in sich hinein. Sie konnte gar nichts tun, war ihm gar keine Hilfe. Es war genau, wie Meira gesagt hatte, sie hatte ihm nichts zu bieten..

In Selbstmitleid versinkend, merkte Mana erst, dass Cyrus sich zu ihr heruntergebeugt hatte, als dieser bereits ihr Kinn festhielt und sie so zwang, ihn anzusehen. „Wieso hängst du so an dem Priester?“, fragte er hämisch.

„Warum nicht?!“, fauchte das Mädchen, und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Doch vergeblich.

„Ich glaube nicht“, entgegnete Cyrus kalt, „dass du in der Situation bist um Fragen zu stellen.“

Noch bevor Mana etwas erwidern konnte, bevor sie es geschafft hatte, sich aufzurichten und Cyrus Hand wegzustoßen, wurde sie zurückgestoßen und betrachtete erschrocken den weißen Lichtstrahl, der zwischen sie und Cyrus gestoßen war.

Folter

Finster und dunkel erschienen die Wände und Gänge, durch die sie eilte, schnellen, sicheren Schrittes führten sie sie immer dichter an ihr Ziel, trugen sie fast lautlos durch den Palast.

Sollte sich ihr jemand entgegen stellen, es war gleichgültig, niemand hier war sich dem bewusst, wer sie war, niemand würde etwas anderes in ihr sehen, als eine stumme Dienerin, die nichts anderes tat, als einem Befehl zu folgen. Sicher, ihr rotes Haar konnte nicht lange unentdeckt bleiben, doch wer würde schon darauf achten.

Unbehelligt erreichte Meira das Gemach des Hohepriesters, öffnete wie von Zauberhand die Tür und trat ein.

Es war kein besonders anmutiger Anblick, wie er dort lag, völlig entkräftet, auf dem Bett zusammengebrochen. Er schien zu schlafen, doch war er von einer enormen Unruhe geplagt, die ihn nicht genesen ließ. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Armer Priester..“, flüsterte sie, halb zu der leblosen Gestalt, halb zu sich selbst, „Schwacher Priester.. du hast keine Chance.. quälst du dich? Ich kann dir helfen, weißt du..“ Er zeigte keinerlei Reaktion, es ließ sich nicht feststellen, ob er wusste, dass sie hier war.

Sie ließ sich an seinem Bett nieder, strich ihm die Haare aus der Stirn. „Ich kann dich von deinem Leiden befreien..“ Er glühte. Meira ließ einen Nebel in dem Zimmer erscheinen, alles lag allein in ihrer Hand. „Bald hast du es überstanden..“, hauchte sie voller Entzückung, und entfernte den blutdurchtränkten Verband von seinem Bein. „Ich müsste nur zusehen, wie du verblutest.. aber das wäre dir nicht recht, oder?“ Erneut strich sie über seine Wangen, fast zärtlich. „Mir würde das auch keinen Spaß machen..“, fuhr sie fort, ohne darauf zu achten, dass er sie gar nicht wahrnahm. Der Nebel nahm eine grüne Farbe an, legte sich leuchtend direkt über den Priester. Meira wartete.
 

Nur wenige Augenblicke darauf schreckte Seth aus seinen Fieberträumen auf, ohne sich rühren zu können, einfach nur den Nebel über sich anstarrend. Auf das Schlimmste gefasst, blickte er sich um, so gut es ging, ohne seinen Kopf zu bewegen. Fast panisch blickte er in Meiras Gesicht, die nun, da ihre Magie ihn geweckt hatte, fast kindlich strahlte.

„Gut geschlafen?“, fragte sie tückisch, und veränderte die Gegebenheiten erneut nach ihrem Willen. Der Nebel, der noch eben grün gestrahlt hatte, nahm nun eine tiefblaue Färbung an.

Seth antwortete nicht, konnte es nicht. Er war ihr ausgeliefert, konnte sich weder befreien, noch um Hilfe schreien, alle Möglichkeiten der Wehr hatte sie ihm genommen, bevor er auch nur die Augen geöffnet hatte. Eine eisige Kälte ging von dem Nebel aus, fuhr tief ihn seine Glieder, ließ ihn zittern, ließ ihn frieren. Kälte, die er noch niemals gespürt hatte, durchzog alles an ihm wie eisige Dolche, denen er nicht entkommen konnte.

„Und?“, spottete das Mädchen, „Wie ist das so? Wehrlos? Ganz und gar hilflos? Wo du doch sonst immer der Große bist..“ Sie schüttelte ihren Kopf, warf ihr Haar zurück über ihre Schultern, „Aber nun.. keiner wird dir helfen.. meine Brüder kümmern sich um deine kleine Freundin..“ Meira stand auf und ging ans Fenster. „Sie macht nicht gerade den besten Eindruck, weißt du.“

Seth konnte nicht antworten. Jedes ihrer Worte war wie ein Stich, tief in seinem Herzen, es wurde immer kälter und er wusste nicht einmal, ob er all das nicht vielleicht wirklich verdiente.

Meira genoss es, ihn zu foltern, sah ihn mitleidig an. „Ist dir kalt?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte, „So besser?“

Der Nebel hatte sich rot verfärbt. Wie Feuer schien er sich in seine Haut einzubrennen, Hitze, die nun, da er die Kälte gespürt hatte, noch viel heißer und unerträglicher war. Er wollte, dass es vorbei war, es war ihm alles egal, was auch immer kommen sollte, sollte geschehen, doch es sollte jetzt passieren, sollte endlich alles beenden. Er wollte schreien, doch er brachte kein Wort heraus, alles was er hören konnte, war Meiras Gelächter, die sich nun über ihn gebeugt hatte und voller Hohn auf ihn herabsah, ohne dass der Nebel auch nur den geringsten Einfluss auf sie hatte.
 

Unerwartet und mit enormer Wucht schlug der Lichtblitz ein, ließ Cyrus zurückweichen. Er starrte in die Richtung, aus der der Angriff gekommen war.

„Du sollst deine Zeit nicht mit Fragen vergeuden, Mana, oder ihr werdet beide sterben!“ Die Stimme, die aus dem Nebel hervordrang, war klar und hell, hatte etwas mahnendes an sich. Um sie herum war alles hell, und über ihrem Kopf schwebte ein heller, weißer und wunderschöner Drache.

„Kisara!“, stieß Mana hervor. Nie hatte sie sich mehr gefreut, das weißhaarige Mädchen zu sehen. Sie kam wirklich wie gerufen. Trotzdem stand ihr der Sinn nicht danach, von ihr belehrt zu werden. „Das weiß ich auch! Aber ich komm hier ja nicht weg!“, meckerte sie.

Cyrus war wir von Donner gerührt.

„Das ist das Mädchen, das von Seth abserviert wurde!“, rief Akim ihm erklärend zu und Cyrus verstand. Das Mädchen mit dem Drachen.. er hatte ihr schon einmal gegenüber gestanden, doch damals war sie bei weitem nicht so entschlossen aufgetreten. Er zog den Nebel um sie enger. „Was willst du?“, fauchte er sie an.

„Ich will nicht, dass Seth stirb!“, entgegnete sie sauer. „Und auch, wenn ich Mana auf diese Weise loswerden könnte, hab ich doch nichts davon!“ Sie hob den Arm, der Drache folgte ihrer Bewegung und breitete seine gewaltigen Schwingen aus. Der Nebel um sie verschwand in einem weiteren Lichtstrahl. „Nun lauf schon!“, zischte sie der Priesterschülerin zu, während sie Cyrus und Akim im Blick behielt und der Drache Mana den Weg freihielt.

Diese ließ sich nicht zweimal bitten, sondern lief sofort los, rannte zum Palast, schneller als sie je gelaufen war. Sie blickte nicht zurück, sie musste einfach darauf vertrauen, dass Kisara wusste, was sie tat. Sie lief die Gänge entlang, stürmte auf des Priesters Gemächer zu, stieß die Tür auf und rannte hinein.
 

Akim versuchte Mana aufzuhalten, kam aber nicht an dem Drachen vorbei, der sich nun bedrohlich vor ihm aufbaute, Kisaras ganzen Groll in sich tragend.

„Du wagst es dich uns entgegen zu stellen?!“, fauchte er sie an. Niemals hätte er erwartet, dass ausgerechnet sie ihn würde aufhalten wollen. Sie, die doch von Seth so schlecht behandelt wurde. Er hatte nie groß auf sie geachtet, sicher, dennoch hätte er seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass sie niemals etwas tun würde, das Mana helfen würde. Selbst wenn es um Seth ging, es passte nicht zu seinem Bild von Kisara, dass sie Mana das Feld räumte, ihr den Vortritt ließ.

Kisara sah ihn ernst an. „Was hast du denn? Ist der Drache zu groß für dich?“ Sie legte ihren Kopf schief. Dabei fiel ihr Blick auf Cyrus, der sich am Nebel zu schaffen machte, und einen Vogel daraus formte. Er wollte seine Schwester warnen, wollte ihr Bescheid geben, doch das war gar nicht in Kisaras Sinne. Sie ließ den Drache den Vogel angreifen, und lenkte ihn dann auf Cyrus.

Sofort hielt dieser in seinem Bemühen inne, musterte das Mädchen besorgt. Er kannte die Gefahr, die von diesem Drachen ausging, wusste genau, dass Kisara keinerlei Scherze machte.

Er betrachtete seinen Bruder. Er hatte keine Ahnung, worauf er sich da einließ. Kurz entschlossen schloss er den Nebel um sich und Akim und verschwand mit ihm.

Kisara blieb allein zurück. „Feiglinge..“, murmelte sie sauer.
 

Erschrocken schrie Meira auf. „Du?! Hier?!“ Sie hätte nicht damit gerechnet, dass Mana hier herkommen könnte. Schließlich hatte Cyrus sich um sie gekümmert und selbst wenn sie ihm irgendwie entwischt wäre, er hätte sie gewarnt. Warum also war sie hier?

Mana war zwar außer Atem, dennoch fest entschlossen. „Natürlich bin ich hier“, sagte sie und ihr Blick fiel auf Seth. Sie nahm den Millenniumsstab, richtete ihn gegen Meira und aktivierte ihn. „Ich lasse nicht zu, dass du ihn umbringst!“, rief sie außer sich vor Wut.

Meira konnte zwar Manas Angriff abwehren, doch dadurch verlor sie die Kontrolle über den Nebel, der Seth noch immer folterte. Sie kümmerte sich nicht um ihn. Er konnte sowieso nichts ausrichten. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das Mädchen. Was auch immer ihre Brüder aufgehalten haben mochte, sie würde dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten. „Vergiss es!“, kreischte sie und feuerte Nebelkugeln auf Mana. So gut es ging, wich Mana aus, wurde ein paar Mal leicht gestreift, doch nicht schwerer getroffen. Auch sie griff weiter an, doch ihre Kraft ließ nach, der Millenniumsstab erforderte unglaubliche Konzentration. Und letztendlich war sie doch nichts weiter als eine Priesterschülerin, weder ausreichend in der Magie ausgebildet, noch eine Hüterin des Millenniumsgegenstandes.

Meira war sauer. Sie wich Manas immer kläglicher werdenden Angriffen aus, und griff sie ihrerseits weiterhin an. Im Gegensatz zu ihr jedoch ließ ihre Kraft nicht nach. „Stell dich mir nicht in den Weg, Kleine!“
 

Sie wollte weiter angreifen, wollte nicht einfach nur über die Nebelkugeln stolpern um ihnen irgendwie auszuweichen, doch sie konnte es nicht. Sie schüttelte den Stab, er wollte einfach nicht mehr auf sie hören, ließ sich nicht mehr kontrollieren. Ausgerechnet jetzt, wo sie ihn doch so sehr brauchte. Doch sie konnte nur noch ausweichen. Sie konnte wieder gar nichts tun.

Die Angriffe stoppten. Wie eine Furie trat Meira auf sie zu, schloss sie in einen dichten Nebel ein und ließ ihren Körper ein paar Zentimeter über dem Boden schweben. „So!“, fauchte sie ungehalten, „Nun darfst du zuschauen!“

Sie richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf den Priester, richtete den Nebel wieder auf ihn und tat so, als hätte Mana sie niemals unterbrochen. Dunkelblau leuchtete er, und ließ Seth vor Schmerzen aufschreien. Er wälzte sich hin und her, die Augen weit aufgerissen. Meira wollte nicht mehr spielen, sie wollte ihn leiden lassen, wollte ihn foltern und sich auf die Weise an Mana rächen.

Verzweifelt musste die Priesterschülerin zusehen, konnte sich nichts grausameres vorstellen, doch der Nebel hielt sie gefangen, der Stab ließ sich nicht aktivieren und ihren Eigenen hatte sie noch immer nicht wieder. Sie zuckte immer wieder zusammen, versuchte sich zu wehren, irgendwie freizukommen. „Lass mich los!“, schrie sie, doch Meira lachte nur.

Für sie war es eine Genugtuung, die beiden leiden zu sehen, sie lachte bestialisch, während sie Seth weiterhin Schmerzen zufügte.

„Seeeth!“, Mana schrie, verzweifelt, völlig außer sich. Sie weinte, wollte ihn nicht leiden sehen. Nein.. Es konnte einfach nicht sein, dass sie nichts tun konnte. All ihr Unterricht durfte nicht umsonst gewesen sein, sie musste doch etwas tun können. Sie versuchte die Nerven zu behalten, konzentrierte sich auf das, was sie konnte, während sie auf ihrer Lippe herum kaute. Sie schrei erneut auf, erregte damit Meiras Aufmerksamkeit.

„Was tust du?!“, rief diese als sie in Manas hochkonzentriertes Gesicht blickte.

Mana sank zu Boden, der Nebel, der sie festhielt, löste sich auf. Der Millenniumsstab war zu Boden gefallen, doch das kümmerte sie nicht. In ihrer Hand hielt sie einen ganz anderen Stab – ihren Stab. Sie hatte ihn gerufen, ohne zu wissen, ob sie Erfolg haben würde, doch schließlich war sie seine rechtmäßige Besitzerin und nicht Cyrus.

Neuer Mut durchzog sie, jetzt, da sie ihren Stab in den Händen hielt, einen Zauberstab, den sie wirklich kontrollieren konnte, fühlte sie sich viel besser. Nicht mehr so schutzlos, nicht mehr so ausgeliefert.

„Was hast du denn?“, spottete nun sie, „Verwirrt?!“ Sie lächelte.

Meira schüttelte entschieden den Kopf, was hier geschah, hatte nicht einmal die Millenniumskette ihr zeigen können. „Oh nein, du wirst ihn nicht retten!“, schrie sie, und richtete all ihre Kraft gegen den Priester, der sofort erneut aufschrie und kurz darauf das Bewusstsein verlor.

Mana nahm das alles nur zum Teil wahr. „Was hast du denn? Kleine Meira?“ Noch immer lächelte sie sie an, „Ganz allein?“ Sie hielt ihren Stab in die Richtung der Rothaarigen, die fauchte und mit Nebel um sich warf. Mana interessierte es nicht, lenkte jeden ihrer Angriffe ab. Ihr Stab hatte eine Magie freigesetzt, die ihr noch nie zuvor gelungen war. Doch sie war fest entschlossen, kein Zweifel wohnte in ihrem Herzen, kein Verständnis. „Ich werde dir niemals verzeihen!“, schrie sie Meira an, und schleuderte sie gegen eine Wand. „Wage es ja nicht noch einmal in Seths Nähe zu kommen!“

Die Nebeltochter schlug hart gegen das Gemäuer und sank zu Boden. Sie blieb liegen, war leicht benommen. Doch ihr Wille war nicht gebrochen, sie wollte Mana bezahlen lassen, wie konnte sie es wagen.

Mana ließ eine magische Kugel an der Spitze ihres Stabes erscheinen, lächelte Meira grimmig und zufrieden an. „Erinnert dich das an etwas?“, fragte sie voller Abscheu, ehe sie die Kugel auf ihre immer noch benommene Gegnerin feuerte.

Sie hatte keine Möglichkeit, auszuweichen. Sie konnte nur noch eines tun. Mit letzter Kraft beschwor Meira einen Nebelschleier um sich herum und verschwand.

Hindernis

Konzentration war alles, was sie brauchte. Mahado hatte es ihr immer schon gesagt, hatte ihr immer wieder versucht zu erklären, wie wichtig es nur war, dass sie mit Herz und Seele bei der Sache war. Sie hatte nie verstanden, was er von ihr wollte. Oft genug hatte er sie dafür ermahnen müssen. Doch nun. Mana konnte es kaum glauben. Sie hatte es geschafft, hatte den Zauber gebrochen, der sie gefangen hielt und sie hatte die Magie so lenken können, wie es ihr gefiel.

Und sie hatte Meira geschlagen.

Erschöpft, aber stolz senkte Mana den Stab, ließ sich auf Seths Bett nieder. Sie strich ihm über die Stirn, liebevoll und voller Sorge. Nie zuvor hatte sie ihn so verzweifelt schreien hören, ihn, der doch sonst so stark war. Ihr Blick fiel auf sein Bein. Das Blut war getrocknet, doch seine Verletzung sah nach wie vor schlimm aus. Sie seufzte leise, stand wieder auf und säuberte erneut die Wunde. Die Nebelmagie, die Meira gegen ihn eingesetzt hatte, schien nicht folgenlos geblieben zu sein. Der schnelle Wechsel zwischen Hitze und Kälte hatte eine unerwartete Wirkung auf Seths Bein.

Eine Weile lang betrachtete sie es unentschlossen, bis sie schließlich nicht mehr länger ruhig sitzen konnte. Warum denn nicht? Warum sollte es ihr nicht gelingen? Gelingen, was doch so nahe lag?

Der Stab lag noch immer neben ihr, ein einziger Handgriff reichte aus, um ihn wieder an sich zu nehmen. Sie war doch eine Magierin, oder? Hatte nicht ihr vorläufiger Sieg gegen die Nebeltochter eben jenes bewiesen?

Sie war nie so entschlossen, nie so sicher gewesen, dass sie es konnte. Seine Wunde. Von Magie zugefügt, war es doch nur naheliegend, dass sie auch so wieder geheilt werden konnte. Oder?

Die Priesterschülerin biss sich auf die Lippen, wie sie es in letzter Zeit schon öfter getan hatte. Eine lästige Angewohnheit, gegen die sie beizeiten etwas würde unternehmen müssen. Doch jetzt hatte sie anderes im Kopf. Sie musste es versuchen, sie war die Einzige, die im Augenblick etwas tun konnte. Und so konzentrierte sie sich auf ihren Stab und richtete seine Kraft auf Seths Bein. Sie schloss die Augen während der Prozedur und wagte kaum zu atmen. Alles hing nun von ihr ab, davon, dass sie es schaffte, die Magie erneut zu beherrschen.

Der Stab erweckte den Zauber und verstummte dann von neuem. Es dauerte eine ganze Zeit, ehe Mana es wagte, die Augen zu öffnen und ihren Blick auf das zu lenken, was sie getan hatte.

Die Wunde war verschlossen. Mana lächelte. Nun würde alles gut werden. Nun endlich gab es wieder ein Licht am Horizont.

Sie strich dem Priester über die Wange, und trat ganz nah an ihn heran. „Wach auf, Seth“, flüsterte sie behutsam, hauchte die Worte fast zärtlich in sein Ohr.

Und auch als er seine Augen nicht auf der Stelle öffnete, wusste sie dennoch, dass sie es geschaffen hatte.
 

Die Tür wurde aufgestoßen. Ohne zu klopfen trat Kisara in das Zimmer und fand Mana ruhig atmend und lächelnd an des Priesters Bett.

Es bereitete ihr einen Stich im Herzen die Beiden so zu sehen, doch was blieb ihr anderes übrig? Seth hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sie nicht mehr in seinem Leben wollte. Sie musste es akzeptieren oder verschwinden. Eine andere Möglichkeit hatte sie nicht. Sie war weder von edlem Geblüt noch in einer einflussreichen Position. Ihren Platz im Palast hatte sie einzig und allein Seth zu verdanken.

Sie wollte nicht zurück in die Gosse. Sie wollte bleiben. Und aus diesem Grund musste sie akzeptieren, auch wenn sie es nicht verstand.

Kisara blieb in einer Ecke des Raumes stehen und wartete. Unendlich viele Erinnerungen hingen an diesem Raum, doch nun musste sie nach vorn sehen, nicht zurück. Sie beobachtete Mana, still und unerwartet beeindruckt. Sie hatte es tatsächlich geschafft.

Sie sah zu, wie das Mädchen ihn auf die Stirn küsste und ihm ermunternde Worte zu murmelte, ehe sie sich schließlich zu ihr begab.

„Ich denke, er erholt sich wieder“, sagte Mana und Kisara nickte. Alles was er brauchte, war Schlaf und Ruhe.
 

Unruhig lief er im Zimmer auf und ab, immer wieder. Er konnte nicht anders. Nervös sah er sich um, konnte keine Sekunde still stehen. Sie war immer noch nicht zurück. Wo blieb sie nur?

Wenn er sie nur hätte warnen können! Aber das hatte dieses Mädchen mit dem Drachen verhindert. Verhindert, dass er ihr, seiner einzigen Schwester, nicht zur Hilfe hatte kommen können. Eines Tages würde sie dafür bezahlen..

Wenn er nur gewusst hätte, wo sie war, wie es ihr ergangen war.

„Kannst du mal aufhören?“

Cyrus zuckte zusammen, lief aber dennoch weiter. Er starrte seinen Bruder erbarmungslos an. „Wir müssen Meira finden!“, fauchte er. Es konnte einfach nicht sein, dass seine geliebte Schwester der Preis für Akims Rückkehr sein sollte.

Ob Akim Cyrus Gedanken erraten hatte oder nicht, er ließ es sich jedenfalls nicht anmerken. „Dämlich hin und her laufen bringt sie auch nicht her!“, patzte er vorwurfsvoll zurück, ohne sich darum zu kümmern, dass sein Bruder unentwegt weiterlief und auf das Zeichen wartetet, das ihm sagte, dass seine Schwester noch lebte.
 

Warmes Licht fiel durch die Fenster und erhellte den Raum, als seine Glieder aus ihrer Taubheit erwachten. Seth öffnete langsam und blinzelnd die Augen, sah sich um.

Neben sich, auf einen Hocker saß Mana, ihren Kopf hatte sie auf seine Decke gebettet. Sie schlief seelenruhig. Seth lächelte. Er setzte sich vorsichtig auf, scheiterte aber an dem Versuch sie dabei nicht zu wecken.

Sie gähnte herzhaft, reckte sich und sah dann strahlend in das Gesicht des Priesters. „Guten Morgen“, sagte sie leicht grinsend, „Auch wieder am Leben?“

Erst jetzt wurde Seth bewusst, dass einiges geschehen sein musste, seit er das Bewusstsein verloren hatte. Doch zu wenig hatte er mitbekommen, zu wenig um es wirklich beurteilen zu können. Seine Aufmerksamkeit fiel auf sein verletztes Bein, das nun wieder vollständig geheilt war.

„Was ist eigentlich passiert?“, fragte er, und kämpfte gegen das schlechte Gewissen an, das langsam in ihm aufstieg.

Mana sah ihn ernst und skeptisch an, den Kopf schiefgelegt. „Ich soll dir etwas erzählen?“, fragte sie und ihre Stimme klang unerwartet kalt und verletzt. „Du sagst mir doch auch nichts!“, klagte sie vorwurfsvoll an.

Schuldbewusst sah Seth sie an. Es stimmte. Seufzend musste er es zugeben. Er hatte keinerlei Recht, ihr Fragen zu stellen, wenn sie es nicht wollte. Er wendete seinen Blick von ihr ab, seufzte erneut und machte sich dann daran, aufzustehen. Wenn sie es ihm nicht sagte, musste er eben selbst Informationen auftreiben.

Mana drückte ihn entschieden zurück in die Kissen. „Bleibst du wohl sitzen?!“, schimpfte sie, jedoch nicht ohne zu lächeln. Und noch bevor er widersprechen konnte, begann sie zu erzählen.

Als sie geendet hatte, sah Seth sie erstaunt an, versuchte sich an einem Lächeln, was ihm jedoch nicht so ganz gelang. Er konnte kaum glauben, dass er sie so in Gefahr gebracht hatte, er wusste kaum, was er sagen sollte.

„Danke..“, hauchte er schließlich leise.

Das Mädchen lächelte, zwang ihn förmlich sie anzusehen. „Gern geschehen“, grinste sie, „Aber nächstes Mal erzähl mir bitte, wenn ich mich mit einem Feind anfreunde, ja?“ In ihrer Stimme lag kein Vorwurf, es war einfach nur eine Bitte, die sie an ihn richtete.

Der Priester nickte. „Ich kann mir absolut nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, dass er wieder erwacht..“, meinte er nachdenklich. Noch immer war er diesem Rätsel nicht näher gekommen, noch immer wusste er nicht, warum sein Zauber nicht ewig gehalten hatte, so wie er es einst beabsichtigt hatte.

„Vergiss das jetzt mal“, winkte Mana ab, und wirkte plötzlich aufgeregt und hellauf begeistert. „Ich hab ganz vergessen dir etwas zu sagen!“

Überrascht von dem plötzlichen Stimmungswandel blickte Seth sie an. „So? Was denn?“, fragte er interessiert, gab es etwa noch etwas, das ihm entgangen war?
 

Sie lag am Boden. Erschöpft und völlig entkräftet war es ihr dennoch gelungen zu entkommen. Sie kauerte sich keuchend zusammen. Sie lag irgendwo im Sand der Wüste, wo genau sie war, wusste sie nicht und es war auch nicht von Bedeutung. Eine Nebelhülle lag schützend um sie herum, sorgte dafür, dass der Sand nicht in ihre Wunden dringen konnte. Wunden, die ein kleines Mädchen ihr zugefügt hatte.

„Wo bin ich?“, fragte sie in die Stille hinein, ohne eine Antwort zu erwarten, und richtete sich mühsam auf. „Ich muss zurück.. zu den.. anderen..“ Sie beschwor einen Nebel, und sah ihn hoffnungsvoll, fast flehend an. „Bring mich zu Cyrus..“, flüsterte sie, und verschwand aus der Wüste.

Neben ihrem Bruder tauchte sie wieder auf, fiel zu Boden und seufzte benommen. Sofort hielt Cyrus inne, sah erschrocken zu ihr und rannte dann ohne noch länger zu zögern auf seine Schwester zu. Er beugte sich herunter, nahm sie in seine Arme, sodass er in ihr Gesicht sehen konnte. „Meira?“, flüsterte er, „Hörst du mich?“

Sie öffnete die Augen. „Verzeih mir..“, brachte sie verzweifelt und mit zitternder Stimme hervor, „Ich habe versagt..“ Sie keuchte.

Cyrus schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Meira“, widersprach er ihr und wiegte sie sanft in seinen Armen, „Hauptsache ist, du bist entkommen.. Hattest du es mit dem Drachen zu tun?“, fragte er, und war sich sicher, dass er Recht hatte.

Doch Meira schüttelte nun ihrerseits den Kopf. „Nein..“, murmelte sie, stockte dann. „Welcher Drache?!“, fragte sie besorgt, und versuchte sich aufzusetzen. Doch sie hatte nicht die Kraft dazu, also blieb sie in den Armen ihres Bruders liegen, der sie festhielt.

„Das weißhaarige Mädchen mit dem Drachen“, erklärte er ihr, „Sie ist der Kleinen zur Hilfe gekommen, deswegen mussten wir fliehen. Aber was hat dich dann aufgehalten?“, fragte er überrascht.

Meira lächelte gequält. „Die Kleine“, flüsterte sie.
 

„Atemu gibt ein Fest?!“

Ungläubig starrte Seth Mana an, die strahlend nickte. „Jaa, mit Musik und Tanz und großem Festessen“, schwärmte sie. Ihre Augen leuchteten förmlich bei der Vorstellung. „Da gehen wir hin, oder?“ Sie nahm seine Hände in die Ihrigen, lächelte ihn voller Erwartung an. „Biiitte!!“

Es war nicht zu übersehen, wie sehr sie sich darauf freute.

Der Priester jedoch schien nicht so angetan von der Idee. Dass der Pharao ein Fest gab, machte überhaupt keinen Sinn, gab es denn etwas zu feiern? Mana schien seine Gedanken erraten zu haben. „Er will die Neuen begrüßen oder sowas“, meinte sie abwinkend, „So genau weiß ich es nicht. Aber er wird alle einladen, wirklich jeden!“ Sie hüpfte vor ihm auf und ab. „Bitte, da gehen wir hin, ja?“

Doch noch immer schien ihre Begeisterung ihn nicht anzustecken. Seth grübelte einen Augenblick vor sich hin, ehe er schließlich antwortete. „Ich weiß nicht, ob ich einfach so mit dir dahin kann..“, sagte er.

Mana wirkte enttäuscht. „Wieso nicht?“

„Wenn das ein offizielles Fest ist, dann habe ich vermutlich Pflichten, denen ich nachgehen muss“, setzte Seth an, doch das Mädchen schüttelte ungeduldig den Kopf. „Und was hab ich damit zu tun?“

„Ich bin Hohepriester, Mana“, fuhr er fort, als wäre er gar nicht unterbrochen worden, „Wenn der Pharao es befielt, dann habe ich an seiner Seite zu stehen.. Egal, was für Meinungsverschiedenheiten wir sonst haben, die Etikette muss gewahrt werden.“

Mana verstand nicht. Sie sah ihn an, ließ gleichzeitig seine Hände los und trat unweigerlich einen Schritt zurück. Meiras Worte fielen ihr wieder ein, Worte, die voller Hohn gelungen hatten, und die sie tiefer getroffen hatten, als irgendeine von ihren lächerlichen Nebelkugel. Sie hatte ihm nichts zu bieten..

„Kisara durfte bei dir sein!“, entfuhr es ihr unweigerlich, trotzig.

Überrascht blickte er sie an, blieb aber ruhig. „Kisara stand nicht in erster Reihe am Hof des Pharaos. Ich sage doch nur, dass ich nicht mit dir dort hingehen kann, ich habe nicht gesagt, dass du da nicht auftauchen darfst.“ Zweifelnd betrachtete er sie. „Wieso bringst du Kisara da mit rein?“

Doch Mana beachtete diese Frage nicht. Sie weigerte sich, ihn länger anzusehen, blickte traurig und schwach lächelnd zu Boden. „Dann sind wir nicht wirklich.. zusammen?“, fragte sie mit brüchiger Stimme.

Zweifel

Überrascht und erschrocken sah er sie an, ohne wirklich in der Lage zu sein, ihren Blick zu deuten.

„Aber“, setzte er an und versuchte eine Sicherheit aufzubringen, die er selbst nicht in sich vermutete, „Das habe ich doch gar nicht gesagt!“

Wollte Mana ihn missverstehen? Oder war es doch das, was er wirklich dachte?

„Aber du willst mich vor der Etikette verleugnen“, warf sie ihm gekränkt vor, ohne vom Boden aufzusehen, „Weil es Probleme geben könnte?“ Sie verstand es nicht. Wieso hatte er sie überhaupt geküsst? Wieso hatte er ihr diese Hoffnung gemacht, wenn er sie doch nur enttäuschen wollte?

„Meine Position als Hohepriester verbietet es mir, mich den Befehlen des Pharaos zu widersetzen“, versuchte Seth zu erklären, „Und auch wenn ich in ihm, einen aufgeblasenen und inkompetenten Idioten sehe, muss ich mich dennoch an die Regeln halten.“

Hörte er sich überhaupt zu? Mana verdrehte sie Augen. Das war nicht der Seth, den sie kannte, er klang fremd und auf einmal unnahbar. Als betete er einen auswendig gelernten Text vor sich hin.

Unbeirrt fuhr er fort: „Wenn wir als Priester nicht unsere Pflichten erfüllen, dann glaubt das Volk an eine Revolte im Königshaus.“ Er versuchte es ihr klar zu machen, sie musste doch verstehen, dass dies nicht sein Wille war? Dass er sich diesen Weg nicht ausgesucht hatte?

Mana nickte. Sie weigerte sich noch immer ihn anzusehen, und sie hatte ihm auf kaum zugehört, doch sie nickte. Sie hatte schon verstanden, es war wirklich nicht schwer zu verstehen, was er ihr sagen wollte.

Schließlich packte sie der Trotz, gekünstelt lächelnd sah sie ihn an. „Ich werde trotzdem hingehen!“, beschloss sie.

Nun war es Seth, der nickte. „Wenn der offizielle Teil vorbei ist, werde ich nach dir suchen“, flüsterte er und wollte ihr damit neuen Mut machen.

Weiterhin zweifelnd sah sie ihn an. „Und du wirst mich auch küssen?“, fragte sie leise und blickte wieder zu Boden. Es war so viel leichter, wenn sie ihm nicht ins Gesicht sehen musste, wenn er ihre großen, flehenden Augen nicht sehen konnte.

Erneut war Seth überrascht und doch ertappt zugleich. Sie wusste heikle Fragen zu stellen, doch schließlich.. sie hatte Recht. „Aus welchem Grund sollte ich es nicht tun?!“, fragte er ausweichend und es war, als wäre die Antwort darauf nur eine Spiegelung der Gedanken für die er sich hasste.

„Ich bin immerhin eine Schülerin“, meinte sie leise, „Und ich weiß nicht, wie das Volk reagieren würde, wenn es dich mit mir sieht..“ Ihre Stimme brach ab. Es war ganz offensichtlich, dass ihr die Vorstellung entsetzliche Angst machte. Sie hatte Angst. Es war eine Angst, die, wie sich nun zeigte, gerechtfertigt war. Sie hatte ihm nichts zu bieten, sie war nur eine Schülerin, mitten in der Ausbildung und nicht einmal besonders gut. Wieso sollte er sie wollen? Warum sollte er sich für sie entscheiden? Allein die Vorstellung war lächerlich, und Mana wusste es.

Der Priester sah sie an, schüttelte den Kopf. „Wieso denkst du nur so einen Blödsinn?“, fragte er, die Stille durchbrechend, die sich zwischen sie gelegt hatte.

Mana sah ihn an. Sie wusste genau, aus welche Grund sie so dachte, wie sie dachte, doch sie zog es vor, nicht weiter zu widersprechen.

„Na wenn das so ist“, meinte sie und grinste leicht verlegen. Sie wollte ihm vertrauen, wollte ihm so gern glauben, dass er es ernst meinte. Als sie sich auf Zehenspitzen stellte, um ihn zu küssen, erwiderte er ihre Geste, auch wenn er mit ihrer Antwort alles andere als zufrieden war.

„Dann sehen wir uns trotzdem auf dem Fest?“, fragte sie und versuchte ihre Unsicherheit zu überspielen, in dem sie Strähnen ihres Haares ein- und wieder ausdrehte, ohne dabei auf etwas anderes zu achten, als auf seine strahlenden blauen Augen, die ihr schon so oft den Atem hatten stocken lassen.

„Ich weiß nicht, weshalb du von etwas anderem ausgegangen bist“, schloss der Priester seufzend, aber lächelnd. Ja. Er würde Mana sehen. Natürlich würden sie sich sehen, es wäre kaum zu vermeiden. Doch was würde sie sagen?

Hohepriester. Er hatte einen Ruf zu verlieren. Ein Image, für das er jahrelang gekämpft hatte..
 

Es klopfte an der Tür. Zunächst zaghaft und unsicher, doch dann fester.

Der Morgen war bereits angebrochen, ein weiterer Tag unter der Sonne Ägyptens sollte es werden, ein weiterer Tag in einem Königreich, das die Gefahr, die von den Nebelgeschwistern ausging, kaum wirklich ernst nahm. Selbst der Pharao konnte sich keinen Reim darauf machen, worauf sie aus waren, er hatte sie noch immer nicht kämpfen sehen und solange sein Hohepriester die Lage als nicht bedrohlich ansah, hatte Atemu nichts zu befürchten.

Der Priester jedoch.. Seth wusste sehr wohl, was von den Nebelkindern zu erwarten war; als er Akim in den Palast geholt hatte, hätte er die große Gefahr erkennen und bannen müssen.

Akim erinnerte sich, kannte seine Vergangenheit, trotz eines Zaubers, der ewig hatte halten sollen.

Erneut klopfte es an der Tür. Seth sah auf. Musste er sich nun selbst um alles kümmern? Seit er seinen Diener verloren hatte, fiel ihm erst auf, wie sehr er sich auf ihn gestützt hatte, in all den Jahren.

Murrend ging er zur Tür und öffnete sie, nicht wenig überrascht, Kisara den Raum betreten zu sehen.

„Du bist wieder bei Kräften?“, fragte sie und klang erleichtert. Wie es aussah, war sie gerannt um herzukommen, so eilig hatte sie es gehabt.

Seth sah sie an. Er war nicht sonderlich erfreut sie zu sehen, auch wenn er wusste, dass dieses Treffen nicht zu vermeiden war und so ließ er sie herein. „Offensichtlich, ja“, antwortete er, etwas gereizter als er es beabsichtigt hatte.

Er riss sich zusammen, atmete tief durch. „Mana hat mir alles erzählt“, sagte er leise und blickte sie dann an, „Ich danke dir, Kisara..“

Das Mädchen war verwundert, sie hatte nicht erwartet herzlich empfangen zu werden, doch der kalte Unterton des Priesters zur Begrüßung war nicht zu überhören gewesen.

„Zwei gegen einen ist unfair“, erklärte sie leicht verbittert, „Vor allem, wenn einer von beiden einst ein guter Freund von Mana war..“ Unfair und vor allem überflüssig herbei gerufen. Und dennoch. Seth verstand es nicht.

„Du hast ihr die Möglichkeit gegeben, mir zur Hilfe zu kommen.. Wieso bist du nicht selbst gekommen?“

Es wäre viel einfacher gewesen, wahrscheinlich auch schneller gegangen und trotzdem.

„Ich dachte, du würdest nicht von mir gerettet werden wollen..“, seufzte Kisara kleinlaut und setzte sich auf einen Stuhl, der im Raum stand.

Der Priester sah sie an, verblüfft und überrascht zugleich. „Ist dir klar, dass du Mana und mich hättest sterben lassen können, wenn du gewollt hättest?“ Er wurde einfach nicht schlau aus ihr, ihre Handlungen waren so widersprüchlich, ergaben überhaupt keinen sinnvollen Zusammenhang.

Kisara schien zu wissen, wovon er sprach, woran er dachte. Sie nickte.

„Wenn ich gewollt hätte, ja“, sagte sie leise, „Ich denke, es war dumm von mir so zu handeln, wie ich es getan habe..“, mit jedem ihrer Worte, wurde ihre Stimme leiser, verlor an Kraft. „Durch die Unterstützung für Mana werde ich es nicht wieder gut gemacht haben.. aber ich hoffe, dass ihr mir wenigstens ein Stück meiner Wut verzeiht..“

Betroffen und unentschlossen hörte Seth ihr zu, nickte schließlich fast unmerklich. Er wusste einfach nicht, was er von ihr halten sollte. Er schwieg.

Kisara sah ihn an, bemüht, das Gespräch am Laufen zu halten, nun, da sie wirklich einmal miteinander redeten, ohne zu schreien, ohne sich gegenseitig fertig zu machen.

Sie lächelte. „Ihr passt so gar nicht zueinander“, gab sie zu und kicherte dabei leicht. Es war kein Vorwurf, es war kein Vorwurf, es war eine Feststellung und sie war in keiner Weise böse gemeint.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Seth voller Unbehagen und doch interessiert.

Kisara ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, schüttelte ihr langes Haar aus dem Gesicht. „Sie ist doch das genaue Gegenteil von dir“, sagte sie leichthin, darauf bedacht, dass es nicht so klang, als würde sie sich über ihn lustig machen, „Freundich, optimistisch, quirlig, zuversichtlich..“, sie lächelte ihn an, „Du dagegen bist Hohepriester, streng, an die Etikette gebunden, negativ und egoistisch. Der rechtmäßige Pharao, natürlich“, sie sah ihn mit großen Augen an, „Was interessiert sich an dieser einfachen, jungen Priesterschülerin?“

Seth war leicht belustigt, blieb jedoch ernst. Wieso sollte er ausgerechnet mit ihr darüber reden? Wieso stellte ausgerechnet sie ihn zur Rede?

Und dennoch. Sie hatte ihn und Mana gerettet, hatte sie nicht zumindest ein Recht darauf, Fragen zu stellen? Sie, die doch seine Position so genau kannte? Wusste, was unmittelbar bevorstehen musste? Es sich vielleicht sogar wünschte?

Seth atmete tief durch, sah in Kisaras kalt glänzende Augen, versuchte zu verstehen.. War dies der wahre Grund? Hatte sie Mana aus dem einzigen Grund heraus gerettet, um die Demütigung der Schülerin mit an zusehen? Wollte sie auf diese Weise ihre Rache besiegeln?

Und doch. Kisaras nachdenklicher Blick wirkte weder falsch noch berechnend.

„Vielleicht ist es gerade dieses Gegensätzliche, das uns verbindet..“, antwortete Seth schließlich und versuchte, ihr keine Gelegenheit zum Angriff zu geben, falls sie darauf hoffte.

„Aber es passt nicht zu dir, Seth“, versuchte sie zu erklären. Sie sah ihm in die Augen, versuchte ihn zu durchschauen. „Liebst du sie?“, fragte sie, „Liebst du sie von ganzem Herzen?“

Sie wusste, sie wagte sehr viel, doch sie wusste auch, dass sie es sich erlauben durfte, denn sein Vertrauen hatte sie längst verloren und schlimmeres konnte er ihr kaum noch antun.

Der Priester zögerte, einen Moment zu lang. Ihre Frage hatte ihn eindeutig auf dem falschen Fuß erwischt. Er dachte nach, versuchte sich darüber klar zu werden, was er fühlte. Sicher, er hatte ihr eine ganze Menge zu verdanken, und ihre Anwesenheit machte ihn glücklich, aber. Reichte das aus? War das Liebe?

„Ich glaube schon“, antwortete er und gab Kisara damit in ihren Zweifeln recht.

„Du klingst nicht sehr überzeugt, ist dir das aufgefallen?“, erwiderte sie mit fragendem Blick, in der Hoffnung, dass sie noch nicht zu weit gegangen war, und er ihr noch einmal antwortete.

Doch sie wurde enttäuscht.

„Das ist meine Sache“, fauchte er und drehte sich von ihr weg. Es war seine Sache, weshalb mischte sie sich da ein? Was hatte sie davon?

Kisara wusste, wann es an der Zeit war, nachzugeben. Sie kannte Seth zu gut, als dass sie darauf gehofft hätte, dass er als Erster nachgab. Leicht schmunzelnd wechselte sie das Thema.

„Sag mal ... Weißt du, was der Fremde wollte? Der Bote von der Grenze?“ Es interessierte sie, auch wenn er sich unglaublich taktlos verhalten hatte.

„Ein Fremder?“, der Priester drehte sich wieder um, schüttelte den Kopf, „Ich weiß nichts von einem Fremden hier im Palast. Du sagst, er ist einer von der Grenze?“

Das Mädchen nickte. „Ja, aus Libyen, er wollte zum Pharao“, erklärte sie, „Und er schien es unglaublich eilig zu haben.“ So eilig, dass er nicht einmal mehr zu zeigen in der Lage war, dass er wusste, was Anstand bedeutete.

Ein Bote von der Grenze, und er wollte zum Pharao? Es war wahrlich an der Zeit, da er wieder in das Geschehen im Palast eingriff. Zulange war er ans Bett gefesselt gewesen, zu lange hatte man ihm die Zügel aus den Händen genommen.

Doch er kam nicht dazu, ihr weitere Fragen zu stellen, denn im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür zu seinem Gemach und Mana kam lachend herein gestolpert. Als sie Kisara erblickte, schenkte sie ihr ein warmes Lächeln. „Guten Morgen!“, flötete sie vergnügt und warf sich in Seths Arme.

Sie hatte keine Ahnung, worüber die Beiden gerade sprachen und es war ihr auch egal. Sie freute sich auf den bevorstehenden Abend, es war kaum zu übersehen. Sie strahlte übers ganze Gesicht, hüpfte lachend umher.

Kisara schmunzelte. Ja, sie war wirklich das Gegenteil von Seth, niemand würde das bezweifeln. „Das Fest beginnt bald!“, rief sie und tanzte dabei fast so vergnügt durch den Raum, als wäre sie schon dort.

„Ist das etwa heute?“ Seth blickte leicht schockiert zu Mana, die lachend auf ihn zu kam, ihn anstrahlte und ihm mit den Fingern auf seine Nase tippte. „Natürlich ist das heute!“, rief sie freudig und tanzte um ihn herum.

Seth sah Kisara an, die amüsiert kicherte und nickte.

Ohne Diener erfuhr er wirklich nichts, stellte Seth erneut fest, erhob sich dann. Auch er lächelte nun. „Es tut mir Leid, wenn das so ist, muss ich euch Beiden kurz allein lassen.“

Unglauben

Er hatte sich verhört, es musste einfach so sein. Es war einfach nicht möglich, dass seine geliebte Schwester, die jetzt entkräftet und erschöpft in seinen Armen lag, von einem kleinen Mädchen besiegt worden war! Sicher hatte sie Hilfe gehabt, bestimmt war das Drachenmädchen an ihre Seite geeilt.

Und doch.

Hatte Meira nicht gesagt, dass es nicht so war? War sie nicht sogar überrascht gewesen, überhaupt von dem Drachen zu hören?

Er musste es unbedingt wissen, drückte sie ungeduldig an seinen Körper, fest in seine starken Arme.

„Die Kleine?“, fragte er, voller Unbehagen, „Wie das?“

Meira nickte. Sie wusste, wie merkwürdig das in seinen Ohren klingen musste, doch sie konnte es nicht ändern, es entsprach der Wahrheit. „Es tut mir Leid, Bruder“, flüsterte sie, „Sie hatte plötzlich…“, wie sollte sie es sagen? „Plötzlich unbekannte Kräfte…“

Cyrus verstand nicht. Er wollte so vieles von seiner Schwester wissen, gleichzeitig jedoch war er auch darauf bedacht, sie nicht zu überfordern, sie hatte schon genug durchgemacht. Akim hingegen… Er schüttelte kurz den Kopf. Es war kaum zu glauben, wie wenig Anteil er an Meiras Situation hatte.

„Was für Kräfte?“, fragte er nach, „konnte sie den Millenniumsstab kontrollieren?“ Es war das Einzige, das einen Sinn ergeben würde. Der Millenniumsstab besaß zweifellos unglaubliche Kräfte, aber es war schon eigenartig genug, dass der Priester ihn aus der Hand gegeben hatte, viel unwahrscheinlicher war es da erst zu erwarten, dass Mana diesen Stab beherrschen konnte.

Meira schüttelte energisch den Kopf, bereute es aber gleich darauf wieder. Sie war einfach noch zu erschöpft und es kostete sie zusätzliche Kraft. Kraft, die sie im Augenblick nicht hatte. Sie hielt sich den Kopf. „Nein“, sagte sie leise, „Nicht den Millenniumsstab… Da war ein anderer Stab, wie aus dem Nichts… ihr eigener Stab… Sie hat meine Kräfte fast vollständig gebunden…“, sie wagte es kaum, Cyrus anzusehen, „Ich musste fliehen…“

Sie konnte sich kaum selbst erklären, wie es Mana gelungen war, sie zu besiegen. Doch offenbar hatte ihre Wut darüber, dass ihr geliebter Priester angegriffen wurde, die Magie ihr gehorchen lassen. Magie, die Meira nicht erwartet und deshalb unterschätzt hatte.
 

Langsam aber dennoch zielstrebig ging Seth den Gang entlang. War es naiv gewesen, zu glauben, dass sie ihn einfach würde gehen lassen? Erwartete er da zu viel von ihr?

Es war nicht leicht gewesen, den Raum zu verlassen, von Mana loszukommen, ihr klar zu machen, dass sie ihn gehen lassen musste. Doch was auch immer sie sagen mochte, es änderte nichts. Er musste zum Pharao, seine Pflichten erfüllen, seine Unterstützung für das Fest anbieten und versichern, was auch immer der Anlass dazu sein sollte. Es gab einfach keinen Grund ein Fest zu veranstalten…

Doch Atemu war Pharao, es war seine Entscheidung und da das Wohl des Königreiches davon nicht in Gefahr gebracht wurde, würde Seth nicht widersprechen.

Doch weshalb sollte es nun ein Fest geben? Wollte der Pharao seine Vermählung mit Prinzessin Teana bekannt geben?

Es war schließlich allgemein bekannt, dass die Prinzessin ein Kind erwartete. Ein Kind, das eines Tages die Geschicke Ägyptens lenken sollte.

Seth lief den Gang entlang. Woran dachte er nur? An des Pharaos Kind? Was war nur in ihn gefahren? Es war um so vieles wichtiger, dass er herausfand, wieso das mit Akim geschehen war…

Er hätte viel eher darauf aufmerksam werden müssen, hätte die Gefahr erkennen können, wenn er es nur verstanden hatte.

Akim hatte Mana seinen Namen genannt. Es hatte ihn stutzig gemacht, doch er hatte sich schlicht und einfach nichts weiter dabei gedacht. Aber eben dieser Name war der Schlüssel der Erinnerungen gewesen; die Nebelgeschwister Meira und Cyrus mussten mit ihrer Magie den Zauber gebrochen haben, ohne es selbst zu beabsichtigen.

Seth blickte auf, sah den Pharao im Gang stehen, ganz so, als hätte er ihn erwartet und sicher gehen wollen, dass er auch wirklich kam. Atemu winkte Seth in den Thronsaal herein, lächelte.

„Du bist wieder wach!“, stellte er fest, „Wie geht es dir?“ Doch ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: „Gut, dass du da bist, wir brauchen dich für die Planung!“

Es überraschte Seth, so höflich begrüßt zu werden, er hatte mit etwas anderem gerechnet. Weniger überraschte es ihn jedoch, dass er gebraucht wurde. Er sah sich im Thronsaal um, die Vorbereitungen schienen in vollem Gange.

„Deswegen bin ich hier“, antwortete der Priester schlicht.

Atemu begann sofort zu erzählen. Er machte einige Vorschläge für Zeremonien, erklärte ihm die Aufstellung der Tische. Der ganze Abend schien vorgeplant zu sein. Er legte unerwartet hohen Wert auf des Priesters Meinung, der sich noch darüber wunderte, als Atemu den höheren Hofstaat aufzählte, den er an die Tische zu setzen gedachte. „Da quer vorm Thron“, er zeigte darauf, „der Tisch mit den Hohepriestern und mir, du links von mir und dann da rechts ein anderer Tisch. Dort sitzen die übrigen Priester und unser Gast von der Grenze.“ Er hielt kurz in seinem Vortrag inne und sah seinen Gegenüber wissend an. „Es wird dich freuen zu erfahren, dass auch Priesterin Adalia uns mit ihrer Anwesenheit beglücken wird. Sie hat vor ein paar Tagen darum gebeten, den Tempel in der Obhut der übrigen Priester zu lassen und in den Palast zurückkehren zu dürfen.“

Seth lächelte. Wenn das stimmte, dann war der Palast um eine fähige Person reicher.

Atemu nickte wissend, fuhr dann damit fort, Seth alles genauestens darzulegen. Er zählte noch einige weitere Namen auf, ehe er zu Mana kam, die er am Ende des Raumes Platz nehmen lassen wollte.

Er sah Seth an. „Wo wir gerade dabei sind, wie geht es ihr?“

Seth war in der Zwischenzeit dazu übergegangen, ihm einfach zuzustimmen, hörte aber dennoch aufmerksam zu. Auch er sah auf.

„Mana? Ich denke, es geht ihr gut, sie war ziemlich erschöpft, aber ansonsten… geht es ihr wieder besser.“

Er lächelte beim dem Gedanken an Mana, unbeabsichtigt, und dennoch unweigerlich.

Atemu nickte erleichtert, Mana war ihm eine gute Freundin und ihr Wohl lag ihm am Herzen. Er verschränkte die Arme, sah mit sicherem und festem Blick zu Seth auf. Die lockere Atmosphäre war verschwunden, ernst betrachtete der Pharao ihn.

„Nun zum wichtigsten“, sagte er, sowohl nachdenklich als auch fast ein wenig unbekümmert, „Du hast sicher nach einem Anlass für diese Festlichkeiten gesucht.“

Seth nickte.

„Die Situation in Ägypten ist nicht gerade die beste, das weißt du. Teana hat das Kind noch nicht geboren. Ich habe mich deswegen dazu entschlossen, etwas bekannt zu geben.“ Er seufzte leicht, fast unwillig weiterzusprechen und doch tat er es. „Mein Kriegsberater hat die Situation an der Grenze beschrieben. Sie ist äußerst angespannt. Ich habe noch keinen Nachfolger.“ Er sah den Priester an. „Interessiert?“
 

Stille trat ein. Seth sah den Pharao überrascht an. Hatte er sich verhört? Nachfolger des Pharaos… Was konnte Atemu zu diesem Schritt bewegt haben? Was war der Grund dafür, dass er alle Vorbehalte seinem Priester gegenüber hatte fallen lassen?

Fragen, nichts als Fragen, die es zu beantworten galt. Er hatte zu viel verpasst, die Zeit, die er verletzt das Bett hatte hüten müssen, zeigte sich nun deutlich.

Er sah Atemu unverändert ins Gesicht, noch immer verwundert. „Ich? Pharao?“ Er tat so, als hielte er nicht besonders viel von der Idee, als wäre sie völlig abwegig. Doch dann lenkte er ein. „Sollte Euch etwas zustoßen, werde ich Euren Platz einnehmen“, sagte er höflich, „Aber ihr solltet nicht in die Schlacht ziehen, Euer Platz ist hier.“

Der Pharao verdrehte die Augen. Diese Antwort war absolut typisch für Seth und doch hatte er sie nicht erwartet. Er ging ein paar Schritte auf und ab.

„Das weiß ich auch…“, murmelte er leise, sah Seth dann ernst an. „Und wir Beide wissen, dass der Thron eigentlich dir zugestanden hätte. Du würdest also sowieso den Thron besteigen, wäre kein Nachfolger in Sicht.“ Während er redete, hielt er weder in seinem Lauf inne, noch ließ er Seth aus den Augen. „Es ist eh beschlossene Sache, Seth, es sei denn, du lehnst das Angebot strickt ab.“

Auffordernd betrachtete er ihn. Natürlich, Seth hatte schon einmal nach der Krone Ägyptens gestrebt, doch letzten Endes stand sie ihm schließlich auch zu. Auch der Priester sah nun ernst aus. „Ich werde das Angebot nicht ausschlagen“, sagte er schließlich und lächelte leicht, „Das solltet Ihr eigentlich wissen…“

Erneut legte sich ein Lächeln auf die Lippen des Pharaos. Er drehte sich kurz um, verharrte aber nicht lange mit dem Rücken zu seinem Cousin. Da war noch etwas, das er ansprechen wollte, ein Thema, das unweigerlich mit der Ernennung Seths zusammenhing.

„Mana scheint sehr viel von dir zu halten“, sagte er und musterte seinen Hohepriester mit unverhohlenem Interesse.

Seths Lächeln verblasste. Er hatte das Thema unter allen Umständen vermeiden wollen, doch nun, da es so direkt angesprochen wurde, sah er keine Gelegenheit sich da herauszureden.

„Das mag schon sein“, antwortete er daher ausweichend.

Atemu nickte leicht, und seufzte. „Soll Kisara den Platz neben dir kriegen?“, fragte er mit für den Priester zu viel Verständnis und wissendem Blick, „Oder willst du sie überhaupt dabei haben?“

Seth wusste, dass die beiden Themen direkt miteinander zu tun hatten, und doch hoffte er so, das Gespräch wieder in ihm besser gefallende Richtungen zu lenken.

Er dachte für einen Moment aufrichtig über Atemus Frage nach. Er hatte ihr einiges zu verdanken, das war nicht von der Hand zu weisen.

Schließlich ergriff er entschlossen das Wort. „Ich möchte, dass sie an dem Fest teilnimmt“, sagte er mit fester Stimme, „allerdings nicht an meiner Seite.“

Diese Aussage überraschte den Pharao nicht, er nickte ein weiteres Mal, und ließ die Sache damit auf sich beruhen. Sie hatten noch einiges zu tun bis zur Eröffnung des Festes und so verloren sie nicht mehr von der immer knapper werdenden Zeit, die ihrer gemeinsamen Regentschaft geblieben war.

Festlichkeiten

„... und deswegen ernenne ich hier und heute den Hohepriester Seth zu meinem Nachfolger, auf dass er unser Volk in ein gutes und strahlendes Leben führe, sollte ich einmal nicht mehr in der Lage dazu sein!“

Festlich gekleidet stand Atemu vor seinen Gefolgsleuten, Seth an seiner Seite. Er griff nach seiner Hand, steckte ihm den Siegelring an und grinste fast dabei, ehe er ihm als Erster gratulierte.

Die Massen, überrascht und begeistert zugleich, brachen in überschwänglichen Applaus aus. Sie hatten nicht gewusst, was sie an diesem Abend erwarten würde, doch die Kunde, dass die Thronfolge fest stand, ließ sie vor Freude aufschreien, klatschen und jubilieren. Nur wenige gedachten in diesem Moment Seths früheren Versuchen, die Herrschaft über Ägypten an sich zu reißen.

Unter all den applaudierenden Menschen saß Mana, viel zu perplex und durcheinander um mit zu klatschen.

Seth ... Pharao? Sicher, die Krone stand ihm zu und sie gönnte ihm den Triumpf, doch sie konnte es kaum glauben, und vermutete daher, sie müsste träumen. Verwirrt versuchte sie, seinen Blick zu fangen, doch es war unmöglich.

Seth, noch immer neben dem Pharao stehend, bedankte sich gerade für die Ehre, die ihm zuteil wurde und verbeugte sich leicht,

Der Pharao tat es ihm gleich, ehe er sich umdrehte, und das Wort an sein versammeltes Volk richtete. Er erhob die Arme.

„Die Umstände sind nicht die besten für ein Fest, und doch möchte ich euch bitten, Freunde, feiert, tanzt, esst und trinkt so viel es euch beliebt. Seid glücklich an diesem Tag und denkt nicht nach!“

Sogleich setzte die Musik ein und Tänzerinnen betraten die Bühne um die Aufmerksamkeit der Massen auf sich zu ziehen. Zufrieden setzte sich Atemu auf seinen Thron und lehnte sich leicht zurück. Lächelnd drehte er sich zu Teana, die an seiner Rechten saß. Er konnte es nicht lassen, eine Hand auf ihren Bauch zu legen. „Ist alles in Ordnung?“, hauchte er seiner Geliebten ins Ohr.

Die siebzehnjährige Prinzessin lächelte ihn verliebt an und legte ihre Hand auf seine. „Uns geht es gut, mach dir keine Sorgen“, sagte sie lieb und sah sich um. „Es läuft alles so, wie du es geplant hast, nicht wahr?“

Atemu nickte. „Ja, alle, die erwartet wurden, sind gekommen, sie feiern und lachen“, er lächelte Teana an, „Und ich habe eine wunderschöne Frau an meiner Seite. Dabei kann gar nichts schief gehen“, sagte er schwärmerisch.

„Du schmeichelst mir“, antwortete Teana lächelnd, und betrachtete ihren Verlobten aufmerksam. Sein Blick war auf Mana gerichtet, und auch Teana konnte nicht entgehen, was Atemus Aufmerksamkeit auf sich zog. „Ist dir aufgefallen, dass Mana nur Augen für Seth hat?“, fragte sie ein wenig beunruhigt. Der Pharao stimmte ihr zu, sprach ebenso leise wie sie. „Andersherum ist es ebenso“, meinte er.

Teana sah ihn an. „Und trotzdem hast du ihn zum Nachfolger ernannt?“ Immer wieder fiel ihr Blick auf Mana. „Die Beiden können niemals zusammen sein ...“

Atemu seufzte leise. Sie hatte Recht, er wusste es genau. Und doch. Was hätte er tun sollen? Im Falle eines Falles würde Seth ohnehin den Thron besteigen, er würde keinen anderen Herrscher dulden. Und außerdem ...

„Wen hätte ich denn sonst ernennen sollen?“, fragte er leicht zweifelnd.

Teana schüttelte lächelnd den Kopf. Sie wusste genau, was im Kopf ihres Verlobten vor sich ging. „Nein“, sagte sie sanft, „Seth ist schon der Richtige.“ Sie sah kurz zu ihm hinüber, „Vor allem hätte er es niemals zugelassen, wenn du einen Anderen ernannt hättest ...“ Auch sie seufzte nun. „Aber Mana ... sollte Seth Pharao werden, wird seine Partnerin Königin. Das Volk würde sie niemals akzeptieren ... Sie ist nur eine einfache Priesterschülerin.“

Atemu nickte und sah erneut zu seinen Cousin. Hatte er überhaupt die Wahl?

„Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als ihn darauf hinzuweisen und, wenn er nicht auf mich hören will, einen anderen Nachfolger zu bestimmen ...“

Teana hielt viel von Atemu und war auch fast immer mit ihm einer Meinung, doch nun widersprach sie entschieden. „Das kannst du nicht machen!“, entsetzt sah sie in Atemus violette Augen, „Das gäbe einen Skandal! Jetzt, da du ihn ernannt hast, solltest du deine Entscheidung nicht mehr rückgängig machen, das Volk würde sich verunsichert fühlen.“

Ernst betrachtete er sie. Sie hatte Recht, wieder einmal. Das Volk zu verunsichern entsprach seinem Wunsch in keinster Weise. Bedauern lag in seiner Stimme, als er sprach, „Falls es so sein sollte, können wir diese Liebe nicht gestatten, oder Ägypten wird qualvoll untergehen ...“ Erneut seufzte er, „Seth muss es einfach einsehen, er ist mit der Etikette vertraut. Ich werde mit ihm reden ...“
 

Während der Großteil der Menge in die Mitte strömte um zu feiern und sich zu unterhalten, blieb Mana an ihrem Platz sitzen und nippte an einem Bier. Immer und immer wieder sah sie zu Seth hoch und grinste still und leise vor sich hin.

Noch immer versuchte sie Seths Blick auf sich zu lenken, immer wieder schweiften auch seine blauen Augen zu ihr herüber.

Er hatte vorher nicht mehr mit ihr sprechen können und so war er gespannt zu erfahren, was sie von der Sache hielt. Er spürte tausende Augenpaare, die sich auf ihn richteten, spürte die Erwartungen, die all diese Menschen hatten, die Hoffnung, die sie in ihn setzten und er genoss es in vollen Zügen.

Als Manas Blick den seinen schließlich traf, lächelte er sie an, erhob sein Glas, schaute in ihre Richtung und trank einen Schluck des Weines, der sich darin befand.

Mana tat es ihm gleich. Im Gegensatz zu Seth beließ sie es jedoch nicht bei einem Schluck, sondern leerte gekonnt mehrere Gläser nacheinander und sagte nicht ‚nein‘, wenn ihr noch etwas angeboten wurde.

Seth blickte immer wieder zu Mana, doch mindestens ebenso häufig in die Runde, sein Volk betrachtend. Atemu hatte ihn offiziell zu seinem Nachfolger ernannt. Wenn ihm nun also etwas zustoßen sollte, wäre das Überleben des Landes gesichert und er, Seth, wäre Pharao. Letztendlich würde sich sein Geburtsrecht doch noch erfüllen. Er konnte es kaum glauben. So viele unerwartete Möglichkeiten boten sich ihm nun, Wege, die er nie erträumt hatte, eines Tagens betreten zu können.

Es machte ihn stolz und nachdenklich zugleich; Seth blickte erst wieder auf, als Atemu sich zu ihm wendete und ihn bat, ihn zu begleiten.
 

Mana blieb auf ihrem Stuhl nicht lange sitzen. Ein paar Mal noch hatte sie versucht, Seths Aufmerksamkeit zu bekommen, doch schließlich fand sie sich damit ab, dass er wohl doch nicht zu ihr kommen, sein Versprechen wohl doch nicht halten würde.

Sie fühlte sich einsam am Tisch, verlassen und sie sprach sie dem Alkohol zu. Es war überhaupt nicht ihre Art, doch an diesem Tag empfand sie es als angemessen. Als einer der Priester sich schließlich zu ihr herüber lehnte und sie zum Tanzen aufforderte, lehnte sie nicht ab.
 

Seth hatte nicht damit gerechnet, so vorzeitig den Thronsaal zu verlassen, doch er folgte dem Pharao, wenn auch unverkennbar überrascht.

Jene Gäste, deren Weg sie kreuzten und die bemerkten, dass sie den Saal verließen, neigten ihre Köpfe zu den Beiden und tuschelten leise.

Atemu störte sich nicht daran, unbeirrt ging er durch den Gang, ehe er sich an einer ruhigen Stelle zu Seth umdrehte.

Ernst sag er ihn an, zögerte einen Augenblick. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte, doch da er wusste, dass dieses Gespräch unvermeidbar war, fing er schließlich doch an.

„Ich hoffe, die weißt, was für Verantwortung du durch diesen Titel übernimmst“, sagte er ernst, „Das Volk vertraut dir, und ich denke, sie werden dich als Pharao akzeptieren, falls es der Zufall will, dass ich meinen Platz abgeben muss.“

Fast ebenso ernst wie der Pharao sah auch Seth diesen an. Er wusste nicht, was das sollte, weshalb Atemu ihm das nun unbedingt während der Feier erzählen musste. Doch er blieb gefasst. „Falls dieser Zufall eintreten sollte, werde ich mein bestes geben um ein guter Pharao zu werden.“

Atemu lächelte. „Daran zweifle ich nicht“, meinte er und sah seinen Priester wieder ernst an. „Aber ein Pharao darf sich keine Fehler erlauben, die dem Volk widerstößig erscheinen können. Die Liste der Benimmregeln ist lang, einiges ist einzuhalten.“

Er verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. „Wie stehst du zu Mana?“

Seth musterte Atemu ganz genau. Er glaubte zu wissen, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte, und doch ließ er sich nichts anmerken.

„Darf ich fragen, was sie damit zu tun hat?“, erwiderte er stattdessen, darauf bedacht höflich zu bleiben.

Atemu verdrehte die Augen. „Du weißt sehr wohl, was ich meine ... Ich bin nicht blind, Seth.“ Er sah ihn ehrlich an. „Und ich weiß auch, dass du ihr einiges verdankst. Aber sie ist zu jung, sie ist eine Priesterschülerin, zukünftige Priesterin. Sie hat Gelübde abgelegt, die eine Beziehung ausschließen. Ich will niemandem die Liebe verbieten, aber wenn sie mit dir zusammen ist, und du Pharao wirst, wird das Volk dich niemals akzeptieren.“

Seth verriet durch keine Regung, was diese Worte für ihn bedeuteten, er ließ den Blick auf Atemu nicht sinken, und nickte verstehend.

„Sollte ich Pharao werden, werde ich dem Willen des Volkes gerecht werden ... So wahr ich hier stehe.“

Doch Atemu war nicht zufrieden. Er seufzte. „Seth, glaubst du, das Volk achtete nicht schon jetzt auf dich? Meinst du nicht, es gibt schon genug Gerüchte?“

Die eisblauen Augen verloren ihren Glanz, wurden immer kälter. „Ich werde mich dem Willen des Volkes beugen“, sagte Seth.

„Ich würde es ihr so bald wie möglich sagen“, antwortete Atemu, „Es tut mir Leid für euch, aber dies ist nicht mein Wille. Du weißt, dass Mana auch mir etwas bedeutet, sie ist eben ein wunderbarer Mensch. Aber sie verdient etwas besseres als ein Ägypten, dass durch sie dem Untergang geweiht ist.“

Mit diesen Worten ließ Atemu ihn stehen, drehte sich um und machte sich auf den Weg zurück zum Thronsaal und zu seiner Teana.
 

Seth verharrte einen Moment, ehe auch er sich umdrehte und Atemu in einigem Abstand folgte. Er hatte Recht, so etwas hatte sie wirklich nicht verdient.

Seth seufzte. Wollte er die Position als Thronfolger unter diesen Umständen wirklich haben? Konnte er der Macht, die ihm dadurch sicher war, widerstehen?

Er wusste es nicht, konnte es einfach nicht sagen. Er wusste nur, dass er Mana nicht verlieren wollte.

Er musste es ihr sagen, so schnell es ging, er durfte sie nicht weiter belügen, nicht länger ihre Gefühle ausnutzen.

Er wusste, dass er ihr das Herz brechen würde ... Es waren wirklich ereignisreiche Tage ...

Schneller als erwartet traf er auf Mana. Verschwitzt und außer Atem kam sie aus dem Thronsaal gelaufen, direkt auf ihn zu. Sie schwankte merklich und lachte ihn an, als sie ihn schließlich erkannte.

Erschrocken und entsetzt sah er sie an. Ausgerechnet jetzt hatte er sie nicht sehen wollen, hatte einfach nur eine Weile für sich haben wollen, um in aller Ruhe nachdenken zu können ...

Doch nun ...

„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er fassungslos, unfähig zu entscheiden, ob er nun über sie lachen sollte, oder nicht.

Wenn sie nun einer von den Gästen sah ...

„Warum?“, fragte Mana lallend und warf sich freudig kichernd in seine Arme. Seth drückte sie leicht von sich und zog sie weiter in eine Ecke, an der weniger Bedienstete und Gäste vorbeikamen. Er sah sie besorgt an.

„Wie viel hast du getrunken?“, fragte er streng.

Mana kicherte. „Nicht viel!“, behauptete sie und sah ihn dann enttäuscht an. „Du bist nicht zu mir gekommen ...“

Seth sah sie nicht an. Nun war wohl der Augenblick der Wahrheit gekommen.

„Es tut mir Leid, Mana ... Ich hatte meine Gründe ...“

Das betrunkene Mädchen sah ihn verwirrt an, kämpfte stark dagegen an, dem Alkohol zu unterliegen. „Aber du hast es mir versprochen!“ Sie griff nach seinen Händen und sah ihn fragend an.

Er schaute sie für einen Moment wieder an, konnte aber den Blick nicht lange halten und sah sofort wieder weg.

„Es ging nicht, versuch doch, mich zu verstehen ...“, sagte er leicht seufzend, „Meine Position erlaubt es mir nicht, frei über meine Handlungen zu entscheiden ...“

Mana wankte kurz, fing sich dann aber wieder. „Wie ... wie meinst du das?“

Erneut seufzte Seth, blickte sie dann mit leeren Augen an. „Es war ein Traum, Mana ...“, langsam drehte er sich von ihr weg, „Nun ist es an der Zeit, aufzuwachen ...“

Entschluss

Mana traute ihren Ohren nicht. Fassungslos starrte sie Seth an, hielt ihn fest. Trotz des Alkohols in ihrem Blut war ihr Kopf nie klarer gewesen, wenn auch ihr Blick verschleiert wurde von Tränen, die sie nicht zurückhalten konnte.

„Das meinst du nicht so“, sagte sie verzweifelt, „Du lügst mich an, du willst mich nur ärgern!“

Es musste so sein, er konnte sie nicht einfach so stehen lassen.

Er drehte sich noch einmal zu ihr um, langsam und zögernd, und er sah sie an. „Glaube mir ... Ich wünschte, es wäre so ...“, antwortete er, versuchte sich aus ihrem Griff zu befreien und scheiterte, weil er es selbst nicht wollte.

Er seufzte unmerklich. Auf diese Weise wurde all das nur noch schwerer zu ertragen, er hatte es unbedingt verhindern wollen ...

Sie stand vor ihm, schluchzend und ihr Gesicht an ihn drückend. Sie wollte widersprechen, doch sie wusste kaum, was sie sagen sollte.

„Aber ... Seth ...“ Hatte nicht Meira genau das vorhergesagt? Wie hatte sie nur hoffen können, dass sie log, sie war schließlich im Besitz der Millenniumskette und diese Kette log nicht ...

„Mana ... Es tut mir Leid“, unterbrach der Priester ihre Gedanken, „Bitte glaube mir ... Aber ich habe mir das nicht ausgesucht. Dieser Weg ist mir vorgeschrieben ...“

Verzweifelt klammerte sie sich an ihn, das konnte einfach nicht wahr sein!

„Ich will nicht, dass es nur ein Traum war ... Wieso kann ich nicht trotzdem an deiner Seite bleiben?!“

„Du wirst Priesterin, Mana ... Du darfst nicht an meiner Seite sein ... Das würde zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen ...“

Unglücklich sah er sie an. Er hatte dieses Gespräch kurz halten wollen, wohl wissend, dass eben jenes unmöglich war.

Aber er wollte ihr auch keine unnötige Hoffnung machen. Er wollte sie auf keinen Fall noch tiefer verletzen, als er es schon getan hatte.

„Dann werde ich halt keine Priesterin!“, schrie Mana aufgebracht und zitterte dabei. „Ich mache alles ... Ich will bei dir bleiben ...“

Verzweifelt klammerte sie sich an diesen einen Wunsch, doch erneut seufzte Seth nur.

„Mana... Es geht hier nicht um das, was ich will und auch nicht um das, was du willst ...“, wie sollte er es ihr nur begreiflich machen? „Wenn du an meiner Seite bleibst, muss das Volk deine Stellung akzeptieren ... Doch das Volk kennt dich nicht ... Es wird dich niemals dulden ... Versteh doch ... Die Demütigung will ich dir ersparen...“

Voller Unverständnis sah die Priesterschülerin ihn aus ihren großen, von Tränen glitzernden, grünen Augen an. „Aber DAS HIER ist in Ordnung? Diese Demütigung hier ...“, sie hielt sich mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, an ihm fest, „Ich liebe dich doch ...“

Seth schloss die Augen und drehte sich von ihr weg.

„Es tut mir Leid“, sagte er leise.

Mana sackte zu Boden und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Das ist so ungerecht...“

„Ja, Mana“, Seth seufzte grimmig, „Das ist es immer...“

Ihr stockte der Atem, sie konnte nichts mehr erwidern. Weinend blieb sie am Boden sitzen, zitternd, und sie schaute nicht mehr auf.
 

Als Atemu wieder neben ihr saß, drehte sich Teana sofort zu ihm um, sie wollte unbedingt sofort erfahren, wie Seth reagiert hatte.

Atemu sah sie leicht verwirrt an, beantwortete ihre Frage, noch bevor sie sie ausgesprochen hatte.

„Er scheint es eingesehen zu haben. Einfach so. Er will ein guter Pharao sein.“

Teana zog die Augenbrauen hoch. „Es gab keine Probleme?“, hakte sie nach, „Es sieht ihm gar nicht ähnlich, kampflos das Feld zu räumen...“

„Nein, überhaupt nicht.“ Das Fest war noch immer in vollem Gange und Atemu verschränkte die Arme. „Er wirkte leicht sauer, wie immer, aber er schien es wirklich einzusehen und zu akzeptieren.“

Die Prinzessin war mehr als überrascht. „Hast du damit gerechnet?“, fragte sie ihren Verlobte.

Atemu grinste leicht. „Dass er sauer sein würde, ja. Dass er mich zusammenschreien würde, ja. Aber damit nicht.“

Er griff lächelnd nach ihrer Hand. „Aber wir sollten das Fest genießen!“

Auch auf ihren Lippen bildete sich nun ein sanftes Lächeln. „Du hast Recht“, meine sie höflich und sah sich dabei im Thronsaal um. „Aber wo hast du unseren Ehrengast gelassen?“

Seth war nirgendwo zu sehen. Auch der Pharao sah sich nun nach ihm um, ehe er kopfschüttelnd seufzte.

„Ich wusste, da ist etwas schief gelaufen“, sagte er besorgt zu Teana, „Hast du Mana hier herumspringen sehen?“

„Ich habe gar nicht auf sie geachtet“, gab Teana zu und ließ ihren Blick erneut durch die Menge schweifen. „Sie scheint nicht hier zu sein...“

Atemu schien zu dem selben Schluss gekommen zu sein. „Sollte ich jemanden nach ihnen suchen lassen?“, fragte er, „Oder meinst du, er erklärt es ihr gerade?“

Teana überlegte einen Moment. „Vermutlich erklärt er es ihr ... Dann sollten wir ihnen etwas Zeit geben.“
 

Es war an der Zeit für ihn zu gehen. Jetzt bei ihr zu bleiben, würde sie noch mehr verletzen, wäre wie Hohn, Spott auf ihre Gefühle. Seth drehte der weinenden Mana den Rücken zu und machte sich auf den Weg zurück zum Thronsaal. Das Fest fand ihm zu Ehren statt, er wurde sicher erwartet.

Doch schon nach ein paar Schritten blieb er wieder stehen.

Er blickte zurück, sah Mana auf dem kalten Steinboden sitzen und seufzte tief.

Einen Moment lang zögerte er, dann ging er kurz entschlossen wieder zu ihr und hielt ihr seine Hand entgegen.

„Komm...“, sagte er leise.

Mana sah hinter ihren Händen auf und blickte ihn verwirrt an. Dabei wischte sie sich eine Träne von der Wange.

Leicht nickend ergriff sie seine Hand, ließ sich von ihm auf die Füße ziehen.

Er wusste selbst nicht, warum er das tat. Aber er konnte sich nicht stoppen.

„Ich kann dich doch nicht einfach allein lassen...“

War es das, was er dachte?

War es das, was er wollte?

Wollte er überhaupt irgendetwas von allem, was hier geschah?

Er betrachtete sie, merkte, dass sie leicht schwankte, und seufzte.

„Du hast doch ganz schön was getrunken, oder?“, fragte er leise, und hob sie kurzerhand hoch, um sie zu tragen. Mit ihr auf dem Arm machte er sich schließlich auf den Weg durch die Gänge, nicht darüber nachdenkend, was für einen Eindruck das hinterlassen würde.

Wieder nickte Mana, sie lehnte sich leicht an ihn, und konnte das Schluchzen und die Tränen nicht unterdrücken. „Merk ich nichts mehr von..“, meinte sie nur verbittert.

Der Priester drückte sie an sich, fühlte sich grausam und schlecht. Es musste einfach eine andere Möglichkeit geben...

Ohne darüber nachzudenken, lief er zu seinen Gemächern, Mana noch immer an sich drückend. Er öffnete die Tür, setzte sich auf einen Stuhl, stand aber sogleich wieder auf. Er konnte nicht sitzen bleiben, er dachte nach, verbissen, hoffend. Mana hatte er auf seinem Bett abgesetzt, ehe er ans Fenster trat.

Es musste einfach ...

Es konnte doch nicht sein, dass er einfach so aufgeben sollte ...

Es konnte einfach nicht sein ...

Er starrte nach draußen, doch nahm kaum war, was er sah, lief unruhig einige Schritte auf und ab.

„Mana?“, fragte er schließlich.

Die Angesprochene hatte all das einfach mit sich machen lassen, verwirrt hingenommen, dass er sie hochgehoben und nun hier hingesetzt hatte, ganz so als wäre sie eine Puppe. Sie wusste nicht, was sie noch hier sollte, und gleichzeitig wollte sie auch nicht von hier weg. Durch den Wind blickte sie auf, als erneut seine Stimme ertönte.

„Mana, willst du immer mit mir zusammen sein?“, fragte er, drehte sich bei seinen letzten Worten zu ihr um und sah ihr direkt in die Augen.

Mana sah ihn verwundert an. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Erneut schossen ihr die Tränen in die Augen, doch sie hielt sie krampfhaft zurück und biss sich stattdessen auf die Unterlippe.

„Natürlich will ich das ...“, erwiderte sie schwach. Was sollte das? Warum machte er es ihr nun noch schwerer?

Seth nickte lächelnd, drehte ihr wieder den Rücken zu und lief zu seinem Regal. Er durchwühlte die Schriftrollen, die darin lagen, achtete kaum darauf, dass er die Ordnung dadurch völlig zunichte machte. Schließlich zog er eine der Rollen heraus und hielt sie Mana unter die Nase.

„Füll das aus“, sagte er, „Das ist die abschließende Prüfung, die du machen musst, um eine Priesterin zu werden.“

Das Mädchen sah ihn ungläubig an, völlig vor den Kopf gestoßen nahm sie die Rollen entgegen, lächelte verzweifelt. „Meinst du, ich hab da jetzt einen freien Kopf für?“

Seth lächelte. „Mana ... als Priesterschülerin kannst du nicht mit mir zusammen sein ... als Priesterin auch nicht“, er atmete tief durch. „Also füll jetzt bitte diese Rolle aus, ja?“

Noch immer blickte Mana ihn verwirrt an, doch sie zuckte mit den Schultern. Es war jetzt sowieso egal.

Verzweifelt öffnete sie die Rolle und begann zu lesen. Doch bereits die ersten Worte waren ausreichend, um ihr zu zeigen, dass sie keine Chance hatte. Sie las sich die Aufgaben mehrfach durch, kaum etwas davon hatte sie je gehört, und so wusste sie kaum, was sie schreiben sollte. Vielleicht hätte sie mehr gewusst, wenn ihr Kopf nicht voller trauriger Gedanken gewesen wäre, Gedanken, die ihr keine Ruhe ließen.

Nachdenklich starrte sie auf die Rolle, unkonzentriert kritzelte sie zu manchen Aufgaben ein paar Worte und verfluchte die Arbeit innerlich.

Seth sah ihr lächelnd über die Schulter, während sie schrieb. „Habt Ihr euch nicht ordentlich vorbereitet, Priesterschülerin?“, neckte er sie und brachte Mana damit völlig aus der Fassung.

„Natürlich nicht!“, antwortete sie gereizt, und sah ihn wieder an. Sie verstand ihn nicht, konnte sein Lächeln nicht ertragen. „Was hast du vor?“

Doch Seth schüttelte den Kopf. „Keine Fragen während der Prüfung, bitte“, sagte er streng und lächelte still vor sich hin. Atemu wollte keine Gerüchte? Es würde keine Gerüchte geben ...

„Entschuldigung“, murmelte Mana, verbeugte sich leicht und schaute dann wieder auf die Rolle. Sie hatte nur noch wenig zu ergänzen, konnte kaum die Feder ruhig halten. Immer wieder fiel ihr Blick auf Seth, der nun dazu übergegangen war, im Raum auf und ab zu gehen.

Nach einer Weile blieb er stehen, verschränkte die Arme. „So, die Zeit ist abgelaufen. Würdet Ihr dann bitte abgeben?“, sagte er und streckte seine Hand aus.

Mana warf einen letzten zweifelnden Blick auf ihre Arbeit, ehe sie sie seufzend zusammenrollte, und sie Seth in die Hand drückte. Sie kicherte unsicher, ohne selbst zu wissen, weswegen sie es tat.

Der Priester nahm ihre Rolle entgegen und setzte sich an seinen Tisch um sie auf der Stelle durchzusehen. Immer wieder schüttelte er dabei den Kopf, und ließ Manas Mut dadurch sinken.

„So schlimm?“, flüsterte sie und blickte kurz darauf in theatralisch guckende Augen. Seth schüttelte lächelnd den Kopf. „Du hast nicht eine einzige Aufgabe richtig“, erklärte er, „Hast du überhaupt etwas gelernt in deiner Ausbildung?“

Aus irgendeinem Grund schien er sich darüber zu freuen, oder machte er sich über sie lustig? „Nicht eine einzige?“, grummelte Mana und sprang beleidigt auf. „Natürlich hab ich was ... Au!!“ Ihre Beine konnten sie nicht halten und Mana landete auf dem Boden. Verwirrt sah sie sich um, fing dann an zu lachen. Sie musste doch mehr getrunken haben, als sie zugeben wollte.

Erschrocken blickte Seth zu ihr herunter, doch als er hörte, dass sie darüber lachte, war er beruhigt und stimmte mit ein. Er räusperte sich. „Wie auch immer“, sagte er mit tragender Stimme, „Diese Prüfung hast du nicht bestanden. Damit ist deine Ausbildung vorzeitig beendet.“

Schlagartig verstummte Manas Lachen. „Echt?“, fragte sie fassungslos. Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen und sie sah betreten zu Boden. „Dann ... dann war die ganze Lernerei ja umsonst ...“, sagte sie stockend, „Dann bin ich keine Priesterschülerin mehr...“

Seth bückte sich und hockte sich vor sie. „Nein, du bist keine Priesterschülerin mehr“, sagte er und wischte ihr die Tränen weg, „Und auch keine Priesterin.“ Er lächelte sie an. „Beeil dich, mach dich schnell zurecht!“

„Spinnst du?!“, fauchte Mana, sah ihn entgeistert an und stand dabei auf. „Wie soll das schnell gehen?! Ich bin total verheult! Und außerdem, wofür denn?!“ Sie verstand es nicht, was wollte er noch von ihr?

Doch er ließ sich nicht abschütteln. „Erklär ich die später, wir haben nicht viel Zeit.“ Er nahm ihre Hände, drückte sie kurz. „Also gib dein Bestes, ja?“

Widerwillig nickte Mana, verschwand kurz und machte sich zurecht. Einen Moment lang war sie versucht gewesen, einfach wegzulaufen, doch ihre Neugierde war größer. Als sie das Zimmer schließlich wieder betrat, war sie kaum wieder zu erkennen. „Ist es so recht?“, fragte sie und lächelte unsicher.

In der Zwischenzeit hatte auch Seth sein Gewand gerichtet, alles glatt gestrichen und richtete sich nun vornehm vor ihr auf. Lächelnd griff er nach ihrer Hand. „Dann folge mir jetzt.“

Mana verstand die Welt nicht mehr. Was war nur los? Sie tat wie geheißen, und verließ nach ihm den Raum. Doch sie verstand nicht, was er vorhatte. Konnte sie ihm vertrauen?

„Darf ich dich etwas fragen?“ Schüchtern erklang ihre Stimme hinter ihm. Er nickte, ohne stehen zu bleiben. „Darfst du.“ Er war tief in seinen Gedanken versunken und doch hörte er ihr zu. Es durfte absolut nichts schief gehen, er hatte nur diesen einen Versuch ...

„Bleibst du jetzt doch bei mir?“

Er drehte sich kurz zu ihr um, lächelte sie verliebt an, ehe er weiter ging. Auf ihre Frage antwortete er dennoch nicht.

Durcheinander blickte sie ihm hinterher. Sein Lächeln hatte ihr Herz höher schlagen lassen, doch sie verstand ihn einfach nicht, wünschte sich fast, er würde anders mit ihr umgehen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als ihm weiterhin zu folgen und genau das tat sie. Erst als er vor dem Thronsaal stehen blieb und das Wort wieder an sie richtete, blickte sie auf. Gemeinsam traten sie ein.

„Wartest du bitte eben hier?“, fragte er, doch wartete die Antwort nicht ab und ging ohne sie weiter. Mana blieb verwundert an der Tür stehen und sah ihm hinterher.
 

Tief durchatmend kämpfte sich Seth durch die Menge, die noch immer tanzte und feierte. Am Tisch des Pharaos blieb er stehen, und sah in die Runde. Als Atemu ihn erkannte, atmete er auf. „Na endlich!“, sagte er erleichtert zu seinem Cousin.

Seth sah ihn an. „Ihr habt nach mir gesucht?“, fragte er höflich, doch im Grunde achtete er nicht auf ihn. Er stellte sich so hin, dass ihn jeder sehen konnte und begann dann laut zu sprechen: „Darf ich kurz um eure Aufmerksamkeit bitten?“ Sein Versuch, sich Gehör zu verschaffen gelang, die Musik verstummte und die Tänze hielten inne. Tausende Blicke waren nun auf Seth gerichtet, der seinerseits die Massen im Blick hatte. „Ich danke euch allen, dass ihr heute hierher gekommen seid! Es ist mir wirklich eine enorme Ehre!“ Er lächelte, genoss den Beifall, den er von allen Seiten bekam. Er verbeugte sich leicht. Der Augenblick war günstig, wenn er es jetzt nicht tat, würde er es ewig bereuen.

Erneut erhob er die Stimme. „Ich möchte die Gelegenheit gerne nutzen um etwas bekannt zu geben, und hoffe auf die Unterstützung eines Volkes, in dem die Menschlichkeit an oberster Stelle steht, Offenheit und Ehrlichkeit!“ Er sprach so durchdringend, dass er mit seiner Stimme sogar den Letzten noch erreichte. Wieder brachen die Gäste in Applaus aus. Seth lächelte. Sicheren Schrittes ging er durch die Menge, die ihn begeistert durchließ. Er ging zurück in Richtung Tür, auf Mana zu.

„Deswegen“, fuhr er fort und spürte förmlich, wie alle an seinen Lippen hingen, „möchte ich hier und heute meine Verlobung mit der hier anwesenden Mana bekannt geben!“

Sie hielten gespannt den Atem an, während Seth sich vor das ihnen fremde Mädchen kniete.

„Möchtest du meine Frau werden?“

Triumph

Erschrocken war Atemu aufgesprungen, starrte fassungslos zu Seth, Mana und die sie umgebene Menge. Er traute seinen Ohren nicht, war unfähig zu begreifen, was so eben geschehen war.

Mana war nicht minder überrascht. Doch im Gegensatz zum Pharao fing sie an übers ganze Gesicht zu strahlen, als sie verstand, was die Worte bedeuteten, die Seth da ausgesprochen hatte. Überglücklich fiel sie in seine Arme; sie hatte mit vielem gerechnet, doch das hier übertraf alles, was sie sich hätte ausmalen können. „Jaa...“, antwortete sie erst leise, und sah ihn an, bevor sie sich wiederholte. „JAAA!“

Jeder sollte sie hören, jeder sollte sie ansehen, ihr war es gleich, für sie zählte nur noch dieser Moment.

Seth schloss das Mädchen erleichtert in die Arme, küsste sie schließlich vor aller Augen. Die Menschenmassen um ihn herum jubelten und polterten, nein, es würde keine Gerüchte geben.

Tränen der Freude glitzerten in Manas Augen, als sie ihre Arme um des Priesters Nacken schlang um seinen Kuss zu erwidern, sie hatte alles was war bereits vergessen.

Er hob sie hoch, löste den Kuss und trug sie durch die Masse zum Tisch des Pharaos, an dem auch sein Platz war. Unterwegs herrschte er einen der Diener an, der sofort reagierte und einen weiteren Stuhl für Mana aufstellte, so dass sie sich an seiner Seite setzen konnte.

Sein Blick blieb an ihren strahlenden Augen hängen. Er lächelte. „Ich liebe dich, Mana“, flüsterte er ihr zu.

„Wirklich?“, fragte sie nach und bekam eine Gänsehaut. Sie konnte all das überhaupt nicht glauben, hatte sich diese Worte so sehr gewünscht und doch nicht gewagt darauf zu hoffen. „Ich liebe dich auch“, hauchte sie ihm ins Ohr, während sie sich an ihm festhielt.

Lächelnd sah er sie an. „Meinst du wirklich, ich würde so einen Aufstand veranstalten ...“, er sah sich bedeutungsvoll im Thronsaal um, „Wenn ich das nicht ernst meinen würde?“
 

Neben Atemu war auch Teana aufgestanden, sie sah kurz überrascht in die Menge und fiel dann in den Applaus mit ein, der begeistert von allen Seiten dröhnte. Sie lächelte und sie hörte nicht auf zu lächeln, als Atemu nun sie entgeistert anstarrte.

„Du jetzt auch?“, fragte er verwirrt. Man sah ihm deutlich an, dass er völlig durch den Wind war. Auch er sah das junge Paar an. Und fing an zu klatschen. Was blieb ihm noch anderes übrig? Sollte er sich als Pharao dem Volk widersetzen?

Teana lächelte ihn an. „Sie dir dein Volk an“, sagte sie lieb, und hörte dabei nicht auf zu klatschen, „Er hat alles richtig gemacht. Jetzt werden sie Mana akzeptieren.“

War es das, was er wollte? Gönnte er Seth diesen Triumph?

Atemu seufzte unmerklich. „Ja, er hat ihnen auch die richtige Dramatik verpasst“, antwortete er und musste nun doch leicht grinsen. „Und sie haben alle genug Unterhaltung bekommen, ich muss sagen, alle Achtung!“ Gegen seinen Willen war Atemu beeindruckt. Hätte er so etwas für Teana auch getan?

Aber ...

Teana war schließlich eine Prinzessin, das änderte alles.

„Er lässt sich halt doch nichts vorschreiben“, neckte sie, „Du hast einfach keine Autorität ihm gegenüber.“ Sie konnte kaum verbergen, dass ihr die Show gefallen hatte, auch wenn sie natürlich wusste, dass sie es Atemu gegenüber besser nicht äußerte.

Ebenfalls belustigt betrachtete er sie. „Nein, und das, obwohl ich der Pharao bin ...“

Niemand anderes konnte es sich erlauben, sich so dermaßen dreist über seine Anweisungen hinweg zu setzen, wie Seth es tat. Immer wieder gelang es ihm, sich die Regel und Richtlinien so hinzudrehen, wie es ihm am besten passte.

Teana lächelte, als sie seine Gedanken erriet. „Solange wenigstens alle anderen auf dich hören“, meinte sie beschwichtigend und nahm seine Hand.

In dem Moment setzte sich der Hohepriester wieder an seinen Platz, noch immer war kein Ende des Jubels und der Begeisterung im Raum abzusehen. Seth war zufrieden mit sich, Mana hatte neben ihm Platz genommen und saß nun zum ersten Mal in ihrem Leben am Tisch des Pharaos, der zwar von Kindheit an ihr Freund gewesen, und doch immer durch seinen Stand von ihr getrennt war.

Vergnügt lehnte sich Seth zu Atemu. „Es tut mir Leid, aber ich habe meine Pläne geändert“, sagte er und lächelte zufrieden.

Der Pharao schmollte. Er hätte damit rechnen müssen, dass Seth seinen Triumph voll auskosten wollen würde. „Das haben wir bemerkt, ich muss sagen, du hast eine gehörige Portion Mut, Cousin“, erwiderte er, „Vor allem mir so zu widersprechen ... Ich fühle mich permanent ziemlich ignoriert.“

Er hatte es einfach sagen müssen, natürlich war es genau das, worauf Seth aus war, und trotzdem.

Atemu erhob sich, lächelte jedoch kurz zuvor noch einmal seinen Cousin und nun Mitregenten an. „Nun“, hob er seine Stimme, und der Jubel verstummte schlagartig als das Wort des Pharaos ertönte, „Darf ich nun auch einen Augenblick um Aufmerksamkeit bitten?“ Er drehte sich zu Mana und Seth. „Meine Freunde, ich freue mich, euch als Erster und als Pharao, meine besten Wünsche auszusprechen! Die Götter mögen über euch wachen, euch beschützen und geleiten!“

Lächelnd erhob er sein Glas, wartete einen Moment, damit sein Volk es ihm gleichtun konnte und sprach dann seinen Toast aus. „Auf euch! Und auf die Liebe!“
 

Um ihn herum wurden die Gläser erhoben. Kisara saß still an ihrem Platz. Sie hatte die Szene beobachtet und mehrmals geschluckt. Es war typisch für Seth, soviel Aufmerksam wie möglich auf sich zu ziehen, sie hatte ihn sofort in seinen Handlungen wiedererkannt. Sie selbst hatte nur wenig geklatscht, ebenso die junge Priesterin, die an ihrer Seite saß. Dennoch erhoben beide, Kisara und Adalia ihre Gläser mit den anderen um Seth und Mana zu feiern. Die übrigen Priester, darunter die Priester Shada und Karim, die ihrem Tempeldienst für diesen Tag entsagt hatten, waren zwar ebenso skeptisch, aber weniger missvergnügt über diese spontane Wendung der Ereignisse.

Erst jetzt nahm Mana die große Menge wieder war, die sie bisher vor Aufregung einfach nicht gesehen hatte. Sie errötete, soviel Aufmerksamkeit war sie nicht gewöhnt und es war ihr unangenehm, dass sie so im Mittelpunkt stand.

Seth genoss die Feier. Er verneigte sich dankend vor Atemu und er verneigte sich ebenfalls leicht vor der Menge. Auch er hatte das Glas erhoben, hielt es schließlich Mana hin.

„Habe keine Angst“, flüsterte er ihr zu, als er ihren Blick auffing, „Ich bin bei dir.“

Sie lächelte, ehe auch sie sich vor dem Pharao verneigte. „Ich und Angst?“, fragte sie selbstsicher, erhob ihr Glas und sah in Seths eisblaue Augen. „Auf uns, oder?“, fragte sie kichernd.

Er nickte. „Auf uns!“ Er trank einen Schluck aus dem Glas, setzte es wieder ab und ließ seinen Blick durch den ganzen Raum schweifen. Er war mehr als zufrieden mit dem Verlauf, besser hätte er es gar nicht planen können. Der Applaus, der immer wieder ausbrach, entschädigte ihn mehr als genug für die Schwierigkeiten, die es gegeben hatte.

Noch immer voller Unbehagen, dass sie nun allerdings besser zu verbergen schaffte, sah auch Mana sich um. Der Blickwinkel war eigenartig, und doch war sie so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben. Vor nur einer Stunde hätte sie jeden, der ihr diesen Verlauf prophezeit hätte, einen Lügner genannt.

Und doch, der Tag war lang und sie war müde, und so konnte sie sich ein Gähnen nicht verkneifen.

Seth blieb es nicht verborgen, er lächelte erst, und räusperte sich schließlich unauffällig. „Das gesamte Volk sieht dir zu“, flüsterte er Mana zu, die sofort erschrocken aufblickte. „Echt?“, fragte sie und hielt sofort die Hand vor ihren Mund. Daran hatte sie überhaupt nicht gedacht. „Meinst du, das ist sehr schlimm?“, fragte sie naiv.

Er schüttelte den Kopf, wünschte sich, er hätte ihr die Etikette vorher bereits erklärt. Andererseits wäre überhaupt keine Zeit dafür gewesen. Sich das Grinsen gerade so verkneifend, lächelte er sie an. „Nein, aber du solltest dich nun zusammenreißen“, antwortete er, „Sie kriegen sonst ein schlechtes Bild von dir.“

Mana nickte verstehend und gleichzeitig alarmiert. Sie setzte sich gerade hin und versuchte sich mühevoll an alles zu erinnern, was Mahado ihr jemals über die unzähligen Sitten und Benimmregeln erklärt hatte. Und doch konnte sie sich das Kichern nicht verkneifen, sie war einfach zu glücklich um ernst zu sein.

„Weißt du, wie schwer das ist, sich zusammenzureißen, wenn alles hin und her wackelt?“, lachte sie leise, „Ich trinke nie wieder irgendwas, und schon gar keine zehn Bier...“

Ernst sah ihr sie an, und räusperte sich von neuen. „Das sollten wir ein anderes Mal besprechen, jetzt ist nicht der passende Zeitpunkt dafür“, sagte er, und blickte wieder in die Menge. „Wir beide repräsentieren nun, genau wie Atemu und Teana, dieses Volk, das muss dir klar sein!“

Mana sah ihn verwundert an, verstand kaum die Gewichtung dieser Worte. Sie nickte stumm, erwiderte jedoch nichts weiter.
 

Sie würde es schon noch hinkriegen ... Zuversichtlich zweifelte Seth an seinen eigenen Gedanken. Er drehte sich zum Pharao um, lächelte ihn an. „Verläuft doch alles nach Plan, oder?!“

Er erntete nichts als einen skeptischen Blick. „Meint Ihr, ja?“, erwiderte Atemu und wusste, er hatte es noch nicht durchgestanden.

„Findet Ihr nicht?“, hakte Seth nach und fügte stolz hinzu: „Mein Plan hat fehlerfrei funktioniert.“

Atemu nickte. Ja und der Pharao wird komplett ignoriert, dachte er und schaute in die Menge. „Ich hätte wissen müssen, dass Ihr euch nicht so einfach meinem Willen beugt“, gab er schließlich zu und sah Seth wieder an.

„Das müsst Ihr nicht persönlich nehmen“, versuchte Seth ihn aufzubauen, „Das hat nichts mit Euch zu tun.“

Nun war es der Pharao, der lächelte. „Ach nein?“, fragte er spöttisch, „Es war einfach die Tatsache, dass Ihr Euch keinem Anderen unterwerft, und sei es auch der Pharao ... Und dann muss natürlich eine theatralische Show inszeniert werden, damit Ihr eure Aufmerksamkeit bekommt.“ Leicht gelangweilt zählte er es auf, es war einfach so typisch für Seth, dass es ihn fast wunderte, wieso er nicht mit eben so etwas gerechnet hatte.

„Die theatralische Show, wie Ihr es nennt“, sagte Seth voller Genugtuung, „war nötig, damit Ihr Euch nicht in meinen Weg stellt, mein Pharao. Euer Standpunkt war eindeutig und auch meiner war es. Ich hatte Euch gesagt, ich werde mich dem Willen des Volkes beugen“, nicht länger konnte er das Grinsen unterlassen, „Nun, seht es an, es feiert, es lacht. Dies ist der Wille des Volkes.“

Atemu setzte an um etwas zu antworten, schloss aber den Mund wieder, bevor ein Laut seine Lippen verlassen hatte. Er nickte zustimmend und auch er grinste. Während er einen weiteren Schluck aus seinem Glas nahm, dachte er nach.

Er stockte.

„Und was ist mit der Tatsache, dass Mana noch immer eine Priesterschülerin ist?“, fragte er schließlich leicht beunruhigt.

Triumphierend lächelte Seth. Die Bombe hatte er noch platzen lassen wollen, ehe er Atemu seine Ruhe ließ. „Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht“, sagte er freudig, „An unserem Hof gibt es keine Priesterschülerin, die auf den Namen Mana hört.“

Atemu zog die Stirn kraus, sah seinen Cousin skeptisch an, und dabei seitlich an ihm vorbei zu Mana. „Ach nein?“

Überlegenes Kopfschütteln war die Antwort, als Seth Atemus Blick verfolgte. „Mana ist tragischer Weise vor ein paar Augenblicken durch ihre Prüfung zur Priesterin gefallen“, sagte Seth lächelnd.

„Damit ist ihre Ausbildung beendet ...“, beendete Atemu seinen Satz. „Ihr habt an alles gedacht, wenn ich mich nicht irre.“

Abschätzend musterte er ihn. „Sie scheint Euch einiges zu bedeuten, bei dieser Vorstellung hätte einiges schief gehen können ...“

Woher nahm Seth nur die Sicherheit und die Gelassenheit mit der er sich über alles hinwegsetzte?

Ernst blickte der Priester auf das Glas in seiner Hand. „Selbstverständlich, ich war mir des Risikos völlig bewusst.“ Gelassen lehnte er sich zurück. „Aber ich vertraue meinem Volk“, sagte er bestimmt, „Es heißt doch schließlich, nur wer wagt, gewinnt.“

Unerwartete Strenge legte sich auf Atemus Züge. „Seid Ihr nicht ein wenig voreilig?“, fragte er und hob die Augenbrauen, „Mein Volk Euer Volk zu nennen?“

Vielleicht war es ein wunder Punkt, doch es war ein Fehler, den Seth keinesfalls begehen wollte. „Ist dieses Volk etwa ein Eigentum?“, fragte er zu seiner Verteidigung, „Ich bin ein Teil dieses Volkes, aus diesem Grund nannte ich es mein Volk.“

Atemu seufzte. Erneut hatte er seinem Priester nichts entgegen zu setzen.
 

Nach all der Aufregung langweilte Mana sich. Sie hatte versucht, die Vorschriften im Kopf durchzugehen, doch es bereitete ihr Schmerzen und so ließ sie es bleiben.

Sie wusste nicht, was sie tun durfte, konnte oder sollte und so schaute sie immer wieder im Volk umher, ohne jedoch etwas Interessantes zu erblicken. Hin und wieder lächelte sie ein paar Leute an, doch das allein reichte ihr nicht, um sich zu beschäftigen. Fast wünschte sie sich den jungen Priester zurück, mit dem sie vorhin getanzt hatte. Es schien ihr, als seien seitdem Jahre vergangen.

Sie hatte große Mühe sich wach zu halten und nicht auf der Stelle einzuschlafen.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so abwesend.“ Seths Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht.

„Ja“, antwortete sie leise, „Ich kann das alles nur noch nicht wirklich glauben, weißt du?“

Auch Seth lächelte. Nein, auch er konnte kaum glauben, was an diesem Tag alles geschehen war. Und trotzdem. Für sie, die sie noch nie in den süßen Genuss des Geschmackes der Macht gekommen war, musste all das noch viel fantastischer, viel unwirklicher erscheinen.

„Du wirst dich da sicher dran gewöhnen“, antwortete er zuversichtlich, „Das ist nur eine Frage der Zeit.“

Mana grinste frech. Nun, da sie wieder etwas tu tun hatte, waren auch ihre Lebensgeister wieder erwacht. „Glaubst du, ich werde mich jemals an dich gewöhnen?“, fragte sie und achtete darauf, dass nur er ihre Worte hören konnte.

„An mich?“, Seth sprang sofort auf ihre Provokation an, „Es wäre besser für dich!“

„Ach ja? Weswegen?“

Von oben herab sah er sie an, wirkte dadurch um einiges größer als er ohnehin schon war. „Glaube mir, es wäre besser für dich“, sagte er und verschränkte die Arme. „Oder willst du mich etwa kennenlernen?“

Mana sackte leicht auf ihrem Stuhl zusammen, sie kam sich unwahrscheinlich winzig vor. „Ich sage ja schon nichts mehr“, sagte sie kleinlaut.

„Hast du etwa Angst vor mir?“, fragte der Hohepriester, ohne jedoch seinen überlegenen Blick abzuwenden.

Grinsend schüttelte Mana den Kopf. Sie hatte gewusst, dass Seth so reagieren würde. „Nein!!“, meinte sie und biss sich auf die Zunge. „Ich habe mich nur gefragt, ob du weißt, wie unglaublich unförmig du von hier unten aussiehst.“

Seth sah sie verblüfft an. Damit hatte er nicht gerechnet. Skeptisch betrachtete er ihr strahlendes Gesicht, sein Blick fiel auf ihr dunkles Haar, das er so mochte und das so widerspenstig jeder Frisur entsagte.

So sprach niemand mit ihm, nicht einmal Mana ... Sie würde schon sehen, was sie davon hatte ...

„Ist das so?“, fragte er und guckte böse. „Da bist du dir ganz sicher?“

Mana grinste, tat so, als würde sie konzentriert nachdenken und drehte sich dann leicht. Auf diese Weise konnte sie ihn von einer anderen Seite her sehen.

„Du hast Recht“, meinte sie neckisch, „Von hier aus siehst du noch ein Stück schlechter aus.“

Grimmig grinste Seth sie an. „Überlege dir gut, was du sagst, du solltest ein Vorbild sein“, sagte er streng und verwies wieder auf die Menge.

Sofort setzte Mana sich wieder gerade hin.

„Ein Vorbild also?“, fragte sie, „Nun Seth, ich denke, die meisten des Volkes werden mir bei dieser Tatsache zustimmen, würden sie nur die Gelegenheit dazu bekommen.“ Sie grinste vor sich hin.

„Die meisten“, korrigierte der Priester sie, „des Volkes würden es überhaupt nicht wagen, so etwas auch nur zu denken.“ Sein Blick fiel unmissverständlich auf seinen Millenniumsstab, „Und du solltest dir deiner Position nicht zu sicher sein, ein Wort von mir und du wäschst demnächst die Teller.“

Manas Lächeln erstarb. Stockend sah sie ihn mit großen Augen an. War das sein Ernst? „Nicht wirklich, oder?“, säuselte sie flehend, „Ich wollte dich doch nur ärgern! Ich meinte das doch nicht ernst, das weißt du hoffentlich!?“

Seine unbarmherzige Art hatte sie erschrocken, sie wusste kaum, wie sie ihn wieder beschwichtigen sollte. Nun lag es an Seth, zu lächeln.

„Vergiss nicht, dein ‚kleiner‘ Aufstieg hatte seinen Preis“, ermahnte er sie.

Mana nickte. „Ich werde jetzt ganz artig sein“, beteuerte sie, „Bist du mir sehr böse?“

Seine Antwort überraschte sie in dem Maße, wie sie ihn amüsierte. „Nein, ganz und gar nicht“, entgegnete Seth lächelnd. Sie würde schon sehen, was sie davon hatte ...
 

Der Morgen brach an, und das Fest neigte sich dem Ende. Wie er es erwartet hatte, langweilte Seth diese Festlichkeit, unabhängig davon, dass sie ihm zu Ehren stattfand.

Der Abend war nicht weiter ereignisreich, Seth hatte sich eine Weile angeregt mit Xerxes, dem Gast von der libyschen Grenze, unterhalten und schließlich, als er schon befürchtete hatte noch ewig hier sitzen zu müssen, erhob sich Atemu.

„Meine lieben Freunde!“, sagte er und breitete seine Arme aus, wie um sie alle zu umarmen. „Ich hoffe, ihr hattet einen wunderbaren Abend voller Freude und Tanz!“ Und Überraschungen, setzte er bei sich noch hinzu. „Nun hoffe ich, dass ihr gut nach Hause kommt, denn das Fest neigt sich seinem Ende. Lasst es euch gut ergehen und auch den morgigen Tag so fröhlich begrüßen, wie wir den heutigen beenden. Die Götter mögen über euch wachen!“

Atemu lächelte in die Runde, erntete Beifall von allen Seiten. Er mochte es zu seinem Volk zu sprechen, es gab ihm eine Art von Vertrautheit und Nähe, die er sehr schätzte.

Er setzte sich um Seth, dem Ehrengast, die letzten Worte zu überlassen, wohlwissend, wie sehr dieser danach getrachtet hatte.

Seth jedoch war alles andere als hingerissen von der Idee, wieder zum Volk zu sprechen, nun jedoch, da er an Atemus Wort gebunden war, blieb ihm keine Wahl.

Notgedrungen stand er auf, richtete das Wort an seine Gäste. „Ich danke euch, dass ihr diesen Tag mit mir gefeiert habt und hoffe, ihr habt ihn genauso genossen wie ich!“

Er war zwar nicht gewillt große Reden zu schwingen, doch wusste er, was sich gehörte, und dass es seine Pflicht war. Er erhob sein Glas. „Auf euch!“, sagte er und nahm einen Schluck.

Applaus ertönte um ihn herum, er wusste die Massen gekonnt zu begeistern. Unmerklich verdrehte er die Augen ob des Schmierentheaters, doch zeitgleich genoss er es in vollen Zügen, im Mittelpunkt zu stehen.

Nur der Pharao schien Seths ungewollte Ansprache zu durchschauen. Er erhob ebenfalls sein Glas, beschloss dann jedoch, den Priester nicht mehr darauf anzusprechen. Wortduelle waren heute gewiss nicht seine Stärke gewesen und es sollte keinen weiteren Anlass für Seth geben, seine Überlegenheit zu demonstrieren.

Nach und nach legte sich der Beifall und die Gäste gingen. Atemu hatte nur noch Augen für Teana, die sich kaum noch wach halten konnte. Solch lange Tage erschöpften die schwangere Prinzessin ganz besonders.

„Du gehörst ins Bett“, sagte er mitfühlend, half ihr aufzustehen und geleitete sie nach draußen.

Seth und Mana blieben zurück.

„Können wir nun auch gehen?“, fragte sie schüchtern nach einer Weile und blickte ihn hoffnungsvoll an.

Seth nickte und stand auf. Er bot ihr seinen Arm an und fragte: „Kommst du?“

Mana ließ sich kein zweites Mal bitten und hakte sich geschickt bei ihm ein. Doch schon nach wenigen Schritten verlangsamte sie ihr Tempo. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, fasste sich kurz an den Kopf und gähnte unterdrückt.

Seth schüttelte den Kopf. In diesem Tempo würden sie niemals ankommen. Und so hob er sie erneut auf seinen Arm und trug sie durch die Gänge.

„Entschuldige ...“, murmelte sie verlegen, „Es war ein ereignisreicher Tag ...“

Und noch bevor er antworten konnte, hatte die Müdigkeit sie übermannt und sie war in seinen Armen eingeschlafen.

Als Seth schließlich in seinem Gemach angekommen war, verschloss er die Tür und holte sie aus ihrem Gewand. Verschmitzt lächelnd betrachtete er sie und legte sie in sein Bett.

Nachtgeflüster

Warme Sonnenstrahlen fielen durch die Fenster und erhellten den Raum, als Mana leicht grummelnd erwachte. Sie hatte recht lange geschlafen, doch wie lang genau, das konnte sie nicht sagen. Ihr Kopf dröhnte, sie kniff die Augen zusammen und versuchte erfolglos einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie sah sie um – und erschrak. Sie kannte diesen Raum, doch sie wusste beim besten Willen nicht, was sie hier zu suchen hatte, geschweige denn, wie sie hier her gekommen war. Neben ihr bewegte sich etwas, erschrocken setzte sie sich auf und erkannte Seth. Verwirrt blinzelte sie, versuchte sich zu erklären, was vor sich ging. Entsetzt sah sie an sich herunter und schrie kurz auf. Was lief hier ab?!

So schnell sie konnte, griff sie nach der Decke und verhüllte sich. Sie blinzelte wider, kniff dann ihre Augen zusammen und warf sich mit ihrem Kopf in das Kissen. Panisch schrie sie hinein. Wie konnte das nur sein?!

Als Seth bemerkte, dass Mana wach war, drehte er sich noch einmal um und tat so, als schliefe er noch. Er lächelte leicht vor sich hin, achtete aber darauf, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Er amüsierte sich köstlich. Niemand legte sich ungestraft mit ihm an, auch Mana nicht ...

Er wühlte sich unruhig hin und her, gähnte schließlich herzhaft und öffnete die Augen. Mana verschlafen anlächelnd, wünschte er ihr einen guten Morgen.

Errötet und verwirrt sah sie ihn an, versuchte sich auf sein Gesicht zu konzentrieren, was jedoch alles andere als einfach war.

„W-was ma-ach ich hier?“, fragte sie überfordert und schüttelte leicht den Kopf. Sie verstand es einfach nicht. Und warum hatte sie nichts an?!

Sie stockte. Warum hatte er nichts an?! Das war viel schlimmer! Was war hier geschehen?!

Verwundert sah Steh sie an. „Wieso was machst du hier? Darf ich mit meiner Verlobten nicht das Bett teilen?“

Entsetzen zeichnete sich auf Manas Gesicht. Was hatte er da gesagt? Verlobte? Sie musste sich verhört haben. „Deiner was?!“, rief sie lauter als beabsichtigt und rutschte unweigerlich von ihm weg. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dachte er sich das alles nur aus?

Seth zog die Decke ein Stück hoch und setzte sich nun ebenfalls auf. Entrüstet und enttäuscht sah er sie an. „Weißt du das denn nicht mehr?“, fragte er und klang dabei leicht traurig.

Er verwirrte sie nur noch mehr, nahm ihr jede Sicherheit, die sie glaubte zu haben. Mit entschuldigenden Augen sah sie ihn an. „Ich weiß kaum noch etwas von gestern ...“, gab sie leise zu und versuchte angestrengt nachzudenken. Wenn nur die Kopfschmerzen endlich nachlassen würden ... „Sicher, dass du dir dass nicht einbildest?“, fragte sie verzweifelt, in der Hoffnung, er hätte geträumt. Sie konnte doch so etwas wichtiges nicht einfach vergessen ... Allerdings hätte ein Traum sie wohl kaum hierher gebracht.

„Ist dir die Vorstellung so zuwider?“, fragte Seth kopfschüttelnd, „Nein, ich bilde mir das nicht ein. Atemu wollte, dass ich mich von dir trenne, weil es dem Ruf des Hofes schaden würde ... Aber wir haben uns gestern auf dem Fest verlobt und das Volk war begeistert!“

Wow ...

Mana sah ihn fasziniert an. Das alles war gestern geschehen? Es klang so unwirklich. Verunsichert grinste sie. „ich weiß nicht, was ich sagen soll ...“, meinte sie schüchtern und genau so war es auch. Aber wenn das wirklich wahr war, dann freute sie sich darüber.

„Aber du weißt schon noch, dass du durch deine Prüfung gefallen bist, oder?“, fragte Seth und genoss ihr entsetztes Gesicht.

„DIE Prüfung?!“, schrie sie erschrocken auf, „Durchgefallen?!“ Das durfte einfach nicht wahr sein, sie hatte soviel Arbeit damit gehabt, all die Sachen zu lernen und nun war sie nicht einmal mehr eine Priesterschülerin?

„Natürlich!“, antwortete Seth verwundert, „das war doch der Sinn an der Sache!“

Sie konnte es nicht fassen. Was denn für ein Sinn? Alles, wofür sie gekämpft hatte, war zerstört.

Seth blickte in ihr verzweifeltes Gesicht. „Du hast doch gesagt, du wolltest immer mit mir zusammen sein. Weder als Priesterschülerin noch als Priesterin wäre das jemals möglich gewesen.“

Entschuldigend blickte sie ihn an. Sie wollte verstehen, nicht ungerecht sein. Schließlich erklärte er ihr ja nur, woran sie sich nicht erinnern konnte.

„Ich will auch mit dir zusammenbleiben“, meinte sie leise, „Ich wünschte nur, ich wüsste was war ...“

Seth nickte traurig. „Aber du musst dich doch an einen Tag wie den gestrigen erinnern können“, sagte er nachdenklich, „Erst unser Gespräch, als Atemu uns trennen wollte, deine Prüfung, die ich extra vorgezogen habe, um dich durchfallen zu lassen ... und du konntest ja auch wirklich gar nichts ...“, er lächelte leicht. „Dann unsere Verlobung vor dem versammelten Volk ... weißt du davon überhaupt nichts mehr?“ Er unterbrach sich mit einem tiefen Seufzen. „Ich habe ja gewusst, dass du einiges getrunken hattest, aber ...“

Schließlich sah er auf. „Aber an die Nacht kannst du dich doch noch erinnern, oder?!“
 

Die ganze Zeit über hatte sie ihm traurig zugehört, sie versuchte irgendetwas davon als ihre eigene Erinnerung wieder zu erkennen, doch sie war so weit davon entfernt, dass ihr die Tränen kamen. Der gestrige Abend musste total schön gewesen sein, doch sie wusste es nicht. Wenn sie nur nicht so viel getrunken hätte ...

Sie sah erschrocken auf, blinzelte sich die Tränen weg. Die Nacht?!!

„Wa-warum?“, fragte sie entgeistert und machte einen Satz zurück. Das konnte nicht sein ...

„Du kannst doch nicht daran erinnern?“, fragte Seth erschüttert, „Dabei war das unsere erste Nacht ...“

Das konnte nicht wahr sein, dachte Mana verzweifelt und lief wieder hochrot an. „Ni-icht wirklich, oder?“, stieß sie leicht schrill hervor. Ihr erstes Mal und sie war so betrunken, dass sie sich nicht erinnerte?! Das musste ein Alptraum sein ... Sie kniff die Augen zusammen, schüttelte hoffnungslos den Kopf. „Ich kann mich an den Abend stückchenweise erinnern ...“, versuchte sie zu erklären, „Aber an die Nacht überhaupt nicht ...“ Sie schluchzte leise. „Es tut mir Leid ... Aber es war sicher sehr schön ...“

Es fiel ihr wirklich nicht leicht, das zuzugeben, aber was sollte sie sonst machen?

Seth zog sie in seine Arme, hob ihren Kopf und küsste sie kurz. „Das war es“, bestätigte er ihre Vermutung. Für einem Moment lang überlegte er, ob er zu weit ging, doch bereits im nächsten Augenblick verwarf er diesen Gedanken wieder.

Mana kam sich dumm vor, er konnte ihr alles erzählen und sie konnte nur nicken.

Ihr erstes Mal.

Sie rutschte nervös hin und her. Sie hatte geglaubt, das würde sovieles verändern ... Es musste am Alkohol liegen, dass sie nichts davon spürte.

Schließlich fand sie ihr Lächeln wieder. „Dann bleiben wir jetzt für immer zusammen?“, fragte sie schüchtern.

„Wo wir doch schon dem ganzen Volk unsere Verlobung verkündet haben“, antwortet er lächelnd, „Ja, davon gehe ich aus.“

Mana atmete auf. Wenn das so war, dann konnte sie damit leben, ihr erstes Mal mit Seth und ihr erstes Mal überhaupt nicht mitbekommen zu haben.
 

Seth drückte sie an sich und grinste vor sich hin. Er konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen, dieses ganze Gespräch war genau so abgelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte, wenn nicht sogar noch besser.

Verwirrt blinzelte Mana. Was war nur los? So lustig war die Sache nun auch nicht, oder? Gab es noch mehr an das sie sich nicht erinnern konnte?

„Was hast du?“, fragte sie durcheinander, „Was grinst du so?“

Ohne Unterlass schaukelte er sie hin und her. „Soll ich dir mal etwas verraten?“, fragte er grinsend, „Etwas ganz intimes?!“

Erneut schoss die Röte in Manas Wangen. Sie wollte endlich den Grund erfahren, warum das eigenartige Lächeln sich nicht von seinem Gesicht wischen ließ.

Und trotzdem. Wollte sie es wirklich genau erfahren? Schließlich nickte sie, leicht widerwillig, in der Hoffnung, die Überraschungen für diesen Tag endlich hinter sich zu haben.

Er zog sie lächelnd dichter an sich heran. „Du bist noch Jungfrau“, hauchte er in ihr Ohr.

Scharlachrot bohrte Mana ihren Kopf in seine Schulter, kniff ihre Augen zusammen. „W-w-wieso?“, quiekte sie kopfschüttelnd, „Und wo-woher?!“

Er lächelte. „Wir haben nicht miteinander geschlafen, letzte Nacht“, erklärte er, „Dazu wärst du zu betrunken gewesen.“

Leicht grinsend sah sie ihn an, versuchte ihre Unsicherheit und ihre Verwirrtheit zu überspielen. „Und woher willst du wissen, dass ich noch nie ...?“, sie stockte leicht, „Und warum erzählst du mir dann so etwas?!“

Ja, das war eindeutig die wichtigere Frage. Sicher, sie war betrunken gewesen und sie konnte sich nun auch an das meiste nicht mehr erinnern, aber trotzdem. Sie verstand es nicht. Das war doch total fies, so mit ihr zu spielen, er musste es schon geplant haben, sonst hätte er sich nicht nackt neben sie gelegt.

Er blinzelte verträumt. „Niemand legt sich ungestraft mit mir an oder macht sich über mich lustig“, erklärte er sachlich.

Auf ihr Gesicht legte sich ein Lächeln. Hatte sie das etwa getan?, überlegte sie belustigt, hatte sie des Priesters heilige Ehre beleidigt? Es war nur allzu deutlich, dass dieser Gedanke sie amüsierte.

„Und nun weiß ich auch, dass du noch unberührt bist“, sagte er und wischte damit schlagartig ihr Lächeln wieder weg.

Warum tat er das? Sie grummelte vernehmlich, drehte sich beleidigt und zickig weg. „Ja und?!“, fauchte sie.

Seth schloss sie in seine Arme. „Niemand legt sich mit mir an“, wiederholte er sich.

Leicht lächelnd kuschelte Mana sich an ihn und ließ das Thema vorerst auf sich beruhen. Sie kicherte leicht. „Wir sind verlobt!“, freute sie sich, unfähig zu glauben, dass dies alles wirklich wahr sein könnte, nie hätte sie auch nur gewagt davon zu träumen.

„Schockiert dich das so?“, fragte der Priester und drückte sie fester an sich. Ja, sie waren verlobt. Und ja, es war alles sehr schnell gegangen, doch er bereute seine Entscheidung nicht. Noch nicht.

Mana schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, natürlich nicht!“, rief sie vergnügt und aufgeregt, stockte dann und sah ihn erschrocken an. „Aber das würde ja bedeuten ...“, setzte sie an. „Wenn du Pharao wirst ..“

Könnte es wahr sein?

„Wenn ich Pharao werde, dann wirst du zur Prinzessin“; sagte Seth, der sofort verstanden hatte, was sie meinte, und blickte in Manas ehrfürchtiges und beeindrucktes Gesicht.

„Die Aufstiegschancen in diesem Gewerbe sind enorm, nicht wahr?“, fragte er lächelnd.

„Allerdings!“, pflichtete sie ihm bei. „Glaubst du denn, ich krieg das hin?“, fragte sie. Die Verantwortung, die sie dadurch bekommen würde, war alles andere als gering. Sie sollte dann an seiner Seite herrschen? Es war kaum zu glauben, vor einem Tag noch war es ihr Ziel gewesen, eines Tages Priesterin zu werden, nicht aber Königin.

Seth setzte sich vernünftig auf sein Bett, sah sie nachdenklich an. In seinen Gedanken ging er den letzten Abend noch einmal genau durch. „Also ... an der Etikette wirst du noch zu arbeiten haben“, sagte er lächelnd, ehe er fortfuhr: „Du wirst lernen müssen, wie man sich in der Öffentlichkeit benimmt, was man tut und was man besser lässt. Schließlich wirst du ständig beobachtet werden, wenn du an meiner Seite bist.“

Verwirrung machte sich breit. Konnte sie sich denn nicht benehmen? Das klang alles so anstrengend. Fragend betrachtete Mana ihn. „Und wie soll ich das lernen?“ Sie wollte den Erwartungen unbedingt entsprechen, schließlich hatte er ihr vor versammeltem Volk sein absolutes Vertrauen zugesichert.

„Ich weiß, du kannst dich benehmen, aber du darfst dich auch nicht verunsichern lassen ... und das muss man lernen, dass kann man nicht einfach.“ Er dachte ernsthaft darüber nach. „Am besten wäre es, du bekommst Unterricht“, schloss er und erntete damit alles andere als Begeisterung.

„Waaas?“, entgegnete Mana erschrocken. „Warum das denn?!“ Kaum war sie keine Priesterschülerin mehr, sollte sie etwas anderes lernen?

Nichts anderes hatte Seth erwartet. Er schüttelte den Kopf. „So etwas lernt man nicht von einem Tag auf den anderen“, versuchte er sie zu beschwichtigen, „Und ich kann dir nicht alles nebenbei erklären.“

Er konnte es wirklich nicht, selbst wenn er gewollt hätte. Seine Pflichten als Hohepriester waren äußerst zeitraubend, er musste Tag und Nacht bereit sein, sollte der Pharao nach ihm verlangen.

„Muss das sein?!“, fragte Mana widerwillig und atmete tief durch.

„Nein, es muss nicht sein“, antwortete der Priester etwas enttäuscht, „Aber wenn du die Gewohnheiten und Gepflogenheiten nicht kennst, dann fürchte ich, kann ich dich kaum irgendwo hin mitnehmen.“

Überrascht sah sie ihn an und nickte dann. Natürlich. Wie konnte sie nur vergessen? Sie sollte das nicht tun, um später in irgendeinem Tempel zu verschwinden, sondern um eventuell, sollte der zufall es so wollen, an Seths Seite als Königen zu regieren. „Entschuldige“, sagte sie leise und meinte es auch so wie sie es sagte. „Ich werde mir Mühe geben, alles zu lernen, ja?“ Wie zur Versöhnung drückte sie ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen.

Er nickte lächelnd. Welch ein Glück, dass ich sie nicht selbst unterrichten muss, dachte er still.

Eiswind

Die Pflicht rief. Er hatte nun Aufgaben zu erfüllen, die mehr Verantwortungsbewusstsein erforderten als alles, was er je zuvor getan hatte. Als offizieller Thronfolger musste er Atemu nicht nur als Hohepriester, sondern auch als Mitregent zur Seite stehen.

Seth hatte sich von Mana verabschiedet und empfing nun einen Diener nach dem anderen, um zu erfahren, wie es um das Königreich bestellt war. Es war kaum zu glauben, doch seit Akim nicht mehr da war, schien er nichts mehr zu erfahren. Niemals hätte er geglaubt, dass er durch ihn so viele Informationen erhalten hatte.

Voller Geduld hörte er sich an, was die Diener zu sagen hatten. Und auch wenn er das meiste noch nicht gewusst hatte, so interessierte es ihn doch nicht sonderlich. Er hatte gehofft, etwas Neues über Meira, Cyrus oder Akim zu hören, doch scheinbar waren sie nirgendwo gesichtet worden. Gerade wollte er sich leicht gelangweilt zurücklehnen, da horchte er auf.

Ein Junge kniete vor ihm, untertänig und doch fordernd. „Mein Herr“, sagte er ehrfürchtig, „Die Lage an der Grenze ist sehr ernst. Es kommt immer wieder zu schweren Unruhen. Der Pharao hat schon Truppen versammelt. Die Libyer sind uns um einige tausend Mann überlegen. Einige Dörfer am Rande der Grenze sind schon niedergeschlagen, ebenso drei unserer Truppen. Wenn wir nicht endlich zu einem effektiven Gegenschlag ansetzen, wird Ägypten sich unterwerfen müssen.“

Aufmerksam hörte Seth ihm zu. Die Unruhen waren ihm bekannt, nicht aber, dass sie ein solches Ausmaß mit sich brachten.

Inzwischen war der Junge aufgestanden, unterließ es aber dennoch Seth anzusehen. An einer Karte aus Papyrus zeigte er auf den Verlauf der Grenze. „Sie rücken mit immer mehr Mann nach und ziehen von Süden her bis ganz dort hinauf.“

Seth verfolgte seine Ausführungen hochkonzentriert und nachdenklich. Er betrachtete die Karte. „Und der Pharao weiß Bescheid, sagst du?“, fragte er nach. Wenn Atemu schon die Truppen versammelte, wieso hatte er ihn nicht eingeweiht?

„Ja, Herr, der Pharao ist im Bilde“, antwortete der Junge und schluckte leicht. „Sein nächster Plan beinhaltet einen starken Gegenangriff von Abydos ausgehend.“ Wieder deutete er auf die Karte. „Von hier aus werden sie nach Norden angreifen und versuchen den schwächsten Teil auszulöschen.“ Er sprach äußerst angespannt und ernst. „Herr, der Pharao hat alles bereitgestellt, er wird das Heer selbst anführen.“

Nun, das waren wirklich Neuigkeiten. Atemu wollte also selbst kämpfen? Das erklärte zumindest, weswegen er es so eilig gehabt hatte, einen Nachfolger zu bestimmen. Seth nickte dem Jungen zu. „Ich danke dir“, sagte er aufrichtig, „Gibt es noch mehr, das ich wissen muss?“

Viel Zeit zu handeln würde ihm nicht mehr bleiben. Doch was getan werden musste, lag nun auf der Hand. Das libysche Heer zu unterschätzen konnte ein fataler Fehler sein, der weder zu verzeihen noch wiedergutzumachen war. Das also waren die Nachrichten, die Atemu von dem Boten Xerxes bekommen hatte, und die dieser am vorigen Abend nicht in aller Öffentlichkeit hatte preisgeben dürfen.

Der Junge riss Seth aus seinen Gedanken. Es gab in der Tat noch etwas, das ihm aufgetragen wurde mitzuteilen. „Verzeiht, Herr, dass ich mich so ausdrücken muss, aber unser jetziger Pharao rechnet wohl mit Eurer baldigen Ernennung zum Herrscher. Deswegen wurden die Hofschneider und Hofgießer beauftragt, Eure Wünsche am Nachmittag entgegen zu nehmen. Eure Vorstellungen der Gewänder und Kronen, Herr. Ebenso werden sie sich Eurer Vorschläge für die Gewänder und die Krone Eurer Verlobten annehmen.“ Er machte eine kurze Pause. „Außerdem wurde nach den besten Lehrern des Landes geschickt, um Eure Verlobte in Etikette und alles was anfällt zu unterrichten.“

Immer wieder verbeugte er sich vor Seth. Er hatte alles gesagt, was er sagen musste und doch wartete er, ob der Priester noch Fragen oder Aufträge an ihn hatte.

Seth war äußerst überrascht, ließ es sich aber nicht anmerken. Einen solchen Einblick in seine Gedankenwelt wollte er dem Diener nicht geben, das war weder angebracht noch nötig. „Ich verstehe ...“, antwortete er stattdessen, „Ich werde sie empfangen, teile ihnen bitte mit, sie finden mich im Thronsaal, sollte ich nicht hier sein.“ Er atmete kurz durch und entließ den Jungen schließlich. „Du kannst gehen“, sagte er und blickte in dessen verunsicherte Gesicht. „Ägypten wird sich nicht unterwerfen.“

Er wartete, bis der Junge sich entfernt hatte, und wendete sich an die Diener, die noch immer darauf warteten, von ihm empfangen zu werden. Wenn man bedachte, dass nun einiges passieren musste, war er wenig daran interessiert, noch weitere Stunden damit zu verbringen, sich halbherzige Anliegen anzuhören. Ernst betrachtete er sie. „Hat noch irgendwer etwas zu sagen, das nicht bis Morgen Zeit hätte?“

Er wartete, doch keiner antwortete ihm. Die Diener sahen sich gegenseitig an und schüttelten den Kopf. Offenbar hatten sie den Ernst der Lage erkannt.

Seth verabschiedete sie und verließ den Raum. Er musste nachdenken. Das waren wirklich Neuigkeiten gewesen... Die Libyer griffen an und Atemu ließ alles dafür vorbereiten, dass Seth ihn als Pharao ersetzte. Das konnte nur zwei Dinge bedeuten. Entweder er ging davon aus, dass Ägypten diesen Krieg nicht gewinnen konnte, oder er hatte die Absicht in der Schlacht zu fallen ...
 

Mana war in Seths Gemach zurückgeblieben und wartete nun ungeduldig auf dessen Rückkehr. Als er die Tür schließlich öffnete, sprang sie freudig auf, und lief ihm entgegen.

Doch schon auf den ersten Blick erkannte sie, dass etwas ihn beschäftigte.

„Was ist denn los?!“, fragte sie leicht beunruhigt, „Ist etwas passiert?!“

Nachdenklich betrachtete der Priester seine Verlobte. Den Dienern konnte er vielleicht etwas vormachen, doch ihr ...

Nun gut, er hätte es gekonnt, wenn er es nur gewollt hätte. Doch sie war ebenso betroffen wie er und es machte auch überhaupt keinen Sinn ihr so etwas zu verschweigen.

„Wie es aussieht, wird in der nächsten Zeit eine Menge passieren ...“, setzte er an zu erklären. „Die Libyer haben Ägypten angegriffen, Atemu will das Heer anführen und zurückschlagen.“ Er blickte auf. „Mana, wir befinden uns gegenwärtig im Krieg.“

Sie schluckte kurz. Krieg? Ernst sah sie ihn an. „Warum will Atemu denn selbst in den Krieg ziehen?“ Sie sah keinen Sinn darin. Es gab doch genügend fähige Männer die Truppen anzuführen und gerade jetzt konnte er doch Teana nicht allein lassen?! Empört hüpfte Mana auf und ab. Was war nur in ihn gefahren?!

„Er scheint alles dahingehend vorzubereiten, dass wir möglichst bald die Regierung übernehmen“, fuhr Seth fort. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Sicher, er hatte sich den Thron immer gewünscht, doch auf diese Weise wäre das kein Triumph. So war das alles andere als befriedigend ...

Mana stutzte. „Atemu ist wirklich komplett überfordert, oder?“, stellte sie analysierend fest, „Meinst du, ich sollte mal mit ihm reden?!“ Sie machte sich Sorgen um ihn, der Pharao war ihr immer ein guter Freund gewesen, dass er nun so schwere und folgenreiche Entschlüsse fasste, passte überhaupt nicht zu ihm.

Seth nickte nur. „Rede mit ihm, wenn du willst ... Es würde mich sehr interessieren, wie er über die Sache denkt ...“

Mana war sofort bereit aufzubrechen. Endlich gab es etwas, das sie machen konnte. Sie hatte schon den halben Tag nur gewartet, es wurde Zeit, dass sich das änderte. „Ich habe schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen, zumindest nicht alleine“, meinte sie und kicherte leicht. Wenn sie ehrlich war, dann freute sie sich schon darauf, sich mal wieder unter vier Augen mit ihm zu unterhalten. „Gibt es sonst noch etwas?“, fragte sie ihren Verlobten und sah ihn interessiert an. Dass er sie so in seine Entscheidungen mit einbezog war für sie eine durchaus freudige Überraschung, auch wenn die Thematik alles andere als schön war.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber achte bitte darauf, dass du heute Nachmittag hier bist, ja?“
 

Prinzessin Teana saß im Palastgarten und starrte abwesend in die Blumen, als Mana hinter ich auftauchte. Eigentlich hatte diese ja zum Pharao gewollt, doch als sie die Prinzessin allein in den Gärten hatte sitzen sehen, hatte sie ihre Meinung geändert.

„Darf ich mit dir reden?“, fragte Mana höflich und Teana nickte. Sie hatte keinen Grund, ihr diese Bitte auszuschlagen und ein wenig Gesellschaft tat ihr wahrscheinlich auch gut.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte Teana und lächelte sie an.

Mana setzte sich zu ihr, sah sie aufmerksam an. Sie zögerte nicht, sondern legte ihren Kopf schief und kam gleich zur Sache. „Kannst du mir verraten, was mit Atemu los ist?“, fragte sie besorgt.

Teana stockte. Es war offensichtlich, dass sie von der Frage zwar überrascht war, aber dennoch nicht ausgeschlossen hatte, dass sie so etwas beantworten sollte. Ihr selbst war es ja auch aufgefallen. Trotzdem blieb ihre Antwort ausweichend statt informierend. „Was sollte mit ihm sein?!“, fragte sie und versuchte das Gespräch, das ihr schon jetzt aus der Hand geglitten war, wieder unter Kontrolle zu kriegen.

Die Jüngere schüttelte verständnislos den Kopf. „Nun tu nicht so“, meinte Mana aufrichtig, „Atemu bereitet alles vor, damit Seth Pharao werden kann und will selbst in den Krieg ziehen. Irgendetwas ist da falsch, oder?!“

Traurig seufzend nickte die Prinzessin. „Du hast Recht“, gab sie zu, „Aber er lässt sich nicht davon abbringen, er will unbedingt das Heer selbst anführen, damit das Volk Vertrauen hat ...“

Diese Erklärung war unbegründet, das war Mana sofort klar. „Aber das hat es doch auch so!“, sagte sie entschlossen, was war nur los mit Atemu? Sie musterte die ihr gegenüber Sitzende. „Du machst dir auch Sorgen, oder?“, fragte sie mitfühlend.

„Natürlich“, gab Teana schwach lächelnd zurück, „Unser Kind braucht doch einen Vater, aber er ... Wenn er nun nicht zurückkehrt, was ist dann?“

Mana betrachtete sie für einen Moment, sah sie aufmunternd an. „Soweit muss es doch gar nicht kommen“, überlegte sie, „Atemu weiß sicher, was er tut. Und er hat doch auch einiges drauf. Er schafft das schon!“

Sie konnte selbst nicht so recht an ihre eigenen Worte glauben, doch sie hielt es für notwendig, der Prinzessin die Angst zu nehmen, ihr den Mut wieder zu geben, mit dem sie sonst jeden für sich begeistern konnte.

Heute jedoch glitzerten Tränen in ihren Augen. „Das Heer der Libyer ist so überlegen“, flüsterte sie verzweifelt, „Da kann soviel passieren ...“

Nein. Diese Überlegungen gingen eindeutig in eine Richtung, die sie nicht in Erwägung ziehen wollte. „Aber sie haben kein Millenniumspuzzle, so wie Atemu!“, sagte Mana lächelnd, die einende Wirkung des Puzzles zu unterschätzen war sicher einer der größten Fehler, die man machen konnte. „Also versuch ihn zu überzeugen, nicht gleich mit dem Leben abzuschließen. Das ist für dich, für ihn und das Baby nicht gerade das Beste!“ Doch nicht nur sie waren betroffen, es gab noch jemanden, dem Atemus leichtsinniges Verhalten alles andere als gut tat.

„Sogar Seth macht sich schon Gedanken um ihn!“, meinte Mana und schnitt eine Grimasse, „Das musst du ihm sagen, dann kommt er sicher wieder zu Verstand. Das würde er sich doch niemals gefallen lassen!“

Verdutzt sah Teana sie an. „Seth macht sich Gedanken?“, fragte sie perplex, „Ich dachte, er würde so schnell wie möglich Pharao werden wollen, dann müsste ihm das doch in den Kram passen.“ Hatte sie ihn wirklich so falsch eingeschätzt? Oder war ihr der entscheidende Punkt entgangen?

Mana dachte ernsthaft darüber nach. Hatte sie selbst nicht ihren Freund genauso eingeschätzt? „Ich denke schon, dass er das will“, meinte sie zögernd, stellte aber das konzentrierte Nachdenken schnell wieder ein, weil sie noch immer nicht über die Folgen ihres Alkoholrausches hinweggekommen war. „Aber Atemu ist halt schon merkwürdig, und ich denke, es würde Seth nicht gefallen, so einfach auf den Thron zu kommen. Er braucht großes Theater und eine Menge Aufmerksamkeit.“

Teana nickte. Es bestand kein Zweifel daran, dass Mana Recht hatte, schließlich hatte Seth erst gestern bewiesen, dass ihm einfache, zurückhaltende Auftritte alles andere als genügten.

„Also mach dir keine Sorgen, ja?“, fuhr Mana ohne durchzuatmen fort, „Wegen Atemu, mein ich. Er wird schon wieder nach Hause kommen, wenn der Krieg vorbei ist“, erklärte sie zuversichtlich. „Und sag ihm bitte, er soll nicht so tun, als wäre er nicht mehr Pharao und alles auf Steh schieben. Das ist für seinen Hochmut alles andere als mindernd.“ Frech grinste sie Teana an. Ob sie es geschafft hatte, die Prinzessin aufzubauen?

Auf alle Fälle erwiderte diese ihr Lächeln und es wirkte auch bei weitem nicht mehr so aufgesetzt, wie noch vor wenigen Augenblicken. „Gibt es etwas, dass Seths Hochmut mindern kann?“, fragte sie lächelnd und konnte sich die Antwort darauf fast denken. Sie sah die Kleinere an, und stockte schließlich. „Ach übrigens ... Danke, Mana“, sagte sie schüchtern lächelnd, sie konnte es wirklich gut gebrauchen, auf andere Gedanken zu kommen, gerade wo Atemu so zweifelhafte Entscheidungen traf. „Du wirst mit Sicherheit eine tolle Königin, irgendwann.“

Verwirrt blickte Mana zu ihr auf. „Wieso sollte ich das werden?“ Warum waren alle davon überzeugt, dass sie die Richtige war für diese Aufgabe? Und wieso war es ausgerechnet Teana, die sie darauf ansprach? Sie war doch diejenige, die Königin werden sollte. „Na, ich bezweifle doch, dass ich eine gute Herrscherin wäre“, antwortete Mana grinsend, sie legte es ja auch überhaupt nicht darauf an. „Außerdem wirst du doch vor mir Königin!“

„Ach doch“, gab Teana zurück, „Das wärest du sicher. Und wenn du einmal nicht weiter weißt, dann lässt du das einfach Seth machen.“

Wieder sah Teana sie nachdenklich an. Sie hatten über sovieles geredet und doch wusste sie nicht, wie sie Atemu von seinem wahnwitzigen Vorhaben abbringen sollte. „Du meinst wirklich, ich werde Königin?“

Pflicht

Seufzend saß Seth an seinem Tisch, unzählige Schriftrollen vor sich ausgebreitet. Er raufte sich die Haare. So ging es einfach nicht. Immer und immer wieder arbeitete er die Aufzeichnungen durch und kam doch zu keinem anderen Ergebnis.

Wenn Atemu im Krieg etwas geschehen sollte und er einfach nur im Palast auf seine Rückkehr warten sollte, wie es offensichtlich geplant war ... Das Volk würde ihn für dessen Unglück verantwortlich machen ...

Grimmig seufzte er ein weiteres Mal. Das Angebot war wahrlich verlockend und dennoch auf alle Fälle abzulehnen.

Wie hatte Atemu sich das vorgestellt? Glaubte er wirklich, dass es so einfach war?

So leicht, die Libyer zu besiegen?

Oder hatte er tatsächlich vor, im Krieg zu fallen?

Der Thron war in greifbare Nähe gerückt, viel schneller als erwartet. Und doch war er so fern wie schon lange nicht mehr.

Handelte Atemu übereilt?

Oder wusste er etwas über die Libyer, das dem Hohepriester bisher verschwiegen worden war?
 

Nachdenklich betrachtete Teana den Teich, der sich vor ihr ausbreitete und sah in ihr eigenes, von Sorgen gezeichnetes Gesicht.

Es war noch nicht lange her, dass Mana sie hier zurückgelassen hatte, und doch hatte Teana Zweifel.

Atemu konnte so stur sein, wie sollte sie ihn nur überzeugen? Sie musste es einfach tun. Wenn selbst Seth sich schon Gedanken machte, dann reagierte sie auch nicht übertrieben. Dann musste sie doch Recht haben.

Oder?

Sie seufzte. Wenn sie nur gewusst hätte, wie sie sich verhalten sollte ... Als Herrscherin über ein mächtiges Königreich wie Ägypten eines war, war es ihre Pflicht an das Wohl des Volkes zu denken und alles in die Wege zu leiten, damit dieser unnötige Krieg nicht den Zerfall brachte. Doch als Frau konnte Teana sich überhaupt nicht damit abfinden, ihren geliebten Mann und den Vater ihres ungeborenen Kindes an vorderster Front zu wissen. Niemand konnte ihr garantieren, dass er von dort zurückzukehrte, niemand konnte ihr sagen, wie lange sie ohne ihn würde auskommen müssen.

Schweren Herzens richtete die Prinzessin sich auf, warf noch einen letzten Blick in ihr Spiegelbild und wischte sich die Träne weg, die sich einsam einen Weg ihre Wange hinab gesucht hatte.

Mana hatte Recht. Sie musste mit Atemu reden, sie konnte ... nein, sie durfte einfach nicht länger warten.

Wie vermutet fand sie ihn im Thronsaal, wo er tief gebeugt über seiner Arbeit saß, Karten und Schriftrollen vor sich ausgebreitet.

Leise ging sie auf ihn zu, seufzte noch einmal. „Wie läuft die Planung?“, fragte sie schließlich mit leicht zitternder Stimme. All diese Unterlagen machten ihr Angst, denn sie konnten so vieles bedeuten, so vieles vor dem ihr graute, konnte durch diesen Krieg wahr werden.

Der Pharao blickte verwundert von den Schriftrollen auf, er hatte sie nicht kommen hören, doch ihre Anwesenheit erfreute ihn. „Gut, denke ich“, sagte er mit einem Lächeln auf den Lippen, das niemanden hätte überzeugen können, am wenigsten jedoch Teana.

Besorgt setzte sie sich neben ihn. „Wie hoch stehen die Chancen auf Erfolg?“

Atemu sah sie nicht an. Er hätte ihr gern eine Antwort darauf gegeben, die ihr all ihre Sorgen nahm, doch er wusste genau, dass er mit einer solchen Lüge absolut gar nichts würde besser machen können.

Er durchwühlte die Unterlagen. „Ich weiß es nicht genau“, antwortete er zögernd, „Das Heer scheint stark zu sein.“ Ja, es so zu formulieren, damit konnte er leben. Er wusste genau, dass das feindliche Heer seinen Truppen bei weitem überlegen war, doch das auszusprechen, hieße sich die Niederlage einzugestehen, bevor es überhaupt soweit war. „Aber“, fuhr er ernst fort, „Wir haben ebenfalls eine mächtige Armee und bessere Waffen. Ich sehen keinen Grund, warum wir nicht einen Sieg erlangen können.“
 

„Heeey!“, rief Mana und lief auf Seth zu. Sie kam früher zu ihm zurück als erwartet, doch was nützte es schon, wenn sie jetzt noch zu Atemu ging?

Sollte Teana doch mit ihm reden, auf sie würde er mit Sicherheit viel eher hören.

Außerdem hatte Seth gesagt, sie sollte am Nachmittag wieder bei ihm sein, es konnte also nicht schaden, wenn sie schon bei ihm auftauchte.

Seth blickte auf und zog sie an sich. „Und?“, fragte er interessiert, „Was hat Atemu gesagt?“

Mana biss sich auf die Zunge, grinste schief. „Weißt du ... Ich habe gar nicht mit ihm geredet, sondern mit Teana“, gab sie zu. „Ich konnte sie doch nicht einfach so traurig da herumsitzen lassen! Sie macht sich schließlich auch Sorgen. Jetzt will sie mit ihm reden und ihn wieder zur Vernunft bringen.“

Ihm zu unterstellen, er würde sich um Atemu sorgen, war schon ziemlich hoch gegriffen, aber der Priester ließ die Sache auf sich beruhen. Zu knapp war die Zeit, die noch blieb, als das man sie mit solch sinnlosen Diskussionen vergeuden musste.

„Wenn das so ist“, meinte er nachgebend, sah sie an und deutete auf die Unterlagen, „Dann kannst du mir helfen, wenn du magst.“

Überrascht blickte Mana zu ihm auf. Hatte sie sich verhört? „Ich soll dir helfen?“

Seth nickte. „Wir müssen uns etwas überlegen, damit Atemu diesen Krieg überlebt!“

War das wirklich noch ihr Seth, der da vor ihr stand? Ging es ihm gut? „Warum das?“, fragte sie, doch ihr Lächeln erstarb, als sie sein ernstes Gesicht sah. Es war ganz offensichtlich, dass er das Ganze alles andere als lustig fand.

„Wenn ich Pharao werden sollte, weil Atemu alles tut um im Krieg als Held zu fallen, dann wird das Volk mich niemals anerkennen ... Wie es scheint, ist es der Wille des Pharaos, dass ich hier still und leise auf seinen Tod warte und dann alles übernehme.“

Mana blickte ihn nicht an, blieb aber nicht lange dabei. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Karten auf dem Tisch. „Dann werden wir denken müssen ...“, meinte sie leise, und setzte sich schließlich auf einen freien Stuhl, damit sie besser in die Schriftrollen blicken konnte.

Auch Seth betrachtete die Aufzeichnungen, nahm sie allerdings kaum wahr. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, er war tief in seine Gedanken versunken. „Ich werde mich wohl wieder dem Willen des Pharaos wiedersetzen müssen ...“, murmelte er vor sich hin, und studierte die Karte ein weiteres Mal. Er kannte sie inzwischen auswendig, aber das störte ihn nicht. Das Gebiet zu kennen, konnte ein Vorteil sein in dem bevorstehenden Krieg, möglicherweise ein entscheidender.

Mana sah nicht von den Unterlagen auf, stutzte aber dennoch. „Ach, wirst du das?!“, fragte sie leicht irritiert. Dass er keine Probleme damit hatte, sich über Anweisungen hinweg zu setzen, hatte er schon oft genug bewiesen, aber was sollte das nun wieder?

„Ja, ich denke schon“, gab der Priester zurück, leicht überrascht, dass sie ihm zugehört hatte und dennoch sicher. „Ich werde mich hier auf alle Fälle nicht wie Getier verkriechen...“

Leicht seufzend las Mana weiter, oder gab zumindest vor es zu tun. Natürlich, wie hatte sie nur etwas anderes erwarten können? Seth und sein Stolz konnten so etwas selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen. „Vielleicht sollte irgendwer ihn begleiten, der stark genug wäre, um auf ihn aufzupassen?“, schlug sie vor und hoffte, er würde diese Idee abschlagen, was er jedoch nicht tat.

Er nickte. „Genau das war mein Gedanke“, sagte er leicht lächelnd, wurde aber schnell wieder ernst, „Und derjenige werde wohl ich sein.“
 

„Wieso musst du denn an vorderster Stelle kämpfen?“, verzweifelt sah sie ihn an, all der Glanz ihrer Augen war erloschen und hatte einem Meer aus Tränen Platz gemacht.

„Teana ...“, antwortete Atemu beschwichtigend, „Ich bin nun mal der Pharao...“

Doch die junge Frau schüttelte nur den Kopf. „Natürlich bist du das!“, entgegnete sie ängstlich, „Aber sieh dich doch an! Du bereitest alles dafür vor, dass Seth deine Nachfolge antreten kann und das möglichst schnell...“ Ihre Stimme wurde immer leiser.

Überrascht betrachtete er sie und lächelte leicht. So also sah das Ganze für sie aus? Sie machte sich doch einfach zu viele Sorgen. Sorgen, die ihr hübsches Gesicht entsetzlich entstellten. „Du weißt doch, dass einiges passieren kann, ich lege es nicht darauf an, aber ohne Planung würde Ägypten nicht so blühen, wie es gerade der Fall ist.“ Mehr oder weniger, sollte er wohl ergänzen, und dennoch unterließ er es.

Teana versuchte sich zu beruhigen, hatte damit aber wenig Erfolg. „Das versteh ich doch...“, flüsterte sie, ohne ihm in die Augen sehen zu können, „Aber wieso musst du das Heer anführen? Das Königreich hat so viele starke Heerführer, die nur für einen solchen Fall ausgebildet worden sind...“

„Das Heer verliert immer mehr Kämpfe an der Grenze, bisher konnte keiner der Heerführer seine Truppe zu einem Sieg führen und die Soldaten verlieren ihren Mut und ihre Hoffnung.“ Er atmete tief durch. Wenn sie ihn nur verstehen würde ... Er verlangte ja gar nicht, dass sie es gut hieß, es war nur natürlich, dass sie sich sorgte, und trotzdem. Es war schließlich seine Pflicht. „Als Pharao werde ich bei ihnen sein um ihnen zu zeigen, dass es Hoffnung gibt! Schließlich steht mir Millenniumsmagie zur Verfügung, wir sind nicht schutzlos!“

Vielleicht sagte er das nur, um sich selbst Mut zu machen, aber ob er selbst daran glaubte oder nicht, war zweitrangig. Wichtig war einzig und allein, dass die anderen daran glaubten, dass Teana ihm vertraute und dass die Truppen neuen Mut fassten.

„Aber wenn dir nun etwas geschieht?“, hielt Teana dagegen, „Was wird dann aus mir? Was wird aus unserem Kind?“ Tränen glitzerten in ihrem Gesicht, als sie ihn mit festen und flehendem Blick schließlich doch ansah.

Nun übertrieb sie aber wirklich ... Streng sah Atemu sie an, wischte ihr die Tränen weg. „Darüber brauchst du dir überhaupt keine Gedanken machen“, sagte er bestimmend, „Mir wird nichts passieren.“

„Das sagt sich so leicht...“ Teana schluchzte verzweifelt. „Es kann so schnell etwas geschehen...“
 

Ihr Blick sagte mehr als all die Worte, die ihr in dem Moment einfielen. Entgeistert und erschrocken starrte Mana Seth an. Das meinte er nicht ernst, oder? Er redete darüber, dass es leichtsinnig war von Atemu selbst in den Krieg zu ziehen und nun wollte er selbst an vorderster Front kämpfen?!

„Wen würdest du denn sonst losschicken?“, fragte Seth, nicht weniger stur. Was blieb ihm denn anderes übrig? Jemanden anderen loszugeschicken brächte gar nichts. Schließlich säße er dann immer noch seelenruhig im Palast, während alle anderen für die Freiheit des Landes kämpften.

Zickig verschränkte Mana die Arme vor ihrem Körper. „Das weiß ich doch nicht!“, fauchte sie, „Jedenfalls nicht dich!“

Völlig unbeeindruckt stand der Priester vor ihr und blickte, wie um seine Überlegenheit zu demonstrieren, auf sie herab. „Ich lasse mich nicht herumkommandieren, auch nicht vom Pharao“, stellte er sachlich fest, „Und ich lasse mich nicht vor allen als Feigling darstellen.“

„Ich will trotzdem nicht, dass du in den Krieg ziehst!“ Sie wurde mit jedem Wort lauter. Sie hatte ihn doch gerade erst für sich gewonnen. Wieso konnte er das nicht verstehen? Wieso musste alles immer so schwierig sein?

Seth atmete zunächst einmal tief durch, ehe er antwortete. Er hatte es sich schließlich auch nicht ausgesucht. „Mana ... Nenne mir eine Alternative und ich willige sofort ein.“ Wie konnte er sie nur beschwichtigen? „Es geht nun mal nicht um das, was wir wollen...“

„Ich weiß, es geht nie darum, was wir wollen!“ Grummelnd stand Mana auf und lief zum Fenster. Was nützte es einem, ganz oben in der Rangliste zu stehen, wenn man nichts durfte? Es gab hier mehr Regeln zu beachten als in der Gosse. Sie starrte hinaus.

Aufmerksam betrachte er sie, stand auf und folgte ihr. Seufzend legte er seine Arme um ihre Taille. „Mana, bitte ... Es gibt keinen Weg, wie ich dem Kampf fernbleiben kann, ohne mein Gesicht zu verlieren ...“ Er versuchte es ihr zu erklären, hoffte, sie würde verstehen. Verstehen, welche Bedeutung das Image hatte, das man im Palast zu wahren hatte.

Resignierend nickte Mana. Sie versuchte, sich zusammenzureißen, es blieb ihr ja sowieso nichts anderes übrig. „Aber dann komm ich mit dir!“, meinte sie schließlich und klang dabei, als wäre ihr Vorschlag ein Kompromiss, mit dem jeder leben könnte. Als Seth den Kopf schüttelte, war sie enttäuscht.

„Ich weiß, du bist stark“, sagte er, „Aber das darf ich nicht erlauben.“

„Warum denn nicht?!“ Sollte sie etwa hier bleiben? Hoffen, dass alles gut ging?

Es gab kaum eine undankbarere Aufgabe ...

Wieder schüttelte Seth den Kopf. „Nein, Mana, das darf ich nicht.“ Geduldig versuchte er es ihr zu erklären. „Was meinst du, wie das in der Öffentlichkeit aussähe, wenn wir dich mitnehmen würden?“

Die Öffentlichkeit ... Jedes Mal die selbe Argumentation ... Mana grummelte vor sich hin. „Also soll ich hier herumsitzen und mit Teana Däumchen drehend darauf hoffen, dass ihr wieder zurückkommt?“, fragte sie sarkastisch und wusste genau, worauf das hinauslaufen würde.

Seth lächelte leicht. „Makaber, nicht wahr?“, fragte er und nickte. „Genau das verlangt die Etikette.“

Reue

Es war nicht einfach, Teana davon zu überzeugen, dass dieser Krieg unausweichlich war und dass daher alles nötige getan und in die Wege geleitet werden musste.

Unzählige bittere Tränen flossen ihr Gesicht hinab, unaufhaltsam. Atemu konnte nichts anderes tun, als sie in seinen Armen zu halten und ihr immer wieder Mut zuzusprechen.

Niemals würde er dieses zerbrechliche Geschöpf allein lassen, kein noch so starker Gegner würde ihn davon abhalten, zu ihr zurück zu kommen.

Schließlich versiegten ihre Tränen. Sie atmete mehrfach tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Es war doch einfach kindisch, wie sie sich benahm, sie wusste genau, dass er gar nichts dafür konnte, und doch machte sie ihn dafür verantwortlich.

Sie würde auf seine Rückkehr warten, würde jeden einzelnen Tag ohne ihn ertragen und stark sein. Damit der Gedanke an sie Atemu Kraft geben konnte, würde sie nicht mehr verzweifeln. Sie würde sich alle Mühe geben um ihn zu unterstützen, sie wollte nicht mehr schwach sein.

Wieso nur liefen schon wieder Tränen über ihre Wangen?

Teana konnte es nicht verstehen und sie konnte es auch nicht aufhalten.

Überrascht und überfordert zog Atemu sie an sich und strich ihr sanft über den Rücken. Er schaukelte sie vorsichtig in seinen Armen hin und her, sah sie besorgt an. Wie sollte er sie nur beruhigen? Was konnte er tun? Es musste doch etwas geben.

Es war wirklich nicht zu glauben. Die Kriegsvorbereitungen und Seths Ernennung hatten all seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und all seine Zeit in Anspruch genommen. Teana war viel zu kurz gekommen, auch als Pharao wollte Atemu nicht akzeptieren, dass sie so sehr darunter zu leiden hatte.

„Es tut mir so Leid“, schluchzte Teana leise an seine Schulter und versuchte sich ihr Gesicht trocken zu wischen – vergeblich.

Atemu schüttelte verwirrt den Kopf. „Was tut dir Leid?“, fragte er besorgt, strich ihr durch ihr glattes, braunes Haar.

„Ich bereite dir Sorgen...“, weinte die Prinzessin, „Ich kann dich gar nicht unterstützen...“

Sie wollte all das eigentlich für sich behalten, aber es gelang ihr einfach nicht. All ihre Sorgen, all ihre Ängste... Wie sollte sie das nur überstehen?

Während sie allein auf ihn wartete... Sie hätte alles dafür gegeben, wenn sie sich nur nicht so einsam und hilflos gefühlt hätte.

„Das stimmt doch nicht!“, Atemu riss sie aus ihren trüben Gedanken, schüttelte sie leicht. „Du unterstützt mich sehr, allein deine Anwesenheit macht mich doch glücklich!“ Er musste sie unbedingt davon überzeugen, ihr weinendes Gesicht gefiel ihm überhaupt nicht. Sie war sonst so wunderschön und strahlend, ließ alle anderen in ihrem Schatten erblassen, doch nun schien all ihr Glanz in sich zusammenzuschrumpfen, all das Licht, das sonst aus ihren Augen strahle, verblasste.

Er wollte ihr Lächeln wiedersehen, wollte sie von neuem erblühen sehen, bevor er sich dem unausweichlichen stellen musste.

Teana jedoch blieb skeptisch. „Ist das so?“, fragte sie und lächelte schwach. Sie wollte seinen Worten so gern Glauben schenken, doch sie konnte es sich einfach nicht vorstellen. Wieso wollte er dann sein Leben einfach wegwerfen?
 

„Ich mag diese doofe Etikette nicht!“, zischte Mana aufgebracht und setzte sich zickig auf Seths Bett. „Ich will bei dir bleiben!“

Der Priester sah sie ernst an. „Darüber haben wir nicht zu entscheiden...“

Grimmig und beleidigt starrte Mana auf den Boden, sie suchte fieberhaft nach einer Möglichkeit, die Zeit anzuhalten um Seth unzählige Beleidigungen und Entrüstungen an den Kopf zu werfen.

„Und was ist, wenn zwischendurch die Nebelviecher wieder auftauchen?!“, fauchte sie ungehalten, „Die darf ich dann wieder bekämpfen?“

„Drei gegen einen ist ein wenig unfair, meinst du nicht?“, antwortete Seth kurz angebunden und leicht verärgert. All das war schließlich nicht seine Entscheidung gewesen und wenn man davon absah, dass er sich dem Willen des Pharaos widersetzen würde um ebenfalls in die Schlacht zu ziehen, hatte er auch keinen Einfluss darauf.

Sauer blickte Mana in seine eisblauen Augen. „Ach, und du meinst darauf achten die, ja?“, giftete sie sarkastisch zurück.

„Nein“, antwortete Seth schlicht. Aber er hätte darauf achten müssen...

Der Hohepriester wühlte in den Unterlagen umher, ging nicht auf Mana ein, die beleidigt daneben stand. Es war besser, wenn sie weit weg war vom Kriegsgeschehen, und wenn sie ihn dafür hasste.

Er versuchte ein weiteres Mal, Atemus Pläne nachzuvollziehen, scheiterte von neuem daran. Irgendetwas störte ihn daran, doch so unkonzentriert und nachdenklich, wie er es jetzt war, kam er einfach nicht darauf, was es war. Er seufzte leicht, schwieg.

Mana war in der Zwischenzeit zum Fenster gegangen und starrte hinaus – eine Eigenschaft, die sie in all der Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, von Steh übernommen haben musste. Ihr Wut war verschwunden, ebenso schnell wie sie aufgekommen war, ihr Blick verschwamm, sie schloss die Augen und silbern glitzernde Tränen fielen wie Eiskristalle zu Boden.

„Entschuldige“, flüsterte die Brünette kleinlaut, „Ich mache dir das alles nur unnötig schwer... Ich weiß doch, dass es deine Pflicht ist und ich will auch nicht, dass die anderen dich als schwach ansehen, denn das bist du nicht...“

Ihre Stimme versagte, weinend sah sie zu Seth, der nur kopfschüttelnd dastand und ihr seinen Arm hinhielt. Mana zögerte keine Sekunde, sondern warf sich regelrecht auf seinen Schoß. Sie drücke sich fest an ihn. „Ich habe so viele Freunde verloren...“, schluchzte sie, „Ich will dich nicht auf noch verlieren!“

Der Priester drückte sie an sich, grummelte stumm vor sich hin. Den größten Fehler hatte er bereits begangen. Niemals hätte sie sich mit Akim anfreunden dürfen. Er hätte das unter allen Umständen verhindern müssen...

Viel Leid wäre ihr erspart geblieben...

„Mana, du wirst mich nicht verlieren“, sagte er mit fester Stimme, und wiegte sie leicht in seinen Armen. „Meinst du wirklich, ein paar Libyer würden mich klein kriegen?“ Er versuchte so viel Witz in diese Worte zu bringen wie möglich. Allein der Gedanke, er könnte nicht zurückkommen, sollte ihr lächerlich erscheinen, unwürdig, die Zeit damit zu vergeuden.

Mana lächelte schwach. Dieses unglaubliche und völlig übertriebene Selbstbild mochte sie so an Seth, auch oder gerade weil es mit dem realen Seth so wenig zu tun hatte.

„Das können sie nicht, stimmt“, stimmte Mana zu, „Schließlich bist du ein allwissender Hohepriester!“ Sie betonte das letzte Wort ganz besonders, es gefiel ihr, so mit seinem Ego zu spielen, es machte ihr Mut.

„Hohepriester, ja“, antwortete Seth und strich ihr übers Haar, „Allwissend... ich weiß nicht...“ Nachdenklich betrachtete er sie. „Wenn ich allwissend wäre, dann hätte ich doch gegen die drei nicht so schlecht ausgesehen, oder?“ Wenn er allwissend wäre, wäre Akim niemals in ihre Nähe gekommen...

Mana sah ihn ernst an. Sie wollte nun nicht weiter darüber grübeln, und auch er sollte es nicht tun. Sie wollte nicht wieder weinen müssen. „Das mag schon stimmen“, meinte sie schließlich und legte den Kopf schief. „Aber darüber brauchst du dir jetzt keine Gedanken machen, ja?“

Der Priester genoss ihre Nähe, blieb aber dennoch nachdenklich. „Nun ja“, sagte er ruhig, „Wenn ich nicht darüber nachdenke... Wer tut es dann?“

„Irgendwer wird das schon machen“, antwortete Mana leicht quengelnd, „Also brauchst du das wirklich nicht zu tun.“ Musste er jetzt so zurückgezogen sein? Konnte er das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen?

„Irgendwer...“, wiederholte Seth leise und stoppte sich dann. Irgendwer konnte der Falsche sein...

Dennoch sah er schließlich auf. „In Ordnung“, sagte er resignierend, „Also zurück zum Schlachtplan?“
 

Der Priester setzte sich wieder an seinen Tisch und zog Mana auf seinen Schoß. Er wollte sie auf keinen Fall weiter beunruhigen, seine Gedanken waren seine Sache, nichts was zu erörtern sich lohnte. Nicht jetzt jedenfalls.

Sein Blick fiel wieder auf die Unterlagen, er durchwühlte sie und zog eine Karte hervor. „Hier“, sagte er und zeigte auf die Karte, „Wenn die Truppen von hier aus angreifen... Und das libysche Herr ihnen überlegen ist...“

Er brach ab. Dann hatten ihre Truppen keine Möglichkeit zu entkommen. Wieso nur wollte Atemu sich einkreisen lassen?

Auch Mana betrachtete die Karte skeptisch. „Dann werden unsere Truppen durch den Nil in die Enge getrieben und die Libyer würden uns von Süden und von Norden einkesseln...“ Sie drehte sich auf seinem Schoß um und sah ihn entgeistert an. Das war Atemus Plan? Das war doch viel zu gewagt, viel zu leichtsinnig! Was dachte er sich nur dabei?

In seinem Gesicht konnte Mana lesen, dass Seth ganz genau so dachte wie sie, und er bestärkte sie dadurch in ihren Spekulationen.

Sie betrachtete wieder die Karte. „Das libysche Heer kommt von Westen, hier reißt es ab und kommt keine Verstärkung mehr nach...“, sie zeigte auf die Stelle, die sie meinte und wies dann auf den Nil. „Wenn man sie also in die Enge treiben würde... und unsere Krieger mit Schiffen ebenfalls den Nil absichern, hätten wir mehr Chancen. Schließlich können wir selbst im Morast kämpfen!“ Endlich zahlte es sich aus, dass sie sich als Kind immer in geheime Besprechungen geschlichen hatte um zu lauschen. „Und unterwegs“, fuhr sie fort, „könnte man durch andere Dörfer ziehen, die Truppen stärken und mehr Männer einziehen!“

Ohne es zu wollen, war Seth fassungslos. Beeindruckt sah er Mana an. Woher hatte sie diese Fähigkeit zu strategischem Denken?

So etwas hatte er nicht von ihr erwartet. Er nickte. „Das könnte tatsächlich funktionieren“, meinte er, „Dennoch, ungefährlich ist das nicht. Wenn das libysche Heer sich auf eine Stelle konzentriert, werden unsere Truppen getrennt...“

Mana blinzelte verwirrt. Sie hatte nicht erwartet, dass er ihre wilden Theorien ernst nahm und schon gar nicht, dass er so beeindruckt schauen würde. Beflügelt von diesem Erfolg, dachte sie weiter darüber nach. „Dann schicken wir Truppen über den Nil nach Unterägypten, den Nil herunter bis zum Delta.“ Sie betrachtete die Karte um ihre Aussagen zu festigen. „Transportschiffe dürften wir genug haben. Auf die restlichen Truppen treffen sie bei Kairo und ziehen sich dann dort von Norden und von Süden zusammen. Dann ist es theoretisch egal, ob wir getrennt werden...“

Mana sah Seth mit großen Augen an. Dieser nickte nachdenklich. Theoretisch... Ja, theoretisch war vieles möglich. In der Realität sah all das oft ganz anders aus. „Es geht aber auch um die Moral der Männer...“, gab er zu bedenken, „Und wir wissen immer noch nicht, wie groß das libysche Heer tatsächlich ist. Wenn sie uns zahlenmäßig weit überlegen sein, dann sieht es schon wieder schlechter aus...“

Falls es überhaupt schlechter ging. Dass Atemu ihn zu seinem Nachfolger ernannt hatte, ihn den er zuvor immer und immer wieder in seine Schranken verwiesen hatte, war kein Zufall. Ihm musste die Stärke des Heeres bekannt sein, lange genug hatte er mit dem Boten Xerxes gesprochen und im Gegensatz zu ihm hatte der Pharao wahrscheinlich einen weit ausführlicheren Bericht bekommen.

Und nicht nur das libysche Heer machte ihnen Probleme...

Noch immer gab es kein Zeichen von Meira, Cyrus oder Akim. Seth seufzte unhörbar, doch es gelang ihm nicht, es vor Mana zu verbergen. Akim.

Wie nur hatte das alles überhaupt geschehen können?

Gedankenverloren starrte Seth vor sich hin. „Mana?“, fragte er schließlich und schien mit seinen Gedanken an einem völlig anderen Ort zu sein, was die Angesprochene stutzig werden ließ. „Vermisst du Akim?“

Völlig perplex starrte sie Seth an. Wie kam er jetzt darauf? Hatten sie nicht eben noch über den bevorstehenden Krieg gesprochen? War das nicht wichtiger?

Sie hatte diese Frage nicht erwartet, und schwieg eine Weile darüber. „Nein...“, sagte sie leise, „Er ist doch schließlich noch da...“ Es war ja nicht so, dass er tot wäre... Sie zögerte. Er war immerhin ihr Freund gewesen, sie war praktisch mit ihm aufgewachsen. „Ein wenig vielleicht...“, gab sie kleinlaut zu.

Traurig seufzte Seth. „Kannst du mir jemals verzeihen?“, fragte Seth und verwirrte das Mädchen damit noch mehr.

„Dass du mir das nicht erzählt hast?“, fragte sie und lächelte schwach. „Das habe ich doch schon längst...“

Doch der Priester schüttelte nur den Kopf. „Nein, Mana..“, sagte er und atmete tief durch, „Ich bin Schuld daran, dass du so leiden musstest...“ Er vermied es, sie anzusehen.

Mana stockte leicht, grinste dann unsicher. „Was redest du für einen Blödsinn?“

„Keinen Blödsinn....“, widersprach er, „Mana, es ist die Wahrheit... Ich habe gewusst, wer Akim war...“

Nervös stand Mana da, sie hatte eine leichte Gänsehaut, sah ihn zweifelnd an. Wovon redete er da?

„Ich habe es gewusst“, wiederholte der Priester, und ich habe es trotzdem zugelassen, dass du ihn besser kennenlernst... Ich dachte, er hätte vergessen... Er hatte vergessen sollen... Ich weiß nicht, was den Zauber gelöst hat...“

Seth erklärte es einfach nur. Er hatte dieses Geheimnis niemals teilen wollen, doch etwas vor Mana zu verbergen, war alles andere als einfach. Außerdem hatte sie ein Recht darauf, es zu erfahren. Es war der Grund für ihr Leid...

„Welchen Zauber?“, fragte Mana entgeistert und machte unsicher einen Schritt zurück.

Seth sah sie mit stumpfen Blick an. „Ich habe sein Gedächtnis gelöscht...“

Mana sah ihn entsetzt an. Er log, das konnte nicht wahr sein. Sie zitterte leicht. Akim... Seth hatte sein Gedächtnis gelöscht?! Niemals! „Hast du nicht“, sagte sie verzweifelt, „Du lügst!“

Der Priester hatte so etwas erwartet, doch das machte die Sache nicht besser. „Es ist die Wahrheit...“, erklärte er von neuem, drehte sich nicht um und sackte dennoch leicht in sich zusammen. „Mit dem Millenniumsstab habe ich... vor sechs Jahren sein Gedächtnis gelöscht.“

Mana schüttelte energisch den Kopf, ging wieder auf ihn zu, blieb dann stehen und blickte ihn ausdruckslos an. „W-warum?“ fragte sie verständnislos, zweifelnd. Wie viele Seiten hatte dieser Mann? Wie viele Geheimnisse blieben verborgen hinter seiner eiskalten Maske?

Seth wusste nicht genau, wie er es erklären sollte, doch eines war ihm ganz gewiss klar. Nun hatte er es durchzustehen, es führte kein Weg daran vorbei. „Weißt du... Ich war wahrscheinlich einfach von ihm fasziniert...“

Mana biss sich auf die Lippe. „Fasziniert?“, fragte sie fassungslos und Seth nickte.

„Die Macht des Nebels...“, erklärte der Priester kurz angebunden, „Ich wollte sie damals für mich, aber...“

„Aber?“ Mana wusste nicht genau, ob sie es wirklich wissen wollte, doch nie zuvor hatte sie Details aus seiner Vergangenheit erfahren.

Der Priester fuhr fort: „Aber er war zu stark für mich...“ Seth gab es nur ungern zu, und doch war das der Grund.

Mana antwortete nicht. Sie schüttelte noch immer ihren Kopf, zuckte mit den Schultern. Sie wusste nicht, was sie denken sollte.

„Klingt nach einer billigen Ausrede, nicht wahr?“, meinte Seth geringschätzig und ergriff ihre kalten Hände. Sie musste verstehen... „Er hätte mich getötet... wenn ich nicht schneller gewesen wäre...“

Das Mädchen nickte langsam, doch ihre Sprache schien sie nicht wiedergefunden zu haben. Sie seufzte leise. Der Schatten der Vergangenheit lastete schwer über ihnen und auch die Zukunft war mehr als ungewiss.

„Es tut mir Leid, Mana...“

Er strich ihr sanft über die Wangen, wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. Was er getan hatte, war grausam gewesen, gar keine Frage, auch wenn er es getan hatte, um sein eigenes Leben zu retten. Die Macht der Nebel hatte ihn davon abgehalten zu töten, er hätte es ohne Zweifel vermocht. „Aber ich verstehe es selbst nicht“, sagte Seth seufzend, „Der Zauber hätte ewig halten müssen...“

Mana sah ihn an, zuckte leicht zusammen. Auch wenn sie dadurch einen Freund verloren hatte, niemand sollte hier am Hof sein, nur weil er versklavt worden war... Vielleicht war es also nicht schlecht, dass dieser Zauber gebrochen worden war, wie auch immer das geschah. „Ist doch jetzt auch egal“, sagte sie schließlich mit zitternder Stimmer, „Keiner von uns kann das rückgängig machen.“

Vielleicht war es egal, vielleicht war es das nicht. Viel wichtiger war Seth im Augenblick, dass Mana ihm verzieh, dass er sie in eine solch unglückliche Situation gebracht hatte.

Mana kuschelte sich leicht an Seths Oberkörper, hielt sich an ihm fest. Wenn sie ihm nicht verzeihen würde, wäre sie ganz allein. Was also blieb ihr anderes übrig?

Sie liebte ihn doch – ungeachtet davon, was er getan hatte.

„Du hast dich doch verändert“, sagte Mana und lächelte schwach. Nein, sie wollte nicht an ihm zweifeln. Er hatte viele Fehler gemacht in der Vergangenheit und trotzdem hatte sie sich in ihn verliebt. „Ich vertraue dir...“

„Danke...“, antwortete Seth. Er war sich sicher, dass er ihr Verständnis nicht verdiente, doch er kam nicht mehr dazu, ihr zu widersprechen, denn in diesem Moment klopfte es an der Tür.

Unterwürfig trat ein Diener ein, verbeugte sich sogleich. „Mein Herr“, sagte er und blickte dabei noch immer zu Boden, „Die Lehrer sind eingetroffen.“

Etikette

Die Lehrer. Mana tippelte von einem Fuß auf den anderen, nervös, angespannt. Unsicher blickte sie zu dem Diener, der ihnen die Nachricht überbracht hatte. Er wusste, wo sein Platz war, kannte seine Pflichten.

Sie selbst musste noch sehr viel lernen, das Leben in der Öffentlichkeit barg so viele Geheimnisse, so viele Pflichten, die sie nicht gewohnt war. Sie wollte auf keinen Fall etwas falsch machen, wollte Seth für das Vertrauen, dass er in sie setzte, danken, und es allen beweisen, die an ihr zweifelten. Sie wollte der Position gerecht werden, die das Leben an der Seite des Hohepriesters bedeutete.

Doch um das zu können, musste sie lernen. Wieder lernen. Bereits in ihrer Ausbildung hatte sie reichlich damit zu tun gehabt, dieses Mal hing nicht nur ihre eigene Zukunft davon ab, sondern auch das Ansehen des Hofes.

Mana seufzte, wollte mit dem Blick bei dem Diener verharren, ihre Aufmerksamkeit wurde dann jedoch von den zwei Männern, die hinter ihm den Raum betreten hatten, abgelenkt. Der eine war deutlich kleiner als der andere und trug eine dunkle Zeichnung auf dem Kopf. Der andere hatte etwas längeres dunkles Haar, das von einem einzelnen Reif geschmückt wurde. Beide waren muskelbepackt und wirkten überaus streng.

Mana hatte sie bereits auf den Feierlichkeiten gesehen, doch sie hätte nicht erwartet, noch einmal auf die Beiden zu treffen. Arbeiteten sie nicht in einem Tempel fern des Hofes?

Schüchtern stellte Mana sich auf, schließlich waren sie wohl nur ihretwegen nicht zurückgekehrt, das wollte sie angemessen würdigen.

„Hätten die Herren dann wohl die Güte sich vorzustellen?“ Eiskalt erklang des Priesters Stimme, durchschnitt die Luft wie eine Klinge aus Glas. Er war ebenfalls aufgestanden, und blickte nun gebieterisch zu den zwei Neuankömmlingen, die sich jedoch nur leicht verneigten. Keiner von Beiden hatte Mana bisher auch nur angesehen.

Der Kleinere nickte ungerührt. „Mein Name ist Shada und das ist Karim. Wir sind Priester und wurden in den Palast gerufen, um jemandem die Etikette beizubringen.“ Sein abwertender Blick fiel auf Mana. Sicher hatte der Priester sich soeben mit diesem Mädchen vergnügt, was sonst hatte sie hier zu suchen?

Er richtete seinen Blick wieder auf Seth. „Vielleicht solltet Ihr...“, er zögerte einen Moment, wie um nach dem richtigen Wort zu suchen, „Nun ja, Eure Verlobte rufen, damit wir mit dem Unterricht beginnen können?!“

Bedrohlich trat Seth auf ihn zu. „Vielleicht sollte man Euch die Etikette zunächst nahe legen?“, fragte er knurrend doch Shada ließ sich nicht einschüchtern. Sicher, die Verlobung des Priesters auf dem Fest war in aller Munde gewesen, doch er und Karim, sie hatten besseres zu tun, als den ganzen Abend in der Runde zu sitzen und mit Menschen zu sprechen und zu speisen, die ihnen nicht das geringste bedeuteten.

„Ich wüsste nicht, warum, mein Herr“, entgegnete er schlicht und atmete kurz durch. „Also ist dieses ... Mädchen dort“, er zeigte mit dem Finger auf sie, „Eure Verlobte?“
 

Karim stand die gesamte Zeit über neben Shada und ließ diesen reden. Es reichte, wenn einer sprach, mehr war weder nötig noch angemessen. Sein Blick fiel auf Mana, er starrte sie unverhohlen an. Er hatte viel vom Hohepriester gehört, doch dass er solch einer Kreatur den Weg an den Hof ebnete, hätte er nicht erwartet.

Währenddessen blickte Mana Shada entrüstet an. „Natürlich bin ich das!“, verteidigte sie sich patzig. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Wofür hielt er sich? Noch nie hatte sie jemanden unsympathischer gefunden. „Und du warst einmal ein Aasgeier, oder was?“, fauchte sie unwirsch.

Seth wusste, dass er Mana eigentlich hätte zurückhalten müssen, erachtete es aber selbst nicht als nötig. „Sie ist meine Verlobte“, erklärte er streng, „Und wenn Euch Euer Leben lieb ist, solltet Ihr Euch dementsprechend benehmen!“

Sogleich verbeugte sich Shada vor ihm, blickte kurz wissend zu Karim. „Verzeiht, Herr“, sagte er schmeichelnd und doch wusste Seth, dass er log. Ruhig ging Shada ein paar Schritte auf Mana zu, betrachtete sie genau. „Wir sollten sogleich anfangen mit den, lasst es mich so ausdrücken, Vorarbeiten“, sagte er eifrig, betrachtete Mana geringschätzig und lächelte gekünstelt.

Mana blickte verwirrt Hilfe suchend zu ihrem Verlobten, sie verstand es nicht. Vorarbeiten? Was sollte das heißen? Sollte sie nicht einfach Unterricht nehmen?

„Ihr solltet Euch klarer ausdrücken“, zischte Seth sauer, „Sonst lasse ich Euch sofort hinauswerfen!“ Wer hatte die Beiden empfohlen? Wem hatte er diese Inkompetenz zu verdanken?

„Ich denke, Euch sagt ein gründliches Bad etwas? Bestimmte Voruntersuchungen und Reinigungen?“ Shada ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, die Ablehnung, die ihm von Seth und Mana entgegen schlug, kümmerte ihn nicht im Geringsten. Wieder ging er um Mana herum, ein schrecklich freches Mädchen, mehr war sie für ihm nicht. „Als erstes sollten wir diese Haare zähmen“, meinte er sachlich.

Der Hohepriester runzelte die Stirn. „Darf ich Euch daran erinnern, dass es Eure Aufgabe ist, Mana in die Etikette einzuführen?“

„Mein Herr“, antwortete Shada lächelnd, „Mir ist sehr wohl bewusst, welche Aufgaben wir haben. Wir haben doch hier einen ungeschliffenen Diamanten, den wir zum Glanz verhelfen sollen an Eurer Seite, sehe ich das richtig?“ Er bemühte sich höflich zu bleiben. „Außerdem ist es unser Bereich, die Ausbildung und die Einführung in die Etikette entzieht sich Eurem Aufgabenbereich.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Drohung, und doch fasste Seth es als eine solche auf.

„Unterschätzt nicht, wie weit mein Einfluss reicht!“, entgegnete Seth spitz, „Und wenn Ihr Eure Befugnisse ausnutzen solltet, habt Ihr schneller Probleme, als Euch lieb ist.“ Der Hohepriester versuchte gar nicht erst, seine Wut zu verbergen. „Daher rate ich Euch, Mana in sämtliche Entscheidungen mit einzubeziehen!“

„Das finde ich allerdings auch!“, mischte Mana sich empört ein. Wie nur sollten solche Menschen ihr etwas beibringen können? Zu gerne nur hätte sie sich geweigert, in diesen Unterricht zu gehen, doch sie brauchte diese Einführung, schließlich wollte sie sich ohne Scham an Seths Seite zeigen können.

Shada wollte ihr gerade etwas entgegen bringen, als Karim sich vor ihn stellte und sich vor Seth und Mana verneigte. „Das werden wir, seid versichert“, sagte er mit einer dunklen Stimme, die Mana einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Widerwillig senkte auch Shada seinen Kopf, schluckte seine Antwort unausgesprochen hinunter. Er durfte nicht voreilig des Hohepriesters Wut auf sich ziehen.

„Würdet Ihr uns dann bitte folgen?“, fragte Karim an Mana gewandt und brachte sie damit zum staunen. Nie zuvor hatte jemand sie so förmlich angesprochen, nie zuvor war eine so respektvolle Anrede an sie gerichtet worden. Sie blinzelte verwirrt, lächelte leicht. Vielleicht waren die Beiden ja doch zu gebrauchen? Sie nickte zögernd.

Seth sah die Beiden skeptisch an, sagte aber nichts. Ihre Heuchelei war offensichtlich, und auch wenn sie bemüht waren, einen anderen Eindruck zu vermitteln, gelang es ihnen nur schlecht.

„Dann müsst Ihr uns wohl entschuldigen, Herr“, sagte Shada wieder gefasst, und lächelte falsch. „Wir werden Euch Eure Verlobte heute Abend unbeschadet wiederbringen.“

Mana blickte erneut unsicher zu Seth. Sie fand diese ganzen gespielten Höflichkeiten ziemlich albern, doch offensichtlich legten die Herren großen Wert darauf. Wenn das die einzige Schwierigkeit war, dann konnte sie sich anpassen. Sie stellte sich theatralisch vor Seth, verbeugte sich ganz tief vor ihm. „Mein Herr“, murmelte sie kichernd, und verdrehte leicht die Augen, ehe sie sich wieder aufrichtete und zu ihren Lehrern umdrehte, um ihnen zu folgen.

Seth war alles andere als überzeugt davon, dass es richtig war, Mana gehen zu lassen, nickte aber schließlich trotzdem. „Ich rate Euch, macht Eure Aufgabe gut...“, drohte er, und sah Mana hinterher, wie sie Shada und Karim in einigem Abstand folgte.
 

Einige Gänge waren sie bereits entlang gegangen, ohne dass etwas gesagt wurde. Still gingen Shada und Karim vor ihr her, führten sie sicheren Schrittes durch das Labyrinth des Palastes. Der Weg nahm kein Ende, wo nur führten sie sie hin? Mana seufzte leicht. In diesem Teil des Palastes war sie noch nie gewesen.

„Wo gehen wir denn hin?“, fragte sie leicht kindisch, irgendwann musste dieser Gang doch einmal zu ende sein?

Herabsehend blickte sich Karim zu ihr um. „In den Übungsraum“, antwortete er kurz angebunden, „Und nun seid still, eine Dame schweigt, wenn sie Anstand hat.“

„Ich habe auch Anstand, wenn ich spreche!“, meckerte Mana sofort. Sie fühlte sich vor den Kopf gestoßen, was hatte sie diesen Männern denn getan? Glaubten sie etwa, es war ihre Idee gewesen, dass sie diesen Unterricht zu nehmen hatte?

Weder Shada noch Karim antwortete ihr darauf und so schwieg Mana wie verlangt. Sie langweilte sich jetzt schon, all dieses Gerede von Anstand war so gestellt und falsch, dass sie sich wunderte, wieso soviel Wert darauf gelegt wurde.

Schließlich erreichten sie die Unterrichtsräume. Mit großen Augen blickte Mana sich um, was sie sah, ließ sie staunen. Eine Menge Diener erwartete sie hier, alle verneigten sich als sie eintraten. Obwohl sie es eigentlich nicht wollte, plapperte sie sogleich los. „Was sollen die denn alle hier?“, fragte sie verwirrt und blickte von Shada zu Karim und wieder zurück. Sie wusste nicht, wer ihr eher eine freundliche Antwort geben würde, hoffte aber, dass sie zur Abwechslung eine bekam.

Angewidert blickte Shada sie an. „Was denkt Ihr denn?“, fragte er und blickte nickend zu den Dienern, die diese Geste als Zeichen ansahen und begannen ihre Vorbereitungen fortzuführen. Widerwillig richtete er seinen Blick wieder auf Mana. „Wir haben Euch zu waschen, richtig einzukleiden, Euer Haar in Form zu bringen...“ Er zählte eine Menge an Dingen auf, die Mana den Kopf schwirren ließen. Wie es aussah, wollten sie ihr jetziges Sein komplett verändern, und das gefiel ihr gar nicht.

Karim betrachtete Mana skeptisch. Er war sich nicht sicher, ob man aus ihr überhaupt etwas herausholen konnte, ein ungepflegteres und schrecklicheres Kind hatte noch nie zuvor in ihren Händen gelegen. „Wir sollten lieber schnell anfangen“, sagte er leicht genervt, „Beginnen wir mit dem Waschen.“ Er rief einige der Diener heran, die ungeachtet von Manas widerwilligen Rufen ohne zu zögern begannen, sie zu entkleiden und in eine Wanne zu drücken.

Sie wurde auf das gründlichste gewaschen, ihr ganzer Körper immer wieder mit Seifen und Waschlotionen eingerieben, bis sie schließlich von oben bis unten glänzte.

Die Dienerinnen trockneten Mana ab und hüllten sie in ein langes weißes Kleid, das ihr vielleicht gefallen hätte, wenn sie es sich hätte aussuchen dürfen. So jedoch fühlte sie sich alles andere als wohl darin.

Unzufrieden blickte Mana an sich herab, betrachtete den feinen Stoff, der an ihren Beinen herab fiel. Er war kühl auf ihrer Haut, sie kannte das Gefühl überhaupt nicht, trug sie doch sonst stets ein kurzes Gewand.

Doch Karim und Shada waren mit ihrem Aussehen keineswegs zufrieden. Das Kleid sollte nur der Anfang einer Reihe von Umgestaltungen sein, die Mana noch bevorstanden. Als nächstes waren ihre widerspenstigen Haare an der Reihe.

Mana wurde von ihren Lehrern auf einen Stuhl gesetzt, wehrte sich zwar, konnte aber dennoch nichts ausrichten. Um sie herum standen weitere Diener, die darauf warteten, dass sie Hand an Manas Haare legen durften.

„Aber nur ein bisschen, ja?“, jammerte Mana verzweifelt, sie wollte sich nicht von ihrem Haar trennen, es gefiel ihr so, wie es war. Ihre Mutter schon hatte ihr Haar immer lang getragen, und so wollte auch Mana es halten. Ihr war nichts von ihrer Mutter geblieben, außer der Erinnerung an sie.

„Nun stell dich nicht so an...“, meinte Karim genervt, „Das wird schon nicht weh tun.“ So langsam hatte er von diesem Mädchen wirklich genug. Wollte sie ihnen etwa erzählen, wie sie ihre Aufgabe zu erfüllen hatten?

All Manas Widersprüche halfen nichts. Ihr dichtes Haar fiel strähnenweise zu Boden, sie versuchte sich aus dem festen Griff von Shada zu befreien, der erfolglos versuchte, sie ruhig zu halten, „Ich sagte ein bisschen!“, schrie Mana empört, und handelte sich damit sofort erneuten Tadel ein.

„Eine Dame schreit nicht“, zischte Karim ernst und funkelte sie böse an. Doch Mana war es egal. Sie sprang auf, wand sich aus Shadas Griff und rannte aus dem Raum.

Einsicht

Unentschlossen lief Seth in seinem Gemach auf und ab, dachte über die Lehrer nach, ohne zu einem Schluss zu kommen. Er wusste nicht, ob sich derjenige, der die Beiden ausgesucht hatte, etwas dabei gedacht hatte, wohl aber wusste er, dass derjenige der Pharao war. Erneut hatte er seine schlechte Menschenkenntnis genutzt um die falschen Leute in den Palast zu holen.

Dennoch machte der Priester sich nicht allzu große Sorgen um Mana. Niemandem war es bisher gelungen, sie einzuschüchtern, sie hatte eine unglaubliche Art andere für sich zu gewinnen. Nur so hatte sie es geschafft, auch sein Herz zu erobern.

Und so setzte Seth sich zurück an seinen Tisch und beugte sich über seine Unterlagen. Sie stapelten sich inzwischen, seit feststand, dass ein Krieg gegen Libyen nicht mehr zu verhindern war, hatten sich seine Aufgaben vervielfacht. Unentwegt las er sich die neusten Informationen durch, kümmerte sich um die Vorbereitungen, und hatte alle Hände voll damit zu tun, dass Heer einsatzbereit zu machen.

Als das junge Mädchen mit einem Tuch, das fast ihren ganzen Körper verhüllte, in den Raum kam, verstand er zunächst nicht, was los war. Nur ihre Augen blickten unter dem Stoff hervor, voller Zorn und Verzweiflung. „Seeeeeth!“, jammerte Mana und sah hoffnungslos zu ihm auf, doch der Hohepriester war viel zu perplex um sofort zu reagieren.

„Was ist denn passiert?“, fragte er überrascht, „Was willst du mit diesem Fetzen?“

„Es ist schrecklich!“, rief Mana, ließ aber dennoch das Tuch nicht los. Sie wollte sich so nicht zeigen, doch Seth ließ ihr keine Ruhe, bis sie es schließlich abnahm. Bis zum Kinn gekürzt wirbelte Manas Haar hin und her, ungleichmäßig und strähnig, weil sie nicht still gesessen hatte.

Unter anderen Umständen hätte Seth sie ausgelacht, nun jedoch blieb er ernst und sachlich. Er starrte auf ihre neue Frisur, überrascht und entsetzt zugleich. Er fand den Schnitt scheußlich, doch ihr das zu sagen, hätte es weder besser noch ungeschehen gemacht. „Hast du ihnen freie Hand gelassen?“, fragte er stattdessen und konnte sich die Antwort schon denken.

Mana schluchzte inzwischen. „Naja“, sagte sie, „Ich hab gesagt, wenn die meinen, dass es sein muss, dann eben ein Stück, etwas Spitzen oder so...“ Eine solche Frisur hatte sie nicht haben wollen. Einen neuen Schnitt zu bekommen, wäre interessant gewesen, doch so wie es jetzt war, war es einfach nur schlimm. Das war kein Aussehen, dass man am Hofe präsentieren konnte, soviel verstand selbst sie von all dem Anstand und der Etikette. Hatten Karim und Shada sich dabei etwas gedacht?

Mana war sich inzwischen sicher, dass die Beiden nicht viel verstanden von ihrem Fach, oder sie einfach nicht mochten. Wahrscheinlich hießen sie Seths Wahl nicht gut und wollten ihm nun zeigen, wie hässlich und wie schlecht sie für die von ihm erwählte Position geeignet war. Mana musste diesen Anstandskram unbedingt lernen. Sie wollte Seth nicht verlieren, nicht wegen Lehrern, die sie nicht mochten. Sie musste ihnen einfach beweisen, dass auch ein einfaches Mädchen, das nicht im Palast geboren war, ein Mädchen, wie sie es war, im Stande war, die Regeln der hohen Gesellschaft zu lernen.

Doch wie sollte sie das schaffen, mit einer solchen Frisur?

Sie musste durch Leistung glänzen, soviel stand fest, mit Aussehen allein konnte sie nichts erreichen. Lehrer, die sie von vorne herein scheitern sahen, waren dabei nicht gerade hilfreich, doch Mana war niemand, der aufgab.

„Das wird sich nun nicht mehr rückgängig machen lassen“, sagte Seth und riss das Mädchen damit aus seinen Gedanken. Trotzig sah sie ihn an. „Die haben gesagt, eine Dame redet nicht, wenn sie Anstand hat, und schreit auch nicht“, erzählte sie verzweifelt.

Nachdenklich blickte Seth auf Manas ruiniertes Haar. „Ist ja interessant“, sagte er, in der Hoffnung Mana aufzuheitern, „Machen sich die Beiden denn gut als Damen? Wenn sie schon sagen, wie sich eine Dame zu verhalten hat, müssen sie doch mit guten Beispiel vorangehen, oder?“

Grinsend sah Mana auf. „Nicht wirklich“, sagte sie lächelnd, und schweifte weiter in ihren Gedanken. „Meinst du, ich sollte zurück?“, fragte sie schließlich nachdenklich und legte ihren Kopf leicht schief. Große Lust hatte sie nicht.

Auch Seth war von der Idee nicht sonderlich überzeugt, doch er konnte kaum etwas dagegen sagen. Die Ausbildung in der Etikette war immerhin von absoluter Wichtigkeit. „Ich denke nicht, dass die Beiden von deinem Verschwinden besonders angetan sind“, antwortete der Priester und machte damit Manas Hoffnung, den Beiden zu entkommen zunichte. Sie ließ den Kopf hängen.

„Lass dich nicht von ihnen ärgern“, sagte Seth und schaute grimmig, „Gönn' ihnen den Spaß, schon bald werden sie in den Krieg ziehen.“

Mana verstand nicht, was er meinte, doch sein finsteres Lächeln sprach Bände. Verwirrt sah sie ihn an. „Ach ja?“, fragte sie mit großen Augen.

Seth lächelte geheimnisvoll, „Nun ja“, sagte er und grinste, „Jeder hat seine Befugnisse. Sie sind für die Etikette zuständig...“

Noch immer verstand Mana nicht. „Etikette, Krieg... Was hat das miteinander zu tun?“, fragte sie verwirrt.

Der Hohepriester ging zum Fenster, sah lächelnd hinaus. „Das hat nichts miteinander zu tun“, erklärte er und ließ seinen Blick zu seinem Millenniumsstab schweifen. „Aber sie erfüllen ihre Aufgaben und ich erfülle meine... Und zu meinen Aufgaben gehört es, Männer in den Krieg zu schicken, wenn ich es für nötig halte... Und gegen die Libyer kann nun mal niemand zurückbleiben...“

Sich mit dem Hohepriester angelegt zu haben, sollten sie schon sehr bald bereuen, er hatte es gar nicht gern, wenn man seine Autorität herausforderte.

Nun endlich erkannte auch Mana, worauf er hinaus wollte. „Die Beiden im Krieg?“, fragte sie und konnte sich kaum zurückhalten. „Nein, also das war vielleicht unhöflich“, machte sie sie nach, und lachte lauter, „Das geht so nicht, du musst das Schwert so schwingen!“ Sie stellte sich es bildlich vor, wie sie versuchten, ihre Gegner in Vernunft und Anstand zu unterrichten, und sie amüsierte sich köstlich.

Auch Seth lachte, doch blieb er weitaus verhaltender als Mana. Er blickte ihr in ihre grünen Augen und sprach ihr dadurch Mut zu. „Du solltest zurück in den Unterricht“, er betonte das Wort ganz besonders stark, wie um Shada und Karim dadurch zu verhöhnen, „Nicht, dass sie Überstunden machen wollen, wenn es los geht.“

Mana hielt augenblicklich inne in ihrem Lachen und schaute ernst zu ihm auf. Diese Überstunden wollte sie nicht verantworten, sie würde sich anstrengen alles zu leisten und dann, schließlich würde sie ihrer Aufgabe gerecht werden können.

Sie verabschiedete sich von Seth mit einem kurzen Kuss auf die Wange und lief davon, zurück in den Raum, aus dem sie zuvor geflohen war.
 

Den Kopf auf ihres Bruders Schoß gebettet, lag Meira auf dem Boden und döste vor sich hin. Wirklich schlafen tat sie schon eine ganze Weile nicht mehr, doch aufzustehen kostete sie noch zu viel Kraft. Der Kampf gegen Mana hatte sie erschöpft und erschrocken, nun jedoch ruhte sie entspannt und genoss die Anwesenheit ihrer Brüder, die sich nun schon seit Stunden darum stritten, wie es Mana wohl gelungen sein konnte, ihre Schwester zu schlagen.

Meira kümmerte es nicht. Sie genoss es von ihren Brüdern versorgt zu werden, genoss die Ruhe, die so selten in ihre Familie einkehrte. Sie wollte sie auskosten, so lange es ging.

Cyrus konnte nicht lange untätig bleiben, Meira wusste es genau, und auch Akim war wohl niemand, der die Zeit einfach so verstreichen ließ. Viel zu lange schon war er eingesperrt gewesen, viel zu viel Zeit war schon dahingegangen.

Und doch, im Augenblick verbrachten sie sie zusammen, ungestört und ohne Verpflichtungen. Die Rache an dem Priester, der ihrem Bruder die Freiheit genommen hatte, sie würde nicht lange auf sich warten lassen.

Aufmerksam lauschte Meira den Worten ihrer Brüder, während Cyrus ihr unentwegt durch ihr rotes Haar strich.

Lange hatte sie gehofft, dass eine solche Eintracht herrschen konnte, nicht nur, dass ihr verschollen gewesener Bruder wieder aufgetaucht war, auch Cyrus‘ Aufmerksamkeit gehörte allein ihr. Von je her war ihr großer Bruder für sie da gewesen, egal wann sie ihn brauchte, er hatte alles für sie gegeben. Meira wusste, dass Cyrus schon bald zurück aufs Schlachtfeld würde ziehen wollen, doch im Augenblick war es ihr gleich.

Und so dauerte es gar nicht lange, ehe die Müdigkeit sie erneut übermannte und sie ruhig und friedlich einschlief.
 

„Wo bist du gewesen?“, kalt ertönte des Priesters Stimme, voller Verachtung und Ärger.

Nicht eine Sekunde lang hätte Mana glauben können, ihre Anwesenheit wäre erwünscht und doch war es die Tatsache, dass sie nicht anwesend gewesen war, die ihr nun all den Hass entgegen brachte.

„Ihr wolltet noch weitermachen?“, fragte Mana, tat verwirrt und verbeugte sich tief. Nichts anderes hatte sie erwartet, und so war sie darauf gefasst gewesen. Sie würde sie schon noch von ihrem Können überzeugen, früher oder später.

„Verzeiht“, fuhr Mana fort und ihre Stimme klang dabei wohl ein wenig gekünstelt, denn weder Karim noch Shada war davon besonders angetan. „Anscheinend müssen wir uns Strafen für dich ausdenken“, drohte Letzterer, „Ein solches Benehmen ist nicht zu entschuldigen.“

„Strafen?!“, rief Mana leicht entsetzt aus, sie hatte wohl damit gerechnet, dass sie nicht sonderlich erfreut sein würden, doch mussten es gleich Strafen sein? Sie hatte schließlich kein Schwerverbrechen begangen!

„Aber natürlich“ – Selbstverständlich stand Karim auf Shadas Seite, wie hätte es anders sein können? Mana biss sich auf die Lippen und bedachte ihre Möglichkeiten, während er fortfuhr: „Glaubst du, du kannst dir hier alles erlauben?“

Allen guten Vorsätzen zum Trotz widersprach Mana. „Natürlich kann ich das!“, sagte sie ernst und blickte zwischen beiden hin und her. „Wenn Seth von Strafen etwas mitbekommt, fliegt ihr schneller, als ihr ‚Etikette‘ sagen könnt!“

Sicher sie wurde wieder frech und benahm sich nicht so, wie sie es hätte tun sollen, doch Shada und Karim benahmen sich schließlich auch nicht, wie es von ihnen verlangt war. Immerhin hatten sie die Verlobte des Hohepriesters vor sich, da verdiente sie schon ihren Respekt. Es hätte ihnen eine Ehre sein müssen, sie zu unterrichten, keine Last.

Ein eisiges Lachen von Shada riss sie aus ihren Gedanken. „Glaubst du wirklich, wir lassen es zu, dass Seth davon etwas erfährt?“, fragte er voller Verachtung und übergab das Wort an Karim: „Dieser Priester ist doch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt“, sagte er kalt, „Er achtet auf niemand anderen als auf sich selbst. Vertrau mir, meine Worte werden dich noch verfolgen.“

Er sprach ruhig und gefasst, doch Mana brachte er damit fast zum explodieren. Als ob diese Worte sie nicht jetzt schon verfolgten! Wieso glaubten das alle? Wieso war jeder davon überzeugt, dass Seth nichts weiter als ein selbstherrliches egoistisches Wesen war, dass außer seinem Ruhm und seiner Macht nichts im Kopf hatte?

Zwar hatte er nicht gerade viel unternommen, damit dieses Image verblasste, dennoch war es schlichtweg gelogen; der Seth, den sie kannte, war ganz anders, als alle glaubten.

„Ihr habt doch keine Ahnung!“, fauchte Mana ungehalten, „Natürlich werde ich Seth hiervon erzählen! Und er wird handeln!“ Inzwischen war es ihr egal, ob sie mit ihren Lehrern sprach, nun da sie gesehen hatte, dass sie nicht nur vor ihr, sondern auch vor Seth keinerlei Respekt hatten.

Shada verdrehte leicht die Augen, ehe er sich zu seinem Freund drehte. „Dieses Benehmen...“, sagte er entnervt und klang schwer getroffen, „Wenn sie es ihrem Hohepriester erzählt, gibt es Ärger“, er drückte sich absichtlich theatralisch aus, um Mana zu verhöhnen und blickte dann belustigt auf. Offensichtlich gefielen ihm die Gedankengänge, die sein Kopf längst geknüpft hatte, ausgesprochen gut. „Wir müssen wohl dafür sorgen, dass sie schweigt“, er nickte seinem Partner aufmerksam zu. „Dazu seid Ihr deutlich besser befugt als ich es bin“, sagte er schmunzelnd, ehe er sich schließlich zu Mana drehte, und jedes andere Gefühl außer Hass war aus seinen Gliedern gewichen. Mana wich einen Schritt zurück.

„Und dann werden wir mit dem Unterricht beginnen, bis du nicht mehr sitzen kannst, deine Hände bluten und du endlich gelernt hast, Respekt vor Anderen zu zeigen!“

Hatte Mana bei ihrer Rückkehr in diesen Saal geglaubt, die beiden Lehrer hätten ihr finstere Blicke zugeworfen, so wurde sie nun Lügen gestraft. Die eisige Kälte prallte wie eine Wand auf Mana zu, eine Wand, die immer näher kam, ihr die Luft zum Atmen nahm und ihr keinen Ausweg ließ.

Gehorsam

„Ein weiteres Wort von dir und du bist draußen!“, Mana hatte keinerlei Zweifel daran, dass Karim seine Worte nicht würde wahr machen können und doch regte sich in ihr ein Widerstand, den sie selbst kaum von sich kannte.

Sie war niemand, der einfach aufgab, und schon gar nicht wegen irgendwelcher Personen, die ihr zuwider waren. Und doch ... Sie kam nicht darum herum sich eingestehen zu müssen, dass die Beiden ihr Angst machten.

„Beginnen wir“, sagte der Größere drohend, „Und wenn wir dem Pharao erklären müssen, dass du unwürdig bist die Krone zu tragen, dann wird er entweder von deinem Priester verlangen, dass er die Verlobung auflöst oder gezwungener Maßen einen anderen Erben einsetzen müssen. Denn so“, Karim lächelte finster, „ist das Wohlergehen des Landes in Gefahr! Also hüte deine Zunge, auch deinem Priester gegenüber!“

Warum war es ihnen so wichtig, dass sie schwieg? Was sie wann zu wem sagte, konnte ihnen doch völlig egal sein! Mana fluchte innerlich. Womit hatte sie nur solche Lehrer verdient?

Doch als Freundin des Pharaos wusste sie eines ganz genau. Sie würden ihre Drohungen nicht zur Realität werden lassen können. „Atemu würde niemals einen anderen benennen als Seth!“, widersprach sie zickig, „Und der würde mich nicht in die Wüste schicken!“ Das hatte er schon bewiesen, oder?

Wieso nur verstanden sie sie nicht?

Wieso nur taten sie nicht einfach nur ihre Arbeit?

Wieso legten sie soviel Wert darauf sie einzuschüchtern?

Wieso nur konnten sie nicht einfach...

Ernst blickte Karim sie an. „Dein Wille zählt nicht. Es zählt das, was die Etikette vorschreibt! Und daran“, er verschränkte siegessicher seine Arme, „Daran wird sich auch der Pharao halten, verlass' dich drauf!“

„Außerdem“ fügte Shada grimmig hinzu, „Nennt man den Pharao nicht bei seinem Namen.“

Ungläubig blickte Mana zwischen ihnen hin und her. Sie waren verrückt, es musste so sein! „Atemu ist mein Freund!“, widersprach sie und erntete darauf nur noch finsterere Blicke.

Shada atmete ganz tief ein. „Schrecklich...“, meinte er und schaute sauer zu Karim, „Ich fürchte, wir werden härtere Seiten aufziehen müssen...“ Der Angesprochene nickte nur, betrachtete Mana voller Abscheu, ganz so, als wäre sie ein Tier, das eingesperrt gehörte. Er teilte die Meinung seines Partners, nickte zustimmend.

„Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“, fauchte Mana entsetzt und erschrocken zugleich. Ohne es zu merken, wich sie einige Schritte zurück.

Karim und Shada jedoch gingen gar nicht auf ihre Bemerkung ein, es schien ganz so, als hätten sie sich in einem stillen Einvernehmen darauf geeinigt, was nun geschehen sollte. „Es wird nicht ganz leicht werden“, sagte Karim und klang dabei erschreckend vergnügt, „aber es wird schon gehen.“

„Sicher“, stimmte Shada ihm zu und Mana lief ein eisiger Schauer über den Rücken, während sie seinen emotionslosen Blick auf sich spürte, „Ihr werdet Euren Spaß mit Ihr haben, da bin ich mir sicher.“ Er ließ ihm gern den Vortritt, sollte sie sich zu sehr wehren, hatte er immer noch die Möglichkeit einzugreifen. „Ich werde in der Zwischenzeit eine magische Sperre um diesen Raum legen, nicht dass die Kleine noch auf dummer Gedanken kommt...“

Sprachen sie wirklich gerade so, als wäre Mana überhaupt nicht anwesend?! Und was sollte überhaupt eine Sperre? Sie war zwar einmal weggelaufen, sie war doch aber auch wiedergekommen!

Ihr gefielen diese Entwicklungen ganz und gar nicht, Karim machte ihr Angst, wie er groß und muskulös sich vor ihr aufbaute und Shada – nun, der war nicht besser.

„Der Raum ist nun magisch versiegelt“, erklärte der Kleinere von Beiden mit einem fürchterlichen Lachen im Gesicht, während sein Blick weiterhin auf Mana lastete. Karim ging immer weiter auf sie zu, kam ihr bedrohend nahe. Das Mädchen wich zurück, ängstlich und doch noch immer voller Widerstand. Als sie mit dem Rücken gegen eine Wand stoß, überfiel sie die Panik, sie wollte weg, raus aus diesem Raum, weg von den Beiden. Doch sie konnte nicht. Magie konnte ihr keine Hilfe sein, und doch ließ sie ihren Stab erscheinen. Er war immer bei ihr, er brachte ihr Kraft, schenkte ihr Mut.

Doch beeindrucken konnte sie damit nicht. „Da bekommt jemand Angst“, höhnte Shada, der die Situation interessiert verfolgte, schließlich seine Arme überkreuzte und die rechte Hand leicht schwingen ließ. Manas Stab war wieder verschwunden.

„Sonderlich viel Macht hast du darüber ja nicht“, sagte er bedauernd, doch Mana hörte ihm nicht zu.

Sie starrte zu Karim, der nun direkt vor ihr stand, sie an die Wand drückte und ihr so keine Möglichkeit zu entkommen ließ. „Halte dich an die Etikette, und dir wird nichts geschehen“, drohte er sauer, „Sei eine Dame und kein Giftzwerg!“

Wütend blickte Mana ihn an. „Ich bin kein Giftzwerg!“, zischte sie ungehalten, und sah dann so gut es ging an Karim vorbei zu Shada, „Und du, Glatzkopf! Gib mir sofort meinen Stab wieder!“ Sauer stand Mana da, an die Wand gedrängt und voller Zorn. Sie wollte sich nicht so behandeln lassen, dass hatte sie nicht verdient, das wusste sie. Sie wollte sich ja bemühen, die Etikette zu erlernen, doch sie ließen ihr nicht einmal die Gelegenheit dazu! Empört versuchte Mana sich zu befreien, scheiterte jedoch kläglich.

Shada blickte sauer auf sie herab. „Karim! Zeigt ihr, was es heißt sich gegen uns zu stellen!“, es war schon fast keine Forderung mehr, es war ein Befehl, den der Priester aussprach. Er sollte sie endlich zum Schweigen bringen, ihr diese ungestüme und wilde Art ein für alle Mal austreiben.

Und Karim gehorchte. Ehe Mana sich versah, hatte er ihr bereits mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. „Eine Dame benimmt sich nicht so!“, knurrte er und blickte in des Mädchens vor Schreck geweiteten Augen.

Der Schlag war alle andere als sanft gewesen, sie hob die Hand schützend vor ihr Gesicht, strich sich vorsichtig über die Wange. „Dafür schlägst du wie eine!“, schrie sie entsetzt und sah ihn herausfordernd an. Nein, sie würde nicht nachgeben, sie würde sich nicht unterwerfen, auf gar keinen Fall!

Doch Karim blickte nicht weniger herausfordernd. „Willst du wissen, wie ein Mann schlägt?“, fragte er kalt und leise, sodass Mana es kaum hören konnte. Verstanden hatte sie es sofort.

„Ich sehe hier keinen, der mir das zeigen könnte...“, gab sie zurück, wurde ebenfalls leiser, jedoch aus einem anderen Grund.

Karim schlug sie ein weiteres Mal. Dieses Mal war der Schlag deutlich fester gewesen, trug die Absicht, Schmerzen zuzufügen, nicht so wie der vorherige, der nur hatte zügeln sollen. „Hüte deine Zunge habe ich gesagt!“

Mana biss sich auf die Lippe um nicht laut aufzuschreien. Sie rutschte an der Wand herunter, fluchte innerlich. „Habe ich eine andere Wahl?“, fragte sie schließlich kleinlaut, resignierend.

„Reiß dich zusammen und dir geschieht nichts“, wiederholte Karim schlicht, „Und dazu gehört natürlich auch, dass du dicht hältst, aber das versteht sich ja von selbst, oder?“ Ein finsteres Lachen legte sich auf seine Lippen.

Mana schluckte. Sie musste irgendwie die Fassung wiedergewinnen können, sie musste einfach! Leicht zitternd richtete sie sich an der Wand wieder auf, strich sich das Kleid zurecht, wischte sich ihre viel zu kurzen Haare aus der Stirn und blickte zu Boden. Sie nickte.
 

„Es scheint ja doch zu gehen“, sagte Shada und legte ein gemeines Lachen auf sein Gesicht. Seine Arme waren noch immer verschränkt, Abstand halten zu einem Kind, dass sich allem widersetzte, was es zu lernen galt. „Womit wollen wir denn jetzt beginnen?“, belustigt drehte sich sein Kopf zu Karim, „Die Haltung? Blickkontakt? Ausdrucksweise?“

„Wir werden mit allem eine Weile beschäftigt sein“, gab dieser nur zurück, blickte dann verächtlich zu Mana. „Ich hoffe, du kooperierst jetzt!“, zischte er, noch immer wütend.
 

Wieder nickte Mana. Sie seufzte kurz verzweifelt, mied seinen Blick. „Was soll ich machen, Herr?“, fragte sie leise und unsicher, nicht wissend, ob sie es wirklich erfahren wollte.

Shada ging auf sie zu. Das war schon besser, bedeutend besser. Er nahm sie am Arm und zog sie etwas weiter in den Raum, damit sie Platz hatte. So schnell es ging, ließ er sie wieder los, stellte sich vor sie, und begann damit, sie zurecht zu biegen. „Steh erst einmal gerade!“, fauchte er sie an, und ließ Mana dadurch zusammenzucken. Sie ließ sich nur ungern einfach so behandeln wie eine Puppe, sie kochte vor Wut, und doch, sie gab alles dafür, sich nichts anmerken zu lassen. Sie würden schon noch sehen, was sie davon hatten. Sie gehorchte, versuchte sich besser hinzustellen, aufrechter zu stehen, doch es gelang ihr nur schlecht.

Karim schüttelte den Kopf. „Nennst du das etwa gerade?“, fragte er grummelnd und drückte ihren Rücken durch, „Streng dich gefälligst an!“

„Mach ich doch, verdammt!“, fauchte Mana zurück, erschrak gleich darauf und wich wieder zurück. Sofort kam Karim wieder bedrohend näher. „Wie war das?“, fragte er voller Abscheu auf sie herab blickend.

Das Mädchen senkte den Kopf, schüttelte ihn und lächelte schwach. „Ich habe nichts gesagt...?“, fragte sie leise, noch ein paar Schritte von ihm weichend.

Grimmig betrachtete der Priester sie, ließ dann aber von ihr ab. „Also, stell dich gerade hin!“, befahl er, „Die Haltung ist wichtig!“

Mana nickte, versuchte so gut es ging das Befohlene auszuführen, und schluckte. Sie hoffte inständig, sie würde das alles hinkriegen, wie es aussah, würde ihr wirklich nichts geschehen, wenn sie tat, was von ihr verlangt wurde.

„Naja“, sagte Shada und schaute skeptisch. „Ich hatte gedacht, sie würde wenigstens etwas größer wirken, wenn sie aufrecht steht, aber so...“ Er lief einmal um sie herum, sauer schnaubend. „Sie wirkt neben allem doch wirklich klein.“

Mana blickte auf und all ihre Angst schlug mit einem Mal in Hass um. Sie war klein, ja? Darauf kam es also an? Warum war alles an ihr verkehrt?! Sie hatte es sich nicht einmal ausgesucht, eine solch hohe Position am Hof hatte sie niemals haben wollen! Sie konnte doch nichts dafür, dass Seth ausgerechnet Hohepriester und nun auch offizieller Thronfolger war, sollte Atemu etwas geschehen. Sie war doch wirklich die Letzte, die Königin werden wollte...

„Ihr seid schrecklich!“, schrie sie außer sich, „Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt! Seth wird das garantiert erfahren!“
 

Doch dafür hatte sie zu zahlen. Karim hatte keinen Moment gezögert, ging sofort wieder auf sie zu und schlug. Immer und immer wieder. „Nein, nicht wir sind schrecklich“, sagte er eisig, „Du bist schrecklich! Aus dir wird nie etwas vernünftiges, wenn du so weitermachst!“

Ein kurzer Schrei durchfuhr das Zimmer, Mana fiel zu Boden, versuchte verzweifelt von ihm wegzukommen, doch er war einfach zu schnell und zu groß für sie. Sie unterdrückte die Tränen, die in ihr aufstiegen. Diesen Triumph wollte sie ihnen nicht geben. „Lasst mich in Ruhe!“, schrie sie schwach, erschrocken.

Doch er hörte nicht auf. „Solange du nicht lernst, dich zu benehmen, lässt du mir keine andere Wahl!“ Es klang, als trüge sie die Schuld, als hätte sie es gewollt, geradezu provoziert, doch in ihrem Herzen wusste Mana, dass es nicht stimmte.

Schließlich verebbten Karims Schläge, Mana atmete kurz verzweifelt durch und dachte darüber nach, wie sie von hier entkommen würde, da hatte Shada sie bereits zurück auf ihre Füße gezogen. „Ich muss ihm Recht geben“, sagte er sauer und blickte sie voll Unverständnis an, „Du bist wirklich ein schrecklich hoffnungsloser Fall.“

„Aber ich habe mich doch angestrengt...“, gab Mana kleinlaut zurück. Was sollte sie nur machen? Was blieb ihr übrig?

Der Schwarzhaarige blickte verächtlich auf sie herab. „Anstrengen nennst du dieses widerliche Gebrüll?“, fragte er ungläubig und schüttelte den Kopf. „Du bist noch sehr weit davon entfernt, eine Dame zu sein ... Du besitzt kaum die Würde eines Kindes!“

Verzweifelt schüttelte Mana den Kopf, sah ihn sauer an. Es war schwer zu sagen, wie lange sie das noch ertragen würde. „Ich bin kein Kind mehr“, widersprach sie und gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, „Und ich kann mich benehmen. Aber ich sehe keinen hier, der es verdient, so behandelt zu werden, wie ihr mich behandelt!“

Shada, der sie noch immer festhielt, verstärkte den Druck auf ihre Arme. „So etwas wie dich habe ich in einem Palast noch nie erlebt!“, sagte er giftig, „Wie es scheint, hast du immer noch nicht verstanden!“ Er sah seinen Freund an, der nickte und Mana aus fast geschlossenen Augen sauer und verachtend betrachte. „Ich wünsche dir viel Spaß mit der Kleinen“, sagte er und es war nicht zu überhören, dass er auch genau das meinte.

Verwirrt zappelnd wurde Mana von Shada umgedreht, sie konnte sich nicht losreißen, was auch immer sie versuchte. „Lass mich in Ruhe!“, quiekte sie leicht panisch, „Ich streng mich ab nun wirklich an! Und ich mache den Mund nur auf, wenn ich gefragt werde!“

Doch Shada schien nicht sonderlich viel von ihrem Vorschlag zu halten. Er lockerte seinen Griff in keinster Weise. „Du hast dir eindeutig zu viel erlaubt“, sagte er und legte zwei Finger auf ihre Stirn, „Warum sollte ich dich nun verschonen?“

Mana verstand nicht. Was hatte er vor? Was sollte das werden? Sie wollte von ihm loskommen, fühlte sich aber wie gelähmt vor Schreck und Angst.

Und dann kamen die Kopfschmerzen. Ganz plötzlich, als würde jemand mit einem Dolch ihre Stirn durchbohren, Kälte bereitete sich von Shadas Fingern ausgehend in Manas Kopf aus. Sie keuchte laut auf, kniff die Augen zusammen. Sie konnte Dinge sehen, die sie längst verdrängt hatte, Erinnerungen, die zu vergessen sie versucht hatte.

Akim...

Marik...

Mana wankte gefährlich, konnte sich aber auf den Füßen halten. Als sie ihre Augen wieder öffnete, waren diese vollkommen leer und ausdruckslos. Einzig die Tränen, die in ihren Augen schimmerten, verrieten, dass sie noch immer anwesend war. Sie stellte sich gerade hin, mechanisch fast, ohne eigenen Willen.

Leicht skeptisch betrachtete Shada sie, nahm die Finger von ihrer Stirn. „Das war einfach“, sagte er gelassen und drehte sich erklärend zu Karim. „Sie scheint einige Freunde verloren zu haben“, säuselte er in gespieltem Mitleid, „So wird sie einfach zu lenken sein, so wird sie schnell lernen.“

Interessiert sah Karim ihn an, grinste nickend. „Was ist ihr denn so passiert?“, fragte er, und wusste genau, dass Mana ihn noch immer hören konnte, „Wollen wir das nicht mal durchgehen?“

Shada hatte eine solche Reaktion erwartet, genau aus diesem Grund hatte er auch so schnell wieder von Mana abgelassen. Es war viel schöner, jemandem bei Bewusstsein seine schlimmsten Erfahrungen vorzuführen, betäubender Schmerz dagegen erleichterte die Sache nur.

„Oft wurde ihr das Herz gebrochen, sie hat lange mit dem Tod des Priesters Marik zu kämpfen gehabt, ehe sie Seth zu vertrauen lernte. Dann freundete sie sich mit dem Verräter Akim an, eine Freundschaft, die Seth hätte verhindern müssen, wenn ihm nur etwas an ihr gelegen wäre“, Shada genoss seine eigenen Worte. „Und sie scheint ihre Eltern früh verloren zu haben, aber diese Erinnerung ist nur schwach. Vielleicht sollte ich noch genauer nachhaken?“ Er lachte auf, Mana zu kontrollieren war soviel einfacher als er es sich vorgestellt hatte.

Karim nickte erwartungsvoll, gierig noch mehr zu erfahren, gierig zu sehen, wie Shada langsam aber sicher ihren Willen brach.

Erneut legte Shada seine Hand an Manas Stirn, erneut durchfuhr Schmerz ihren Kopf, doch dieses Mal jedoch schrie sie nicht auf. Sie konnte nicht.

„Sie hat für Seth gekämpft, obwohl er ihr nicht vertraute, immer und immer wieder hat sie sich für ihn aufgeopfert, mehr getan, als ihre Kräfte zuließen und das alles zweifelsfrei um sich bei ihm beliebt zu machen, ihn an sich zu binden und so an die Macht zu kommen!“, Shada lachte, „Und es ist ihr ja auch geglückt, nicht wahr? Des Hohepriesters Verlobte ist sie geworden, mit ein paar Tränen und großen Augen hat sie sich selbst ganz nach oben gebracht!“
 

„Aufhören...“

Das war nicht wahr...

Das war gelogen...

Mana hielt sich ihren Kopf, die Augen zusammengekniffen, das Gesicht schmerzverzehrt. Doch wirklich weh taten seine Worte, die so falsch waren, sie verurteilten für etwas, dass sie nie gewollt hatte.

„Aufhören...“, wiederholte sie schwach, zitternd. Sie war kurz davor, sich zu übergeben und doch gab sie nicht auf.

Karim sah belustig auf sie herab. „Es sieht ganz so aus, als ginge es ihr nicht so gut“, höhnte er, tat aber nichts um ihr zu helfen.

„Es ist ja so schrecklich, dass sie da so darunter leidet, nicht wahr?“, auch Shada schien sich bestens zu amüsieren, „Armes, armes kleines Ding!“, voller Hass lachte er sie aus, „Du wirst das hier nicht deinem Priester verraten, hast du gehört?!“

Zur Antwort bekam er einen schmerzvollen Schrei und ein Nicken von Mana. „Benimm dich“, fuhr er unberührt fort, „Du solltest wissen, dass du keine Gefühle zeigen darfst, dich dürfte dies alles nach außen hin nicht einmal interessieren!“

Sie sollte keine Gefühle zeigen? Doch wie sollte sie das schaffen? Wie, wenn ihr Kopf jeden Moment zu bersten drohte?

„Aufhören...“, sagte sie noch ein weiteres Mal, kraftlos und doch, hatte sie ihren Entschluss getroffen. Sie versuchte, nicht mehr zu zittern, sich wieder ordentlich hinzustellen. Versuchte sich zusammenzureißen und nicht mehr zu schreien. Mana hatte ihre Hände zu Fäusten geballt und doch war dies das einzige Zeichen von Schwäche, dass sie zeigte.

Noch immer von ihr angewidert, stellte Karim sich neben Shada auf. „Also gut“, sagte er mit einem Lächeln im Gesicht, „Fangen wir nun endlich an. Zeig uns, was Haltung heißt!“, befahl er, „Sofort!“

Er konnte sie nicht verstehen. Was hielt sie hier? Was verband sie mit ihrem Priester, dass sie diesen Unterricht auf sich nahm? Wollte sie wirklich unter allen Umständen Königin werden?

Doch wenn es so wäre, würde sie sich wohl kaum so ungeschickt anstellen, oder?

Er beobachtete sie aufmerksam, wie sie Haltung annahm, ihre Augen wieder öffnete und geschickt an ihnen vorbei sah.

Widererwarten klappte es dieses Mal.

„Schon besser“, sagte Shada mit seiner strengen Stimme, „Nun geh ein Stück!“ Er schubste sie ein Stück nach vorne, doch Mana verlor ihr Gleichgewicht nicht. Sie versuchte, so gut es eben ging, ein paar Schritte zu machen, gleichmäßig, gerade, anmutig.

Sie biss sich von innen auf die Lippe, hob ihren Kopf wieder und ging weiter. Sie atmete flach und schnell, war sich sicher, dass es wieder misslingen würde und doch leistete sie mehr, als selbst sie sich zutraute. Für Seth, sagte sie sich immer und immer wieder, für ihn würde sie stark sein und niemals aufgeben.

„So recht, meine Herren?“, fragte sie ernst und mit soviel Ausdruck, wie sie in ihre zittrige Stimme legen konnte und sah sie entschlossen an.

Karim war gegen seinen Willen beeindruckt. Woher nahm sie nur diese innere Stärke? Was war nur los mit dem Mädchen? Jede andere hätte schon längst ihren Willen aufgegeben.

Aber gut... So machte es mehr Spaß.

„Das war schon nicht schlecht, daraus lässt sich etwas machen“, sagte er lobend, jede ihrer Bewegungen genauestens beobachtend.

Mana nickte, versuchte Shada ganz und gar zu ignorieren. Lieber bekam sie wieder Schläge für ihre Misserfolge als ihn noch ein weiteres Mal in ihren Kopf eintreten zu lassen.

Sie stellte sich noch gerader hin, soweit dies möglich war, unterdrückte das Zittern mit aller Anstrengung. „Was habt Ihr denn?“, fragte sie in einem neuen Anflug von Mut, „Ihr wirkt verwundert.“ Sie sprach vornehm und doch gelang es ihr all ihre Frustration durch Ironie in ihre Stimme zu bringen.

„Nimm das Lob nicht als Freibrief für neue Frechheiten!“, herrschte Karim sie an, „Dein Weg zur Dame ist noch sehr lang.“

Wieder nickte Mana zurückhaltend. Sie blinzelte ein paar Mal, ehe sie sich wieder gefangen hatte. Sie durfte jetzt nicht aufgeben, durfte ihnen nicht kampflos den Sieg schenken. „Damit rechne ich auch“, sagte sie ruhig und gefasst, obwohl sie am liebsten nichts anderes getan hätte, als lauthals zu schreien.

„Du bist also realistisch“, sagte Karim, ebenfalls ruhig und ernst. „Dann zeig uns als nächstes, wie eine Dame sich an den Tisch zu setzen hat!“

Mana sah ihn an, gehorsam und doch grummelnd. „Wie lang soll denn dieser Unterricht gehen? Wenn ich fragen darf?“ Halb rechnete sie damit, für diese Frage wieder gemaßregelt zu werden, doch der Schlag blieb aus.

„Der Unterricht geht solange, bis wir ihn beenden“, sagte Karim trocken, und wartete darauf, dass sie seinen Befehl ausführte.

Mana sah ihn kalt an, widersprach jedoch nicht. Sie spürte noch immer seine Schläge, wollte auf keinen Fall weitere bekommen. Sie blickte kurz zwischen Beiden hin und her, zuckte dann fast unmerklich mit ihren Schultern und setzte sich in Bewegung.

„Schultern gerade!“, fauchte Shada, „Du musst auch über einen längeren Zeitraum hinweg gerade stehen können!“

Mana reagierte sofort, lief weiter den Rest des Weges in perfekter Haltung. Direkt nehmen dem Tisch blieb sie stehen, blickte ihre Lehrer herausfordernd an. „Könnte einer der Herren sich dazu herablassen mir den Stuhl zurecht zu rücken?“

Überrascht blickte Shada zu Karim, keiner von Beiden erhob sich. „Der Unterricht ist für heute beendet, du kannst gehen“, sagte Karim schließlich, nachdem sie Mana noch ein paar Minuten stehen gelassen hatten.

„Vergiss die Abmachung nicht“, zischte Shada noch einmal drohend, „Kein Wort zu niemandem, oder es wird die ganz schnell Leid tun...“ Dass er es ernst meinte, war nicht anzuzweifeln. Mana schluckte, lächelte schwach und nickte.

Wie oft hatte sie an diesem Tag genickt? Zu etwas zugestimmt, was sie nicht wollte? Sie wusste es nicht. „Ich verrate es schon niemandem“, sagte sie leise, fast flüsternd. „Kann ich meinen Stab noch zurückbekommen?“ Den hatte Shada ihr schließlich abgenommen, doch sie hatte wenig Interesse daran, ihn auch bei ihm zu lassen.

Shadas finsterer Blick verfolgte sie noch, als sie durch die dunklen Gänge lief, ihren Stab fest in ihrer rechten Hand.

Siegel

„Kannst du mir das erklären!?“ Völlig außer sich fauchte Shada Karim an, als könne er etwas dafür, dass seine Einschüchterungsstrategie so wenig Wirkung zeigte. Das Mädchen war widerlich – und unglaublich.

Der Größere jedoch ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und blieb ganz ruhig. Eine Weile lang hatte er ihr hinterher gesehen, wie sie sicheren Schrittes und doch wacklig auf den Beinen den Raum verlassen hatte. „Nein“, sagte er nachdenklich, „Sie hätte völlig zerbrochen sein müssen... Stattdessen ist sie immer noch frech und taumelt nur ein bisschen herum...“

„Das kann unmöglich an ihr liegen!“, sagte Shada sauer, „Irgendetwas oder irgendwer muss ihr geholfen haben, sonst hätte sie das doch nie so überstehen können!“ Er ging ein paar Schritte im Raum auf und ab, beruhigte sich aber in keinster Weise. „Wie kann das nur angehen? Ich habe nichts gemerkt, keine Fremdeinwirkungen und der Raum ist doch auch versiegelt!“

Karim betrachtete ihn streng. Lange war er nicht mehr so gewesen, verzehrt vor Wut und Hass, der Widerstand dieses Mädchens musste seinem Freund wirklich zu schaffen machen. „Es kann nicht sein, dass ihr geholfen wurde“, sagte Karim schlicht, „Aber keine Sorge... Niemand kann sich uns so widersetzen ohne die Folgen zu tragen.“ Er verfolgte Shada mit seinem Blick, bedachte jeden seiner Schritte mit einer Kopfbewegung. Schließlich sah er ihn auffordernd an. „Was ist mit ihrem Stab?“

Shada ging weiter ohne Karim anzusehen. Er schüttelte den Kopf. „Der hat weder irgendeine Magie abgestrahlt noch auch nur die kleinste Reaktion gezeigt“, sagte er, „Daran kann es nicht gelegen haben.“ Daran durfte es nicht gelegen haben.

Skeptisch betrachtete Karim ihn, hob eine Augenbraue. „Und da bist du dir auch sicher?“, fragte er überrascht. Er selbst hatte ein anderes Gefühl gehabt, ihm erschien der Stab von einer Magie umhüllt, die er bisher nicht gekannt hatte. Wieso also behauptete Shada etwas anderes? Konnte er das wirklich nicht gespürt haben?

„Willst du etwa behaupten, dass ich lüge?“, fuhr der Kleinere ihn an, noch immer seinen Blick meidend.

Kalt blickte Karim zu ihm, schüttelte sauer den Kopf. „Der Stab war voller Magie“, sagte er knapp und brachte ihn damit in Erklärungsnot.

Shada stoppt abrupt, sah Karim für einen Moment überrascht an, fasste sich dann aber schnell wieder. Er verengte die Augen zu knappen Schlitzen und nickte fast unmerklich. „Auch wenn ich es nicht gern zugebe“, sagte er schließlich, „Eine solche Magie habe ich noch nie zuvor gesehen...“

„Das Mädchen verbirgt etwas, so viel ist sicher“, sagte Karim, darüber hinwegsehend, dass Shada ihn eben so offensichtlich belogen hatte, „Und ich bin mir nicht sicher, ob sie sich selbst im Klaren darüber ist...“

Er war ernsthaft besorgt, sie mussten sie im Auge behalten, das stand fest. Und um ihren Willen zu brechen, hatte der heutige Tag auch nicht ausgereicht. Ihre Willenskraft war nicht zu verachten.

Shada begann wieder hin und her zu wandern. „Über ihre Herkunft habe ich in ihren Gedanken nichts gesehen“, sagte er nachdenklich, „Sie scheint ihre Gedanken gut verstecken zu können, zumindest solche, die sie selbst aktiv verdrängt hat...“

„Wir müssen mehr über das Mädchen herausfinden“, sagte Karim kurzentschlossen, „Wo sie herkommt, wer sie eigentlich ist...“

Blaue Augen blickten ihn an, fragend, verachtend. „Und wie sollen wir das machen?“, zischte er, „In ihren Gedanken ist es nicht zu lesen!“

Karim seufzte. „Gedanken führen ganz offensichtlich nicht ans Ziel“, sagte er nachdenklich, „Aber irgendwo muss es Unterlagen von ihr geben, anders kann sie nicht in die Priesterschule aufgenommen worden sein.“

Ein Lächeln legte sich auf Shadas bis dahin angespanntes Gesicht, als er zustimmte. „Wir sollten unsere Rechte nutzen und mal einen Blick in diese Unterlagen werfen“, sagte er bestimmend, „Schließlich müssen wir wissen, wer unsere Schülerin ist, das ist völlig legitim und nachvollziehbar...“
 

Stille. Nichts weiter als Manas stumme Tränen, die sich ihren Weg suchten, ohne dass sie sie stoppen konnte. Wie nur war sie in ein solches Schlamassel gekommen?

Langsam setzte sie einen Schritt vor den anderen, unentschlossen, zögernd. Sie wollte sofort zu Seth, wollte ihm alles erzählen. Er könnte sicher alles wieder gut machen.

Doch sie durfte nicht. Wenn Karim und Shada erfuhren, dass sie ihr Wort gebrochen hatte, dann – nun, sie wollte lieber nicht darüber nachdenken. Sie musste schweigen, etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig.

Sie atmete tief durch und strich sich mit einer Hand lässig ihr Gewand glatt. Man durfte die Stellen nicht sehen, die nun langsam begannen blau zu werden, die Verletzungen, die sie durch Karims Schläge erhalten hatte, sie mussten unsichtbar bleiben. Unsichtbar für andere, doch präsenter als alles übrige für Mana.

Was hatte sie sich von diesem Unterricht erhofft? Was hatte sie erwartet?

Nun, ganz sicher nicht das. Mana achtete sorgfältig darauf, das Zittern und die Unsicherheit zu verbergen, die sich in ihre Stimme und in ihre Glieder legte, ehe sie an die Tür klopfte, die sie sonst einfach durchschritten hätte.

Ohne zu klopfen, ohne zu zögern.

„Es ist offen!“, erklang es aus Seths Gemach, überraschte Augen blickten sie an, strahlend blaue Augen, deren bohrendem Blick sie heute lieber ausgewichen wäre. Sie musste sich zusammenreißen.

„Darf ich hereinkommen?“, fragte Mana höflich und lächelte lieb, den Rücken gerade, ganz so, als würde sie auf ihrem Kopf etwas transportieren.

Ein skeptischer Blick empfing sie, es war nur allzu deutlich, dass der Hohepriester von ihrem Auftreten überaus überrascht war. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte er und ging auf sie zu.

Mana wusste, sie durfte ihm niemals die Wahrheit sagen, auch wenn alles in ihr danach schrie, dass sie es tat. Und so lächelte sie, gespielt zwar, aber doch überzeugend. So echt, wie die Etikette eben sein konnte.

„Nichts ist mit mir passiert“, antwortete sie höflich, „Warum sollte es?“

„Es kann doch nicht sein, dass du dich tatsächlich wie eine Dame benehmen kannst, oder?“, gab Seth zurück, noch immer sichtlich erstaunt.

Zweifelte er etwa auch daran, dass sie es konnte? Mana seufzte innerlich. Warum nur war keiner überzeugt davon, dass sie es schaffen konnte?

Hatte Seth sie nicht in den Unterricht geschickt, weil er wusste, dass sei nur einen Anstoß brauchte?

Sie durfte nicht an ihm zweifeln. Jetzt an Seth und seinen Entscheidungen zu zweifeln, würde ihr die letzte Sicherheit nehmen, die sie im Augenblick hatte. Er vertraute ihr. Er glaubte, dass sie die Krone würde tragen können, sollte es jemals dazu kommen. Er hatte sie erwählt in dem festen Wissen, dass er der Nachfolger des Pharaos wäre, falls diesem etwas zustieß.

Sie konnte ihm glauben, ihm vertrauen. Sie musste einfach.

„Ich bitte euch“, sagte Mana und klang dabei leicht gekränkt, „Selbstverständlich kann ich das!“ Überzeugt von sich und trotzdem nicht unhöflich. Tatsächlich verstand das Mädchen mit der Wirkung ihrer Worte zu spielen und sie zu lenken.

Seth schüttelte lächelnd den Kopf. „Was haben sie dir gegeben, damit du so gestellt reden kannst?“, fragte er beeindruckt und beunruhigt zugleich, was Mana dazu brachte, nun ihrerseits auf den Priester zuzugehen.

„Unterricht?“, sagte sie so selbstsicher, wie sie konnte und grinste schwach. „Ihr mögt es kaum glauben, aber selbst ich kann etwas dazu lernen.“

Dieses Schauspiel brachte selbst Mana zum Wanken. Es war so falsch ihm etwas vorzulügen und doch so nötig. Sie wollte sein Vertrauen nicht so schamlos ausnutzen, doch was sollte sie anderes tun? Ihr blieb ja doch keine Wahl als zu gehorchen, wollte sie nicht Shadas und Karims Wut noch weiter auf sich ziehen.

Der Priester beobachtete sie, ohne dabei durch ihre Fassade zu blicken. „Ich habe nicht an dir gezweifelt“, sagte er und klang wieder ernster, „Aber wenn du wirklich dazugelernt hast, dann vergiss eine Regel gleich wieder und sei nicht so förmlich mir gegenüber.“

Mana ging jedoch nicht darauf ein. Wie sollte sie ihm beweisen, was sie gelernt hatte, wenn sie es nicht anwendete?

„Warum darf ich das nicht, Herr?“, fragte sie, sah ihn grinsend an und verbeugte sich vor ihm.

Seths Antwort aber ließ sie schnell wieder aufsehen. „Nur Diener haben sich so zu verhalten mir gegenüber“, erklärte er sachlich und streng, „Wenn du also eine Dienerin sein willst, dann bleibe dabei.“

Mana sah ihn an, das Gesicht beleidigt verzogen. „Musst du immer so fies sein?“, fragte sie, streckte ihm die Zunge heraus und sah ihn schief an. „Natürlich will ich keine Dienerin sein!“

„Ich bin niemals fies“, antwortete der Priester sofort und baute sich groß vor ihr auf. „Mein Amt zwingt mich dazu.“

War er wirklich so eitel? Mana hätte vor Lachen gern laut losgeprustet, hielt sich dann aber zurück. Sein Ego konnte bisweilen wirklich gigantisch sein.

Sie beobachtete ihn dabei, wie er sie anlächelte und sich auf sein Bett setzte. „Also, erzähl‘ mal“, verlangte er, „Wie ist es gelaufen?“
 

Priester an des Pharaos Hof zu sein, hatte seine Vorzüge und sei es nur, die Wächter des Archives davon überzeugen zu können, ihnen Zugang zu vertraulichen Unterlagen zu gewähren.

Es war wirklich um einiges einfacher gewesen, als sie es für möglich gehalten hatten. Die Wächter hatten sie nur gesehen, sich verbeugt und sie passieren lassen, offensichtlich in dem Glauben, der Pharao hätte sie dazu befugt.

Karim sah Shada nachdenklich an. „Was glaubst du, werden wir finden?“, fragte er schließlich, nachdem sie schon eine ganze Weile wieder unter sich gewesen waren.

Der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern. „Sicher nichts gutes“, sagte er viel zu schnell, als dass es glaubhaft gewesen wäre, und tatsächlich. „Obwohl ich nicht glaube, dass wir überhaupt etwas finden werden“, hängte er nach einem Seufzen an.

Wie sollte auf einer Schriftrolle mehr zu lesen sein, als in Manas Gedanken selbst?

Der Dunkelhaarige schüttelte nicht überzeugt den Kopf. „Wieso sollten wir nicht?“, fragte er, „Kann es sein, dass du eine Vorahnung hast?“

Was nur hatte er in ihren Gedanken gesehen? Karim verstand es nicht.

„Nein“, widersprach Shada, „Ich habe weder eine Vorahnung noch eine Idee dessen, was wir finden könnten.“

Er brach ab, als sie schließlich das Archiv betraten. Der Raum war hoch und hell, an den Wänden und überall im Raum türmten sich Schriftrollen. Scheinbar willkürlich; wer diesen Raum nicht kannte, hätte ihn unordentlich genannt und doch hatte jede einzelne Rolle ihren Platz,

Der Kleinere blickte zu Karim hinauf, sah ihn an und lächelte spöttisch. „Bist du sicher, dass wir das wissen wollen?“, fragte er noch einmal, obwohl die Antwort auch ihm klar war, sie waren nur aus eben jenem Grund überhaupt hierher gekommen, nur die Frage nach Manas Kindheit hatte sie hierher getrieben. „Natürlich wollen wir“, antwortete Karim leicht gereizt. Wieso tat er in einem solchen Moment so unsicher und zurückhaltend? Das passte überhaupt nicht zu ihm, und er musste es wissen. Er kannte ihn besser als jeder andere.

Shada nickte, und machte sich daran, nach Manas Schriftrolle zu suchen. Jeder, der je in eine der Priesterschulen des Landes aufgenommen worden war, war hier verzeichnet, festgehalten für die Ewigkeit. Shada dachte kurz nach und begann dann zielsicher einige der Rollen zur Seite zu schieben. Er glaubte zu wissen, wo er zu suchen hatte, zog eine Rolle nach der anderen heraus.

Karim beobachtete ihn stumm. Wenn er sich jetzt in die Arbeit einmischte, schadete es ihrem Vorhaben mehr, als dass es nutzte, darum ließ er es. Shada jetzt in seiner Konzentration zu stören, würde ihn über alle Maßen reizen, er kannte ihn viel zu gut, als dass er es riskiert hätte.

So betrachtete er ihn still und schließlich, endlich zog Shada eine Rolle hervor, die er nicht sofort zur Seite legte.

Er blickte auf die Schriftrolle in seiner Hand, fast versteinert sah er sie an, doch er öffnete sie nicht.

Karim sah ihn fragend an, bis Shada ihm die Rolle reichte. Sie war verschlossen, ein Siegel hielt sie zusammen, das Siegel des Pharaos persönlich. Er sah seinen Freund ungläubig an. „Wieso dieses Siegel?“, flüsterte er und erhielt doch keine Antwort, die ihm genügte.

„Weil der alte Pharao nicht wollte, dass über diese Sache jemals jemand etwas erfährt!“, fauchte Shada ihn an, fasste sich aber schnell wieder. „Ich denke jedoch, in diesem Fall können wir eine Ausnahme machen...“, zischte er.

Karim lächelte. Es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass Shada so dachte, ganz im Gegenteil. Er hätte sich Sorgen gemacht, wäre es nicht so. „Aber natürlich“, stimmte Karim ihm zu, „Wir sind schließlich für die Ausbildung des Mädchens verantwortlich“, erklärte er förmlich, „Und die Ausbildung kann nur dann ordentlich ablaufen, wenn wir wissen, wer sie wirklich ist.“

Ein überlegenes Lächeln legte sich auf seine Lippe. „Wer sollte etwas dagegen haben?“ Einzig und allein der Pharao selbst hätte sie aufhalten können, doch der war nicht anwesend, konnte nichts unternehmen.

„Der alte Pharao ist eh tot“, sagte Shada leichtfertig dahin, unbekümmert, respektlos.

Sein Blick fiel zurück auf den Stapel. Eine weitere Rolle erregte seine Aufmerksamkeit, er griff danach und stockte. „Eigentlich ist doch immer nur eine Rolle pro Person eingeplant, oder?“, fragte er verwundert und Karim nickte.

Verstört blickte er auf die Rolle in seiner Hand und dann auf die zweite, die Shada hielt.

Wer war dieses Mädchen? Und was gab es so viel über sie zu schreiben?

„Dort sind noch zwei“, riss Shada ihn aus seinen Gedanken, nahm auch diese an sich und hatte nun insgesamt vier Schriftrollen vor sich. Jede trug das Siegel des Pharaos und war seit ihrem Verfassen ungelesen. Sie verbargen Informationen, die in Vergessenheit hätten geraten sollen.

Shada atmete noch einmal durch und durchbrach das Siegel.

Trance

Ein müdes Seufzen legte sich auf ihr Gesicht, als sie sich langsam hinsetzte, darauf bedacht, dass ihr Kleid nicht verrutschte und so Dinge preisgab, die ihre Stimme zu verbergen suchte. Selten achtete Mana auf ihre Worte, selten bemühte sie sich so sehr etwas zu verbergen, wie in diesem Moment.

Sie blickte dem Hohepriester ins Gesicht, lächelte kurz scheu, ehe sie zum Fenster sah.

„Es war...“, sie zögerte einen Augenblick, ehe sie weiter sprach, „Doch, es war gut“, sagte sie, ihre Stimme kräftiger als sie es gedacht hätte, so dass sie darauf hoffen konnte, ihr Theater durchhalten zu können.

Seth betrachtete sie, alles andere als überzeugt. „Du hattest doch so viele Zweifel, was die beiden Priester angeht?“, fragte er nachhakend, er hatte diese Antwort keinesfalls erwartet.

„Du doch auch“, sagte Mana leicht nickend und seufzte. „Ich hasse sie zwar noch wegen meiner Haare, aber“, sie strich sich bedauernd über den Kopf, „Als Lehrer sind die Beiden echt zu gebrauchen.“ Sie formulierte es so vorsichtig und nichts sagend, wie es ging, um Seth zu beruhigen und ihr Versprechen halten zu können. „Ich habe einiges eingesehen“, sagte sie, ihn anlächelnd, was ihr jedoch einen weiteren zweifelnden Blick des Hohepriesters einbrachte. „Im guten Sinn, mein ich!“, fügte sie schnell noch hinzu.

„Ach“, antwortete er, „Und was hast du eingesehen?“ Er war alles andere als überzeugt von Manas Version, diese stille, zurückhaltende Mana war ungewohnt, gar unbekannt. Es passte einfach nicht zu ihr; eine einzige Einführung in die Etikette sollte diese Wandlung in ihr bewirkt haben? Es war nicht zu glauben.

Er war mehr als gespannt auf die Gründe, die sie hervorbringen würde, um ihn zu überzeugen, sah sie interessiert an.

„Naja“, sagte sie, atmete kurz durch und lächelte dann wieder – noch immer falsch, noch immer gekünstelt und doch undurchschaubar. „Ich muss mich wirklich anderen gegenüber benehmen“, sie sah ihn aus ihren großen grünen Augen an, „Wenn ich gesehen werden kann, muss ich darauf achten, dass niemand einen falschen Eindruck von mir bekommt.“ Verlegen schlug sie ein Bein über das andere, grinste dann schief. „Wenn das nicht schon zu spät ist.“

Nun lächelte auch Seth. Wenn es noch nicht zu spät war. Sie war sicherlich schon einigen wegen ihres unangebrachten Verhaltens am Hofe bekannt, doch niemals hatte es ihr jemand wirklich übel genommen. Einer Priesterschülerin, die noch dazu mit dem Pharao persönlich befreundet war, sah man ein solches Benehmen schnell nach. Eine eventuelle Thronfolgerin allerdings hatte sich an die Regel zu halten, die ihr aufgelegt wurden, hatte Pflichten und Aufgaben zu erfüllen, sie nicht vernachlässigt werden durften. Aufgaben, die Mana nun beherrschen lernen musste.

Leicht erstaunt blickte Seth sie an. „Scheinbar taugen sie wirklich etwas“, sagte er zögerlich, er hatte nicht erwartet, dass diese Worte jemals über seine Lippen kämen, dass er dies jemals würde zugeben müssen. „Aber genau aus diesem Grund wollte ich ja, dass du Unterricht bekommst...“

Mana nickte eifrig, erleichtert. Wie es aussah, nahm er ihr die Geschichte ab, sie würde also ihr Wort halten können. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen. „Solange mich jemand sehen kann, versuche ich mich zu benehmen“, sagte sie leise und schloss die Augen. „Ich mache es einfach so wie du.“

Der Hohepriester grummelte leise. Was sollte das wieder heißen? „Was willst du mir damit sagen?“, fragte er und sah sie von oben herab an, „Meinst du etwa, ich weiß mich nicht zu benehmen?“ Er rümpfte die Nase, was Mana zum kichern brachte.

„Ich benehm mich einfach total und spiele die Böse“, erklärte sie lächelnd und kuschelte sich weiter an ihn. „Kaum einer weiß doch, dass du nett sein kannst.“ War das eine Feststellung oder ein Vorwurf? „Jeder hält dich für den perfekten Hohepriester, also bist du doch ein gutes Vorbild für mich, oder?“

Seth wusste nicht so recht, ob sie ihm soeben ein Kompliment gemacht hatte oder nicht, und so entschied er sich dafür, dass es eines war. „Ich spiele also den Bösen, ja?“, fragte er und wusste nicht genau, ob sie recht hatte. Spielte er den Bösen? Oder war er tatsächlich der Böse? Er hatte schließlich lange genug nach dem Thron gestrebt und nun, nun ja, nun war er zum Greifen nahe, und all das völlig ohne sein Zutun.

Das Mädchen nickte erneut, grinste frech und ließ sich nach hinten aufs Bett fallen. Dabei fiel sie auf einen ihrer immer deutlicher werdenden Blutergüsse und musste sich das Aufschreien sichtlich verkneifen. Nein. Sie wollte niemals wieder zurück in diesen Unterricht, es stimmte, sie hatte vieles eingesehen, doch auf diese Weise etwas zu lernen war unmenschlich. Lieber brachte sie sich alles allein bei, verbrachte ganze Nächte damit, die Schriftrollen durchzuarbeiten. Wenn sie nur nicht wieder in diesen Unterricht würde zurückkehren müssen...

Seth sah ihr hinterher, und wollte gerade etwas erwidern, als er ihr verbittertes Gesicht sah, das sie für einen Augenblick nicht hatte verbergen können. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er besorgt und Mana nickte leicht erschrocken. Sie musste sich zusammenreißen!

„Bist du dir auch sicher?“ Seth fand ihr Verhalten eigenartig. Hing es wirklich nur damit zusammen, dass sie sich jetzt so sehr umstellen wollte? Die Etikette sollte schließlich nur ihr Auftreten in der Öffentlichkeit beeinflussen, nicht mehr und nicht weniger.

Mana sah ihn an, mit festem Blick und aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Er sollte sich keine Sorgen machen, er durfte sich keine Sorgen machen. „Ja, wirklich“, betonte sie und wechselte so schnell es ging das Thema. „Waren wir nicht noch eingeplant für den Nachmittag?“, fragte sie leicht lächelnd und ehrlich interessiert. Alles, was sie von diesem Unterricht ablenkte, war ihr äußerst willkommen.

„Das waren wir allerdings, ja“, sagte Seth, sah sie noch einmal an und erhob sich schließlich. „Diese Bediensteten scheinen sich jedoch auch alle Zeit der Welt zu lassen.“ Es war nicht zu überhören, dass es ihm nicht gefiel, dass sie ihn Warten ließen. Sie hatten sich nicht zu verspäten, wenn sie erwartet wurden, schließlich hatte er noch mehr zu tun, als nur auf sie zu warten um sich neue Gewänder fertigen zu lassen.
 

Meira erwachte, leicht benommen zwar, und doch war ihr Verstand von einer Klarheit durchflutet, dass es sie selbst wunderte. Sie konnte sich nicht erklären, wieso sie einerseits so wach, andererseits jedoch gleichzeitig so müde war.

Sie öffnete die Augen und lächelte. Sie waren alle hier. Akim, Cyrus – ihre Brüder. Sie atmete tief durch und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Langsam aber sicher fiel ihr alles wieder ein. Ein merkwürdiger Traum hatte ihren Schlaf beherrscht, verwirrend, die Zukunft entnebelnd – eine Vision fast. Noch immer lächelnd, blickte sie zwischen ihren Brüdern, die sie erst jetzt bemerkten, hin und her.

„Ich störe euch ja nur ungern“, sagte sie leise hauchend, es ging ihr zwar wesentlich besser, doch ihre Stimme war direkt nach ihrem Erwachen noch schwach, „Aber ich muss euch etwas erzählen.“

Sie wartete einen Moment, ehe ihre Worte zu Akim und Cyrus durchdrangen. Sie verstummten schlagartig und blickten ihre Schwester aufmerksam an.

„Geht es dir wieder gut?“, fragte Cyrus besorgt und strich ihr sanft über die Stirn, ihr Kopf lag schließlich noch immer in seinem Schoß. Sie nickte beruhigend. „Ich konnte rechtzeitig fliehen“, sagte sie merklich erleichtert, „Aber nun ... Ich hatte einen eigenartigen Traum“, erklärte sie, „Ich glaube, die Millenniumskette wollte mir etwas zeigen...“

Unsicher sah sie ihre Brüder an. Seit sie der Priesterin Isis kurz vor deren Tod die Kette abgenommen hatte, hatte sie immer wieder Gebrauch davon gemacht, doch jedes Mal war sie bewusst aktiviert worden. Dieses Mal jedoch hatte Meira nichts unternehmen müssen, um die Magie der Kette zu spüren, eine Magie, die der Ihrigen zwar unterlegen, aber dennoch nicht zu unterschätzen war - Millenniumsmagie.

„Die Millenniumskette?“, Cyrus blickte sie gespannt an, wartete darauf, dass sie weitersprach. Er hatte die Magie der Kette nie wirklich verstanden, hatte sie nie getragen. Nur seiner Schwester hatte sie ihr Geheimnis offenbart, sie war es schließlich auch gewesen, die sie der Priesterin abgenommen hatte.

Akim sah Meira bedächtig an. „Das ist Isis‘ Kette“, sagte er knapp und musterte sie genau. Wieso nur war er nicht früher darauf gekommen? Als der Nebel die Priesterin holen gekommen war, hätte er ihn erkennen können, doch seine Erinnerungen waren zu dieser Zeit noch tief verborgen gewesen.

Isis. Die Priesterin, der er einst eine Pflanze gestohlen hatte um sie an eine Schlange zu verfüttern, die er im Palastgarten gefunden hatte. Ein Schmunzeln legte sich auf sein Gesicht. Die Schlange hatte nicht ein einziges Blatt gefressen, die Priesterin war außer sich gewesen, doch ihre Wut hatte ihn nicht mehr getroffen. Sie wurde in die Finsternis der Nebel gezogen, ehe sie ihn dafür hätte büßen lassen können.

Nun also war die Kette hier, am Hals seiner Schwester.

„Ja“, fuhr Meira ungestört fort, „Die Millenniumskette ... Ich weiß nicht genau, was sie mir sagen wollte, aber ...“, sie suchte nach den richtigen Worten um die Bilder, die in ihrem Kopf bereits Gestalt angenommen hatten, darzustellen. „Aber ... da war dieses Mädchen ... und ein Tempel ... und zwei Priester ...“, sie plapperte schließlich einfach darauf los, zusammenhangslos, wirr und doch wurde sie nicht unterbrochen. „Es scheint einen Krieg zu geben ...“

Akim blickte sie an und dachte einen Moment nach. Dann schüttelte er seinen Kopf. „Von einem Krieg weiß ich nichts“, gab er zu, „Allerdings wurde ich auch in vieles nicht eingeweiht ...“ Dass er es nicht wusste, hieß daher noch lange nicht, dass es auch keinen Krieg gab.

Cyrus nickte verstehend. „Was war das für ein Tempel?“, fragte er äußerst interessiert und nachhakend, doch Meira konnte es ihm nicht sagen. Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht genau“, sagte sie leise und versuchte sich sein Bild ins Gedächtnis zu rufen, „Er scheint ziemlich geheim zu sein ... und ziemlich unbekannt, aber ... da war jemand ...“

Akim blickte auf. „Da war jemand?“, fragte er, „Wer?“ Jemand lebte in einem Tempel? Was sollte das bedeuten?

„Ich kannte ihn nicht“, antwortete Meira bedauernd, „Er hatte weißes Haar ...“

Weißhaarig ... Akim schüttelte erneut den Kopf. Einen weißhaarigen Menschen kannte er nicht. Die Einzige, deren Haar so hell war, war Kisara, doch diese, nun ja, sie war gewiss kein ‚Er‘, konnte es also nicht gewesen sein.

Unentschlossen blickte er auf die Kette an Meiras Hals. „Kannst du damit nicht in die Zukunft sehen?“, fragte er und versuchte sich zu erinnern, für was Isis ihre Kette immer gebraucht hatte.

Meira nickte. „Ich kann es versuchen ...“, sagte sie leicht zögernd. Es kostete eine Menge geistige Kraft, die Kette zu aktivieren, und sie wusste nicht, ob sie diese Kraft schon wieder würde aufbringen können, doch als auch Cyrus sie erwartungsvoll ansah, schob sie ihre Zweifel beiseite. Die Kette hatte ihr schließlich auch selbstständig etwas zu zeigen versucht, vielleicht wäre sie nun leichter zu kontrollieren.

Sie konzentrierte sich auf die Kette, und tatsächlich – sie sah Bilder vor ihrem inneren Auge aufflammen, Fetzen nur und doch ergaben sie in ihrem Kopf einen Sinn. „Ein König ... das Mädchen ... Libyen ...“, sie murmelte die Worte mehr vor sich hin, als dass sie sie aussprach, „Nebel ... das Mädchen ... Nebel ... ein Stab ...“

Cyrus beobachtete seine Schwester, irritiert und fasziniert zugleich. Es war fast, als befände sie sich in einer Art Trance, sie sah Dinge, die anderen verborgen blieben.

„Was hat das Mädchen mit dem Nebel zu tun?“, fragte er und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, „Und warum dieser Stab?“

Er verstand nicht, was sie ihm sagen wollte, konnte die Botschaft der Millenniumskette nicht entziffern.

Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass Meira wieder zu sich kam.

Sie fühlte sich eigenartig fremd, mit Wissen ausgestattet, dass nicht das Ihrige war und doch war sie wohl die Einzige, der sich die Situation in ihrer ganzen Absonderlichkeit vollständig erschloss.

„Der Stab ...“, versuchte sie zu erklären, „Er erhält seine Kraft aus unserem Nebel ...“

Skeptisch schauend schüttelte Cyrus den Kopf. Das konnte nicht sein. „Aus dem Nebel?“, fragte er ungläubig, „Aus unserem Nebel? Die Einzigen, die unseren Nebel kontrollieren können, sind wir drei!“

Niemand anderes hatte die Macht dazu, niemand würde sie jemals bekommen. Meira musste sich irren. Die Millenniumskette hatte ihr gewiss etwas anderes gezeigt, sie hatte es nur falsch gedeutet. Die Rothaarige stimmte ihm zu, schüttelte aber den Kopf. „Ich kann es auch nicht erklären“, sagte sie leise und blickte nachdenklich zu Akim, der als Einziger die ganze Zeit über still gesessen hatte, „Aber die Kette hat noch nie gelogen ... Trotzdem“, sie schaute wieder zu Cyrus, „Ich denke, der Mann ist erst einmal wichtiger.“

Der jüngste von ihnen nickte, sich nun endlich wieder ins Gespräch einmischend. Aus einem ihm unerfindlichen Grund war er sehr froh darüber, dass sie das Thema gewechselt hatte.

„Es wird also einen Krieg geben“, fasste er zusammen, „mit Libyen. Und was hat Mana damit zu tun? Und der Tempel? Und die zwei Priester? Und der weißhaarige Mann?“

Meira lächelte stumm.

Anubis

Die Sonne begann bereits hinter den Horizont zu sinken, fast getrockneter Schweiß ließ seinen muskulösen Körper glänzen. Der Tag war wieder einmal äußerst uneffektiv gewesen, uneffektiv, aber ertragreich.

Sein weißes Haar fiel in Strähnen in sein Gesicht und über seine Schultern, er schmiss seinen alten, roten Mantel in die Ecke und setzte sich auf seinen Thron. Es handelte sich dabei um einen alten, knöchernen Stuhl, der fast auseinander fiel, doch Bakura schätzte ihn. Er lehnte sich zurück, solche Raubzüge waren wirklich erfrischend einfach und doch kamen ihm die alten Techniken immer wieder zu Gute. Es gab keinen Zweifel, er war der Beste, beherrschte sein Fach wie kein Zweiter.

Von seiner Unterkunft aus hatte er den Palast und seine Diener genauestens im Blick, konnte jeden ihrer Schritte verfolgen.

Ohne Verpflichtungen war das Leben doch wirklich schön. Er sollte sich als nächstes um die Schätze des Pharaos kümmern, sie riefen ihn förmlich, so schlecht waren sie bewacht. Er war schon mehrfach in die Schatzkammer eingedrungen, unentdeckt und dennoch war er unverrichteter Dinge wieder gegangen. Seine Tarnung und sein Versteck aufzugeben war er nicht bereit; leichtfertige Risiken hatten zwar ihren Reiz, sollten aber umgangen werden, wenn man es zu etwas bringen wollte, wenn man einen Ruf schätzte, wie Bakura ihn pflegte. Der König der Diebe. Er war verrufen, grausam und selbstgerecht. Seine einzigen Motive waren Rache und Gier.

Seine Gier war überschwänglich, niemand hatte ihn je darin übertreffen können. Das Wissen, dass er alles erreichen konnte, was ihm in den Sinn kam, war mehr als befriedigend, doch er wäre nicht derjenige geworden, der er war, wenn er sich damit zufrieden gegeben hätte.

Er wollte mehr, wollte alles und jeden unterwerfen. Seine Fänge waren stets ausgestreckt, auf der unersättlichen Suche nach neuer, um sich schlagender und doch hilfloser Beute.

Bisher war es nur einmal in seinem Leben als König der Diebe geschehen, dass sich jemand seinem Willen nicht gebeugt hatte, nur einmal und doch war ihm niemals ein Fehler teurer zu stehen gekommen.

Er hätte sie niemals am Leben lassen dürfen, doch es war geschehen und sie hatte ihre Strafe bekommen. Jede noch so ungeschickte und unerwartete Tat trug jedoch irgendwo einen Vorteil in sich. Er musste ihn nur finden.
 

Die Luft war bis zum Zerreißen gespannt, die Ungeduld kaum zu ertragen. Der Anblick nicht nur einer sondern gleich vierer Schriftrollen hatte sowohl Shada als auch Karim unerwartet getroffen. Was auch immer in diesen Rollen stand, eines war ganz sicher: Es war auf keinen Fall für sie bestimmt.

Des Pharaos Bruder persönlich hatte die Rollen versiegeln lassen, es war anzunehmen, dass es inzwischen niemanden mehr gab, der in sein Geheimnis eingeweiht war.

Unerwartete Gier fuhr in ihre Glieder, als sie die Rollen schließlich öffneten, die Siegel waren leicht zu durchbrechen, wusste man nur wie.

Sie beide hatten gewissen schon viele solcher Siegel durchstoßen. Shada hielt die erste Rolle in seinen Händen, das Siegel zerstört und so öffnete er sie, langsam um das wertvolle Pergament nicht zu beschädigen.

Ihm stockte der Atem, als er las, was geschrieben stand. Mehrfach, wie um sicher zu gehen, dass er nicht irrte, studierte er die Federstriche auf dem feinen Pergament, die jedem Gelehrten weit mehr interessiert hätten, als dessen Inhalt.

„Sie stammt aus Libyen“, sagte der Kleinere ausdruckslos, als er seine Fassung wiedererlangt hatte, und blickte zu seinem Freund, der ihm ohne zu zögern die Rolle entriss.

Erschrocken blickte Karim ihn an, lass dann ebenfalls die Worte, die alles andere als missverständlich waren. Dennoch konnte er es nicht glauben. Wie nur war jemand wie sie in den Palast gekommen?

„Ihre Mutter war Sklavin?! Das ist schrecklich!“

„Verkauft nach Kul Elna...“ Es war nicht so, als hätte er Mitleid mit der Kleineren, ganz im Gegenteil. Doch ein Gör mit libyscher Abstammung im Palast und das sogar noch an solch hoher Position... Ausgerechnet jetzt, da der Krieg gegen dieses Land kurz bevor stand... Das war unverantwortlich.

Er öffnete die nächste Rolle und blickte grimmig zu Karim, der nur ungläubig den Kopf schüttelte. „Wenn das herauskäme“, murmelte er leise und starrte wie gebannt auf die Schriftrolle in seines Freundes Händen.

„Ob der Hohepriester davon weiß?, fragte er und war sich doch noch während er diese Worte aussprach völlig darüber im Klaren, dass Hohepriester Seth nicht einmal die geringste Ahnung haben konnte.

Ein hämisches Grinsen legte sich auf sein Gesicht. „Sie ist anscheinend bei einem Überfall auf ihr Dorf von des Pharaos Bruder, Akunadin, persönlich mitgenommen worden“, erklärte er Karim und erlöste ihn damit von seiner Ungeduld, „Erst in den Dienerstand aufgenommen, dann zur Priesterschülerin gemacht...“

Manas Lebenslauf las sich wie ein schlechter Witz, stellte Shada trocken fest. „Aber ich habe keinen Grund für den Angriff gefunden.“

Was nur konnte Priester Akunadin dazu bewegt haben ein kleines Mädchen mit an den Hof zu bringen? Noch dazu eine Tochter von Sklaven?

Karim war ebenso wenig überzeugt, schüttelte mit krausgezogener Stirn den Kopf. „Das macht doch alles keinen Sinn...“, sagte er zweifelnd und blickte über Shadas Schulter hinweg ebenfalls die Schrift. „Welchen Grund sollte er gehabt haben, ausgerechnet sie mit in den Palast zu nehmen?“

„Ich sehe auch keinen...“, gab der Kahlköpfige zurück, und drückte ihm die letzte der vier Rollen in die Hand. „Vielleicht steht es darin“, meinte er, während er selbst die dritte Rolle öffnete, die jedoch nicht sonderlich aufschlussreich war und nur ihre nicht sonderlich herausragenden Leistungen in der Priesterschule dokumentierte.

Der Schwarzhaarige nahm die Rolle entgegen und stockte von neuem. Sie war noch ein zweites Mal versiegelt, wie er feststellte, doch auch dieses Siegel konnte ihn nicht aufhalten. Als er die Schriftzeichen schließlich gekonnt entzifferte, stockte ihm der Atem. Er konnte kaum glauben, was er las, musste es mehrfach lesen um sicher zu sein, dass seine Augen ihm keinen Streich spielten.

„Ihr Vater...“, erklärte er schließlich stockend, „... ist ... der König ... der Räuber...“

Es dauerte noch nicht einmal eine Sekunde, bis Shada die Rolle ebenfalls gelesen hatte. Er hatte sie Karim entrissen, während dieser noch sprach.

Nun blickte er ihn fassungslos an. „Bakura?! Ihr Vater?!“

Der König der Räuber war den Priestern durchaus bekannt, viel Ärger hatte er am Hof bereitet, bevor er untergetaucht war. Der Überfall auf Kul Elna, sein Heimatdorf, den er niemals hätte überleben dürfen, war ein weiteres Geheimnis, dass Shada und Karim nicht verborgen hatte bleiben können.

Vor einigen Jahren hatte der Priester Akunadin, dem als Bruder des Pharaos die Verteidigung des Landes oblag, einen Pakt voll dunkler Magie geschlossen. Schwarze Seelen aus einem Dorf voller Räuber, weit entfernt von der Hauptstadt – der Pharao selbst hatte nichts davon gewusst.

Eine junge Frau, gezeichnet von ihrem Schicksal, hatte sich an ihn gewendet, ohne Frage war sie schon sehr oft schwer misshandelt worden, und doch leuchtete aus ihren smaragdgrünen Augen ein Lebenswille und ein Trotz, der den Priester beeindruckt hatte.

Er hatte mit seinen Männern durch ihre Führung ein Dorf gefunden, das wie gemacht gewesen war für sein Vorhaben. Dunkle Seelen, geopfert für die Verteidigung des Landes. Das Dorf brannte, die Millenniumsgegenstände wurden erschaffen.

Nur einer überlebte das Massaker, das Akunadin in Kul Elna veranstaltet hatte. Einen einzigen Dolch in der Hand beobachtete er alles und wartete auf den Zeitpunkt seiner Rache. So stand es geschrieben.
 

Shada grummelte unüberhörbar. Die Überlieferung musste eine Lücke aufweisen, wenn stimmte, was in den Schriftrollen stand, die über Mana aufbewahrt worden waren.

Akunadin hatte Mana in den Palast gebracht, ihr ein neues Leben geschenkt. Ein Leben, weit entfernt von all den Räubern und Dieben, die Kul Elna ihre Heimat genannt hatten.

Wenige nur wussten, dass Akunadin schon einmal ein Kind zu retten versucht hatte – sein eigenes.

Spät erst hatte der Priester Seth von seiner wahren Herkunft erfahren, spät hatte er erfahren, dass er hätte Pharao werden sollen, wenn Atemu nicht eben jenen Platz eingenommen hätte ...

Shada lief unentschlossen und gereizt im Raum auf und ab. Er war außer sich, in entsetzlicher Rage, und doch versuchte er krampfhaft einen kühlen Kopf zu bekommen.

„Es ist kein Wunder, dass sie sich so benimmt, bei der Abstammung!“, er schüttelte den Kopf und fauchte leicht. „Wir müssen unbedingt herausfinden, was sie vor hat“, sagte er streng, „Es kann böse Folgen haben, wenn Bakura durch dieses Gör als mögliche Königin Rechte in Ägypten bekommt!“

Es war, als ließe er seiner Wut freien Lauf, in dem er hin und her lief und Karim anschrie. „Auch noch Libyerin!“, zischte er entsetzt.

Karim zog es vor, ihm nicht zu widersprechen. „Die Hochzeit muss auf jeden Fall verhindert werden“, sagte er bestimmend, „Das können wir nicht zulassen, der Hohepriester wird davon erfahren müssen, und der Pharao auch!“

Ein hinterhältiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Dann wurden sie dieses schreckliche Kind endlich los.

Grummelnd nickte der Kleine, sah aber seinen Freund nicht an. „Sie wird es bereuen gewagt zu haben, jeden einzelnen zu belügen!“

Schließlich blickte er doch auf, entdeckte das Lächeln auf Karims Gesicht und verstand. Seine Stimmung schlug schlagartig um, als er die Rollen zusammendrehte und in seinem Arm sammelte.

Das Grinsen auf Karims Gesicht festigte sich. „Ausgerechnet jetzt, da der Krieg gegen Libyen kurz bevor steht...“, er schüttelte lächelnd den Kopf. „Das wird Folgen haben, die sie nie erwartet hätte.“

„Wir sollten uns sofort auf den Weg machen“, drängelte Shada ungeduldig, „Je eher wir sie loswerden, desto besser ist es!“ Der Priester lachte kurz auf, hohl und kalt. „Ich freue mich schon auf das Urteil des Pharaos...“ Es konnte gar nicht anders ausfallen als hart, aufgrund des nahenden Krieges blieb dem Herrscher nichts anderes übrig, auch wenn er mit Mana befreundet war, das Wohlergehen des Volkes war in Gefahr und das konnte auch er nicht übersehen.

Karim war zwar seiner Meinung, zögerte aber dennoch. Er dachte nach. „Könnte man nicht...“, setzte er an und versuchte die Worte so zu drehen, wie es ihm am besten passte. Er wollte dieses Wissen nicht ungenutzt preisgeben. „Ich meine, wenn das herauskommt, ist sie geliefert.“

Shada sah ihn skeptisch an, unterbrach ihn aber nicht. Er hing förmlich an Karims Lippen, als dieser fortfuhr: „Wir sollten noch warten, ehe wir dem Pharao davon berichten“, sagte er leise, ehe ihn das Lachen übermannte und er es nicht länger zurückhalten konnte. „Das Mädchen soll immerhin Königin werden. Nun endlich haben wir die Macht das zu verhindern.“ Selbstverliebt lauschte er seinen Worten und fand mit jeder Sekunde mehr Gefallen daran. „Sie hat schon so viel für den Priester getan, sie wird sicher alles dafür tun, wenn wir für sie schweigen.“

„Eine willige Sklavin also...“ Shadas vor Wut verzehrtes Gesicht hellte sich auf, seine Gier nährte sich von dieser Vorstellung. Karims Idee war gut, sehr gut sogar. Eine Sklavin wie ihre Mutter es gewesen war. Das musste dem libyschen Balg doch gefallen.

„Wir sollten die Rollen in Sicherheit bringen“, sagte er erwartungsvoll und umsichtig, die Beweise für ihre Herkunft nicht sorgsam zu bewachen, erschien ihm äußerst leichtsinnig. „Und danach schnappen wir uns die Kleine.“ Das finstere Grinsen auf Shadas Gesicht wurde nur von seiner Gier nach Macht übertroffen.

Karim nickte. „Wir brauchen einen sicheren Ort“, sagte er vergnügt, „Einen Ort, den sonst niemand aufsuchen würde.“

„Gibt es so einen in diesem Loch?“, entgegnete Shada harsch und respektlos, doch das Lächeln auf Karims Gesicht wich nicht.

„Aber sicher“, antwortete er selbstgefällig, „Was hältst du vom geheimen Tempel des Anubis?“, schlug er vor, „Niemand geht je dorthin.“

Zur Antwort lachte Shada laut auf.
 

Der Weg zum Tempel des Anubis war lang, beschwerlich und dunkel. Da niemand ihre Schritte verfolgen können sollte, hatte Karim mit einem Zauber dafür gesorgt, dass sie vor unerwünschten Augen verborgen blieben, während Shada die Schriftrollen an sich drückte, als handelte es sich um große und wertvolle Schätze.

Viele Gänge lagen vor ihnen, kalt, dunkel, ausgestorben. Der Tempel war schon vor vielen Generationen verlassen worden, nicht mehr als eine geplünderte Grabstätte war übrig. Und doch waren die Wege erhalten geblieben, auch wenn sie schon vor langer Zeit ihren Glanz verloren hatten.

Durch eben diese Gänge liefen Karim und Shada nun mit höchster Vorsicht und Erregung. Sie kannten den Weg, den sie einschlagen mussten, sie hatten alles über die Überlieferung gelesen, die von der Zeit berichtete, als der Tempel noch in all seinem Glanz gestrahlt hatte. Sicheren Schrittes eilten die Priester durch die Finsternis, erreichten schließlich den Ort, an den sie zu gelangen suchten.

„Da vorne ist es“, hauchte Karim leise und verlangsamte seinen Schritt. Ihr Ziel war zum Greifen nahe, von gespenstischer Schönheit und in einem bleichen Licht leuchtend – der geheime Tempel des Anubis.

Bakura

Erschöpft saß Mana auf einem Stuhl, die Beine übereinander geschlagen, das Gähnen unterdrückend.

Das Letzte, das sie jetzt wollte, war schlafen. Schlaf, das hieß nachdenken, verarbeiten. Jedoch nicht verdrängen, und genau das war es, was sie im Augenblick wollte. Nur nicht zur Ruhe kommen, nur nicht an diesen Unterricht erinnert werden.

„Hatten wir nicht noch Pflichten?“, fragte sie hoffnungsvoll an Seth gewandt, der vor ihr stand. Sein Gesicht war ein einziges Rätsel für sie, sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was er im Augenblick dachte. Sie hoffte inständig, dass er ihre Lüge nicht durchschaut hatte, sie wusste nicht, was geschehen würde, wenn er verstand, wie diese Stunde wirklich abgelaufen war, und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es herausfinden wollte.

Nein, weder durfte Seth etwas erfahren, noch durfte sie ihr Versprechen gegenüber Shada und Karim brechen.

„Ich weiß nicht, wieso der Pharao soviel Wert darauf legt, dass unsere Gewänder fertig werden, wo er sich doch um einen Krieg zu kümmern hat und dafür jede freie Hand gebraucht wird“, sagte der Hohepriester nachdenklich und machte Mana damit glücklicher, als er es ahnte. Einfach an etwas anderes denken, alles nur nicht nachdenken...

Und auch wenn der Themenwechseln mehr als freudig aufgenommen wurde, stimmte das Thema sie nachdenklich, besorgt und traurig. Seth sprach mit solch einer Dringlichkeit und gleichzeitig mit einer ungekannten Kälte von diesem Krieg, dass es sie schauderte.

Unausgesprochene Fragen lagen zwischen ihnen, distanzierten sie voneinander, ohne, dass sie es beabsichtigt hätten.

Wann ging es los? Würde alles gut gehen?

Sicher, Seth war stark und ein mächtiger Heerführer, das wusste Mana, aber einen Krieg zu unterschätzen, wäre einer der schlimmsten Fehler, den sie begehen konnte. Wieso nur musste ausgerechtet jetzt dieser Krieg vor der Tür stehen, wieso musste er sie ausgerechnet jetzt allein lassen?

Nun, da sie ihn am allermeisten brauchte. Mana seufzte vernehmlich, sah ihren Verlobten mit großen Augen an. „Wann musst du los?“, fragte sie leise.

Der Hohepriester fing ihren Blick auf und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich weiß es nicht“, sagte er ernst und wahrheitsgetreu, „Das wird sich erst noch herausstellen.“

Die Brünette verzog das Gesicht. All diese Ungewissheit gefiel ihr gar nicht. Lieber hätte sie eine klare, eindeutige Antwort bekommen, anstatt weiter zu warten auf einen Tag, der vielleicht schon am nächsten Morgen anbrach, vielleicht aber auch noch ein paar Wochen entfernt lag.

Eines war jedenfalls gewiss, dieser Tag würde ganz sicher kommen, egal wie sehr es ihr widerstrebte, daran zu denken.

„Aber du kommst dann ganz schnell wieder, ja?“, startete Mana einen weiteren hoffnungslosen Versuch, obwohl sie genau wusste, dass auch das nicht in des Priesters Händen lag.

Seths Gesicht verhärtete sich. „Mana, ich kann dir wirklich nichts versprechen“, antwortete er seufzend, doch das Mädchen gab nicht auf.

„Dann versprich mir wenigstens, dass du wiederkommst...“ Sie flehte ihn fast schon an, ihr diesen Gefallen zu tun, sie brauchte einfach eine Sicherheit, auch wenn diese Sicherheit auf einem wackligen Fundament aufbaute. „Die libyschen Truppen können dir doch nichts anhaben“, sagte sie leicht hysterisch, „Die sind doch schon so gut wie tot...“

Seth legte seine Hände auf Manas Schultern und ging in die Hocke um ihr in die Augen sehen zu können.

„Mach dir keine Sorgen, ja?“, sagte er leise und lächelte in dem Versuch sie zu beruhigen, „Ich werde zu dir zurückkommen. Siegreich.“
 

Schwere Schritte hallten durch die Gänge und ließen ihn aufhorchen. Sie kamen näher und das sogar relativ schnell.

Ein Lächeln legte sich auf Bakuras Gesicht, die Schatzkammer des Pharaos konnte warten. Er bekam also Besuch. Einem solch seltenen Ereignis galt es nun seine gesamte Aufmerksamkeit zu schenken.

Er erhob sich von seinem Thron, warf sich seinen Mantel gekonnt über die Schultern. Eine Herausforderung stand vor ihm, endlich wieder wollte sich jemand mit ihm messen, es war fast wie ein Spiel, ein Ritual, das sich ständig wiederholte.

Wer auch immer sich ihm stellte, er würde ihn unterschätzen, sich in falsche Sicherheit wiegen und erbarmungslos niedergeschmettert werden.

Zum Tempel des Anubis gab es nur einen Eingang, das machte diesen Ort zu einem wahrlich hervorragend geeigneten Versteck. Die Nähe zum Palast tat ihr übriges.

Als die verborgene Tür, die den Weg in den Tempel ebnete, sich langsam und leise knarrend öffnete, war der König der Räuber bereit, seine Gäste zu empfangen.

Breit grinsend öffnete er seine Arme und hieß die vor Schreck und Entsetzen erstarrten Männer in seinem Reich willkommen. „Wie nett, dass ihr mich besuchen kommt“, sagte er übertrieben höflich, „Auf Dauer ist es ziemlich einsam hier.“ Seine Stimme klang hinterhältig, falsch, kehlig – wie ein Raubtier knurrte, wenn sich seine Beute in seinen Fallen verfing. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“

Seine Anwesenheit traf die beiden Männer völlig unvorbereitet, sichtbar erschüttert starrten sie den Weißhaarig an, der noch immer lächelte.

„Du bist doch...“, kam es von dem größeren der Beiden zunächst zögern, dann jedoch fasste er sich. „Wie kommst du hier herein?!“

Es war nur allzu deutlich, dass es hinter seiner Stirn ordentlich arbeitete, doch was auch immer er sich zusammenreimte, es war Bakura egal.

„Was schaut ihr denn so überrascht?“, fragte er schneidend und lachte auf, „Habt ihr nicht erwartet einen König in diesem Tempel zu finden?“ Als keiner der Beiden antwortete, fuhr er leicht ungehalten fort: „Ich habe euch eine Frage gestellt, es wäre sehr zuvorkommend, wenn ihr die Herzensgüte hättet, sie mir zu beantworten. Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“
 

Shada grummelte. Er konnte es einfach nicht fassen, kam sich vor wie in einer verkehrten Welt. Bakura. Hier. Im Tempel des Anubis.

Wie lang schon hielt er sich hier versteckt? Wieso war niemandem etwas aufgefallen? Die Anwesenheit des Königs der Räuber hätte jemanden stutzig machen müssen, ganz sicher. Wie war er hier hereingekommen?

Andererseits, der Tempel des Anubis war ein ganz spezieller Ort. Sie selbst hatten ihn als sicher genug eingestuft, um dort die Rollen zu verbergen, die ihnen eine Macht geben konnten, die sie niemals erwartet hätten. Niemand ging jemals hierher.

So dachten sie. Bakuras Anwesenheit änderte alles. Auf eine unerwartet bizarre Art und Weise fügte sich dieses Stück des Puzzles nahtlos ins Ganze ein, es konnte gar nicht anders sein. Sicher hatte die Göre doch noch eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit, eine Verbindung, die sie niemals aufdecken würde.

Sicher hatte sie ihrem Vater dabei geholfen, unbemerkt den Palast zu betreten, um dann im Tempel des Anubis unterzukommen. Als ehemalige Priesterschülerin musste sie Zugang zu den Akten gehabt haben, die ihr das Schicksal des geheimen Tempels nahegebrachten.

Der Kleinere der zwei Priester funkelte den Meisterdieb finster an, er war genauso überheblich und abscheulich, wie er es erwartet hatte, auch wenn er nicht damit gerechnet hatte, ihn tatsächlich so bald anzutreffen.

„Die Frage ist doch wohl eher“, zischte er etwas lauter und bei weitem sicherer als Karim zuvor zu ihm gesprochen hatte. „Warum bist du hier und was willst du hier?“ Er fauchte Bakura an, der zwar selbst nicht sonderlich groß, aber trotzdem ein Stück größer war als er.

Karim stand direkt neben ihm und sah nicht weniger gereizt aus. „Du hast hier nichts zu suchen!“, knurrte er den Weißhaarigen an, und hielt gleichzeitig die drei Schriftrollen fester. Bakura durfte sie auf keinen Fall in die Finger kriegen.

Die vierte Rolle hatten Shada und er im Archiv gelassen und damit die Gleichmäßigkeit der Aufzeichnungen wieder hergestellt. Eine Rolle für jeden Schüler und nicht mehr.

Die anderen drei Rollen jedoch hatten sie an sich genommen, und in ihrem Besitz sollten sie auch bleiben.

Bakura lachte nur unbekümmert auf. Er hatte hier nichts zu suchen? Vielleicht. „Aber ihr, ja?“ Voller Hohn klang seine Stimme, es war völlig offensichtlich, auch ihm war bewusst, dass der Tempel schon vor langer Zeit verlassen worden war.

Der Schwarzhaarige starrte ihn mit festem Blick an. „Natürlich! Dies ist ein Heiligtum Ägyptens und wir sind Priester dieses Landes.“

Bakura zuckte mit den Schultern, gleichgültig fast, es schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. „Nun gut“, sagte er locker, „Dann seht euch in Ruhe um. Aber wehe, ihr fasst etwas an!“ Die Drohung war nur allzu deutlich, sein Grinsen verstärkte diesen Eindruck nur noch. Es war ganz klar. Bakura betrachtete den Tempel des Anubis als sein persönliches Eigentum.

„Was wagst du eigentlich?!“, fuhr Shada sauer auf, „Verschwinde gefälligst von hier!“

Wollte er ihn einfach nur loswerden? Oder hatte ihn die plötzliche Anwesenheit des Meisterdiebes aus dem Konzept gebracht?

Bakura sah ihn breit grinsend an, wohlwissend, dass er ihn damit auf die Palme brachte. „Warum sollte ich?“, fragte er unschuldig, „Von hier aus kriege ich alles mit, hier erwartet mich niemand. Außerdem“, er zog seine Aussage genüsslich in die Länge, „Was habt ihr schon zu sagen?“

„Wenn der Pharao von deiner Anwesenheit erfährt...“, setzte Karim zu einer Drohung an, die, wie er selbst wusste, leer war. Den Pharao einzuweihen würde zu viele Fragen aufwerfen, zu vieles das besser ungesagt blieb. Und so brach er sein Unterfangen, Bakura einschüchtern zu wollen, schnell wieder ab, er wusste genau, dass es nichts brachte. Nicht nur, dass er seine Warnung nicht ernst machen konnte, nein, es war auch offensichtlich, dass der von ihm Bedrohte sich nicht im geringsten darum kümmerte.

Genervt verdrehte Bakura die Augen. „Der Pharao?“, fragte er gleichgültig, drehte sich mit dem Rücken zu seinen Gästen und atmete tief durch. „Glaubst du wirklich, dass ich euch hier lebend wieder herauslasse?!“

Seine Stimme hatte an Schärfe und Kälte deutlich zugenommen, die durchschnitt die Luft, die hinter den schweren Wänden des Tempels nur so stand. Doch auch Karim ließ sich nicht einschüchtern. Er hatte auf keinen Fall vor sich von dem König der Räuber einfach so umbringen zu lassen. Es war schließlich nicht so, als ginge ihn sein Leben nichts an. Bakura mochte einen kaltblütigen und rücksichtslosen Ruf haben, doch das beeindruckte den Priester kaum.

Er ging einige Schritte auf ihn zu, die Schriftrollen außer Sichtweite verborgen. „Vielleicht sollten wir ins Geschäft kommen...“, schlug er vor, vielleicht war der Weißhaarige grausam, aber Verhandlungen, die zu seinen Gunsten ausgehen konnten, mussten auch ihm gefallen. Er war schließlich ein Spieler.

Skeptisch blickte Bakura ihn an, lachte dann finster auf. „Guter Witz!“, pflichtete er bei und musterte den Größeren voller Verachtung.

Karim blieb ernst. „Das war kein Witz“, sagte er ruhig.
 

Shada betrachtete seinen Freund nachdenklich. Er wusste nicht, worauf Karim hinaus wollte, doch er hielt sich zurück. Sein Interesse war geweckt, dachte Karim etwa anders als er? Was wollte er dem Dieb anbieten? Ihn in der Hand zu haben, könnte sich durchaus als praktisch und hilfreich erweisen.

Er musste nur darauf vertrauen, dass Karim wusste, was er tat.

In diesem Sinne ergänzten sie sich ganz wunderbar. Er selbst brauste schnell auf und verlor sich in rasender Wut, Karim jedoch war ruhiger, nachdenklicher. Er war stets bemüht einen ruhigen Kopf zu bewahren, um letztendlich immer einen Vorteil für sie Beide zu erzielen.

In diesem Sinne war er sehr gespannt darauf zu erfahren, wie sein Freund Bakura um den Finger zu wickeln gedachte.

Jener betrachtete desinteressiert die Wand. „Und was willst du?“, fauchte Bakura, „Was hast du zu bieten?“ Es hätte kaum deutlicher sein können, dass er nicht erwartete von zwei Priestern etwas so wertvolles zu bekommen, dass es reichte um ihnen ihr Leben zu lassen.

Der Schwarzhaarige kostete den Moment voll aus, „Sagen wir es einfach so“, erklärte er genüsslich, „Unser Wissen könnte dir einige Vorteile bringen...“

„Und euer Wissen ist?“, Bakura wendete sich ihnen wieder zu und verdrehte kunstvoll die Augen. Dennoch. Er klang deutlich interessierter als zuvor.

Karim sah ihm in die mattblauen Augen, zögere.

„Was garantiert mir, dass du mich nicht hintergehst, wenn ich es dir sage?“, fragte er berechnend, er wusste genau, dass er Bakura an der Angel hatte. Er durfte ihn jetzt nicht wieder vom Haken lassen.

„Du hast die Wahl“, antwortete dieser und lächelte wieder überlegen. „Du kannst es mir verraten, oder du stirbst.“ Solche Verhandlungen gefielen ihm, er hatte alles in der Hand. Nichts gab den Priestern die Sicherheit, dass er sie verschonte, und er hatte es auch nicht vor. Sie hatten zu viel gesehen, seine Anwesenheit durfte niemandem bekannt sein, bevor er sie Anonymität nicht von selbst opferte. Und die Annehmlichkeiten des Tempels gedachte er nicht kampflos aufzugeben.

„Ich brauche dein Wissen nicht“, schloss er kalt und Karim ließ sich auf sein Spiel ein.

„Wenn du mich jetzt tötest, werde ich dein Geheimnis mit ins Grab nehmen“, sagte er geheimnisvoll, lächelnd.

„Mein Geheimnis?“

Das Lächeln auf Karims Gesicht wurde breiter und gleichzeitig kälter. „Oder sollte ich sage...“, er sah seinem Gegenüber direkt in die Augen, „Euer Geheimnis?“

Abschätzend sah Bakura ihn an. „Sprich dich ruhig aus“, sagte er fordernd, doch Karim ließ es sich nicht nehmen, ihn noch länger zappeln zu lassen. „Du könntest ganz legal an Macht kommen in diesem Land“, sagte er und achtete dabei ganz genau auf seine Worte, „Einfluss... Reichtum... all das könnte schon bald dir gehören.“

„Ach und wie würde ich da wohl herankommen?“, fragte er schneidend und grinste dennoch dabei. „Etwa durch euch?“ Er kam der Sache näher, viel länger konnte der Priester den springenden Punkt nicht verschweigen.

„Durch uns“, stimmte Karim zu und richtete seinen Blick für einen Moment wissend zu Shada, der erwartungsvoll nickte, sich ansonsten aber weiterhin aus dem Gespräch heraushielt. „Und durch deine Tochter.“

Leicht erschrocken fuhr Bakura zusammen, blickte ihn finster an, ganz so, als würde er jeden Moment auf ihn losgehen wollen, doch er fing sich auch genauso schnell wieder.

Nach der Schrecksekunde begann er, herzhaft zu lachen. „Du bist anscheinend sehr oft zu Scherzen aufgelegt“, sagte er leicht mitleidig, „Wie kommst du darauf, ich hätte eine Tochter?“ Obwohl er lachte, war die Schärfe in seiner Stimme nicht zu überhören.

„Glaube es oder glaube es nicht“, sagte Karim ernst, „Es ist deine Wahl...“

Abschätzend blickte Bakura ihn an, lauerte auf seine Gelegenheit. Er ging auf ihn zu. „Sprich weiter... Meine Tochter also, ja?“ Bedrohlich funkelte er ihn an, erwartungsvoll, angriffslustig.

Karim nickte. „Deine Tochter, ja“, wiederholte er ruhig, „Sie lebt hier im Palast...“

Der König der Räuber ging langsam um Karim und Shada herum. Natürlich. Er hatte viele Frauen gehabt, keine davon war mit dem Leben davon gekommen. Keine hatte er verschont. Keine, bis auf eine... Er verfluchte sich selbst dafür, dass er sie nicht erledigt hatte, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte. Sie und ihre verfluchte Tochter...

Er hatte geglaubt, sie wäre tot, niemand hatte den Überfall auf Kul Elna überlebt, keiner der heruntergekommenen Räuber und Sklaven hatte entkommen können.

Nur ihm allein war die Flucht geglückt. Aber wenn seine Tochter nun im Palast lebte...

„Warum sollte sie?“, fragte er mit einem hinterhältigen Grinsen, wenn sie hier lebte, dann würde er sie zu benutzen wissen, sie, die sie die größte Schande seines Fleisches darstellte.

Auch Karim grinste. „Sind wir im Geschäft?“, fragte er und wusste genau, dass er sein Ziel erreicht hatte.

Bakura nickte widerwillig. Er konnte ihn schließlich auch hinterher noch umbringen. „Erzähl mir alles, was du weißt!“, befahl er.

Maskerade

Die Diener waren gerufen, es konnte kaum noch lange dauern, ehe sie untertänigst darum bitten würden, eintreten zu dürfen um ihre Pflichten zu erfüllen. Mana hätte sich gern ausgeruht, doch gleichzeitig graute ihr davor. Die Ruhe würde ihr keine Erholung bringen.

Aber gleich so viele Menschen um sich herum wuseln zu lassen, begeisterte sie nicht mehr. Was blieb ihr anderes übrig als es über sich ergehen zu lassen? Sie hatte nicht die Freiheit der Wahl, hatte die Pflichten zu erfüllen, die man an sie stellte. Gepflogenheiten musste sie annehmen, die nicht die Ihren waren.

Sie seufzte leise. Wie nur sollte sie dem jemals gerecht werden? Wie nur sollte sie jemals bewandert sein in der Etikette, wo doch ihr Unterricht so ... so war, wie er war?

Konnte sie das wirklich allein schaffen? Hatte sie eine andere Wahl? Sie musste es allein schaffen, wenn sie an Seths Seite bleiben wollte, und das wollte sie auf jeden Fall.

„Und mit dir ist wirklich allein in Ordnung?“, wieder riss er sie aus ihren Gedanken, wieder konnte sie nichts überzeugenderes hervorbringen als ein Nicken. „Ja“, antwortete sie leise, „Alles ist okay, das war nur ganz schön anstrengend.“ Sie setzte ihr bestes falsches Lächeln auf und sah ihn schüchtern an. Konnte er das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen?

„Das soll ich dir glauben?“, entgegnete der Priester ernst, alles andere als überzeugt. „Was ist passiert?“

Ihm etwas vorzumachen war wirklich schwieriger als sie es erwartet hatte. Und doch musste sie es tun, sie musste einfach...

Sie drückte ihren Körper an den Seinen und schüttelte den Kopf. Sie konnte es ihm einfach nicht sagen, es ging einfach nicht. „Nichts, ehrlich!“, beharrte sie und verbarg ihr müdes Gesicht in seinem Gewand.

Doch der Hohepriester glaubte ihr kein Wort. Dass sie so müde und verspannt wirkte, passte einfach nicht zu ihr. Ausgerechnet sie, die sonst pausenlos plapperte und durch die Gegend hüpfte, sollte von einer einfachen Einführung in die Etikette so erschöpft sein?

Er bückte sich zu ihr herunter und zwang sie so ihm ins Gesicht zu sehen. „Ist das deine letzte Antwort?“, fragte er besorgt und doch mit Nachdruck.

Sie öffnete kurz ihren Mund wie um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch sogleich wieder. „Ja, es ist nichts passiert“, wiederholte sie lächelnd, doch nichts hätte sie lieber getan, als zu weinen.

Seth glaubte ihr noch immer kein bisschen, nickte aber schließlich. „In Ordnung, aber wenn etwas ist, dann musst du es mir sagen“, verlangte er. Aus ihr war nichts herauszubekommen, das wusste er, und doch konnte ihm nicht entgehen, dass sie etwas vor ihm geheim hielt. Er wusste nicht, was es war, aber er würde es herausfinden.

Es klopfte an der Tür. Seth hielt Mana in seinen Armen, drückte sie fest an sich. „Ich verlasse mich auf dich, hörst du?“, flüsterte er, ehe er die Wache herein bat, die gekommen war, um ihm mitzuteilen, dass die Hofschneider angekommen waren.

Mana stellte sich neben ihren Verlobten, erleichtert, aufgeregt. Jetzt konnte sie vergessen, zumindest für eine Weile. Es wurde wirklich Zeit, dass sie kamen, sie hatten sie unglaublich lange warten lassen.

Der Hauptschneider trat ein und verneigte sich vor Seth. Mana lächelte still. Sie wusste, dass der Priester sehr viel Wert auf dieses lächerliche Verhalten legte, sie selbst fand es ausgesprochen albern.

„Nun“, sprach Seth würdevoll und gleichzeitig ungeduldig an den Schneider gewandt, „Verrichtet eure Arbeit.“
 

Unzählige Hände zerrten an Mana, die Schneider waren herein geeilt, beladen mit Stoffen in jeder Farbe und nahezu jeder Größe. Nie zuvor hatte Mana eine solche Auswahl an feinsten Stoffen gesehen, und so war es nicht verwunderlich, dass sie sich recht verloren vorkam in all der Vielfalt.

„Habt Ihr irgendwelche Wünsche?“, fragte der Schneider höflich.

Hilfesuchend blickte Mana zu Seth, der streng zu den Dienern herabsah. „Ich erwarte, dass meine Verlobte Gewänder bekommt, die einer Königin würdig sind!“, erklärte er gebieterisch. Der Schneider nickte. „Sehr wohl“, sagte er und verneigte sich, ehe er in die Hände klatschte. Sofort fingen die Helfer von Neuem an, Mana zu umschwirren, sie zu drehen und in Stoffe zu wickeln. Das Ganze ging so schnell, dass das Mädchen errötete. Sie konnte Seth kaum noch erkennen. Die Diener hüllten sie gekonnt in feinste Stoffe, einige behängten sie mit Schmuck, immer bemüht, ihr natürliches Aussehen besonders gut zur Geltung zu bringen und sie erstrahlen zu lassen.

Verwirrt ließ Mana alles geschehen, sich formen und zurecht biegen. Mit gekonnten Handgriffen entstand ein Kunstwerk, das Manas Körper kleidete, ihre Vorzüge betonte und sie von ihrer besten Seite zeigte.

Gerade als Mana glaubte, sie hätte es überstanden, spürte sie, wie sanfte Hände in ihr volles und widerspenstiges Haar griffen und versuchten, es zu bändigen. Mit einem erneuten Stich im Herzen wurde Mana daran erinnert, wie kurz es doch geworden war, seit Shada und Karim ihren unheilvollen Einfluss auf sie ausübten. Sie seufzte leise. Doch auch wenn sie glaubte, dass man absolut nichts mehr damit anfangen konnte, wurde sie eines besseren belehrt. Gestylt und hergerichtet sah sie an sich herab und staunte nicht schlecht. Sie sah eine Frau, die sie kaum erkennen konnte, nie hätte sie erwartet, sich selbst einmal so zu sehen. Sie trug einen langen, hellgrünen Rock mit einem goldenen Reif, der an den Seiten tief eingeschnitten war, dazu ein recht freizügiges Oberteil, das aus dem selben grünen Stoff geschnitten war. Ihre Schultern blieben frei, über ihrem Bauch war der Stoff durchsichtig und fein. Wertvoller Schmuck behängte ihren Körper und ihr Haar. Mana betrachtete sich skeptisch und verstört.

Währenddessen hatten sich auch Schneider und Diener um Seth gedrängt um ihn neu einzukleiden. Ihm war so etwas im Gegensatz zu Mana mehr als bekannt. Der Hauptschneider bemühte sich, ihn bei Laune zu halten. „Wünscht Ihr wieder die Farbe Blau, Herr?“, fragte er untertänigst, in der Hoffnung, ihn nicht zu verärgern.

Der Hohepriester sah ihn geringschätzig an. „Bin ich hier um deine Arbeit zu machen?!“, entgegnete er kalt, „Du wirst schon etwas passendes finden.“ Und wenn nicht, würde er schon sehen, was er davon hatte.

Seth war wirklich alles andere als begeistert von der Anwesenheit so vieler Diener, zwar gefiel es ihm zu demonstrieren, wie viel Macht er über sie hatte, doch sie langweilten ihn in ihrer Gleichmäßigkeit. Sie waren weder anspruchsvoll noch abwechslungsreich. Sie erfüllten einfach nur ihre Aufgaben, nicht mehr und nicht weniger. Darüber nachzudenken, wie man ihn kleiden sollte, interessierte ihn keinesfalls. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Mana.

Mana und den blaugrünen Flecken auf ihrer Haut, die ihm nicht entgehen konnten.

„Ich denke, wir sind nun fertig“, unterbrach der Schneider ihn in seinen Gedanken und wich zurück, sodass Seth seine Verlobte in aller Ruhe betrachten konnte. Nach einer kurzen Musterung nickte er zustimmend. „So ist es in Ordnung“, sagte er. Es war kaum zu leugnen, dass Mana sehr gut aussah in ihren neuen Gewändern.

„In Ordnung?“, meldete sich Mana dazwischen und sah ihn leicht entrüstet an. „Ich komme mir vor, als hätte ich tausende Dinge zu tragen!“, sagte sie empört, „Außerdem sehe ich toll aus!“

„Natürlich siehst du toll aus“, gab Seth ebenso skeptisch zurück, ohne zu verstehen, wieso sie sich so darüber aufregte. „Was meinst du, wofür das sonst gut ist?“ Natürlich hatten all die Accessoires genau den Zweck sie zu schmücken.

Die Schneider wichen zurück und machten den Weg zwischen den Beiden frei. „Das ist mir viel zu viel“, jammerte das Mädchen unglücklich, und betrachte sich erneut verzweifelt. „Mein Altes gefiel mir besser...“

„Du wirst dich schon daran gewöhnen“, versuchte Seth sie zu beschwichtigen und lächelte bestimmt. „Du siehst gut darin aus.“

„Wie du meinst“, gab Mana schwach lächelnd zurück, Komplimente von Seth bekam sie sonst eher selten und trotzdem fühlte sie sich nicht so ganz wohl. Sie zuckte mit den Schultern, betrachtete sich von Neuem. Grün. Man konnte damit leben. Und wenn sie ganz ehrlich war, sah es ja auch wirklich nicht schlecht aus.

„Oder möchtest du lieber eine andere Farbe?“, fragte Seth, kurz davor, die Schneider wieder anzuherrschen, doch Mana schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, nein“, sagte sie, „Passt doch irgendwie ganz gut.“ Sie wollte nicht noch einmal so verpackt werden, einmal reichte ihr für den Anfang völlig. Das Leben am Hof hatte doch einige Seiten, die sie nicht erwartet hatte und die sie nun kennenzulernen hatte.

Mana ging ein paar Schritte, drehte sich leicht und kicherte leicht. Sie hüpfte verspielt, der Rock flog hoch, ganz so wie der, den sie sonst trug. „Okay, alles noch beim Alten“, sagte sie lachend, „Ich komm mit dem Gewicht klar und hüpfen kann ich auch noch.“ Damit waren ihre Hauptsorgen verflogen, das Outfit war genehmigt.

Irgendwie war sie doch recht kindlich, dachte Seth, und lächelte trotzdem. Das war schon viel eher die Mana, die er kannte, viel eher das kleine durchtriebene Mädchen, in das er sich verliebt hatte.

„Der Rock fliegt noch viel besser als der andere!“, sagte sie freudig und sorgte so dafür, dass der Priester den Kopf schüttelte. „Du hast Sorgen...“, gab er neckend von sich, und betrachtete sie fasziniert. Er hätte wohl selbst nicht erwartet, was man aus ihr machen konnte.

Die Brünette hielt in ihrer Bewegung inne, stemmte die Hände in die Hüfte und sah ihn herausfordernd an. „Darf ich mir über so etwas etwa keine Gedanken machen?“, fragte sie provozierend, „Nur weil du dich mit mir verlobt hast?“

„Mache dir Gedanken um was immer du willst“, gab Seth fast gleichgültig zurück, er hätte ohnehin keinen Einfluss auf ihre Gedanken, konnte sie weder lenken noch lesen. „Es sind also keine Änderungen mehr nötig?“ Es lag ihm viel daran, dass sie mit ihrem Gewand zufrieden war, mindestens genauso viel lag ihm aber auch daran, die Diener endlich wieder loszuwerden.

„Nein“, antwortete Mana lächelnd, und schien seine Gedanken erraten zu haben, „Du kannst sie ruhig vertreiben“, zischte sie ihm unauffällig zu und grinste.

Der Hohepriester ließ es sich nicht zweimal sagen, drehte sich sogleich zu den Schneidern und Dienern um. „Ihr dürft euch nun entfernen“, sagte er edel und wichtig, wartete bis sie den Raum verlassen hatten, ehe er sich zu Mana umdrehte, das Gesicht versteinert und ernst.
 

„Was würdest du sagen“, setzte Karim an, überlegen lächelnd, und äußerst überzeugt von sich, jetzt hatte er den König der Räuber in der Hand, konnte ihn zappeln lassen, ganz wie er wollte. „Was würdest du sagen, wenn ich dir sage, dass deine Tochter im Begriff ist Königin zu werden?“

„Mir würde der Gedanke gefallen“, antwortete Bakura ohne zu zögern. Er wanderte langsam um seinen Gesprächspartner herum, sah ihn scharf an. „Sprich weiter!“, befahl er, „Zügig!“

Der schwarzhaarige Priester genoss es, ihn so in der Hand zu haben, genoss es in vollen Zügen und war sich dennoch der Gefahr bewusst. Bakura zu unterschätzen konnte tödlich sein, ein einziger Fehler wäre fatal. „Alles was ihr im Wege steht, ist der altersschwache Pharao ... und der hat den Hohepriester Seth zu seinem Nachfolger ernannt.“ Das Lächeln auf Karims Gesicht verfinsterte sich. „Nun rate mal, mit wem der sich vor kurzem verlobt hat?!“

Der Meisterdieb hörte aufmerksam zu, verstand. Seine Finger ballten sich zur Faust, ein dunkles Grinsen legte sich auf seine Lippen.

„Wenn die Kleine Königin wird, dann hast du freien Zugang zum Palast“, sagte Karim, in dem Bestreben ihm das Ganze noch schmackhafter zu machen, und seine eigene Haut zu retten, denn schließlich mussten sie noch immer an Bakura vorbeikommen, um den Tempel des Anubis wieder verlassen zu können.

Der König der Räuber lachte eiskalt auf. „Vielleicht sollte ich mich mal um die Kleine sorgen“, meinte er hinterhältig, dieses Wissen brachte ihm völlig neue Möglichkeiten. Möglichkeiten, die er niemals in Betracht gezogen hätte, selbst wenn er sich darüber im Klaren gewesen wäre, dass seine nutzlose Tochter noch am Leben war. „Sonst noch irgendetwas?“, er fauchte Karim an, die Beiden brauchte er für sein neues Unterfangen nicht.

Karim schien seine Gedanken erraten zu haben, sah ihn ebenso kalt an. „Du wirst uns brauchen...“, sagte er es genüsslich in die Länge ziehend, „Nur wir können ihre Abstammung beweisen. Ach, und noch etwas ... dass Mana libysches Blut hat, solltest du nicht an die große Glocke hängen im Moment.“

Bakura winkte ab, lässig und drehte sich um. „Mana...“, wiederholte er den Namen, um ihn sich selbst ins Gedächtnis zu rufen, „Stimmt, so hieß das kleine Monster.“ Dann sah er Karim erneut an, lächelte triumphierend und hielt eine Schriftrolle hoch. „Meinst du die Abstammung auf dieser Rolle?“

Dem Priester fiel erschrocken der Mund auf, es gab keinen Zweifel, die Rolle, die der Dieb in der Hand hielt, war genau jene Rolle, die er vor einem Moment noch bei sich hatte. „Wo hast du die her?!“, zischte er aufgebracht und zögerte keine weitere Sekunde. Die zwei anderen Rollen befanden sich noch in seinem Besitz, und da sollten sie auch bleiben. Er legte einen Zauber auf sie, versiegelte sie auf diese Weise. Selbst wenn es Bakura gelingen sollte, noch eine weitere Rolle in seine Finger zu bekommen, er würde sie nicht lesen können.

Jener sah ihn sauer und aufgebracht an. „Unterschätze niemals den König der Räuber!“, sagte er eindringlich und streng. „Und nun verschwindet!“ Er hatte wirklich genug seiner Zeit für die zwei Priester geopfert, langsam war es Zeit für sie zu gehen. „Sorge dafür, dass meine Tochter Königin wird“, befahl er schneidend, „Egal, was du opfern musst!“

Grimmig sah Karim den Räuber an, verneigte sich leicht vor ihm. „Eure Majestät“, sagte er spöttisch, drehte sich um und verließ mit Shada ohne ein weiteres Wort den Tempel.
 

„Wie ist er so unerkannt an die Rolle gekommen?“, fauchte Shada ungehalten als sie außer Hörweite waren, er traute Bakura nicht, mochte seine Art nicht, seine hinterlistige Strategie seine Gegner hemmungslos zu entwaffnen und mit ihnen zu spielen.

Karim dagegen war ganz ruhig geblieben, lief still neben seinem Freund her, lächelte zufrieden.

Der Kleinere betrachte ihn, versuchte sich zu beruhigen, ehe er ihn wieder ansprach. „Alles nach Plan verlaufen?“, fragte er und riss sich zusammen, er wusste noch immer nicht, welchen Plan Karim verfolgt hatte, als er mit Bakura verhandelte.

„Er hätte die Rolle nicht haben sollen“, gab der Schwarzhaarige zu, „Aber ansonsten ist alles bestes verlaufen.“ Er war sichtlich zufrieden mit sich. Es war ihm gelungen, sie lebendig und unversehrt aus dem Tempel herauszuführen, die Fallen des Diebes waren letztendlich doch nicht unausweichlich, nicht so tödlich wie befürchtet.

„Ich muss zugeben, du hast die Situation sehr gut gemeistert“, sagte Shada anerkennend, „Dafür hast du dir einiges verdient.“ Auf sein Gesicht legte sich ein mehrdeutiges Lächeln, das der Angesprochene jedoch gekonnt übersah. „Einer musste etwas unternehmen“, sagte er stattdessen und spielte seine Leistung herunter.

„Meinst du nicht, die Göre muss wenigstens etwas bringen? Wenn sich schon alles um sie dreht?“ Shada grinste fies, was er sich vorstellte konnte Karim nur erraten. Doch auch ihm schien der Gedanke zu gefallen. „Aber sicher doch!“, pflichtete er bei, das war jawohl das Mindeste. „Die Kleine kostet ganz schön Nerven...“

Shadas Lächeln wich keinen Millimeter. „Rege dich nicht auf“, sagte er ruhig, obwohl auch er äußerst genervt von ihr und den Umständen war, die sie verursachte. „Du kannst das ja alles an ihr auslassen und sie dafür büßen lassen.“

„Aber nicht doch“, antwortete der Größere, „Ich lasse dir gern den Vortritt.“ Sie sprachen über Mana als wäre sie ein Ding, eine Sache, die weder Emotionen noch Gefühle hatte, und schon gar kein Recht auf eine eigene Meinung.

Shada schaute skeptisch, legte den Kopf leicht schräg und schüttelte ihn. „Nicht ich habe uns aus der Situation gelenkt“, erklärte er, „Es ist wirklich nicht nötig, mir den Vortritt zu überlassen.“

Erneut winkte Karim ab. „So eine große Leistung war das nun auch nicht“, sagte er, lenkte dann aber ein, grinsend. „Wir müssen sie eh erst einmal finden.“

Der Kleinere verdrehte die Augen, genervt, gleichgültig. „Das dürfte kein Problem sein“, sagte er abwertend, „Die wird nirgendwo anders sein, als bei ihrem Hohepriester, meinst du nicht?“

„Natürlich nicht... Sie ist immer bei ihm“, Karim nickte. Wie Seth die ständige Anwesenheit der Göre ertrug war wirklich nicht nachzuvollziehen, er selbst hätte sie längst vor die Tür gesetzt. Aber der Hohepriester würde das schon irgendwie mit sich ausgemacht haben, vielleicht erfüllte sie für ihn ja irgendeinen Sinn. Karim zuckte mit den Schultern. Letztendlich war es ihm auch egal.

In der Zwischenzeit waren sie wieder in den regelmäßig benutzten Gängen, sie hatten die geheimen Gänge des Tempels des Anubis hinter sich gelassen. „Schrecklich dieses Mädchen“, regte sich Shada weiter auf, „Aber wenigstens haben wir einen Nutzen in ihr gefunden...“

Nachdenklich setzte Karim einen Fuß vor den anderen, grübelte über die Worte seines Freundes. Einen Sinn... Ja, sie hatte wirklich einen Sinn, wenn sie Königin werden würde und Bakura Einfluss bekommen würde... Die Möglichkeiten wären schier endlos. Und trotzdem. „Wir müssen aber vorsichtig sein“, warnte er, „Bakura wird sich uns nicht so leicht unterwerfen.“

„Das stimmt“, sagte Shada, „Wir dürfen ihn nicht unterschätzen, aber er sollte uns ebenfalls nicht unterschätzen“, stellte er nüchtern fest. Sie waren nicht weniger unberechenbar wie er, das würde er schon noch lernen.

„Es ärgert mich, dass er die eine Rolle bekommen hat“, gab Karim unerfreut zu, „Aber die anderen beiden wird er nicht in die Finger bekommen, dafür habe ich gesorgt.“

„Hast du sie versiegelt?“, fragte Shada wissend, „Dann wird er sie nicht bekommen.“

„Natürlich“, gab Karim überlegen zurück, „Und das mehrfach, zur Sicherheit. Wenn er sie lesen will, wird er keinen Text darauf erkennen können.“

Shada nickte überzeugt. „Gut gemacht“, lobte er, bog mit Karim in einen weiteren hellen Gang ab und grinste. „Da vorne ist das Gemach des Hohepriesters. Aufgeregt?“ fragte er amüsiert.

Auch der Andere schmunzelte. „Aufgeregt ist das falsche Wort“, antwortete er, erreichte als erster die Tür und blieb davor stehen.

„Welches wäre denn die richtige Bezeichnung?“

Doch anstatt zu antworten, lächelte Karim ihn finster an, hob seinen Arm und klopfte an des Priesters Tür.
 

Stockend blickte Mana Seth an, sein Blick machte ihr Angst, hatte er nicht vor einer Sekunde noch gelächelt? Eigentlich hatte sie sich gefreut, endlich wieder allein mit ihm zu sein, doch jetzt wünschte sie sich die Diener und Schneider zurück.

„Was denn?“, fragte sie verschüchtert und verwirrt, hatte sie etwas falsch gemacht? Des Hohepriesters Blick veränderte sich in keinster Weise, er sah ihr direkt in die Augen. „Kann es sein, dass du etwas vor mir verbirgst?“, fragte er streng.

Mana erschrak, wich seinem Blick aus, die Stirn kraus gezogen. Hatte er etwas gemerkt?! Sie hatte sich so sehr bemüht, keinen Verdacht aufkommen zu lassen. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie und versuchte überzeugend zu klingen, was ihr jedoch nicht sonderlich gut gelang.

Der Hohepriester seufzte. „Würdest du das Kleid bitte ausziehen?“, fragte er, ohne den Blick abzuwenden.

Das Mädchen riss die Augen auf, errötete auf der Stelle. „Seth!“, schrie sie empört auf, und sah ihn verlegen an, doch Seth blieb ernst. Kurzentschlossen griff er unter ihre Kleidung, schob das Oberteil ein kleines Stück hoch, sodass einige ihrer blauen Flecken freigelegt wurden. „Ich bin nicht blind, weißt du“, sagte er und blickte sie an, auf eine Erklärung wartend.

Mana kniff die Augen zusammen, biss sich auf die Unterlippe. Wie nur sollte sie ihm nun noch verheimlichen, was geschehen war? Sie öffnete die Augen wieder, sah ihn entschuldigend an. „Das ist wirklich ... Ich kann das erklären“, stammelte sie, „Das war nur ein Zufall, total unwichtig, wirklich!“

Seths Blick blieb ernst, jedoch nicht vorwurfsvoll, nicht fordernd, nur besorgt. „Dann erkläre es mir“, forderte er angespannt.

Die Brünette versuchte verzweifelt, ihr Oberteil wieder herunter zu ziehen, was jedoch nicht allzu einfach war, da Seths Hand noch immer über ihre Haut strich. Sie konnte es ihm nicht erzählen, sie durfte nicht...

„Ich habe mich ungeschickt angestellt beim richtigen Hinsetzen an den Tisch...?“, versuchte sie es, und wusste selbst wie unglaubwürdig das klang. Doch was sollte sie tun?

Der Hohepriester schüttelte den Kopf. „Immer wieder?“ Er hatte mehr als einen Bluterguss gesehen, und ein Tisch hinterließ deutlich andere Spuren.

Ein Klopfen an der Tür ertönte durch die Stille, die entstanden war, weil Mana nicht wusste, was sie antworten sollte. Seth jedoch ignorierte es, sah sie weiterhin fragend an.

Mana blickte zur Tür, hoffte dass jemand ihr zur Hilfe eilte. „Ich bin halt schusselig...“, setzte sie erneut zu einer Erklärung an, als es ein zweites Mal klopfte, dieses Mal deutlich lauter, fast ungeduldig. „Seth, da ist jemand an der Tür“, versuchte sie vom Thema abzulenken.

Erneut schüttelte der Angesprochene den Kopf. „Mana...“, sagte er streng, „Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht blind bin... Was haben die Beiden dir angetan?“, fragte er ganz offen, „Womit haben sie dich so eingeschüchtert?“

Er sah entnervt zur Tür, verengte seine Augen zu Schlitzen und öffnete die Tür. „Ich habe keine -“, setzte er an, stockte aber, als er die beiden Männer erkannte, die dort standen. Sein Blick verfinsterte sich. „Ach nein...“, sagte er schneidend und sauer, „Wir sprachen gerade von euch. Kommt herein...“

Drohung

Karim und Shada zögerten nicht, der Aufforderung nachzukommen, mit schnellen Schritte schoben sie sich an Seth vorbei, jedoch nicht ohne Mana finstere Blicke zuzuwerfen, die dem Hohepriester allerdings verborgen blieben.

Die Brünette starrte wie versteinert auf die Beiden, die Rettung, die sie sich erhofft hatte, stellte sich nun als ihr schlimmster Alptraum heraus. Reflexartig stellte sie sich gerade hin, wich ein paar Schritte zurück. In der resultierenden Bewegung fiel ihr Oberteil wieder an seinen ursprünglichen Platz, worüber das Mädchen im Stillen mehr als dankbar war. Was für einen Eindruck mochten die Beiden nun wohl haben? Sie hatte ihr Wort gehalten, hatte nichts gesagt, doch würden sie das auch glauben?! Sie hatte sich doch so sehr angestrengt, so bemüht die Farce aufrecht zu erhalten. Wieso nur war das so schief gegangen?

Weder Shada noch Karim schien von Manas neuem Gewand Notiz zu nehmen, jedenfalls verbargen sie es gut. „Ihr sprachet von uns?“, fragte Shada höflich nach und drehte sich zu Seth, sollte er doch glauben, was er wollte.

„Allerdings, ja“, gab Seth in eiskaltem Ton zurück, „Von euch und eurem anscheinend ziemlich unpassendem Verhalten eurer Schülerin gegenüber.“ Er stellte sich neben Mana, die sich eigentlich lieber hinter ihm versteckt hätte und starrte die zwei finster an.

Ein kaum anderer Blick traf Mana von Karim, er sprach deutliche Bände und ließ Mana erschaudern. „Ich verstehe nicht, was ihr meint, fürchte ich...“, sagte der Schwarzhaarige unberührt, noch immer das Mädchen fixierend.

„Auch mir ist kein falsches Verhalten auf unserer Seite aufgefallen“, warf Shada ein, Mana nicht weniger vielsagend anstarrend.

„Ich habe doch gesagt, es war mein Dummheit! Der Tisch, ich...“, versuchte sie es ein weiteres Mal, stellte sich direkt vor Seth, sah zu ihm auf, verzweifelt, voller Angst. Sie hatte nichts verraten, sie hatte sich an die Abmachung gehalten! Sie mussten ihr glauben!

Ernst blickte Seth zu ihr herunter. „Mana, ich erlaube es nicht, dass du mich weiter belügst!“, sagte er streng und wendete sich wieder den Beiden zu, ausgesprochen wütend. „Und auch eure Lügen glaube ich nicht. Es war eure Aufgabe, sie in die Etikette einzuführen, nicht sie zu misshandeln!“, sein Tonfall war kälter als jedes Eis, doch keiner der Beschuldigten schien sich sonderlich daran zu stören.

„Ihr wagt es, solche Vorwürfe zu erheben?!“, fauchte Karim, Shada tat das Ganze mit einer Handbewegung ab. „Lächerlich“, sagte er unberührt.

Der Hohepriester blieb kalt, es war nur allzu deutlich, was er glaubte und auch wenn es der Wahrheit entsprach, so versuchten doch alle Beteiligten es zu leugnen. „Dann erklärt mir, woher sie sonst all die Prellungen hat“, befahl er ohne eine Miene zu verziehen. Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und sah die Beiden herablassend an. Zwar waren sie Priester dieses Landes, doch als Hohepriester stand er noch ein ganzes Stück über ihnen in der Hierarchie.

„Ihre Dummheit, das sagte sie doch bereits“, entgegnete Karim ebenso kalt, es gab absolut nichts, das Seth ihnen nachweisen konnte, er könnte sich noch so anstrengen, es gab keinerlei Beweise. Die Einzige, die gegen sie aussagen könnte, war Mana und sie war viel zu verschüchtert um auch nur den Mund aufzubekommen.

Das Mädchen starrte zu Boden, wagte es nicht, einen der drei anzusehen. Sie wusste nicht, was sie noch machen sollte, sie mochte Seth so überhaupt nicht, er war absolut unberechenbar und das gefiel ihr gar nicht. „Genau, Seth...“,, stimmte sie Karim widerwillig zu, sie musste die Lüge aufrecht erhalten, sie musste sich einfach schützen. Sie lehnte sich von hinten vorsichtig gegen seinen Rücken, in der Hoffnung, so den finsteren Blicken der zwei Priester irgendwie zu entgehen.

Shada betrachtete ihre Reaktion leicht amüsiert, achtete aber darauf noch immer ernst auszusehen. „Sie konnte sich einfach nicht vernünftig genug hinsetzen, sie erwischte immer wieder den Tisch“, erklärte er lässig, durch seine Gedankenkontrolle im Unterricht konnte er noch immer einiges lesen in Manas Gedächtnis, so war es für ihn ein Leichtes, die Lüge zu bestätigen, die sie ihm erzählt hatte.

Der Hohepriester ignorierte Manas Bemerkung, sah Shada finster an. „Immer wieder?“, hakte er nach, „Wie hat sie sich denn hingesetzt? Vielleicht macht ihr es mir mal vor? Es kann ja nicht so schwer sein, wenn ihr euch so sicher seid.“

Der Kahlköpfige schmiss seinen Kopf in den Nacken, lachte kurz auf. „Ihr macht Scherze!“, empörte er sich, doch außer ihm und Karim fand niemand die Situation auch nur annähernd amüsant.

„Keineswegs!“, gab Seth zurück, er ließ sich überhaupt nicht einschüchtern von ihm, sollte er sagen was er wollte, es hätte keinen Effekt auf den Hohepriester.

Voller Verachtung trat Karim einige Schritte hervor. „Was erlaubt ihr euch, so mit uns zu sprechen?“, fragte er sauer, er konnte sich kaum zurückhalten.

„Aufhören...“, flüsterte Mana flehend, zitternd. Ihr gefiel das alles überhaupt nicht, sie wollte einfach nur weg, es sollte aufhören, endlich vorbei sein, doch keiner der drei erfüllte ihr diesen Wunsch.

Spöttisch betrachtete der kleinste der Priester sie, und doch sauer zugleich. Er war ähnlich aufgebraucht wie sein Freund, doch versuchte er es im Gegensatz zu Karim zu überspielen. „Ihr könnt uns gar nichts nachweisen, ihr macht nur lächerliche Vorwürfe.“ Obwohl er sich solche Mühe gab es zu verbergen, konnte man das Feuer des Hasses in seinen Augen lodern sehen. „Das müssen wir uns nicht gefallen lassen!“

Schützend legte der Hohepriester einen Arm um Mana, dies war jedoch die einzige Geste, die ihr ein wenig Halt gab. Er starrte die zwei noch immer drohend an, seine Stimme und sein Blick schienen mit jeder Sekunde kälter zu werden, eisiger. „Diese lächerlichen Vorwürfe werden euch euer Amt kosten, verlasst euch darauf“, erklärte er sachlich, und in dem Klang dieser Worte lag etwas endgültiges, das Karim und Shada zwar nicht verborgen bleiben konnte, das sie jedoch nicht einschüchterte. Ganz im Gegenteil.

„Ihr habt dazu keine Befugnis“, erwiderte Shada hochmütig und eitel, „Der Pharao allein kann uns von unserem Amt entlassen, und das wisst auch Ihr.“

Doch anstatt kleinbeizugeben, legte sich auch auf Seths Gesicht mit einem Mal ein Lächeln, das selbstsicherer nicht hätte sein können. Natürlich, er kannte seine Befugnisse, und er kannte auch deren Grenzen, doch das hielt ihn nicht zurück. „Glaubt mir, ich erreiche, was ich will...“, antwortete er finster, „Und selbst wenn ich euch nicht direkt aus eurem Amt entlassen kann, so sind eure Pflichten hier doch vorbei.“ Kalt blickte er sie an. „Ihr werdet Mana nicht noch einmal ... unterrichten.“

So weit reichten seine Befugnisse, das wussten auch die Priester, Mana blickte hoffnungsvoll auf, ihre Augen strahlten zum ersten Mal seit einigen Stunden für einen kurzen Moment. Doch noch bevor irgendjemand von ihnen etwas entgegnen konnte, öffnete sich schlagartig die Tür und der Pharao trat ein.
 

Schnellen Schrittes trugen ihn seine Beine fort, seine Stirn war schwer in Falten gelegt, die den eigentlich noch jungen Pharao aussehen ließen wie einen alten Mann. Sorgenfalten.

Er hatte sich noch soviel um Teana kümmern wollen, ausgerechnet jetzt, da sie ihn so brauchte, doch die gemeinsame Zeit war ihnen nicht vergönnt. Die Schwangerschaft und die Angst vor dem Krieg machten ihr doch mehr zu schaffen, als sie selbst es geglaubt hätte und auch seine Ernennung von Seth hatte sie in tiefe Zweifel gestürzt.

Atemu seufzte. Wenn Teana nur verstehen würde, dass er mit seinen Handlungen nur vorsorgte, sich darum kümmerte, dass es im schlimmsten Falle zu keiner Panik in seinem Volk kommen würde... Wenn er ihr nur garantieren könnte, zu ihr zurückzukommen, es wäre um so vieles leichter. Er seufzte erneut, jedoch nicht ohne zügig weiterzugehen.

Als er schließlich an des Hohepriesters Tür kam, zögerte er keine Sekunde, klopfte auch nicht, sondern trat sofort ein. Der Anblick, der sich ihm bot, war recht befremdlich und bizarr. Mana stand an Seth gelehnt, in einem auffallend hübschen Kleid und doch fehlte ihr der kindliche Glanz, den sie sonst ausstrahlte. Auf der anderen Seite Karim und Shada, selbstsicher und arrogant.

Doch der Pharao hatte keine Zeit sich darum Gedanken zu machen. Wichtiges stand an, musste entschieden werden und zwar sofort. Es konnte keinen Aufschub geben. „Seth, ich muss mit dir reden, dringend“, sagte er ernst.

Der Hohepriester reagierte sofort, nickte ihm zu, dass er verstanden hatte. Wenn der Pharao persönlich hier her kam, musste es wirklich äußerst wichtig sein. So kam er nicht dazu, seiner Freundin aufmunternde Worte zu schenken, die sie so gebraucht hätte, und er kam auch nicht dazu, Karim und Shada seine Macht zu demonstrieren und sie zu zerschmettern in all seiner Rage. All das musste warten.

Die zwei Priester verneigten sich widerwillig vor Atemu, das Auftreten des Pharaos kam äußerst ungelegen. Gerade noch hatte Seth gedroht, sie des Amtes zu entheben und das sollte auf gar keinen Fall geschehen. Zwar hatte der Hohepriester selbst nicht die Macht dazu, der Pharao jedoch hatte sie sehr wohl und wenn er so in Eile war, wäre es für Seth sicher ein leichtes seine Zustimmung zu bekommen.

Dennoch gaben sich die Beiden alle Mühe, sich unauffällig zu benehmen, ganz so, als wäre ihre Anwesenheit in des Hohepriesters Gemach tatsächlich erwünscht. Mit einem unauffälligem Blick musterten sie Mana, sie würde ihnen nicht entkommen können, nicht so einfach. Sie würde für das bezahlen, was sie angerichtet hatte, egal was es kostete.

Seth trat einen Schritt auf den Pharao zu, ohne Shada und Karim aus den Augen zu lassen. „Ich höre?“, entgegnete er ebenso ernst wie Atemu selbst und forderte diesen so auf, sein Anliegen kundzutun.

Dieser wartete nicht und kümmerte sich auch nicht um die anderen. Eindringlich und schnell begann er zu sprechen, seine Stimme war belegt und besorgt und dennoch mit der Würde des Pharaos. „Die Libyer haben bei weitem mehr Truppen ausgeschickt, sie machen sich bereit für einen erneuten Gegenschlag. Wenn wir nicht sofort unsere Truppen mobilisieren, ist Ägypten dem Untergang geweiht. Wir haben keine Wahl, Morgen früh müssen wir losziehen.“ Er klang gefasst, als er es sagte, drückte dem Hohepriester ohne zu zögern eine Schriftrolle in die Hand. Alles Nötige war darauf verzeichnet, die Situation an der Grenze soweit bekannt, die Positionen der libyschen Truppen nach letztem Stand und Wissenswertes über den Zustand der eigenen Truppen, Versorgungsmöglichkeiten, Kampfstrategien. Wenn sie nicht sofort handelten, war alles umsonst, es gab keinen anderen Weg. Das Land befand sich im Kriegszustand.

Aufmerksam hörte Seth zu, nahm die Rolle stumm entgegen, öffnete sie mit ein paar geschickten Handgriffen und begann zu lesen. Für ein paar Minuten sagte niemand etwas. Alle standen nur da, starrten wie gebannt auf das Schriftstück in Seths Hand.

„Ich verstehe“, sagte er schließlich entschlossen und grimmig, „Ich werde alles Nötige in die Wege leiten. Die libyschen Truppen werden wir zurückschlagen...!“

Mana stand wie versteinert da, starrte Atemu an wie einen Würgeengel, ein Bote, der die Finsternis über sie alle brachte.

„Morgen schon?!“, rief sie erschrocken aus und schüttelte den Kopf, die Augen weit aufgerissen. Die Anwesenheit von Shada und Karim war ihr inzwischen völlig egal, es kümmerte sie nicht im geringsten, ob sie ihre Worte hörten, ihre Angst spürten. Seth durfte nicht gehen, durfte sie nicht allein lassen, nicht ausgerechnet jetzt! Wieso musste dieser verfluchte Tag denn nur schon so bald kommen?! „Du kannst jetzt nicht gehen!“, flehte sie verzweifelt, wie nur sollte sie es ohne ihn schaffen?

Atemu blickte kurz zu Mana, seufzte leicht. Sie war genau wie Teana, genauso hilflos und überfordert mit der Situation. Doch genauso schnell fiel sein Blick wieder auf Seth. Er durfte sich jetzt nicht seinen Hoffnungen und Wünschen hingeben, er musste als Pharao für die Sicherheit seines Volkes sorgen. „In Ordnung“, sagte er würdevoll, „Ich verlass mich auf dich! Morgen bei Sonnenaufgang sind wir bereit zum Abmarsch...“

Der Hohepriester nickte erneut. „Bei Sonnenaufgang“, wiederholte er ernst. Die libyschen Truppen würden sich schon bald wünschen, ihnen niemals begegnet zu sein.

Und trotzdem. Seine Gedanken verweilten nicht bei der bevorstehenden Schlacht, nicht bei seinen Pflichten oder Aufgaben, sondern bei Mana. Er blickte zu ihr herunter, seufzte genauso wie der Pharao. „Mana“, sagte er leise und mitfühlend, was jetzt in ihr vorging, konnte er nur im geringsten nachvollziehen und trotzdem wusste er, was es ihr bedeutete, was es für sie bedeutete. „Ich muss gehen“, versuchte er ihr zu erklären, sie hier mit ihren beiden Lehrern zurückzulassen, gefiel ihm überhaupt nicht. Sein Gesicht verfinsterte sich bei dem Gedanken. Oh nein, sie würden nicht an sie herankommen, auf gar keinen Fall...

Der Pharao drehte sich auf seinem Absatz um, verweilte mit seinem Blick für einen kurzen Moment bei Shada und Karim. „Ihr solltet besser auch gehen“, schlug er vor, ehe er selbst das Gemach verließ.

Mana krallte sich an Seth, ihr standen Tränen in den Augen. Noch immer kümmerte sie sich weder um Karim noch um Shada und auch, dass der Pharao selbst soeben das Zimmer wieder verlassen hatte, war ihr vollkommen entgangen. Verzweifelt sah sie den Hohepriester an. „Das weiß ich doch...“, antwortete sie leise, „Aber nicht morgen ... nicht schon morgen...“ Ihr blieb die Stimme weg.

„Ich kann nichts daran ändern“, gab Seth zurück, betrachtete jedoch nicht Mana, sondern die zwei unwillkommenen Priester.

Diese schauten sich gerade grinsend an, unentschlossen, ob sie dem Rat ihres Herrschers folgen sollten oder nicht. Das Gespräch zwischen dem Hohepriester und dem Pharao hatte sie eher belustigt als beunruhigt. Libyen also. Karim lächelte grimmig. Das musste die Kleine gewaltig interessieren, mit ihrem libyschen Blut stand sie ziemlich zwischen den Fronten. Vor dem Pharao hatten sie ihren Hohn ausgesprochen gut verborgen, jetzt jedoch hielten sie sich kaum noch zurück. Sie mussten sie nur zur Königin machen, egal wie. Und es war auch egal, in welchem Zustand sie sich befand.
 

„Nein!“, ertönte des Hohepriesters kalte Stimme durch den Raum, gerade in dem Moment, als Shada und Karim sich dazu aufmachen wollten, das Gemach zu verlassen. „Wir sind hier noch nicht fertig“, sagte er gebieterisch, „Ihr bleibt!“

Der Glanzköpfige verdrehte demonstrativ die Augen, sah den Hohepriester kalt an, zuckte dann jedoch mit den Schultern. „Wie Ihr wünscht“, sagte er gelangweilt.

Seth kannte keine Gnade. Sein Arm lag schützend auf Manas Schulter, er sah die Beiden ernst an, bedrohlich lächelnd. „Wenn ihr Mana zu nahe kommt, dann werde ich das erfahren, verlasst euch darauf...“, sagte er und es bestand nicht der geringste Zweifel daran, dass er jederzeit fähig war, seine Drohung wahr zu machen. „Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt“, zischte er.

Wenig überzeugt nickte Shada. „Aber natürlich“, sagte er übertrieben aufmerksam, und sah Mana voller Hass an. Ob Seth wirklich davon erfahren würde, hing ganz allein von ihr ab.

Auch Karim hatte wenig Respekt. Er nickte hinterhältig und unterstrich so Shadas Aussage.

Mana kniff die Augen zusammen, sie wollte die Beiden nicht sehen, in ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Morgen schon... Sie konnte diesen Gedanken einfach nicht ablegen, bereits am morgigen Tag zum Sonnenaufgang war es soweit, dann würde Seth in den Krieg ziehen, sie hier zurücklassen. Sie hörte dem Gespräch der drei Priester überhaupt nicht mehr zu, versuchte nur sich selbst zu beruhigen.

„Eine falsche Bewegung von euch und ihr werdet es mit mir zu tun bekommen...“, sagte Seth grimmig zu den Beiden.

Der Schwarzhaarige zog die Augenbrauen hoch. „Können wir nun gehen?“, fragte er kalt und langsam sichtlich genervt. Shada nickte. „Wir haben besseres zu tun, als uns irgendetwas vorwerfen zu lassen“, sagte er gelangweilt.

Der Hohepriester sah sie noch einmal sauer an. „Es wäre besser für euch, wenn wir uns niemals wieder sehen...“, sagte er kalt und wartete darauf, dass die zwei den Raum verlassen hatten, nicht ohne ihnen einen weiten finsteren und hasserfüllten Blick hinterher zu schicken.

Entschlossen

Verächtliches Schnauben ertönte durch die Gänge, der Abstecher bei Seth und Mana war alles andere als wie erhofft verlaufen. Die Kleine hatte es also wirklich gewagt den Mund auf zu machen. Er zog die Augenbrauen finster zusammen. Das würde sie bereuen...

Gut, sie hatte versucht, es zu leugnen, offensichtlich hatte sie es wirklich nicht absichtlich verraten, nichtsdestotrotz hatte sie es getan. Sie hatte sich nicht an die Abmachung gehalten, nun hatte sie die Folgen dafür zu tragen. Wer ihn herausforderte, der musste damit rechnen, niedergeschlagen zu werden, und das ohne jede Gnade.

Doch nichts musste überstürzt werden, die Gelegenheit hätte kaum günstiger kommen können. Nun war es also soweit, der Krieg würde beginnen, und das schon sehr bald. In aller Frühe würden die Truppen aufbrechen, keine Zeit verlieren und Richtung Grenze ziehen. In die Schlacht. In den Tod. Sie alle kämpften für ihr Königreich, niemand von ihnen wusste, dass sie die ganze Zeit über betrogen wurden. Das Mädchen an des Hohepriesters Seite, das sie alle so bejubelt hatten – sie gehörte zum Feind, hatte vielleicht sogar alles hinterrücks geplant. Geboren von einer libyschen Hure, der Vater der König der Räuber. Das Land konnte kaum noch tiefer sinken, sollte sie jemals Königin werden. Und trotzdem. Sie mussten sie zur Herrscherin machen, mussten es zumindest so aussehen lassen, als würden sie Bakuras Auftrag erfüllen. Ihn zum Feind zu haben, barg zu viele Gefahren in sich, offene Feindschaft war nicht zu riskieren. Er würde später sehen, was er davon hatte.

Fürs erste jedoch galt es den Hohepriester zu verdammen. Seine selbstsichere und arrogante Art hatte sie vorgeführt wie Schuljungen, sie zu demütigen versucht, ohne dass es ihm gelungen war. Niemand würde sie jemals übertreffen, sie bezwingen. Sie alle würden bezahlen. Die Zeit musste nur kommen, jeder von ihnen würde bezahlen.

Ein verächtliches Lächeln legte sich auf Shadas Gesicht. Oh ja, ihre Zeit würde kommen, die Zeit, da sie über alle triumphieren würden. Die Zeit, da der Priester seine arrogante Art bereuen würde.

Niemand legte sich ungestraft mit ihnen an, nicht der Hohepriester und auch nicht die kleine libysche Göre.

„Was bildet der sich eigentlich ein?! Und was erlaubt sie sich eigentlich?!“, fauchte er ungehalten.

„Es ist eine absolute Frechheit!“, empörte sich auch Karim, der nicht weniger sauer war über den Verlauf, den ihr Besuch in des Hohepriesters Gemach genommen hatte.

Er wollte sich gerade lautstark über Mana und Seth aufregen, als ein junger Mann in den Gang einbog, in dem sie sich in diesem Augenblick befanden. Genervt sah dieser sie an, er schien durch irgendetwas, das Karim und Shada weder wussten, noch sie interessierte, ziemlich aufgebracht zu sein.

Karim sah ihn herausfordernd an. Er trug einen grünlichen Umhang, als käme er von einer längeren Reise, darunter ein schlichtes Leinengewand. Sein Haar fiel ihm in dunkelbraunen Strähnen ins Gesicht. Man hätte meinen können, er sähe dem Hohepriester ähnlich, jedoch war dieser bei weitem nicht so heruntergekommen, wie dieser Fremde. Der Name des Mannes war Xerxes.

„Geht mir aus dem Weg“, sagte er entnervt, „Ich habe keine Zeit für eure Spielchen.“

Shada starrte den Mann an, voller Unglauben und Entsetzen. Ein weiteres Gesicht wie das von Seth konnte er wirklich nicht ertragen, und nun schien dieser genauso ungeduldig und reizbar zu sein wie dieser. Er verengte seine Augen, blickte ihn gefährlich funkelnd an. „Wir sollen dir aus dem Weg gehen?!“ Er schrie fast, so sauer war er. Der Mann sollte sich nicht so aufspielen, als wäre er etwas besonderes.

„Oh welch eine Überraschung“, entgegnete Xerxes, und schüttelte leicht den Kopf. „Deine Ohren scheinen ihren Dienst noch zu erfüllen...“ Wirkte er wirklich überrascht? Er machte sich über sie lustig, schien nicht zu wissen, wer sie waren.

„Was erlaubst du dir eigentlich?!“, fauchte Shada erneut, dieses Mal dem Mann entgegen und stellte sich ihm erst recht in den Weg. Wenn er sie herausforderte, würde er es bereuen und das schon sehr bald. Karim stellte sich neben ihn, baute sich groß vor Xerxes auf, und doch konnte er ihn nur knapp überragen. „Du weißt anscheinend nicht, mit wem du es zu tun hast!“, rief er sauer.

Xerxes jedoch blickte sie nur gelangweilt an. „Seid ihr bald fertig mit eurem Theater?“, fragte er und unterdrückte gekünstelt ein Gähnen und regte die Beiden damit noch weiter auf.

„Er weiß es wohl wirklich nicht!“, zischte Shada sauer, „Theater, ich werde dir gleich zeigen, was Theater bedeutet!“ Seine Drohung war ernst gemeint, gefährlich ernst gemeint, doch Xerxes ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Dann mach' es doch“, gab er herausfordernd zurück, die Beiden gaben ihm keinerlei Grund dazu, ihnen mit Achtung entgegen zu treten.

Karim trat einige Schritte nach vorne, auf den Brünetten zu. „Du wagst es, uns herauszufordern?!“ Seine Stimme war kraftvoll und angespannt. „Uns? Wir sind Priester hier! Du hast uns zu gehorchen!“

Während Karim sich noch darüber ausließ, wie wenig Respekt der Fremde vor ihnen hatte, spürte er einen leichten Stoß in die Seite. Shada war gegen ihn gerempelt, als er auf Xerxes zuging um ihn zur Seite zu schubsen, laut brummend und vor Verachtung schnaubend. Dabei löste er in dem Mann einen Schwall an Erinnerungen aus, ganz so wie er es bei Mana getan hatte, doch ohne wirklich daran interessiert zu sein. „Komm' Karim, das ist sinnlos!“, sagte er patzig, „Bei dem wäre es Zeitverschwendung.“ Er sah Xerxes kalt und völlig emotionslos an. „Bei ihm hat es keinen Sinn irgendetwas zu versuchen.“
 

Mit der Berührung kamen die Erinnerungen über Xerxes, er riss überrascht die Augen auf. Leichen, überall verstümmelte Körper auf dem Boden, das Blut, allgegenwärtig der Geruch von sterbenden Menschen, Freunden, Familie.

Er starrte Shada entsetzt an. „Was hast du getan?!“, schrie er kalt, und gleichzeitig auch verwirrt, in seinen Erinnerungen hatte niemand etwas zu suchen, niemand hatte darin herumzuwühlen.

„Das wüsstest du gerne, ja?“, fragte er, sah ihn abschätzend an und grinste hinterhältig, bevor er sich jedoch wieder von ihm abwendete. Der Fremde stammte jedenfalls nicht aus einem der Tempel, nicht aus dem friedfertigen Königreich, dessen Ruhe jetzt gestört wurde. Nein, seine Erinnerungen... Es waren Bilder von der Schlacht, die er gesehen hatte, die Schlacht, die jetzt erst jetzt wirklich begann.

„Nein“, gab Xerxes zurück und schüttelte seinen Kopf, „Eigentlich ist es mir ganz egal. Ich wüsste nur gern, ob du genügend Grips hast, mir aus dem Weg zu gehen.“ Die zwei Priester hatten ihn zwar für einen kurzen Moment verunsichert, doch das ließ ihn nicht an sich selbst zweifeln. Sollten sie doch machen, was sie wollten, sie würden ihm nicht so leicht entkommen.

In Anbetracht der Tatsache, dass keiner der Beiden sich noch weiter um ihn kümmerte, bewiesen sie ihm, dass sie nicht schlau genug waren. Er ließ sie vorbeiziehen, wartete ein paar Sekunden und folgte ihnen schließlich. Die zwei waren so unfreundlich und kaltherzig, dass es ihn wirklich interessierte, was sie vor hatten, wo sie hin wollten und was ihre Ziele waren. Sie waren ganz offensichtlich grausam genug um über Leichen zu gehen, sie schienen sich nicht im geringsten um andere zu kümmern.
 

Karim und Shada gingen an Xerxes vorbei, ließen ihn einfach stehen, ohne ihm eine weitere Antwort zu geben. „Was hast du gesehen?“, fragte Karim, der genau verstanden hatte, dass Shada seine Gedankenkontrolle bei dem Mann angewendet hatte, er hatte ihm schon oft dabei zugesehen und erkannte inzwischen genau, wann sein Freund in das Gedächtnis eines anderen eindrang.

„Bilder von der Schlacht, er muss der Mann gewesen sein, der dem Pharao seine Informationen gebracht hatte“ erklärte der Kleinere knapp, dieser Fremde war wirklich nicht sonderlich interessant, einzig und allein seine Ähnlichkeit zum Hohepriester machte ihn verachtenswert. Ihn jedoch weiter zu beachten, wäre überflüssig, Zeitverschwendung ohne gleichen. „Da ist noch jemand, mit dem gespielt werden sollte“, sagte er und wechselte auf diese Weise das Thema. Er sah Karim wissend an. „Sie hat eindeutig zu viel gewagt, sie hätte besser aufpassen müssen!“ Der lächerliche Priester war zwar schrecklich neugierig und überheblich, doch auch vor ihm konnte man Dinge verheimlichen. Mana hatte einfach nur versagt, schrecklich versagt und dafür würde sie bezahlen. Niemand stellte sie ungestraft bloß, schon gar nicht vor jemandem, der ihnen wirklich gefährlich werden konnte.

„Du hast Recht“, stimmte Karim ihm zu, „Ab morgen ist sie allein, das dürfte ihrer Seele zu denken geben!“, er lachte laut auf, wurde dann wieder ruhiger. „Ich muss aber zugeben, ihr Aussehen war ziemlich ansprechend.“

„Es war nur das Kleid, nichts weiter“, antwortete Shada abwertend, „Sie wird niemals eine ansprechende Königin werden...“

Karim sah ihn an, nickte zwar, dachte aber in Wahrheit an etwas ganz anderes. Sie hatten genau das versprochen, eine Königin aus Mana zu machen war essentiell um Bakura nicht zu verärgern. Doch trotz seines Unbehagens ließ er sich nichts anmerken. „Sie wird den Krieg erleben...“, sagte er und lächelte finster.

Der kahle Priester blieb stehen, sah ihn sauer an, stockte jedoch. „Wie meinst du das?“, fauchte er seinen Freund an, ohne jedoch, dass dieser sich davon angegriffen fühlte. Er kannte Shada einfach viel zu gut, seine Handlungen, seine Emotionen, einfach alles.

Auch Karim blieb stehen, setzte an zu erklären: „Der Krieg fordert Opfer... Und was das heißt, wird sie erfahren, wenn wir mit ihr fertig sind!“

Nun verstand auch Shada. Er nickte zufrieden, überzeugt und doch voller Hass. Das versprach interessant zu werden, die Kleine würde sie viel schneller kennenlernen als ihr lieb war. Gemeinsam gingen sie den Gang entlang, im Hass vereint und voller Vorfreude auf ihre Rache an dem Mädchen, das als Balg des Königs der Räuber nie einen Platz im Palast hätte bekommen dürfen.
 

Stille war eingetreten im Gemach des Hohepriesters, stumm starrte Mana auf die Tür, die soeben zugefallen war. Die Tür, durch die Shada und Karim verschwunden waren. Endlich. Viel zu lange schon hatte sie die Gesichter der Beiden sehen müssen, viel zu lange schon versuchten sie sie zu erniedrigen. Was hatte sie denn falsch gemacht? Sie hatte doch einfach nur lernen wollen, wie sie sich zu benehmen hatte als Dame, wie nur sollte sie die Aufgaben an Seths Seite jemals meistern können? Wie sollte sie es lernen? Es war wirklich zum verrückt werden. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben allen zu gefallen, aber Shada und Karim... Sie hassten sie einfach, was auch immer sie ihnen getan hatte.

Und jetzt musste sie auch noch Seth Frage und Antwort stehen, sie hatte sich wirklich nicht sonderlich gut geschlagen. In dem Punkt hatten die beiden Lehrer wohl Recht, auf sie war wirklich kein Verlass. Sie seufzte leise. Wenn nur der Tag endlich vorbei wäre – hätte sie gedacht, doch heute war alles anders. Egal wie grausam der Tag auch gewesen war, der Nächste würde noch schlimmer werden. Dann begannen die Tage der Angst. Seth zog in den Krieg. Würde er zurückkommen? Würden sie siegreich sein? Wie viele würden wohl fallen? Welche Opfer würde der Krieg fordern und wie viele Familien würde er auseinander reißen?

All dies waren Fragen, die Mana durch den Kopf schwirrten, doch es war nicht an der Zeit, sie zu stellen, das wusste sie. Sie wusste, was Seth von ihr verlangen würde, ihm weiterhin etwas vorzumachen, wäre nicht nur aussichtslos, sondern auch dumm. Er würde ihr nicht glauben, egal was sie auch erzählte. Einzig und allein die Wahrheit würde ihm genügen.

Und tatsächlich -

„Womit haben sie dir gedroht?“, fragte er ruhig, sanft, ohne Wut aufzubauen und dennoch mit Nachdruck.

Mana biss sich auf die Lippen, zuckte leicht mit den Schultern. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte, brachte einfach kein passendes Wort heraus, nichts, so schien ihr, konnte wirklich ausdrücken, was sie fühlte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn belogen hatte, es schnürte ihr fast den Hals zu. Sie hatte Angst davor, die Wahrheit zu sagen und sie hatte Angst davor, weiterhin zu schweigen. Nicht vor Seth, sondern davor, was geschehen könnte, wenn Shada und Karim erneut auf sie treffen würden. Wenn sie allein war. Wenn Seth weit weg an der Grenze für die Sicherheit des Landes kämpfte. Wenn er sie an diesem Ort zurückließ.

Der Hohepriester beugte sich leicht zu ihr hinunter, legte ihr seine starken Hände auf die Schultern. „Mana, bitte“, sagte er leise, „Ich kann nichts für dich tun, wenn du es mir verschweigst.“

Sie sah ihm in die eisblauen Augen, deren Wärme wohl außer ihr noch kaum jemand gesehen hatte, atmete tief durch und schloss unentschlossen die Augen.

Als sie sie schließlich wieder öffnete, starrte ihr Blick ins Leere. Leise begann sie zu erzählen, zunächst nur stockend, dann fester. „Sie haben gesagt, ich solle mich anstrengen ... und dass ich es niemals zu etwas bringen könnte ... Du kennst mich, ich habe mich gewehrt ... bis Karim gewalttätig wurde ... und Shada Magie angewendet hat ... Sie haben mir gedroht, wenn ich nicht dicht halte, werde ich schon sehen, was ich davon habe ...“ Verzweifelt blickte sie wieder zu ihm, die Tränen liefen über ihre Wangen, ohne dass sie es selbst gewollt hatte. Sie konnte einfach nichts dagegen tun, sie fielen herunter, hinab wie dicke Tropfen, die nichts aufhalten konnte.

Seth zögerte keine Sekunde. Stumm hatte er sie sprechen lassen, nun hielt er sie in seinen Armen, fest und sicher. „Glaube mir, das werden sie bereuen...“, sagte er und seine Stimme klang gefährlich. Grimmig starrte er vor sich hin, strich Mana beruhigend über ihr Haar.

Hilflos drückte sich das Mädchen an ihn, schüttelte schwach lächelnd den Kopf. „Wie denn das?“, fragte sie mit schwacher Stimme, sie konnte sich nicht vorstellen, dass es so einfach sein sollte, die Beiden bereuen zu lassen.

„Sie werden im Krieg an vorderster Front stehen“, sagte Seth mit einer Entschlossenheit, die Mana beeindruckt hätte, wenn sie nicht so durch den Wind gewesen wäre.

„Wirklich?“, fragte sie verschüchtert nach, „Ich muss nicht mit denen hier zurückbleiben?“

Es war ihre größte Angst, auch wenn sie sie nicht aussprechen konnte. Noch einmal auf Shada und Karim zu treffen, hilflos, schutzlos zu sein. Sie würde es nicht ertragen.

Entschlossen schüttelte Seth den Kopf, seine Intention war klar. Und wenn er den Pharao vergiften musste, um das durchzukriegen, er würde sein Ziel erreichen, egal was es kostete. „Musst du nicht“, sagte er und drückte sie ganz fest an sich. „Hab' keine Angst, die Beiden bleiben nicht hier...“ Am liebsten hätte er sie sofort in der Luft zerrissen für das, was sie Mana angetan hatten, sie hatten ihr Amt schamlos ausgenutzt, jedes Privileg, das ihnen ihr Posten verlieh, verwirkt.

Ein tiefes Seufzen war von Mana zu vernehmen, Tränen standen ihr in den Augen und doch lächelte sie. „Danke“, hauchte sie, und klammerte sich an ihn, „Danke...“

Der Hohepriester ließ sie nicht los. „Glaube mir, sie werden für das, was sie getan haben, bezahlen...“ Er selbst würde dafür Sorge tragen, niemandem anderes wollte er diese Aufgabe übertragen, niemand wäre dafür geeigneter als er. Denn er wusste Manas Verzweiflung in Wut und Hass zu übertragen, Gefühle, die die Beiden nie gekannt hatten. Er starrte grimmig vor sich hin. Sie würden ihm nicht entkommen.

Mana blickte zu ihm auf, schwach lächelnd. „Vor allem für die Haare, ja?“, sagte sie leise und verbittert.

Seth nickte. „Vor allem für die Haare...“

Allein

Mit diesem Kapitel sind wir beim ersten Wendepunkt der Geschichte angekommen, und auch wenn ich sonst nicht viel dazu sage, dieses Mal: Wenn jemand mit unschönen Szenen nicht klar kommt, dann sollte er oder sie vielleicht lieber Abstand hiervon nehmen, das ganze könnte den einen oder anderen üblen Nachgeschmack haben Oo

Nun aber genug der Vorrede, ich hoffe es gefällt euch trotzdem irgendwie ^.^"
 

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Noch immer lagen unzählige unausgesprochene Worte zwischen ihnen, Worte, die weder Mana noch Seth auszusprechen wagten. In den nächsten Tagen konnte sich so vieles ändern, schlagartig, ganz ohne, dass jemand Einfluss darauf nehmen konnte. Von einer Sekunde auf die nächste hatte sich die Perspektive völlig geändert, und es war fraglich, ob sie je wieder dieselbe werden würde.

„Hast du noch viel zu erledigen?“, fragte Mana schließlich leise, sie schienen im Stillen darüber eingekommen zu sein, dass sie über ihre jeweiligen Gedanken schwiegen, um es nicht schwerer zu gestalten, als es ohnehin schon war.

Ernst blickte der Hohepriester sie an, ja er hatte noch einiges zu tun, vieles um es genau zu nehmen, mehr als man in einer Nacht wirklich schaffen konnte, doch es ließ sich nicht ändern. Er musste es schaffen die Truppen zusammen zu rufen, die Planung soweit sie denn möglich war, abzuschließen, und alle nötigen Kommandos zu geben. Es hing alles davon ab, dass er den Aufbruch koordinieren konnte, damit es nicht zu Verzögerungen kam, die Ägyptens Untergang mit Sicherheit besiegeln würden.

Leicht quengelnd sah Mana zu ihm auf. „Musst so etwas eigentlich immer du machen? Gibt es dafür keine Diener oder so?“ Sie wollte wirklich die letzten Stunden, die ihr noch blieben, mit ihm verbringen, sie hatte wenig Interesse daran, ihn jetzt schon herzugeben. Beleidigt zog sie eine Schnute.

„Ich fürchte, die sind dafür nicht geeignet“, gab Seth geringschätzig zurück, „Sie sind in so etwas nicht geschult.“ Würdevoll blickte er auf sie herab, majestätisch, mächtig.

Mana lachte. Hatte sie etwa eine andere Reaktion von ihm erwartet? Nein, hatte sie nicht. Es passte so sehr zu Seth, dass es sie schon fast wieder gruselte, wie durchschaubar er in solchen Dingen war. „Du bist dafür natürlich viel besser geeignet“, stimmte sie ihm zu, und sah ihn wissend an. „Du bist schon sehr arrogant, oder?“

„Arrogant?“, der Hohepriester sah sie an, ernst, leicht gekränkt.

„Eingebildet?“, versuchte das Mädchen es ein weiteres Mal, „Sehr von dir überzeugt?“ Es gefiel ihr, so mit ihm zu sprechen, weil sie wusste, dass er es ihr niemals übel nehmen würde. Sicher, es hat Zeiten gegeben, da hätte sie nicht im Traum daran gedacht, so mit Hohepriester Seth zu sprechen, doch diese Zeiten waren schon lange her, so lange, dass Mana sich schon gar nicht mehr vorstellen konnte, wie es ohne ihn war. Nun hatte er ihr ihren hübschen Kopf völlig verdreht und schien auch noch stolz darauf zu sein.

Noch immer blickte er sie äußerst skeptisch an. „Ich weiß nicht, wie du darauf kommst“, gab er eitel zurück und blieb gestellt ernst. „Ich bin doch wirklich alles andere als eingebildet und arrogant“, sagte er nachdenklich, „Aber es stimmt schon, ich bin von mir überzeugt!“

Es hätte nicht viel gefehlt, und Mana hätte vor Lachen losgeprustet, es kostete sie einiges es sich zu verkneifen. Eingebildet war wohl doch das richtige Wort, auch wenn er es so vehement abstritt. „Und deswegen bist du besser als alle anderen, oder?“, fragte sie grinsend. Es war doch wirklich albern, aber es passte zu ihm. Er schien wirklich stolz auf die Macht zu sein, die ihm als Hohepriester zufiel.

Seth richtete sich gerade auf, eindrucksvoll und edel. Er war wirklich jemand, vor dem man Angst haben konnte, das wusste Mana, aber sie wollte keine Angst haben müssen vor diesem Mann und sie wusste auch, dass sie dieses Gefühl nicht spüren musste. „Natürlich“, sagte er stolz, „Außerdem habe ich von Geburt an Anrecht auf eine sehr hohe Position.“

Er sagte es leicht dahin, doch Mana las in seinem hellen blauen Augen, wie wichtig es ihm zu sein schien, das klar zu stellen. Wie albern, dachte sie, als ob eine Position so wichtig wäre. Doch dann stockte sie. Für Seth war eine Position wichtig, er hatte es in der Vergangenheit oft genug bewiesen. Nicht nur, dass er versucht hatte, Atemu vom Thron zu stoßen, nein, auch Akims Unterwerfung bewies es nur allzu deutlich. Der Gedanke an Akim versetzte ihr einen Stich in ihr Herz, er fehlte ihr. Einfach unbeschwert lachen, Unsinn machen, ohne an die Folgen zu denken, all das schien nun in unerreichbare Ferne gerückt zu sein.

„Du wirkst verwirrt“, sagte Seth leise, „Ist alles in Ordnung?“

Sie durfte jetzt nicht an Akim denken, er würde wohl nicht mehr zu ihr zurückkehren, sie musste es ohne ihn schaffen. Sie blickte wieder zu Seth, er war jetzt hier, er war bei ihr. Sie lächelte leicht. „Von Geburt an, ja?“, fragte sie spöttisch und wischte so ihre Gedanken fort, „Und trotzdem bist du nur Hohepriester?“

Er verzog leicht das Gesicht. „Ja, leider“, antwortete er, sehr zu Manas Überraschung.

„Leider?“, fragte sie verwirrt, war es denn schlecht Hohepriester zu sein? Er war schließlich fast so mächtig und einflussreich wie Atemu selbst, konnte er damit etwa nicht zufrieden sein? Sie legte ihren Kopf leicht schief, sah ihn aus großen grünen Augen an. Was nur wollte er wirklich? Sie wollte verstehen, wollte wissen, wonach er trachtete, was für ihn so wichtig war. Schließlich musste sie es doch wissen, wollte sie ihn wirklich nachvollziehen können. Verwirrt und niedlich blinzelte sie ihn an, flehend, dass er es ihr erklärte.

Und er gab schmunzelnd nach. „Meinst du wirklich, jemand wie ich gibt sich mit dem Amt des Hohepriesters zufrieden, wenn er Pharao hätte sein können?“, fragte er, und es war nur allzu deutlich, dass diese Frage sich ohne Probleme selbst beantwortete.

Mana legte den Kopf noch schiefer, blickte ihn verwirrt an. „Hättest du?“, fragte sie leise, sie wusste zwar, dass er versucht hatte, die Macht an sich zu reißen, aber dass er ein Anrecht darauf gehabt hätte, war ihr völlig neu.

„Ja, hätte ich“, gab Seth leicht verbittert zurück, „Ich hätte Pharao werden sollen, doch dann kam Atemu.“

Er war also tatsächlich nicht zufrieden mit dem Amt des Hohepriesters. Mana zog die Augenbrauen hoch. Das hatte sie nicht erwartet, sie hatte geglaubt, er hätte sich damit nun zufrieden gegeben. Sicher, er hörte nicht immer auf des Pharaos Befehle, aber sie hatte geglaubt, das wäre eine Sache, die Atemu und Seth miteinander ausgemacht hatten.

„Das verstehe ich nicht“, antwortete sie wahrheitsgetreu.

Seth lächelte und schüttelte den Kopf. „Das musst du nicht. Ich habe das Amt nicht bekommen, das ist der wichtige Punkt dabei.“

Mana sah ihn an. Nein, er hatte das Amt nicht bekommen. Doch was würde nun geschehen? Atemu hatte ihn zu seinem offiziellen Nachfolger erklärt, und sie beide würden in die Schacht ziehen. Vieles geriet nun in Bewegung. Seth hatte die Krone bereits schon einmal nicht bekommen, würde er es noch ein weiteres Mal einfach so hinnehmen? Wozu war er wirklich fähig?
 

Mana hatte Seths Gemach verlassen, er hatte noch sovieles zu tun, sie durfte ihn nicht stören. Sie hatten sich nicht verabschiedet, diese Nacht noch würde er zu ihr kommen.

Sie durfte ihn jetzt nicht aufhalten, der Abend war schon fortgeschritten, und Seth sollte zumindest noch ein paar Stunden Schlaf bekommen, ehe er schließlich loszog, an der Spitze des Heeres, um die libyschen Truppen zurückzuschlagen und siegreich zu ihr zurückzukehren. Sie glaubte daran, musste daran glauben, wollte sie nicht den Verstand verlieren vor Angst.

Langsame Schritte trugen sie vorwärts, zu ihrem Zimmer. Es war nicht mehr der Raum, in dem sie sonst gelebt hatte. Als Verlobte des Hohepriesters hatte sie Anspruch auf einen größeren, helleren Raum gehabt. Einen Raum, der wesentlich leichter zu erreichen war von Seths Gemach aus. Insgeheim war sich Mana nicht ganz sicher, ob sie sich wirklich über dieses Zimmer freute, sie hing an dem alten, und trennte sich nur ungern davon, doch es entsprach einfach nicht mehr ihrem jetzigen Stand. Es machte einen falschen Eindruck, wenn die mögliche zukünftige Königin in einem Raum lebte, der nicht viel größer war, als eine einfache Abstellkammer, unabhängig davon, ob es ihr dort gefiel oder nicht.

Am liebsten wäre sie direkt bei Seth eingezogen, doch das ging natürlich auch nicht. Sie konnte sich nicht immer in den Vordergrund drängen, er hatte Pflichten zu erfüllen, Pflichten, die nicht warten durften, dazu waren seine Aufgabenbereiche zu groß, umfangreich und wichtig.

Und so war sie gegangen, hatte ihn allein gelassen, ihn seine Aufgaben erfüllen zu lassen. Es war wichtig, dass alles klappte, die Möglichkeit, er könnte nicht zurückkommen... Nun, sie wollte lieber nicht darüber nachdenken. Zu groß war die Angst, zu groß wäre der Verlust, nicht nur für sie, sondern für das gesamte Königreich.

Schließlich erreichte sie ihren neuen Raum, er war groß und einladend, durch einige Kerzen erleuchtet und doch unvertraut und fremd. Der Raum erschien ihr leer, kalt. Trotz all der Annehmlichkeiten, dies war nicht ihr Zuhause. Auf einem Tisch lagen ihre alten Unterlagen, viel mehr hatte man aus ihrem Raum nicht retten können, viel mehr hatte sie auch nicht. Sie lächelte als sie ihre eigene krakelige Schrift auf den Rollen sah. Da war etwas bekanntes, etwas eigenes. Sie atmete tief durch, ließ sich dann auf ihr neues Bett fallen. Es war weich und groß, machte den Eindruck, als könnte sie sich daran gewöhnen. Sie durfte einfach nicht nur die negativen Seiten sehen. Dieser Raum war schön, viel schöner als sie je einen gehabt hatte. Sie war nur einfach viel zu besorgt im Augenblick, deswegen könnte sie seine Schönheit nicht sehen.

Auch ihr Gewand, das sie noch immer trug, hatte sie noch nicht recht zu würdigen gewusst. Der grüne Stoff brachte vor allem ihre Augen wunderbar zur Geltung, sie konnte wirklich stolz darauf sein, dass man soviel aus ihr herausholen konnte, nie hätte sie erwartet jemals so aussehen zu können, hätte ihr jemand davon erzählt, sie hätte kein einziges Wort geglaubt. Doch all dies war wirklich wahr geworden. Nach dem Krieg würde alles wieder gut werden, all die Besorgnis und all die Angst wäre sicher wie weggewischt, wenn sie sich nur wieder in Seths Arme kuscheln konnte, wenn er wieder bei ihr wäre, und das Land in Frieden läge.

Es klopfte an der Tür.
 

Mana blinzelte. Wer sollte hier vorbei kommen? Und das jetzt noch? War Seth etwa schon fertig mit seiner Arbeit?

Es konnte nicht sein, er konnte es nicht sein. Verwirrt stand sie auf, ging zur Tür. „Ja?“, fragte sie noch immer mit Überraschung in der Stimme, und öffnete die Tür einen Spalt, damit sie hinaus sehen konnte.

Doch sofort wurde die Tür aufgeschlagen, Mana konnte der Wucht gerade so ausweichen. Keuchend sprach sie zurück, die Augen voller Angst geweitet.

Was machten die denn hier?!

Was wollten sie noch von ihr?!

Mana versuchte noch am Eintreten zu hindern, doch da war es schon zu spät. Karim hatte sich bereits in die Tür gestellt und hielt sie Shada auf diese Weise auf, Mana konnte sie nicht wieder schließen, ohne Karim zur Seite zu schubsen und das konnte sie auf keinen Fall schaffen. Sie wich zurück.

Karim grinste das Mädchen an. „Wir haben etwas zu klären“, sagte er und trat ungebeten ein.

„Und zwar ganz dringend!“ Shada schloss die Tür hinter sich, nickte Karim vielsagend zu. Das Zimmer war versiegelt, sie hatten den Zauber ausgesprochen noch bevor sie den Raum betreten hatten, und nun, da die Tür verschlossen war, wurde der Zauber besiegelt.

„Vergesst es!“, fauchte Mana laut und aufgebracht, sie wollte weg, wollte zurück zu Seth, auf keinen Fall wollte sie mit den Beiden allein sein. Nicht jetzt und auch nicht später. Der Tag war wirklich verflucht. Sie lief zur Tür, wollte sie öffnen um zu entkommen, doch es ging nicht. Sie gab nicht nach, nicht einen einzigen Millimeter.

Was war nur los?!

Wieso ging die Tür nicht auf?!

Es war wirklich nicht ihr Tag...

Leicht panisch ließ sie ihren Stab erscheinen, richtete ihn bedrohlich auf Shada und Karim, die jedoch nur leicht lächelten. „Wehe ihr kommt näher!“, rief Mana voller Schrecken in der Stimme.

„Meinst du, dein kleines Spielzeug macht uns Angst?“

„Den kannst du vergessen.“ Shada stand noch immer an der Tür, beobachtete amüsiert ihre verzweifelten Versuche zu entkommen. „Du kannst doch gar nicht damit umgehen.“

Wieso nur gingen alle davon aus? Es machte Mana sauer. Meira hatte ihr auch immer vorgeworfen, sie könnte mit ihrer Magie gar nicht umgehen und nun Shada. Wieso nur gingen sie alle da von aus? Wieso glaubten alle, sie könnte sich nicht verteidigen?!

Sie hielt den Stab weiter vor sich, blickte die Beiden gefasst an. Sie hatte nicht vor, sich ihnen zu unterwerfen, sie würde kämpfen, egal was es kostete. Sie hatte noch niemals aufgegeben...

„Ich habe mich an die Abmachung gehalten!“, zischte sie ungehalten, „Ich habe nichts gesagt!“

Bedrohlich trat Karim einige Schritte auf sie zu. „Bist du dir da auch sicher?“, fragte er grimmig, „Woher sonst wusste der Priester davon? Wie willst du das erklären?“

Mana schüttelte den Kopf. Sie hatte es gewusst, sie hatte es genau gewusst! Sie würden ihr nicht glauben, niemand hätte ihr das geglaubt. Und trotzdem war da immer noch Hoffnung gewesen, Hoffnung, die nun zerstört war. „Durch das Kleid sieht man das eben!“, versuchte sie fast verzweifelt zu erklären, „Er ist eben nicht so dumm, wie ihr glaubt! Ich habe nichts gesagt!“ Sie wiederholte sich, das wusste sie, doch ihr blieb keine andere Wahl. „Ich habe euch doch sogar noch verteidigt...“, ihre Stimme klang bittend, flehend, doch die Priester blieben ohne Gnade.

„Du? Uns verteidigt?“, der Schwarzhaarige ging noch weiter auf Mana zu, bedrohlich, finster. „Mach' dich nicht lächerlich!“

„Aber es ist wahr!“, schrie Mana mit schriller Stimme, sie wich ein weiteres Stück zurück, bald schon würde sie die Wand erreicht haben, dann würde sie wieder... Nein, sie musste hier raus, musste es schaffen, egal wie! Wenn nur Seth noch hier wäre, er war doch so nah dran...? Wieso nur hörte er sie nicht, ihre Stimme musste doch durch alle Gänge hallen... Wieso nur ließ er sie jetzt allein...?

„Bleib' stehen!“ Karim durfte nicht näher kommen, nicht einen einzigen Schritt näher.

Doch wieder hörte er nicht auf sie. „Wieso sollte ich?“, fragte er gelangweilt, „Hast du etwa Angst?“

Das Mädchen starrte ihn an, entgeistert, hilflos, verzweifelt. Ja, sie hatte Angst! Sie hatte sogar wahnsinnige Angst, aber das durfte sie ihm nicht sagen, er durfte es nicht wissen, durfte nicht sehen, wie erfolgreich er war. Erneut versuchte sie, ihren Stab als Waffe zu nutzen, doch gerade als sie sich an einem Zauber versuchen wollte, war er verschwunden und tauchte in der nächsten Sekunde in Shadas Hand wieder auf. „Was soll das?!“, rief sie erschrocken aus.

Karim lächelte vergnügt. „Was hast du denn? Du scheinst nervös zu sein.“ Es war mehr eine Feststellung als eine Unterstellung und die Tatsache amüsierte ihn bestens.

Shada unterdessen hielt Manas Stab triumphierend in seiner Hand, ging ein paar Schritte im Zimmer umher. „Nun sei doch nicht so gemein“, hauchte er Karim zu, „Du machst der Kleinen doch Angst! Meinst du nicht, sie hat durch den Krieg mit ihrem Heimatland nicht schon genug um die Ohren?“ Voller Spott und Hohn beobachtete er die Wirkung seiner Worte, konnte sie in ihrem Gesicht lesen.

„Aber natürlich“, stimmte der Größere ein, „Es muss verdammt hart sein, so zwischen den Fronten zu stehen.“ Sein Blick fiel wieder auf Mana. „Hast du dir das so gewünscht?“

Verwirrt starrte sie die Beiden an, hatten sie nun völlig den Verstand verloren?

Heimatland?

Was sollte das?

Wovon redeten sie?

Nun verstand sie überhaupt nichts mehr, verstand nicht, was sie von ihr wollten und was sie ihr sagen wollten. Wie sollte sie das verstehen?

Sie blickte durcheinander von Karim zu Shada, doch keiner schien es ihr zu erklären. Shada schritt weiterhin auf und ab, sah sie kalt lachend an. „Und es muss hart sein, zu wissen dass die eigenen Landsleute abgeschlachtet werden und das ausgerechnet von dem eigenen Verlobten.“ Er klang fast mitleidig als er es sagte, doch seine Worte schnitten tief unter die Haut, verletzend, nicht einfühlsam.

Wovon nur redeten sie?

„Aber genau das wolltest du ja, ein Spiel spielen, nicht wahr? Niemand sollte wissen, wer du wirklich bist!“

Mana zitterte leicht, versuchte aber das zu verbergen. „Hört auf!“, schrie sie befehlend, doch natürlich nahmen die zwei sie nicht ernst, „Ich weiß nicht, wovon ihr redet!“ Konnten sie das nicht verstehen?

Wollten sie es nicht?

Wieso Landsleute?

Wie kamen sie darauf?

Was hatte sie denn mit Libyen zu tun?

Mana biss sich von innen auf die Lippen, wusste sie, wer sie wirklich war? Wo sie wirklich herkam?

Was wäre, wenn die Beiden Recht hätten? Sie konnte sich kaum an ihre Kindheit erinnern, nur das Gesicht ihrer Mutter war in ihrem Gedächtnis hängengeblieben, der Rest war weg, einfach verschwunden. Sie war im Palast aufgewachsen, in diesem Palast, nicht in Libyen, sie kannte das Land nicht einmal!

Karim lachte herzhaft. Nicht um sich zu amüsieren, sondern um sie bloßzustellen. „Lüg' nicht“, sagte er ihr grinsend ins Gesicht und kam ihr dabei gefährlich nahe, „Du bist doch nichts weiter als ein kleines libysches Miststück!“

„Ich lüge nicht! Ich habe keine Ahnung!“ Was musste sie machen um sich Gehör zu verschaffen? Damit sie es endlich verstanden? Sie wusste nicht, wovon sie sprachen, was auch immer sie glauben ließ, sie käme aus Libyen, es war ihr völlig unbekannt. Langsam hielt sie es nicht mehr aus, spürte die kalte Wand im Rücken, sie konnte nicht weiter zurückweichen.

„Ist das wahr?“, fragte Karim schließlich und lächelte, „Das muss hart sein...“

Ängstlich sah sie ihn an, sie wusste nicht, wovon er sprach, ja und? „Was muss hart sein?“ Sie wollte es eigentlich gar nicht wissen und es konnte ihr auch egal sein, aber nicht zu verstehen, worum es hier überhaupt ging, regte sie auf.

„So unwissend durchs Leben zu gehen“, antwortete Karim prompt und war ihr nun so nahe, dass sie seinen Atem in ihrem Gesicht spüren konnte. „Bist du wirklich so naiv, Süße?“

Mana kniff die Augen zusammen, drehte ihren Kopf zur Seite und versuchte hartnäckig sich zusammenzureißen. „Ich bin ... nicht ... naiv...“, presste sie hervor, probierte irgendwie an der Seite an Karim vorbei und von ihm wegzukommen, doch er versperrte ihr jeden Weg.

„Was bist du dann?“

Sie sah ihn sauer an, sie wollte doch nur weg, einfach nur verschwinden, war das denn zu viel verlangt? Sie würde sicher niemals mehr auch nur eine Sekunde der Beiden in Anspruch nehmen, nie im Leben, niemals wieder. „Unwissend, was meine Vergangenheit angeht, aber mehr auch nicht!“, fauchte sie, wieso konnten sie sie nicht einfach in Ruhe lassen?

Karim stützte sich mit seinen beiden Händen an der Wand ab, und hielt sie so zwischen seinen Armen gefangen. „Und über alles andere auch!“ er wiederholte seine Frage von vor ein paar Minuten: „Hast du Angst?“

Mana weigerte sich ihn anzusehen, starrte stattdessen auf den Boden, jedoch ohne etwas zu sehen, denn sie hatte die Augen geschlossen. Sie nickte leicht. „Was wisst ihr über meine Vergangenheit?“, fragte sie leise nach.

Shada sah sie an, lachte kalt auf. „Na los, erzähl ihr, was für eine Bedrohung sie darstellt!“, ermunterte er seinen Freund, es passte ihm gut, dass dieser das Gespräch übernommen hatte, „Für ihren Hohepriester!“

„Dann sage es mir doch endlich“, knurrte Mana und klang dabei um einiges mutiger als sie sich fühlte. Sauer sah sie ihn an. „Verrate es mir doch, wenn du so allwissend bist!“

Was sollte das wieder heißen?

Sie war eine Bedrohung für Seth?

Konnten sie nicht endlich damit aufhören, sich ständig irgendwelche Geschichten über sie auszudenken nur um sie schlecht zu machen?

Sie verstand es nicht. Sie verstand nur, dass Shada und Karim Seths Wahl mehr als in Frage stellten, dass sie sie anzweifelten und das bis aufs Blut. Und sie wusste nicht, was sie tun sollte um das zu ändern.

Karim verdrehte die Augen. „Du hast libysche Vorfahren!“, erklärte er, „Und dein Priester zieht in den Krieg gegen Libyen. Was meinst du wohl, was passiert, wenn das bekannt wird?“

Erschrocken starrte sie ihn an. Das konnte nicht sein, das war gelogen! Wenn sie wirklich libysche Vorfahren hatte, dann wüsste sie das doch. Wieso sollte sie dann hier sein? „Das geht nicht“, widersprach sie und sah ihn fragend an, wie kam er darauf?

„Aber sicher, Kleine“, antwortete Karim und lächelte überlegen, „Dein Vater ist der König der Räuber!“
 

Nun war es an Mana, laut aufzulachen. „Guter Witz“, meinte sie und reagierte so ohne es zu wissen, genau so, wie auch Bakura es auch getan hatte. Bakura war in ganz Ägypten bekannt, wenn er eine Tochter hätte, dann wäre es mit Sicherheit kein Geheimnis.

„Aber es ist wahr“, gab der Priester zurück. Ob sie es glaubte oder nicht... Er strich ihr über die Wangen. „Ich weiß, solche Zusammenhänge sind schwer zu verstehen“, sagte er Mitleid heuchelnd, „Besonders wenn man so dumm ist, wie du es bist.“

Mana zog ihren Kopf weg, hatte aber wenig Spielraum sich zu bewegen. „Lass mich in Ruhe!“, rief sie aufgebracht, zischte bedrohlich. „Ich bin nicht dumm!“

„Warum sollte ich auf dich hören?“, fragte Karim, von Shada war nur ein verächtliches Schnauben zu vernehmen, er genoss es sichtlich, wie Karim mit Mana umging. „Du hast doch auch nicht gehört, als wir dir gesagt haben, du sollst schweigen!“

Panik stieg in Mana auf. „Ich hab geschwiegen, ich hab nichts gesagt!“, quietschte sie schrill und wurde noch schriller als er seine Hand an ihr Kinn legte und sie so zwang ihn anzusehen.

„Du lügst!“, zischte er wütend.

Mana versuchte seinen Arm wegzuschieben, von ihm loszukommen, doch sie hatte keine Chance, es gelang ihr einfach nicht. „Nein...“, sagte sie leise, „Nein, ich habe nichts gesagt...“

Wenn sie ihr nur glauben würden...

Was sollte sie denn noch tun?

„Das ist nicht wahr“, widersprach der Priester, und führte seinen Kopf nahe an den ihren, um ihr seine weiteren Worte ins Ohr hauchen zu können: „Und das weißt du auch.“

Sie erschauderte, es lief ihr eiskalt den Rücken herunter. Er widerte sie an, war viel zu aufdringlich. Sie biss sich auf die Lippen. Sie musste weg, sie musste einfach weg von hier, weg von diesem Raum, und besonders weg von den Beiden. „Geh weg...“, hauchte sie verzweifelt, Tränen standen in ihren Augenwinkeln. „Selbst wenn ich etwas gesagt hätte, das würde doch nun auch nichts mehr ändern...“

„Oh doch“, gab Karim lächelnd zurück, „Das ändert einiges. Dann wärst du jetzt nämlich gar nicht in dieser ach so misslichen Situation.“

Sie versuchte ihn fortzustoßen, wieder Raum zwischen ihren und seinen Körper zu bringen. Es gefiel ihr gar nicht, machte ihr Angst, große Angst. Letztes Mal war sie mit ein paar Schlägen davon gekommen, doch wie sollte sie das dieses Mal schaffen? Wie sollte sie entkommen? Er war so schrecklich stark, viel stärker als sie, und an ihren Stab kam sie auch nicht heran. Selbst wenn sie also in der Lage gewesen wäre, sich mit Magie zu befreien, sie konnte es nicht umsetzen. Ohne ihren Stab war sie machtlos.

Völlig machtlos.

Hilflos.

Allein.

Ausgeliefert.

„Lass mich!“, schrie sie in einem weiteren tapferen Anflug von Trotz, doch den Schwarzhaarigen amüsierte es nur. Mana rief nach Seth, schrie so laut sie konnte. Er musste sie hören, er war doch gleich nebenan, er konnte nicht so taub sein. Selbst wenn er beschäftigt war, er würde kommen, würde zu ihr eilen um sie zu retten.

Hoffnung ...

„Er wird dich nicht hören.“

... zerbrach.

„Dieser Raum ist komplett abgeriegelt“, erklärte Shada, der es sich inzwischen auf ihrem Bett bequem gemacht hatte, und gespannt beobachtete, wie Karims Hand erneut über Manas Wange strich und wie sie dabei erzitterte. „Nichts kommt herein, nichts kommt heraus, nicht einmal dein eindrucksvolles Geschrei.“

Mana blickte kurz voller Hass zu dem Sitzenden, wurde aber mit schmerzlicher Gewalt wieder zurückgezogen. Karim packte ihre Handgelenke, drückte sie gegen die Wand. „Niemand wird dich hören“, hauchte er und der Klang seiner Stimme stand im kompletten Gegensatz zu seinen Handlungen. „Du bist ganz allein...“

Entsetzt starrte Mana ihn an, aus angstverzehrten Augen betrachtete sie ihn als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Er genoss ihre Angst, er genoss es sichtlich, dass sie ihm so ausgeliefert war.

„Das tut weh...“, sagte Mana weinerlich, kniff die Augen zusammen. Er sollte sie endlich in Ruhe lassen...

Seth. Sie dachte einfach nur an Seth, versuchte sich sein Gesicht in Erinnerung zu rufen, versuchte, Karim und Shada auszublenden. Er würde ihr helfen, er würde ganz sicher ... Nein, sie war allein, Karim hatte Recht.

„Was hast du denn?“, fragte er amüsiert, ohne sie loszulassen, „Sei doch nicht so verkrampft.“

Verkrampft? Was bildete er sich ein?

„Ich bin nicht verkrampft!“, fauchte sie, irgendjemand musste sie hier herausholen, egal wer... Seth... Akim ... Sie mussten sie doch hören ...

Ein dumpfer Schlag in ihr Gesicht holte sie zurück in die Wirklichkeit und sorgte dafür, dass die Tränen aus ihren Augen perlten. Mana schrie leicht auf, biss sich auf die Zunge, kniff die Augen zusammen. Sie musste sich wehren...

„Sei nicht zu hart, Karim“, Shadas Stimme ertönte durch den Raum, abwertend, kalt. „Sie sollte es überleben.“

Kurz lächelte der Angesprochene zu seinem Freund herüber. „Du kennst mich doch“, sagte er, „Ich lasse dir etwas übrig!“

Wieder schlug er sie, sie fiel gegen die Wand, konnte nicht ausweichen.

„Mir bleibt wieder der verkümmerte Rest?“, fragte Shada leicht vorwurfsvoll und lachte auf, „Habe du nur deinen Spaß!“, zischte er fies, „Ich komme auch so auf meine Kosten.“

„Lasst mich in Ruhe!“, schrie Mana, strampelte und schlug fuchtelnd um sich. Sie musste weg, endlich das Zimmer verlassen, sie musste -

Klatsch.

Ein weiterer stechender Schmerz zog sich über ihren Kopf, besonders ihr Hinterkopf pochte. Die Wucht von Karims Schlag hatte sie gegen die Wand stoßen lassen, vor der sie nun leicht benommen zusammensackte. Das Wasser ihrer Tränen mischte sich unter ihr eigenes Blut, sie musste eine Platzwunde haben, sie hatte es nicht wirklich gespürt. Sie spürte nur das dumpfe Pochen und die Wucht der Schläge, was daraus wurde, konnte sie nicht sagen.

„Sei still!“, brüllte Karim sie an, und das Dröhnen in ihrem Schädel verstärkte seine Lautstärke um ein Vielfaches.

Mana zuckte zusammen. „Lass mich...“, flüsterte sie schwach, „Lass mich endlich los...“

Doch sie bereute es sofort wieder. „Du sollst still sein, hab ich gesagt!“ Karims Worte nahm sie kaum noch wahr. Ein Hagel an Händen, so schien es, ging auf sie nieder, schmerzvoll verzog sie ihr Gesicht, verkrampfte noch mehr.

Und plötzlich legte sich Entsetzen über ihre Augen.

Er kam näher, noch näher, trat sie, sodass sie sich zusammenkauerte, dann packten seine schweren Finger ihre Kleidung, die unter der groben Behandlung sofort zerriss.
 

Ein paar Minuten später war alles vorbei. Der schwarzhaarige Priester richtete sein Gewand, ließ das Mädchen in sich zusammengesunken am Boden liegen, blickte voller Verachtung zu ihr herab.

Dann wandte er sich von ihr ab, ging auf Shada zu. „Das war schon ganz gut“, meinte er abfällig, und sah seinen Freund an. „Du hattest deinen Spaß, nicht wahr?“

Der Angesprochene erhob sich, trat auf Mana zu, ließ seinen gierigen Blick auf sie fallen. „Allerdings, ja“, stimmte er zu, „Sollte ich etwa nicht? War sie so schlecht? Sollte ich es lassen?“

„Aber nein“, gab Karim zufrieden zurück, „Ich habe dir doch noch etwas übrig gelassen von ihr.“ Er betrachtete sie, schüttelte mitleidig den Kopf. „Sieh sie dir an“, sagte er mit einem finsteren Lachen auf den Lippen, „Jämmerlich, nicht wahr?“

Anstatt zu antworten beugte sich Shada zu ihr herunter, berührte ihre geschundene Haut. „Ich mag Menschen in diesem Zustand“, flüsterte er, „Vor allem, wenn man sie alles noch einmal erleben lassen kann...“

Die Augen, die Mana erneut aufriss, waren leer, und doch voller Trauer und Angst. Sie konnte sich kaum rühren, jede Faser ihres Körpers schien zu schmerzen, ihr kaum noch zu gehorchen, so unbändig zitterte sie. Sie kämpfte dagegen an, ihren Mageninhalt zu erbrechen, konnte kaum an sich halten.

Nicht noch einmal...

Aufhören...

Doch ihre Worte klangen wie Hohn, kein Ton trug die Laute fort, sie blieben ungehört.

„Ich wünsche dir viel Spaß!“, wünschte Karim und Shada bedankte sich lachend.

Dieses Mal ging es schneller als das mal davor, alles in Mana zog sich zusammen, ihr Blick verschwamm. Alles brannte, ihr Körper schien in Flammen zu stehen, doch kein Tropfen Wasser war erreichbar.

„Jämmerlich, du hast Recht.“

Sie würgte, krampfte sich zusammen. Die Welt um sie wurde immer dunkler, ihre Sicht undeutlicher. Das Letzte, das Mana wahrnahm, waren zwei Gestalten, die zu Boden gingen und eine tief dunkle Silhouette.

Seth...

Erwachen

Sie lief schlurfend durch die Gänge, seufzte leise. Unzählige Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was sollte sie noch hier? War sie überhaupt noch willkommen? Wollte sie noch weiter in diesem Palast leben? Und wenn nicht, wo sollte sie sonst hin?

Kisara warf ihr langes helles Haar über die Schulter, und bog in einen weiteren Gang ein. Wo sie eigentlich hinging, wusste sie nicht, und es war ihr auch völlig egal. Sie hatte kein Ziel.

Sie hatte einst eines gehabt, an der Seite des Hohepriesters ein Leben führen, das ihrer Wert war. Sie, die sie den weißen Drachen kontrollierte, sie, die sie eigentlich von der Straße kam. Seth hatte sie einst gerettet, hatte ihr den Weg in den Palast geebnet. Zu Anfang hatte sie geglaubt, er hätte es nur auf den Drachen und die Macht dahinter abgesehen, doch nun wusste sie, dass das nicht der einzige Grund gewesen sein konnte. Wäre es der Fall gewesen, wäre sie nun mit Sicherheit nicht mehr am Leben.

Und trotzdem hatte Seth sie in gewisser Weise getötet. Seine Ernennung zum Thronfolger und seine Verlobung mit Mana am Abend zuvor waren Dinge, die sie zwar hinnehmen musste, aber die sie nicht akzeptieren konnte. Sie hatte ihn verloren, das wusste sie. Doch dass er es so endgültig meinte, konnte sie kaum verkraften. Sie wusste einfach nicht wieso... Sie hatte kaum etwas getan und doch hatte sie Seths Hass auf sich gezogen.

Er hatte sie in den Palast gebracht. Wo sollte sie nun hingehen? Sollte sie bleiben? Hatte es überhaupt einen Sinn, dass sie blieb? Würde es noch jemanden interessieren?

Sie atmete tief durch, ein leicht sandiger Wind wehte ihr um die Nase. Sie hatte den Palast verlassen, stand nun im Hof und blickte gen Himmel. Wohin würde ihr Weg sie noch führen?

Wenn sie nur wüsste, was noch vor ihr lag. Sie wusste sich kaum zu entscheiden, was sie nun tun sollte. Sie wollte bleiben. Sie wollte nicht zurück auf die Straße. Dies war der erste Ort, an dem sie jemals sicher gewesen war, der erste Ort, den sie je ihre Heimat genannt hatte.

Der sich verdunkelnde Himmel lächelte sie an. Nein. Es war noch nicht an der Zeit, das Nest zu verlassen.
 

Unruhig blickte Akim auf, er fühlte sich merkwürdig. Seltsam, dachte er, er hätte schwören können, dass er jemanden gehört hatte. Jemand der nach seinem Namen rief.

Bildete er es sich ein? Halluzinierte er?

Neben ihm saßen Meira und Cyrus, doch keiner von beiden schien etwas gesagt zu haben. Er kratzte sich hinterm Ohr. „Habt ihr das auch gehört?“, fragte er in die Stille hinein, doch sie schienen ihn nicht zu beachten.

Cyrus sah seine Schwester eindringlich an, sie musste weitersprechen, es war wichtig, dass sie verstanden, was ihre Vision bedeutete. Der weißhaarige Mann. Wieso war er so wichtig? Wer war er?

„Was ist mit dem Mann?“, fragte er ungeduldig nach, gespannt darauf, dass er es endlich verstand.

Fast zeitgleich wiederholte Akim seine Worte, und verstand so nicht, was Cyrus ausdrückte. Er war verunsichert, sicher, da hat jemand nach ihm gerufen, doch niemand war hier, wie sollte das möglich sein? „Ich habe ganz sicher jemanden sprechen gehört...“, sagte er.

Die Rothaarige richtete ihren Kopf auf und lenkte ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ihren jüngeren Bruder, dann auf Cyrus, der die Augen genervt verdrehte. Doch Meira war anderer Meinung. „Ich habe nichts gehört“, erklärte sie wahrheitsgetreu, doch sie wusste instinktiv, dass ihr Bruder die Wahrheit sagte. Er hatte keinen Grund zu lügen und außerdem hätten ihn andernfalls seine Augen verraten.

Dennoch ging Meira auf Cyrus Themenwechsel ein. „Der Mann ... Ich habe es nicht so richtig verstanden, aber er scheint eine wichtige Person zu sein ... Jemand, der nach Macht strebt ... Und den Untergang Ägyptens wünscht ...“

Sie wusste nicht, wie sie in Worte fassen sollte, was sie gesehen und vor allem gefühlt hatte. Die richtigen Worte sickerten davon bevor sie sie fassen konnte, zu viele Eindrücke waren auf sie eingedrungen.

„Also könnte er uns gefährlich werden?“, hakte Cyrus nach. Musste er sich Sorgen machen?

Meira überlegte einen Moment, diese Frage war tatsächlich heikler, als sie sich anhörte. Und doch. Ihre Vision hatte ihr zwar Chaos gezeigt, doch dieser Mann war nicht des Unheils Ursprung. „Nein“, antwortete sie schließlich nachdenklich, „Ich denke nicht, dass er uns gefährlich werden kann ... Er kennt nicht die Macht der Nebel.“

So musste es sein. Der Nebel hatte sie noch nie im Stich gelassen, der Nebel hatte sie immer geführt, egal welche Wege sie auch beschritten hatten.

Verbissen versuchte die Rothaarige die Bilder festzuhalten, die langsam ihr Bewusstsein verließen. „Er befindet sich zur Zeit in einem Tempel“, sagte sie leise, „Im Tempel des Anubis.“
 

Die Vorbereitungen liefen in vollem Gange, die Diener liefen wie in Scharen durch die Gegend, jeder überbrachte die Nachrichten und Befehle, die er ihnen auftrug auszurichten. Hochkonzentriert studierte der Hohepriester die Karten, das Gebiet an der libyschen Grenze war kein Neuland für ihn, ganz im Gegenteil. Oft war er dort gewesen, doch eine Gefahr hatte er nicht ausmachen können.

Die Zeiten hatten sich geändert. Die freundlichen Menschen, denen er auf all seinen Reisen begegnet war, all sie waren nun Feinde, gegen die er in den Krieg ziehen musste.

Libyen war entfesselt, der Krieg in vollem Gange. Auch wenn Seth stets geglaubt hatte, jeder bekäme nur was er gesät und verdient hätte, so zweifelte er nun selbst daran. Die Menschen wollten keinen Krieg.

Es war wichtig, dass die Schlacht nicht auf ihrem Rücken ausgetragen wurde, nur wenn das gewährleistet wäre, könnte es irgendwann wieder zu einem Frieden zwischen den beiden Völkern kommen.

Fieberhaft betrachtete Seth die Karten, bemühte sich die optimale Strategie herauszufinden, den optimalen Weg zwar den Krieg zu gewinnen, aber die Zahl der Opfer gering zu halten. Sowohl auf ägyptischer, als auch auf libyscher Seite. Dennoch würde er kämpfen, dennoch würde er morden.

Und er würde zurückkehren. Er hatte es versprochen und er glaubte fest daran. Nichts auf dieser Welt würde ihn davon abhalten können. Auch der beste Krieger konnte fallen, das wusste auch Seth, doch mit Hilfe der Millenniumsmagie konnte kaum einer ihm wirklich gefährlich werden. Kaum einer konnte ihm nahe genug kommen, um ihm ernsthaft zu schaden. Und er würde kein Erbarmen kennen, seinem Ruf und seinem Amt gerecht zu werden.

Er würde siegreich sein.
 

Er hatte keine Sekunde gezögert, doch das schreckliche Schauspiel, dass sich direkt vor seinen Augen abgespielt hatte, konnte er kaum fassen, es graute ihm davor.

Durch jeden Gang war er ihnen gefolgt, den Priestern, die so arrogant und selbstsüchtig nur sich liebten. Er hatte sie verfolgt, weil sie von einer unglaublich finsteren Aura umgeben gewesen waren, eine Aura, die nicht einmal auf dem Kriegsschauplatz so zu spüren war. Blanker Hass.

Und doch war er zu spät gekommen, Xerxes betrachtete verbissen die zwei Männer, die nun am Boden lagen. Was sich hier abgespielt hatte, war deutlich zu lesen, das Mädchen lag noch immer in ihrem Blut, entblößt, denn ihre Kleidung war zerrissen.

Wäre er schneller hier gewesen, hätte er dies vielleicht noch verhindern können, so jedoch konnte er ihr Leid nur noch beenden, nicht jedoch es verhindern. Er war aus einem Gefühl heraus in Manas Zimmer gelaufen, hatte die Tür aufgebrochen, und die ganze schmerzhafte Situation hatte sich vor seinen Augen dargestellt. Sein Vorteil war es gewesen, dass die beiden Priester abgelenkt waren durch ihre eigene Grausamkeit, so konnte er sie mit einem gezielten Schlag in den Nacken zu Fall bringen. Was nun mit ihnen geschah lag nicht in seiner Macht.

Wichtiger war das Mädchen. Er eilte zu ihr, beugte sich zu ihr herunter. Was er sah konnte er nicht fassen. Vorsichtig schob er ihr ihr blutverklebtes Haar zur Seite, um ihr Gesicht sehen zu können. Das Mädchen zuckte heftig zusammen, Xerxes zog seine Hand sofort zurück.

„Kannst du mich hören?“, fragte er besorgt. Er hatte die Kleine schon einmal gesehen, erkannte ihr Gesicht, obwohl es nichts mehr von der Lebensfreude versprühte wie zuvor. Das Mädchen vom Fest.

Sie öffnete ihre Augen einen Spalt, nur um sie sogleich wieder zusammenzukneifen. Schmerzhaft verzog sie das Gesicht. „Lass... mich...“, brachte sie kraftlos hervor, hustend und kaum imstande zu sprechen.

Stumm liefen die Tränen über ihr Gesicht, stumm schrie sie nach Hilfe.

„Warte...“, sagte er ernst, „Ich werde dir nicht wehtun...“ Wenn er nur früher gekommen wäre, wenn er nur schneller gewesen wäre...

Das Mädchen zitterte am gesamten Körper, zuckte immer wieder, stöhnte und schrie vor Schmerz auf. „Lüg' nicht...“, hauchte sie schwach.

Xerxes wagte es nicht, näher an sie heranzutreten, er wollte ihr nicht noch mehr Angst machen. Die ganze Situation war einfach nur bizarr, er war an den Hof gekommen, um vom Leid an der Grenze zu berichten, um Hilfe für all seine Freunde zu erbitten. Nun stellte er fest, dass die Grausamkeit bereits Einzug gehalten hatte, hinter die sicheren Mauern des Palastes geschlichen wie ein Feuer, dass die Hoffnung bereits im Keim erstickte. Ohne darauf zu achten ob er sie verletzte, schob er die bewusstlosen Körper von Karim und Shada mit dem Fuß zur Seite, ging zu Manas Bett und griff nach der weichen Decke, die dort lag. Dann hockte er sich wieder zu Mana herunter, hielt ihr den weißen Stoff hin. „Hier...“, sagte er mit ruhiger Stimme, „Damit kannst du dich bedecken.“ er hätte es selbst getan, hätte die Decke selbst über ihren Körper gelegt, doch in dem Fall hätte er ihre Angst sicher nicht gemindert. Sie kannte ihn nicht, wieso sollte sie ihm trauen?

Er selbst hätte sich nicht getraut. Doch ihre zerrissene Kleidung und ihren geschundenen Körper zur Schau zu stellen, wäre eine Beleidigung für sie.

Mana drehte ihren Kopf zur anderen Seite, zog ihre Stirn kraus und kniff die Augen zusammen. Und doch nahm sie die Decke an, hüllte sich mühsam darin ein, die Schmerzen konnte sie kaum ertragen. Sie krümmte sich zusammen, die Augen waren leer.

Verzweiflung blickte Xerxes an, als Mana ihren Kopf wieder in seine Richtung lenkte, die Schmerzen ignorierend, die jede Bewegung ihr bereitete. „Holst... du... Seth...?“, fragte sie ihn leise. Sein Gesicht, dass dem des Priesters so ähnlich war, schien sie auf eine gewisse Weise zu beruhigen.

„Ich soll dich mit den Beiden hier allein lassen?“, fragte er ernst und schüttelte den Kopf. Es war völlig unklar, wie lang es dauern würde, bis zu wieder erwachten, und wenn das geschah, durfte Mana auf keinen Fall hier in ihrer Nähe sein. „Komme mit mir, und ich bringe dich zu ihm“, schlug er stattdessen vor, „Allerdings weiß ich nicht, wo ich ihn finden kann...“

Seth. Seine Augen hatten ihn also nicht getäuscht. Dieses Mädchen war also wirklich des Hohepriesters Verlobte, das kleine lachende Mädchen, dass am Festabend auf so unglaubliche Weise geehrt worden war. Es war wirklich Ironie des Schicksals, dass er ausgerechnet sie jetzt so wiedergefunden hatte.

Mana lachte bitter auf, ohne jedoch mehr als einen krächzenden Ton herauszubekommen. „Ich kann mich wohl kaum bewegen...“ Sie sah ihn an, zitterte wieder etwas stärker und bäumte sich vor Schmerz auf. Seth. Akim. Wieso nur waren sie nicht hier? „Bitte...“, flehte sie.

Xerxes war mehr als besorgt, er musste doch irgendetwas für die Kleine tun können. „Wo finde ich ihn? Sage es mir, ich suche ihn“, versicherte er. Vielleicht war es keine gute Idee, sie jetzt mit den beiden Priestern allein zu lassen, eine viel schlechtere Idee jedoch war es, überhaupt nichts zu unternehmen.

Erneut hustete Mana, Blut lief über ihre Lippen. „Nicht... weit von... hier...“ Sie hustete, es wurde stärker. Sie zitterte, hatte ihren Körper nicht unter Kontrolle, krallte sich fest an der Decke. „Nein... nein...“ Mana schrie immer wieder auf, die Bilder in ihrem Kopf hielten sie gefangen, ließen sie nicht los. Wieder hustete sie, wieder schrie sie auf. Und schließlich verlor sie das Bewusstsein.

Xerxes riss die Augen auf, sah Mana an, schüttelte sie leicht. „Kannst du mich hören?!“, fragte er leicht panisch, „Wach auf!“

Doch sie reagierte nicht.

Er konnte sie nicht länger hier lassen, konnte nicht länger warten. Sie musste schwere Verletzungen haben, die Sprache des Blutes war eindeutig. Kurzentschlossen hob er sie vom Boden auf, hielt sie sanft und doch fest in seinen Armen und lief durch die Tür auf den Gang. Seth. Er musste Seth finden. Doch er hatte noch immer keine Ahnung, wo er nach ihm suchen sollte. Er sah sich um. Nicht weit von hier.

Leider handelte es sich bei 'nicht weit von hier' nicht um eine genaue Ortsangabe. Niemand war zu sehen, niemand, den er fragen konnte. Er musste sich beeilen.

Und so lief er mit Mana los, blieb vor der ersten Tür stehen, die er sah und trat sie mit dem Fuß auf.

Finsternis

Zum tausendsten Male, so schien es, blickte er über die Karten, vergewisserte sich ihrer Genauigkeit und Aktualität, doch es brachte nichts neues. Die libyschen Heeresführer hätten kaum einen geeigneteren Ort für einen offenen Kriegsschauplatz wählen können, strategisch ungeeignet für die zwar auf schlammigen Untergrund geübten, jedoch verstreuten Truppen der ägyptischen Armee.

Kurzum: die Bedingungen für Ägypten standen denkbar schlecht, viel länger als eine Nacht hätte es gebraucht um die Krieger zu positionieren, mehr Zeit, doch Zeit war knapp. Sie standen im Krieg, es gab keine Zeit, keine Pläne, nur Handlungen, Taten, die sprechen mussten, und zwar eine eindeutige Sprache.

Die Sprache, die er zu sprechen gedachte.

Erbarmungslosigkeit bis zur Kapitulation, dann Gnade und die Chance auf ein neues Leben für die Überlebenden.

Sein Weg stand klar vor ihm, Seth besah sich seine Aufzeichnungen. Gerade wollte er ein weiteres Mal seine Unterlagen prüfen, als die Tür aufgestoßen wurde. Er schreckte auf, sah erzürnt zur Tür. „Wie kannst du es wa-“, setzte er an, stockte jedoch, als er erkannte, wer direkt vor seinen Augen stand. „Was hast du getan?!“, brüllte er den Mann an, der die Tür so unsanft geöffnet hatte, lief auf ihn und die Gestalt in seinen Armen zu. Fassungslos betrachtete er sie.

Mana.

Seine Mana.

Was war geschehen?!

Der Mann trat an ihm vorbei, grimmig und mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er legte sie sanft auf dem vor ihm stehenden Bett ab, noch immer war sie in ihre eigene Decke gehüllt. Sie stöhnte leicht auf, rührte sich ansonsten aber nicht. Fieberträume hielten sie gefangen. Gefangen in einer Welt, die keine Schatten kannte. Einer Welt ohne Licht.

„Das war ich nicht“, erklärte Xerxes in sich gekehrt und an Seth gerichtet, „Die zwei Männer, die das getan haben, liegen im Zimmer nebenan.“ Er blickte dem Hohepriester direkt in seine eisblauen Augen, in denen sich die Fassungslosigkeit spiegelte. „Sie wollte zu Seth“, sagte Xerxes leise, „Das seid Ihr, nicht wahr?“

Im Grunde wusste er, dass er den Hohepriester vor sich hatte, doch es schien ihm sicherer zu betonen, dass er auf Manas Wunsch hin gehandelt hatte, er wollte jetzt nicht in seiner Haut stecken. Seine Eigene schon schien ihm unpassend.

Doch Seth beachtete ihn kaum weiter. Er nickte nur knapp setzte sich dann neben Mana auf das Bett. „Mana?“, fragte er leise, seine Stimme ungewohnt unsicher, „Kannst du mich hören?“

Ob sie seine Worte verstand oder nicht, war schwer zu sagen. Sie zitterte, schüttelte sich immer wieder und krümmte sich vor Schmerz zusammen, jede Bewegung schien sie anzustrengen. Das Blut war allgegenwärtig. Immer wieder schrie sie auf, ihre Worte waren nicht klar. Doch aus ihrem Gestammel und Gekeuche waren die Worte 'Seth', 'Akim' und 'Hilfe' immer wieder herauszuhören.

Seth war völlig überfordert, er wusste nicht, was er tun sollte, wie er ihr helfen konnte. Wusste nicht einmal, was wirklich geschehen war. Er wusste nur, dass sie ihn brauchte, und das mehr als jemals zuvor. Er musste sie beruhigen, ihr irgendwie ihre Angst nehmen.

„Du bist in Sicherheit...“, versuchte er ihr zu erklären, „Beruhige dich...“

Doch seine Worte halfen nicht, Mana zeigte keinerlei Reaktion, und sie verlor noch immer Blut. Ihre Blutungen mussten gestoppt werden, ihre Verletzungen behandelt.

Seths Blick fiel auf Xerxes, ernst und streng. „Warte hier!“, herrschte er ihn an, doch es war gar nicht nötig, Xerxes hätte nicht im Traum daran gedacht, in dieser Sekunde nicht auf den Befehl des Hohepriesters zu hören.

Seth selbst war aufgesprungen, zur Tür gestürmt und hatte die Wachen mobilisiert. Sie sollten sich aufteilen, einen Arzt sofort zu ihm schicken und die zwei Männer, die sich in Manas Gemach befanden, sofort einsperren. Ohne Zeit zu verlieren, auf der Stelle.

Dann kehrte der Priester zurück an Manas Seite.

Keine Veränderung.

Mana lag noch immer zitternd da, zitternd und gekrümmt. Schließlich schlug sie ruckartig die Augen auf, blickte starr und panisch um sich, ohne dabei wirklich etwas zu sehen, ohne zu verstehen, wo sie sich befand. Schnell kauerte sie sich in der Mitte des Bettes zusammen, kleiner noch als sie es sonst war, zitternd, vor sich hinstarrend. Ihr Blick war leer, ihre Augen schienen grau zu sein, all die Farbe hatten sie vergessen, kein Licht spiegelte sich in ihnen.

Um Fassung ringend, blickte Seth sie an. Er rief ihren Namen, immer wieder, sie musste ihn hören. Doch sie tat es nicht. Er versuchte es wieder, versuchte mit seinen Worten zu ihr durchzudringen, sie irgendwie zu erreichen, doch er scheiterte. Immer wieder.

Es klopfte an der Tür.

Sauer fuhr Seth herum, „Lass die Höflichkeiten und beeil' dich!“, fauchte er die sich langsam öffnende Tür an. Als der Arzt den Raum schließlich sichtlich irritiert betrat, wurden für eine Sekunde die Umrisse von Shada und Karim sichtbar. Dann fiel die Tür wieder zu.

Der Arzt, der nun im Zimmer war, war sichtlich verstört. Schon öfters war er zu dem Hohepriester gerufen worden, doch was auch immer gewesen war, Seth hatte immer auf den Respekt bestanden, der ihm zustand. Dass er es nun nicht tat, beunruhigte den Mann sehr. Sein Name war Qadir, er war der Arzt des Palastes und der Beste seines Faches. Er trat auf das Bett zu, blickte verwirrt und erschrocken zu Mana. „Was ist geschehen?“, fragte er sachlich. Was hatte das Mädchen so zugerichtet?

Noch bevor Seth das Wort ergreifen konnte, setzte Xerxes zu einer Erklärung an, knapp zwar, und doch schien es ihm angemessen, dass er auf die Frage antwortete, denn der Hohepriester hatte ja selbst noch keine Antwort bekommen. „Diese zwei unangenehmen Priester sind über sie hergefallen“, sagte er, und sein Tonfall hätte ihm wohl einen Tadel eingebracht, wäre die Situation nicht so angespannt gewesen.

Seths Blick löste sich für keine Sekunde von Mana, ungläubig starrte er sie an, beobachtete ihre hilflosen Versuche, ihren Gedanken zu entfliehen. „Nun hilf ihr schon!“, zischte er aufgebracht, und allen Beteiligten war sofort klar, dass er nur Qadir gemeint haben konnte. Ungeduldig wippte er mit dem Fuß auf und ab, untätig zu sein war etwas, das ihm zutiefst missfiel, besonders jetzt, da es um Mana ging. Unterdessen versuchte er es weiter, sie irgendwie anzusprechen, rief immer wieder ihren Namen.

Ihre Augen waren inzwischen nicht mehr geschlossen, sie standen offen, doch sie schien nicht durch sie zu sehen. Ihr Blick war glasig, in die Ferne gerichtet, völlig ausdruckslos.

Qadir betrachtete sie leise seufzend. Im Grunde konnte er nichts für sie tun, er konnte nur ihren Körper heilen, doch zurückkommen musste sie ganz von allein. Die wahren Schmerzen spürte sie nicht in ihren Gliedmaßen, nicht in ihrem Körper. Ihr Blick und das Zittern verrieten es und sagten dem Arzt gleichzeitig, dass er ihr nicht wirklich helfen konnte. Und dennoch musste er es versuchen.

Er legte seine Sachen auf das untere Ende des Bettes, schritt dann langsam auf Mana zu. „Dann lasst mich einmal sehen...“, sprach er sanft und näherte sich Mana.

Mit einem Mal zogen sich ihre Pupillen zusammen, sie starrte ihn kalt an. „Lass mich!“, rief sie, „Rühr' mich nicht an!“ Ihr wütender Ausbruch hinterließ Ratlosigkeit. Unsicher blickte Seth sie an, hoffend, dass sie ihn dieses Mal verstand. „Mana...“, hauchte er, „Er will dir helfen...“ Er musste sie überzeugen, aber er wusste nicht, wie er es anstellen sollte, dass sie seine Worte spürte.

Doch sie tat es nicht.

Stattdessen kippte ihr Kopf ein weiteres Mal zur Seite, zu schreien strengte sie weit mehr an, als sie verkraften konnte.

Qadir blickte mitleidig auf das bewusstlose Mädchen. „Vielleicht ist es erst einmal besser so“, sagte er ruhig und gefasst, doch wer ihn kannte, der wusste, dass es ihn nicht kalt ließ. Vorsichtig begann er, sie gerade hinzulegen, ihren verkrampften Körper zu entspannen, damit ihr Körper zur Ruhe kommen konnte. Behutsam ging er mit ihr um, auf keinen Fall wollte er ihr weitere Schmerzen zufügen. Unter den wachsamen Augen von Seth, schaffte er es schließlich.

Er drehte sich zu Xerxes um. „Hole mir eine Schüssel mit Wasser, ja“, bat er höflich, aber dringend und Xerxes wäre der Bitte auch gern nachgekommen, doch er kannte sich im Palast einfach nicht aus und so wusste er nicht, wohin er gehen sollte, doch es war auch gar nicht nötig. Seth selbst war sofort aufgesprungen um eigenhändig das Wasser zu besorgen. Als er es Qadir schließlich reichte, nahm dieser es leicht verwundert, aber dankbar entgegen.

Er stellte sie auf den Tisch und tauchte ein sauberes Tuch in die warme Flüssigkeit ein, bis es vollständig darin versank. „Vielleicht ist es besser“, begann er zögernd und blickte die beiden ihn beobachtenden Männer an, „wenn Ihr nicht zu nahe am Bett steht. Für den Fall, dass sie aufwacht.“

Besorgnis lag in seiner Stimme, im Augenblick war es sehr viel leichter so, die Bewusstlosigkeit hielt zumindest die schlimmsten ihrer Gedanken von ihr weg, wenn auch bei weitem nicht alle, wie aus Manas noch immer krampfhaften Bewegungen zu schließen war.

Seth stimmte ihm zu, wollte aber selbst keinen Meter weichen. Also zog er Xerxes zurück, der es kommentarlos mit sich machen ließ. Er wollte nicht im Weg stehen. Der Hohepriester stellte sich an die andere Seite des Bettes, sodass er bei Mana bleiben konnte, ohne jedoch den Arzt in der Ausübung seiner Pflichten zu behindern.

Dieser begann vorsichtig ihre zu Fäusten geballten Hände zu öffnen um ihr die Decke wegzunehmen. Nur so konnte er seine Arbeit machen, nur so konnte er ihr helfen, auch wenn sie sich dagegen sträubte. Qadir begann, Manas Wunden zu säubern und ihr die zerrissenen Kleider auszuziehen. Sie waren verklebt mit ihrem Blut und ließen sich so nur schwer von ihrer Haut lösen.

Schrecklich.

Es war einfach nur schrecklich.

Das Mädchen tat ihm Leid, die Schmerzen, die sie hatte erdulden müssen, waren absolut nicht gerechtfertigt gewesen. Und doch war es geschehen. Es war es noch lange nicht ausgestanden.

„Sie braucht neue Kleidung“, sagte Qadir angespannt und doch ruhig, er konnte sie nicht unbekleidet lassen, sie würde es nicht verstehen, sie würde noch mehr Angst bekommen. Und doch konnte er selbst sich für den Moment nicht darum kümmern, er hatte alle Hände voll damit zu tun, sie so gut es ging zu versorgen. Er zog ein zweites Tuch hervor und legte es ihr auf die Stirn, nachdem er auch dieses mit der Flüssigkeit getränkt hatte, und begann, sie zu untersuchen.

Ein paar endlos erscheinende Minuten lang herrschte eine tödliche Stille, bis schließlich eine junge Dienerin eintrat, frische Kleidung für Mana in den Händen. Seth hatte den Befehl gegeben sie zu besorgen, er selbst wollte Manas Krankenbett nicht verlassen. Er konnte kaum glauben, was geschehen war, es schien so abwegig, so vollkommen irreal und doch war es geschehen. Am Morgen noch hatte sie unbeschwert gelacht, zwar einen Kater gehabt, und doch, was sie glücklich gewesen. Es schien so unendlich lange her zu sein... Und nun war ihr Lachen in weite Ferne gerückt.

Qadir verband ihr die Brust und legte ihr einen Verband um den Kopf, kümmerte sich um ihre Schürfwunden. Dann nahm er die Kleidung entgegen und zog sie ihr vorsichtig an, bemüht, ihr keine Schmerzen zu bereiten. Er legte sie wieder unter die Decke, was sie im Augenblick brauchte, war Zeit. Zeit zum Verarbeiten. Und sie musste schlafen, damit sich ihr Körper erholen konnte, musste ruhen, damit die Verletzungen abheilen konnten. Sie musste nun viel Stärke zeigen, damit sie leben konnte.

Er schüttelte leicht den Kopf, blickte den Hohepriester aus bedauernden Augen an. Betroffen musterte er diesen, wie er den Blick von Mana nicht abwenden konnte, das Gesicht wie versteinert. Eine Maske fast, eine Maske, die all seine Gedanken verschloss, und die es doch nicht schaffte, seinen Zorn zu unterdrücken und zu verbergen. Den Zorn auf die Männer, die dies zu verantworten hatten, die Priester, die seine Wut herausgefordert hatten. Sie würden für alles bezahlen, würden jede Schramme büßen, die sie Mana zugefügt hatten. Und sie würden bereuen, dass sie ihm jemals begegnet waren.

Schließlich durchbrach Qadirs Stimme die Stille. „Sie hat hohes Fieber“, begann er zu erklären, „Einige ihrer Knochen sind in Mitleidenschaft geraten, mindestens eine Rippe ist gebrochen. Prellungen überall.“ Er wurde immer leiser. „Aber ich kann nichts für sie tun... Gegen solche Schmerzen habe ich kein Mittel. Ich kann sie kaum lindern...“

Es tat ihm Leid.

Es tat ihm so unendlich Leid, dass er nichts ausrichten konnte, dass er sie mit ihren Schmerzen im Stich ließ. Doch er konnte nichts tun. Tief durchatmend blickte er Mana an, seufzte. „Ich weiß nicht, ob sie es schaffen wird, gegen das Fieber zu gewinnen... in ihrem Zustand...“ Mehr konnte er nicht sagen. Das Einzige, das er ihr verordnen konnte, war absolute Ruhe, den Kampf musste sie selbst kämpfen.

Seth antwortete nicht. Er wusste einfach nicht, was er hätte sagen sollen. Die Stille war bedrückend, beängstigend fast und doch dasjenige, dass seine Gedanken am besten zusammenfasste. Er nickte nur.

Qadir packte seine Sachen zusammen und erhob sich. „Das wäre es dann für mich“, sagte er leise und schaute zwischen Seth und Xerxes hin und her. „Sie braucht Ruhe, ich komme morgen früh wieder vorbei. Gebt mir bitte Bescheid, sollte eine Veränderung eintreten.“ Er ging zur Tür. dort drehte er sich noch einmal um, blickte zu Mana und anschließend direkt in Seths Augen. „Es tut mir Leid...“, hauchte er.

Vergessen

„Den gibt es doch gar nicht.“

Prompt fiel Akim in Meiras Gedanken ein. Verstört sah er sie an. Im Tempel des Anubis, also? Das konnte nicht sein. Er war doch einst...

Er hatte in sich seiner Zeit als Diener von Seth so manchen Scherz erlaubt und immer wieder gegen irgendwelche Regel verstoßen. Niemals war ihm wirklich etwas geschehen deswegen, doch er hatte oft nächtelange Predigten des Priesters über sich ergehen lassen müssen.

Irgendwo hatte er Gerüchte über den Tempel aufgeschnappt, Gerüchte, die so interessant gewesen waren, dass er tagelang nach dem geheimen Heiligtum gesucht hatte. Er war sogar in das Gemach des Pharaos eingebrochen, doch auch dort hatte er keine Antworten gefunden. Niemand hatte ihm den Weg erklären können. Er schüttelte den Kopf. Einen solchen Tempel gab es nicht. „Der Pharao kennt ihn nicht“, fügte er hinzu, da seine Geschwister ihn skeptisch musterten.

„Dann macht es Sinn, dass der Mann sich dort aufhält“, schlussfolgerte Cyrus sofort, er wollte jetzt nicht über Akims Hirngespinste reden, es gab wichtigeres, bedeutend wichtigeres.

Auch Meira teilte die Meinung ihres kleinen Bruders nicht, lächelte aber verständnisvoll, war weniger abfällig als der Ältere. „Er ist da“, wiederholte sie mit fester Stimme, „Ich weiß es. Die Kette lügt nicht...“ Auch über ihn log sie nicht. Die Rothaarige sah ihn verträumt an, eine leichte Bitterkeit lag in ihren Augen.

Cyrus riss sie aus ihren Gedanken. „Also gehen wir hin?“, fragte er, „Suchen wir ihn?“ Es war mehr ein Vorschlag als eine Frage, doch die Dringlichkeit, die aus seinen Worten klang, war nicht zu überhören.

Nun betrachtete Akim ihn seinerseits wenig begeistert. Er hielt nicht viel davon, erneut nach dem Tempel zu suchen, zumal es diesen ja überhaupt nicht gab. Davon war er zumindest überzeugt. Und doch stellte er sich seinem Bruder nicht in den Weg.

Meira antwortete an seiner statt. „Nein“, sagte sie, noch immer lächelnd, „Dazu ist später noch genug Zeit. Wenn der Krieg beginnt, wird es schon sehr bald sehr ruhig sein im Palast“, erklärte sie nachdenklich, „Dann haben wir genug Zeit, uns unauffällig nach diesem Tempel umzusehen... Wir sind schließlich nicht gerade das, was man geladene Gäste nennt.“ Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen, wurde breiter bis sie spöttisch auflachte. Nein, das waren sie wirklich nicht.

Ihre Brüder stimmten in das Lachen mit ein, und obwohl alle drei lachten, klang doch nur Cyrus Stimme wirklich echt. „Da hast du wahrscheinlich Recht“, gab er zurück, „Freuen wir uns also auf den Krieg!“
 

Mana hatte die Augen geöffnet, hörte den Arzt noch das Zimmer verlassen, doch sie wartete mit einem Wort, bis er die Tür geschlossen hatte. Anhand der vielen Verbände konnte sie sich einen Reim darauf machen, was kurz zuvor geschehen war, auch wenn sie es nicht bewusst gespürt hatte. Stille Tränen liefen über ihre Wangen, unaufhaltsam. Sie konnte sie einfach nicht stoppen, zu groß war die Verzweiflung.

„Seth“, flüsterte sie leise, ehe ihre Stimme erneut zu Versagen drohte.

Angesprochener drehte sich zu ihr um, setzte sich wieder zu ihr ans Bett und sah sie an. Ihr Blick war schmerzverzehrt. Es war nicht ganz sicher, ob sie versuchte, weiter von ihm weg zu rutschen, sie hatte ihre Hände in die Decke gekrallt, schaffte es aber nicht, sie zu bewegen.

Der Hohepriester wusste kaum, was er sagen sollte. „Es tut mir Leid“, hauchte er, er wollte ihr helfen, doch er konnte nicht. Er fühlte sich schrecklich, hatte sie im Stich gelassen, genau in dem Moment, da sie ihn am meisten gebraucht hatte. Er hatte die Gefahr nicht erkannt, nicht erwartet, dass die zwei Priester ihr auflauern würden. Er hatte vorgehabt, sie mit an die Grenze zu nehmen, damit Mana vor ihnen sicher wäre, doch sie hatten sich dem widersetzt, ohne, dass sie von seinen Plänen gewusst hatten.

Mana schüttelte heftig den Kopf, hielt aber sogleich wieder inne in der Bewegung, denn ein Schwall von Schwindel verwirrte ihre Gedanken. Sie drehte sich auf ihren Bauch, die Schmerzen ignorierend, und fing an hemmungslos zu weinen. Immer wieder ertönten zwischendurch ihre Schreie, Ausrufe, die Seth nur tatenlos mitansehen konnte.

Dass sich auch Xerxes noch immer im Raum befand, kümmerte weder den Priester noch das Mädchen.

Mana hustete wieder, würgte dabei etwas Blut hervor. Sie hielt ihre Hand vor den Mund, starrte das Blut fassungslos an. Unzählige Bilder schossen durch ihren Kopf, ließen sie erzittern. Verzweifelt drehte sie sich wieder um, hielt Seth ihre blutige Hand hin. Hilflos blickte sie ihn an, hilflos, zitternd, voller Angst.

Der Hohepriester schwieg, er wollte das nicht sehen, aber auch nicht wegsehen, er hätte sie niemals allein lassen dürfen. Vorsichtig strich er das Blut ihrer Hand mit seinem Gewand ab, es musste doch irgendetwas geben, das ihr helfen konnte...

Doch die Brünette zog ihre Hand sofort wieder weg, die Berührung machte ihr Angst. Sie verstand nicht, wieso sie ihn so fürchtete, verstand die ganzen Zusammenhänge nicht, verstand im Augenblick so gut wie gar nichts. Noch immer liefen ihre die Tränen über ihr Gesicht.

„Mana...“, flüsterte Seth besorgt und verbittert, „Ich tue dir nichts...“ Er bereute es, ihre Hand genommen zu haben, er wollte ihr keine Angst machen, doch er wusste nicht, wie er sich anders verhalten sollte.

Sie schüttelte leicht den Kopf, wieder hustend. Auch sie wusste nicht, was sie denken sollte, sah ihn an, sah das Mitleid in seinen Augen. Diese eisblauen Augen, die sie so liebte. Er wollte ihr nicht schaden. Sie nickte leicht, versuchte schwach zu lächeln, doch es misslang ihr. Hoffnungslos legte sie ihre Arme um sich selbst, versuchte sich Halt zu geben in einer Zeit, da der Boden unter ihren Füßen wegzubrechen schien. „Es tut ... so weh...“, brachte sie hervor, voller Anstrengung und doch hätten ihre Worte nicht deutlicher sein können.

„Mana...“, gab Seth unsicher zurück, er dachte nach, es musste doch etwas geben, dass er machen konnte. Doch es kamen ihm nur die Worte des Arztes in den Sinn. „Du brauchst jetzt eine Menge Ruhe...“ Es kam ihm lachhaft vor, diese Worte waren so leer und unnütz und doch waren es die einzigen, die Sinn machten.

Das Mädchen nickte wieder, im Bett lag sie ja schon. „Bleibst du... bei... mir?“, fragte sie und hatte doch gleichzeitig Angst vor der Antwort. Er war Hohepriester, er hatte gar keine Zeit, sich jetzt um sie zu kümmern, hatte doch so vieles zu tun, so viele Pflichten. Sie war doch nur eine Last für ihn, jetzt ganz besonders.

Doch er nickte. „Natürlich bleibe ich bei dir“, gab er zurück und schien auch wirklich so zu meinen. Mana lächelte leicht, noch immer zitternd zwar, und trotzdem hob sie ihre Hand und legte sie auf die Seine. Sie hielt sich schwach daran fest, und schloss die Augen, presste ihre Oberschenkel krampfhaft aneinander.

Der Hohepriester stand fassungslos daneben, strich ihr über ihre zarte Haut. Die beiden würden das bereuen. Sie würden niemals wieder glücklich werden und wenn es das Letzte wäre, das er tat. Er kniff die Augen grimmig zusammen.

Mana riss die Ihrigen panisch wieder auf, schüttelte den Kopf und schrie kurz auf. Ihr schmerzverzehrter und flehender Blick fiel auf den Hohepriester. „Hilf mir... bitte...“

Genau das war es, was er tun wollte, doch er wusste nicht wie. „Sage mir, was ich tun kann“, sagte er schließlich, „Wenn es in meiner Macht liegt, dann werde ich es tun...“ War es ein leeres Versprechen?

Was konnte er tun?

Hilfesuchend sah sie ihn an, ein Funke Hoffnung glänzte für eine Sekunde in ihren matten Augen, ehe er wieder erlosch. Seth würde ihr helfen. Er konnte so etwas. Ganz bestimmt.

„Nimm die Bilder weg... die Gedanken...“, sagte sie leise, ohne wirklich zu wissen, was sie da sagte, „Oder die Schmerzen...“ Ihre Augen weiteten sich schlagartig. „Nicht weggehen!“, schrie sie, zuckte heftig zusammen.

Der Priester betrachtete sie nachdenklich. „Ich gehe nicht weg...“, versprach er, seufzte dabei. Er überlegte, dachte eine ganze Weile nach. „Ich kann nichts gegen die Schmerzen tun...“, antwortete er zögernd, „Aber...“ Er wagte es nicht, diesen Gedanken auszusprechen.

Mana blickte ihn verzweifelt an. „Aber?“, fragte sie. Aber war ein Grund zum aufatmen, oder? Also gab es eine Möglichkeit?

Er zögerte noch einen weiteren Moment, ehe er sich dazu durchrang, sah sie ernst an. „Die Gedanken könnte ich dir nehmen...“

Und Mana verstand.

Akim.

Auch sie sah ihn ernst an, drückte seine Hand. Sie konnte kaum noch sprechen, völlig andere Gedanken nahmen ihr nun die Luft zum Atmen. Und doch dachte sie darüber nach. „An wie viel werde ich mich erinnern können...?“, fragte sie leise.

„Das kann ich dir nicht sagen...“, die Stimme des Hohepriesters wirkte gefasst und doch wankend. Er blinzelte ein paar Mal. Möglicherweise an gar nichts mehr, doch das auszusprechen vermochte er nicht.

Mana schien in sich selbst zu versinken. Immer und immer hörte sie sich selbst schreien, doch sie wollte nicht wieder das Bewusstsein verlieren, nicht jetzt. Sie hatte Seths Worte verstanden. Er wusste es nicht, konnte nichts garantieren. „Was wird dann aus uns?“ Sie musste es wissen, musste wach bleiben, musste ihm jetzt zuhören. Sie musste ihm vertrauen, wenn sie ihr Leben in seine Hände lege wollte. Sie musste vertrauen, musste glauben. Und doch konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen, konnte kaum verstehen, was es überhaupt bedeutete.

Seth blieb gefasst, während er sie ansah, blieb gefasst, während er sprach. „Wir werden zusammen bleiben...“, sagte er und blickte sie dann aber fast ebenso verzweifelt an. „Es ist deine Entscheidung...“ Er flüsterte die Worte fast, wollte sie selbst nicht über die Lippen bringen und doch spürte er, dass sie das Einzige waren, das ihr noch Hoffnung gab. „Ich kann dich von all den Gedanken befreien...“

Das Mädchen krallte ihre Fingernägel in seine Hand, die Aussicht machte ihr Angst. Die Erinnerungen verlieren?

Das wollte sie nicht.

Immer wieder kam ihr Akim in den Sinn. Sein Bild, seine verspielte Art. Und doch war es nicht er gewesen. Sie hatte so viel Spaß mit ihm gehabt. Doch es war nicht er gewesen...

„Es tut weh...“, sagte sie zögernd, „Aber... ich will nicht alle Erinnerungen verlieren... Wie würdest du mir die Schmerzen erklären...?“

Unentschlossen blickte sie ihn an, es war vollkommen klar, dass er ihr die Entscheidung nicht abnehmen würde. Sie war fassungslos gewesen, als sie erfahren hatte, dass Seth Akim die Erinnerungen genommen hatte. Jetzt wünschte sie sich genau diesen an ihre Seite. Er würde es ihr erklären können, würde wissen, was sie machen sollte. Er wusste, was es bedeutete. Mana selbst wusste es nicht.

Immer wieder verschwamm ihre Sicht, immer wieder bäumte sie sich vor Schmerzen auf. „Vielleicht ist es aber besser so...“ Sie schloss die Augen, versuchte die Bilder zu vertreiben, doch sie wurden sogar noch deutlicher, als sie alles daran legte, sie nicht zu sehen.

Der Hohepriester sah sie an, schüttelte leicht den Kopf. Was sie ihm sagen wollte, hatte er nicht so recht verstanden. „Was ist besser?“, fragte er leise nach, und blickte in ihre verbitterten Augen. Dass ihre Fingernägel inzwischen blutige Schlieren über seine Haut zogen, war ihm völlig gleichgültig.

„Wenn ich meine Erinnerungen verliere...“, sprach das Mädchen das Urteil für sich selbst aus, biss sich sogleich auf ihre Lippe.

Langsam nickend beugte sich der Priester ihrem Willen. Er wollte es nicht, doch er wusste, dass er es tun musste. Er drückte kurz ihre Hand. „Also soll ich es machen?“ Er vergewisserte sich, wollte diese Entscheidung nicht treffen. Er hatte sie einmal getroffen, nie wieder hatte er vor der Wahl stehen wollen. Doch dieses Mal ging es nicht um sein Leben.

Die Kleine hielt ihre Augen geschlossen. Sie war verwirrt, versuchte sich zu fassen, ihre Gedanken zu ordnen. Schließlich setzte sie sich auf, die wieder in ihr aufsteigende Übelkeit hatte nun keinen Platz in ihrem Bewusstsein. Sie vermied es beharrlich, Seth anzusehen, sein Blick allein hätte sie in ihrer Entscheidung wanken lassen. „Du lässt mich nicht allein?“, fragte sie schüchtern, anstatt zu antworten, „Du tust mir nichts, und“ Und plötzlich sah sie ihn aus vor Tränen glitzernden Augen an, „Du sorgst dafür, dass ich glücklich werde...?“

Ihr Blick traf den Hohepriester tief ins Herz. Er schluckte, nickte aber. „Das wirst du...“, sagte er, und nichts hätte er lieber getan als an der Front zu stehen, anstatt nun hier zu sein, „Ich verspreche es dir...“

Sie kniff ihre Augen zusammen, rang lange mit sich. Sie nickte schwach. „Dann bin ich... bereit...“ Ein weiteres Aufkeuchen ließ sie erzittern, ließ sie ihren Körper krümmen. Hilflos und leer sah sie ihn an, voller Angst, Verzweiflung und Bedauern.

Seth atmete tief durch, griff mit geschickter Hand nach dem Gegenstand, den er immer bei sich trug und den er nun betroffen ansah. Den Millenniumsstab. Er wollte diesen Zauber niemals wieder anwenden.

Langsam traf sein Blick den Ihrigen. „Mana?“, hauchte er und sie sah ihn fragend an, darauf wartend, dass er weitersprach.

Der Millenniumsstab leuchtete auf, Seth richtete ihn direkt auf Mana. Seine Gedanken waren klar, waren so eindeutig wie nie zuvor. „Ich liebe dich...“ Seine Stimme versagte, er hatte das Gefühl, als bliebe ihm die Luft weg, etwas zog sich ganz eng zusammen in ihm. Er kniff die Augen zusammen, führte den Zauber aus.

Im nächsten Moment fiel der Millenniumsstab scheppernd zu Boden.

Dämmerung

„Was hast du getan?!“

Ungläubig starrte er den Hohepriester an, verstand nicht, was geschehen war. Doch er verstand sehr wohl, dass das Mädchen aufschrie und sofort danach im Bett zusammensackte. Und er verstand auf, dass dafür der Gegenstand verantwortlich war, der soeben des Priesters Hand verlassen hatte.

Xerxes hatte sich aus dem Gespräch herausgehalten, weil es ihn nichts anging. Es war etwas Privates gewesen, etwas, dass nur den Priester und das Mädchen anging.

Doch nun.

Hatte er sie aus diesem Zimmer geholt, nur um sie sogleich wieder aufzugeben? Er verstand es nicht.

Wie versteinert stand Seth da, blickte auf Mana, schloss schließlich kurz die Augen, ehe er auf sie zu ging, um sie vernünftig hinzulegen und unter die Decke zu hüllen.

Er beachtete Xerxes kaum. Völlig tonlos erklang seine Stimme, als er schließlich auf die drängende Frage antwortete. „Sie wird sich an nichts mehr erinnern können.“

Diese Aussage hatte etwas endgültiges und doch verstand Xerxes es nicht. Nicht mehr erinnern? Wie konnte so etwas sein? Was sollte das bedeuten?

Unzählige Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch er schluckte sie alle herunter. Mana regte sich im Bett, die Mühen des Priesters, sie schlafen zu lassen, hatten nur wenig Erfolg.

Verwirrte Augen blickten sich im Zimmer um, blieben an Xerxes und Seth hängen. Sie legte den Kopf schief, blinzelte mehrmals.

Der Hohepriester trat hervor, sah sie ebenfalls an. „Wie geht es dir?“, fragte er höflich, kein Anzeichen hätte verraten, dass er soeben seiner Verlobten das Gedächtnis gelöscht hatte. Er hoffte inständig, der Zauber wäre missglückt.

Doch er wurde bitter enttäuscht.

Sie lächelte, freute sich offenbar, angesprochen zu werden, doch sie sagte keinen Ton. Stattdessen legte sich ihr Kopf noch schiefer, neugierige große Augen blickten ihn an. Sie strahlte ihn an, wollte sofort aufspringen, doch mit einem Mal verzogen sich ihre Augen unsicher, sie legte ihre Hand auf ihren Brustkorb, strich sich über die Stelle, unter der ihre Rippe gebrochen war. Fragend sah sie zu Seth auf.

Dieser spürte eine eisige Kälte in sich aufsteigen, riss sich aber zusammen. „Lege dich wieder hin“ bat er sie, „Du brauchst viel Ruhe.“ Besorgt blickte er sie an und konnte dennoch nicht warten. „Weißt du, wer ich bin?“

Sie ließ sich zurück in die Kissen fallen, schüttelte fragend den Kopf. Doch sie hörte nicht auf zu lächeln. Sie verstand nicht, wieso ihr alles weh tat, und eine Antwort hatte sie auch nicht bekommen, doch es machte ihr nichts aus. Sie war zufrieden damit, Seth anzusehen.

Sie wischte über ihr Gesicht, und trocknete auf diese Weise ihre letzten Tränen. Fragend starrte sie die durchsichtige Flüssigkeit an ihren Fingern an.

Xerxes beobachtete sie fassungslos, richtete seinen entsetzten Blick auf den Hohepriester und fixierte ihn. „Was hast du getan?!“, wiederholte er seine Frage, bekam jedoch als einzige Antwort darauf einen äußerst scharfen und missbilligenden Blick des Hohepriesters. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als zuzusehen. Es war verrückt. Einfach nicht möglich. Er bildete sich das ein. Es musste einfach so sein.

Seth achtete nicht weiter auf Xerxes. Er sollte sich nicht einmischen, Mana jetzt zu erzählen, dass er ihr das Gedächtnis genommen hatte, würde der gesamten Tat den einzigen Sinn nehmen, den sie je gehabt hatte. Er setzte sich zu dem Mädchen ans Bett, griff nach ihrer Hand. „Schlaf ein wenig, hörst du?“, bat er sie, „Ich weiß, du bist verwirrt und hast viele Fragen, aber du brauchst jetzt Ruhe.“

Doch so einfach sollte sie es ihm nicht machen. Sie blickte auf seine Hand, und damit gleichzeitig auf Ihre, lächelnd. Es hatte etwas vertrautes, schönes. Abwartend betrachtete sie ihn. „Schlafen?“

Gequält lächelte er sie an. „Ja, du solltest schlafen“, sagte er noch einmal, es war wichtig, dass sie auf ihn hörte. Nur so konnte ihr Körper sich erholen, nur so hatte sie eine Chance, gegen das Fieber zu gewinnen.

Skeptisch sah sie ihn an, es war ganz offensichtlich, dass ihr der Sinn nicht nach schlafen stand. Lieb lächelte sie ihn an, sprach dann die Frage aus, die einen tiefen Keil in Seths Herz rammte: „Wer bist du?“

Zwar hatte er damit gerechnet, doch die Worte tatsächlich aus ihrem Mund zu hören, machte ihn fassungslos. Schweren Herzens stellte er sich ihr vor: „Ich bin Hohepriester hier in Ägypten“, sagte er mit belegter Stimme, „Mein Name ist Seth.“

„Seth?“, wiederholte sie, sah ihn nachdenklich an, blinzelte ein paar Mal.

Der Hohepriester nickte zustimmend. „Ja, Seth“, bestätigte er.

Doch ihr Blick blieb verwundert. Sie dachte über seine Worte nach, schien sie regelrecht aufzusaugen. „Und ich?“ Sie zeigte auf sich, „Wie heiße ich? Wer bin ich?“

Der Priester blickte sie liebevoll an, seufzte leicht. Ach Mana... schoss es durch seinen Kopf, doch er ließ es sie nicht wissen. „Dein Name ist Mana“, erklärte er geduldig, „Du hattest einen schweren Unfall und musst dich jetzt ausruhen...“ Es gefiel ihm nicht, sie zu belügen, doch es musste sein. Er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen, doch sie brauchte einen Grund im Bett liegen zu bleiben, sonst könnte er sie niemals davon überzeugen. Und er konnte es verstehen. Für sie war nun alles fremd, alles neu. Natürlich war sie neugierig, natürlich wollte sie alles sehen.

„Mana...“, wiederholte sie und grinste leicht. „Unfall? Deswegen das?“ Sie zeigte mit ihrem Finger auf ihre Rippe, blickte Seth fragend an.

Er schüttelte den Kopf. „Das ist jetzt nicht wichtig“, sagte bestimmend und sah sie etwas ernster an, „Der Arzt hat dir Ruhe verordnet...“

Mana hielt seine Hand fest, kicherte leicht. Doch dann nickte sie und legte sich brav wieder hin.

Seth erhob seine andere Hand, strich ihr sanft über die Stirn. „Schlaf schön...“, sagte er leise, „Erhole dich gut...“

Sie lächelte ihn an, gähnte dann. Selbstverständlich war sie müde, auch wenn sie es selbst nicht verstand, ihr Körper sehnte sich trotz allem nach Ruhe, nach einer Pause um verarbeiten zu können, was nun nicht mehr in ihrem Bewusstsein existierte. Sich auf die Seite drehend, kuschelte sie sich in die Decke, hielt dabei noch immer seine Hand. „Seth soll nicht traurig sein, ja?“, sagte sie zurückhaltend und schüchtern, schloss die Augen. Nur für sie schüttelte Seth den Kopf, und doch hatte er das Gefühl, sie längst verloren zu haben. Betroffen strich er ihr über die Wange. Sie lächelte vor sich hin, machte es sich so bequem, wie es mit ihrem lädierten Körper eben ging, Langsam aber sicher verlangsamte sich ihr Atem, wurde tiefer und gleichmäßiger. Und schließlich war sie tatsächlich eingeschlafen.

Der Brünette atmete tief durch, fuhr seufzend mit seiner Hand über seine Stirn. Er wendete den Blick ab, ließ sich von seinen Füßen zum Fenster tragen und sah hinaus. Sah in eine Welt hinaus, die auf jeden seiner Befehle hören würde, eine Welt, die er vor dem Untergang bewahren sollte. Und doch sah er sie nicht, nahm sie nicht wahr.

Die Welt, die er in diesem Augenblick mehr als alles andere verachtete.

Es war besser so... Er hatte das Richtige getan, das, was am besten war für Mana. Er hatte ihre Vergangenheit zerstört. Und auch ihre Zukunft hing nun an dünnen Seilen, das Leben an seiner Seite und die Pflichten, die sie dort zu erfüllen gehabt hätte – all das war nun undenkbar.
 

Xerxes stand noch immer wie erstarrt im Raum, sein bohrender Blick ruhte auf dem Hohepriester, dem die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben stand. Während dieser mit Mana gesprochen hatte, hatte der Bote von der libyschen Grenze sich umgesehen, er hatte sich nicht einmischen wollen.

All die Schriftrollen, Karten und Aufzeichnungen sprachen eine deutliche Sprache. Der Hohepriester würde schon bald in den Krieg ziehen. Es war unausweichlich.

Doch wie sollte das nun möglich sein?

Das Mädchen hier allein zu lassen, war undenkbar, sie würde es weder verstehen, noch verkraften, allein zu sein. Nein. Unter keinen Umständen hätte er jetzt mit dem Hohepriester tauschen wollen, selbst wenn er es getan hätte, um diesen zu entlasten. Er wollte jetzt nicht in seiner Haut stecken.

Noch immer verstand Xerxes nicht wirklich, was geschehen war, er wusste nur eines: Es war unfassbar. Er setzte sich in Bewegung, trat direkt neben Seth, sprach ihn aber zunächst nicht an.

Dieser sah Xerxes an seiner Seite, beachtete ihn zwar kaum, doch es störte ihn auch nicht, dass er hier war. Dieser Mann war wahrscheinlich der Grund dafür, dass Mana überhaupt noch lebte und dafür hatte er dankbar zu sein. Er konnte einfach nicht verstehen, wie es überhaupt hatte soweit kommen können, sie war doch direkt nebenan gewesen. Wieso hatte er denn nichts hören können? Er hatte zwar konzentriert gearbeitet, doch ihre Schreie hätte er dennoch hören müssen...

Xerxes beobachtete ihn angespannt, er hatte das Gefühl, er müsste etwas tun, regungslos zu sein, darauf zu warten, dass etwas geschah, erschien ihm äußerst unpassend. „Ihr habt... das Richtige getan...“, brachte er mitfühlend hervor, mehr fiel ihm nicht ein.

Seth jedoch war sich da nicht so sicher. Wieso hatte er nichts bemerkt?
 

„Atemu…“, flüsterte sie leicht.

„Keine Sorge... Ich werde dich nicht lange allein lassen, und dann wird alles wie früher, ruhiger“, erklärte Atemu ihr sanft und versuchte die Brünette in seinen Armen zu beruhigen, versuchte ihren Blickkontakt nicht zu verlieren. Doch um genau zu sein, hatte sie sich längst abgewendet.

„Atemu, es ist Krieg...“. begann sie und sah nach unten, wurde jedoch unterbrochen.

„Den ich siegreich beenden werde und sofort zu dir zurückkehre, Teana!“, er legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Seine violetten Augen strahlten so viel Mut aus. Die Brünette konnte es nicht verstehen, Krieg stand bevor, war unausweichlich. Auch die Geburt des Thronfolgers lag nicht mehr in weiter Ferne, doch ihr Verlobter ließ sie nun alleine. Er war der Pharao, er musste den entscheidenden Schlag gegen die Libyer durchführen, sie als seine Verlobte musste im Palast bleiben, ihrem Volk Mut und Hoffnung schenken. Allerdings behielt Teana keine für sich.

„Mach' dein Volk stolz“, hauchte sie und lächelte ihn an. Auch er brauchte Hoffnung, die sie ihm geben wollte. Er legte seine Hand an ihre Wange. „Ich werde dich stolz machen“, gab er zurück, und setzte damit seine persönliche Priorität. Natürlich, er war der Pharao, doch im Augenblick ging es ihm ausschließlich um seine Teana. Er wollte, dass sie nicht verzweifelte, wollte, dass sie keine Angst vor dem Morgen hatte.

„Aber ich bin doch sowieso stolz auf dich!“, sagte sie entschieden und es stimmte. Sie war stolz. Sie konnte sich keinen besseren Pharao vorstellen, keinen liebevolleren Mann an ihrer Seite. Er machte sie stolz. Schüchtern sah sie ihn an, warf sich in seine Arme.

Sofort legte er sie um sie, drückte sie fest an sich, strich ihr sanft durch ihr Haar.

„Ich werde hier auf dich warten“, flüsterte sie an seinen Oberkörper, spürte sein Kinn auf ihrem Kopf lasten. Er war vertraut, in seinen Armen fühlte sie sich vollkommen sicher.

„Und ich werde so schnell es geht zu dir zurückkommen“, antwortete er. Beide wussten genau, was der jeweils andere im Augenblick dachte, und beide entschieden auch, es dabei zu belassen; es nicht schwerer zu machen, als es ohnehin schon war. Ihre Angst und ihre Ungewissheit – für all das gab es hier keinen Platz. Sie waren das Herrscherpaar, sie mussten die Moral im Land stärken. Wenn sie schon nicht an den Sieg glaubten, wer sollte es dann tun?

Die Menschen schöpften nur Mut, weil sie wussten, dass ihr Pharao sie nicht aufgegeben hatte. Weil sie wussten, dass es noch Hoffnung gab. Die Frauen warteten mit angespanntem Lächeln, weil sie wussten, dass ihre Prinzessin an ihrer Seite stand.

Teana schluckte all ihre Verzweiflung herunter. Sie würde stark sein, würde ihre Aufgabe erfüllen, auch wenn es sie innerlich zu zerreißen schien.

„Du und Seth...“, sprach sie leise, „Ihr werdet den Libyern das Fürchten lehren!“

„Sie werden es bereuen, sich gegen uns aufgelehnt zu haben“, stimmt er ihr zu.

Solche Sätze trugen eine unglaubliche Botschaft in sich, das wusste auch die Brünette. Im Grunde waren die Worte leer, und doch vermittelten sie unglaublich viel. All die Sorge, all die Angst, all die Verzweiflung, aber auch all die Hoffnung, all den Glauben, all die Zuversicht. Den Glauben an eine bessere Zukunft. Die Zuversicht, ihn wieder sehen zu können. Die Hoffnung auf ein ruhiges Leben in einem friedlichen Land. Ein Land, wie Ägypten eines sein sollte. Mit einem Volk, das zufrieden unter der Sonne wandelte.

All die schönen Momente mit Atemu. Es würden noch viele auf sie zu kommen, noch viele Tage, die sie an seiner Seite, neben ihm im Licht würde verbringen können. Teana hoffte darauf.

Und erkannte nicht, dass sie längst keine Hoffnung mehr hatte.

Bedrückung

Rote Strähnen wehten im sanften Abendwind, verschleierten ihr Gesicht und doch störte es sie nicht. Meiras Gedanken waren ganz wo anders, an einem fremden Ort, bei Menschen, die sie eigentlich nicht kannte.

Vieles hatte sich verändert, nichts war erhalten geblieben und doch. Sie lächelte.

Ihr Blick fiel von einem ihrer Brüder auf den anderen. Sie sahen sich so ähnlich und doch hätten sie nicht unterschiedlicher sein können.

Cyrus träumte von dem bevorstehenden Krieg, den sie aus eine ganz einfachen Grund gar nicht verlieren konnten: Unwissenheit. Niemand wusste, dass sie mitmischten, niemand rechnete mit ihrem Eingreifen. Ein ganz klarer Vorteil. Die Rothaarige konnte förmlich spüren, wie er sich diesen Gedanken hingab, in ihnen völlig versank.

Und Akim? Wovon träumte er?

Lächelnd blickte Meira ihn an, wandte sich dann aber an Cyrus: „Würdest du mir bitte etwas zu trinken holen?“, fragte sie an den Älteren gerichtet, der sich sofort nickend erhob. Sie sah ihm nach, wartete bis er den Ort verlassen hatte, ehe sie sich zu Akim umdrehte, der noch immer unruhig auf- und abrutschte, unentschlossen, vielleicht sogar ein kleines bisschen ratlos. Das Lächeln auf ihrem Gesicht blieb. „Nun geh schon...“, hauchte sie schließlich, fast zärtlich. Der Angesprochene blickte überrascht auf. Was meinte sie? „Wohin soll ich gehen?“, fragte er verwirrt nach.

„Du weißt, was ich meine“, sagte seine Schwester freundlich, zuversichtlich. „Du wurdest doch von jemandem gerufen...“ Ihr Blick ruhte auf seinen Augen, beständig, voller Sicherheit und doch gleichzeitig so ängstlich. „Nun geh schon... Es ist völlig offensichtlich, dass du nach einer Antwort suchen möchtest.“

Perplex sah er sie an, große violette Augen schienen unzählige Fragen zu stellen. Trotz alledem beschränkte er sich auf diese eine: „Woher weißt du das?“ Er verstand es nicht. War es so eindeutig?

Das Lächeln in Meiras Gesicht schien geradezu eingemeißelt zu sein, und deswegen wirkte es doch nicht echter. „Die Kette lügt niemals“, sagte sie ein weiteres Mal und blickte ihn verständnisvoll an. „Also hau‘ schon ab. Ich decke dir den Rücken.“ Es konnte durch keinen Zweifel aufkommen, dass sie scherzte, sie meinte es absolut ernst.

Noch immer verstand der Jüngere nicht, noch immer starrte er sie mehr verwirrt als erleichtert an. Schließlich hatte sie ihn nicht einfach übergangen. Anders als Cyrus – den sie gekonnt weggeschickt hatte.

Für ihn.

Für ihren kleinen Bruder.

Sie deckte ihm den Rücken.

Warum?

Wieso tat sie das?

Er verstand es nicht. Doch trotzallem erhob er sich, flüsterte ihr ein ernst gemeintes und dennoch fragendes 'Danke' zu, und wollte sich gerade umdrehen um zu gehen, als sie noch einmal ihre einfühlsame Stimme erhob.

„Ach und... Akim?“, fragte sie und blickte nun zum ersten Mal wieder etwas ernster. „Hast du dem Mädchen geholfen?“

Nun endgültig verwirrt, hielt der Angesprochene in seiner Bewegung inne, sah in ihre Augen, die vieles zeigten, jedoch nicht das, was er fürchtete zu sehen. Wut. Was wollte sie ihm sagen?

„Nur wir drei beherrschen den Nebel, Akim“, setzte sie fort und es hätte wohl eine Erklärung sein sollen, wenn nur der Violetthaarige nicht so durcheinander gewesen wäre.

Er musste erst einmal verdauen, was sie ihm gesagt hatte, musste die Bedeutung ihrer Worte verstehen. Er hatte ihr geholfen? Gegen Meira zu bestehen? Denn einen anderen Kampf konnte die Ältere kaum meinen.

„Du meinst...“, setzte er an, wusste aber dann nicht so recht, was er eigentlich hatte sagen wollen und brach sein Gestammel daher vorzeitig ab. Wenn er ihr geholfen hatte, dann war seine Schwester nur seinetwegen so stark verletzt worden...

Sie schien seine Gedanken zu spüren, schüttelte den Kopf. „Mach' dir nichts daraus“ sagte sie beschwichtigend, „Ich habe es ja überlebt.“

Täuschte er sich oder war sie ihm überhaupt nicht böse?

„Du musst die Kleine vergessen...“

Vergessen. Wieso maßte sich jeder an, seine Erinnerungen kontrollieren zu wollen? Es war wirklich auffällig, besonders wenn man dafür so sensibilisiert war, wie Akim es war.

Doch halt. Dies war Meira, seine große Schwester. Obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte, war sie weder zornig, noch warf sie ihm irgendetwas vor.

Nein. Sie wollte ihm nichts vorschreiben. Sie wollte ihm helfen. Was hatte sie gesehen?!

Ein äußerst beunruhigendes Gefühl kroch in Akims Körper herauf, ließ ihn innerlich erschaudern, ohne dass er gewusst hätte, wieso.

„Ich soll sie vergessen?“, fragte er nach, „Wieso das?“

Seine Schwester schüttelte nur den Kopf. Eine richtige Erklärung wollte sie ihm nicht geben. Sie konnte es nicht. „Sie ist nicht mehr die, die sie einmal war“, antwortete sie stattdessen geheimnisvoll – eine Antwort, die dem Jüngeren weder reichte, noch ihn befriedigte.
 

Verwirrende Bilder flogen vor Manas innerem Auge vorbei, Bilder, die ihre Träume ihr zeigten, Bilder, aus denen sie nicht schlau wurde. Immer wieder durchfuhr sie ein stechender Schmerz, doch sie beachtete ihn kaum. Was sollte sie schon dagegen tun?

Es war halt so. Ihr Lächeln wurde dadurch nicht von ihrem Gesicht gewischt. Ein leichter weißer Film legte sich über sie, hüllte sie fast vollständig ein.

Seth beunruhigte er sehr, doch er ließ es sich nicht anmerken. Sie schlief. Sie schlief endlich, da musste er sie nicht sofort wieder aufwecken.

Unbewusst umspielten Manas Hände das weiße Etwas, schienen nach ihm greifen zu wollen und konnten es doch nicht fassen.

Der Hohepriester betrachtete sie nachdenklich. Er hatte das Richtige getan.

Stimmte das wirklich?

Hatte er wirklich getan, was für Mana das Beste war?

Er wusste es nicht. Mit schmerzlicher Gewissheit hatte er erfahren müssen, dass er seinen Zauber noch immer beherrschte, nie hatte er sich je gewünscht, dass er versagte.

Doch er hatte nicht versagt, das Lächeln auf Manas Gesicht bewies es. Doch war es wirklich das Beste? War sie wirklich glücklich?

Während er noch in seinen Gedanken umherirrte, öffnete das Mädchen ihre grünen Augen, blickte verwirrt auf. Sie lächelte, als sie Seth erblickte, wollte sogleich aufspringen um zu ihm zu kommen, doch ihre Beine wollten sie nicht halten. Und so sackte sie zu Boden, landete direkt auf ihrem Po. Kichernd betrachtete sie die neue Perspektive. Der Blickwinkel war wirklich ein ganz anderer, alles wirkte mit einem Mal so groß und weit entfernt. Und Mana lachte.

Dadurch aufmerksam geworden hockte sich Seth ohne zu zögern zu ihr. „Was machst du denn für Sachen?“, fragte er leicht vorwurfsvoll aber lieb, „Hattest du nicht vor im Bett zu bleiben?“ Der Tadel war selbst für das Kind ohne Erinnerungen deutlich zu vernehmen, doch sie schien sich in keinster Weise schuldig zu fühlen. Im Gegenteil, sie grinste ihn an, kämpfte sich dann mühsam auf die Füße, nur um sogleich in Seths Arme zu kippen.

Beunruhigt fing er sie auf, setzte sie mit sanfter Gewalt zurück aufs Bett. „Ich muss wirklich darauf bestehen, dass du jetzt liegen bleibst“, sagte er mit einem Anflug von Verzweiflung, wie sollte er sie nur dazu bringen, ihm zu gehorchen?

Verspielt schüttelte Mana den Kopf. Nein, sie wollte nicht schlafen, sie wollte lieber wach bleiben. Wach. Bei Seth.

„Mana“, sagte der Priester streng, „Du hast angebrochene Knochen, eine gebrochene Rippe und viele Prellungen...“ Und die Erinnerungen verloren, doch das sagte er lieber nicht laut. „Du musst liegen bleiben, sonst wirst du nie wieder gesund.“

Das Mädchen blickte ihn aus großen Augen an. „Braucht Seth auch Ruhe?“, fragte sie schließlich und erwischte ihn damit auf dem völlig falschen Fuß.

Er nickte. „Das kann sein, ja“, gab er leise zu, „Aber...“ Er stockte. Er durfte nicht ausruhen, um es genau zu nehmen, durfte er sich in diesem Augenblick auch gar nicht um sie kümmern. Er hatte einen Krieg zu führen. Ein Krieg, der unausweichlich näher rückte, ein Krieg, dem er unmöglich fern bleiben konnte.

„Wenn Seth Ruhe hat, dann geht es Seth besser“, schlussfolgerte Mana lachend, und zog ihre Decke über seinen Schoß.

Kindliche Logik war erschreckend einfach zu verstehen, und erschreckend einfach zu enttäuschen. Und doch war es die wirksamste Waffe, die Mana einsetzen konnte, um die Sache für den Hohepriester unerträglich zu machen.

„Wenn ich jetzt hier bleibe, schläfst du gar nicht“, widersprach er ihr, zog die Decke wieder weg und erhob sich. Was sollte er nur tun?

Manas überraschte Augen sprachen eine eindeutige Sprache. Sie verstand nicht. „Aber Seth braucht Ruhe!“, sagte sie verwundernd und ebenfalls tadelnd, musste er sich denn nicht ausruhen? Galt das etwa nur für sie?

„Hör mir zu, Mana“, versuchte er es ein weiteres Mal und setzte sich direkt vor sie. „Wenn du mir wirklich helfen willst, dann schläfst du jetzt, ja?“

Er kam sich so dumm vor, all seine hoffnungslosen Versuche, sie zur Vernunft zu bringen, doch wie sollte das gehen? Sie verstand ja nicht einmal, wie sehr ihr Körper die Erholung wirklich brauchte.

Verwirrt blickte Mana ihn an, nickte dann aber, zunächst resignierend, dann wieder lächelnd. „Ich schlafe jetzt“, stellte sie fest, legte sich hin und zog sich, so gut es ihr lädierter Körper zuließ, die Decke über den Kopf.

„Ich danke dir...“, hauchte Seth ruhig, doch in Wirklichkeit war er alles andere als ruhig. Er wollte schreien, wollte all seine Wut heraus lassen, doch er schwieg. Für Mana.

Wegen Mana.

Er wartete noch eine Weile an ihrer Seite, und betrachtete sie, sein Hirn zermarternd. Wie nur sollte er ihr erklären, dass er fort musste? Und das schon am nächsten Morgen? Wie nur sollte er ihr verständlich machen, dass sie hier bleiben musste? Ohne ihn...

Schließlich stand er vom Bett auf, und sah auf sie herab. Er seufzte, drehte sich dann um zu Xerxes, der noch immer wie versteinert im Zimmer stand und es kaum wagte, sich zu rühren. Die Situation war viel zu unwirklich, als dass sie real sein konnte, und doch wusste er, dass es auch für einen Traum zu absurd war.

„Könntest du kurz auf sie achten?“, ertönte des Hohepriesters Stimme gedämpft durch den Raum. Sein Blick lastete auf den Unterlagen, die die Dringlichkeit der Lage immer wieder bezeugten.

Xerxes nickte sofort, setzte sich auf einen Stuhl neben Mana. Betroffen sah er sie an, konnte jedoch den Blick nie wirklich lange beibehalten. Zu viel Unverständnis, zu viel Bedrückung strahlte sie aus. „Bist du nun glücklich, Kleine?“, hauchte er so leise, dass weder Seth noch er selbst seine Worte verstehen konnte. Er konnte den Schmerz, der den Hohepriester durchstoßen musste, sehr gut nachvollziehen, auch wenn ihm das Ausmaß nicht bewusst war. Er konnte all das nicht fassen. Und wenn es für ihn schon über die Grenzen des Erträglichen hinausging, welche Spuren hinterließ es wohl auf Mana und Seth?

Jener hatte keinen weiteren Gedanken akzeptiert und sich sogleich an seine Arbeit gesetzt. Er hatte jetzt ein Land zu verteidigen, einen Krieg zu führen und gleichzeitig hielt er das Leben in der Hand. Ein einziges Wort von ihm konnte sie völlig zerstören, ein einziges Wort nur.

Er hatte schon sehr oft große Verantwortung getragen, doch nichts glich dem, was ihm nun bevorstand. Und doch hatte er keine Zeit. Er verschloss sein Herz. Die Akten und Unterlagen arbeitete er wie besessen durch, hatte bereits nach wenigen Minuten seine Entschlüsse gefasst. Schnell notierte er alles wesentliche, legte die wichtigsten Aufzeichnungen griffbereit hin und ergriff dann ein noch unbeschriebenes Pergament. Mit geschickten Bewegungen schrieb er eine kurze Nachricht, rollte dann die Schriftrolle zusammen, versiegelte sie.

Ein kurzer Blick fiel auf Mana, dann stand er auf, und verließ den Raum.
 

Noch bevor Akim seine Chance ergreifen konnte, um entweder den Ort zu verlassen oder seine Schwester noch weiter mit Fragen bombardieren zu können, die sie ihm ohnehin nicht beantwortet hätte, kehrte Cyrus zurück zu seinen Geschwistern und nahm ihm damit jede Alternative.

Der Ältere setzte sich wieder zu seiner Schwester, reichte ihr ein Schluck Wasser in einer aus Nebel geformten Karaffe und blickte sie interessiert an.

Das Schweigen, das seine Ankunft zwischen Meira und Akim hinterlassen hatte, war auch für ihn deutlich zu vernehmen, doch er beachtete es nicht sonderlich. Es kümmerte ihn nicht. Viel wichtiger war der bevorstehende Kampf, den er unter allen Umständen für sich entscheiden würde. Und dann, wenn seine Rache vollkommen wäre, dann endlich würden sie Ruhe haben.

Viel zu lange hatten sie darauf warten müssen, viel zu lange hatte man sie immer wieder auseinandergerissen. Das war nun vorbei. Sie alle würden bezahlen, sie alle würden merken, dass man ihn besser nicht herausforderte.

Und schon bald würden sie verstehen: Sie würden bis in alle Ewigkeit bereuen.

Flucht?

Fassungslos blickte er auf die Tür, die nun verschlossen war. Sie hatte sich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr bewegt und Xerxes begann ernsthaft darüber nachzudenken, ob der Hohepriester geflohen war.

Grund genug hätte er gehabt, wahrscheinlich hätte es ihm niemand verdenken können. Niemand außer dem Mädchen, dass noch immer recht friedlich schlief. Er war froh darüber. Allein die Vorstellung ihr erklären zu müssen, wo Seth war, erschien ihm äußerst schwierig. Wie sollte er etwas verständlich machen, das er selbst nicht wusste? Wie sollte er seine eigenen Zweifel unterdrücken, nur um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben?

Denn eines war ihm ganz klar. Wenn sie keinerlei Erinnerungen mehr hatte – wie auch immer der Hohepriester das angestellt hatte, denn das war ihm unverständlich – sie musste extrem verunsichert sein. Und diese Unsicherheit konnte er ihr nicht nehmen, er kannte sie im Grunde schließlich gar nicht.

Dann endlich öffnete sich die Tür.

Er war also doch nicht geflohen, zumindest jetzt noch nicht. Doch vielleicht, überlegte Xerxes weiter, vielleicht kam ihm der Krieg in diesem Moment gerade recht, vielleicht war genau das die Fluchtmöglichkeit, die er abwartete um sein Gesicht zu wahren.

Mana schlief. Ab und zu verzog sie das Gesicht, doch sie entspannte sich immer gleich wieder. Offensichtlich legte sie sich hin und wieder auf ihre gebrochenen Knochen, und auch wenn sie es nicht verstand, den Schmerz musste sie spüren.

Wie in Trance lief Seth zu seinem Tisch, überflog noch einmal seine Aufzeichnungen, ehe er schließlich nachdenklich nickte. „Das müsste alles sein...“, murmelte er vor sich hin, drehte sich wieder um und verließ von neuem den Raum.

Besorgt wartete Xerxes darauf, dass er wieder kam, blickte abwechselnd von der Tür zu Mana und von Mana zur Tür. Als diese sich das nächste Mal öffnete, stand wie erwartet der Priester dahinter. Dieses Mal jedoch, und das überraschte den libyschen Boten über alle Maßen, war er nicht allein. Eine junge Frau stand hinter ihm, unverkennbar hübsch fiel ihr das lange, glatte, hellbraune Haar über die Schultern, Sie trug das typische weiße und unschuldige Gewand einer Priesterin, und doch glühte in ihren Augen ein Feuer, das Xerxes noch nie zuvor gesehen hatte, und das diese Unschuld ziemlich in Frage stellte.

Hatte der Hohepriester sich nun gleich einen Ersatz für das Mädchen gesucht?, überlegte er fieberhaft und hoffte inständig, dass er sich irrte. Er wusste nicht, wie er des Priester einschätzen sollte, doch gegenüber dem Mädchen wäre dies alles andere als fair. Er verkniff sich seinen Kommentar und beobachtete die beiden vorzugsweise mit unverhohlenem Interesse.

Seth schien nach wie vor äußerst angespannt zu sein. Sein Blick fiel auf Mana, dann ging er ans Fenster. Die Frau folgte ihm. Sie schien im Gegensatz zu vielen anderen, denen Xerxes begegnet war, keine Angst vor dem Hohepriester zu haben, vielleicht hatte er sie deswegen hierher gebracht. Xerxes lauschte.

Wortlos blieb Seth stehen, drehte sich zu der Frau um.

„Dies ist meine Verlobte Mana“, erklärte er in flüsterndem Ton, „Ihr werdet sie kennen. Sie hat viele Verletzungen ertragen müssen, Folter, die sie nicht ertragen konnte... Ich habe ihre Gedanken gelöscht...“ Seth erklärte ihr alles, ausführlich genug, dass sie es verstehen konnte, und trotzdem schnell und mit monoton klingender Stimme. „Ich möchte Euch bitten, Euch um sie zu kümmern.“

Die Priesterin unterbrach ihn nicht ein einziges Mal und obwohl sie einiges dazu zu sagen gehabt hätte, hielt sie sich zurück. Es geziemte sich nicht, den Hohepriester zu unterbrechen, egal wie sehr sie sich danach sehnte, die Form zu durchbrechen und wieder als die Adalia vor ihm zu stehen, die sie einst gewesen war.

So vieles hatte sich seitdem geändert. Und doch hatte er sie nie vergessen. Einzig und allein diese Tatsache versetzte sie der unangenehmen Situation zum Trotz in Höchststimmung.

Sie würde beweisen, dass er Recht daran tat, ihr zu vertrauen. Betroffen blickte sie zu Mana, senkte für ein paar Sekunden den Blick, ehe sie wieder aufschaute – fest entschlossen.

„Sie ist bei mir in guten Händen, mein Priester“, sagte sie edel und anstandsvoll, während sie sich vor ihm verneigte.

„Davon gehe ich aus“, sagte Seth und seufzte leise. „Ich danke Euch...“

Adalia musterte sein sorgenvolles Gesicht, niemals zuvor hatte sie ihn so gesehen, ihn, der doch sonst so majestätisch auf seine Umwelt herabsah und sich niemanden jemals unterwarf. Es beunruhigte sie zutiefst, gleichzeitig ließ es ihr Herz schneller schlagen, dass er sie so nah an seine verletzliche Seite heranließ.

Xerxes betrachtete sie Beiden aufmerksam. Unausgesprochene Worte lagen in der Luft, eine Vertrautheit, die er sich nicht erklären konnte. Und doch klang es nicht so, als hätte der Hohepriester vorgehabt, die Kleine einfach zu ersetzen. Faszination machte sich breit in ihm, er verstand weder Seth noch dessen Handlungen und versuchte nun, sich die Sache irgendwie zu erklären.

Adalia war es, die es als Erste bemerkte. Ihr Blick fiel erneut auf Mana und sie erschrak. Das Bett war leer, das Mädchen war verschwunden. „Mein Herr“, sagte sie alarmiert, „Sie ist weg!“

Fast synchron blickten sich die beiden Männer, die sich so ähnlich waren und dann doch nicht unterschiedlicher hätten sein können, um. Der Hohepriester kniff die Augen zusammen, biss sich fast unmerklich auf die Lippen.

„Sie kann noch nicht weit sein“, sprach er zweifelnd, „Wir müssen sie suchen!“ Was nur hatte sie nun wieder angestellt? Dieses Kind war wirklich schwer zu pflegen. Er wollte ihr helfen, wollte, dass sie gesund werden konnte, wollte, dass sie lebte. Genau so hatte er es versprochen. Doch sie machte es ihm nicht leicht.

Ohne auf die anderen beiden zu warten oder auch nur auf sie zu achten, stürmte er aus dem Raum. Er eilte durch den Gang, willig jede einzelne Tür zu öffnen, wenn es sein musste, doch es war gar nicht nötig. Bereits bei der Ersten wurde er fündig.

Es war Manas Zimmer, der Raum, der ihr zugeteilt worden war, der Raum, in dem alles zerstört worden war.

Erleichtert sie zu sehen ging er auf sie zu. „Was machst du denn?“, fragte er seufzend, wie nur sollte sie je gesund werden können?

Tränen standen in ihren Augen, doch als sie Seth erblickte, bildete sich sofort ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie kicherte kindisch, streckte die Arme nach ihm aus. „Seth!“, rief sie freudig, darauf wartend, dass er sie in die Arme nahm.

Er seufzte lautlos als er ihren Wunsch erfüllte. In dem Moment, da die Besorgnis, sie wiederfinden zu müssen, nachließ, fühlte er ein eigenartiges Gefühl in sich aufsteigen, bedrückend, als würde ihm plötzlich die Luft zum Atmen genommen.

Irgendetwas stimmte nicht, ganz und gar nicht.

Mana klammerte sich an seinen Oberkörper. „Erschrick mich doch nicht so“, beklagte er sich, und das eigenwillige Gefühl blieb.

„Entschuldigung!“, plapperte das Mädchen fröhlich, jetzt, da Seth sie gefunden hatte, ging es ihr wieder gut.

Leicht lächelnd schüttelte er den Kopf. „Komm'“, sagte er, „Wir gehen wieder zurück.“ Er nahm sie bei der Hand, schritt auf die Tür zu und trat mit Mana an seiner Seite hinaus, als er Adalia über den Gang eilen sah. „Wieso seid Ihr mir nicht gefolgt?“, fragte er an sie gerichtet.

Als sie den Klang seiner Stimme vernahm, drehte sie sich sofort zu ihm um und verneigte sich. Unverständnis stand ihn ihrem Gesicht geschrieben. „Verzeiht, Herr“, sagte sie, „Aber ich habe Euch nicht gehört, ich wusste nicht, wo Ihr gewesen seid.“

Seth sah sie überrascht an. „Ihr habt mich nicht gehört?“, fragte er perplex. Das konnte doch gar nicht sein, seine Schritte und seine Stimme hätten eigentlich durch den ganzen Gang gehallt haben müssen, wie hatte sie das überhören können?

Und dann verstand er. Der Blick in seinem überraschtem Gesicht versteinerte sich auf der Stelle. Er ließ Mana stehen, drehte sich um und ging zurück in das Zimmer.

„Der Raum ist versiegelt...“, hauchte er fassungslos, die Beiden hatten das also geplant. Finster und grimmig starrte er ins Nichts. Das erklärte das unbekannte Gefühl und steigerte seinen Hass auf Karim und Shada ins Unermessliche.
 

Nur einzelne verstreute Klänge von schweren Schritten und von ausgestoßener Atemluft durchbrachen die Stille, die in diesem engen, kaltem Raum vorherrschte, hin und wieder.

Kalt und doch wieder nicht. Die Temperatur im Raum stieg von Sekunde zu Sekunde, jeder Atemzug verbrauchte mehr des kostbaren, begrenzten Sauerstoffs und doch war keinerlei Wärme zu spüren.

„Was für eine Unverschämtheit!“, zischte der kahlköpfige Mann mit der Tätowierung auf dem Kopf. Er hatte sich erhoben, ging in der Zelle auf und ab, immer und immer wieder.

Der größere und gleichzeitig auch kräftiger aussehende Mann, der die Zelle mit ihm teilte, betrachtete ihn nachdenklich, folgte jedem seiner Schritte mit grimmigem Blick.

„Ich dachte, du hättest den Raum verschlossen!“, fauchte Shada ohne auch nur im geringsten darüber nachzudenken, was das für ihr verbliebenes Sauerstoff-Volumen bedeutete.

Genervt hob Karim den Kopf. Sie hatten diese Diskussion nun schon unzählige Male geführt. „Der Raum war auch verschlossen!“, fauchte er zurück, „Aber so, dass nichts nach außen dringen konnte!“

„Dann hättet Ihr vorsichtiger sein sollen, Karim!“, Shada trat einige Schritte dichter an ihn heran. „Wieso sollten wir den Raum nur von innen versiegeln wollen? Und jetzt sitzen wir hier!“

Es war nicht zu übersehen, wie sauer es ihn machte, nicht länger Herr der Lage zu sein.

„Es war völlig unvorhersehbar, dass jemand das Zimmer betreten würde, falls Ihr mal nachdenkt!“, verteidigte sich Karim, es passte ihm überhaupt nicht, nun schon wieder Ziel von Shadas Wut zu werden. Er sah ihn herausfordernd an. „Als ob es mein Wunsch gewesen wäre, hier zu landen!“

„Es war nun einmal Eure Leichtsinnigkeit“, beharrte der Kleinere, sah ihn dann nicht weniger provokant an. „Was war dann Euer Wunsch?“

„Das wisst Ihr genauso gut wie ich“, zischte er hinter zusammengekniffenen Zähnen. „Ihr hättet ja auch etwas gegen Eindringlinge unternehmen können!“ Er sah es überhaupt nicht ein, allein für alles verantwortlich gemacht zu werden, im Gegensatz zu Shada hatte er schließlich etwas dafür getan, sie zu verteidigen, Shada dagegen hatte still genossen und nun kam er damit nicht zurecht.

„Ich habe aber geglaubt, Ihr wäret klug genug“, sagte er grimmig, er stand nun direkt vor ihm.

„Dann solltet Ihr Euch vielleicht nicht immer auf andere verlassen“, gab Karim abwertend zurück. Oh nein, dieses Mal würde er sich nicht verantwortlich machen lassen, auf gar keinen Fall! Dass sie hier gelandet waren, war nicht seine Schuld. Er wusste, auch Shada trug daran keine Schuld, sie beide waren unvorsichtig gewesen. Doch nun für etwas einzustehen, das er nicht hatte vorhersehen können, daran dachte er überhaupt nicht.

Wenn sie hier wieder herauskommen wollten, dann mussten sie sich etwas einfallen lassen, die Beweislage sprach eindeutig gegen sie und der Hohepriester war nicht dafür bekannt, mit sich reden zu lassen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Was auch hätten sie ihm sagen sollen?

Es war alles ganz anders?

Lächerlich. Es war genau so, wie der Hohepriester sich inzwischen denken konnte, er hatte ihnen von Anfang an misstraut. Sich nun darauf zu verlassen, dass er seine Meinung ändern würde, war absolut utopisch.

Shada brummte noch immer wütend vor sich hin, Karim sah darüber hinweg.

„Und?“, warf er beiläufig ein, „Wie kommen wir hier wieder heraus?“ Sein Blick starrte zur Decke, möglichst unbekümmert. Er durfte Shada auf keinen Fall einen Grund geben, sich weiter aufzuregen.

„Ihr habt uns hier hineingebracht, Ihr holt uns wieder heraus“, giftete Shada sofort los, ganz so als wäre es das selbstverständlichste der Welt.

Der Größere nickte stumpf. „Klar“, antwortete er leise und betrachtete weiterhin den kalten Stein.

Shada seufzte. „Meinst du nicht, die Magie kann uns helfen?“, fragte er schließlich einlenkend, auch er wollte immerhin in erster Linie hier wieder heraus, mit Karim streiten konnte er auch später noch. Doch dieser schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle es“, sagte er mit belegter Stimme. „Sicher hat Seth selbst sich darum gekümmert, um genau das zu verhindern.“

„Vielleicht“, stimmte Shada zu, „Wenn er die Zeit dazu gehabt hat. Und trotzdem...“ Er überlegte kurz. „Vielleicht kann es funktionieren. Oder wir müssen die Wachen ein wenig...“ Ein siegessicheres Grinsen legte sich auf sein Gesicht.

„Du willst die Wachen verzaubern?“, fragte Karim, der sogleich verstand, worauf sein Freund hinaus wollte. Er betrachtete ihn skeptisch.

„Wieso nicht?“, fragte Shada, „Sie müssen uns ja nur den Schlüssel geben, mehr nicht.“

War es wirklich so einfach? Er bezweifelte es.

Und während sie noch über das für und wider diskutierten, wurde die Luft immer dünner und über dem Land ging die Sonne unter.

Adalia

Es war wirklich eigenartig. Wie oft hatte sie sich gewünscht zu ihm zurückkehren zu können? Nichts hatte sie sich sehnlicher gewünscht, als wieder an seiner Seite zu dienen.

Sicher. Einst einmal war alles anders gewesen, einst einmal hatte er zu ihr auf gesehen. Das war nun schon so viele Jahre her. Adalia dachte gern zurück an ihre gemeinsame Zeit. Die Zeit, da er als einfacher Junge im Dorf ihres Vaters gelebt hatte, die Zeit, da seine Herkunft noch im Dunkeln gelegen hatte.

Mehrfach in ihrem Leben hatte er sie überrascht. Er war seinen Weg gegangen, hatte sich weit über sie erhoben. Doch er hatte sie nicht vergessen. Schon kurz nach seinem Aufstieg war auch sie in den Palast eingezogen, er hatte sie zu seiner Schülerin und so schließlich zur Priesterin und zur Frau gemacht.

Dann hatte er sie weggeschickt. In einem Tempel sollte sie dienen, Einfluss und Macht lag in der Position, die er ihr übertragen hatte, und doch war sie enttäuscht gewesen.

Dass sie schließlich zu seiner Ernennung zum offiziellen Thronfolger an den Palast zurückkehrte, verdankte sie einzig und allein einer glücklichen Fügung und ihrem starken Willen. Sie hatte ihre Chance genutzt, hatte die Zügel ergriffen, als sie ihr angeboten worden waren.

Des Priesters Verlobung war eine bittere Überraschung gewesen. Ein kleines Mädchen, nicht einmal fertig mit der Ausbildung, ungezogen und frech. Und doch hatte sie erreicht, wovon Adalia immer geträumt hatte. Das Vertrauen und die Liebe des Hohepriesters, des Mannes, von dem sie glaubte, dass sie ihn besser kannte, als kaum jemand anderes hier im Palast. Sie war es schließlich gewesen, die mit ihm aufgewachsen war, sie war es schließlich gewesen, die alles mit angesehen hatte. Als sie ihn endlich wiedersehen durfte, wirkte er wie verwandelt.

Alles nur wegen einem kleinen Mädchen.

Adalia senkte den Kopf. Und doch hatte er sie nie vergessen. Er hatte sie zu sich geholt, nun, da er jemanden brauchte, der sich um das Mädchen kümmerte. Genoss sie nicht auch sein Vertrauen? Hatte sie ihn jemals wirklich verloren? Adalia lächelte bei dem Gedanken daran. Nein, er hatte sie auserwählt, wieder einmal. Er hatte sie niemals vergessen.

Sie reichte Mana ihre Hand. „Komm' her“, hauchte sie sanft, „Ich bin Adalia.“

Das kleine brünette Mädchen schaute interessiert zu ihr auf, wendete ihren Blick ab von dem Raum, in den Seth ohne sie zurückgekehrt war. Freudig ergriff sie die ihr angebotene Hand, trat ein paar Schritte auf Adalia zu.

„Adalia?“, wiederholte sie zögernd und unsicher, lächelte dann aber, als auch die Priesterin ihr ein Lächeln schenkte. „Ich bin Mana“, stellte auch sie sich vor, ohne darüber nachzudenken, dass die Frau das längst wusste. „Wo ist Seth?“, fragte sie leise.

„Warte hier“, sagte Adalia freundlich, „Der Priester kommt gleich zurück.“ Unwillkürlich stieg in ihr ein unbekanntes Gefühl auf, es erschien ihr, als hätte sie ein unglaublich zerbrechliches Wesen vor sich, das die Welt mit großen Augen betrachtete und doch nicht verstand, was sich um sie herum abspielte. Ein Wesen, dass sie unter allen Umständen beschützen musste. Es war wirklich kaum zu glauben, dass es sich bei dem Mädchen um die gleiche Person handelte, wie noch am Abend zuvor, als sie voller Freunde in Seths Arme gefallen war.

Mana lächelte sie an und nickte kurz. Seth kam gleich wieder, das war etwas, das sogar sie verstehen konnte. Sie blickte erwartungsvoll auf den Raum, wankte dann kurz. Verwirrt drehte sie sich zu Adalia um, die sogleich schützend einen Arm um sie gelegt hatte.
 

Die Versiegelung aufzuheben war eine Kleinigkeit gewesen, und doch hatte es den Hohepriester eine unglaubliche Willenskraft gekostet. Jeder Gedanke an das was in diesem Raum geschehen war, machte ihn rasend vor Wut. Glaubten sie ernsthaft, dass sie sich mit seiner Macht messen konnten?!

Ein letztes Mal noch blickte er sich in dem Zimmer um, ehe er ihm seinen Rücken zukehrte und auf Adalia und Mana zuging.

„Sie muss zurück ins Bett, mein Herr“, sagte die Priesterin ernst und besorgt, das Mädchen konnte sich ja kaum auf den Beinen halten.

Der Priester nickte nur, ehe er sich seiner Verlobten zuwandte. „Kannst du laufen?“, fragte er. Jede Bewegung musste ihr unglaubliche Schmerzen bereiten, dachte er, doch Mana schien das nicht zu stören.

Sie schüttelte entschieden Kopf, sie wollte nicht zurück ins Bett. „Mana hat geschlafen!“, beharrte sie, lief dann grinsend ein Stück vor. Adalia lief sofort hinter ihr her, bereit, sie jederzeit aufzufangen, sollte sie ihr Gleichgewicht erneut verlieren. Dass sie sich überhaupt so bewegen konnte mit all ihren Verletzungen, grenzte wirklich an ein Wunder.

Seth blieb zurück, verschloss das Zimmer hinter sich. Mana sollte nicht noch einmal dort hineinkommen können. Tief in Gedanken versunken folgte er den beiden Frauen.

Als er nicht sofort nach kam, drehte Mana sich um und lief zu ihm zurück. Freudig warf sie ihre Arme um seine Hüfte, und lachte leise. Er war ihr vertraut, sie hatte keine Angst vor ihm.

Seth hielt sie für einen Moment fest, folterte sich selbst mit seinen Erinnerungen an die wahre Mana und senkte dann den Kopf um sie an anzusehen. „Komm, gehen wir zurück“, sagte er ein weiteres Mal.

Das Mädchen sah ihn an, den Blick verzogen. „Nicht schlafen?“, bettelte sie kopfschüttelnd, und dieses Mal gab der Priester ihr nach.

„Von mir aus kannst du wach bleiben...“, meinte er resignierend, „Aber du legst dich ins Bett, damit zu Ruhe hast.“

Doch das war Mana nicht genug, damit war sie nicht zufrieden. „Nicht ins Bett“, maulte sie kindlich trotzend, und drehte sich um. Ihr Blick fiel nach draußen. Dort war in der Zwischenzeit alles dunkel geworden. Dunkel. Es kam ihr unglaublich bekannt vor, unglaublich vertraut, sie hatte das gerade erst gespürt. Interessiert zeigte sie auf die in Schatten liegende Welt. „Wie im Traum?“, fragte sie Seth, der jedoch nicht verstand, was sie ihm sagen wollte.

Er schüttelte fragend den Kopf. „Was für ein Traum?“, fragte er nach, wie sollte er ihr etwas erklären, wenn er nicht mal wusste, was sie ihm sagen wollte? Es war wirklich zum verrückt werden, von einer Sekunde auf die andere schien es, als wäre jenes Band, das sie Beide einst verbunden hatte, einfach verschwunden.

Mana sah zwischen der Dunkelheit und dem Hohepriester hin und her. „Im Traum“, sagte sie lächelnd, „Alles...“, sie unterbrach sich stockend, suchte nach dem richtigen Wort, doch es wollte ihr nicht einfallen. Wieder zeigte sie nach draußen, in der Hoffnung, dass er verstand.

„In deinem Traum ist alles dunkel?“, versuchte Seth für sich zu übersetzen und Mana nickte strahlend.

„Ja“, jubelte sie, „Ist gut?“

Seth lächelte sie an. „Ja“, antwortete er sanft, „Da musst du dir keine Sorgen machen.“ Wie sollte ihr Traum auch in Farben erstrahlen können? Es gab schließlich kaum noch Gedanken, auf die ihr Unterbewusstsein hätte zurückgreifen können.

Mana lächelte zufrieden, kletterte auf die Fensterbank und setzte sich hin. Sie forderte Seth auf, sich neben sie zu setzen, was dieser jedoch ganz entschieden verneinte. Er konnte es einfach nicht. Die Erinnerung durchzuckte ihn wie ein messerscharfer Blitz. An diesem Ort hatte er sie einst geküsst, Ewigkeiten schien das nun schon her zu sein.
 

Adalia, die das Spiel zwischen Mana und Seth aufmerksam beobachtet hatte, räusperte sich leise und ergriff das Wort. „Sollten wir sie nicht lieber ins Bett bringen, Herr?“, fragte sie vorsichtig und besorgt. Nie zuvor hatte sie Seth so wenig herrisch gesehen, nie zuvor hatte er so tief verwundet gewirkt, obwohl sein Körper doch unversehrt geblieben war.

„Das sollten wir“, stimmte er ihr zu, unentschlossen, bis Manas Lachen von einem erschöpfenden Husten unterbrochen wurde. Er baute sich vor ihr auf, sie brauchte Ruhe, ganz dringend. Ohne weiter darüber nachzudenken, was er tat, legte er seine Arme um Mana und hob sie hoch. Äußerst vorsichtig um ihr nicht noch weiter weh zu tun, trug er sie zu seinem Gemach und legte sie, ihren Protesten zum Trotz, in sein Bett.

„Du bleibst jetzt bitte liegen, hörst du?“, sagte er und sah sie ernst an, es war von außerordentlicher Wichtigkeit, dass sie nur dieses eine Mal auf ihn hörte.

Schmollend sah Mana ihn an, schüttelte den Kopf, blieb aber liegen. Sie griff nach der Decke, zog sie quer über sich und sah äußerst beleidigt aus.

„Es ist nur zu deinem Besten“, verteidigte sich Seth und blickte sie freundlich an. Ihr Groll war fast niedlich. Vorsichtig drehte der Priester die Decke richtig und deckte sie vernünftig zu. Schließlich beugte er sich zu ihr herunter und strich ihr sanft über die Wange.

Des Mädchens Züge lösten sich sofort, ihre Augen schlossen sich, als er sie berührte und sie lächelte.

„Also tust du mir nun den Gefallen und bleibst liegen?“, bat Seth und Mana nickte brav.

„Danke schön“, hauchte Seth, seine Freundin betrachtend. Er wusste nicht, was er denken sollte, alles hatte ganz anders ablaufen sollen, alles hatte ganz anders kommen sollen. Es wäre so einfach gewesen. Wenn er sie nur bei sich behalten hätte...

Er selbst...

Seth seufzte. Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht, doch um zu verhindern, dass Mana wieder weglaufen konnte, war es das Beste, die einzige Hilfe, die er Adalia noch mit auf den Weg geben konnte. Und so versiegelte er schwer atmend den Raum.
 

Tiefes und gleichmäßiges Ein- und Ausatmen verrieten, dass Mana tatsächlich wieder eingeschlafen war. Seth blickte erleichtert auf. Wenigstens Manas Körper schien noch auf ihre Bedürfnisse zu achten, wenn auch sie es nicht tat. Und auch der Priester war erschöpft, man sah es ihm an und die Sorge stand Adalia ins Gesicht geschrieben.

„Ihr solltet ebenfalls etwas schlafen“, schlug sie vorsichtig vor, ohne ihm etwas vorschreiben zu wollen, denn so etwas lag ihr fern.

Seth ließ seinen Blick zu ihr schweifen, wirkte plötzlich um Jahre gealtert. „Würdet Ihr auf sie achten?“, fragte er sie ein weiteres Mal, ohne an ihrer Antwort zu zweifeln und doch wollte er sicher gehen. Sie hatte zugesagt, ohne zu wissen, was es tatsächlich bedeutete; nun, da sie sich ein eigenes Bild von der Situation hatte machen können, wollte er ihre Entscheidung erneut hören. Nur dann war er sich sicher, dass er Mana in ihrer Obhut würde lassen können.

Die Priesterin zögerte keine Sekunde. „Selbstverständlich, Herr“, gab sie selbstsicher zurück, ihren Entschluss zu ändern, hieße das Vertrauen des Hohepriesters zu enttäuschen und sie hatte wirklich lang genug darum gekämpft, dass er ihr Achtung entgegen brachte, als dass sie es nun so leichtfertig wieder aufs Spiel gesetzt hätte.

Sie setzte sich an Manas Bett um über ihren Schlaf zu wachen.
 

Seth hingegen war vor das Zimmer getreten um den im Gang stehen gebliebenen Xerxes noch einmal zu sprechen. Er hatte darauf bestanden, dass dieser noch einen Augenblick wartete, bis er ein paar Minuten Zeit für ihn aufbringen konnte, und Xerxes, der noch immer kaum verstehen konnte, was eigentlich geschehen war, hatte nicht widersprochen. Als Seth nun auf ihn zutrat, wirkte er gefasst.

„Könntest du...“, setzte der Priester an, überlegte, was er ihm nun am besten sagte, „Könntest du vorerst Stillschweigen darüber bewahren, was hier geschehen ist?“

Es war kein Befehl und das überraschte den Boten, ein einziges Wort des offiziellen Thronfolgers hätte genügt, und er hätte Schweigen müssen. Und doch, und das rechnete er dem Mann, der ihm gegenüber stand, hoch an, hatte er keinen Befehl ausgesprochen.

Er nickte.

„Die libyschen Truppen sind bereits auf dem Vormarsch, morgen früh geht es los“, sagte Xerxes und blickte Seth ausgesprochen beunruhigt an. „Was werdet Ihr nun tun?“

„Als Hohepriester und Thronfolger dieses Landes ist es meine Pflicht, die Truppen in die Schlacht zu führen“, gab dieser nur zurück, sachlich, kalt und doch bedrückt. „Es ist meine Pflicht, alles andere als unwichtig anzuerkennen.“

Xerxes sah ihm mit festen Blick in die Augen. Er wollte ihm Mut zu sprechen, Respekt und Anerkennung. Doch vor allem sprach er ihm auf diese Weise sein Vertrauen aus.
 

„Mein Priester?“

Adalias Stimme klang unsicher, als sie auf ihn zuging. „Das solltet Ihr Euch vielleicht ansehen...“

Still führte sie ihn zurück an das Schlaflager und zeigte auf Manas Hand. Ein weißer Schleier hatte sich darum gelegt, ein Schleier, der die Priesterin ratlos zurückließ. „Ich habe versucht, danach zu greifen, aber es ist unmöglich.“

Mana schien noch immer zu schlafen, nur der Schleier bewegte sich um sie herum, kroch langsam auf Adalia zu, die ihn voller Unbehagen betrachtete.

„Nebel...“, flüsterte Seth und schüttelte den Kopf. Darüber nachdenkend, beugte Seth sich zu Mana herab und legte ihr behutsam eine Hand auf die Stirn. Wenigstens das Fieber war heruntergegangen.

„Aber, mein Priester“, sagte Adalia, die noch immer nichts verstand, und auch nicht wusste, was sie von der Sache halten sollte, „Sie kann doch diesen Nebel nicht gerufen haben? Was glaubt Ihr?“

Seth seufzte, und zuckte dann mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat“, gab er zu, „Doch dieser Nebel ist mir nicht unbekannt.“ Sein besorgter Blick fiel auf Mana, die zusammengekauert, aber friedlich lächelnd noch immer die Augen geschlossen hatte und tief und fest schlief, ehe er sich wieder von ihr abwendete und Adalia ernst ansah. „Ich möchte Euch warnen, Adalia... Dieser Nebel... Ich kenne genau drei Personen, die den Nebel willentlich als Waffe einsetzen. Und ich fürchte, dies ist auch ihr Werk...“ Er trat einige Schritte auf sie zu, „Adalia, Ihr wart meine beste Schülerin. Ihr solltet Euch auf einiges gefasst machen. Die Aufgabe, die ich Euch übertragen habe, wird mit Sicherheit nicht einfach sein...“

Adalia nickte. Er dachte noch immer an sie. Er hatte sie niemals vergessen. Und er würde sie nicht vergessen.

Sonnenaufgang

Es war ein Versprechen, das er Mana gegeben hatte. Vor allem für die Haare. Er hatte ihr Rache geschworen, so schwer es jetzt auch war. Und auch wenn es vielleicht schon zu spät war, die Beiden würden trotzdem dafür zahlen. Sie würden ihm nicht entkommen.

Sich von ihr zu verabschieden stellte sich als schwieriger heraus, als er es vermutet hatte. Ihr zu sagen, dass er fortgehen musste, würde nicht einfach sein, das hatte er auch nicht erwartet, doch ihr dann tatsächlich gegenüber zu stehen, in ihre großen, fragenden Augen zu sehen, und dabei optimistisch zu klingen, damit sie sich nicht fürchtete – all das stellte eine enorme Herausforderung dar. Eine Herausforderung, der er sich nicht gewachsen fühlte, die aber unaufschiebbar nahe gerückt war.

„Ich muss gleich fortgehen“, hatte er zu ihr gesagt, ohne zu wissen, wie er es hatte erklären sollen. Es war doch unausweichlich.

Das Mädchen hatte ihn angesehen, dann genickt. Sie lächelte. „Und dann kommt Seth gleich wieder!“, schloss sie fröhlich. Doch der Priester schüttelte den Kopf. „Nein, Mana. Ich komme wieder... Aber es wird ein bisschen dauern...“

Sie verstand nicht. Was wollte er ihr sagen? Wusste er es selbst denn wirklich?

„Dauern?“, fragte sie nach, ihre Stimme unsicher und brüchig.

Seth nickte. „Ja, es wird ein wenig dauern.“ Er gab sich alle Mühe, das Ganze so harmlos wie möglich klingen zu lassen, obwohl er genau wusste, dass es eine Sicherheit im Krieg niemals geben konnte. Doch er wusste auch, dass sie nicht wusste, was es bedeutete in den Krieg zu ziehen und allein darauf musste er vertrauen, nur so konnte er sie beruhigen. „Dann komme ich wieder. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Und wenn die fertig ist, dann komme ich zurück...“

So konnte man das formulieren, dachte der Hohepriester verbissen, er durfte ihr auf gar keinen Fall Angst machen, sie durfte nicht glauben, er würde sie allein lassen. Nichts lag ihm ferner als das. Er sah sie an, sie schwieg. „Bis ich wieder da bin, passt Adalia auf dich auf, in Ordnung?“

Sie hatte genickt, sie hatte verstanden. Und sie hatte gelächelt. Das war mehr als Seth hatte erwarten können. Alles weitere lag nun in Adalias Händen. Er konnte sich auf sie verlassen, sie hatte es ihm schon mehrfach bewiesen.

Und er war gegangen. Seine Aufgabe zu erfüllen und zu ihr zurückzukehren. Das hatte er versprochen.

Sein Gesicht hatte sich verfinstert. Niemand, der ihm über den Weg gelaufen wäre, hätte erkannt, dass er sich soeben von seiner Verlobten verabschiedet hatte. Es lag nichts als kalter Hass in seinem Blick, eine undurchdringliche Mauer aus eisiger Wut, die ihn beherrschte, als seine Schritte ihn durch die dunklen Gänge trugen.

Als er sein Ziel schließlich erreichte, war er erfüllt von einer grimmigen Vorfreude, ein Gefühl, das ihn zu überwältigen drohte, ihn in eine Gier versetzte, die er selbst einem Raubtier zugeordnet hätte.

Sein Blick fiel auf eine Zelle, und auf die beiden Gestalten, die darin hockten.

Natürlich hatten sie ihn gehört, wie hätten sie das tiefe Echo der sicheren Schritte durch die schweren Mauern missverstehen sollen?

„Sieh an“, säuselte Karim, der als erster erkannte, wer da kam, „Der Hohepriester persönlich erweist uns die Ehre.“ Trotz seiner misslichen Lage war er offensichtlich zu keiner Einsicht bereit. Auch Shada ließ sich nicht beeindrucken, abfällig starrte er Seth an.

Dieser hatte große Mühe sich zu beherrschen, sie auf der Stelle zu zerfleischen, hätte eher dem entsprochen, was er sich wünschte für sie, doch er hatte anderes mit ihnen vor. Sie würden es nicht einfach haben, sie würden nicht einfach mit dem Tod davon kommen. Er hatte es versprochen. Sie würden leiden. Und sei es nur für die Haare.

Er holte seinen Millenniumsstab hervor und noch bevor einer von Beiden reagieren konnte, hatte er sie zu Sklaven seines Willens gemacht. Puppen, die alles taten, was man ihnen sagte.

Grimmig starrte er sie an. „So gefallt ihr mir schon viel besser“, zischte er, ließ sich dann von einer Wache den Schlüssel für die Zelle geben und befreite sie aus ihrem Gefängnis.

Sie folgten ihm stumm. Laufende Körper, mehr waren sie nicht im Augenblick und Seths Zauber war stark genug, um dafür Sorge zu tragen, dass es so blieb. Sein Hass war gerade zu grenzenlos, und erfüllte ihn mit einer grimmigen Energie, die ihn mehr als alles andere beflügelte.
 

Es war Kisara, die ihn aus seinen Gedanken riss. Die weißhaarige Frau stellte sich direkt vor ihn, als er durch die Gänge lief, die beiden Sklaven im Schlepptau. Sie hatte ihn eigentlich nur zufällig getroffen, doch nun, da sie ihn sah wollte sie sich wenigstens von ihm verabschieden. Auch wenn er sich von ihr längst verabschiedet hatte. Sie schluckte ihre Verbitterung darüber herunter, dies war nicht der passende Augenblick.

Die gesamte Eigentümlichkeit der Situation breitete sich vor ihren Augen aus. Seit wann ließ sich der Hohepriester von anderen Priestern flankieren? Das passte nicht zu ihm, er, der zwar gern protzte, und doch nur sich selbst vertraute. Verwirrt blickte Kisara ihn an. „Guten Morgen?“, versuchte sie ihn in ein belangloses Gespräch zu verwickeln, auf diese Weise konnte er selbst entscheiden, wie weit das hier gehen sollte.

Es war nur allzu deutlich, dass er nicht viel von der Idee hielt nun aufgehalten zu werden. Dennoch antwortete er ihr, wenn auch ohne viel Enthusiasmus.

Kisara ließ leicht den Blick schweifen. „Der Krieg ist fast in vollem Gange“, sagte sie leise, besorgt. „Trotzdem gratuliere ich dir...“ Sie stockte und schluckte leicht, ehe sie fortfuhr: „Zu deiner Verlobung. Wo ist sie denn?“ Verwundert blickte sie an ihm vorbei, sicher würde die kleine Mana es sich nicht nehmen lassen, ihn so lange es ginge zu begleiten? Als ihr Blick schließlich wieder auf ihn fiel, wusste sie sofort, dass etwas nicht stimmte.

„Das wird sicher kein leichter Krieg“, antwortete Seth ihr ausweichend, was Kisaras Verdacht nur noch verstärkte, „Aber die Libyer werden sich noch wünschen, uns niemals begegnet zu sein...“ Drohend klang seine Stimme, doch sie wusste es besser.

„Da bin ich mir sicher...“, sagte sie lächelnd, durchbohrte ihn mit einem entschlossenen Blick aus ihren eisblauen Augen. Augen, die den seinen so ähnlich waren. „Du hast nicht auf meine Frage geantwortet.“ Es war eine Feststellung, nichts anderes. Seth senkte den Blick. „Wo ist Mana?“

Tief durchatmend hob der Priester den Kopf. „Ich habe mich bereits von ihr verabschiedet. Sie ist zurückgeblieben, um ihr den Abschied nicht schwerer zu machen“, erklärte er stumpfsinnig.

Er wollte nicht darüber reden, das war völlig klar, doch die zurückgewiesene Frau hatte nicht vor, ihn einfach so entkommen zu lassen. Nicht jetzt, da er so offensichtlich etwas verschwieg. „Wieso bist du nur am lügen?“, fragte sie ihn, ohne Wut, absolut ruhig. Auch dies war mehr eine Feststellung als eine Frage. Und doch erwartete sie eine Antwort.

„Was geht dich es an?“, fuhr er sie an, viel zu emotional, als dass Kisara es dabei belassen hätte. Sie kannte ihn einfach schon viel zu lange, um seine billige Ausrede einfach so zu schlucken. Doch langsam aber sicher wurde sie ungeduldig. „Es tut mir Leid, dass es mich interessiert“, knurrte sie ungehalten. „Was ist passiert?“

Sie würde ihn hundertmal fragen, wenn es sein musste, sie würde ihn nicht gehen lassen, ehe er ihr nicht eine Antwort gegeben hatte. Er wollte etwas verheimlichen? Er war noch nie gut darin gewesen. Und auch dieses Mal würde er damit nicht durchkommen. Nicht jetzt, da er seine Aufmerksamkeit im Krieg doch brauchen konnte. Sie konnte es nicht riskieren, nicht zu wissen, was ihn möglicherweise zu sehr ablenken könnte.

Des Hohepriesters Augen waren noch immer von Zorn gezeichnet, als er ihr schließlich nachgab. Mit kurzen verbitterten Worten schilderte er ihr, was geschehen war, ganz so, wie er zuvor Adalia eingeweiht hatte. „Sie kann sich an nichts mehr erinnern“, schloss er seinen eintönigen Monolog.

Kisara war einige Schritte zurück getreten, sah ihn erschrocken an. War das der Preis für ein Leben an des Hohepriesters Seite?

Nein. Sie wollte nicht so denken. Sie war fassungslos. Ihr ungläubiger Blick blieb an Shada und Karim hängen, sie brachte kaum ein Wort heraus, schüttelte einfach nur den Kopf. Mana mochte ihre Rivalin gewesen sein, doch das hatte sie nicht verdient. Eine Wut erwachte in der jungen Frau, die sie selbst zwar kannte, aber sonst so gut es ging unterdrückte.

„Was hast du jetzt mit ihnen vor?“

Sie wusste genau, Mitleid brachte ihn im Augenblick nicht weiter und Mitleid war auch kein Gefühl, das sie gern bereit war zu akzeptieren. Mitleid allein änderte nichts und das passte ihr nicht. Es gefiel ihr nicht. „Du kannst sie gern mir überlassen“, sagte sie stattdessen und blickte Seth direkt in die Augen.

Dieser jedoch schüttelte grimmig den Kopf. „Sie werden mit in den Krieg ziehen“, erklärte er mit einem finsteren Lächeln im Gesicht.

Sie sah ihn an. Zuerst wollte sie widersprechen, doch wieder entschied sie sich dagegen. Sie kannte ihn zu gut, niemals würde er seine Rache abgeben und egal wie gern sie sich den Beiden angenommen hätte, so wusste sie doch, dass Seth diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen würde. Sie nickte und für eine Sekunde war wieder deutlich, was sie einst verbunden hatte. Kisara kannte Seths hasserfüllte Seite, und auch sie konnte so fühlen. Sie wusste genau, was er dachte, wusste, was sie von ihm zu erwarten hatte.

Sie wollte kein Mitleid, sie wollte Taten.

„Ich werde auf Mana achten, wenn du in den Krieg ziehst“, sagte sie bestimmt und leicht bedrückt. Es war kein Vorschlag, es war eine Abmachung. Völlig unbewusst hatten sie eine stille Übereinkunft getroffen.

Seth sah sie an, nickte. „Ich danke dir“, sagte er und so meinte er es.

„Mehr Probleme kann sie im Moment nicht gebrauchen“, erklärte Kisara sachlich, „Und du auch nicht. Pass auf dich auf, ja?“ Zum ersten Mal in ihrem Gespräch war sie unsicher. Sie wusste, dass Seth auf sich aufpassen konnte, doch sie kannte auch die Grausamkeiten, zu denen Menschen fähig waren. Ein flüchtiger Blick zu den willenlosen Hüllen ließ sie versteinern. Welche auch immer es sein mussten.

Seth atmete tief durch, nickte schließlich. „Das werde ich...“

Sie trat zurück um ihn vorbei gehen zu lassen. Es stand ihr eigentlich gar nicht zu, ihn aufzuhalten und doch war sie froh, es getan zu haben. „Zeige es ihnen!“, hauchte sie ihm hinterher.

Er schritt an ihr vorbei. Gerade als er auf ihrer Höhe war, hielt er ein letztes Mal inne. Er lächelte. Und das Lächeln war echt. „Dieser Krieg wird schnell und grausam sein“, sagte er und es klang wie eine Prophezeiung.

Sie erwiderte sein Lächeln, trat zurück und verbeugte sich leicht. „Solange dir nichts geschieht und bald wieder Frieden herrscht, sind mir alle Mittel recht.“

Er wusste, dass sie nicht scherzte und sie wusste, dass er es wusste.

„Kisara?“, seine Stimme war nun belegt und fest, nicht mehr verzehrt von Wut und Schmerz, sondern klar und gefasst. „Würdest du mir einen weiteren Gefallen tun? Würdest du mir bitte Bescheid geben, wenn hier irgendetwas nicht stimmt?“

Für einen Augenblick war sie überrascht, wusste nicht, wieso er sich ausgerechnet an sie wendete mit dieser Bitte. Doch dann verstand sie. Sie war die einzige Möglichkeit. Der Drache... Sie nickte zufrieden. Also wurde sie doch gebraucht, sie war nicht umsonst geblieben. „Das werde ich“, sagte sie mit einer Würde, die sonst nur eine der Priesterinnen hätte aufbringen können, „Verlasst Euch auf mich... mein Priester.“
 

Er hatte sich von ihr verabschiedet, ihr versichert, dass alles gut gehen würde und doch standen ihr die Tränen in den Augen, als er sich schließlich umdrehte. Das war wohl der Preis dafür, Pharao zu sein. Er konnte das Land verteidigen, in dem sie lebte, doch er konnte nicht verhindern, dass Teana weinen musste. Seine geliebte Teana. Er konnte sich nicht hier verstecken, er hatte zu handeln. Und auch wenn er den Zeitpunkt als alles andere als passend empfand, nun da es soweit war, war er fest entschlossen. Er würde sein Volk nicht im Stich lassen und er würde auch Teana nicht im Stich lassen.

Die Truppen waren versammelt. Die Heerschau hatte die halbe Nacht angedauert, aber schließlich waren alle gekommen, die die Möglichkeit dazu gehabt hatten.

„Bereit?“, richtete er sein Wort an Seth, der inzwischen auf einem Pferd neben ihm saß, noch immer von Shada und Karim begleitet. Der Pharao fragte nicht nach ihnen.

„Auf geht's“, gab der Hohepriester nur zurück. Viele Worte zu verlieren zögerte den Augenblick nur heraus und ab jetzt zählte jede Sekunde. Beide blickten mit stolzem Blick auf die Menge herab. Ihre Anwesenheit allein reichte aus, um die Moral der Männer zu heben.

Es waren so wenige, dachte Seth, und doch war dies die beste Schlagkraft, die Ägypten aufbringen konnte. Es würde ein harter Kampf werden, doch sie würden sich nicht brechen lassen. Auf gar keinen Fall.

Atemu richtete sich auf, und ritt den Männern entgegen. Er konnte nur wenig Motivation in ihren Gesichtern erkennen, doch er war nicht gewollt, es dabei zu belassen. Edel sah er aus, die Krone, die sein Haupt schmückte und sein Haar aus seinem Blickfeld fernhielt, thronte majestätisch auf seinem Haupt und niemand hätte es gewagt, seine Autorität anzuzweifeln.

„Meine Freunde“, sprach er laut, richtete sein Wort an sein Heer. „Uns steht ein harter Kampf bevor, gegen einen Feind, den meine Vorfahren schon vor Jahren besiegt haben! Die Libyer kennen unsere Stärke, sie wissen, dass wir in einem Kampf überlegen sein werden, denn unsere Waffen sind stärker! Unsere Herzen sind reiner! Und die Götter sind auf unserer Seite!“

Er hob seinen Arm, stieß ihn mit all seiner Kraft gen Himmel. „Also folgt mir, für Ägypten, für unsere Frauen und Kinder und unser aller Leben!“ Seine Begeisterung war ansteckend, seine Worte entfachten den Hass in den Herzen der Krieger, die nötige Entschlossenheit, die sie brauchten um diesen Test zu bestehen. Ägypten würde frei sein.

„Auf in den Krieg!“, brüllte der Pharao und alle taten es ihm gleich. Sie ritten los, gerade als die ersten Sonnenstrahlen das Land in Schatten hüllten.

Zukunft

Dem Hohepriester hinterher zu sehen war eine Sache. Etwas ganz anderes war es ihm hinterher zu sehen und zu wissen, dass die Rolle, die man anstrebte, unerreichbar fern lag, nun da er sich verlobt hatte. Verlobt mit einem Mädchen, das kaum einen Stand vorzuweisen hatte. Ein Mädchen, dass nicht einmal mehr Erinnerungen hatte, die sie teilen konnte. Ein Mädchen, das einfach gar nichts hatte.

Und doch besaß sie so viel mehr, so vieles nach dem Adalia immer gestrebt hatte. Die Liebe des Hohepriesters...

Die Priesterin seufzte unmerklich, warf dabei ihr brünettes Haar geschickt über die Schulter. Im Rücken spürte sie den fordernden Blick der Kleinen, die Seth in ihre Obhut gegeben hatte. War sie dieser Aufgabe gewachsen?

Adalia war sich sicher, dass sie nie eine wichtigere Aufgabe übernommen hatte, doch sie würde den Hohepriester nicht enttäuschen. Sie konnte alles schaffen, nun da sie wusste, dass Seth es ihr zutraute und dass er an sie glaubte.

Wenn auch sonst nichts.

Ein Lächeln legte sich auf ihre sanften Züge, ließ sie sogleich mehrere Jahre jünger aussehen. Langsam drehte sie sich zu Mana um. Sie war der Aufgabe gewachsen.

„Seth... weg?“, fragte die ehemalige Priesterschülerin mit einem leicht melancholischen Blick, sie wusste selbst nicht, was diese Worte bedeuteten, doch sie spürte es. Etwas war anders. Etwas, das Mana nicht in Worte zu fassen vermochte.

Adalia ließ sich von diesem Blick nicht entmutigen. „Ja, Seth ist nun weg.“ Es gefiel ihr nicht, in einem solch respektlosen Ton über den Hohepriester zu reden, doch erschien es ihr als das Beste die Sache nicht unnötig zu verkomplizieren. „Er kommt aber bald wieder“, ergänzte sie stattdessen und blickte in große glänzende Augen. Augen, die vor Tränen schwammen.

„Wann ist bald?“, fragte Mana wieder, unsicher.

Adalia strich ihr sanft über die Wangen und wischte ihr die Tränen weg, was Mana überrascht zur Kenntnis nahm. Offensichtlich war ihr eine solche Handlung fremd.

„In ein paar Tagen ist er sicher wieder da“, versicherte Adalia ihr, und hoffte selbst wohl noch viel stärker, dass diese Worte wahr waren und auf seine baldige Rückkehr. Im Gegensatz zu Mana kannte sie die große Gefahr, die der Krieg mit sich brachte und der sich Seth und all die anderen, die für Ägypten kämpften, zu stellen hatten.

Fürs Erste jedoch hatte sie davon auszugehen, dass er genau wusste, was er tat. Sie hatte anderes zu tun. Das Mädchen allein zu lassen, kam nicht in Frage. Hier war nun ihr Platz. Mana hatte sich nach einigem Zögern umgedreht und war einige Schritte im Raum umhergegangen. Als sie sich schließlich wieder an Adalia wandte, war von ihrem Zweifel nichts mehr zu sehen. Erwartungsvoll hüpfte sie auf die Größere zu, nicht jedoch ohne dabei vor Schmerz zusammenzuzucken. Mana ignorierte es. „Was machen wir jetzt?“, fragte sie kindlich.

Adalia lächelte. „Gibt es etwas, das du gerne machen würdest?“, fragte sie höflich, zog einen Stuhl zu sich heran und setzte sich. Auf diese Weise wirkte sie nicht um so vieles größer als Mana und das war ihr durchaus recht. Es gefiel ihr nicht so auf sie herabzusehen.

Mana erwiderte ihr Lächeln, und doch verriet ihre Mimik noch etwas ganz anders. Die Frage hatte sie verwirrt. „Machen möchte?“, wiederholte sie und Adalia nickte.

„Ja“, sagte sie, „Möchtest du etwas machen?“ Sie wollte ihr nicht vorschreiben etwas zu tun, solange sie sich nicht überanstrengte, sollte sie ruhig machen, was ihr gefiel, dachte Adalia. Sie hatte wenig zu lachen gehabt in der letzten Zeit und auch wenn die Grundlage nun eine ganz andere war, sollte sich das doch dringend ändern.

„Seth?“, fragte Mana erneut, hoffnungsvoll, doch ein Blick in Adalias Augen verriet ihr, dass sie damit keinen Erfolg hatte.

„Nein, Seth ist jetzt nicht da“, erklärte die Priesterin geduldig, „Er kommt erst später -“

Ein Klopfen an der Tür ließ Adalia verstummen und Mana aufspringen. Kichernd lief sie zur Tür, zog sie auf und stellte sich lächelnd vor den Arzt, der sie perplex ansah. Qadir hatte in diesem Gemach schon einiges gesehen, doch der Anblick von Mana, wie sie herumsprang und umherlief, überraschte ihn über alle Maßen. „Ihr solltet doch im Bett bleiben...“, brachte er verwundert hervor, ehe sein Blick auf Adalia fiel.

Diese war hinter Mana getreten und hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Ernst sah sie Qadir an, begrüßte ihn höflich.

„Ist der Priester schon fort?“, richtete Qadir sich an sie. Es erschien ihm sinniger mit der Priesterin zu sprechen, die junge Verlobte des Hohepriesters machte auf ihn einen äußerst verwirrenden Eindruck.

„Er ist vor kurzem gegangen. Ich bleibe solange bei ihr“, antwortete Adalia mit einer leichten Verneigung, ehe sie sich zu Mana hinab beugte. „Geh doch mal eben zum Bett und setze dich schon mal, ja?“, sagte sie lieb lächelnd, „Der Arzt möchte dich untersuchen.“ Sie wartete kurz bis Mana nickend zum Bett hüpfte und sich auf dessen Kante setzte. Interessierte Blicke warf sie auf die anderen beiden, während sie wartete, doch Adalia achtete sorgsam darauf, leise genug zu sprechen, sodass sie nichts verstehen konnte.

„Es gibt etwas, worüber wir reden sollten...“, begann die Priesterin flüsternd an Qadir gewandt, der über Adalias Schulter seinen Blick auf Mana richtete und nickte. „Das denke ich auch“, stimmte er zu.

Adalia stand mit dem Rücken zu Mana, als sie schließlich begann knapp zu erklären: „Der Priester hat ihr Gedächtnis gelöscht. Das Mädchen hat nun keinerlei Erinnerungen an alles, was geschehen ist.“

Qadir schüttelte unüberzeugt den Kopf, sah dann ein weiteres Mal zu Mana nur um sogleich erneut den Kopf zu schütteln. „Das ist doch unmöglich...“, hauchte er verwirrt, aber gefasst. Zweifelte er tatsächlich an des Hohepriesters Fähigkeiten?

„Nein, es ist nicht unmöglich... Durch die Macht seines Millenniumsstabes hatte der Priester Zugriff auf die Erinnerungen des Mädchens. Und er hat sie alle gelöscht.“

Millenniumsmagie.

Schließlich nickte der Arzt. „Nun gut“, sagte er leise, sich in Magie einmischen zu wollen überstieg seine Kräfte. Doch was für ein Opfer stellte eine solche Tat dar? Inwiefern ihn das Gesagte beschäftigte, ließ er sich nicht anmerken. „Ich muss sie trotzdem untersuchen“, sagte er pflichtbewusst und nachdem er Adalia noch für einen kurzen Moment ins Gesicht gesehen hatte, trat er an ihr vorbei in den Raum. Er lächelte sie an, dies war offensichtlich die beste Art mit ihr umzugehen und es war auch schwer ernst zu blicken, wenn man in ihr strahlendes Gesicht sah. Ein dunkler Schleier Traurigkeit hätte ihn übermannen können, wenn er nicht zuvor mit Adalia gesprochen hätte. Sie wusste es nicht.

„Lass mal schauen...“

Ihr die Verbände abzunehmen war um einiges leichter, als er es erwartet hatte, als er aufgebrochen war um sie zu untersuchen. Im Nu hatte er sie ausgewickelt und betrachtete nun mit geschulten Blicken ihre Prellungen.

Adalia biss sich auf die Zunge und unterdrückte so einen leisen Aufschrei. Manas Seite war ganz lila-blau geworden.

Qadir schüttelte den Kopf. „Du hast dich zu sehr bewegt“, beklagte er seufzend. Auf diese Weise würde die Rippe niemals verheilen können.

Schuldbewusst lächelte Mana ihn an, sagte jedoch nichts. Sie ließ es einfach mit sich machen. Interessiert sah sie dabei zu, wie er ihr einen neuen Verband anlegte und betrachtete sich unschlüssig.

Qadir lächelte sie zufrieden an, ehe er sich wieder erhob um sich zu Adalia zu drehen. „Das Fieber ist heruntergegangen, der Rest sieht auch schon besser aus“, erklärte er fachmännisch, „Nur ihre gebrochene Rippe braucht dringend mehr Ruhe. Ihre Haut darüber hat sich verfärbt, es ist also schlechter geworden. Ich habe den Verband verstärkt, das sollte erst einmal genügen.“

Adalia nickte, noch immer mit ernster Miene. „Ich hoffe, sie ist nun einsichtiger...“, antwortete sie leicht besorgt. „Aber das Mädchen versteht nicht, dass der Schmerz, den sie fühlt, nicht zum Normalzustand gehört.“

In diesem Augenblick mischte sich Mana in das Gespräch ein. Sie war ebenfalls aufgestanden und um die beiden herumgeschlichen. Natürlich hatte sie es sich nicht nehmen lassen zu lauschen. „Normalzustand?“, fragte sie kichernd und setzte sich zwischen Adalia und Qadir auf den Boden, ständig zwischen ihnen hin und her schauend.

Die Priesterin beugte sich zu ihr hinab und sah sie freundlich, aber eindringlich an. „Ich erkläre es dir gleich, ja?“ Natürlich hatte Mana Fragen, Adalia hatte es gewusst und trotzdem hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie es angehen sollte. Eines nur war ihr klar, der Arzt musste dafür nicht anwesend sein und sie wollte ihn auch nicht dazu verdammen, wie sie das Netz aus Lügen um sich und Manas Vergangenheit sponn. Sie erhob sich von neuem, die Hände jedoch weiterhin auf Manas Haar ruhend.

„Ihr seid sicher in der Lage Verbände zu wechseln?“, fragte Qadir lächelnd und sah die Priesterin an, die sogleich nickte.

„Aber natürlich“, gab sie zurück und ließ keinerlei Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit aufkommen.

„Dann werde ich in ein paar Tagen wiederkommen. Die sollten reichen.“ Er reichte Adalia ein paar Verbände, die diese ohne zu zögern annahm. Sie verneigte sich leicht vor ihm. „Ich werde Euch Bescheid geben lassen, sollte sich eine Veränderung einstellen“, versicherte sie.

Der Arzt nickte kurz, blickte dann zu Mana. „Ich werde später wieder nach dir schauen. Pass gut auf dich auf, ja?“ Seine Stimme war nun sanfter als zuvor, mehr Besorgnis klang daraus hervor.

Mana lächelte, legte ihren Kopf schief und hüpfte von einem Bein aufs andere. „Mach ich!“, rief sie freudig, was Adalia die Stirn kraus ziehen ließ.

„Du sollst dich doch schonen...“, murmelte sie, ehe sie Mana bei den Schultern festhielt, um sie auf diese Weise dazu zu bringen zumindest ruhig zu stehen.

„Das sollte sie wirklich“, stimmte Qadir ein, ehe er sich umdrehte und lächelnd den Raum verließ. Mana jedoch hielt gar nichts davon einfach still im Bett zu liegen, sie war kaum zu halten. Ungeduldig lief sie um Adalia herum, bevor sie sich wieder aufs Bett setzte und die Priesterin mit großen, strahlenden Augen angrinste.

„Wieso Normalzustand?“
 

Die Nacht war lang gewesen und ermüdend. Und doch würde Meira keine Sekunde davon missen wollen. Die ganze Nacht hatte nur ihr gehört, ihr und ihren Brüdern. Dabei hatten sie gar nicht so viel gemacht. Die Gespräche waren schnell verebbt, nachdem sie sich darauf geeinigt hatten, wie es weitergehen sollte. Dass Akim sich zum größten Teil aus dem Gespräch herausgehalten hatte, wunderte die Rothaarige nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Alles andere hätte sie mehr als überrascht und sie selbst hatte auch alles dafür getan, damit Cyrus sein Verhalten nicht hinterfragte. Nicht dass es nötig gewesen wäre, war der Älteste doch in vollem Umfang mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, aber Akim war schließlich erst vor kurzem zu ihnen zurückgekehrt und wie er selbst darüber dachte, das wusste wohl auch nur er.

Letztendlich waren sie alle drei dazu übergegangen die Gemeinsamkeit auf sich wirken zu lassen, solange sie konnten. Einzigst Meira hätte gewusst, wie viel Zeit ihnen noch blieb, doch sie zog es vor zu schweigen.

Nie zuvor hatte ihr die Millenniumskette mehr gezeigt als in der Nacht, da sie gegen ihre Verletzungen zu kämpfen hatte, und nie zuvor hatte sie weniger von diesem Wissen mit ihren Brüdern geteilt. Ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht, ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichen konnte. Cyrus sah es nicht und Meira wollte nicht, dass er es sah. Die Zukunft, die sich ihr gezeigt hatte, war nicht absolut, das wusste sie, und doch war sie eindeutig. Jedoch wollte Meira nicht vorhersagen, was vielleicht niemals wahrwerden würde.

Cyrus wusste, was er wissen musste. Ihm mehr zu erklären, hätte ihn auch nicht weiter gebracht. Und Akim? Glaubte er denn an die Magie der Kette? Zwar hatte er die Macht eines solchen Gegenstandes am eigenen Körper spüren müssen, aber war es ihm nicht gelungen den Zauber zu brechen? Hatte nicht der Nebel ihn vor dem Schicksal der ewigen Sklaverei gerettet?

Sie hatte ihn nicht zurückkehren sehen. Konnte es ihr dann nicht vielleicht auch gelingen die Zukunft wieder zu verschleiern?

Cyrus neben ihr sprang auf und riss seine Schwester damit aus ihren Gedanken. Sein Blick verriet, dass er nicht länger warten wollte. Wenn seine Geschwister nicht gewesen wären, wäre er wohl schon bei Einbruch der Dunkelheit aufgebrochen. Nun jedoch ließ er sich nicht mehr aufhalten.

„Seid ihr bereit?“, fragte er und kannte die Antwort auch bevor er die Zustimmung bekam. Ein Nebel kroch über seine Hände und suchte sich einen Weg über seine Haut, schloss ihn schließlich ein. Er lächelte erwartungsvoll. „Ich bin dann weg“, hauchte er und verschwand mit einem Nicken im Nebel.

Meira blickte eine Weile auf die Stelle, an der ihr Bruder einen Moment zuvor noch gestanden hatte, ehe sie den Kopf erhob und stattdessen Akim ansah.

Auch ihm hatte sie nichts Weiteres mehr zu sagen, was ihre Vision anging, auch er wusste alles, was er wissen musste. Der Nebel begann auch über ihren Körper zu wandern und sie so langsam, aber sicher einzuhüllen. Nur eines lag ihr noch auf der Zunge. Sie lächelte. „Denk an unseren Plan, hast du verstanden?“, flüsterte sie, ehe auch sie den Ort verließ und Akim, der nur Sekunden später ebenfalls die Nebelmagie aktivierte, allein zurückließ.

Aufgabe

Aufregend. Ein anderes Wort gab es nicht. Zumindest keines, das in irgendeiner Weise passte. Alles, was um sie herum geschah, war einfach nur aufregend. Es war neu und doch so vertraut, fremd, und doch nicht unbekannt.

Mana wusste kaum ihre Gedanken zu ordnen. Eine Flut an Bildern brach auf sie ein, Bilder, die zugeordnet werden wollten, Bilder, die sortiert gehörten. Doch wo sollte sie anfangen? Alles um sie herum stellte eine neue Herausforderung da, forderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Sie wollte nichts verpassen. Die Welt, die sich ihr bot war so schillernd und so farbenfroh, in Facetten glitzernd, die jeden Diamanten in den Schatten gestellt hätten. Eine neue Welt. Eine Welt, die nur darauf wartete, erkundet zu werden.

Doch auch eine bedrohliche Welt. Eine Welt voller Schatten, voll unerkannter Gefahren, die ihre Fänge nach ihr ausstreckten. Mana wusste nicht, was sie erwartete, wusste nicht, was auf sie wartete, doch zu viele Fragen hielten sie davon ab, sich zu verstecken.

Sie richtete sich auf und blickte zu Adalia. Die große Frau, die neben ihr saß, und die so vieles wusste. Sie wartete. Begann sie zu erzählen? Begann sie zu erklären? Mana platzte fast vor Neugier, konnte es gar nicht erwarten, endlich etwas zu erfahren. Wieso nur zögerte die Priesterin so? Sie wusste es doch, da war Mana sich sicher. Sie schien so vieles zu wissen, so vieles, das ihr Angst machte, war für Adalia selbstverständlich. Die Kleinere wollte so vieles lernen, wollte so vieles verstehen. Als Adalia schließlich zu sprechen anfing, hüpfe Mana vor Aufregung einmal kurz auf.

Die Priesterin betrachtete sie nachdenklich. „Wenn du dich bewegst, dann merkst du doch immer etwas, oder?“

Mana nickte. Das war eine einfache Frage. Sie fasste sich an ihre Rippe, und strahlte als Adalia zustimmend nickte.

„Genau“, antwortete sie und lächelte. „Weißt, du, wenn ich mich bewege, merke ich nichts.“

Verwirrung umhüllte die ehemalige Priesterschülerin. Sie war anders? Wieso? Warum war sie nicht so wie die anderen? „Nein?“, fragte sie unsicher.

Adalia unterließ es nicht weiterhin zu lächeln. „Nein, ich merke nichts“, meinte sie sanft, „Aber das ist nichts schlimmes, verstehst du?“

Es war nichts schlimmes?

„Du bist verletzt, deswegen merkst du etwas.“

Sie war verletzt?

„Wenn das wieder gesund ist, dann wirst du auch nichts mehr merken, wenn du dich bewegst, aber dafür muss das verheilen können. Deswegen will der Arzt, dass du dich nicht so viel bewegst, damit das schnell wieder in Ordnung ist, verstehst du?“ Adalia versuchte es so einfach wie möglich zu erklären.

Fasziniert blickte Mana sie an, hing quasi an ihren Lippen. „Also ist das nicht gut?“, fragte sie und zeigte erneut auf ihre Rippe.

„Nein, das ist nicht gut“, stimmte die Ältere zu, „Aber wenn du schön aufpasst, dann ist das bald wieder gut.“

Sie klang zuversichtlich. Es war nicht schlimm. „In Ordnung!“, strahlte Mana. Das war etwas, worauf sie achten konnte. Es war nicht gut, dass sie etwas merkte. Sie musste aufpassen. Dann würde sie bald nichts mehr merken.

„Und wenn das dann in Ordnung ist, kannst du durch den ganzen Palast laufen, so wie du willst.“

Manas Augen leuchteten auf. Nichts mehr zu merken und so sein wie die anderen. Das wollte sie. Sie setzte sich lächelnd weiter zurück, rutschte weiter hinauf auf das Bett. „Muss ich jetzt liegen bleiben?“ Das hatte Adalia doch gesagt, oder? Sie sollte sich schonen, sollte aufpassen. Leicht unzufrieden brummte Mana. Sie wollte nicht ruhig liegen, das war langweilig. Die ganze Zeit nur still zu sein, wo doch so vieles förmlich danach rief erkundet zu werden.

Noch immer lächelte die Priesterin. „Du musst nicht die ganze Zeit liegen“, bot sie beschwichtigend an, „Aber schon eine Weile, okay?“

Mana grinste. Sie fühlte sich ertappt und durchschaut, wieso wusste Adalia gleich, was sie dachte? Das musste sie auch noch lernen. Verstehen, was die Menschen in ihrer Umgebung meinten und was ihre Worte bedeuten. Sie musste liegen, damit sie heilte. Damit sie wieder umher laufen konnte. Das hatte sie nun verstanden.

„Musst du die ganze Zeit bleiben?“ Adalia war nicht verletzt, Adalia musste nicht liegen. Sie konnte umher laufen.

Die Angesprochene nickte. „Ja, ich bleibe bei dir, auch wenn du dich ausruhst“, antwortete sie lächelnd.

Erstaunt betrachtete die Kleinere sie. War sie nur ihretwegen hier? Hatte jeder jemanden, der auf einen achtete? Es gab so vieles, dass sie gar nicht wusste, so viele Fragen, die sie noch stellen musste. „Musst du denn nicht andere Dinge machen?“ Sie konnte doch nicht immer nur bei ihr sein, oder? War das normal? So wie bei allen anderen?

„Jeder hat eine Aufgabe“, erklärte die Priesterin würdevoll, was Mana jedoch eigenartig und fremd vorkam, „Meine Aufgabe ist es, bei dir zu bleiben.“

„Ist das nicht langweilig für dich?“, plapperte Mana drauflos, immer nur bei ihr zu sein, wo es doch so vieles zu entdecken gab, dass sie im Moment nicht sehen durfte. Kannte Adalia das alles schon? Wollte sie das nicht mehr sehen? Doch dann stockte Mana, ihr war etwas anderes eingefallen. „Was ist meine Aufgabe?“, fragte sie neugierig.

Zumindest diese eine Frage hatte die Priesterin erwartet und war dementsprechend darauf vorbereitet. „Deine Aufgabe ist es jetzt, gesund zu werden, damit Seth sich keine Sorgen um dich machen muss.“

Seth. Manas Herz machte einen kleinen Hüpfer. Sicher war Seth bald wieder da. „In Ordnung“, stimmte sie fröhlich zu, und lehnte sich vorbildlich im Bett zurück, „Ich werde ganz schnell -“ Wie war noch gleich das Wort? Es war so vieles, was sie versuchte, sich zu merken, so vieles, dass sie viel zu schnell wieder vergaß. „Wie heißt das?“, fragte sie verwirrt.

„Gesund, heißt das Wort“, half die Andere ihr, „Das ist dann, wenn du keine Schmerzen mehr hast.“

Schmerzen? Mana legte den Kopf schief.

„Schmerzen sind das, was du fühlst, wenn du dich bewegst“, erklärte die Priesterin mit einem zweifelhaften Lächeln auf den Lippen. Wollte sie nicht, dass sie fragte? War sie böse, weil sie so wenig wusste? Mana wusste es nicht. Aber sie wollte lernen. Sie wollte ihre Aufgabe erfüllen. Sie wollte brav sein und gesund werden und sie wollte ganz viel lernen, damit sie nicht mehr so viel fragen musste. Dann müsste Adalia auch nicht mehr so traurig schauen, wenn sie fragte.

Plötzlich wurde Adalias Blick wieder weicher, sie lächelte wieder. Das gefiel Mana gleich viel besser, so sah sie auch viel hübscher aus. „Möchtest du irgendetwas wissen?“, fragte sie ermutigend und brachte das Mädchen damit doch arg durcheinander. Nun durfte sie fragen? Sie musste ihre Chance einfach nutzen. Sie nickte lebhaft.

Die Dinge um sie herum interessierten sie weniger, sie kamen ihr auf eine eigenartige Art und Weise vertraut vor. Doch sie hatte so viele Fragen. So vieles, das sie nicht verstand.

„Ich heiße Mana, richtig?“, fragte sie lächelnd. „Und ich bin verletzt. Und ich muss im Bett liegen bleiben, um gesund zu werden.“ Sie wiederholte stolz, was sie behalten hatte, sah sich dann um und grinste fragend. „Wo sind wir hier? Was macht ein Arzt? Wieso hat er das gemacht?“, sie zeigte auf ihre Verbände, „Wer bin ich? Wer bist du? Seth? Gibt es mehr?“

All die Fragten sprudelten nur so aus ihr heraus und sie hätte garantiert noch weitergemacht, wenn Adalia ihr nicht ins Wort gefallen wäre um zu antworten.

„Du bist Mana, so einfach ist das“, lächelte sie erklärend, „Du bist alles, was du an dir siehst, alles, was du denkst, alles, was du fühlst. Du lebst hier im Palast, ich lebe auch hier und Seth auch. Seth ist Hohepriester am Hof des Pharaos und er war mein Lehrer. Ich bin eine Priesterin hier.“

Palast?

Hohepriester?

Pharao?

„Der Arzt hilft dir, er hat dich verbunden, damit du schneller wieder gesund wirst.“

Half der Arzt nur ihr? Hatte jeder so einen Arzt? Mana schwirrte der Kopf. So vieles, das sie nicht verstanden hatte, so vieles mit dem sie nichts anfangen konnte. Traurig ließ sie den Kopf hängen. Wie sollte sie das nur machen? „Ich verstehe nicht...“, gab sie kleinlaut zu.

Adalias Blick zeigte kurz Betroffenheit, ehe sie sich wieder fing. „Das ist nicht schlimm, du wirst es bald verstehen“, sagte sie und lächelte. „Der Palast, weißt du, was das ist?“

Es war nicht schlimm, dass sie nicht verstand? Sie würde es verstehen? Eine Woge von Ungeduld überrumpelte Mana, sie wollte nicht irgendwann verstehen, so wollte jetzt verstehen, wollte schon alles können und es nicht erst lernen müssen. Sie wollte doch nur so sein, wie die anderen, wie Adalia. Sie wusste doch schon alles. Und trotzdem, ihr Interesse überwog ihrer Ungeduld, wurde von dieser gerade zu noch beflügelt. Der Palast, hatte die Priesterin gesagt. Sie lebte im Palast.

„Ist das hier der Palast?“, fragte Mana und ließ den Blick im Raum umherstreifen.

Adalia nickte. „Ja, dieses Zimmer ist ein Teil des Palastes“, antwortete sie lächelnd, „Aber der gesamte Palast ist viel größer, ganz viele Zimmer aneinander, kannst du dir das vorstellen?“

Die Augen der Kleineren wurden immer größer. Sie sah das Zimmer an, betrachtete dessen Weiträumigkeit. „Ein Zimmer vom Palast, in dem es ganz viele gibt...“, wiederholte sie murmelnd, ehe sie nickte. „Ich denke, ich habe das verstanden.“

Aufmunternd sah Adalia sie an. „Genau“, stimmte sie zu, ehe sie fortfuhr zu erklären: „Der Pharao ist unser König, und Seth und ich arbeiten für ihn.“

Sie arbeiteten für ihn? Mana kicherte. „Also ist der Pharao wichtig?“, schloss sie aufgeweckt und brachte damit auch die Priesterin zum Lachen.

„Ja, er ist der Anführer von allen Menschen hier“, bestätigte sie.

Der Anführer? Dann konnte man ihn wohl wichtig nennen. Wieso war er Pharao? Arbeitete er auch für jemanden?

Seth arbeitete für ihn. Wieder war Manas Aufmerksamkeit voll und ganz gefangen von der Erinnerung an den Hohepriester. Ohne, dass sie sagen konnte weshalb, glitten ihre Gedanken immer wieder ab, drehten sich immer wieder um ihn. Sie lächelte. „Und Seth?“, fragend sah sie Adalia an, „Erzähl mir mehr über ihn“, bat sie und war gespannt auf des Priesterins Worte.

„Du interessierst dich für ihn, richtig?“, sie sah sie lieb an, nach den passenden Worten suchend, „Seth ist auch wichtig für dieses Land, nicht ganz so wichtig wie der Pharao aber fast. Er hätte König werden können und er ist auch der Nachfolger des jetzigen Pharaos.“

Nachfolger? Mana dachte einen Moment über dieses Wort nach. „Also wird er Pharao, wenn der jetzige Pharao weg ist?“, fragte sie kindlich. „Und er war dein Lehrer?“ Sie hatte genau aufgepasst. Alles, was Adalia über Seth gesagt hatte, war in Manas Gedächtnis geblieben, genau so farbenfroh wie sie ihn sich vorstellte.

Die Priesterin nickte, und es war deutlich, dass ihr die Erinnerung gefiel. „Ja, so ist es. Er war für mehrere Jahre mein Lehrer. Er hat mich in vielem unterrichtet.“ Der Stolz, der in ihrer Stimme lag, war kaum zu überhören und steckte Mana sofort an. Beeindruckt sah sie die Andere an.

„Kannst du mir mehr über ihn erzählen? Und über dich?“ Sie wollte so vieles wissen, so viel mehr noch. Außerdem gefiel es ihr, sich mit Adalia zu unterhalten. Sie mochte ihre Stimme, sie klang so weich und sanft, sie hörte ihr gern zu. Sie war so freundlich und lieb, das Mana keine Angst haben musste.

Die Priesterin kam ihrer Bitte sogleich nach. „Ich bin nun neunzehn Jahre alt, eine Priesterin und lebe normalerweise in einem Tempel.“

Tempel?

„Und Seth ist halt so, wie du ihn gesehen hast. Er arbeitet viel für dieses Land.“

„Neunzehn Jahre?“, Mana saß inzwischen auf den Knien, robbte immer weiter an Adalia heran. „Und ich? Und Seth?“

„Du bist sechzehn Jahre alt und der Hohepriester ist dreiundzwanzig.“

„Ist dreiundzwanzig alt?“ Immer wieder fragte Mana nach, immer wieder bekam sie Antworten von Adalia. Und immer wieder genügten diese ihr nicht.

Zeigst du mir den Palast?

Ist das hier mein Zimmer?

Wie viele Zimmer gibt es?

Mana wollte jeden kennen lernen, der hier lebte, wollte hüpfen und springen, doch die Priesterin blieb streng und war strikt gegen jede Art von Bewegung, die Manas körperliche Verfassung nur verschlechtert hätte. Grimmig grinsend nahm Mana es zur Kenntnis ohne es zu akzeptieren. Immer wieder bettelte sie, immer wieder flehte sie, nicht im Bett bleiben zu müssen. Und immer wieder erinnerte Adalia sie an ihre Aufgabe: Gesund zu werden, damit sie Seth keine Sorgen bereitete.

Cousins

Krieg. Wohin das Auge sah nur Zerstörung und Verwüstung. Vernichtung an allen Schauplätzen. Und grenzenloser Hass.

Doch nichts beflügelte mehr als die von Verzweiflung und Angst geplagten Gesichter der Opfer. Gesichter, die so verzehrt und entstellt waren von all den Schrecken, die sie gesehen hatten. Getrieben von Menschen, die für das kämpften, woran sie glaubten. Oder was ihnen eingeredet wurde, dass sie es glaubten.

Sah einer von ihnen den Sinn in einem solchen Handeln? Es konnte nur Verlierer geben. Familien, die auseinander gerissen wurden, Pflichten, die auf der Strecke blieben.

Für das eine große Ziel: Den Feind zu vernichten und somit das Wechselspiel aus Hass und Vergeltung immer und immer wieder aufs Neue zu entfachen. Ohne Sieg.

Die Aufgabe des Pharaos von Ägypten und dessen Hohepriester war klar definiert. Sie wussten, was zu tun war und doch hielt sich die Begeisterung darüber in Grenzen.

Natürlich. Endlich war die Zeit gekommen, da es galt zurückzuschlagen und das eigene Reich und vor allem dessen Bevölkerung vor der drohenden Gefahr zu schützen und zu verteidigen. Doch es gab kaum jemanden im gesamten Heer, der mit den Gedanken weniger bei der Schlacht war, als Atemu oder Seth.

Sie ritten an der der Spitze der Truppen, sodass nur der der jeweils Andere die Möglichkeit hatte, dem Cousin ins Gesicht zu sehen. Seths Ausdruck war grimmig und versteinert. An seinen Flanken ritten Karim und Shada, noch immer ausdruckslos, doch mit so viel Bewusstsein, dass sie in der Lage waren nicht vom Pferd zu fallen. Nicht, dass der Hohepriester sich sonderlich um ihr Wohl geschert hätte, doch er hatte anderes mit ihnen vor. Sie einfach von den ihnen folgenden Truppen niedertrampeln zu lassen, erschien ihm als viel zu gnädig.

„Kannst du es kaum erwarten in den Krieg zu ziehen, oder warum schaust du so?“ Des Pharaos Stimme durchschnitt den Lärm der galoppierenden Pferde, sie klang sarkastisch und bitter.

Der Angesprochene drehte den Kopf kurz und sah den Anderen an, ohne jedoch dabei die Kontrolle über das Pferd auch nur im Ansatz zu verlieren. „Glaube mir“, antwortete er eisig, „Dieser Krieg ist gänzlich unpassend...“

Atemus angestrengter Blick verwandelte sich in reinste Verwunderung. Seth gehörte normalerweise zu jenen Menschen, die einer Schlacht nicht aus dem Weg gingen, er setzte auf militärische Stärke. Umso weniger passte seine jetzige Stimmung zur Lage. „Was ist passiert?“, fragte Atemu, doch der Hohepriester schüttelte den Kopf.

„Wir sollten uns nun um die Truppen kümmern“, antwortete er ausweichend und auch wenn der Andere ihn sofort durchschaute, wusste er doch, dass er recht hatte.

Schnell drehte er sich zu den Männern um und gab die Anweisungen für die Aufreihung und den Marsch weiter, ehe er sich wieder Seth zuwandte.

„So war es geplant, oder?“, fragte er um den Brünetten wieder in ein Gespräch zu verwickeln.

Dieser nickte seufzend. „Wir sollten erst einmal an die Grenze reiten“, sagte er. Dort schließlich würden die gegnerischen Truppen aufeinanderstoßen. Bisher war ihnen nur immer wieder ein Späher in die Hände gefallen. Mit Sicherheit waren die libyschen Krieger in der Zwischenzeit davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie kamen und wie stark das ägyptische Heer war. Das war ärgerlich, doch es ließ sich nicht verhindern.

Atemu stimmte Seth zu. Sie zogen weiter, ritten größtenteils schweigend nebeneinander her. Immer wieder wagte der Pharao einen besorgten Blick zur Seite, doch Seth machte keinerlei Anstalten sich auf ein Gespräch einzulassen.

Irgendetwas stimmte nicht, da war Atemu sich sicher. Allerdings stimmte sowieso so einiges nicht, wenn man bedachte, dass sie gerade in den Krieg zogen und er seine Teana allein hatte zurücklassen müssen.

Bildete er es sich also ein? War der Priester einfach nur angespannt? Grund genug gäbe es, niemand konnte sagen, ob und mit wie vielen Männern sie zurückkehren würden. Und trotzdem. Seths Verhalten war merkwürdig.

Atemu sah sich um. In dem ganzen Trubel, den der Aufbruch bereitet hatte, hatte er die beiden Männer, die den Hohepriester begleiteten, nicht erkannt, nun jedoch bot sich ihm ein Bild, das er in keinster Weise nachvollziehen konnten. Die zwei Priester hatten nicht in den Krieg ziehen sollen, ihre Zuständigkeitsbereiche lagen woanders. Doch was machten sie hier?

Nun, da Atemu auf sie aufmerksam geworden war, war es ihm völlig offensichtlich, dass sie nicht aus eigenen Stücken handelten. Auch ihm war die Magie nicht fremd.

„Was soll das?“, seine Stimme war hart. Dieses Mal sollte Seth ihn nicht ignorieren.

Des Priesters Antwort war grimmig und knapp: „Jedem das, was er verdient.“ Mehr hatte er nicht zu sagen. Doch dieses Mal gab der Pharao nicht nach.

„Sie wurden beauftragt, deiner Verlobten die Etikette nahezulegen“, sagte er ernst, „Ich bin schließlich der Pharao. Meinst du nicht, ich sollte wissen, was passiert ist?“

Dass Seth nicht mit ihm reden wollte, war völlig offensichtlich. Doch einen Streit konnte er sich nicht leisten, nicht jetzt, da sie an einem Strang zu ziehen hatten gegen Libyen.

„Die Etikette hätten sie selbst kennen müssen“, gab er daher kurz angebunden zurück. Er brummte sauer. Atemu musste es hören, ob er wollte oder nicht. Es gab keine andere Möglichkeit.

Genervt verdrehte dieser die Augen. Seths Launen waren bisweilen wirklich nur schwer zu ertragen, doch Atemu war sich sicher, dass es hierfür einen triftigen Grund gab. Nicht ohne Grund hatte er es zu Seths Aufgabe gemacht, die Kriegshandlungen zu koordinieren, er ging gewöhnlich außerordentlich sorgfältig auf solche Dinge ein. Dass er jetzt so abwesend wirkte, war Beweis genug.

„Sei froh, dass deine Verlobte mit der Etikette schon vertraut war...“

Offensichtlich hatte Seth sich dazu entschlossen zu reden.

„Was soll das heißen?“, fragte Atemu leicht sauer, es gefiel ihm nicht, dass Seth ihn so lange auf die Antwort warten ließ. „Was haben sie getan?“

Und schließlich begann Seth zu erklären, zunächst nur langsam, dann schneller. Als er damit schloss, dass er Manas Gedächtnis gelöscht hatte, damit sie nicht mit den Erinnerungen leben musste, herrschte für einen Augenblick Totenstille. Seth sah weg. Er wollte nicht das Mitleid in Atemus Augen sehen, wollte nicht die zutiefst schockierten Blicke von Neuem auf sich spüren.

Xerxes. Qadir. Adalia. Kisara.

Sie alle hatten erfahren, was geschehen war, sie alle hatten ihre Hilfe zugesichert und sie alle waren voller Mitgefühl. Doch das war nicht das, was Seth jetzt wollte. Er hatte getan, was er getan hatte, damit es ihr gut ging. Damit sie leben konnte, ohne ihr Leben lang nur mitleidige Augen zu sehen. Jeder hatte gewusst, dass Seth zu einer solchen Tat fähig war, spätestens seit die Sache mit Akim aufgeflogen war. Dass er ein Gedächtnis löschen konnte, um dann weiter zu machen.

Wer hätte ihm wirklich zugetraut, dass er seine Tat wiederholen würde? In wessen Augen konnte er das Unfassbare lesen?

Er wollte es nicht sehen. Nicht jetzt. Dies war nicht der passende Ort und auch nicht die passende Zeit. Er würde büßen, wenn der Krieg vorbei wäre.
 

Atemus Reaktion überraschte ihn über alle Maßen. Er hatte Mitgefühl erwartet und er hatte Verachtung erwartet. Doch was ihm nun von des Pharaos Seite entgegen kam, war blanker Hass. Hass gegen die Priester, die er selbst beauftragt hatte.

„Sie leben noch?“, zischte er außer sich und ließ Seth damit leicht lächeln – der Thematik zum Trotz. Er hätte dies erwarten können, doch zu vieles hatte ihn davon abgelenkt. Mana und Atemu waren sehr gute Freunde gewesen und das seit sehr vielen Jahren. Er war vielleicht der Einzige, der auch nur annähernd verstehen konnte, was die Worte tatsächlich bedeuteten. In diesem Moment war Atemu nicht der Pharao Ägyptens, der sich um das Wohl seines Volkes und seiner Bediensteten zu sorgen hatte, in diesem Moment war er Manas Freund. Und die Empörung, die ihn durchzog, war gigantisch.

„Nicht mehr lange“, gab Seth zurück, auch er wollte die Priester tot sehen.

„Das können wir jetzt erledigen“, bot Atemu zischend an, ohne dabei zu berücksichtigen, dass eine Hinrichtung in den eigenen Reihen der Moral seiner Truppen nicht gerade zugetan wäre, „Oder was hast du geplant?“

Seth schüttelte leicht den Kopf. Ihm gefiel Atemus Gedanke durchaus, doch er hatte anderes vor. „Nein. Die Beiden werden den Krieg erleben“, erklärte er grimmig, „Unbewaffnet.“

Atemu sah ihn an. Ohne dass er es beabsichtigt hatte, hatte er sein Pferd dichter an Seths heran getrieben um besser mit ihm reden zu können. Nun seufzte er. „Wie du willst...“, gestand er ihm ein, obwohl er eher dafür gewesen wäre, sie auf der Stelle enthaupten zu lassen. Doch diese Entscheidung gehörte Seth. In dessen Rache würde er sich nicht einmischen.

Wieder sah er ihn an. „Wie geht es dir?“, fragte er mit offener Besorgnis, doch Seth wich wieder aus. Er schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht“, sagte er leise, „dass es darum geht.“

Leicht erzürnt blickte der Pharao ihn an. „Mir als deinem Cousin“ – und er betonte diese Verwandtschaft, er wollte nicht als Pharao empor gehoben werden, wenn es um seine Freunde ging – „schon! Sonst hätte ich dir die Frage nicht gestellt.“

Seth blickte auf, grummelte leicht. Dann sah er ernst und ehrlich in die Augen des Pharaos. „Wie würde es dir gehen, wenn Teana so etwas passiert wäre? Wenn sie sich nun nicht mehr an dich erinnern könnte?“

Und durch Atemus entsetztes Schweigen erkannte Seth deutlich, dass der Pharao ihm die Antwort schuldig bleiben würde.
 

Informationen zu sammeln war eine leichte Aufgabe in einem Palast, dessen Informationsnetz so löchrig war, wie in diesem. Der König der Räuber blickte den Truppen hinterher, mehrere Köstlichkeiten verspeisend, die er in der Palastküche gefunden hatte, und die seines Erachtens nach viel zu schade für die Bewohner hier waren. Er schlenderte unbehelligt durch die Gänge, immer wieder aus dem Fenster blickend. Zunächst hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, den Männern hinterher zu winken, doch da niemand auf ihn aufmerksam geworden war, war sein Interesse daran schnell vergangen. Er hatte Wichtigeres zu tun.

Der Palast war fast vollständig entblößt worden. Lediglich an den Schatzkammern, an den Gemächern der Prinzessinnen und an den Türen zum Thronsaal waren Wachen aufgestellt, doch an diesen vorbeizukommen, stellte kein sonderliches Problem für Bakura dar. Oft schon hatte er sich an ihnen vorbei geschlichen, einfach nur um des Nervenkitzels wegen und um etwas zu tun zu haben. Das Leben bei Hofe war bisweilen schrecklich langweilig und einseitig.

Nie hatte ihn jemand auch nur gesehen, geschweige denn, erwischt. Die einzige Gefahr, die er in diesem Palast gehabt hatte, waren die beiden Priester, die nun jedoch tragischer Weise den Verstand verloren hatten. Dass ausgerechnet der Hohepriester ihm einen solchen Dienst erweisen und ihm in die Hände spielen würde, hätte wohl nicht einmal Bakura erwartet. Doch genau das war geschehen. Die zwei närrischen Priester hatten ihren Zweck erfüllt und auch der Hohepriester hatte es getan.

Die Information, die er über seine Tochter bekommen hatte (auch wenn es ihm widerstrebte, sie als solche zu betrachten), war Gold wert.

Der Krieg gegen Libyen und die Tochter einer libyschen Sklavin an des Hohepriesters Seite. Alles passte genau zusammen. Dass sie nun ihr Gedächtnis verloren hatte, machte sie zu einer viel besseren Puppe. Wenig Erinnerungen bedeutete: Wenig Bindung an die Welt, die man kannte.

Was geschehen war, interessierte den Räuberkönig nicht. Mana war eine Tochter von Sklaven. Warum sollte es ihr besser gehen als ihrer Mutter und all den Freunden, mit denen sie eine Weile gelebt hatte?

Vielleicht war dies die Strafe dafür, dass sie versucht hatte, ihrem Schicksal zu entfliehen und sich ein besseres Leben zu wünschen.

Es kümmerte ihn nicht. Letztendlich war es der Anlass dafür gewesen, dass er der zwei lästigen Mitwisser entledigt wurde, also hatte auch Mana ihren Dienst getan.

Und die einzige Dokumentation über die zweifelhaften Umstände ihrer Kindheit und damit der Schlüssel zu den Kriegshandlungen an der libyschen Grenze lag nun in Bakuras Händen: die Schriftrolle, die er Karim und Shada im Tempel des Anubis abgenommen hatte.

Selbstsucht

Dieses Kapitel hat mir irgendwie Spaß gemacht, ich weiß auch nicht wieso ^^° Irgendwie ist mir da viel zu eingefallen, viel mehr als ich erwartet hätte XD Und da es dieses Mal zum größten Teil um Teana geht, widme ich dieses Kapitel an dieser Stelle einfach mal TeaGardnerChan, weil ich weiß, dass sie Teana so mag ^^

Falls ihr Bescheid bekommen möchtet, wenn ein neues Kapitel kommt, dann schickt mir doch einfach ne kurze Nachricht ^^

Und nun viel Spaß mit dem neuen Kapitel ^^
 

Selbstsucht
 

Die libysche Grenze. Hier also sollte es stattfinden. Hier sollte sich alles entscheiden. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, während er auf die Landschaft unter sich herab sah, den durchsichtigen Halt, dem die Nebelschleier ihm gaben, durchblickend.

Es versprach durchaus interessant zu werden. Sein violettes Haar wehte im Wind, wehrte aufgewirbelten Staub und Sand ab, den die Pferde und die Kämpfer in die Luft entließen und diese dadurch trübten.

Es war ein herrlicher Morgen. Die Sonne schien heiß auf die Krieger, machte ihnen schwer zu schaffen. Wunderbare Bedingungen für eine große Schlacht.

Meira hatte ihm einiges erzählt. Das Mädchen, das sie so fertig gemacht hatte – wie auch immer sie es geschafft hatte, denn das war ihm immer noch ein großes Rätsel – sie würde eine Rolle spielen, die ihr selbst wohl kaum klar sein konnte. Ihre libyschen Wurzeln würden den Hohepriester in eine schwierige Lage bringen. Konnte er noch Nachfolger sein, wenn seiner Verlobten das Blut des Feindes durch die Adern floss? Würden die Truppen seinem Befehl gehorchen, wenn sie in ihm gleichzeitig einen Verräter sahen?

Der Pharao hatte an zwei ganz verschiedenen Fronten zu kämpfen. Würde er diese Verantwortung schultern können?

Cyrus musste es sehen. Musste mit eigenen Augen sehen, wie das ägyptische Königreich zerbrach.

Die Truppen kamen immer dichter, ganz so, wie er es erwartet hatte. Sie mussten näher kommen, sie hatten überhaupt keine andere Wahl. Sie mussten näher kommen, damit sie sich bekämpfen konnten.

Ungeduldig wartete Cyrus auf diesen Moment, konnte kaum erwarten, wie diese Menschen sich selbst alles zerstörten. Und das aus reiner Selbstsucht. Es wurde höchste Zeit, dass sie lernten, die Konsequenzen ihrer Handlungen besser abzuschätzen. Die Ägypter waren viel zu wenige. Ihre Strategie lag offen auf der Hand und war doch undurchschaubar für die anrückenden libyschen Truppen. Die Zweiteilung war schon jetzt deutlich zu erkennen.

Doch ob das von Erfolg gekrönt werden würde?

Der Nebelssohn zweifelte mit einem hinterlistigen Grinsen auf dem Gesicht. Es passte ihm durchaus, er hoffte nicht ein langweiliges Gemetzel bezeugen zu müssen. Bald war es soweit. Doch selbst wenn es den Ägyptern gelang, ihre Feinde hier auf dem Schlachtfeld zu besiegen, der wahre Krieg fand ganz woanders statt.
 

Groß und leer. Viel zu prunkvoll und doch ohne Glanz. Teana hatte viele Bezeichnungen für den Thronsaal, der ohne Atemu für sie keinen Reiz hatte.

Es war viel zu still. In des Pharaos Abwesenheit oblag es ihr, das Land zu regieren, doch sie fühlte sich nicht sonderlich wohl damit. Sie war nicht zur Prinzessin dieses Landes geworden, um die Geschäfte der Macht zu lenken. Nein. Eigentlich gab es nur einen Grund für sie, aus dem sie niemals ihren Stand aufgegeben hätte: Atemu.

Das Leben an seiner Seite forderte einige Opfer von ihr, die sie für gewöhnlich gern bereit war zu geben, solange er nur bei ihr war.

Ihn im Krieg zu wissen, voller Ungewissheit, ob sie ihn je würde wiedersehen können, raubte ihr die Luft zum Atmen. Allein der Gedanke daran ließ sie verzweifeln. Das Heer war strak, das wusste sie. Und auch Atemu und Seth waren stark, doch selbst der Stärkste konnte durch einen Pfeil fallen. Niemand konnte ihr eine Gewissheit geben. Gewissheit, die sie so gebraucht hätte, Sicherheit, die alles für sie bedeutete. Sie schwankte, doch sie durfte nicht wanken.

Sie sank ein wenig im Thron zusammen. Dies war nicht ihr Platz, sie hatte ihn nie gewollt. Klein und unbedeutend kam sie sich vor in einer Welt, die nur Feinde kannte, nur Unsicherheit.

Wenn sie nur ihre Nerven beruhigen könnte. Um des Kindes Willen. Sie wollte eine gute Mutter sein, wollte ihrem Kind alles geben, doch nicht einmal Ruhe hatte sie, die sie teilen konnte.

Die Schwangerschaft zerrte an ihren Kräften und die Zweifel an ihren Nerven. Sie wusste nicht, wie lange sie es noch würde ertragen müssen, doch sie wusste genau, sie würde es können. Für Atemu und für das Kind. Egal, was es für sie bedeutete, sie würde Standhaft bleiben, niemals aufgeben.

Es klopfte an der Tür. Teana, die nicht damit gerechnet hatte, dass an diesem Tag tatsächlich jemand in den Thronsaal kommen würde um sie aufzusuchen, schrak aus ihren finsteren Gedanken hoch und setzte sich schleunigst etwas ansprechender auf ihren Platz. Sie bat den Besucher höflich herein und erblickte ihren Arzt. Ihre Züge wurden sogleich wieder sanfter. In diesem Gespräch würde es nicht um Regierungsgeschäfte gehen.

Qadir trat ein und verneigte sich tief vor seiner Prinzessin. „Erlaubt mir, mich nach Eurem Zustand zu erkundigen“, sprach er höflich.

Teana nickte. „Ich denke, es geht mir gut“, gab sie zögerlich zurück, erntete jedoch Skepsis.

„Seid Ihr sicher?“ Es geziemte sich nicht für ihn ihre Meinung in Frage zu stellen, doch er tat es trotzdem und die Angesprochene wusste, weshalb er es tat. Doch sie wollte jetzt nichts anderes sagen und so blieb sie bei ihrer Antwort.

Verständnisvoll sah der Arzt sie an. „Ich würde Euch gern erneut untersuchen“, erklärte er, ihren Wunsch respektierend.

Die Brünette lächelte müde. „Also schön, wieso nicht“, antwortete sie ohne viel Elan, „Jetzt sofort?“ Die Zeit passte ihr ganz und gar nicht. Liebend gern hätte sie jede Ausrede angenommen, weshalb sie ihren Platz hätte verlassen können, doch sie war sich ihrer Pflicht bewusst und ein solches Handeln kam deshalb unter keinen Umständen in Frage.

Qadir schüttelte den Kopf. „Ich sehe, Ihr seid beschäftigt“, sagte er freundlich, „Mir wäre es lieber, würdet Ihr Euch ausruhen, doch ich verstehe Eure Position. Eurer Gesundheit zu Liebe möchte ich mich jedoch bald nach dieser erkundigen.“

„Kommt heute Abend vorbei“, schlug Teana vor, auch wie war es wichtig zu wissen, dass mit dem Kind alles in Ordnung war, sie wollte kein Risiko eingehen, wenn es sich vermeiden ließ. „Im Augenblick bin ich leider nicht abkömmlich“, fügte sie entschuldigend hinzu.

Eine weitere Verneigung folgte dieser Bitte. „Wie Ihr wünscht“, stimmte Qadir zu.

Teana lehnte sich erneut zurück und seufzte leicht. Gerade, als sie ein sanftes Lächeln auf ihre Wangen bringen wollte, um ihre Dankbarkeit für seine Fürsorge zum Ausdruck zu bringen, spürte sie ein kurzes Stechen in der Seite und das Lächeln gefror noch ehe es tatsächlich auf ihrem Gesicht angekommen war.

Qadir hatte es gesehen. „Soll ich vielleicht bei Euch bleiben, Prinzessin?“, bot er an, wohlwissend, dass dies die beste Möglichkeit wäre, sie unter seinen wachsamen Augen zu wissen. Vielleicht tat auch ein wenig Gesellschaft schon ein Übriges.

Sich einzugestehen, dass er wahrscheinlich Recht hatte und dass es wohl das Beste für sie wäre, fiel Teana nicht schwer. Sie hatte keinerlei Probleme damit, die Meinung anderer zu akzeptieren, doch sie wollte auch niemandem zur Last fallen. In diesem Fall jedoch ...

Nun, es konnte mit Sicherheit nicht schaden, wenn der Arzt in der Nähe war, gerade weil es ihr nicht sonderlich gut ging im Augenblick. „Ja, bitte“, antwortete sie schließlich, „Wenn es Euch keine Umstände macht?“

„Aber nein, natürlich nicht“, Qadir nickte und schien erleichtert zu sein. Offensichtlich hatte er mehr Widerstand erwartet.

Teana konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich danke Euch“, sagte sie ehrlich, froh darüber, dass er, wenn auch sonst niemand, bei ihr war. „Setzt Euch doch.“ Sie zeigte auf einen einfachen Stuhl. Der Arzt nahm das Angebot dankend an. Nie hätte er sich erdreistet nach einer Sitzgelegenheit zu fragen, doch er kannte die Prinzessin gut genug um zu wissen, dass sie nicht sonderlich viel Wert auf die Bestimmungen der Etikette legte, solange die Öffentlichkeit nicht Zeuge wurde. Wenig hielt sie davon, ihre Gäste stehen zu lassen und als solchen betrachtete sie Qadir im Augenblick.

„Wie fühlt Ihr Euch?“, fragte dieser erneut, „Abgesehen von Eurer körperlichen Verfassung?“

Teana atmete schwer durch. Sie wusste, wo diese Frage hinzielte, wusste, dass er es gut meinte und ihr zur Seite stehen wollte. Und sie wusste, dass sie nicht dazu bereit war, sich jetzt, da sie noch zu tun hatte, darauf einzulassen.

„Es ging mir schon einmal besser“, gab sie ausweichend zu. „Aber es geht mir soweit gut, Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen.“ Stur beharrte sie auf ihrer Meinung und fragte sich gleichzeitig, wieso sie immer und immer wieder dasselbe behauptete, dieselbe Lüge erzählte.

„Aber das tue ich“, widersprach Qadir lächelnd und ehrlich, „Ich mache mir um das Wohl meiner zukünftigen Königin als ihr Arzt natürlich Sorgen und Gedanken. Und da Ihr gerade in einem labilen Zustand seid“, fuhr er höflich fort, „und die Situation nicht die Beste für Eure Nerven ist, ist meine Sorge natürlich noch verstärkt.“

Ein Lächeln legte sich auf die Lippen der Prinzessin, ein ehrliches Lächeln. Dieses Mal gelang es ihr und sie war froh darüber. „Da habt Ihr wohl Recht“, gab sie zu und wirkte fast kindlich. Ihre Jugendlichkeit ging in letzter Zeit allzu oft in Sorgen unter. „Es tut mir Leid, Euch solche Umstände zu machen.“

„Ich mag mich vielleicht wiederholen“, gab Qadir freundlich, jedoch mit Nachdruck zurück, „Aber das sind für mich keine Umstände, für mich ist es selbstverständlich.“

Sie wollte ihn ja verstehen. Wollte sehen, dass er mehr als nur seine Pflicht erfüllte. Es war ihr lästig tagein tagaus nur in Gesichter voller Masken zu sehen, Menschen, die nur ihre Rolle spielten, weil sie es für ihre Aufgabe hielten oder sich zu etwas berufen fühlten. Als Arzt genoss Qadir ihre Hochachtung, doch nicht nur als solcher. Er kümmerte sich gut um sie, es war fast rührend, wie er sich um sie sorgte. Und bei ihm hatte sie das Gefühl, er tat dies nicht nur, weil sie seine Prinzessin war. Deswegen war Teana davon überzeugt, dass sie kaum einen Besseren unter den gegebenen Umständen bei sich hätte haben können. Sie nickte.

„Also“, er unterbrach ihre Grübeleien mit einem wissenden Grinsen im Gesicht, das jedoch nicht unpassend wirkte, „Wie geht es Euch wirklich?“

Dieses Mal wusste sie, dass sie um die Antwort nicht herum kommen würde. Sie hatte es nun schon ein paar Mal versucht, doch er war mindestens so stur und so hartnäckig wie sie es war.

Sie seufzte. „Nicht besonders gut“, gestand sie schließlich, ohne damit irgendwen sonderlich zu überraschen.

Behutsame Finger strichen über ihren verspannten Nacken, versuchten ihr Mut zuzusprechen. „Prinzessin, vielleicht solltet Ihr diese Aufgabe abgeben“, erklärte er, „Jeder hätte Verständnis dafür.“

Doch seine Worte waren so leer für die Brünette, dass sie es kaum schaffte müde zu lächeln, sie sah einfach nur erschöpft aus. „Wem sollte ich sie übertragen?“, fragte sie und aus ihrem Blick sprach nichts als die verzweifelte Bitte, dass dieser Ratschlag erfüllbar wäre, „Im Augenblick sind jene, die dazu befähigt und befugt sind, an der Grenze und kämpfen.“

„Das stimmt allerdings...“, er musste es zugeben, das stand ganz außer Frage, „Dann geht doch zumindest in Euer Gemach und lasst euch die Unterlagen bringen. Denkt auch an Euer Kind!“

Die Sorge, die aus seiner Stimme klang, war unüberhörbar und schmerzend. Es klang alles so einfach, es schien alles so leicht zu sein. Doch was nützte es ihr?

„Aber das nützt doch nichts“, beklagte sie sich seufzend, „Ob ich nun hier sitze oder dort, was macht das schon?“

„So lasst Euch doch nicht so hängen, sondern erzählt mir Eure Probleme...“

War es ein Flehen? Teana wusste es nicht mit Sicherheit zu sagen. Sie bereitete diesem Mann eindeutig zu viele Sorgen. Sie hatte stark zu sein, hatte stolz und königlich das Reich zu lenken, doch sie schaffte es nicht einmal zu lächeln, ohne dass man es anzweifeln konnte. Nicht einmal eine solch einfache Geste gelang ihr, die aufrechte Körperhaltung, der anmutige Gang, den Blick stolz empor über ein Königreich, das blühte. Doch es stimmte nicht. Das Königreich blühte nicht. Es war dabei in Scherben zu versinken. Scherben aus Sand und Ton, die das Fundament hätten darstellen sollen. Es brach doch alles zusammen.

„Ich...“, Teana zögerte. Sie wusste nicht, wie sie es sagen sollte, wie sie es zugeben konnte, ohne noch weiter das Gesicht zu verlieren. Sie musste sich gefälligst zusammenreißen. Für Atemu. Für das Kind. „Ich habe Angst vor dem Krieg...“

Sanft erklang Qadirs Stimme in ihren Ohren, er verurteilte sie nicht. „Jeder hat Angst vor dem Krieg“, sagte er.

War sie nicht kindisch? Zeigte nicht seine Antwort genau das? Jeder hatte Angst. Wieso also stellte sie sich so an? Wieso war sie so schwach? Sie wollte doch stark sein, sie hatte doch ihr Wort gegeben...

„Ja, schon...“, nickte sie, „Aber.. ach, das ist einfach ein ungünstiger Zeitpunkt...“

Versuchte sie sich zu rechtfertigen? Suchte sie Ausflüchte in Worten, die sie selbst nicht glaubte?

„Ich weiß, dass es ein sehr ungünstiger Zeitpunkt ist und besonders hart für Euch“, wurde seine Stimme einschmeichelnder, oder kam es ihr nur so vor?, „Und Ihr habt ein hartes Los gezogen, wenn ich das so sagen darf...“, er wurde immer leiser.

Was sollte das? Sie wollte kein Mitleid, sie hatten den Menschen Mut zu schenken, nicht ihnen alle Hoffnung zu nehmen. Sie hatte doch eine Aufgabe. „Ein hartes Los?“, fragte sie skeptisch nach und schüttelte den Kopf, sodass ihr schulterlanges Haar ihr ins Gesicht fiel. „Nein. Es ist das Schicksal, das ich gewählt habe.“

Wieder lächelte der Arzt. Spürte er etwa ihren Trotz? „Schicksal?“, er schien an etwas solches nicht zu glauben. „Aber kein sehr schönes, meint Ihr nicht?“

Sie konnte ihm nur zustimmen. Zur jetzigen Zeit war es wirklich nicht sonderlich schön und sie würde auch niemanden ihren Platz einnehmen lassen wollen, um demjenigen zu ersparen, welche Bitterkeit sie in ihrem jungen Herzen spürte.

Doch was machte das? Es änderte nichts. Und es gab auch sicher einiges, das schlimmer war.

„Warum sehr Ihr Euch als nicht so wichtig an?“

Hatte er ihre Gedanken durchschaut? Seine sanfte Stimme war wie Hohn. Wollte er sie peinigen? War dies sein Ziel? Wieder schüttelte sie den Kopf. „Es gibt so viel Leid in diesem Land“, erklärte sie hoheitsvoll, „Gerade jetzt, da Krieg ist, sollte ich mich nicht beklagen.“

„Das ist Eure Meinung.“ Qadir verneigte sich leicht vor ihr und hätte mit nichts deutlicher machen können, dass er diese Meinung nicht teilte. „Aber es gibt viele, die für Euer Wohl in den Krieg ziehen, dann solltet Ihr Euch nicht so hängen lassen.“ Ernst blickte er sie an, „Und denkt an Euer Kind, auch es bekommt mit, in welchen Zustand Ihr verfallt.“

Das Kind.

Atemus Kind.

Für das Kind musste sie stark sein. Das wusste sie. Aber wenn sie es nicht schaffte, wenn sie selbst so überfordert war, wie im Augenblick, wenn sie all das so nahe an sich herankommen ließ, wie konnte sie dann eine gute Mutter sein?

Menschen konnte man täuschen, doch das Leben, das nun in ihrem Körper heranwuchs, spürte genau, was Wahrheit und was Lüge war.

Abwägend sah sie Qadir an, schließlich lenkte sie ein. „Wahrscheinlich habt Ihr Recht“, meinte sie leise.

Der Arzt senkte seinen Kopf vor ihr. „Dafür danke ich Euch“, sprach er siegessicher, und in gewisser Weise war dies auch eine Herausforderung zwischen ihnen beiden gewesen. „Habt Ihr irgendeinen Wunsch?“

Teana nickte. „Würdet Ihr wohl ausrichten, dass ich mich für heute zurückziehe? Wichtige Boten sollen zu mir weitergeleitet werden.“ Vielleicht war es doch nicht so schlecht, ab und zu auch mal auf sich und seine eigenen Bedürfnisse zu hören.

Komplexität

Wann nur würde das ein Ende haben? Es schien, als käme sie aus dem Lügen gar nicht mehr heraus. Immer wieder neue Ausreden musste sie erfinden, immer wieder neue Geschichten erzählen, die mit der Wahrheit nur halb zu decken waren. Doch was blieb ihr anderes übrig?

Dieses Kind war unermüdlich, wissbegierig und neugierig. Nie hätte Adalia sich ausgemalt, dass es so schwer sein würde, auf eine ehemalige Priesterschülerin aufzupassen, weil diese ihr Gedächtnis verloren hatte. Nie hätte sie es erwartet. Doch nicht ohne Grund war Mana auf die Priesterschule gegangen: Sie wollte unglaublich vieles wissen, alles verstehen und noch mehr erklärt bekommen. Natürlich. Der Hohepriester hatte kein einfältiges Mädchen für das Leben an seiner Seite gewählt, doch verstehen konnte sie seine Wahl dennoch nicht. Hatte nicht er ihr immer erklärt, wie wichtig es war, einen Ruf zu wahren? Wieso setzte er den seinen dann so tollkühn aufs Spiel? Wer, wenn nicht er, konnte denn die Folgen davon absehen?

Und nun?

Mana würde nie die Aufgaben erfüllen können, die nun von ihr erwartet wurden. Sie war doch im Grunde wie ein Kind. Ohne Erinnerungen oder Erfahrungen auf die sie hätte zurückgreifen können, hatte sie alles neu zu lernen, damit sie wenigstens sich selbst gerecht werden konnte. Wie nur musste es sein für sie?

Die Priesterin konnte es sich nicht vorstellen. All die Bilder ihrer Vergangenheit hatten sie zu dem gemacht, was sie heute war, würde man ihr die Vergangenheit einfach nehmen... Adalia dachte lange nach. Sie würde jede Legitimation für ihre Taten verlieren, jeden Erklärungsansatz im Keim ersticken. Sie würde ihre gesamte Existenz anzweifeln, solange bis sie Zeichen der verlorenen Zeit wiederfände.

Wenn man dies bedachte, so verhielt sich Mana vorbildlich. Sie war in einem gewissen Maße geduldig und einsichtig, sie wollte neues lernen und so vieles verstehen, das es beeindruckte. Doch diese Fragen nach ihrer Vergangenheit. Adalia wusste nicht genau, was sie darauf antworten sollte. Sie wollte sie an die Wahrheit heranführen, so weit es ging, um ihr dann im entscheidenden Moment die entscheidende Information zu verwehren. Es war wirklich verzwickt. Ihr völlig an den Haaren herbeigezogene Dinge zu erklären, wäre vermutlich kontraproduktiv gewesen. Auf diese Weise hatte sie noch die Möglichkeit, im Fall der Fälle einzugreifen, falls jemand versuchen sollte, ihr etwas anderes erklären zu wollen. Sie hatte Raum zu handeln, wenn es sein musste.

„Ich hatte also einen Unfall?“, ungeduldig lief Mana auf sie zu, blieb direkt vor ihr stehen und sah ihr mit großen Augen ins Gesicht. „Und deswegen habe ich alles vergessen? Deswegen kenne ich das alles hier nicht?“ Oh ja, das hatte sie ihr schon erklärt, von dem Unfall hatte selbst Seth gesprochen, daher hielt die Priesterin es für sinnvoll, bei diesem Teil der Geschichte zu bleiben. Sie wollte sie nicht noch weiter verwirren. Doch was das für ein Unfall gewesen sein sollte, wusste auch Adalia nicht. Sie konnte nur hoffen, dass sie auf den Priester traf, bevor die Kleine es tat. Doch vermutlich wäre er sowieso vorsichtig damit, was er zu ihr sagte. Dennoch. Es war besser, sicher zu gehen.

Mana sah sie an. „Was ist das, ein Unfall?“ Ihre Augen waren groß, wissbegierig. „Ist das gut?“

Die Priesterin schüttelte den Kopf. Manas begrenztes Wissen machte die Sache einerseit einfacher, andererseits jedoch enorm schwierig. Dieses Thema war extrem heikel. Zu viel musste konstruiert werden, zu viel musste genaustens überlegt sein. „Nein, ein Unfall ist nichts Gutes“, antwortete sie schließlich, „Aber man kann sich das nicht immer aussuchen, weißt du?“

Schon war das Mädchen wieder Feuer und Flamme. Sie hatte Fragen und sie konnte sie stellen. „Aussuchen?“ Alles zu hinterfragen erschien ihr als das Beste, das sie machen konnte.

Die Größere nickte. „Ob man etwas möchte oder nicht, ja“, fast schon beiläufig erklärte sie die Wörter, mit denen Mana nichts anfangen konnte.

„Und was möchte man?“

Naivität und Unwissenheit lag häufig nahe beieinander, wie Adalia schon hatte feststellen müssen. Doch was konnte dieses Kind dafür? Es war nur gut, dass sie sich im Augenblick nicht der Öffentlichkeit stellen musste, sondern ein Schattendasein führen konnte. Mit etwas Glück konnte man aus ihr vielleicht irgendwann einen Diamanten formen. Ein Mädchen, das dem Hohepriester würdig war.

Sie lächelte die Kleine an. „Oh, man möchte ganz verschiedene Dinge“, sagte sie nachsichtig, „Du möchtest zum Beispiel durch den Palast laufen und dir alles ansehen.“

„Ja! Möchte ich! Darf ich?“ Ein Strahlen bildete sich in Manas Augen, grüner Glanz, der wohl jeden hätte erweichen können. Nicht jedoch Adalia. Diese schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, noch nicht“, sagte sie, „Später kannst du das machen.“ Erst musste ihr Körper heilen, zumindest das hatte sie Seth versprochen. Ihre Seele würde wohl nie wieder so werden wie früher.

Mana ließ den Kopf hängen. „Wann ist denn später?“

„Noch nicht.“

Ein paar Mal hatten sie dies schon durchgespielt, bei jeder Gelegenheit, die sich bot, versuchte die Kleine es aufs Neue. Doch immer wieder lehnte Adalia ab. Mana jedoch ließ sich nicht abschütteln, und war genau so hartnäckig wie die Andere.

Der Priesterin war es nur recht. Auf diese Weise konnte sie Mana beschäftigen, sie bei Laune halten. Viel Zeit noch würde ihnen bleiben, über irgendwelche Sachen zu diskutieren bis Seth zurückkehren würde. Solange würde sie so gut wie jede Sekunde bei Mana sein und solange würde sie sich wohl auch der Frage stellen müssen, wann sie endlich nach draußen durfte.

„Hast du Hunger?“, fragte Adalia, nach dem sie eine Weile aus dem Fenster gesehen hatte, absichtlich das Thema wechselnd. Sie wusste, dass Mana noch nichts im Magen hatte.

„Hunger?“, fragte die Angesprochene, „Was ist das?“ Wieder überraschte es Adalia, welches Wissen nötig war, um einfach nur durch den Tag kommen zu können. Ein gewöhnlicher Ablauf stellte sich als unglaublich komplex heraus, wenn man damit nicht oder viel mehr nicht mehr vertraut war. Doch wie sollte sie das nun erklären? „Nun ja, jeder Mensch muss ab und zu etwas essen“, setzte sie an, brach dann aber ab. Worte allein konnten niemals klar machen, was es bedeutete Hunger zu haben und essen zu können. Sie erhob sich. „Wartest du kurz hier?“, bat sie, „Dann zeige ich dir, was ich meine.“

Mana war einverstanden. Interessiert nickte sie, sah Adalia hinterher, als diese aus der Tür hinaustrat. Dort beauftragte sie einen Diener ihnen etwas zu essen zu bringen, ehe sie sich umdrehte und in Manas erwartungsvolles Gesicht blickte. „Es dauert nicht mehr lang“, versicherte die Priesterin ihr lächelnd.

„Wer war das?“ Sie hatte den Jungen wohl gesehen, mit dem Adalia gesprochen hatte, sofort war in ihrem Kopf ein neuer Berg voller Fragen explodiert.

Und wieder begann die Ältere zu erklären. „Ein Junge“, antwortete sie ohne zu zögern, dies war ein deutlich einfacheres Thema. „Er arbeitet hier im Palast. Er holt uns Essen.“

„Ist er wichtig?“

Adalia lächelte und hatte gleichzeitig das Bedürfnis sich auf die Lippen zu beißen. Sie musste sich unbedingt mehr anstrengen, damit Manas Weltbild nicht völlig aus der Bahn geriet. Sie durfte nicht einfach nur in wichtig und unwichtig unterscheiden, die Welt war nicht schwarz und weiß. Sie musste ihr beibringen, all die Facetten zu sehen, ohne sofort eine Wertung vorzunehmen.

„Aber natürlich“, sagte sie, „Nicht so wichtig wie der Pharao und auch nicht so wichtig wie Seth oder ich oder du. Aber jeder ist auf seine Weise wichtig.“ Wie nur sollte sie ihr alles erklären, ohne nicht selbst Abstriche zu machen, selbst Einschnitte in das große Ganze?

„Ist das hier alles so kompliziert?“, fragte Mana und nahm ihr die Worte damit aus dem Mund.

Sie nickte lachend. „Ich fürchte, das ist es“, gab sie bedauernd zu, kompliziert war wirklich das beste Wort für die Situation. Auch wenn Mana bei weitem nicht deren Ausmaß begreifen konnte, so war es doch zutreffender als alles andere. Adalia wusste, wieso der Hohepriester nicht einfach irgendwem die Aufgabe übertragen hatte. Er kannte sie schon seit Ewigkeiten, er wusste, wie sie dachte und was ihre Art zu handeln war. Er musste genau gewusst haben, was da auf sie zu gekommen war. Nur deswegen hatte er sie erwählt. Sie war die Beste. Sie war es schon immer gewesen und Seth wusste es. Adalias Wangen begannen leicht zu glühen.

Mana stattdessen saß kichernd auf dem Bett, betrachtete sie skeptisch und beschloss dann, sie wollte lieber schlafen. Natürlich hatte die Priesterin nichts dagegen einzuwenden, und natürlich überlegte Mana es sich anders, sobald sie die Möglichkeit dazu hatte, was im Grunde bedeutete, dass es nie ein ernst gemeinter Vorschlag gewesen war. „Ich möchte lieber mehr wissen!“, plapperte das Mädchen fröhlich, „Und... Essen?“

„Das dachte ich mir.“ Hatte sie wirklich die Hoffnung gehabt, dass Mana nur für eine Sekunde zufrieden sein würde, mit dem, was sie hatte? Allein Naivität hätte eine solche Hoffnung begründet und so naiv war Adalia nicht. Sie blickte die Kleine freundlich an. „Wir müssen noch einen Moment auf das Essen warten“, erklärte sie und Mana nickte. Sie versuchte still zu sitzen, versuchte zu warten.

Es war fast niedlich, dachte die Ältere, ihr dabei zuzusehen, wie sie ständig versuchte, irgendwelche Vorsätze zu erfüllen und dann doch auf Grund von Ungeduld daran scheiterte. Wie sie immer wieder aufschaute und hibbelig darauf wartete, dass es etwas Neues passierte, etwas das sie unbedingt verstehen wollte und doch nicht konnte. Und wie sie immer wieder hoffnungsvoll zur Tür sah und auf des Hohepriesters vertraute Schritte lauschte. Eine Weile verging und Mana starrte Adalia wie gebannt an. Ihr Kopf lag leicht schief auf ihrer Schulter, die Hände hatte sie unter ihre Beine geklemmt. Und sie wartete.

Es war ein eigenartiger Anblick für die Priesterin, die es sonst nur gewohnt war, dass man zu ihr aufsah. „Was denkst du?“, fragte sie ehrlich interessiert. Das Mädchen war ihr noch immer ein Rätsel und es konnte gewiss nicht schaden, so viel es ging über sie zu erfahren.

Manas Antwort überraschte sie über alle Maßen: „Ich finde dich toll!“, gab sie fröhlich lächelnd und ehrlich zu und es konnte kein Zweifel aufkommen, dass sie es nicht auch so meinte.

„Wieso denn das?“, fragte Adalia leicht verwirrt, sie hatte erwartet, dass Mana über unzählige Dinge nachdachte, die das Chaos in ihrem Kopf nur größer und unordentlicher werden ließen, nicht jedoch hatte sie damit gerechnet, dass das Kind über sie grübelte.

Mana strahlte. „Du weißt so viel!“, plapperte sie leicht ehrfürchtig ohne zu verhehlen, dass sie ein wenig neidisch auf sie war und doch unendlich glücklich darüber, dass sie selbst einen Grund geben konnte und nicht erst fragen musste.

Adalia war geschmeichelt. „Du weißt auch bald ganz viel“, versicherte sie ihr lächelnd, und war für einen Moment wirklich davon überzeugt, dass sie es schaffen konnte, dieses Versprechen wahr werden zu lassen.

Die grünen Augen glänzten vor Freude. „Ehrlich?“, fragte sie nach und kuschelte sich unbeholfen an Adalia. Diese schloss sie überrascht in die Arme. Wahrscheinlich war sie wirklich wie ein Kind, das sich nach Aufmerksamkeit und Wärme sehnte. Jedenfalls hatte die Priesterin keine Probleme damit diese Geste zu erwidern. Im Gegenteil. Es erleichterte es ihr ungemein Manas volles Vertrauen zu gewinnen – etwas, das unverzichtbar war, wenn sie wollte, dass das Mädchen effektiv lernte, ohne in Angst zu leben. Und das wollte sie definitiv. Leicht verwirrt stellte sie fest, dass nicht Seth allein der Auslöser war, sondern Mana selbst. ihre kindliche Art weckte in der sonst so gefassten Adalia ein Gefühl, das sie nie gekannt hatte und dessen Wucht sie ungeschützt direkt ins Herz traf. Sie wollte dieses Kind beschützen. Sanft zog sie sie auf ihren Schoß und schaukelte sie leicht hin und her, achtete dabei jedoch genau darauf, ihr keine unnötigen Schmerzen zu bereiten.

Ein leichtes Klopfen erregte die Aufmerksamkeit der beiden Frauen, sofort fuhr Manas Kopf entzückt hoch. Adalia setzte sie vorsichtig auf das Bett, sah sie lächelnd an. „Das ist bestimmt das Essen“, flüsterte sie zuversichtlich, drehte sich um, ging zur Tür und öffnete sie.

Der Anblick von feuerrotem Haar ließ ihre Züge versteinern.

Schuld

Ein schlechtes Gewissen war dermaßen unpassend im Augenblick, zu vieles anderes hatte ihn zu beschäftigen, verlangte den Fokus seiner Gedanken. Und doch kam der Pharao – stolz und mächtig wie er aussah – nicht darum herum sich ein schlechtes Gewissen einzureden und sich selbst die Schuld zuzusprechen.

Schuld konnte verschieden schwer wiegen, doch diese Schuld war kaum zu schultern. Seine unheilvolle Ernennung hatte Mana so viel Leid beschert, dass er kaum wusste, ob er je den Mut haben würde, ihr jemals wieder unter die Augen zu treten. Selbst wenn sie ihn nicht mehr erkennen würde, er würde sie überall heraus erkennen, er hatte ihr fröhliches Gesicht nicht vergessen. Ihre aufrichtige, lockere, oft kindliche Art hatte er immer bewundert. Sie war stets sie selbst geblieben, trotz all der Aufgaben in der Priesterschule, den schweren Schlägen zum Trotz, die sie schon viel früher getroffen hatten. Nie hatte sie ihre Fröhlichkeit verloren. Mit Seth an ihrer Seite kamen die Verpflichtungen, denen sie nicht mehr entfliehen konnte, die Ketten der Herrschenden hatten auch sie erreicht und gefesselt. Atemu ertappte sich dabei, wie er sich wünschte, sie hätte sich niemals in ihn verliebt. Wenn schon nicht Mana, so hätte doch wenigstens Seth genug Vernunft und Verantwortungsbewusstsein besitzen sollen, damit diese Ketten niemals hätten greifen können.

Er fühlte sich elend. Er wusste genau, dass ausgerechnet sein Cousin das alles so nicht gewollt hatte, und doch kam er nicht daran vorbei die Schuld, die Verantwortung bei eben diesem zu suchen. Hätte er doch besser aufgepasst, hätte er doch...

Doch nein. Seth hatte getan, was er konnte. Er, Atemu selbst, hatte Shada und Karim zu Manas offiziellen Lehrern ernannt, er selbst hatte das Unheil über sie gebracht und sie ihnen ausgeliefert. Und er selbst musste sich jetzt den Konsequenzen stellen.

„Verzeih mir“, sprach er leise, und doch so laut, dass Seth ihn hören konnte, „Dass ich die falschen ausgesucht habe.“

Kurz angebunden und knapp waren noch immer des Priesters Antworten. Er schüttelte den Kopf. „Du hast es nicht gewollt, Mana war schließlich auch deine Freundin.“ So ungern er es auch zugab, er wusste, dass es stimmte.

Leicht empört beugte sich der Pharao nach vorn, „Sprich nicht in der Vergangenheit“, sagte er streng, „Und du trägst auch keine Schuld.“ Er gestand dies mehr sich selbst ein als dem Brünetten, doch er musste die Worte einfach loswerden, damit sie seinen Grübeleien Einhalt gebieten konnten.

„Sie wird dich nicht erkennen“, gab Seth bitter zurück, „Ich habe ihr jede Erinnerungen nehmen müssen.“

Der Pharao nickte. Er konnte sich nicht recht vorstellen, was es bedeutete, doch er hatte verstanden. Egal wie auch immer er sich die Situation ausmalte, er würde der Realität erst dann nahe kommen, wenn er Mana wiedersah. Trotzdem gab es eine Sache, die Seth nicht verstanden zu haben schien. „An deiner Liebe zu ihr hat sich nichts geändert, sehe ich das richtig?“, fragte er, ohne auf die Antwort zu warten, „Wieso sollte ich meine Freundschaft zu ihr aufgeben?“

Ein tiefes Seufzen durchzog des Hohepriesters Kehle. „Du hast wahrscheinlich Recht“, stimmte er zu, ehe er wieder in ein tiefes Schweigen versank.

Erst Meilen später durchbrach Seth die Stille, sichtlich gefasster und hochkonzentriert. „Wir haben einen Krieg zu führen, das hat nun Priorität.“ Seine Stimme klang kalt und mächtig, genau so wie Atemu es von seinem Cousin gewöhnt war, doch beinhalte dieser Klang nicht noch mehr? Oder bildete er sich das ein? Es schien nicht, als glaubte Seth sonderlich an seine eigenen Worte, sie schienen aufgesetzt und auswendig gelernt zu sein. Und Atemu konnte es ihm noch nicht einmal verübeln. Wieso es den Anschein hatte, dass der Hohepriester mit der Situation wesentlich besser zurecht kam als er, konnte Atemu nicht sagen. Vermutlich lag es daran, dass er mehr Zeit gehabt hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, falls etwas solches überhaupt möglich war. In Seths entschlossenen Augen brannte ein Feuer, das dem Pharao Angst gemacht hätte, wenn er ihn nicht so gut gekannt hätte. Der Brünette brannte darauf, in die Schlacht einzutreten, verzerrte sich danach, seinem Hass endlich freien Lauf zu lassen. Man konnte es sehen. Man konnte es spüren. Die Luft um ihn herum schien zu knistern, versetzte den folgenden Truppen eine unglaubliche Motivation, einen Siegeswillen, der nicht auf Stärke, sondern nur auf Hass basierte.

„Zeigen wir den Libyern, was es heißt, Ägypten herauszufordern!“ Die Entschlossenheit hätte kaum fassbarer sein können. Ein Gemetzel, dachte Atemu, das war im Augenblick vermutlich genau das Richtige.

Doch wollte er nur aus Hass heraus einen Krieg führen? Diese Art passte nicht zu ihm, er liebte die Schlacht nicht. Seinen Männern jedoch die einzige Motivation zu nehmen, aus der heraus sie bereit waren ihr Leben zu geben, erschien ihm töricht. Die Stimmung, die Seth um sich herum schaffte, war bis zum Zerreißen gespannt. Dies war der Moment, da es kein Zurück gab, da jeder Zweifel an ihrem Vorhaben nicht nur völlig unpassend war, sondern sofort im Keim erstickt wurde.

Der Pharao ließ sich mitreißen. Jetzt zu zweifeln, hieße an seinem Volk zu zweifeln, jetzt zu zögern, hieße sein ganzes Reich zu verraten. Er war Atemu, der Pharao Ägyptens, und er würde seine Männer in den Sieg führen! „Die werden noch was erleben“, stimmt er zu und zum ersten Mal legte sich auch auf sein Gesicht ein grimmiges Lächeln.

Im Einklang zogen Atemu und Seth das Tempo an, achteten dabei genauestens auf das Gelände und auf das Verhalten der Truppen. Der Sand unter ihren Füßen wurde grobkörniger, sie kamen ihrem Ziel immer näher.

„Bisher verläuft alles nach Plan“, sagte der Hohepriester und auch wenn er es eher zu sich selbst gesagt hatte, der Pharao hörte es trotzdem, nickte kurz zustimmend.

In ihrem Blickfeld war nun die gegnerische Streitmacht aufgetaucht, keine Boten sondern Männer der Schlacht. Der Ausdruck in ihren Augen verriet vieles, jedoch keine Schwäche. Es waren sogar noch mehr, als berichtet worden war, dachte Atemu, doch vielleicht spielten ihm seine Augen in der Anspannung einen Streich. Sie sahen sehr gut vorbereitet aus, mit entsetzter Genugtuung stellte er fest, dass Libyen diesen Krieg durchaus ernst nahm und in Ägypten eine reelle Gefahr sah.

„Es kann losgehen“, erklang des Priesters kalte Stimme, auch er musste erkannt haben, dass sie ihren Feinden zahlenmäßig weit unterlegen waren. Doch sie waren vorbereitet.

„Auf in den Krieg!“, gab Atemu als Antwort zurück und schaute für eine Sekunde in Seths entschlossenes Gesicht. „Führen wir das Heer zum Sieg!“

Sie ritten weiter. Atemu zog mit seiner Hälfte der Truppen weiter nach Norden, Seth ritt nach Süden. Sich an dieser Stelle zu trennen, gerade da sie sich der Übermacht ihrer Gegner bewusst geworden waren, war durchaus gewagt. Vieles konnte schief gehen, doch sie hatten nur diese eine Chance. An der Spitze sollten die beiden Teile des Heeres wieder zusammentreffen, sie alle konnten jetzt nur hoffen, dass dies auch gelang. Ansonsten stünden die ägyptischen Truppen gespalten da, die lediglich noch dafür hätten sorgen können, dass sie einen heldenhaften Tod finden würden, denn der Untergang wäre gewiss.
 

Sie lief durch die Gänge, schlich fast. Sie wusste nicht, wo ihre Füße sie hintrugen und es war ihr auch egal. Es kümmerte sie nicht. Vieles ging ihr durch den Kopf und doch wieder nichts, ihre Gedanken liefen im Kreis, kamen zu nichts Neuem. Wie auch immer sie es drehte und wendete, sie konnte es nicht begreifen.

Wie lange war es her gewesen, dass sie Seth aufgegeben hatte? Es erschien ihr Ewigkeiten her, dass er sie stehen gelassen hatte und doch waren nur Tage vergangen. Ihre gemeinsame Zeit schien so unendlich weit weg. Hatte sie ihn aufgegeben, damit er sich ins Unglück stürzte? Sie hatte gehofft, dass er wenigstens glücklich werden würde, reichte es denn nicht, wenn sie allein zurück blieb? Nie hatte die Weißhaarige geglaubt, dass so etwas wie Mitleid für das Kind, dass ihr alles genommen hatte, in ihr wachsen konnte, doch was sie nun spürte, übertraf alles, was sie bisher gekannt hatte. Sie hatte sich gewünscht, dass Mana es schwer haben würde mit dem Hohepriester, dass sie dafür zahlte, ihr des Hohepriesters Liebe entrissen zu haben. Doch etwas solches?

Das war zu viel, das hatte sie nicht gewollt. Die Wut, die Kisara tief in ihrem Herzen spürte, loderte wie Feuer, hatte jede Enttäuschung ihrerseits längst kompensiert. Wie Seth es schaffte ruhig zu bleiben, war ihr ein Rätsel, wenn er nicht das Recht dazu gehabt hätte, so hätte sie die beiden Männer auf der Stelle zerstört. Nur mit großer Anstrengung war es ihr gelungen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, und den Drachen zu beruhigen. Mit größter Anstrengung, die nur der Respekt vor Seth und Mana – sie hätte selbst nicht gedacht, jemals so zu denken – gerechtfertigt hatte. Ein Zeichen. Sie schluckte leicht. Dazu war sie also noch gut? Seths Lächeln war so falsch gewesen, so unglücklich. Nie hatte sie ihn so gesehen, nie hatte sie eine solche Leere in seinen Augen gesehen. Alles andere schien in den Hintergrund gerückt zu sein. Wie schnell sich doch die Sichtweisen ändern konnten, es war beinahe Ironie.

Der Hohepriester hatte sie verlassen um so unglücklich zu werden wie nie zuvor. Eine blühende Zukunft lag vor seinen Füßen, nun da er seinem Traum so viel näher gekommen war, doch seine Zukunft war schwarz. Die Freude hatte nicht lange gehalten, nun hatte er noch mehr Verpflichtungen, noch weniger Zeit.

War dies richtig? War es nicht vielleicht sogar das Beste, das ihm noch passieren konnte? Auf diese Weise musste er sie nicht immer sehen, auf diese Weise konnte er vielleicht ein wenig an etwas anderes denken und Kraft sammeln. Kraft, die er so dringend brauchte, damit er und somit auch Ägypten nicht der dunklen Zeit entgegen sehen mussten. Hing nicht alles davon ab? Hing nicht auch ihre Zukunft von ihm ab?

Sie hatte gehofft, sich losreißen zu können, doch sie hatte im entscheidenden Moment den Absprung verpasst. Nun durfte sie nicht mehr fliehen, nicht jetzt, da er sich auf ihre Hilfe verließ. Nicht jetzt, da er ihr endlich wieder vertraute. Sie seufzte schwer. Ihre Füße trugen sie immer noch, Schritt für Schritt kam sie voran, Schritt für Schritt dichter heran an Mana. Denn soviel wusste sie inzwischen. Sie wollte nach ihr sehen, wollte wissen, ob sie helfen konnte. Außerdem war es einfacher, ein Auge auf sie zu haben, wenn sie wusste, was sie machte. Sie hatte das unglaubliche Bedürfnis das Mädchen zu sehen, dass es ihr selbst unwohl wurde. Was versprach sie sich davon? Sie wollte sie nicht anstarren, wollte nicht gaffen.

Aber sie wollte sie sehen, wollte erkennen können, dass alles ein sehr schlechter Scherz gewesen war. Wäre Seth soweit gegangen, um sie von sich zu stoßen?

Nein. Sie kannte die Antwort, seit sie in seine blauen und doch seltsam farblosen Augen gesehen hatte. Augen, die den ihren sonst in keinster Weise nachstanden. Sie blieb stehen, lenkte ihren Blick nach draußen. So unentschlossen wie sie im Augenblick war, wollte sie Mana nicht unter die Augen treten.

Und dann sah sie es. Bildete sie sich es ein? Sah sie eine Reflexion des Lichtes, die sie verwirrte? Dort unten, in den Büschen des Palastgartens hockte eine bekannte Gestalt. Eine Gestalt, die nicht hätte dort sein dürfen.
 

„Für Ägypten!“, hatte Atemu geschrien, als er losgezogen war, Seth hatte nichts erwidert. Er kämpfte nicht für Ägypten. Diese Schlacht führte er mit all seiner Macht um zu Mana zurückkehren zu können und das so schnell wie möglich. Und um sein Versprechen an sie halten zu können. Bald war es soweit. Er konnte es kaum erwarten, den Zauber von den Priestern zu nehmen und sie die Schrecken der Welt spüren zu lassen. Die Teilung des Heeres hatte vor allem eines gebracht: Verwirrung in den gegnerischen Reihen. Sie schienen nicht mit einem solchen Schritt gerechnet zu haben und hatten nun Schwierigkeiten sich neu zu formieren. Seth lächelte. Er wusste, sie konnten jede Sekunde angegriffen werden, ein einziger unachtsamer Augenblick wäre fatal.

Doch es gab keinen unachtsamen Moment.

Er lenkte seinen Blick in alle Richtungen und seine Männer vorwärts. Links und rechts von ihnen gab es mehrere Sanddünen, Versteckmöglichkeiten, genau wie erwartet. Sie kämpften auf ihrem Land, sie kannten jeden Winkel. Das Heer wurde unruhig, doch das – befand der Priester – gereichte nur zu ihrem Vorteil. In einem solchen Gelände würden die Libyer es schwer haben, ihre große Zahl voll auszuspielen. Genau wie Mana es gesagt hatte. Letztendlich war dies ihr Plan gewesen, sie hatte die Idee entwickelt und zur Überraschung aller – ihrer selbst eingeschlossen – war der Vorschlag von allen Seiten auf Zustimmung gestoßen. Dies war vielleicht ihre einzige Chance.

Sie würden sie nutzen. Sie würden ihren Vorteil ausnutzen und all die Erwartungen, die an sie gestellt wurden, erfüllen.

Er wollte es so schnell es geht hinter sich haben, wollte, dass alles schnell vorbei war. Nicht, weil er nicht die Schlacht suchte, im Gegenteil. Vielleicht suchte er soviel mehr als nur den Krieg, der blutig vor seinen Füßen lag. Vielleicht suchte er nur eine Ausrede für die Grausamkeit, die er selbst in seinem Körper, in jeder Faser und in allen seinen Gedanken spüren konnte.

Doch sein Platz war nicht auf dem Schlachtfeld, und sein Platz war auch nicht im Palast. Im Augenblick gab es nur einen einzigen Ort, der seine Bestimmung war: An der Spitze seiner Männer, die er in den Sieg zu führen hatte.

Sie wurden immer unruhiger. Die Zeit war gekommen und sie spürten es. Der Feind war zum Greifen nahe, doch ein Ausfall durfte nicht riskiert werden, der Preis wäre zu hoch.

Der Hohepriester ritt um seine Truppen herum, versuchte sie ruhig zu halten und ihnen Mut zuzusprechen. Niemand von ihnen durfte jetzt noch zweifeln, die Zeit der Unsicherheit war vorbei. Ein grimmiges und erwartungsvolles Lächeln legte sich auf Seths Lippen. Am Horizont waren Truppen aufgetaucht. Es ging los.

Verrat

Eine starke Aura erzwang seine Aufmerksamkeit. Eine Aura voll von Magie, voll von Kraft. Eine Aura, die er nun schon ein paar Male gespürt hatte, doch dessen Quelle er nie genau hatte ausmachen können. Oft war er deswegen im Palast umhergestreift, doch er war zu keinem befriedigenden Schluss gekommen.

Die Quelle musste von außerhalb stammen. Mit unregelmäßiger Stetigkeit kehrte sie in den Palast zurück. Dieses Mal war sie so stark wie nie zu vor und dieses Mal wurde sie von einer zweiten Macht überdenkt. Doch dieses Mal gab es keine Millenniumsmagie in den Mauern dieses friedlichen Ortes, zumindest keine, die den Bewohnern bekannt war. Bakura grinste. Er selbst kannte die Millenniumsmacht, doch diese Kraft war eine andere. Sie war ganz nahe. Dieses Mal würde er sie finden, dieses Mal würde man ihn nicht davon abhalten es zu entschlüsseln.

Mit sicheren Schritten bewegte er sich im Palast, ungesehen wie jedes Mal. Natürlich. Er kannte sich hier besser aus als all seine Bewohner, kannte jeden Winkel und jede Ausweichmöglichkeit. Die Verlockung der Magie zog ihn an, lenkte seine Füße, sodass er seinem Ziel immer näher kam. Die Gänge beachtete er kaum, er wusste auch so, wo er sich befand.

Als sein Blick den Palast verlassen konnte und er am Fenster stand, lächelte er. Die weißen Schwingen glänzten im Licht, als ein riesiger Drache langsam aber sicher am Horizont verblasste und den Nebel hinter sich zurück ließ.
 

Die Erde war frisch und doch nicht so interessant wie sie immer gewesen war. Unzählige Male schon hatte er hier an diesem Ort gesessen, doch nicht ein einziges Mal war er so ernst, so nachdenklich gewesen wie jetzt. Die dichten Sträucher boten ihm Schutz, verbargen ihn vor ungewollten Blicken. Unschlüssig starrte er zu dem Fenster hoch, hinter dem er sie vermutete. Meiras Worte klangen in seinen Ohren. Sie war nicht mehr dieselbe?

Er verstand nicht. Wieso hatte sie ihm nicht erklärt, was er wissen wollte? Glaubte sie, er sollte sich selbst vergewissern? Glaubte sie, er sollte es besser gar nicht wissen? Oder war sie einfach nur nicht dazu gekommen? Dass Cyrus ausgerechnet in dem Moment hatte zurückkommen müssen, war wirklich ärgerlich gewesen. Seine Schwester schien hinter ihm zu stehen, schien ihn unterstützen zu wollen. Doch was hatte sie gesehen? Was hatte sie ihm sagen wollen?

Akim kratzte sich am Kopf, schob sich seine violetten Strähnen aus den Augen. Es waren zu viele Fragen, die ihn beschäftigten, es war an der Zeit, dass er sich um die Antworten kümmerte. Er kauerte sich zusammen. Es war besser, wenn man ihn nicht sah, er war nicht gerade das, was man einen geladenen Gast nannte. Vermutlich sahen die Bewohner des Palastes ihn nicht sonderlich gern. Um herausfinden zu können, welches Geheimnis Mana trug, war es das Beste, wenn er sie beobachten konnte, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Doch dazu musste er unsichtbar bleiben.

Es war eine eigenartige Situation. So oft hatte er bereits hier gesessen, völlig ohne jeden Hintergedanken, einfach nur, weil ihm dieser Ort gefallen hatte. Hatte er damit gerechnet, dass er diesen Ort noch einmal freiwillig besuchen würde? Besuchen, wohlgemerkt, dass er hierher zurückkehren würde, war ihm von vorneherein klar gewesen. Jedoch hatte er vorgehabt, dem Hohepriester einen Besuch abzustatten, nicht seiner Verlobten. Und dass er mit seinem Herkommen ausgerechnet auf den Rat seiner Schwester hören würde... nun, man konnte sagen, dass wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, ihn hier auf diese Weise wiederzusehen.

Der Klang einer schrillen Stimme ließ ihn überrascht aufschauen.

„Wo bist du? Zeig dich!“

Meinte sie ihn? Akim grummelte leise. Er war davon ausgegangen, dass er nicht gesehen worden war, doch ganz offensichtlich hatte er sich getäuscht. Sollte er sich ihr entgegenstellen? Würde sie aufgeben, wenn sie ihn nicht fand?

Dennoch. Wenn sie ihn gesehen hatte, dann war das Schlimmste bereits geschehen; wenn sie ihn erkannt hatte, wäre es besser, mit ihr zu sprechen. Sie durfte nicht die falschen Schlüsse ziehen, das gäbe nur unnötiges Aufsehen.

Und dann blickte sie schon um den Busch herum, hinter dem er saß. „Was machst du hier?“, fauchte Kisara ungehalten, und offensichtlich gleichzeitig genauso gespannt auf die Antwort. Ihre Einstellung ihm gegenüber wirkte verschleiert, war nicht ganz und gar einsichtig. Wie mochte sie über ihn denken? Schließlich waren es seine Geschwister gewesen, die letztendlich den Ausschlag dafür gegeben hatten, dass Seth sich von ihr trennte. Doch verband sie dies auch mit ihm? Er hatte immerhin die selbe Macht, die seinen Körper durchströmte.

Er entschloss sich naiv zu wirken. Weiterhin. Die Menschen, die in diese Palast lebten und ihn ihr Zuhause nannten, hatten ihn genau so kennen gelernt, ein verwirrter Junge, ohne Erinnerungen. Naiv. Dumm.

Das war jetzt vorbei. „Warum?“, fragte er scheinheilig, während er sich erhob.

„Du hast hier nichts mehr zu suchen!“ Es war beeindruckend zu sehen, wie leicht ihr gerade diese Worte über die Lippen kamen. Wie oft mochte sie sich wohl darüber nachgedacht zu haben, seit er weg war? Enttäuschung und Wut legte sich in ihren Blick. „Verräter!“, zischte sie, und ihre Hände zitterten.

Akim fühlte sich gekränkt. „Ein Verräter? Ich?“ Meinte sie das ernst? Vielleicht hatte sie Recht, wenn sie sagte, er hatte sie verraten. Doch wen auch immer er verraten haben sollte, sich selbst war er treu geblieben und das wäre für ihn der größte Verrat gewesen. Ein Verrat, zu dem Seth ihn jahrelang gezwungen hatte. Nein. Er war nicht der Verräter.

Verunsichert blickte das Mädchen ihn an, schüttelte dann den Kopf. „Was willst du hier?“, fauchte sie erneut, wurde dann aber abgelenkt. Erschrocken lenkte sie ihren Blick nach oben. Jetzt wurde ihr klar, weswegen er ausgerechnet jetzt ausgerechnet an diesem Ort gewesen war. Von hier aus hatte er Manas Zimmer genau im Blick. Und aus diesem Zimmer drang ein leichter Nebel nach draußen.

Schnell schloss sie ihre Augen, und öffnete sie nach einigen Sekunden wieder. Sie hatten sich verändert. Anstelle der sonst blauen Iris leuchtete nun ihr gesamtes Auge in einem hellen Blau, sie sah hochkonzentriert aus.

Ihm blieb nicht viel Zeit zu handeln. Eindringlich sah er sie an, ehe auch er seinen Blick zum Fenster richtete. „Was auch immer du vorhast, warte“, sagte er streng, Der Nebel verriet ihm alles. Meira. Sie war hier. Doch was wollte sie hier? Wieso war sie hierher gekommen?

„Wieso sollte ich?“, zischte die Weißhaarige aufgebracht, wieso sollte sie sich ausgerechnet von ihm etwas sagen lassen? „Was hast du vor?!“ Sie würde solange fragen, bis sie eine Antwort bekam. Alle waren im Krieg, der Palast war praktisch geräumt. Seine Verteidigung war schwach. Ihr einziges Ziel konnte jetzt Mana sein, das bewies auch der Nebel.

Akim schüttelte seinen Kopf, sah nun selbst ein wenig angespannt aus. Wenn Meira hier war ...

„Ich weiß, du traust mir nicht“, flüsterte er und es hätte beinahe entschuldigend geklungen, wenn sie nicht zu beschäftigt gewesen wäre es zu erkennen, dann rief er selbst die Macht des Nebels und erhob sich in die Luft.

„Verdammt, komm da runter!“ Fast schon hysterisch schrie sie jetzt, hin und her gerissen, wie sie reagieren sollte. Wieder schüttelte er den Kopf. Sie bei Laune zu halten war äußerst schwierig, dabei hatte er doch eigentlich ganz anderes im Kopf. Mit einem erneuten Wink seiner Hände hob er sie herauf zu sich.

Wenn er jedoch geglaubt hatte, sie damit zufrieden zu stimmen, wurde er enttäuscht. Sie kreischte erschrocken auf. „Was soll das?!“, schrie sie, das Blau in ihren Augen hatte sich wieder ein wenig beruhigt, doch sie war jederzeit bereit.

„Willst du wissen, was da passiert, oder nicht?“, patzig antwortete Akim und richtete seinen Blick dann auf das Fenster. Meiras Nebel war allgegenwärtig, doch das erklärte ihre Anwesenheit nicht. Ihre Magie zu übersehen war unmöglich, doch auch das brachte ihn nicht weiter. Was sollte sie hier? Was wollte sie von Mana? Und warum lag Mana bewusstlos im Bett?

Kisara fauchte leise, ehe sie den Drachen rief. Sie musste Seth unbedingt Bescheid geben, dies war genau so eine Situation, wie sie es befürchtet hatte. Es ging um Mana, soviel war sicher. Und es ging nicht um ihr Wohl.

Akim stieß ihr unsanft in die Seite. „Also“, verlangte er ungeduldig zu wissen, „Was soll das?“

Die Angesprochene konnte kaum etwas erkennen. „Was soll was?“, knurrte sie, ehe sie ihre Konzentration wieder hatte. Der Drache war nun sichtbar geworden, schwebte majestätisch am Himmel. Für einen Moment wurde deutlich, weshalb der Hohepriester versucht hatte, sie an sich zu binden, weshalb alle hinter ihr her waren. Die Magie, die sie verkörperte, war fassbar. Sie war einzigartig.

Violettes Haar flog durch die Luft, vermischte sich mit den weißen Strähnen von Kisara, als die mächtigen Schwingen des Drachens einmal schlugen. Ein weißer Drache. Genauso hell wie auch Kisaras Haut, genauso strahlend wie auch ihre Augen. Die Verbindung zwischen ihnen beiden war eine ganz besondere. Der Drache war immer ein Teil von ihr gewesen, hatte immer zu ihr gehört und doch hatte er ihr unglaublich viel Leid eingebracht. Die Macht, hinter der alle her waren, wie gerne hätte sie sie abgegeben, wenn dies eine Alternative gewesen wäre. Doch eben dieser Schritt hätte ihren Tod besiegelt, sie konnte nicht ohne die Kreatur leben, sie war ein Teil von ihr. Wenn man es genau betrachtete, war sie der Drache und der Drache war sie. Nichts konnte sie trennen.

Akim schnappte kurz nach Luft, als er ihre Absicht verstand. „Du willst den Drachen zu Seth schicken, nicht wahr?“ Er wollte es nicht, nicht jetzt. Seth würde die Sache nur komplizierter machen, würde niemandem helfen können. Er durfte es nicht zulassen, durfte nicht geschehen lassen, dass man ihm die Zeit nahm, die er für sich beanspruchte. Er musste handeln, musste Kisara von ihrem Vorhaben ablenken, solange es noch ging. Wieder schallten die Worte seiner Schwester in seinen Ohren.

„Wieso ist sie nicht mehr die selbe?“, fragte er, ohne noch länger zu zögern.

Kisara zog scharf die Luft ein, sah ihn entsetzt an. „Das geht dich nichts an!“, sagte sie energisch und ärgerlich zugleich. Der Drache flog noch immer hinter ihr. „Wenn du mir sagst, was ihr hier wollt, dann sag ich's dir“, zischte sie schließlich, den Blick jedoch ernst und nun wieder einigermaßen gefasst.

Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, weshalb meine Schwester hier ist“, gab er zu, und beschloss, dass es keinen Zweck hatte, sich nun etwas auszudenken. „Sie sagte mir, Mana wäre nicht mehr dieselbe, deswegen bin ich hier. Ich wollte mich vergewissern und herausfinden, was sie meinte.“

Ein abschätzender Blick traf ihn, doch er hielt ihr stand. „Du hast dich damals“ – sie stockte, als ihr klar wurde, dass es noch gar nicht lange her war – „gut mit ihr verstanden“, sagte sie, und es war keine Frage, sondern eine Feststellung, „Wart ihr Freunde?“ Sie sah ihn nicht an, senkte ihren Blick auf den Nebel, der sie in dieser Höhe hielt.

Die Frage verwirrte Akim, er wusste es selbst nicht genau. Die Zeit, die er im Palast verbracht hatte, war in seiner Erinnerung seltsam verschleiert, ganz und gar unscharf und ohne Fokus. Und doch war da irgendetwas. Etwas, das ihn mit ihr verbunden hatte. „Ich denke, das waren wir wohl“, stimmte er schließlich zu.

Das Mädchen atmete tief durch, nickte ernst. „Also gut“, sagte sie leise, „Dann werde ich es dir erzählen...“

Und so wurde Akim der Nächste, der Manas traurige Geschichte zu hören bekam. Der Nächste, der empört aufsah. Der Nächste, der es kaum glauben konnte. Und doch war es anders. Akim erstarrte, als er erfuhr, dass Seth Mana ihre Erinnerungen genommen hatte, er konnte es kaum glauben. Er hatte geglaubt, der Priester empfand genug für sie um sie zu beschützen, doch dass er ihr alles nehmen konnte... Das konnte selbst Akim nicht verstehen. Wieder blickte er zum Fenster.

Meira. Sie wusste es. Und trotzdem hatte sie ihm nichts gesagt. Wieso nicht? Was hatte sie dazu bewogen, ihm so etwas zu verschweigen?

Kisara hob ihren Arm, streckte ihn dem Drachen entgehen. „Deswegen soll ich Seth informieren, sobald etwas passiert“, sie verstummte, schickte den Drachen fort, noch ehe Akim sie ein weiteres Mal aufhalten konnte.

„Warum tut er das?“, fragte Akim, und blickte dem Drachen hinterher.

Und dann verstand er.

Der Drache.

Meira.

Kisara sah ihn betroffen an. „Damit sie keine Schmerzen mehr hat“, versuchte sie zu erklären, „Und damit es einfacher ist...“

Einfacher? Kannte sie überhaupt die Bedeutung dieses Wortes? Wusste sie, wie einfach es war? Jede Erinnerung verloren, die Gedanken leer und unstimmig. Einfach war unglaublich vieles, und doch wieder nichts. Einfach war alles, nur nicht das, was einem begegnete. Einfach war einfach nichts.

„Willst du hier nur zuschauen, oder wärst du so freundlich auch etwas gegen das da zu unternehmen?!“ Kisaras Stimme hatte ihre Kraft zurück gewonnen, ihren Zorn und ihre Macht. Ungeduldig zeigte sie auf den Nebel in Manas Gemach. „Oder lass mich wenigstes hinein!“ Untätig zuzusehen passte nicht zu ihr und es gefiel ihr auch nicht.

Akim sah sie eindringlich an, nickte dann. Er sah herüber zu Mana, Meira und Adalia und griff nach etwas von dem Nebel der ihn und Kisara trug. In seiner Hand nahm der gräuliche Schleier sofort eine leuchtende Farbe an und formte sich zu einer Kugel. Er zielte, er warf und traf.

Spiel

Die Kälte, die ihr entgegen schlug, war gigantisch, viel größer noch, als sie es erwartet hatte. Ein leichtes war es gewesen sich in den Palast zu schleichen und sich einzufügen.

Die Millenniumskette zeigte ihr alles, absolut alles, was sie wissen musste, immer genau in dem Augenblick, da sie diese Informationen auch benötigte. Es war wirklich faszinierend; die Kraft der Kette war soviel mehr als reine Zauberei. Es war, als wüsste die Kette genau, was sie ihrem Träger zu zeigen hatte, als würde sie denken und fühlen so wie alle Anderen, die anwesend waren.

Das Band, das Meira mit der Kette verband, war unglaublich wirkungsvoll, gab ihr die vollständige Kontrolle über den Gegenstand, obwohl sie gar nicht deren rechtmäßiger Besitzer war. Die Gabe zu Sehen war ihr nun schon häufig eine wertvolle Stütze gewesen, eine Hilfe, die sie auch zu nutzen wusste.

Meira lächelte. Herauszufinden, was Mana wollte, war eine Kleinigkeit gewesen. Das Mädchen, das sie beim letzten Mal mit unfairen Mitteln bekämpft hatte. Die Kleine hatte nur eine Chance gehabt, weil Akims Magie sie geschützt hatte, der Nebel, der nur ihnen gehörte und der Mana gerettet hatte. Wenn Akim nicht gewesen wäre, wären ihre Tage gezählt gewesen, bevor ihr Leben zur Qual wurde. Doch Meira wollte nicht soweit gehen, es ihm so zu sagen. Er würde es auf seine Weise herausfinden, würde erkennen, was es bedeutete. Er würde in den Spiegel schauen, und diese Gelegenheit würde sie ihm nicht nehmen.

Erst dann würde er wirklich verstehen. Und er musste verstehen. Es war so essentiell, dass er verstand, dass es der Rothaarigen fast wehtat, es ihm nicht einfach so sagen zu können.

Es würde sowieso geschehen. Sie selbst hatte anderes zu tun. Geschickt hatte Meira sich dem Jungen in den Weg gestellt, den die Priesterin beauftragt hatte. Etwas zu essen. Es war wirklich banal. Eine solche Kleinigkeit und doch so wichtig. Nun, sie hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie ließ den Jungen alles nötige zusammenstellen, ehe sie ihm mit einem Schnipsen ihrer Finger das Bewusstsein raubte. Das Gift im Nebel war schwach, jedoch effektiv. Es wirkte schnell, setzte ihn für mehrere Stunden außer Gefecht. Zeit genug, um ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Mit der Platte in den Händen verließ sie die Palastküche und lief damit direkt zu Manas Gemach. Sie wusste genau, wo sie hinmusste, unzählige Male schon hatte sie den Palast in ihren Träumen und Visionen gesehen.

Als Adalia ihr die Tür öffnete, war keine Sanftheit in deren Gesicht zu lesen. „Darf ich fragen, wer Ihr seid?“, fragte sie betont höflich und doch mit einer unterschwelligen Arroganz, die die Rothaarige beeindruckte und amüsierte. Meira hielt das Essen hoch, hielt es Adalia förmlich vor die Nase.

„Ich bin eine Küchengehilfin“, erklärte sie leise und gab sich alle Mühe leicht eingeschüchtert und unterwürfig zu wirken. Meira ging davon aus, dass die Autorität der Priesterin durchaus gefürchtet wurde bei ihren Untergebenen. „Ihr hattet doch nach etwas Essbarem gefragt?“, sie klang unsicher, „Ich bringe es Euch.“

Bei dem Wort ‚Essen‘ war Mana aufgesprungen. Meira bemerkte es sofort, Adalia ebenso. „Ich hatte jemand anderes damit beauftragt“, antwortete die Priesterin skeptisch, „Außerdem habe ich Euch hier noch nie gesehen.“

Sie zu überzeugen war ganz offensichtlich nicht so einfach wie erhofft, doch Meira liebte die Herausforderung und wenn sie ehrlich war, dann war es ihr mehr als Recht, dass Adalia es ihr nicht so einfach machte. Realität war viel aufregender als die Visionen der Kette, ganz egal wie schillernd sie auch sein mochten.

Schüchtern sah sie die Priesterin an. „Ich bin noch nicht lange hier“, versuchte sie zu erklären, ihre Stimme kleinlaut und schwach. „Der Junge, den Ihr beauftragt habt... Es ging ihm wohl nicht gut, deswegen hat er mich gebeten, die Aufgabe für ihn zu erfüllen.“

Sollte sie ihn ruhig später fragen, er würde zweifellos ihre Geschichte bestätigen. Alles, woran er sich würde erinnern können, war die Tatsache, dass er in der Küche zusammengebrochen war.

Mana hüpfte von einem Bein aufs andere, ungeduldig, hibbelig. Meira lächelte sie an. „Ist das Essen?“, fragte sie neugierig.

Die Rothaarige wollte sich zu ihr herunterbeugen, doch Adalia war schneller. Sie stellte sich ihr in den Weg und verhinderte Meiras Einmischen auf diese Weise. Für ein paar Sekunden nur drehte sie dem unwillkommenen Gast den Rücken zu und Meira juckte es gewaltig in den Fingern. Die Gelegenheit war viel zu günstig, als dass sie sie ungenutzt hätte verstreichen lassen wollen, doch dafür durfte sie ihre Tarnung nicht aufgeben – noch nicht.

„Warte noch einen Moment, ja?“, hörte Meira Adalia sagen, doch es war nicht der Ton, den sie auch an sie gerichtet hatte. Dem Mädchen gegenüber wirkte sie sanft, fast unschuldig und beständig. Ein Klang, der beruhigend war, ein Klang, der kaum reiner hätte sein können, ein engelsgleicher Ton. Meira schmunzelte unwillkürlich. Ihr gegenüber so freundlich zu sein hielt die Priesterin wohl nicht für angemessen. Als sie sich wieder erhob und ihren Blick aufs Neue auf Meira lenkte, war jede Sanftheit wie weggeblasen. Steinhart glänzten ihre Augen, voller Entschlossenheit und Stärke. Sie hatte keine Angst.

„Es wurde niemand eingestellt“, erklärte sie sachlich und schneidend, „Das hätte ich gewusst.“ Hatte sie etwa vor ihre Argumente zu entwaffnen? Meira war gespannt, wartete auf Adalias Reaktion, ehe sie zum Streich ausholte. „Außerdem ist Eure Haarfarbe ungewöhnlich. Wo kommt Ihr her?“

Viel überraschender war es doch, dass man sie nicht auf der Stelle erkannt hatte. Die Priesterin brüstete sich damit, dass der Hohepriester und Thronfolger Atemus ihr sein volles Vertrauen schenkte? Ganz offensichtlich vertraute er ihr nicht genug, sonst hätte er sie doch wohl auf die lauernden Gefahren hingewiesen? Meira hatte alle Mühe sich ein verräterisches Lächeln zu verkneifen. Die Kette hatte ihr genau dies vorausgesagt.

Sie trat einige Schritte zurück, blickte schüchtern zu ihr. „Aber... Ihr müsst mir glauben“, versuchte sie es ein weiteres Mal, „Der Pharao hat mich letztens eingestellt.“

Doch dieser Versuch hatte nicht die gewünschte Wirkung. Adalia stellte sich vor Mana, den Blick verhärtet. Sie schüttelte den Kopf. „Was wollt Ihr hier?“, verlangte sie zu wissen und Meira war sich nicht sicher, wie weit sie sie noch reizen durfte. Sie lächelte innerlich. Sie würde es bald herausfinden.
 

Der Puls schlug so stark, dass Adalia das Blut in ihren Adern förmlich spüren konnte. Sie musste sich jetzt zusammenreißen, durfte nicht unüberlegt handeln, wenn sie Mana nicht verschrecken wollte. Die Rothaarige war im Grunde kein Problem, doch kam sie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Manas Vertrauen hatte Priorität, ihr Angst zu machen durfte sie auf gar keinen Fall riskieren. Es gab keine mögliche Art der Wiedergutmachung für einen solchen Fehler. Mana zupfte an Adalias Gewand, ungeduldig. Sie hatte keine Ahnung, was hier gerade passierte und war verunsichert. Das war verständlich.

„Was ist denn nun mit dem Essen?“, frage sie und lächelte schüchtern. Adalia seufzte unmerklich. Es musste einen eigenartigen Eindruck auf Mana machen. Erst sollte sie auf das Essen warten, dann war das Essen da und sie durfte trotzdem nicht erfahren, was es damit auf sich hatte. Es war wirklich zum Verrücktwerden. Wieso tauchte die Fremde bloß ausgerechnet jetzt auf?

Der Pharao hatte sie eingestellt? Die Priesterin schnaubte innerlich vor Wut. Der Pharao befasste sich nicht mit einer solchen Lappalie, war nicht für die Diener der Küche zuständig.

Schnell blickte Adalia wieder zu Mana. „Tust du mir einen Gefallen?“, bat sie leise, ohne dabei die Fremde aus den Augen zu lassen, „Setzt du dich bitte auf dein Bett? Das Essen kommt gleich.“

Sehr zu Adalias Erleichterung und zum Missvergnügen von Meira gehorchte Mana ihr sofort, wenn auch mit äußerst interessierten Blicken, die nicht schwächer sondern eher noch bohrender wurden.

Adalia drehte sich um, trat auf Meira zu und sah sie sauer an. „Ich verlange zu erfahren, wer Ihr seid!“, sagte sie gebieterisch, „Und das sofort!“ Die Strenge war nicht zu überhören. Es machte sie wütend, es machte sie zornig. Sie war nicht bereit hinzunehmen, dass sich jemand ihr in den Weg stellte und dafür sorgen wollte, dass sie ihre Aufgabe nicht zu Seths vollster Zufriedenheit würde erfüllen zu können. Ihre Stimme wurde leiser, jedoch auch schärfer, bis nur noch ein Zischen zu vernehmen war. „Ich würde ungern jetzt andere Seiten aufziehen“, drohte sie leise und bedacht.

Mana durfte keine Angst bekommen, deswegen war es erforderlich, dass die Rothaarige sofort das Zimmer verließ.

Doch wie sollte sie dafür sorgen, ohne dass es auffällig wäre? Es war eine Zwickmühle. Adalia war alles andere als erfreut darüber und äußerst gereizt.

Auch die Antwort, die sie darauf bekam, trug nicht dazu bei, dass sie sich beruhigte.

„Das sagte ich doch bereits...“, erklang die schüchterne Stimme, ohne mehr preiszugeben.

Die Brünette war nicht zufrieden. „Ich wünsche, dass Ihr nun geht!“, befahl sie, „Ihr habt hier nichts zu suchen.“ Und da sie trotzdem keine Anstalten machte, sich zu bewegen, fügte Adalia noch hinzu: „Entweder ihr geht freiwillig, oder ich hole die Wachen!“ Wieder war ihre Stimme nur ein Zischen, wieder war zweifellos klar, dass sie nicht zu Scherzen aufgelegt war. Dieses Spiel lief schon viel zu lange. Vielleicht hatte die Fremde bisher die Fäden in der Hand gehabt, aber sie, Adalia, würde es hier beenden.

Der ungewünschte Gast schüttelte den Kopf. „Aber Ihr habt noch nichts von dem Essen genommen...“, sagte sie wieder, blickte vorsichtig auf.

„Ich warne Euch nur ein einziges Mal“, brummte Adalia ungehalten. Es gefiel ihr nicht, ruhig bleiben zu müssen, es gefiel ihr nicht, auf das Spiel eingehen zu müssen, doch für den Moment hatte sie keine Wahl.

Nun schien sich zum allerersten Mal Widerstand in der Rothaarigen zu regen. „Wollt Ihr mir drohen?“, giftete sie zurück, wohlwissend, dass sie die Priesterin bis aufs Äußerste provozierte.

Es war wie ein Geständnis. Adalia hatte gewusst, dass es so war und doch machte es sie fassungslos, wie leicht sie Zugang zu den inneren Gemächern des Palastes bekommen hatte. „Wer bist du? Was willst du?“, sie funkelte sie böse an, „Deine Antworten sollten mich besser überzeugen...“

Die Drohung war ernst gemeint, doch Adalia zweifelte daran, dass die Unbekannte davon beeindruckt war. Sie selbst wäre es nicht gewesen.

Erst Manas schwache Stimme ließ sie ihre Wut für einen Augenblick vergessen. „Adalia?“, fragte das Mädchen leise und die Angesprochene kam nicht darum herum das Zittern in ihrem Klang wahrzunehmen.

Verdammt!

Als Adalia das nächste Mal das Wort ergriff, klang sie plötzlich wieder freundlich und lieb. Mana starrte sie erschrocken an. Sie wusste mit der Situation nichts anzufangen und die Schwankungen in der Stimmung verunsicherte sie massiv. Leicht lächelnd schüttelte sie den Kopf und Adalia wusste, dass sie sie verschreckt hatte. Sie beugte sich zu ihr herunter und strich ihr mit der Hand sanft über die Wange. „Du musst dir keine Sorgen machen, ja?“, sagte sie lieb und sah ihr direkt in die Augen.

Das Mädchen nickte langsam. Offensichtlich vertraute sie ihr genug um sich so schnell beruhigen zu lassen. Vielleicht jedoch stellte die frostige Stimmung zwischen der Priestern und der Rothaarigen eine Art Herausforderung für sie dar. Sie sah Adalia kurz an, lief dann um sie herum und blieb zwischen ihr und der Anderen stehen. Strahlend blickte sie die beiden an und es war vollkommen klar, was sie wollte. Wäre das Ganze nicht so gefährlich gewesen für Mana, hätte Adalia es wohl mit einem Schmunzeln bedacht. So jedoch war ihr alles andere als zum Schmunzeln zumute. Schützend legte sie ihren Arm um Manas Schulter, bereit sich jederzeit wieder zwischen sie und Meira zu bringen. Sie wollte sie nicht unbedacht in Gefahr bringen.

„Ich wünsche, dass Ihr geht“, sagte sie schlicht zu der Fremden, ohne ein Lächeln, jedoch nicht ganz so abweisend im Klang ihrer Stimme. Ihre Körperhaltung war allerdings eindeutig. Sie war angespannt bis auf den letzten Muskel, war bereit, jederzeit die Krallen auszufahren wie eine Katze, bereit zum Sprung.

Die Fremde schien nicht auf sie zu achten. Sofort nutzte sie ihre Chance und hielt nun Mana die Essensplatte hin, die die Bedrohung nicht sah, die Adalia so tief in sich spürte.

„Ist das Essen?“, wiederholte Mana ihre Frage interessiert, wissbegierig.

Die Rothaarige nickte, lächelte sie an. „Ja, das ist Essen“, bestätigte sie, Adalia noch immer ignorierend, „Das sind Brote, Früchte...“, Sie zählte alles auf, was auf der Platte zu finden war, oder zumindest wollte sie es aufzählen, doch Adalia unterbrach sie.

„Mana!“, rief sie leicht empört und auch lauter als beabsichtigt; wie sollte sie sie denn so beschützen? Sie durfte der Fremden nicht einfach so vertrauen. Schnell hielt sie sie davon ab, etwas von der Platte zu nehmen, doch natürlich war das, was sie hatte vermeiden wollen, schon eingetreten.

Mana sah sie erschrocken und mit großen, von Tränen glänzenden Augen an. Sie konnte nicht wissen, was sie falsch gemacht hatte, konnte nicht ahnen, wie nah sie möglicherweise an einer Vergiftung war.

Alles, was sie verstehen konnte, war, dass Adalia sauer war und es war überhaupt nicht abwegig, dass sie es auf sich bezog.

Adalia seufzte, hockte sich besänftigend vor Mana. Von dort aus warf sie dem Eindringling einen wütenden Blick zu. „Ich wiederhole mich ungern“, zischte sie kurzangebunden.

„Das wirst du nicht tun müssen“, gab die Beschuldigte zurück und lichtete den Schleier der Unsicherheit, hinter dem sie sich zu verstecken versucht hatte. Mit einem Mal schien sie ganz und gar nicht mehr hilflos zu sein und Adalia wusste, die Zeit der Maskerade war vorbei.

„Und?“, fragte die Rothaarige, „Was ist das für ein Gefühl? Sie zu enttäuschen? Zu wissen, dass du ihn enttäuschen wirst?“ Die Herausforderung hätte offensichtlicher nicht sein können. Provokant und offensiv wollte die Fremde sie dazu bringen, Mana noch mehr zu verschrecken.

Doch Adalia dachte nicht daran, darauf einzugehen und an ihren Fäden zu tanzen. Sie hatte geschworen, Mana zu beschützen und genau das würde sie auch tun. Sie hatte genau gewusst, dass etwas nicht stimmte seit dem Moment, da sie sie gesehen hatte.

„Sag schon“, befahl sie, ohne auf die gestellten Fragen zu antworten, „Wer bist du? Was willst du?“ Sie war bereit.

Kurzentschlossen griff sie zwischen die Schichten ihres Gewandes, holte einen feinen Staub hervor und verteilte ihn geschickt vor Manas Gesicht, ohne dass diese merkte, was geschah.

‚Es tut mir Leid‘, dachte sie bedauernd und fing die das Bewusstsein verlierende Mana sanft auf und legte sie in ihr Bett. ‚Aber das ist nichts für dich.‘

Fremd

„Du bist ganz schön hart...“ Der Vorwurf war echt und doch spürte Adalia, dass Meira sich köstlich amüsierte. „Sie kann doch nun wirklich nichts dafür. Und sie hat doch schon so vieles mitmachen müssen.“ Sie genoss es, die Andere mit den Worten zu quälen, die die Wahrheit sprachen, genoss es sie zu provozieren und genoss es ihre Reaktionen zu beobachten.

Adalia sprühte vor Wut. „Du weißt es?“, fauchte sie, die Augen zu Schlitzen verengt. Doch dann beschloss sie, dass es ihr egal war, sollte sie es doch wissen. „Wie auch immer, du hast hier nichts zu suchen.“

Adalia zögerte nicht länger. Nun, da Mana sie nicht mehr beobachten konnte, war es mit der Selbstbeherrschung vorbei. Blitzschnell drehte sie sich um, konzentrierte sich kurz und griff die Rothaarige mit einem Zauber an, den sie seit Jahren beherrschte.

Gekonnt wich Meira aus. Sie war überrascht, aber nicht überfordert. Lautstark lachte sie auf. „Was habe ich dir getan? Warum bist du gleich so aufbrausend?“ Die Priesterin war eine weitaus interessantere Gegnerin als Mana, sie war in der Lage sich selbst zu verteidigen und sie war durchaus leicht zu reizen. Meira ließ den Nebel um sich herum aufziehen. „Ich habe mit der Kleinen noch eine Rechnung offen!“ , gab sie zu, als würde diese Aussage ihre Anwesenheit in Adalias Augen rechtfertigen.

Kalt trat die Priesterin durch den Nebel, vollkommen unbeeindruckt. „Sie hat jetzt keine Zeit zum spielen“, bestimmte sie und griff ein weiteres Mal an, dieses Mal war sie erfolgreich. Das Nebelkind wurde nach hinten geschleudert, ließ sich aber von ihrem Nebel abfangen. Ihr Lachen war nicht erloschen.

„Nur weil ihr ihr Gedächtnis gelöscht habt, heißt das nicht, dass auch ich vergesse“, erklärte sie lächelnd. Adalia war inzwischen vollständig vom Nebel umgeben und eigentlich hätte sie es merken müssen, doch es störte sie nicht. Meira wusste nicht, weshalb der Nebel sie nicht traf, doch im Grunde war es ihr egal.

Adalia wusste sehr wohl, weshalb sie geschützt war, inzwischen wusste sie, um wen es sich bei ihrer Gegnerin handelte. Es konnte nur eine sein, der Nebel erklärte alles. Sicherheitshalber hatte sie einen Bann um ihren Körper gelegt, sodass der Nebel nicht an ihre Haut kam. Sie war sich sicher, dass die Berührung des Nebels nicht das war, was man gesundheitsfördernd nannte, Meiras Blick bewies es eindeutig. „Was willst du erreichen?“, fragte sie, „Willst du Zeit schinden?“

„Was glaubst du denn?“, fragte Meira schneidend und schritt behände durch den Nebel. Doch die Priesterin stellte sich ihr in den Weg.

„Du wirst sie nicht bekommen“, zischte sie und sie war sich absolut sicher, dass sie sich nicht täuschte. Sie zweifelte keine Sekunde lang daran, dass sie Meira würde besiegen können. Es hatten schon einige versucht sich mit ihr zu messen, bisher war jeder gescheitert. Hochmut kam vor dem Fall, dass wusste auch Adalia. Doch sie war sich ihrer Macht durchaus bewusst, wusste die Gefahren für gewöhnlich verhältnismäßig gut einzuschätzen. Deswegen war sie die Beste, deswegen hatte der Hohepriester ausgerechnet sie erwählt.

„Und wer sollte mich davon abhalten?“, sie schüttelte den Kopf. „Du etwa?“ Völlig unbeeindruckt schritt Meira auf sie zu. „Das glaube ich nicht.“

Klang sie gelangweilt?

Unabhängig davon, ob sie es war oder nicht, lenkte sie den Nebel weiter. Da sie Adalia nicht erreichen konnte, richtete sie ihre Magie nun auf Mana, doch wieder war die Priesterin schneller.

Sofort lenkte diese die Kraft ab, genau das war es, was sie erwartet hatte. Mana war das Ziel, nicht sie. Dass sie sich überhaupt so lange auf sie konzentriert hatte, war überraschend genug. Sie hatte es selbst gesagt. Sie hatte noch eine Rechnung offen mit Mana, also gab es für Meira eigentlich überhaupt keine andere Rechtfertigung sich gegen Adalia zu wenden, abgesehen von der Tatsache, dass sie Mana schützte.

Adalia war die Nebelmagie nicht unbekannt. sie wusste nicht, woher diese Kraft kam, doch sie kannte ihre Macht. Selbstverständlich hatte sie sich in ihrer Ausbildung damit befasst, Seth hatte einen großen Wert darauf gelegt, dass sie die Magie kannte und jetzt wusste sie auch, wieso. „Das hättest du wohl gern“, warf sie Meira vor, nun ihrerseits provokant.

Dann geschahen zwei Dinge, die Adalia überraschte und die sie aus dem Konzept warfen. Manas schwache Stimme drang durch den Nebel, sie rief nach ihr. Die Priesterin blieb wie versteinert stehen. Sie hätte noch länger schlafen müssen, sie hätte all das nicht sehen dürfen. Im selben Moment flog eine leuchtende Kugel zum Fenster herein und zerstreute die Nebelwolken.
 

Dumpf und fast unbemerkbar erklangen die Töne, entfernt, wie aus einer anderen Welt, wie ein Traum, der langsam verblasste und noch nachhallte. Doch es wurde nicht weniger, im Gegenteil, die Eindrücke verstärkten sich je länger sie versuchte zuzuhören, versuchte etwas zu verstehen.

Fremd.

Alles erschien unbekannt und farblos. Sie wusste nicht, was um sie herum geschah, verstand nicht, dass sie all das nicht begreifen konnte. War wieder alles so wie vorher? War wieder alles weg? Es war so dunkel. Mana hatte Angst. Sie konnte es sich nicht eingestehen, doch was sie fühlte, beunruhigte sie aufs äußerste. All die Bilder, die sie mit Adalias Hilfe aufgebaut hatte – wo war all das geblieben? War alles verloren? Sie fühlte sich eingeschränkt und beengt. Fühlte sich gefangen in einer Welt voller Schatten.

Langsam wurden die Stimmen klarer. Sie kannte sie und doch erkannte sie sie nicht. Der liebliche Klang, der in ihrem Kopf erklang, wenn sie an die Stimme dachte, stand in eindeutigem Gegensatz zu dem Klang, den sie jetzt hörte. Es war, als versuchte man zwei ganz unterschiedliche Töne zu vereinen und als wollte man versuchen eine einzige harmonische Stimme zu erhalten, die letzten Endes das große Ganze darstellte.

Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, doch es gelang ihr nicht. Langsam floss das Leben zurück in ihren Körper und ihre Gedanken wurden wieder klarer, doch sie konnte sich nicht rühren. Sie war zum Zuhören verdammt, doch was sie hörte, war nichts als Hass. Es machte ihr Angst. Sie wollte weglaufen, doch es ging nicht. Sie konnte sich nicht bewegen, ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Ihr Atem ging schneller, fast stoßartig. Ihr Herz schlug so laut, dass man es bis nach draußen hätte hören können, doch niemand achtete darauf. Die Panik schärfte ihre müden Sinne, alles in ihr schrie danach wegzulaufen, doch es ging nicht. Sie konnte sich nicht rühren. Und dann erkannte sie die Stimme.

„Adalia...“, brachte sie mit aller Kraft hervor, und es strengte sie so sehr an, dass sie glaubte, nie wieder ein einziges Wort sprechen zu können. Ihr Körper war wie erstarrt. Schließlich gelang es ihr, die Augen zu öffnen, doch was sie sah, ergab ebenfalls kein klares Bild. Alles war verschwommen, wie durch einen dichten Schleier. Ein Schleier aus Nebel.

Sie war verwirrt. Sie wollte fliehen, doch gleichzeitig regte sich in ihr der Wunsch es zu verstehen, der Wunsch zu wissen, was passierte.

Plötzlich flog direkt über ihrem Kopf etwas vorbei, dass sie ihre Augen zusammenkneifen ließ.
 

Meira war die Einzige, die nicht erschrak. Die Kugel raste direkt auf ihr Gesicht zu, doch sie fürchtete sie nicht. Dies war kein Angriff. Sie kannte die Nebelmagie ihres Bruders viel zu gut, als dass sie sich hätte täuschen lassen können.

Sie ließ von Mana ab und fing die Kugel mit einer geübten Handbewegung auf. Hätte sie nicht gewusst, dass diese Kugel ausschließlich aus Nebel bestand, hätte sie sie für etwas anderes gehalten. Wie aus reinem, durchsichtigem Kristall glänzte sie, wirkte zerbrechlich und doch massiv zugleich. Akim wusste genau, was er tat. Die Jahre des Sklavenstandes hier am Hof des Pharaos hatte seiner Geschicklichkeit keinen Abbruch getan.

Meira hielt die Kugel in beiden Händen und sah hinein. Sofort begann sich im Inneren ein blauer Schleier zu bilden, ein Schleier, der sich nach einigen Sekunden in einen kleinen Drachen verwandelte. Dann löste sich der Dreck wieder auf und wurde durch ein schleierhaftes Abbild von Seth ersetzt.

Die Rothaarige verstand. Sie grinste und trat ganz dicht an die Priesterhin heran. „Mit dir bin ich noch nicht fertig“, hauchte sie ihr versprechend ins Ohr und ließ sie dadurch erschaudern. Dann verschwand sie im Nebel und der Nebel mit ihr.
 

Erst jetzt erkannte Adalia, was geschehen sein musste. Nun, da die Sicht wieder klar war und der Nebel ihr Augenlicht nicht mehr trübte, erkannte sie, wer für all das verantwortlich war. Die zwei Gestalten, die draußen vor dem Fenster im Nebel hockten, waren schon äußerst bizarr. Er grinste schief und schien durchaus mit sich zufrieden zu sein; sie blickte missbilligend und verärgert neben ihm drein. Was hatte das nur zu bedeuten?

Doch bevor Adalia der Frage nachgehen konnte, hatte sie eine andere Verpflichtung. So schnell ihre Füße sie trugen, lief sie auf Mana zu, setzte sich zu ihr ans Bett, hob die Starre auf, die sie über ihren Körper gelegt hatte und schloss das verwirrte Mädchen in die Arme.

Diese drückte sich sofort an sie, erleichtert, dass die Starre durchbrochen war, ungeachtet dessen, dass eine solche krampfhafte Umklammerung alles andere als gut für ihre angeschlagenen Knochen war.

„Ich bin bei dir...“, flüsterte die Priesterin beruhigend und strich ihr übers Haar.

„Was war das?“, fragte Mana leicht schluchzend, „Ich versteh das nicht...“

„Du musst keine Angst haben“, sprach Adalia sanft wie bei einer Beschwörungsformel, „Es passiert dir nichts.“ Und dann begann sie mit schnellen Worten zu erzählen. „Das, was du gesehen hast, war Nebel. Und die Frau, die hier war, die mit dem Essen, das ist eine böse Frau“ – ja, doch. Manchmal war es einfacher, die Welt in gut und böse zu unterteilen – „Und sie hat dafür gesorgt, dass du dich nicht bewegen konntest.“

Das stimmte zwar nicht so ganz, doch es war die beste Erklärung, die Adalia ihr geben konnte, ohne selbst in Erklärungsnot zu kommen.

Kisara sprang geschickt aus dem Nebel heraus und kletterte durch das Fenster hindurch in das Zimmer. „Ist hier alles in Ordnung?“, fragte sie alarmiert und starrte Adalia an. Akim folgte ihr.

„Uns geht es gut“, antwortete die Priesterin, „Aber was machst du hier?“ An und für sich erschien es ihr unhöflich so zu fragen, doch in Anbetracht der Tatsache, dass die Weißhaarige durch das Fenster eingestiegen war, kümmerte sie sich nicht weiter darum. Sie wusste nicht so genau, was sie von ihr halten sollte. Natürlich kannte sie Kisara, das Mädchen, dass Seth aus der Gosse geholt hatte – weshalb auch immer. Um an die Macht zu kommen, die sie in ihrem Körper verschlossen hielt, hätte er sie einfach töten lassen können, oder er hätte es selbst tun können. Sie wusste nicht, weshalb er so große Skrupel gehabt hatte. Das war nicht die Seite von Seth, die sie an ihm kannte.

Mana in ihren Armen rührte sich und erregte so ihre Aufmerksamkeit. Sie hob ihren Kopf und sah die Priesterin prüfend an, ganz so, als würde sie um Erlaubnis fragen wollen. Dann bildete sich ein schwaches und interessiertes Lächeln auf ihrem Gesicht. Adalia erlöste sie aus ihrem Griff und ließ sie aufstehen. Gerade jetzt durfte sie sie nicht festhalten, sie nicht in ihrer Freiheit einschränken, sollte sie tatsächlich glauben, dass es die Rothaarige gewesen war, die sie bewegungslos gemacht hatte. Die Rolle, die Adalia zu spielen hatte, war äußerst komplex, doch sie wusste genau, was sie tat.

Mana lief leicht hüpfend auf Akim und Kisara zu, ohne Misstrauen, ohne Angst, voller Interesse – unter den wachsamen Augen von Adalia. Sie blickte in die eisblauen Augen der jungen Frau, die ihr am nächsten war. „Und wer bist du?“, fragte sie kichernd, und fügte dann an Akim gewandt noch ein „Und du?“ hinzu.

Kisara, die zunächst auf Adalias Frage hin erklärte, dass Seth sie gebeten hatte, ebenfalls auf Mana zu achten, beugte sich leicht irritiert zu Mana. Es war ihr bewusst gewesen, dass diese sich verändert haben musste, doch es war dennoch befremdlich. War da überhaupt noch etwas von der Mana übrig, die sie zu kennen geglaubt hatte? All die Enttäuschung und die Abneigung gegen sie, war dieses Mädchen überhaupt noch das richtige Ziel dafür? Kisara biss sich leicht auf die Lippe.

Sie lächelte sie freundlich an. „Ich bin eine Freundin von Seth“, sagte sie schließlich sanft, „Mein Name ist Kisara.“ Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich ihr so vorzustellen und sie kam sich albern vor. Und doch zwang sie sich dazu, diese Mana konnte nicht wissen, wer sie war, es sei denn, die Priesterin hätte ihr von ihr erzählt. Kisara bezweifelte, dass sie es getan hatte.

Der Zauber selbst, den Seth verwendet haben musste, war ihr selbstverständlich nicht unbekannt. Schon einmal hatte sie ein solches Kind gesehen wie Mana eines war, mehr als sechs Jahre war dies nun her und dieses andere Kind stand nun neben ihr. Doch war es anders, zumindest für die Drachenwächterin. Mana hatte sie vor der Verfluchung zu einem leeren Leben gekannt, Akim nicht. Dieser Unterschied war gravierend. Sie durfte das Mädchen nicht einfach weiterhin so behandeln, wie sie es gewohnt war, und sie konnte auch keine Erwartungen in sie setzen. Sie wusste nicht, wie diese neue Mana reagieren würde und sie selbst hätte es vermutlich auch nicht gewusst. Es war einfach alles anders. Es war einfach alles fremd.

Kalkulation

Adalia zuckte hinter Mana leicht grummelnd zusammen. Wieso wusste sie nichts davon, dass Seth noch jemanden damit beauftragt hatte Mana zu schützen? Es wäre bedeutend sinnvoller, wenn sie wüsste, auf wessen Hilfe sie würde bauen können ohne lästige Fragen aufwerfen zu müssen, wenn Seth schon mehreren die Aufgabe gegeben hatte – völlig überflüssiger Weise, wie sie fand.

Sie war sehr wohl in der Lage allein auf Mana aufzupassen; war sehr wohl der Verantwortung gewachsen. Traute er ihr doch nicht so viel zu, wie sie geglaubt hatte? Es war zum Verrückt werden. Immer wieder tauchten diese Zweifel auf, immer wieder im falschen Moment. Die Brünette richtete sich auf und streckte ihre Wirbelsäule durch. Unnötig. Sowohl war es unnötig, ihr Unterstützung mit auf den Weg zu geben, als auch diese Selbstzweifel. Sie war die Beste und Seth wusste es. Er selbst hatte sie auserwählt, er kannte ihre Qualitäten und auch sie kannte sie. Sie wurde schon damit fertig, sie war all dem gewachsen. Es war schließlich durchaus verständlich, dass Seth soviel es ging gesichert wissen wollte für Mana, wenn man es einmal bedachte. Adalia biss sich auf die Lippe. Dies war nicht, was sie wollte.

Kisara stand vor Mana, gebeugt und lächelnd. Es war nur allzu deutlich, dass sie verunsichert war, nicht wusste, wie sie ihr gegenüber eingestellt sein sollte. Die Priesterin konnte es ihr nicht verübeln. Doch dies alles war nicht Manas Fehler gewesen, und deswegen sollte sie auch nicht diejenige sein, die dafür zu zahlen hatte. Sie trat dichter an die Weißhaarige heran, wartete darauf, dass diese sich zu ihr umdrehte.

„Hast du ihm Bescheid gegeben?“, fragte sie, und Kisara wusste genau, was sie meinte. Sie konnte nur eines meinen. Der Drache hatte Seth informiert, hatte ihn alarmiert. Die Frau nickte ohne weiter auf sie einzugehen. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Adalia war es nur Recht. Es gab im Augenblick dringlicheres. Sie richtete ihren Blick auf Akim. Es war nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen. „Dann kam die Nebelkugel von dir?“, fragte sie, und es klang bei weitem nicht so nachsichtig wie bei Kisara. Dieses Mal bestand sie auf die Antwort, eine Antwort, die ihr genügen musste, wollte Akim ohne weiteres davon kommen. Die Nebelmagie. Sie barg eine gefährliche Macht, soviel war sicher. Doch wie sie eingesetzt wurde, hing von denjenigen ab, die sie zu kontrollieren wussten. Was wusste sie über die Personen, die diese Magie besaßen? Im Grunde war ihr Wissen in diesem Punkt ziemlich beschränkt und das gefiel ihr gar nicht. Es war eine unbekannte Größe, von der sie nicht wusste, wie stark sie sie würde mit einrechnen müssen, eine Größe, die ins Gewicht fiel und die sie nicht richtig kalkulieren konnte. Eine Gefahr.

Der Junge sah sie an, nickte kurz. „Ja, war sie“, antwortete er knapp, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Mana. In seinen Augen war Fassungslosigkeit zu lesen, das war nur allzu deutlich. „Ich bin Akim“, stellte er sich ihr vor. Mana lächelte. Sie blickte freudig zwischen Kisara und ihm hin und her.

„Freunde von Seth?“, fragte sie nach und Adalia konnte sehen, dass es ihr gefiel an Seth zu denken und dass sie 'Freunde von Seth' wohl als gut einschätzte. Sie selbst dagegen war sich nicht so sicher. Kisara konnte sie wohl trauen, sie war tatsächlich aufs Seths Bitten hier, doch was war mit Akim? Dass der Hohepriester ihn darum gebeten haben sollte ein Auge auf Mana zu werfen, war einfach nur lachhaft.

Mana grinste, trat dichter an Akim heran und blickte ihm forschend ins Gesicht. „Bist du auch ein Freund von Seth? Du bist aber nicht böse, oder?“ Sie plapperte kichernd drauf los, sie hatte ihre eigene Antwort schon gefunden.

Adalia schüttete unmerklich den Kopf. Sie stellte sich wieder hinter Mana, legte ihr eine Hand auf ihre Schulter. Sie durfte nicht so blind vertrauen. Die Priesterin traute ihm nicht. „Was wolltest du hier?“, fragte sie streng, doch die Strenge lag nicht in ihrer Stimme, sondern in ihrer Mimik. Auf diese Weise konnte Mana es nicht merken und sie wollte sie nicht schon wieder beunruhigen. Kaum war das eine Nebelkind weg, wurde es durch ein anderes ersetzt.

Der Junge lächelte Mana schüchtern an, wie sie ihm so nahe kam, schüchtern und ohne ihr zu antworten. Er kannte dieses Verhalten viel zu gut, es war wie ein Spiegel, den man ihm vorhielt. Es war so ungewohnt, es war so falsch. „Ich“, begann er, als er Adalias Blick auf sich spürte, schien aber zu zögern. „Ich wollte etwas erfahren“, antwortete er und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er etwas zurückhalten wollte. Vorsichtig und fragend lenkte er seinen Blick auf Kisara.

Adalia war nicht beeindruckt. Was verschwieg er? Wieso sagte er ihr nicht die Wahrheit? Und was erhoffte er sich von der Drachenhüterin, dass er sie die ganze Zeit über immer wieder verstohlen ansah?

„Was denn?“, unterbrach Mana ihre Gedankengänge und lächelte. Sie lehnte sich leicht gegen Adalia. Natürlich hörte sie zu, wie konnte es anders sein? Sie war so interessiert an allem und nun, da sie weitere Personen kennenlernen durfte, ganz aufgeregt.

Kisara stellte sich an Adalias Seite. So standen sie zu dritt ihm gegenüber, und alle warteten auf seine Antwort. Nur Mana lächelte. Er schüttelte den Kopf. Sein Blick war auf die Jüngste fixiert, er wog seine Worte genau ab. „Ich wollte nur wissen, wie es Mana geht“, sagte er schließlich und schenkte Kisara einen finsteren Blick. Sie wusste ganz genau, was er wollte, wieso schritt sie nicht ein? Sollte er in Manas Gegenwart etwa alles preisgeben? So sehr er Seth für seinen Zauber verachtete, er wollte nicht derjenige sein, der Mana diese Erinnerungen zurückgab.

Das Mädchen strahlte ihn an. „Wie es mir geht?“, wiederholte sie begeistert, trat einen Schritt vor und befreite sich so aus Adalias Griff. „Danke!“, jubelte sie und warf sich ihm in die Arme. Sie freute sich darüber. Doch die Priesterin ließ sich nicht so einfach überzeugen. All das gefiel ihr überhaupt nicht.

„Wieso dann die Nebelkugel?“, fragte sie schneidend und musterte sein ausdrucksloses Gesicht. Was immer er auch dachte, er konnte es gut verbergen, das musste sie zugeben.

„Wofür bedankst du dich?“, fragte Akim das Mädchen, er hatte sicher nicht mit ihrer Reaktion gerechnet.

Die Priesterin starrte ihn an. „Ich habe dich etwas gefragt“, beharrte sie streng. Er würde ihr nicht so einfach die Antwort schuldig bleiben. Kisara neben ihr setzte sich auf den Boden. Sie wirkte abwesend und hochkonzentriert und als Adalia erkannte, dass ihre Augen in eisigem Blau strahlten, kannte sie den Grund. Offenbar stand sie in direktem Kontakt zu ihrem Drachen und damit auch zu Hohepriester Seth.

Mana ließ Akim wieder los und lief im Zimmer herum und auf den Gang. Sie war ganz offensichtlich in Hochstimmung und das beruhigte die Priesterin in keinster Weise. Als Mana das Zimmer verlassen hatte, drehte auch sie sich zur Tür um. „Mana?“, rief sie freundlich und doch mit Nachdruck, sie hatte keine Schwierigkeiten damit, ihre Ungeduld zu verbergen, wohl aber hatte sie Schwierigkeiten damit, es zu wollen, dass sie nicht ungeduldig klang. „Kommst du bitte wieder herein?“ Adalia ließ Akim nicht aus den Augen. Sie traute ihm zu, dass er verschwand, doch sie wollte ihn nicht gehen lassen, bevor er nicht auf ihre Fragen geantwortet hatte.

Genervt verdrehte dieser die Augen. Für ihn musste alles klar sein, dachte die Priesterin, all das Theater, das sie Mana vorspielte, die andere Seite, die Adalia vor ihr verborgen hielt. „Na ja“, antwortete er ausweichend, „Meira sollte doch verschwinden, oder?“ Es klang einleuchtend und das war vermutlich auch genau das, was Akim gewollt hatte. Er hatte seine Schwester nicht vertreiben wollen, er hatte sie gewarnt, hatte sie aus dem Schlamassel gezogen, bevor sie darin versinken konnte. Und wieso? Um ihr zu helfen? Was wollte er von Mana?

„Muss ich?“, erklang deren Stimme aus dem Gang, „Das ist so toll hier!“ Ein leichtes Husten erklang, doch Mana ließ sich nicht aufhalten. Sie wollte alles sehen, wollte die ganze Welt erkunden und das am liebsten auf der Stelle.

Adalia lief ihr hinterher. „Mana!“, rief sie nun lauter. „Ja, das muss sein!“ Sie war wesentlich schneller als das Mädchen, das sich aufgrund seiner lädierten Knochen kaum ordentlich bewegen konnte. Es dauerte nicht lange und sie hatte sie eingeholt. Die Hände in die Hüften gestemmt, stellte sie sich vor sie. „Du hast mir doch etwas versprochen, weißt du noch?“, fragte sie ein wenig strenger als bisher. Mana durfte nicht weglaufen, nicht jetzt, da sie nicht wusste, wie groß die Gefahr wirklich war, in der sie schwebte.

Betreten ließ das Mädchen den Kopf hängen, „Ja, ich weiß...“, beteuerte sie leise, wusste aber gleichzeitig nicht, was sie eigentlich so falsch machte. Langsam aber sicher taperte sie zurück ins Zimmer, direkt auf Akim zu. Auch davon war Adalia nicht begeistert, doch sie wollte Mana nicht noch weiter einsperren und sie wollte auch nicht ihr Vertrauen riskieren. Es stand eh schon genug auf der Kippe, wie sie befand.

„Darfst du auch nicht raus?“, fragte Mana neugierig an Akim gewandt und ließ Adalia dadurch schmunzeln. Wenn man es nett ausdrücken wollte, war dies wohl genau das, was sie im Moment mit dem Jungen vor hatte.

Sie antwortete für ihn. „Nein, er darf im Moment auch nicht raus“, sagte sie, und hoffte inständig, dass er für Mana auf Protest verzichtete. Dachte er so weit? Sie musste darauf vertrauen.

Und es gefiel ihr nicht. Sie war nicht Herr der Situation, musste sich auf die Reaktionen anderer verlassen. Es passte ihr nicht. Sie musste so vieles bedenken und nur ein Wort von dem Jungen mit den seltsam violetten Haaren konnte ihr alles verderben. Kisara traute sie genug Grips zu, dass sie nicht alles vermasselte, doch Akim konnte sie nicht einschätzen.

Die Weißhaarige saß in der Zwischenzeit ruhig daneben und betrachtete alles aufmerksam. Sie hatte nur kurz ein „Seth ist unterrichtet“ eingeworfen, seitdem hatte sie sich darauf beschränkt, die anderen drei verträumt – so schien es zumindest – zu betrachten. Adalia wusste nicht, ob das ein gutes Zeichen war. Offenbar traute sie Akim so weit, dass sie nicht in höchster Alarmbereitschaft war, doch die Priesterin wusste nicht genau, ob sie das auf Sicherheit ihrerseits oder auf mangelndes Interesse zurückführen sollte. Was hatte Kisara denn davon, dass sie Mana schützte? Konnte sie sich so sicher sein, dass sie es nicht auszunutzen wusste, dass das Mädchen praktisch hilflos war? Doch halt. Fürs erste musste sie Kisara vertrauen, sonst gab es zu viele Unbekannte in dieser Rechnung, zu viele Variablen. Seth vertraute ihr schließlich auch und wollte sie etwa an Seths Einschätzung zweifeln?

Schüchtern sah Mana von Akim zu Adalia, trat unschlüssig von einem Bein auf das andere und holte die Brünette damit zurück in die Realität, heraus aus ihren Gedanken. „Hat er auch Schmerzen?“, fragte sie naiv und erinnerte die Priesterin damit daran, wie lückenhaft ihr Weltbild noch war und was sie ihr alles noch erklären musste. Mana blickte wieder zu Akim, richtete ihre Frage nun an ihn. „Oder warum darfst du nicht raus?“ Sie wippte ungeduldig auf und ab, hätte ihm tausende Fragen stellen können.

Der Junge verzog leicht mitleidig das Gesicht, was Adalia zu dem Schluss kommen ließ, dass er sehr wohl wusste, was geschehen sein musste, und wieso Mana von Schmerzen sprach. Kisara hatte es ihm wohl erzählt. Damit war es wieder einer mehr, der Bescheid wusste.

Er fing sich jedoch außerordentlich schnell wieder. „Ich denke, ich soll erst noch was erklären“, erklärte er Mana, die darauf hin aufgeregt hin und her sah.

„Was denn?“, fragte sie fast automatisch und stellte sich auf ihre Zehenspitzen, damit sie ihm besser ins Gesicht sehen konnte.

Wieder war es Adalia, die antworte, wieder nahm sie Akim die Gelegenheit, Mana genau das zu erzählen, was er wollte. Solange sie nicht wusste, wie er zu der Sache stand, erschien es ihr sicherer auf diese Weise. „Du hast doch diese Nebelkugel gesehen, oder? Die, die auf die Frau zugeflogen ist?“ Wie nur sollte sie ihr all das erklären? „Ich möchte, dass er mir sagt, wo sie her kam.“

Es war lachhaft. Sie wusste genau, wo sie herkam, wusste genau, dass Akim sie geschickt hatte. Trotzdem musste sie es so umschreiben, damit Mana nicht auf falsche Gedanken kam. Sie hatte Akim zu früh vertraut und nun musste die Priesterin darauf achten, dass er sie nicht enttäuschte. Sie wollte nicht, dass Mana so einfach hintergangen wurde, nicht, da sie gerade versuchte, ihr ein einigermaßen stabiles Fundament zu geben.

Der Junge verdrehte die Augen, ging aber auf ihr Spiel ein. „Genau das“, stimmte er zu und beugte sich zu Mana hinunter, sprach aber dennoch an Adalia gewandt. „Ich habe die Kugel geschickt, selbstverständlich“, sagte er ernst, „Aber dadurch ist meine Schwester doch verschwunden.“ Er hob den Kopf und sah die Priesterin recht eisig an. „Ich gehe doch recht in der Annahme, dass dies nach Eurem Willen war, Priesterin.“ Sein Ton war schmeichelnd und gestellt, Adalia durchschaute ihn sofort.

Er tat dies für Mana, so viel stand nun fest. Er tat es sicher nicht ihr zuliebe. Adalia nickte grimmig, aber zufrieden. Das wichtigste war, dass Mana keinen Verdacht schöpfte.

Und wenn sie sie hasste, so war es so. Adalia fand das Ganze so langsam nicht mehr lustig, hatte es satt geduldig zu sein. Es war alles so berechenbar einfach und doch komplex und voller Fehlerquellen.

„Die böse Schwester ist weg“, schloss Mana und damit war alles für sie erledigt. „Du bist aber nicht böse, oder?“ Sie sah Akim prüfend an, ehe sich ein Strahlen auf ihr Gesicht legte. „Du kannst gar nicht böse sein“, kicherte sie, „Du hast nach mir gefragt.“

Und als ob damit alle Zweifel beseitigt gewesen wären, hüpfte sie auf Adalia zu, damit diese sich keine Sorgen mehr machte.

Doch so war es nicht. Adalia war alles andere als erfreut darüber, dass Mana sich ständig in ihre Diskussion einmischte, es ihr dadurch ständig schwerer machte, sie nicht zu enttäuschen. „Ob er böse ist oder nicht, darüber sprechen wir nicht“, sagte sie ernst, „Er hat hier nichts zu suchen, darum geht es. Er hat mit den falschen Leuten zu tun, er ist gefährlich! Versteh das bitte... Außerdem hat der Arzt dir Ruhe verordnet und deswegen muss ich darauf bestehen, dass ihr nun alle geht.“

Enttäuscht und verwirrt schüttelte Mana den Kopf. „Warum denn?!“, fragte sie und konnte es nicht verstehen. Sie lief zum Bett und setzte sich darauf hin. „Ich bin auch ganz vorsichtig?“ Ihre Augen waren groß und flehend, doch Adalia ließ sich nicht erweichen.

„Nein, das kann ich nicht erlauben“, sagte sie, ein wenig sanfter und doch streng. „Du willst die ganze Zeit schon vorsichtig sein, trotzdem... Es hat sich noch keine Besserung gezeigt. Und das liegt vor allem daran, dass hier viel zu viel los ist.“

Sie wollte dem Mädchen nicht die Schuld an allem geben, aber sie musste streng sein. Sie musste einfach, sonst würde Manas Körper niemals heilen, sonst würde sie ihre Aufgabe niemals erfüllen können.

Mana war nicht die Einzige, die erschrocken war. Akim stand ebenfalls deutlich überrascht vor ihr, lächelte dann aber widerspenstig. „Ich würde gern gehen, aber ich darf ja nicht“, sagte er trotzig zur Priesterin, allein schon um ihr eines auszuwischen.

Kisara drehte sich leicht kopfschüttelnd um und verließ still den Raum. Adalia war dankbar dafür, wenigstens eine schien die Wichtigkeit der Ruhe für Mana verstehen zu können.

Sie sah zu Mana herüber, die beleidigt auf dem Bett lag und seufzte leise. Ihr könnt mich ruhig alle hassen, dachte sie traurig und trat dann auf Akim zu, die Augen zu Schlitzen verengt und berechnend. „Ich erwarte, dass du dich hier nicht wieder blicken lässt, solange der Hohepriester nicht wieder da ist“, sagte sie ernst, „Anschließend solltest du dich ihm gegenüber stellen, er wird dann über dich urteilen. Solange bist du frei zu gehen, wohin es dir beliebt.“ Sie startete einen kläglichen Versuch ihn anzulächeln, unterließ es aber, als sie bemerkte, dass es ihr nicht so recht gelingen wollte. „Verlange nicht mehr von mir...“, hauchte sie finster.

Der Urteilsspruch war harmlos. Der Junge musterte sie interessiert und aufmerksam, zuckte dann aber mit den Schultern und nickte. Er drehte sich zu Mana. „Hey, Kleine!“, rief er freundlich, wohlwissend, dass er die alte Mana damit in den Wahnsinn hätte treiben können. „Pass auf dich auf, ja?“, sagte er, erblickte ihr freudiges Gesicht und verließ dann lächelnd das Zimmer.

Adalia sah ihm nach, unsicher, ob sie richtig entschieden hatte. Doch nun gab es eine Variable weniger. Sie blieb allein mit Mana zurück.

Genugtuung

Die Stimmung hätte kaum aufgeheizter sein können, als sie es im Augenblick war. Die Truppen, die am Horizont aufgetaucht waren, hatten eine Explosion der Gefühle ausgelöst, die Anspannung war unfassbar groß.

Alle waren bereit, heiß auf den Kampf. Atemu war einerseits sehr froh darüber, andererseits jedoch auch außerordentlich besorgt. Die Männer durften nicht übermutig werden, durften ihre Gegner nicht unterschätzen.

Sie hatten den Kreis geschlossen, den sie um die libyschen Truppen gelegt hatten, bisher war alles wie nach Plan verlaufen. Dies lag wohl weniger an ihrer Überlegenheit, sondern vielmehr daran, dass das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gewesen war. Der Pharao konnte seinen Hohepriester an der Spitze erkennen; er hatte seinen Arm gehoben um seinen Männern ein Zeichen zu geben. Es war also soweit.

Endlich.

Endlich konnte auch Atemu die Kampfeslust in sich aufkommen spüren, endlich fühlte er, was es zu bedeuten hatte. Er kämpfte für sein Volk, kämpfte für sein Land, für die Freiheit. Er hatte nicht vor sich besiegen zu lassen.

Auf Befehl hin trafen die ersten Truppen aufeinander. Schwerter schlugen gegeneinander, Pferde wieherten, Kommandos wurden hin und her geschmettert. Es war ein ohrenbetäubender Lärm. Die Männer schrien um sich selbst anzutreiben.

Gerade als Atemu auf Seth zuritt, geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte und das sowohl die libyschen als auch die ägyptischen Truppen vor Schreck wie versteinert erstarren ließ. Ein lautes Brüllen erklang und ein heftiger Windstoß fegte über sie hinweg, einige Männer zu Boden drückend. Atemu blickte blitzschnell in die Richtung, aus der sowohl Wind als auch Lärm kam und erschrak furchtbar. Ein riesiger Drache war am Himmel aufgetaucht, majestätisch schlug das weiße Tier seine gigantischen Flügel und streckte den Hals zum Hohepriester hinab. Dieser war wohl noch erschrockener als alle anderen zusammen, wenn auch aus einem anderen Grund.

„Weißt du, was das zu bedeuten hat?“, brachte der Pharao stockend hervor und betrachtete seinen Cousin mit Mühe. Mit Mühe deshalb, weil der Drache unglaublich aufmerksamkeitsheischend war. Mit einem Mal waren sämtliche Kampfeshandlungen eingestellt und alle Augen waren einzig und allein auf sie gerichtet, die sie dem Tier am nächsten waren.

Entsetzt starrte Seth das Schuppentier an. „Das ist Kisaras Zeichen!“ murmelte er recht leise und doch so, dass Atemu ihn verstehen konnte. Er klang alarmiert. „Es muss etwas geschehen sein im Palast.“

Der Drache ließ sich nieder, landete direkt vor Seths Füßen. Er senkte seinen Kopf. Atemu beobachtete fassungslos, wie die Augen des Drachen in allen Farben und Facetten glitzerten. Er konnte nicht erkennen, was da vor sich ging. Skeptisch betrachtete er Seth, dem das Ganze offensichtlich mehr sagte. Kisaras Zeichen? Seth kannte diesen Drachen, soviel war sicher.

„Was passiert?“, fragte er erschrocken.

Seth nickte. „Ich habe Kisara gebeten mir Bescheid zu geben, falls etwas vorfallen würde“, erklärte er widerwillig, „Und nun ist der Drache hier...“ Er blickte in dessen blaue Augen. „Akim ist wieder da“, übersetzte er, was er sah für den Pharao, „Und Meira war da... Aber scheinbar“, er seufzte leise, unsicher und hoffend, dass seine Vermutung richtig war, „Scheinbar hat Adalia das unter Kontrolle.“

Wie als hätte er auf ein Zeichen gewartet, das nun gegeben worden war, breitete der gigantische Drache seine noch viel gigantischeren Flügel aus und erhob sich wieder in die Lüfte.

Atemu musste eine große Anstrengung aufbringen, um sein Pferd zu zügeln und es im Zaum zu halten. „Akim? Und Meira?“, fragte er nach, „Was hat Adalia damit zu tun?“ Es machte keinen Sinn. Was Seth da erzählte, hatte überhaupt keinen Zusammenhang und machte deshalb auch überhaupt keinen Sinn.

Der Hohepriester blickte dem Drachen hinterher, ehe er begann Atemu aufzuklären. „Akim und Meira kennst du“, sagte er, ihm war offenbar nicht klar, wie wenig seinem Cousin seine Worte gesagt hatten, „Akim war mein Diener, Meira ist seine Schwester. Die beiden gehören zu den Nebelgeschwistern.“

Die Nebelgeschwister. Natürlich wusste er von ihnen, doch dass Seths eigenartig kindlicher Diener zu ihnen gehörte...

„Was gibt es noch, das ich nicht weiß?“, empörte er sich. Als Pharao dieses Landes hätte er eigentlich als erstes in alles eingeweiht werden müssen, doch stattdessen wurde er einfach übergangen. Er war es nicht anders gewohnt von seinem Cousin, trotzdem entrüstete er sich.

Der Drache stieß einen mächtigen Schrei aus und flog im Tiefflug über die libyschen Truppen hinweg. Nicht wenige wurden dadurch von ihren Pferden gerissen. War dies Kisaras Anteil an dieser Schlacht?

Ein Lächeln legte sich auf Seths Lippen, Kisara wusste, wie sie Eindruck schinden konnte, und sie wusste ihre Kraft sinnvoll einzusetzen.

Er richtete seinen Blick wieder auf Atemu. „Es gab einfach keine Zeit dir davon zu berichten“, gab er leicht säuerlich zurück, „Schließlich hat der Krieg dich voll beansprucht.“

Der Pharao grummelte vernehmlich. „Darüber werden wir noch einmal sprechen“, sagte er und sah nach vorne, „Wir haben einen Krieg zu führen.“

„Wie schön“, entgegnete Seth und es hätte nicht eindeutiger sein können, dass sich ihre Definitionen von Inkompetenz deutlich unterschieden.

Sofort brach das Chaos von Neuem aus. Kaum, dass der Drache wieder verschwunden war, standen sich die Männer wieder gegenüber, stellten sich wieder einander entgegen. Das Gebrüll war ohrenbetäubend. Klingen kreuzten sich, Metall stieß lautstark auf Metall.

Und Mordlust.

Überall war Mordlust, allgegenwertig trachteten die Männer nach dem Tod des jeweils anderen. Atemu starrte in die Menge. „Schön nenne ich etwas anderes“, zischte er, doch Seth konnte seine Worte nicht verstehen. Er schüttelte nur den Kopf, trotzdem war die Mimik des Pharaos eindeutig.

Ihre Aggressionen konnten ein besseres Ziel finden als jetzt zu streiten, dachte Atemu, sie änderten nichts an ihrer aktuellen Situation und diese hatte definitiv Vorrang. Es war Krieg!

Dies war nicht der Moment, sich über die Eigenarten des Hohepriesters aufzuregen. Er hatte es doch gewusst, hatte schon viel früher davor resigniert. Und doch hatte er ihn zu seinem Nachfolger berufen, sollte hier etwas schief gehen. Wollte er nun etwa an seiner eigenen Entscheidung zweifeln?

Und wozu? Der Krieg würde entscheiden, würde ihrer aller Zukunft bestimmen. Es lag längst nicht mehr in seiner Hand, er hatte sich jetzt um seine Truppen zu kümmern.

In einem stillen Einverständnis drehten sich der erste und der zweite Mann im Reich zu den Treppen um.
 

Seth nickte. Als er sich umdrehte, musste er unweigerlich in die Gesichter von Shada und Karim blicken, die blind und willenlos auf ihren Pferden saßen und nicht mitbekamen, was eigentlich um sie herum geschah.

Er wurde von einer tiefen Woge des Hasses durchflutet, allein ihr Anblick entflammte eine zerstörerische Wut in ihm und eine Willenskraft, die er den Libyern sonst nicht hätte entgegen bringen können. Der Zeitpunkt seiner Rache war nahe. Er konnte es kaum erwarten, zitterte fast vor Ungeduld. Doch zuerst musste er noch eine Aufgabe erfüllen. Er zwang sich an den beiden vorbei zu blicken, fokussierte seine Männer und zog sein Schwert. Voller Entschlossenheit streckte er es gen Himmel und als er seine kräftige Stimme erhob, lauschte jeder Ägypter seinen Worten, den Klängen des Krieges zum Trotz.

„Die Zeit ist gekommen!“, rief er kraftvoll, „Fürchtet nichts! Mögen die Götter über uns wachen und die Teufel, die unser Königreich bedrohen, bis in alle Ewigkeit strafen!“

Er hatte so viel mehr in diese Worte gelegt, als die Worte allein aussagten. Die Entschlossenheit, die er an den Tag legte, war ansteckend und motivierte. Ein Getöse wie von Donner war die Antwort, als die Truppen die wahre Schlacht eröffneten.

Des Hohepriester persönliche Schlacht stand nun kurz bevor. Er starrte die zwei Menschen an, die ihm all sein Glück zerstört hatten, verachtend und bitter böse. Ihrer magischen Kräfte beraubt, nahm er den Bann von ihnen. „Willkommen“, flüsterte er, „in der Wirklichkeit.“

Es war ein eigenartiger Moment. Die Sekunde, die er hierfür auserkoren hatte – so lange hatte er auf sie warten müssen. Doch nun war sie endlich gekommen, die Stimmung hätte kaum bizarrer sein können. Angetrieben von seinen Worten stürzten die Männer sich in die Schlacht, ihren Feinden entgegen, ohne Gnade, ohne Furcht.

Doch um ihn herum war alles ganz still, er war zwar mitten in den Kämpfen, doch das war es nicht, was diese ungekannte Erregung in ihm auslöste. Die Genugtuung, die in ihm wuchs und die ihn in eine fremde Ekstase versetzte, ausgelöst durch die entsetzten Blicke, die fassungslos und hasserfüllt sein Gesicht betrachteten.

Verwirrt erwachte erst Karim aus seiner Starre, dann Shada. Als er die Truppen um sich herum erkannte, verstand er zunächst nicht. „Was zum?“, fauchte der Größere der beiden entsetzt.

Shada blickte zuerst zu Karim, ehe er auch den Rest der absurden Situation erfasste, wie gerufen durch den Aufschrei seines Freundes. Er erschrak so sehr, dass er fast vom Pferd fiel. Gerade noch so konnte er sich oben halten, doch die Kraft, die es brauchte um seiner Verachtung Ausdruck zu verschaffen, fehlte ihm nicht. Hasserfüllt starrte er den Hohepriester an. „Das warst du...“, knurrte er und blickte in Seths provokantes Gesicht. Dann versteinerte sein Ausdruck. Als er sich wieder gefangen hatte, drehte er sich schleunigst zu Karim. „Wir sollten verschwinden“, sagte er besorgt.

Seth lächelte voller innerer Begeisterung. Sie ihrer Magie zu berauben war offensichtlich eine gute Entscheidung gewesen, allein schon um das hilflose Entsetzen in Shadas Augen sehen zu können. Grimmig sah er zu dem Kahlköpfigen. „Ja, das war ich“, stimmte er sauer zu. „Verschwinden?“ Er lachte laut auf. „Versucht es doch! Doch ich fürchte“, seine Stimme war schmierig wie Öl, erklang wie Gift in den Ohren der beiden ihrer Ämter enthobenen Priester, „Ihr werdet keinen Erfolg haben!“

Es war keine Voraussagung, es war einfach nur eine Feststellung. Er war sich sicher, dass dies ihr Ende sein würde. Er wusste es, weil er es für sie ausgesucht hatte, und weil er den letzten Stoß setzen wollte, wenn sie erst das Grauen der Pein kennen gelernt hätten. Er würde keine Gnade kennen mit diesen beiden Kreaturen, war nicht bereit hinzunehmen, was sie getan hatten und schon gar nicht ihnen zu verzeihen.

Der Hass, den er spürte, war grenzenlos, er genoss es, sie in der jähen Erkenntnis des Ausgeliefertseins zu beobachten, wie ein Jäger, der seine Beute in die Ecke gedrängt hatte und nun mit ihr spielte.

Des Hohepriesters Gelächter klang ihnen in den Ohren. „Lass dir etwas einfallen...“, meinte Karim erschrocken angesichts ihrer Gefangenheit.

„Wieso gerade ich?“, fauchte der Angesprochene gereizt, und blickte hasserfüllt zu Seth. Er schüttelte den Kopf, offensichtlich hochkonzentriert und nachdenklich. Ihre Chancen standen denkbar schlecht, diese Erkenntnis konnte ihnen nicht entgehen. „Nun gut“, sagte Shada möglichst leise, wohl in der Hoffnung, dass Seth nicht zuhörte, doch das war natürlich nur Illusion. „Wenn der Hohepriester meint, uns in den Krieg zu schicken, dann arbeiten wir uns auch durch den Krieg“ – er klang fest entschlossen – „in die Freiheit.“

Ohne zu zögern, gab er seinem Pferd die Sporen, trieb es an. Karim sah ihm unentschlossen hinterher, ehe auch er sein Pferd antrieb, das jedoch nur widerwillig auf seine Anweisungen hörte.

Er zögerte, wollte offensichtlich nicht weg und das Pferd spürte es. Hasserfüllt drehte er sich zu Seth um, funkelte ihn finster an. Dieser lächelte nur, die Augen zu Schlitzen verengt, berechnend und kalt.

Der Kleinere merkte sofort, dass er nicht auf der Stelle zu ihm aufgeschlossen war. „Was hast du?“, rief er zurück, ohne jedoch sein Pferd zu wenden. Er verlangsamte nur den Schritt des Tieres.

„Der blöde Gaul hat seinen eigenen Willen“, gab Karim patzig zurück und es war nicht klar, ob er damit das Pferd oder den Hohepriester meinte. Schließlich holte er zu seinem Freund auf. „Ich will Rache...“, meinte er widerspenstig.

Seth sah es nicht anders. So einfach würde er die zwei nicht entkommen lassen, nicht jetzt, da er seiner Abscheu endlich freien Lauf lassen konnte. Sie würden ihm nicht entkommen.

„Hier geblieben!“, rief er schneidend und trieb sein Pferd an. Im Nu hatte er sie eigenholt. Ihre Reittiere waren bei weitem nicht so gut trainiert, wie das seinige, sie würden es nicht mit seinem Pferd aufnehmen können, sollte es zum Wettstreit kommen.

„Wo wollen wir denn hin?“, fragte er hinterhältig, seine Beute zu treiben machte weit mehr Vergnügen, wenn man sie vorher in Sicherheit wiegte.

„Nicht hier“, zischte Shada seinen Freund zu, auch er schäumte vor Wut und Unbehagen. Noch immer war etwas Abstand zwischen ihnen und dem Hohepriester.

Die Menge tobte, völlig ungeachtet dessen, was hier geschah. Shada beugte sich zu einem der Fußsoldaten herab, legte ihm seinen Unterarm um den Hals und hinderte ihn so daran, ihm zu entkommen. Dann entriss er ihm geschickt das Schwert, das er in seiner Hand trug, schubste ihn mit einem Tritt nach vorn und lenkte sein Pferd so, dass es den Mann unweigerlich niedertrampeln musste. Es war ihm gleich, ob es sich bei ihm um einen libyschen oder einen ägyptischen Landsmann handelte.

Er richtete die so gewonnene Klinge auf Seth. „Halt uns doch auf“, rief er provokant und sauer.

Dieser jedoch war nicht bereit, sein Spiel mitzuspielen. Dies war seine Rache, hier verlief alles nach seinen Regeln. Belustigt sah er den Kleineren an, richtete seinen Millenniumsstab auf ihn, aktivierte ihn jedoch nicht. Er wusste genau, der Stab war eine weit bessere Waffe als jedes Schwert, das jemals geschmiedet worden war. „Bist du dir sicher?“, fragte er und antwortete damit auf Shadas unausgesprochene Unterstellung, er könnte sie nicht hindern zu fliehen. Er lächelte kalt. „Möchtest du diese Meinung noch ändern?“

Und dann zielte er plötzlich auf Karim, der noch immer unbewaffnet und ihm somit absolut hilflos ausgeliefert war.

Dieser zog heftig die Luft ein und sah zu Shada. Sicher würde er seine Sicherheit nicht aufs Spiel setzen? Man konnte sehen, dass er Shada vertrauen wollte, doch ganz sicher war er sich augenscheinlich nicht.

Doch Shada ließ das Schwert sinken. Widerwillig zwar, doch die Geste war eindeutig. Tief durchatmend sah er seinen Freund an, ehe er seinen abgrundtief bösen Blick wieder auf den Hohepriester lenkte. „Was willst du, Schlange?“, zischte er und klang dabei viel eher wie das schuppige Reptil als der Angesprochene. Er würde sich ganz sicher nicht mit seiner Position abfinden, nicht solange er noch Kraft hatte zu stehen und ein Schwert zu umklammern.

Der Hohepriester wirkte mächtig beeindruckt. Er hatte tatsächlich nicht mit dieser Reaktion gerechnet, doch sie amüsierte ihn zutiefst. „Dir liegt etwas an ihm?“, fragte er verachtend, „Wie niedlich.“ Der Ton war niederschmetternd, eisig und herablassend. „So macht es mehr Spaß. Ihr zwei habt keine Möglichkeit eurem Schicksal zu entkommen. Die Truppen stehen hinter mir, ihr könnt nicht zurück.“ Er genoss es in vollen Zügen, ihre erstarrten Augen, ihre steife Haltung, wie in die Enge getriebene Tiere. Sie würden leiden, so wie er es Mana versprochen hatte.

„Der einzige Weg führt durch die libyschen Truppen“, er sah sie finster und gierig zugleich an. „Lauft. Lauft in euer Verderben!“

Botschaft

Das Ausmaß des Krieges war eine wahre Augenweide. Die zarten Klänge von klirrendem Metall, das Hufgetrampel wie im Takt dazu und die Schreie – all das ergab eine bittersüße Melodie, eine Magie, der er sich nicht zu entziehen wusste.

Weit unter sich erkannte er den Pharao und seinen Cousin, umringt von tausenden, sowohl Kammeraden als auch Feinden. Sie kämpften, als ginge es um ihr Leben, was vermutlich auch den Tatsachen entsprach.

Sie wussten überhaupt nicht, was sie noch erwartete, er jedoch konnte es kaum erwarten, starrte ungeduldig hinab und konnte die Gier nicht aus seinem Gesicht wischen. Erst als seine Schwester neben ihm wie aus dem Nichts auftauchte und sich entspannt in eine Wolke aus weißem Nebel fallen ließ, wendete er seinen Blick von Kriegsschauplatz ab, die Klänge jedoch noch immer im Ohr.

Er sah sie an, blickte in ihre grünen Augen, die von ihrem feuerroten Haar umrahmt und dadurch besonders hervor gehoben wurden. Die langen Locken waren ihr ganzer Stolz, das wusste Cyrus. Ihn hätte eine solche Haarpracht irritiert und gestört, doch Meira wusste es geschickt sie in den Nebel und damit auch in ihren Zauber einzuweben.

Er war stolz auf seine Schwester. Sie war der Ruhepol in ihrer Familie, diejenige, die auch dann noch einen kühlen Kopf bewahrte, wenn er schon hitzig in den Kampf floh. Sie wusste einfach immer was zu tun war und seit sie die Millenniumskette an sich genommen hatte, hatte sie ihre Fähigkeiten perfektioniert.

Die Priesterin damals war eine so schwache Gegnerin gewesen, dass er schon daran gezweifelt hatte, ob diese Zauberkette überhaupt eine Macht in sich trug. Wie sehr er sich getäuscht hatte, stellte er zu seiner großen Freude jedoch sogleich in den Moment fest, da seine Schwester den Gegenstand umgelegt hatte. Die Magie der Kette verschmolz so perfekt mit der Nebelmagie, dass Cyrus das Gefühl hatte, sie wäre einzig und allein für diese Bestimmung geschaffen worden.

Er sah sie an. „Du bist wieder hier?“, fragte er und klang zunächst ein wenig skeptisch, ließ die Sache dann jedoch auf sich beruhen. Er freute sich, dass sie hier war und an diesem Moment teilhaben wollte. Er deutete auf die immer heftiger werdenden Kämpfe, die weit unter ihnen stattfanden und lächelte. „Der Ausgang der Schlacht wird dir gefallen.“

Sie wusste, wie viel ihm das bedeutete und nickte fragend. „Hast du etwas für sie geplant?“ Sie sah auf die Krieger herab. „Sie machen sich nicht allzu gut...“

Die Aussage amüsierte ihn, er nahm sie mit einem Schmunzeln entgegen, schweigend zwar, doch der Glanz in seinen Augen sagte mehr als genug.
 

Es war wie ein Schatz, den er gefunden hatte, ein Schatz, der zwar nicht wertvoll, doch entzückend war. Dieser Schatz war der Schlüssel zu einer großen Menge an interessanten Aktivitäten, der Schlüssel zu weiteren, viel größeren Schätzen.

Diese Schriftrolle war unglaublich folgenschwer. Ihr Inhalt versprach Aufregung für mehr als einen kurzen Moment, Spannung, die er in dem öden Leben im Tempel des Anubis immer vermisst hatte.

Es gab einfach keine echte Herausforderungen hier für ihn, gab niemanden, der sich ihm wirklich zu stellen vermochte. Letztendlich konnte es niemand mit ihm aufnehmen. Dies hatte er zwar gewollt, doch es ging einher mit einer unglaublichen Eintönigkeit in seinem Tagesablauf. Es war Zeit, dass er etwas Vergnügen in sein diebisches Leben brachte, Vergnügen, das die anderen wahrscheinlich nicht als solches ansehen würden. Doch das war ihm egal, darum hatte er sich nicht zu kümmern.

Bakura hielt die geheime Schriftrolle in den Händen. Er hatte eine Kopie davon angefertigt, das Original herzugeben war nicht in seinem Sinne. Generell dachte er gar nicht daran, einen geklauten Schatz zurückzugeben. Er war ein Meisterdieb. Alles entwickelte sich zu seinem Vorteil. Den Millenniumsring an sich zu nehmen, war ein genialer Schachzug gewesen, ein Schachzug zu dem er sich selbst immer wieder beglückwünschte.

Manas Vergangenheit zu kennen, war mehr als er je hatte wissen wollen und doch war es gerade dieses Wissen, das ihm nun freie Hand gab.

Unsichtbar gemacht durch die gestohlene Millenniumsmagie hatte er alles mit angehört, was sich im Zimmer seiner Tochter – und es widerstrebte ihn so zu denken – zugetragen hatte, seit er das Zimmer unbemerkt betreten hatte.

Er war nicht zu sehen, wohl aber zu hören, doch er hatte lange genug üben können. Es gab wohl niemanden, der sich so unbemerkt bewegen konnte wie er.

Geschickt stellte er es an die Kopie der Schriftrolle zwischen die Decken von Manas Bett zu schmuggeln. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Er hatte die Nachricht abgeliefert, ob sie die Gewissensbisse vertragen konnten, blieb abzuwarten. Er brachte Dinge ins Rollen, die der frühere Pharao hatte in Vergessenheit geraten lassen wollen und er hätte sich keinen besseren Zeitpunkt dafür aussuchen können.

Er betrachtete die Kleine, wie sie eingeschüchtert und in eine weitere Decke gewickelt vor der Wand saß und den Kopf schief legte.

„Bist du böse?“, fragte sie und lächelte schwach. Offensichtlich die einzige Reaktion, die sie mit einer solchen Frage zu verbinden vermochte.

Bakura lachte stumm auf. Diese Priesterin hatte sich in eine große Erklärungsnot gebracht, sie war eine Spielerin, die ihr Spiel nicht beherrschte und die deswegen dazu verurteilt war zu verlieren.

„Nein“, sagte sie leise und versuchte möglichst freundlich zu klingen. „Ich bin nicht böse. Ich mache mir nur Sorgen um dich, verstehst du?“ Unsicher trat sie von einem Bein aufs andere, blickte immer wieder stirnrunzelnd im Raum umher, ganz so als würde sie etwas suchen.

Hatte sie seine Anwesenheit bemerkt?

Mana sah sie an, als wäre sie ein Forschungsobjekt. Sie versuchte jede Regung zu deuten, versuchte alles zu verstehen. „Sorgen machen bedeutet, den anderen zu mögen, stimmt’s?“, fragte sie grübelnd, „Und man will nicht, dass etwas schlechtes passiert...?“

Sie dachte ernsthaft über diese Worte nach und dann musste ihr wohl eingefallen sein, was der Nebeljunge gesagt hatte. „Muss man sich um mich sorgen, weil ich klein bin?“, fragte sie strahlend, offensichtlich stolz darauf, dass sie etwas verstanden hatte, das ihr niemand vorher erklärt hatte.

Es war einfach nur lächerlich. Die Kleine war wirklich bemitleidenswert einfach zu begeistern. Doch das war es nicht, was er wollte. Er wollte die Reaktion sehen, er hatte die Schriftrolle ja nicht ohne Grund ins Zimmer gebracht. Er wollte das Gesicht der Priesterin versteinen sehen, wenn sie erkannte, welch gewagtes Spiel sie wirklich spielte und auf welchen Trumpf sie gesetzt hatte.

Doch vorerst ließ sich Adalia auf das Spiel ein, das in Manas Händen lag. Sie hatte den Köder geschluckt, wohl in der Annahme, er brächte sie ihrem Ziel näher.

„Genau“, stimmte sie der Kleinen zu, „Ich will schließlich nicht, dass dir etwas passiert“, meinte sie ausweichend und versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken und ihrerseits einen Köder auszuwerfen. „Der Priester hat mir schließlich aufgetragen auf dich aufzupassen, bis er wieder da ist“, erklärte sie zwinkernd, „Er will ja nicht, dass dir etwas passiert.“

Sie setzte sich auf Manas Bett und stutzte, als ihre Hand etwas spürte, das sie nicht erwartete. Verdutzt folgte ihr Blick ihrem Gefühl. Sie holte die Rolle hervor, die sie gefunden hatte und betrachtete sie skeptisch. „Hast du dir etwa eine Rolle vom Tisch geholt?“, fragte sie beiläufig an das Mädchen gerichtet, ließ aber ihre Aufmerksamkeit nicht schweifen.

Bakura konnte es förmlich arbeiten hören in Adalias Gehirn. Eine solche Rolle lag nicht dort und das wusste die Priesterin auch. Er grinste still vor sich hin.

Interessiert stand Mana auf. Wenigstens eines war geglückt: der Themenwechsel. Sie schüttelte stark den Kopf. „Nein, habe ich nicht“, antwortete sie gehorsam, „Ich war nicht einmal in der Nähe des Tisches.“

Sie kletterte ebenfalls aufs Bett, hinter die Priesterin und sah ihr über die Schulter. „Was ist das? Eine Rolle?“, sie war ganz Feuer und Flamme, es war etwas Neues.

In diesem Fall konnte der Meisterdieb ihre Begeisterung durchaus nachvollziehen, auch wenn er selbst wegen etwas anderem ganz aus dem Häuschen war oder es zumindest sein wollte. Die Rolle sollte ihr Interesse wecken, doch die Priesterin schien sie einfach herunterspielen zu wollen. Er war nicht gewillt, das hinzunehmen. Doch die Rolle an sich war ja gar nicht sein einziger Trumpf. Auch wenn Adalia die Rolle nicht öffnete, er selbst hatte des Wissen über ihren Inhalt bereits aufgenommen. Und er war mehr als gewillt, dieses Wissen zu nutzen.

Tief durchatmend betrachtete er die beiden noch einen Augenblick, dann war sein Entschluss gefasst. Durch eine weitere Tür betrat er das Nebenzimmer. Er gab sich alle Mühe, möglichst unauffällig vorzugehen, und dazu gehörte selbstverständlich auch, dass er die Tür so wenig öffnete wie nötig um nich unnötige Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Doch er wusste genau, was er tat. Adalia war abgelenkt, Mana beanspruchte sie voll und ganz, noch dazu hatte sie die Schriftrolle, die sie ausreichend beschäftigte. Dennoch musste er schnell handeln. Die Gefahr lag nicht allein hinter ihm in Form der Priesterin, sondern auch vor ihm. Er zog seinen Dolch. Die Unsichtbarkeit war der beste Mantel, den er bekommen konnte um nicht aufzufallen, er legte sich wie eine Schutzhülle um seine Haut und gab ihm den entscheidenden Vorteil.

Bevor der Wachmann, der zum Schutz von Mana und Adalia abgestellt worden war, auch nur einen einzigen Ton hervor bringen konnte, hatte er ihm mit seinem Dolch die Kehle durchgeschnitten. Dieser Dolch war sein größter Schatz überhaupt, sein treuer Begleiter in allen Lebenslagen. Er war das einzige Überbleibsel aus seiner Zeit in Kul Elna. Eigentlich glaubte Bakura nicht an solch emotionalen Schwachsinn, doch dieser Dolch war ihm seit damals ein treuer Begleiter und hatte schon viele schmutzige Kehlen durchtrennt.

Er konnte die beiden Frauen im anderen Zimmer noch immer sprechen hören und lachte leicht auf. Er würde sie schon dazu bringen, die Wahrheit zu erkennen. Das Blut des Mannes quoll aus seinen Adern hervor. Bakura betrachtete zufrieden die jämmerliche Gestalt, die ihm völlig wehr- und lautlos zum Opfer geworden war. Er riss ein Stück Stoff aus dessen Bekleidung und tränkte es in sein Blut. Es war wieder einmal an der Zeit zu zeigen, dass man auch als Dieb gebildet sein konnte. Die meisten trauten es ihm nicht zu, doch er war ein Meister und so war ihm die ägyptische Schrift nicht fremd. Es hatte Vorteile, das musste er zugeben, es ermöglichte Wege, die ihm anders verwehrt geblieben wären.

Langsam und sorgfältig schmierte er Strich für Strich einige Schriftzeichen an die Wand, die in rostrotem Glanz sein diebisches Herz zum Lachen brachten. Genau im richtigen Moment ließ er den Stofffetzen fallen. Er hörte hastige Schritte näherkommen, offenbar hatte die Priesterin nun endlich ihre Ohren benutzt. Er grinste. Gleich würde sie seine Botschaft lesen.

Jeder hat seine Vergangenheit.

Stolz betrachtete er sein Werk. Gleich würde sie verstehen. Die Tür ging auf. Der Weißhaarige starrte gespannt in das Gesicht der Priesterin, doch die Erkenntnis, die er darin zu lesen gehofft hatte, war noch nicht sichtbar. Er schüttelte den Kopf. Es machte nichts, nun war es gleich. Er hatte all seine Spielfiguren bereits so positioniert, dass sie diesem tragischen Wissen nicht mehr entgehen konnte. Die Schriftrolle hing ungeöffnet in ihrer Hand, als sie durch die Tür trat, angespannt und überaus aufmerksam. Sie hatte die Gefahr gewittert, seine Stunde war nahe. Es wäre doch wirklich jämmerlich, wenn er seiner Tochter nicht wenigstens einmal etwas beibringen könnte, wenn er sie so völlig gleichgültig ihrem Schicksal überlassen und ihr ihre edle Abstammung vorenthalten würde.

Der Priesterin konnte das bizarre Bild in diesem Zimmer nicht entgehen. Blitzschnell huschten ihre scharfen Augen über die Wand und dann zu dem Mann, der inzwischen wohl in seinem eigenen Blut ertrunken wäre, wäre er nicht schon tot gewesen.

Das Gesicht war regungslos, als Adalia sich umdrehte und Mana davon abhielt, ihr zu folgen. „Bitte“, sagte sie fast flehend und eindringlich – es war lachhaft – „Bitte bleibe für einen Moment hier drin. Ich hole nur schnell jemanden und dann bin ich wieder da, ja? Tust du mir den Gefallen?“

Versuchte sie etwa an Manas Gewissen zu appellieren? Ein Kind ohne Erinnerungen entschloss völlig willkürlich über gut und böse, über ja und nein. Das Spiel der Priesterin war bedrohlich ins Wanken geraten, doch es war auch kein Wunder, setzte sie doch auf treulose Figuren und kämpfte ohne Strategie.

Sie war ein Anfänger, doch sie war hartnäckig und das gefiel Bakura. Doch nun war es an der Zeit, dass sie etwas von seinen Regeln zu kosten bekam. Wie erwartet erkannte Mana nicht die Dringlichkeit, die aus Adalias Stimme förmlich herausquoll. Ihr versteinerter Blick war viel interessanter, viel facettenreicher und spannender. Dies war eine kindliche Reaktion, sie war absolut ehrlich. Genau das machte sie unberechenbar und zur Waffe in Händen, die sie zu führen wussten.

Unbeholfen stand sie da, und trat zwar nicht hinein ins Zimmer, doch ihre Augen fanden einen ganz eigenen Weg.

„Was...?“, setzte sie an, als sie das Blut sah, verstummte jedoch schlagartig wieder. Sie konnte nichts mehr sagen, sie konnte die Bilder, die sich ihr in all ihrer grotesken Schönheit offenbarten, nicht aufnehmen, nicht verarbeiten. Sie schrie auf und stolperte zurück.

Bakura lachte auf, dieses Mal nicht tonlos, sondern in voller Lautstärke. Er trat hinter sein Opfer und lüftete den Schleier der Unsichtbarkeit.

„Willkommen meine Liebe“, sagte er schmeichelhaft und verneigte sich vor der Priesterin. Wie sollte er das am besten anfangen?

Ein hinterhältiges Lächeln legte sich auf seine Züge, er hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt. „Schockiert?“, fragte er, doch er bekam keine Antwort.

Zu spät erkannte Adalia, dass das eigentliche Unheil schon angerichtet war. Sie lief zu Mana, legte ihr die Arme um die Schultern. „Du solltest doch warten“, sagte sie, doch nicht vorwurfsvoll, sondern merklich entsetzt. „Hab keine Angst, ja?“ Sie drückte sie an sich und nahm ihr dadurch die Sicht. Es war fast süß, wie rührend sie sich um die Kleine kümmerte. Es war reizend – reizend und lächerlich. Sie vor allem Unheil zu bewahren war eine schwierige Aufgabe, eine Aufgabe, der nicht jeder gewachsen war. Dann hob sie ihren Kopf und sah den Meisterdieb hasserfüllt an. „Du warst das!“, zischte sie angriffslustig und gereizt.

Bakura konnte sich absolut nicht vorstellen, weshalb sie sich so aufregte, schließlich war sie doch diejenige, die ihr falsches Spiel mit Mana trieb. Er grinste die Beiden an. „Armes Schicksal die Kleine, oder?“, er stellte seine Aussage einfach so in den Raum, wohlwissend, dass er die Priesterin damit in Bedrängnis brachte, denn die Kleine hörte noch immer jedes Wort. Jedes einzelne verwirrende Wort, dem sie keine Verknüpfungen zugestehen konnte. „So ohne Erinnerungen“, fuhr er fort und hielt dann inne. „Aber davon hatte sie ja schon vorher wenig, meinst du nicht?“

Herausfordernd sah er die Priesterin an, die sichtlich nicht verstand, wovon er sprach. Es ärgerte sie zutiefst, entfachte die Wut in ihr, die sie doch nicht zeigen durfte. Bakura war sich sicher, dass sie ein äußerst ansprechender Gegner sein musste, wenn die Fesseln der Moral erst einmal gelöst waren. Das Feuer, das hinter ihren nussbraunen Augen loderte, war heiß und unbeugsam, doch für den Moment in Ketten gelegt. „Aber du hast Recht, ich war das.“ Er lenkte seinen Blick auf die Zeichen an der Wand und schließlich auf die Rolle in ihrer Hand.

Und Adalia verstand.

„Nun ja“, sagte Bakura lässig und als hätte er nicht mehr getan, als nach dem Wetter gefragt, „Meine Aufgabe ist erledigt. Ich möchte mich dann wieder verabschieden. Schließlich habt Ihr noch etwas zu lesen und der Kleinen ihre Fragen zu beantworten.“

Würde es ihm noch gelingen, sie so sehr zu provozieren, dass sie sich nicht mehr zurückhalten könnte? Ein solcher Ausbruch wäre durchaus interessant, wenn sie selbst das Vertrauen von Mana so hemmungslos erschütterte.

Er konnte sehen, dass Adalia bis aufs Äußere gespannt war.

„Was will er?“, fragte Mana und ihre Stimme klang dumpf aus Adalias Armen. „Keine Erinnerungen?“

Nur einen kurzen Moment lang löste die Priesterin ihren Blick von ihrem Gegner um Mana anzusehen. „Ich erkläre dir gleich alles“, flüsterte sie ihr zu, und ihre Stimme war wohl nur deshalb so leise, weil sie anders ihre Wut nicht hätte unterdrücken können.

In der nächsten Sekunde fauchte sie die Wachen an, die herbeigeeilt waren, als Manas Schrei ertönt war. „Worauf wartet ihr noch?! Nehmt ihn in Gewahrsam!“

Doch der Meisterdieb dachte nicht daran sich einfach so abführen zu lassen. Diese Wächter waren keinen Gegner für ihn, genauso wenig, wie ihr Kollege es gewesen war. Der nette Herr, der ihm freundlicher Weise so großzügig bei seiner Inschrift behilflich gewesen war. „Viel Spaß!“, sagte Bakura zu Adalia und lachte. „Ich denke, das wird hochinteressant für dich werden, mich hat es auch überrascht. Und pass gut auf die Kleine auf!“ Mit einem herzhaften Lachen sprang er aus dem Fenster, legte die Unsichtbarkeit wieder um seinen durchtrainierten Körper und verschwand. Von allen ungesehen, kletterte er mit gekonnten Handgriffen und gezielt gesetzten Schritten die Wand herunter.

Dies war doch ein äußerst erheiternder Tag gewesen.

Lügennetz

Der Himmel war klar und wolkenlos, offenbarte einen strahlenden Tag. Einen Tag voller Hoffnung und voller Freude. Doch diese Freude war trügerisch, nichts als eine Illusion für jeden, der die Wahrheit kannte. Was nur waren das für Umstände, die sie jetzt am Palast hielten, was nur waren es für Zustände?

Seufzend hatte sich Kisara gegen eine Wand gelehnt. Als Akim an sie herantrat, hoffte sie inständig, dass sie ihn ignorieren konnte und schloss demonstrativ die Augen.

Es verwirrte ihn. Traute sie ihm? Er selbst würde es im Augenblick nicht tun an ihrer Stelle, zu unbekannt musste ihr seine Macht vorkommen, zu ungestüm. Doch sie hatte die Augen geschlossen, erwartete offensichtlich keinen Angriff von seiner Seite aus.

„Es...“, setzte er an, zunächst leise, doch dann gewann seine Stimme an Kraft. „Es ist grausam, was mit ihr passiert ist.“

Die Weißhaarige öffnete die Augen, resignierend. Sollte sie also doch mit ihm sprechen. Wieder seufzte sie. Leicht erstaunt schob sie ihre langen Strähnen hinters Ohr und warf sie sich über die Schulter. „Allerdings, ja“, stimmte sie ihm zu und sah dann zu Boden. „Redest du von dem, was der Auslöser war, oder von dem, was Seth hinterher mit ihr gemacht hat?“

Fragend sah sie ihn an, letztlich war ihr Interesse doch geweckt. Ihre Arme verschränkt, betrachtete sie sein jugendliches Gesicht, ehe sie weitersprach. „Schließlich hast du damit ebenfalls Erfahrungen...“ Ihre Stimme war nun kaum mehr als ein Hauch, und doch war sie hell und glockenklar.

Verbittert nickte er. „Ich spreche von dem Auslöser“, sagte er, stimmte dann aber auch ihrer zweiten Vermutung zu. „Das, was Seth getan hat, ist nicht weniger grausam“, meinte er, „Sie wird sich nie wieder erinnern können.“ Für wen war es eigentlich weniger grausam? Sie hatte alles vergessen, stand vor einem Leben voller Fragen. Doch er? Und all die Umstehenden? Sie standen vor einem Leben voller Lügen.

Er schüttelte den Kopf. „Bei mir war es etwas anderes“, sagte er und spürte, dass es stimmte. Er wollte seine Situation nicht mit der Ihrigen vergleichen, er konnte es nicht. Zu viele Faktoren waren anders als damals. Der Hohepriester hatte seinen Millenniumszauber nicht gegen ihn gerichtet um ihn zu retten. Keine Heldentat verband ihn damit, kein Edelmut und keine Macht. Ihn hatte er demütigen wollen, unterwerfen und versklaven, doch Mana...

Nein. Die Situation war nicht vergleichbar, entschied er.

Kisara stieß sich von der Wand ab und trat dichter auf ihn zu. „Stimmt... es ist beides grausam. Aber vorerst ist sie glücklich.“ Wollte sie sich die Sache verständlich machen? Es klang ganz so, als suchte sie für sich selbst eine Rechtfertigung für Seths Handeln. Entschied sie, dass es ihr egal war? Gab es wichtigeres?

„Wir können uns nur anstrengen auf sie zu achten und sie wieder zu unserer Freundin zu machen“, sagte sie langsam und blickte den Jungen mit dem violetten Haar eindringlich und ernst an. Sie selbst war niemals eine Freundin von Mana gewesen, doch er hatte dieses unsichtbare Band um Manas Herz gelegt. „Oder findest du nicht, dass sie das verdient? Wenn sie schon keinerlei Erinnerungen an die Vergangenheit hat.“ Sie seufzte erneut. Mussten die Missverständnisse, die es zwischen ihnen gegeben hatte überhaupt noch ins Gewicht fallen?

Langsam aber ausdrucksvoll schüttelte Kisara ihren Kopf. Es war wirklich gefährlich. „Sie ist ein Spielball, der viel zu leicht den Besitzer wechseln kann...“

Akim betrachtete sie einen Moment schweigsam, beobachtete wie ihr Blick wieder gen Himmel wanderte. So hatte er noch nie zuvor mit dem Drachenmädchen gesprochen, nicht zuletzt wohl aus dem Grund, dass er selbst in früheren Gesprächen nicht mehr als eine Marionette gewesen war, eine Puppe, die sich langsam, jedoch stetig aus den Klauen ihres Besitzers befreit hatte. Zum ersten Mal stand er vor der Frau, die der Hohepriester einst an seiner Seite gewollt hatte, eine Frau, die unglaublich viel sah und noch vieles mehr mit beeindruckender Schnelligkeit verstand.

Mana war ein Spielball?

Von dieser Seite hatte er das Ganze noch überhaupt gar nicht betrachtet, doch Kisara hatte höchstwahrscheinlich recht. Er nickte. „Es wäre gut für sie, wieder Freunde zu haben“, sagte er und ließ nun seinerseits ein Seufzen vernehmen. „Aber ich denke nicht, dass ich der Richtige dafür wäre...“ Die Gedanken an Meira und Cyrus legten sich wie eine Grenze um ihn, eine Markierung, die sagte: Bis hierhin und nicht weiter. Er sah Kisara lächelnd an. „Ich bin hier nicht willkommen.“

Sie erwiderte sein Lächeln. Bitter umspielte es ihre zarten Lippen und zeichnete auf ihr Gesicht einen Ausdruck, der von Bedauern geprägt war. „Du bist hier nicht willkommen?“, wiederholte sie skeptisch und nickte dann. „Das mag sein“, flüsterte sie, „Doch du bist nicht unser Feind.“ Zumindest im Moment war er es nicht, darauf musste sie vertrauen. Sie verstärkte ihren Griff um ihre blassen Oberarme. „Mana hat Interesse an dir und sie heißt dich willkommen.“ Die Weißhaarige blickte an ihm vorbei. Konnte man Mana die Verantwortung überlassen, über ihn zu entscheiden? Durfte sie ihm die Türen zum Palast auf diese Art und Weise öffnen?

Kisara wusste nicht, ob es richtig war, doch es gab so vieles, das sie nicht wusste, durfte sie sich also eine Meinung bilden? „Ich weiß nicht, welche Rolle du spielst, aber auch wenn du es dir vielleicht wünschen magst... Du bist nicht der Feind. Nicht in meinen Augen.“ Ja, beschloss sie, sie durfte durchaus eine eigene Meinung vertreten. Sie war nicht weniger unbefugt dazu, als beispielsweise die Priesterin, die immer weiter eintauchte in das Labyrinth aus Lügen, dass ihre eigenen Worten formten. „Du bist ungefährlich“, schloss Kisara und brachte Akim dadurch erneut in Verlegenheit. Seine Rolle als Nebelkind vertrat er offensichtlich viel besser als er selbst glaubte, er passte sich ganz unbeabsichtigt genau in jenes Bild ein, das Cyrus schon so lange aufzubauen strebte.

„Ungefährlich?“, fragte Akim skeptisch und lächelte leicht. War sie naiv? Oder glaubte sie wirklich daran? Er selbst war sich da nicht sicher. Ihn auf diese Weise zu beurteilen war äußerst gewagt, nicht nur mutig, sondern töricht. Sie wusste offenbar nicht, wer vor ihr stand, wenn sie wirklich davon überzeugt war.

„Mana allein reicht nicht aus um mich willkommen zu heißen und das weißt du“, sagte er entschieden, „Sie ist nicht bei Sinnen, man wird nicht auf sie hören.“ Es entsprach den bitteren Tatsachen. In diesem Palast konnte kein Gewicht auf die Wünsche eines kleinen Mädchens gelegt werden, all dies geschah doch nun nicht mehr nur um sie zu schützen, sondern auch um den zweifelhaften Frieden des Palastlebens nicht zu gefährden.

„Und warum bist du dann noch hier?“, entgegnete Kisara – zum ersten Mal amüsiert – „Zu schockiert über die Situation?“

Diese Logik gestand sie ihm nicht zu, nicht da sie genau sehen konnte, dass es anders war. „Dir liegt etwas an ihr, deswegen bist du nicht böse. Nun denn“, sie trat nach vorn und lief wie gleichgültig langsam auf und ab. „Es steht dir natürlich frei zu gehen, zu bleiben und zu kommen“, sagte sie leichtfertig und lehnte sich schließlich wieder gegen die Wand. „Hier kann es doch ohnehin keiner mit dir aufnehmen.“

Klang sie amüsiert oder täuschten ihn seine Ohren? „Du machst dich über mich lustig“, stellte er trocken fest. Sie sollte es nicht tun, sie hatte keine Ahnung. „Was gibt dir die Sicherheit? Siehst du deine Chance?“ Es war hart es so zu fragen, doch die grimmige Unterstellung lag mehr als nahe. „Nun, da die Konkurrenz praktisch aus dem Weg geräumt ist?“ Verbittert lächeln konnte auch er. Sie legte es förmlich darauf an, doch sie schein ihn nicht provozieren zu wollen. Sie reihte einfach nur Tatsache an Tatsache und zog daraus ihre Schlüsse.

„Verzeih“, flüsterte Kisara und starrte wieder in das unendliche Blau des Himmels, das ihre Augenfarbe so gut widerspiegelte und doch keinen Glanz hervorbrachte. Die Konkurrenz? Sie schüttelte den Kopf. Nein. Sie hatte Beide ausreichend verletzt. Doch wollte Akim sie kränken oder wollte er aus ihr schlau werden? Handelten sie nicht auf gleiche Weise?

„Ich sehe sie nicht als meine Konkurrenz und ich rechne mir keine Chancen zu.“ Für eine Konkurrenz wäre ein Wettstreit von Nöten, doch den einzigen Kampf, den sie je mit Mana geführt hatte, hatte sie längst verloren. „Ich will auf sie achten, weil Seth mich darum gebeten hat“, antwortete sie ruhig und doch erfüllte diese Bitte sie mit einer wohligen Seligkeit, die ihr die Zurückweisung erträglich machte.

„Ist das nicht ungerecht?“, fragte der Junge, der genau zu verstehen schien, was sie fühlte.

Kisara atmete tief durch. „Schon möglich“, stimmte sie zu, doch dann war sie wieder gefasster. „Ich habe aber kein so schlimmes Los gezogen wie die Kleine. Absurd, oder? Noch jetzt kann ich hören, wie sie sich dagegen auflehnte, all die Regeln und Bestimmungen für sich anzunehmen.“ Ihre Stimme klang ernst und nachdenklich. „Seth kann einem auch Leid tun“, sagte sie und duldete in diesem Punkt keinen Widerspruch. Unter der jetzigen Situation litt er am meisten, draußen in einem Krieg, der wohl kaum grausamer war, als das, was ihn zuhause erwartete.

Akim konnte ihr nicht zustimmen und selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er es nicht vermocht. Für Seth empfand er keinerlei Mitleid, ihm allein gönnte er alles, was geschehen war, doch seine Strafe hätte nicht auf Manas Schultern lasten dürfen.

„Warum tust du das alles?“, fragte er Kisara und konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. „Welchen Anreiz hast du?“ Er konnte es nicht verstehen. Egal, wie er es auch drehte und wendete, es war ihm doch ein Rätsel. „Du bekommst doch nichts zurück. Falls Seth zurückkehrt“ – und er legte für sich selbst die Betonung auf das Wort ‚falls‘ – „wird er für doch keine Augen haben...“

Doch das Drachenkind wusste zu kontern. „Und warum machst du das alles?“, stellte sie sich ihm entgegen und gab ihm von seiner eigenen Medizin. Trotzdem war dies keine einfache Frage, sondern ein Teil ihrer Antwort. „Warum bist du so nett zu Mana? Wieso bist du noch hier? Es ist doch egal, ob sie sich an dich erinnert, oder? Du behältst doch die Erinnerung an sie... Und deswegen bist du auch noch hier. Und deswegen werde auch ich weiterhin auf sie achten. Um Seth glücklich zu machen.“ Sie hatte in der letzten Zeit häufig darüber nachgedacht, hatte lange um ihre weitere Daseinsberechtigung gekämpft und endlich hatte sie einen zufriedenstellenden Grund gefunden. „Denn die Menschen, die man liebt, will man glücklich wissen, egal, ob man etwas zurückbekommt oder nicht.“

Ihre Stimme war immer leiser geworden, ihr Blick immer leerer und immer einsamer. Sie hatte nun wirklich genug angerichtet, redete sie sich ein, auch wenn sie selbst kaum hätte aufzählen können, was genau ihre Fehler eigentlich gewesen waren.

Ein leichter Nebelschleier legte sich unter Kisaras Kinn und hob ihren Kopf. Akim sah sie nachdenklich an, schüttelte dann seine violetten Strähnen hin und her. Sie durfte nicht davon ausgehen ihn zu kennen, es wiegte sie in eine falsche Sicherheit. „Er hat dir sehr wehgetan, nicht wahr?“, fragte er und doch wollte er darauf keine Antwort haben. „Ja, ich bleibe“, fuhr er ungeachtet dessen, dass das Mädchen leicht zusammengezuckt war, fort. „Denn ich habe Mana nicht vergessen. Trotzdem. Sobald Seth hier auftaucht, werde ich den Palast verlassen. Für euch mag es in Ordnung sein, doch keiner! Ich wiederhole, keiner kennt das Gefühl nicht zu wissen, wer oder was man ist ... Es ist nicht zu verzeihen.“

Das Urteil über den Hohepriester zu revidieren kam überhaupt nicht in Frage. Wenn Mana ihm auch verzeihen würde, er würde es niemals tun. Nichts rechtfertigte es, aus einem Menschen eine willenlose Puppe zu machen, schutzlos, wehrlos, hilflos.

Das Lächeln von Kisaras Gesicht war auf der Stelle wieder verschwunden. Die Verbitterung und der Hass, der aus Akim sprach, alarmierte und beunruhigte sie. Vermutlich wäre es nicht sonderlich schlau, ihn zu reizen oder zu provozieren. „Ja, du hast wahrscheinlich recht.“ Besänftigend sollte es klingen, doch ob ihr das wirklich gelingen konnte, wusste sie nicht.

„Hast du jemals darüber nachgedacht, was wäre, wenn du niemanden kennen würdest?“, sie musste es begreifen, wenn sie Mana wirklich helfen wollte. Wenn sie verstehen wollte, was es wirklich bedeutete. Er musste die Situation konkretisieren, um alles klarer umreißen zu können. „Wenn du aufwachst und alles ist fremd? Ihr habt keine Ahnung.“ Kälte lag nun in Akims Gesicht, er wirkte so viel älter, so viel reifer und doch wie ein verletztes Kind, das sich für die Ungerechtigkeiten der Welt rächen wollte. „Sie glaubt, alles ist so, wie es sein sollte. Doch je mehr sie herausfindet, desto weniger passt zusammen.“ Ein grimmiges Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Nun war er es, der Fakten aneinanderreihte, eine Wahrheit, die sie alle langsam aber sicher einzuholen drohte. „Und alles fällt in sich zusammen. Ihr verstrickt euch in ein Geflecht aus Lügen, bis irgendwann in Vergessenheit gerät, dass sie einst jemand anderes war.“ Er kehrte ihr den Rücken zu und schritt wenige Meter weit durch den Gang.

Nur kurz noch blickte er zu Kisara zurück. „In einen solchen Mann hast du dich einst verliebt. Zu einem solchen Mann siehst du noch immer auf.“ Mit einem letzten bitteren Klang seiner Stimme, verschwand er im Nebel. War es dies gewesen, das er hatte selbst herausfinden sollen?

„Warte!“, rief Kisara ihm erschrocken hinterher, doch er hörte sie nicht mehr. Betroffen fiel ihr Blick wieder zu Boden, sah auf den Schatten, der sie selbst darstellte. Das strahlende Sonnenlicht war reinster Hohn. Er wusste genau, wie sie sich fühlte. Nur er allein konnte diesen Schmerz nachvollziehen.

Aber gegen Gefühle konnte man nichts tun, oder? Seth hatte doch seine Gründe...

Warum hasste er Seth so abgrundtief? „Es tut mir Leid...“ Ein Hauchen nur, mehr brachte sie nicht mehr hervor, bevor sie auf die Knie sank.

Provokation

Krieg. Es war kaum zu glauben, dass es soweit tatsächlich hatte kommen müssen. Die Grausamkeit war allgegenwärtig. Niemand konnte sich dem entziehen, auch nicht der ägyptische Pharao. Seine außergewöhnliche Position im Land half ihm nicht weiter, brachte ihm hier auf dem Schlachtfeld absolut gar nichts. Wie jeder seiner Männer hatte auch er um sein Leben zu kämpfen, vielleicht sogar ein wenig mehr als die anderen, da seine Krone ihn zu einem begehrten Ziel machte.

Er hatte sein Schwert gezogen, setzte sich von Gegnern umgeben stur zur Wehr. Er wollte nicht kämpfen, sah den Sinn darin nicht. Wieso sollte das sein? Wieso musste es sein? Er hatte doch bei Teana zu sein, gerade jetzt, da sie ihn so sehr brauchte. Warum war dies dazwischen gekommen? Sie hatten während seiner ganzen Regentschaft keine Probleme mit den Libyern gehabt, wieso ausgerechnet jetzt? Was hatte sie dazu veranlasst ihr Territorium nun erweitern zu müssen? Er war ein friedlebender Pharao, er legte großen Wert darauf, dass sein Volk in Wohlstand und Frieden leben konnte, nicht darauf sein Herrschaftsgebiet auszubauen.

Missmutig erstach er einen weiteren seiner Feinde und zog das Schert wieder heraus aus dem nun leblosen Körper. Dann sah er sich um. Es waren wirklich viele, doch sie hatten nur schwache Waffen und wenig Strategie. Er atmete leicht auf und schickte eine Truppe zu einer größeren Ansammlung von Gegnern. Vielleicht würde der Kampf ein wenig leichter werden, als er es erwartet hatte, doch er würde nicht der naive Narr sein, der seine Gegner unterschätzte. Zu vieles stand auf dem Spiel, zu vieles musste bewahrt werden.
 

Nicht weit entfernt von ihm kämpfte Seth seinen eigenen Kampf. Hätte er die Wahl gehabt, hätte er mit großem Vergnügen mit angesehen, wie Shada und Karim sich niedermetzeln lassen mussten, doch auch er konnte der Schlacht nicht entgehen. Die Libyer ließen sich nicht weiter ignorieren, doch durch die Wucht seines abgrundtiefen Hasses waren sie bald zurückgedrängt. Er führte sein Schwert wie kein zweiter auf dem Feld, getrieben nur von Wut und Abscheu. Beiläufig, so schien es, gab er den Truppen seine Befehle, während er selbst voller Inbrunst kämpfte und damit nicht nur seinen Feinden einen Schauer über den Rücken jagte. Mit der rechten Hand lenkte er seine tödliche Klinge, in der linken hielt er seinen noch viel tödlicheren Millenniumsstab. Er kannte keine Gnade, dachte nicht daran, auch nur den kleinsten Bauernsohn zu verschonen, wenn dieser seine Waffe gegen ihn richtete. Es war ihm gleich, wie viele Menschenleben er auslöschte, blinder Zorn regierte seinen Verstand. Er versuchte krampfhaft an nichts zu denken, wollte auf keinen Fall an irgendetwas erinnert werden. Nicht jetzt. Nicht hier. Er brauchte seine volle Konzentration für den Krieg, der seine einzige Gelegenheit war um zu verdrängen. Nur so gelang es ihm, die zwei Priester nicht auf der Stelle zu töten. Er scherte sich nicht um ihre Leben, doch er wollte, dass sie die Qual spürten, wollte, dass sie ihn darum baten ihrem Leid ein Ende zu setzen. Er wollte es hören und deshalb mussten sie leben – vorerst.

Einzig und allein die Pfeile konnten ihm wirklich gefährlich werden, da sie wie aus dem Nichts auftauchten und kaum Zeit ließen zu reagieren. Im ungleichen Kampf Mann gegen Mann waren die Geschosse, die von außen kamen, der einzige Trumpf. Als ein weiterer Pfeil nur Zentimeter vor seinem Kopf vorbeizischte, erschrak der Hohepriester. Es war äußerst knapp gewesen, er hatte ihn nicht kommen sehen, nichts hätte ihn warnen können. Nach Fassung ringend starrte er in die Richtung aus der der Pfeil gekommen war und blickte in Shadas wütendes Gesicht. Seth kniff die Augen zusammen. Dafür würde er büßen. Dass der Kahlköpfige keinen Bogen zur Hand hatte, fiel ihm in seinem Hass nicht auf, doch es kümmerte ihn auch nicht. Es war so leicht an die Waffe der Feinde heranzukommen, dass es gerade zu lachhaft war.

Das würde er bezahlen, dafür würde er schon sorgen. Er setzte sein Pferd in Bewegung, einige der Libyer, die ihm im Weg standen einfach niedertrampelnd, andere zwang er mit seinem Schwert in die Knie. Einem weiteren Pfeil, der auf ihn abgefeuert wurde, wich er aus, dieses Mal war er vorbereitet. Shada würde ihm nicht entkommen. Er hatte seiner Beute genügend Vorsprung gegeben, beschloss er instinktiv, es war an der Zeit, die Jagd zu eröffnen. Die Jagd, die in einem Blutbad enden sollte.
 

Es war zum verrückt werden. In einer solchen Situation hatte er sich nie befunden, einen solchen Kampf hatte er noch nie geführt. Immer wieder riss ihn der Gedanke an Rache aus dem Konzept der Verteidigung, immer wieder hinderte er ihn daran, klar zu denken. Ihre Situation war aussichtslos wie nie zuvor, doch er würde sich dem entgegenstellen.

Seth.

Er würde seine Rache bekommen. Mit dem gestohlenen Schwert kämpfte er brutal gegen die Truppen, die ihn angriffen. Es waren allesamt Libyer, da er noch immer sein ägyptisches Priestergewand trug, doch es war ihm gleich. Er metzelte nieder, wer es wagte, ihn herauszufordern.

Schnell hatte er ein weiteres Schwert freigekämpft und warf es Karim zu. Sein Freund sollte nicht schutzlos bleiben, auch wenn der Hohepriester dies zweifellos gewünscht hatte. „Wahrscheinlich besser bei deinen Kampfeskünsten“, neckte er den muskulösen Priester nicht weit von ihm, so langsam fand er Gefallen an der Brutalität des Kampfes. Vor allem der Gedanke an die Qual, die er noch für Seth bereithielt, machte ihm das Gemetzel zu einem Hochgenuss. Ihre Rache würde furchtbar sein, das wusste er genau. Wenn erst der Zauber abgeklungen war, der ihre Kräfte blockierte, dann…

Nichts würde ihn dann noch aufhalten, auch nicht die libyschen Horden, die im Weg standen. Voller Vorfreude erstach er einige der Bogenschützen und kämpfte sich zwischen sie. Dabei stieß er einen der Krieger an, der gerade zielte, und riss den Bogen herum.

Der Pfeil verfehlte knapp den Kopf des Hohepriesters und Shada erschrak. Es war so nahe gewesen… Er durfte nicht vergessen, dass diese Libyer das gleiche Ziel hatten wie er. Er grummelte. Schön und gut, der Priester hatte Glück gehabt, doch er sollte sich bloß nichts darauf einbilden. Es hatte überhaupt nicht in seiner Absicht gelegen, ihn zu retten. Dies würde nicht noch einmal passieren.

Karim hatte offenbar nicht mitbekommen, was soeben geschehen war und insgeheim war Shada froh darüber. Er hätte ihn noch ewig damit aufgezogen, dass er den Hohepriester nicht einfach hatte verrecken lassen, so wie es hätte passieren sollen.

Blitzartig drehte der Größere sich um und fing das Schwert, das seine Chancen drastisch verbesserte. Mit diesem neuen Schwert hatte er es bei weitem nicht so schwer sich zu verteidigen und vor allem konnte er auch selbst angreifen. Im Krieg war man ohne Waffe nur ein halber Mann, weniger Wert als die Reittiere, die eine so kostbare Quelle falscher Sicherheit darstellten, Schutz, der von zweifelhafter Dauer war. Doch auch wenn ihre Chancen seit ihrem Erwachen gestiegen waren, davon auszugehen, dass sie allein der Übermacht trotzen konnten, war viel zu waghalsig und riskant. Sie mussten hier weg und das schleunigst. Viel zu viel Zeit hatten sie schon im Kriegsgetümmel verbringen müssen.

Shada kämpfte sich durch die Menge, stieg über Leichen an die Seite Karims. Sie hatten eine bessere Ausgangsposition, wenn sie Seite an Seite kämpften, wenn sie ihre Kräfte vereinten. Der Schwarzhaarige blickte sauer auf, doch nur für einen kurzen Moment, denn er musste sich dem Abschlachten seiner Feinde widmen. Lästige Pflichten, für die es genug Sklaven zu geben hatte, eine Aufgabe, der er nicht einmal die geringste Genugtuung abgewinnen konnte. Nie zuvor hatte er um sein Überleben bangen müssen, nie zuvor hatte er Angst gehabt vor dem nahenden Tod. Nicht einmal als sie Bakura im Tempel des Anubis gestellt hatten, hatte er diese Gefahr für sein ganzes Sein so deutlich gespürt wie hier zwischen all den hingerichteten Körpern, die einst Menschen gewesen waren. Es war einzig und allein Seths Schuld, er, der sie unbedingt ins Verderben stürzen sehen wollte und all das nur wegen einer diebischen Tochter…

Ein Lächeln legte sich auf Karims Gesicht und er ritt wieder auf den Hohepriester zu. Finster betrachtete er ihn. „Was glaubst du?“, rief er Seth entgegen und grinste breit, „Wie geht es deiner kleinen Schlampe?“ Provokation war das beste Mittel um ein wenig Spaß in die ganze Angelegenheit zu bringen und Seth sprang sofort auf seine Herausforderung an. Er reagierte wie mechanisch. Programmiert. Ganz genau wie erwartet.

„Wage es ja nicht!“, brüllte er voller Hass, nie zuvor hatte ihn ein lebender Mensch so sauer gesehen. Wieder waren die Libyer vergessen, wieder wurden sie nur getötet, wenn sie ihm absichtlich in die Quere kamen und dann auch ohne jemals Aufmerksamkeit vor ihrem Tod bekommen zu haben. Namenlose Leichen, ohne Gesichter.

Shada zuckte unmerklich zusammen, grinste dann aber ebenfalls. „Aber er hat doch recht!“, fauchte er den Hohepriester an, konnte sich aber ansonsten nicht weiter einmischen, weil die angreifenden Krieger ihn auf Trab hielten. Er gab sich alle Mühe zusätzlich Karim den Rücken frei zuhalten, doch die Soldaten kamen auf ihn zu und drängten ihn zurück.

Er wusste, er konnte sich auf Karim verlassen, doch den Spaß wollte er sich eigentlich nicht entgehen lassen. Er würde ihm doch wohl nichts von ihrem süßen Geheimnis erzählen?
 

„Ich erlaube es nicht, dass ihr so über sie sprecht!“, donnerte des Priesters Stimme über das Feld, so zornig, dass seine Worte allein schon bedrohlicher kaum hätten sein können, doch Karim lächelte nur amüsiert. Schwachpunkt gefunden, dachte er aufgeregt und starrte Seth an.

„Willst du wissen, wie es war?“, fragte er mit einem gierigen Unterton in der Stimme, „Sie hat geschrien, weißt du?“ Oh ja, es machte ihm Spaß Seths fassungslos erbarmungsloses Gesicht zu betrachten, jede Reaktion auf seine Worte zu verfolgen und vorauszusehen. „Sie war so schlecht…“, beklagte er sich kopfschüttelnd, „Was findest du nur an dem kleinen Ding?“

Mana niederzumachen war viel interessanter, als selbst er es erwartet hatte. Die Farbe im Gesicht seines Feindes zeigte alles zwischen aschfahl und zornesrot. Es war köstlich, er hatte genau gewusst, dass es so werden würde, wenn man die richtigen Stellen traf. Jene Punkte, die wirklich wund waren, Punkte, an denen es wirklich weh tat.

Seths Augen weiteten sich vor Entsetzen. Die Dreistigkeit war unglaublich, wie konnte er es wagen, auch nur das Wort an ihn zu richten? Das Gefühl, das nun durch seinen Körper zog, schwappte wie mächtige Wellen voran, zerstörerisch wie die flammende Hitze, die in der Wüste herrschte. Die Kaskade, die Karims Worte und vor allem sein hämisches Lachen in ihm auslöste, ließ ihn schutzlos zurück, nichts war nun wichtiger als der grenzenlose Hass, der ihn sein Pferd antreiben ließ, vorbei an den Männern, die entsetzt zurücksprangen, als sie den Ausdruck in seinen Augen sahen. Das Schwert hielt er fest in seiner Hand, umklammert, sodass die Handknochen weiß hervorstachen.

„Du bist nichts weiter als Abschaum“, zischte er, „Nicht würdig, auf dieser Welt zu leben!“ Er quetschte die Worte heraus, seine Zähne fest aufeinander gepresst, um seine Gefühle im Zaum zu halten.

Karims Augen weiteten sich vor Schreck. Er konnte ihm nicht ausweichen, es gab keinen Weg zurück, zur Seite oder in sonst eine Richtung, die ihm eine Rettung hätte sein können. Noch bevor der Hohepriester einen weiteren Atemzug getan hatte, rammte er seine treue Klinge durch die Brust des Peinigers, dem das Entsetzen im Gesicht stand. Er sank zu Boden, unfähig sich auf seinem Pferd zu halten und keuchte. Das erschrockene Tier suchte sein Heil in der Flucht, galoppierte davon, ehe es jemand aufhalten konnte.

Das Blut sickerte in Stößen aus Karims Wunde, als Seth sein Schwert zurückzog. Diese Klinge war viel zu schade, als dass er sie hier verlieren würde. Die rote Flüssigkeit brachte den Hohepriester wieder zur Besinnung, ließ die blinde Wut zu einer Woge aus Begeisterung und Genugtuung werden. „So siehst du gleich viel besser aus…“, hauchte er und betrachtete Karim zufrieden.

„Karim!“, schrie Shada und die Panik in seiner Stimme klang wie Musik in des Hohepriesters Ohren, „KARIM!“ Fassungslos kämpfte sich Shada seinen Weg frei auf seinen gefallenen Freund zu, er konnte es noch gar nicht wirklich wahr nehmen. Als er endlich zu ihm durchgekommen war, blickte er blass auf Karim herab und dann in Seths Gesicht, der sich grinsend zu ihm umdrehte.

„Du mieses Stück Dreck!“, brachte er hervor, bevor seine Stimme brach. Er sprang vom Pferd, ließ sich neben Karim nieder und schüttelte ihn unsanft.

„Sha…da…“, brachte dieser hervor, doch ihm war nicht mehr zu helfen, er verlor sein Blut viel zu rasch und das Bewusstsein sickerte damit langsam aber sicher in nicht mehr erreichbare Ferne.

„Was ist denn?“, fragte Seth hinterhältig und genoss es zu verfolgen, wie die Erkenntnis sich langsam in Shadas Gehirn brannte. „Die Realität kann grausam sein, nicht wahr?“, fragte er und es war eine grimmige Karikatur dessen, was er selbst fühlte.

Shada schaffte es nicht, seinen Blick von Karim abzuwenden. Immer und immer wieder schüttelte er den Kopf, als wenn damit etwas geändert werden könnte, als könnte er es damit ungeschehen machen.

Seth kümmerte sich nicht weiter um sie. Sollten sie in ihrem Leid ertrinken, Karim würde es auf alle Fälle tun. Damit war der erste von zweien erledigt, dachte er und betrachtete stolz das Schwert, das nun durch des Verräters Blut geziert wurde. Nur kurz fiel sein Blick auf den Pharao, der wohl für einen Augenblick etwas hatte sagen wollen, dann aber doch den Mund schließ, bevor ein Wort des Tadels ihm entweichen konnte. Er wusste es genauso wie er. Sie hatten nichts anderes verdient. Ihr Schmerz war seine Genugtuung. Seine ganz eigene Provokation.

Geheimnis

Gab es irgendwo eine Macht, die ihr alles kaputt machen wollte? Irgendein Wille, der alles zunichte machte, noch bevor auch nur die ersten Früchte reifen konnten?

Es war zum verzweifeln. Kaum glaubte sie etwas im Griff zu haben, fand dieser Wille eine Nische, die das ganze Netz zum reißen brachte. Unvermittelt und doch gezielt, wie es schien. Gezielt auf die Fäden schießend, die Manas kleine kaputte Welt im Gleichgewicht halten sollten.

Adalia fluchte innerlich, als sie Bakura hinterher blickte, der einen Haufen Fragen hinterließ. Fragen, deren Antworten sie nicht geben wollte und auch gar nicht geben durfte. Dabei hatte sie selbst Fragen, sie selbst wollte Antworten. Die Schriftrolle hielt sie in der Hand, doch sie konnte sie nicht lesen, nicht unter Manas wachsamen Augen, denen keine fremde Kleinigkeit verborgen blieb. Was sollte sie nur tun? Wie sollte sie die Zügel wieder übernehmen, wenn von allen Seiten an ihnen gerissen wurde?

Wie sollte sie Seth überzeugen, die richtige Wahl getroffen zu haben?

Sie seufzte. Manas Sicherheit hatte Vorrang, sie durfte nicht noch länger den scheußlichen Geruch des Blutes wahrnahmen, durfte es nicht sehen.

„Was sollte das? Was war das?“, fragte das Mädchen durcheinander, „Was hat er erzählt?“

Ihr Wissensdurst war das einzige, das sie jetzt vor einem Schock schützte, ihr Unverständnis für die makabere Situation kam Adalia sehr zu Gute. Sie hatte nur eine Wahl, alles andere machte die Sache komplizierter, zu komplex als dass Mana damit etwas hätte anfangen können.

Es ging gegen all ihre Prinzipien, die Welt in schwarz und weiß zu teilen, doch wie sollte sie ihr die Facetten beibringen, wenn sie sie dadurch nur verschreckte? „Ich kenne ihn nicht“, antwortete sie schließlich zögerlich, „Aber er ist ein böser Mensch. Wie die rothaarige Frau, weißt du?“ Sie musste verstehen, sie musste ihr glauben. Unter allen Umständen. Egal wie. „Ich weiß auch nicht, was er uns sagen wollte“, gab sie ehrlich zu, sie musste zunächst die Schriftrolle lesen. Er sprach von der Vergangenheit, seine Nachricht an der Wand war klar. Doch von wessen Vergangenheit redete er?

Adalia schob Mana sanft aber mit Nachdruck zurück in das andere Zimmer und schloss hinter sich sorgfältig die Tür. Anschließend setzte sie sie auf ihr Bett, blieb selbst jedoch stehen. Es war an der Zeit, sie konnte nicht länger warten. Das Wissen um den Inhalt der Schriftrolle war essentiell, sie musste die potentielle Gefahr abschätzen können, die davon ausging. Doch dafür war es unerlässlich, dass sie sie las.

Bevor Mana etwas sagen konnte, hatte die Priesterin die Rolle geöffnet und begann zu lesen. Mit jeder weiteren Zeile beschleunigte sie ihr Tempo und letztendlich musste sie die Rolle zweimal lesen, bevor sie es glaubte. Auf bizarre Art und Weise machte es Sinn, und doch konnte sie nicht nachvollziehen, wie es hierzu hatte kommen können. Ein Fehler war ausgeschlossen, des Pharaos Siegel war unverkennbar und bezeugte die zweifelhafte Wahrheit.

Libyerin.

Mana war Libyerin. Und als ob das allein nicht schon genügte, war sie obendrein noch dazu die Tochter des Königs der Diebe und einer einfachen Sklavin. Sie hatte noch viel weniger Stand als selbst Kisara einen gehabt hatte und doch hatte sie Seths Herz gewonnen. Adalia biss sich auf die Lippe.

Mana zupfte ungeduldig an ihrem Gewand. „Adaliaaa“, quengelte sie hibbelig, „Was für Erinnerungen?“

Die Priesterin blickte verstört zu ihr herunter. „Entschuldige“, sagte sie ehrlich und legte ihre Hand auf Manas Schulter. Ihre Frage war der eigentliche Knackpunkt, das Herz aller Spekulationen. Sie konnte ihr auf gar keinen Fall sagen, dass der Hohepriester ihre Gedanken gelöscht und ihr damit die Erinnerungen genommen hatte; das hätte alles bisherige zunichte gemacht. Doch sie musste etwas antworten, sie durfte ihr die Antwort nicht schuldig bleiben. Sie lächelte mit Unschuldsmine. „Erinnerungen sind das, wenn man weiß, was früher im Leben passiert ist“, erklärte sie vorsichtig, penibel darauf bedacht, dass die Ausrede sich passgenau in das Gerüst einfügte, das Manas Welt formte. „Bei deinem Unfall bist du aber auf den Kopf gefallen... und kannst dich deswegen nicht mehr erinnern.“ Aufmunternd sah sie in Manas enttäuschtes Gesicht, biss sich zeitgleich abermals unmerklich auf die Lippe. „Aber das ist nicht schlimm, hörst du?“

Die Schriftrolle musste verschwinden und die Schrift auch. Wenn jemand davon erfuhr, wäre die Hölle los, eine Aufregung, die Mana unter keinen Umständen würde verkraften können.

Mana blickte sie an, als wäre sie den Tränen nahe. Sie fasste sich an den Kopf, schüttelte ihn verzweifelt. „Ich verstehe das alles nicht“, sprudelte es aus ihr hervor, „Wieso ist das nicht schlimm? Was war das für ein Unfall? Wieso weiß ich das alles nicht mehr?“ Ernst aber kindlich blickte sie die Ältere an. „Werde ich mich irgendwann erinnern können?“ Sie hatte sich alles gemerkt, was in den letzten Stunden geschehen war, doch sie konnte es nicht sortieren. Es machte keinen Sinn.

Adalia schüttelte den Kopf. „Mana... bitte hör mir zu. Es ist zu früh das alles zu verstehen“, versuchte sie sie zu besänftigen, „Du wirst es alles verstehen.“ Sie durfte sich nicht so überfordern, sie musste sich doch schonen. „Aber erst einmal musst du dich ausruhen, Seth wird sonst böse mit mir“ – sie befürchtete dies inzwischen ernsthaft – „Ich weiß nicht, ob du dich irgendwann erinnern wirst, niemand kann das sagen. Aber das wichtigste ist, dass du lebst, hörst du? Und dass dein Körper wieder gesund wird. Du willst doch Seth sicher eine Freude machen, oder?“

Sie lächelte sie an. Es war an der Zeit, da sie die Verantwortung für ihren Körper mit ihr teilte, und was bot sich da besser an, als des Hohepriesters Zufriedenheit? Selbst wenn der Gedanke ihr selbst nicht sonderlich gut gefiel, so war es doch der effektivste Weg, den sie sich vorstellen konnte.

Man sah Mana an, dass sie angestrengt nachdachte. Sie schmiss sich aufs Bett und drehte sich auf den Bauch, nicht ohne dabei schmerzlich das Gesicht zu verziehen. Sie versuchte es zu verstehen, versuchte alles in einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen und atmete dabei mehrmals tief durch. „Aber es ist im Moment doch alles in Ordnung, oder?“, fragte sie und erwischte die Priesterin auf dem falschen Fuß. „Du siehst unglücklich aus ...“

Adalia biss sich stumm auf die Zunge. Wenn sie wüsste, dachte sie leicht bestürzt, sie war immerhin nicht die Einzige, die nichts über ihre Vergangenheit wusste und wenn herauskäme, dass Seth ... mit einer Libyerin ...

Doch Mana durfte nichts erfahren, durfte nicht wissen, dass sie selbst ein Problem für Seth und alle anderen darstellte.

„Im Moment ist alles in Ordnung, ja“, gab sie daher lächelnd zurück, und fühlte sich genötigt, ihr eine Erklärung für ihr Verhalten geben zu müssen. „Ich bin nicht unglücklich, ich mache mir nur Sorgen.“ Sie wusste kaum, wie sie die Scharade aufrecht erhalten sollte, so sehr hielten sie ihre Gedanken gefangen. Libyerin. Sklavin.

Es war eine Katastrophe! Wie hatte es nur dazu kommen können, dass ausgerechnet dieses Mädchen im Palast so aufgestiegen war? Wieso hatte niemand es verhindert?

„Worüber machst du dir denn Sorgen?“, fragte Mana, die natürlich nicht verstand, was das Problem war. Wie sollte sie auch? Sie wusste es ja selbst nicht.

Manchmal war es wirklich sinnvoll, die Wahrheit nicht zu kennen.

„Deine Verletzungen“, antwortete Adalia und es war noch nicht einmal gelogen, es war nur nicht ihre Hauptsorge. „Es hätte längst heilen sollen, aber du kommst nicht zur Ruhe. Es ist ja auch gar nicht deine Schuld“, fügte sie schnell hinzu, als das Mädchen protestieren wollte, „Hier sind so viele Leute, die hier gar nicht hingehören...“

„Die hier nicht hingehören?“, wiederholte Mana, sah sie fragend und irritiert an. Sie betrachtete die Priesterin für eine Weile, dann ließ sie demonstrativ den Kopf auf ihre Arme fallen. „Ich habe so viele Fragen...“, beklagte sie sich leise.

Verständnisvoll nickte Adalia. Es musste wirklich äußerst schwierig sein für Mana, mit allem klar zu kommen, sie, die sie am wenigsten von allem begriff. „Das kann ich gut verstehen“, sagte sie lieb, „Aber mach dir nicht so viele Gedanken. Es wird sich alles klären, niemand kann an einem Tag die Welt verstehen.“ Sie wollte sie aufmuntern, zumindest Mana sollte sich nicht sorgen, sollte sich selbst nicht überfordern mit Dingen, die nicht einmal große Denker hätten begreifen können. Sie sollte sich doch einfach nur ausruhen. „Du wirst bald wieder vieles können, verlang nicht zu viel auf einmal von dir.“ Dann versuchte sie, das Gespräch wieder auf ein Thema lenken, das Mana nicht an sich selbst zweifeln ließ. Dies gab ihr gleichzeitig die Gelegenheit, des Mädchens zweite Frage zu beantworten. „Ja, sie gehören nicht hierher. Es sind Menschen, die ich noch nie im Palast gesehen habe... Aber das wird sich schon klären“, sagte sie nachdenklich – solange niemand diese Rolle in die Finger bekam.

Mana nickte zustimmend. „Sicherlich“, meinte sie sichtlich davon überzeugt und kindlich naiv, „Solange du bei mir bist und mir alles erklärst, bin ich ab sofort artig und werde mich bemühen schnell zu lernen! Und dann werde ich mich bestimmt irgendwann erinnern!“ Sie war aufgestanden und blickte die Priesterin nun mit großen Augen an. Sie war besitzansprechend wie ein Kind, kommandierte sie, als wäre sie eine Mutter.

Doch dieses Versprechen war nicht schwer zu geben, schließlich hatte Seth sie bereits darum gebeten. Adalia lächelte. Sollte Mana es ruhig so sehen; wenn sie dadurch Besserung gelobte, war sie durchaus dazu bereit, darüber hinweg zu sehen. „Genau so ist es“, sagte sie und gab sich alle Mühe um fröhlich zu klingen. Und ich werde bei dir blieben, genau so, wie ich es dir versprochen habe.“

Wie nur sollte sie es schaffen, die Rolle und die Schrift verschwinden zu lassen, wenn sie die ganze Zeit über mit Mana zusammen sein sollte?

Die Wachen, die nun ausgeströmt waren um Bakura in Gewahrsam zu nehmen, hatte sie angeherrscht sich über den Vorfall in Schweigen zu üben, damit kein weiteres Aufsehen erregt wurde. Doch wie sollte sie verhindern, dass die Nachricht wie Lauffeuer um sich sprang, wenn der Beweis so allgegenwärtig war?

Mana freute sich lautstark über ihr Versprechen. Sie würde nicht allein bleiben und das gefiel ihr offensichtlich sehr. Lachend schloss sie ihre Arme um Adalia, sie war bedürftig nach Nähe, genau wie ein Kind, und die Priesterin verweigerte sie ihr nicht. Wenigstens konnte Mana auf diese Weise fröhlich sein, und das nahm ihr doch eine große Sorge vorläufig ab. Trotzdem wurde es schon jetzt Zeit, dass der Hohepriester zurückkehrte, viel zu schnell war alles durcheinander geraten.

Das Mädchen kuschelte sich kurz an Adalias Körper, ehe sie den Kopf erhob und sie anstrahlte. „Muss ich immer noch im Bett bleiben?“, fragte sie und ihre bettelnde Absicht hätte kaum klarer sein können, „Das klappt doch sowieso nicht und mir geht’s auch schon viel besser!“ Sie beteuerte es mit großen Augen, doch ihre verkrampfte Art zu stehen bewies eindeutig das Gegenteil.

„Eigentlich schon, ja“, antwortete Adalia streng, doch sie wusste auch, dass Mana Recht hatte, sie würde sich nicht ans Bett fesseln lassen und sie wollte ihr die Laune auch nicht verderben, gerade jetzt, da sie sie von allem ablenken musste, was im Nebenraum geschehen war. „Ich denke, wenn du dich einfach nur wenig bewegst, dann kannst du außerhalb des Bettes bleiben.“ Sie wollte ihr den Gefallen tun, sie wollte sie so wenig wie möglich einsperren, wo sie doch schon in ihren Gedanken gefangen war.

„Ehrlich?“, fragte sie aufgeregt, hüpfte leicht und brach damit schon die Abmachung. Sie drückte sich noch einmal an sie, trat dann zurück und sah sich interessiert um. „Und ich darf in den Palast?“, fragte sie, erneut zuckersüß und bittend.

Die Priesterin dachte für einen Moment nach, ehe sie nachgab. „Ja, darfst du“, antwortete sie, „Aber nur, wenn du mir vorher einen Gefallen tust, ja?“
 

Es war die einzige Gelegenheit, die sie hatte. Sie musste diese Schrift verschwinden lassen, und das so schnell wie möglich. Natürlich hatte Mana zugestimmt auf sie zu warten, wenn sie danach frei sein konnte. Es war berechnend gewesen und doch ihre einzige Chance. Sie hatte sie einfach nutzen müssen, zu vieles stand auf dem Spiel, wenn sie versagte. „Ich bin gleich wieder da“, hatte sie versichert, ehe sie losgelaufen war. Sie lief zur Tür und hinein ins Nebenzimmer, wo die Leiche des Wächters noch immer am Boden lag. Leicht angeekelt schüttelte sie den Kopf. Diese Wachen waren zu nichts zu gebrauchen. Sie hatte erwartet, sie hätten den Mann längst zumindest zugedeckt, doch scheinbar taten sie nichts ohne Befehl.

Nun gut, dachte die Priesterin, einen Befehl auszusprechen war nicht das Problem. Herrisch zischte sie eine weitere Wache an, die bisher nur daneben gestanden hatte. All dies musste von Mana ungesehen geschehen, die Leiche musste hinausgeschafft werden, ohne erneut ihren Blick auf sich zu ziehen, doch Adalia war darauf vorbereitet. Sie hatte einen Schleier der Illusion hinter sich in den Raum gelegt, der verbarg, was wirklich geschah, der Manas Augen regelrecht vor der Wahrheit verschloss.

Die Wachen zögerten keine weitere Sekunde, sondern führten die Anweisungen sofort aus. Gehorsam war eine Tugend, die sie durchaus auszeichneten, wenn auch das logische Denken scheinbar nicht so ausgeprägt war. Doch Gehorsam war genau das, was sie brauchte. Er allein reichte aus, damit ihr Vorhaben gelingen konnte.

Ihr Blick schnellte erneut zu dem Schriftzug hoch, der noch immer blutrot an der Wand leuchtete. Sie kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. Es durfte auf keinen Fall bekannt werden...

Das Blut zu entfernen überstieg ihre geistigen Fähigkeiten und Zeit zu putzen hatte sie nicht. Dennoch war die Brünette nicht mittellos. Unter höchster Konzentration entwarf sie eine weitere Illusion; ein Bild, das sich vor die Worte legte, sie hinter sich verschwinden und die Wand wieder so aussehen ließ, wie sie sonst gewesen war. Bis der Priester wieder da war, musste dies reichen. Sie konnte es nicht riskieren, Diener damit zu beauftragen, die Worte zu entfernen, es war zu gefährlich. Jeder weitere, der diese Worte las, stellte eine neue Unsicherheit im Netz der Lügen dar, konnte sich in die Maschen hineinweben und diese dadurch weiten.

Auf diese Weise vertuschte die Priesterin alle Spuren, die Bakuras Auftritt hinterlassen hatte, bis nur noch eine einzige übrig war: die Schriftrolle.

Es weiteres Mal entrollte sie sie um sie zu lesen, ein weiteres Mal schüttelte sie den Kopf. Ein Geheimnis musste ein Geheimnis bleiben, dachte sie grimmig und versiegelte die Rolle. Sie übte den selben Zauber mehrfach hintereinander aus. Nur so konnte sie sicher gehen, dass wirklich niemand das Pergament würde öffnen können. Doch damit gab sie sich noch nicht zufrieden. Sie ließ die Rolle in ihren Händen schrumpfen, bis nicht viel mehr als ein Fetzen übrig geblieben war, den sie mit geschickten Fingern unter ihrem Gewand verbarg. Niemand würde sie lesen.

Mit einem finsteren und ausdruckstarken Blick erkaufte sie sich der Wachen Schweigen. Das Geheimnis dieses Kindes sollte ein Geheimnis bleiben.

Sorge

Er hatte so viel gehört, so vieles gesehen, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Mana hatte keine Erinnerungen und diese Priesterin hatte freie Hand sie nach ihrem Willen zu manipulieren und zu lenken.

Es war kaum zu glauben, wie schnell sich alles hier geändert hatte, wie schnell sämtliche Prinzipien sich gedreht hatten. Es war nicht nur der Krieg, da war Akim sich sicher. Er warf seine violetten Strähnen über die Schultern und sah sich um.

Wieder einmal war er in den Palast zurückgekehrt, wieder einmal hatte er es nicht unterlassen können in Manas Nähe zu bleiben. Diese Priesterin mochte gut sein im lügen, doch ob sie noch mehr konnte, wusste er nicht zu beurteilen. Dafür kannte er sie nicht genug, er wusste nicht, wozu er fähig war. Er wusste nur, dass Kisara recht gehabt hatte. Er hielt sich tatsächlich absichtlich an diesem Ort auf, den er doch so verabscheute, den er immer wieder mit seiner Versklavung in Verbindung brachte: für Mana.

Letztendlich hatte sie ihm doch eine Rechtfertigung für seine Anwesenheit hier gegeben.

Er saß im Garten in dem Beet, das er sooft umgegraben hatte und lauschte. Die Pflanzen verbargen ihn effektiv, doch er konnte sehr wohl alles beobachten. Und was er sah, erweckte in ihm nicht den Drang sich zurücklehnen zu können.

Ein weißhaariger Mann schlich um den Palast herum, ein Mann, den er nicht kannte, und der definitiv nichts hier verloren hatte. Akim kniff die Augen zusammen. Er sollte ihn fest im Blick behalten, es war bei weitem zu viel los im Palast. Ganz so, als hätten sie alle nur darauf gewartet, dass er entblößt wurde.

Die Kleidung des Mannes bestand aus einem schäbigen dunklen Schurz, der ihm knapp bis zu den Knien ging. Darüber trug er einen langen roten Mantel. Wie er hoffte auf diese Weise unauffällig bleiben zu können, war Akim ein Rätsel.

Dennoch. Er spürte, dass von diesem Mann eine Gefahr ausging, die er nicht übersehen durfte.

Der Weißhaarige schritt gemächlich durch den Garten, ohne zu wissen, dass er ihm immer näher kam. Lässig lehnte er sich an einen Baum, pflückte eine Feige und biss genüsslich hinein.

Was auch immer er hier wollte, er ging ganz offensichtlich davon aus, dass er unbeobachtet war. Er war viel zu unvorsichtig, als dass er befürchtete, gesehen werden zu können. Immer wieder schweifte sein Gesicht hoch zum Palast, in die Richtung von Manas Zimmer und sein Blick, der voller Abscheu glänzte, gefiel Akim überhaupt nicht. Was wollte er von Mana?

In Gedanken versunken hätte er fast übersehen der Feige auszuweichen, die im nächsten Moment angebissen auf ihn zuflog. Erst hatte er geglaubt entdeckt worden zu sein, doch der Mann hatte die Frucht einfach nur achtlos weggeworfen. Er schüttelte den Kopf, warf einen letzten vernichtenden Blick zu Manas Zimmer und setzte sich in Bewegung.

Akim war bereit. Jetzt, da er dem Mann dichter war, spürte er den Zauber, der ihn umgab. Offenbar war er ihm unbekannt und von seinen Geschwistern schien er auch nichts zu wissen, sonst würde er sich nicht so auf seinen Zauber verlassen.

Doch es störte Akim nicht. Sollte er sich ruhig dem Glauben hingeben, niemand könnte ihn sehen, es gereichte ihm nur zum Vorteil.

Er würde ihn nicht aus den Augen lassen, nicht bevor er nicht herausgefunden hatte, was er vor hatte. Kisaras Worte klangen ihm in den Ohren. Doch er würde Mana nicht bekommen, das garantierte er. Er folgte ihm unauffällig, als er in den Palast ging und sich seinen Weg durch die unzähligen Gänge suchte. Seine sicheren Schritte verrieten ihm, dass er genau wusste, wohin er gehen musste. Er staunte nicht schlecht, als er ihm in einen Tempel folgte, von dessen Existenz er noch nie zuvor etwas gehört hatte. Was war das hier? Und was hatte der Weißhaarige hier zu suchen?
 

Bakura machte es sich auf seinem Thron gemütlich. Die übrigen Schriftrollen hatte er neben sich auf einem kleineren Hocker liegen und betrachtete sie stolz. Dies war bei weitem sein größter Schatz nach all der langweiligen Zeit, die das luxuriöse Leben im Palast trübte.

Er griff nach einer mit Wein gefüllten Amphore und nahm einen kräftigen Schluck daraus.

Ein Lächeln legte sich auf sein Gesicht – es war Zeit zu spielen. Er war nicht allein im Tempel des Anubis, er hatte es gespürt, als diese beiden lächerlichen Priester ihn hier gefunden hatten und auch jetzt nahm er die Anwesenheit des ungebetenen Gastes wahr. Es störte ihn nicht. Sollte kommen, wer wollte, er würde schon mit ihm fertig werden.

Akim beobachtete ihn belustigt. Er hielt sich scheinbar für etwas ganz Großes, sah aus, als würde er über allen Dingen stehen. Tatsächlich jedoch war er einfach hässlich. Er beeindruckte ihn nicht. Er kannte die Macht des Nebels nicht, doch das hinderte Akim nicht daran, sie gegen ihn einzusetzen. So lange er nicht wusste, was er von ihm zu erwarten hatte, war es besser, wenn er seine königliche Residenz nicht verließ.

Er verschloss die Eingänge mit einem unsichtbaren Nebel und betrachtete den Dieb weiterhin.

Das Versteckspiel war lächerlich, Akim und Bakura waren sich einig darin, ohne dass einer es dem anderen gesagt hatte. Es war der Nebeljunge, der es schließlich beendete. Direkt in Bakuras Blickfeld lichtete er den Zauber, der ihn verborgen hatte und grinste ihn an.

Der Weißhaarige war in keinster Weise überrascht. „Das hat aber gedauert...“, beschwerte er sich überheblich und blickte gelangweilt auf ihn herab. „Was willst du hier?“

Akim zuckte mit den Schultern. „Da gäbe es mehrere Möglichkeiten“, sagte er kühl und gelassen. „Aber wir können es auch kurz fassen. Was willst du von Mana?“
 

Kaum, dass sie den Entschluss gefasst hatte den Thronsaal zu verlassen, spürte sie, dass sie sich nicht länger hätte auf dem Thron halten können.

Die Verantwortung, die dieser Platz mit sich brachte, drückte sie so sehr zu Boden, dass sie kaum wusste, wie sie stehen sollte. Der Arzt hatte ihr mit sofortiger Wirkung Bettruhe verordnet und seitdem hatte sie auch nicht wieder widersprochen. Die Erschöpfung kroch wie ein Gift durch ihren Körper, ließ sie allein zurück mit einem Gefühl der Ohnmacht.

Qadir saß auf einem Stuhl neben ihr. Unzählige Untersuchungen schon hatte Teana über sich ergehen lassen ohne sich zu beschweren, dennoch war er nicht zufrieden. Äußerst besorgt musterte er sie. „Teuerste Königin, Ihr habt hohes Fieber, deutlich zu hoch für eine Schwangerschaft“, sagte er und tupfte ihr die Stirn. Sie war völlig überfordert mit der Situation, das stand ganz außer Frage, doch wenn sie den Kopf nicht bald freibekam, würde es böse enden und er konnte nichts tun um es zu verhindern. Wieso nur war der Krieg ausgerechnet jetzt ausgebrochen? Sie war ohnehin schon angeschlagen gewesen, und nun... Sie war dem Druck einfach nicht gewachsen, sie konnte nur daran zerbrechen.

„Kommt zur Ruhe“, versuchte Qadir sie zu besänftigen, „Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen. Es ist besser für Euch und das Kind, wenn Ihr Euch von Euren pessimistischen Gedanken befreit. Versucht Euch zu entspannen und zu schlafen... Für Eure Gesundheit und die Eures Kindes.“

Voller Mitgefühl sah er sie an. Ihr Zustand verschlimmerte sich Zusehens und das sorgte ihn sehr. Einen Diener wies er an ihm eine Schüssel frisches Wasser zu bringen, doch er wusste selbst, seine Arbeit war fruchtlos, solange sie nicht versuchte sich selbst aus ihren fiebernden Gedanken zu befreien.

Teana lächelte schwach. Sie sollte aufhören über alles nachzudenken? Wie gern hätte sie diesen Rat befolgt, wie gern hätte sie dafür gesorgt, dass man sich nicht um sie sorgen musste. Doch sie konnte es nicht. All das machte sie krank, die Sorge, die Angst, die Verantwortung, die Schuld.

Sie war dem nicht gewachsen und deshalb fühlte sie sich schrecklich. Alle verließen sich doch auf sie, Atemu verließ sich auf sie, doch sie konnte ihn nur enttäuschen. Würde er sie jetzt hier so sehen, sie würde sich in Schande verstecken wollen.

Und doch war es Atemus Nähe, die sie so sehr um sich wünschte, dass sie fieberte. Ihr ganzer Körper schien zu brennen, sie fühlte sich schrecklich, sie fühlte sich schwach. Wie lange noch sollte sie dies ertragen? Sie fühlte sich so schutzlos und allein und gleichzeitig schämte sie sich dafür. Qadir tat doch wirklich alles, um ihr dieses Gefühl zu nehmen. Auch ihn konnte sie nur enttäuschen. Sie ließ ihren Kopf schwach zur Seite fallen und schloss die Augen. Den Mund hatte sie leicht geöffnet, damit sie besser Luft bekam. Alles war so stickig, alles war so heiß. Voller Sorge legte sie ihre Hand auf ihren Bauch. Was war nur, wenn sie wieder versagte?

Leicht erschrocken legte der Arzt seine Hand auf die Ihrige. „Bitte beruhigt Euch...“, flehte er besorgt, aber sachlich zugleich, „Habt Ihr Schmerzen?“

Teana drehte mühsam den Kopf zu ihm und nickte dann leicht. „Alles tut weh“, sagte sie verzweifelt, „Es ist so heiß... und gleichzeitig so kalt...“

Wie auch immer er auch versuchte es auszulegen, es klang absolut nicht gut. Er legte ihr einen kalten Lappen auf die Stirn und wischte ihr den Schweiß weg. Die Geburt durfte es noch nicht sein, dazu war es viel zu früh.

Er stand auf und warf einige Kräuter in eine Schüssel, ohne jedoch die Königin aus den Augen zu lassen. Er zerkleinerte gewissenhaft die Pflanzen, sodass er einen Sud erhielt und ließ diesen für eine Weile stehen. Nur so würde er seine wahre Wirkung zeigen.

Während er wartete, drehte er sich wieder zu Teana um und hielt aufmunternd ihre Hand. „Es wird bald wieder besser“, hauchte er, „Bitte versucht Euch zu entspannen.“ Sie musste schnell wieder zu Kräften kommen, sonst wurde es wirklich gefährlich.

„Ich gebe mir Mühe“, flüsterte Teana leicht lächelnd, doch mit gequältem Blick und es war das einzige, wozu sie sich im Stande sah. Sie wollte zuversichtlich klingen, doch ihr Körper wurde von Schmerzen und Krämpfen durchzogen. Tapfer lächelte sie Qadir an, doch die Verzweiflung, die aus ihrem Gesicht quoll, sprach Bände.

Qadir griff nach der Schüssel, führte sie mit der einen Hand an Teanas Lippen und half ihr mit der anderen Hand sich aufzurichten. „Nehmt einen Schluck, das wird die Schmerzen lindern“, sagte er und hielt sie so, dass sie nicht sofort wieder zurückfiel. Zumindest fürs erste würde dieser Trank ihr helfen, die Schmerzen zu vergessen.

Als sie getrunken hatte, stellte er die Schüssel wieder zur Seite und ließ sie sanft zurück in die Kissen sinken. Schließlich nahm er ihr Handgelenk und überprüfte den Blutdruck. Unmerklich schüttelte er den Kopf, atmete tief durch.

„Sieht es nicht gut aus?“, fragte Teana, die den Ausdruck in seinem Gesicht gesehen hatte und die Antwort auch selbst schon kannte. Sie spürte eine Linderung, doch besser ging es ihr deswegen noch lange nicht.

„Es bessert sich wieder“, gab der Arzt zurück, „Doch Euer Puls ist trotzdem sehr schwach.“ Es brachte nichts sie in falsche Sicherheit zu wiegen, sie musste sich der Gefahr durchaus bewusst sein, wenn sie wirklich aus voller Kraft kämpfen sollte.

Wieder wischte er ihr den Schweiß aus der Stirn. Wenn sie nicht schnell anfing zu kämpfen, würde ihr Körper das Kind abstoßen, um des eigenen Schutzes Willen. Doch das durfte nicht geschehen, die Brünette selbst könnte es nicht ertragen und dann wäre selbst jenes viel zu große Opfer umsonst gewesen. „Ihr müsst Euch beruhigen...“, beharrte er und wieder lächelte sie gequält.

„Ich würde das gern tun“, sagte sie verzweifelt, „Doch wie soll ich das machen? Es ist alles so ... unwirklich ...“

„Unwirklich?“, er verstand nicht, was sie meinte. So gern würde er ihr helfen, doch den Überlebenswillen konnte sie sich nur selbst wiedergeben.

„Alles ist so anders“, versuchte Teana es zu erklären und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie ich es ertragen soll...“ Die Anspannung, die ihr schon seit Tagen zu schaffen machte, war förmlich fassbar.

„Macht Euch keine Sorgen“, er wiederholte die Worte fast wie ein Mantra, doch er wusste auch nichts anderes sonst zu sagen. „Bald wird der Pharao zurückkehren“, er musste ihr irgendwie die Hoffnung zurückgeben.

Sie nickte schwach. „Das hoffe ich...“ Sie brauchte ihn doch so sehr, nichts würde sie besser beruhigen, als ein einziger Blick in seine sanften Augen. Und nun wusste sie nicht einmal, ob sie ihn jemals wieder sehen würde. Sofort flammte die Angst in ihr von neuem auf. „Es geht ihm doch gut, oder?“, fragte sie leicht panisch, und sah den Arzt mit von Grauen gefüllten Augen an. „Bitte sagt mir, dass er zurückkehren wird!“

Dies hatte er nicht auslösen wollen, dachte Qadir beklommen. Ihr Zustand war wirklich schlecht. Nichts würde ihn jetzt davon abhalten, ihr genau das zu sagen, was sie so dringend hören wollte. „Selbstverständlich wird er wiederkommen. Er wird wiederkommen und unversehrt sein.“ Er versuchte so viel Zuversicht in seine Stimme zu legen, wie er aufbringen konnte. „Ihr braucht euch nicht zu sorgen, er wird wiederkehren.“

Die Brünette atmete tief durch. Wenn sie doch nur sicher sein konnte, dass er die Wahrheit sprach. „Ich danke Euch“, sagte sie und ehe sie noch mehr sagen konnte, begann sie zu husten. „Ich hoffe, ihr behaltet recht“, fügte sie hinzu, als ihre Stimme wieder Worte formen konnte.

Das Schicksal der Königin machte ihn betroffen und hilflos. Sie war in ihren Ängsten gefangen und er fand einfach keinen Weg, sie daraus zu befreien. Vieles hätte ihm zur Verfügung gestanden, doch die Schwangerschaft verbot jedes Heilmittel, wollte er das Leben des Kindes nicht in Gefahr bringen.

Er konnte ihr nur beistehen und versuchen sie anzuleiten, die Kraft in sich selbst zu finden und auf ihr Herz zu vertrauen. Er hielt ihre Hand. Die Barriere zwischen ihren Ständen zählte nicht, Teana brauchte eine Wärme, die nur ein anderer ihr geben konnte. Doch sie durfte nicht glauben allein zu sein. Das war sie nicht und das würde sie niemals sein. Selbst wenn der Pharao nicht hier sein konnte, so dachte er doch an sie und das Volk würde sie auch in allem Unterstützen. Sie war nicht allein. Sie musste nur davon überzeugt sein, musste nur daran glauben.

Ein weiteres Mal wischte Qadir der Königin die kalten Schweißperlen aus dem Gesicht. „Wie geht es Euch jetzt?“, fragte er, „Sind die Schmerzen besser geworden?“ Ihr Husten beunruhigte ihn zutiefst.

„Das Mittel scheint zu wirken“, antwortete Teana knapp und schien selbst nicht sonderlich überzeugt davon. Er hatte ja recht, sie musste sich zusammenreißen. Musste endlich die Frau sein, die ein ganzes Königreich führen konnte. Sie wusste, dass diese Kraft irgendwo in ihr stecken musste, Atemu verließ sich schließlich auf sie. Doch wie sollte sie das schaffen, wenn die Schmerzen ihr die Luft zu atmen nahmen? Wenn sie nicht einmal ihrem Kind eine gute Mutter sein konnte? Sie musste sich doch nur anstrengen.

Voller Anstrengung und Sorge beobachtete Qadir, wie sie ihre Hände auf ihren Bauch legte und die Augen fasst flehend schloss.

Die Entscheidung, die er zu treffen hatte... Sein Blick fiel über seine Schulter auf die Medikamente, die inzwischen alle hier aufgetragen worden waren. Er seufzte und drehte sich zu seinen Sachen um. Wenn er einschreiten musste... er musste vorbereitet sein. Er musste bereit sein.

Mit fast geschlossenen Augen und tief durchatmend entzündete er ein Räucherstäbchen und stellte es vor einem Schutzgott auf.

Ein Gebet.

Ein Entschluss.

Eine Hoffnung.

Er griff nach Kräutern, Pasten und nach Ölen und mischte sie zusammen.

Ein Husten.

Teana.

Nur im allerdringlichsten Notfall würde er ihr dieses Medikament verabreichen.

Nur im Notfall würde er sie damit retten.

Unentschieden

„Du bist ein sehr guter Beobachter, Kleiner.“ Seine Worte sollten schmeicheln, doch sie taten es nicht. Genau gesagt, hatten sie überhaupt keine Wirkung. Sie ließen Akim völlig kalt. Doch das kümmerte den Meisterdieb ebenso wenig. „Was wird mich dazu bringen, es dir zu verraten?“

Er fragte nach Mana? Es war wirklich interessant. Es war lachhaft. Seine Erscheinung zeigte eindringlich, dass er hier auch nicht wirklich etwas zu suchen hatte, und doch schien er sich um die Kleine zu sorgen. Seine Kleine? Lächerlich. Wieso kümmerten sie sich nur alle um sie? Was machte sie so besonders?

Der Junge mit den violetten Haaren musterte ihn grinsend. „Eventuell die Tatsache, dass du hier gefangen bist“, antwortete er leichtfertig. Der Nebel hatte jeden Ein- oder Ausgang verschlossen, und auch Bakura musste genug Grips besitzen, um das begriffen zu haben.

Der Weißhaarige zuckte mit den Schultern. „Das habe ich mir fast gedacht“, gab er ebenso leichtfertig zurück, es störte ihn nicht. „Ich kann Tage verharren, ohne den Tempel zu verlassen“, sagte er gelangweilt, „Also lass dir etwas anderes einfallen.“ Es sollte schließlich interessant werden, so eine Unterbrechung in seiner lähmenden Routine war eine willkommene Abwechslung und die wollte er zu seinem vollsten Vergnügen auskosten.

Doch Akim ließ sich nicht beeindrucken. „Ich denke nicht, dass das nötig ist. Deine Freiheit ist Grund genug.“ Einen Dieb einzusperren ließ ihn gelassen lächeln, er würde es nicht so lange hier aushalten, wie seine Vorräte ausreichten.

Bakura richtete sich auf seinem Thron auf, setzte sich gerade hin. Sein Gespür für Spiele war erwacht, und dieses Spiel würde er nicht verlieren. „Sag mir, Kleiner, kannst du lesen?“, fragte er und klang spöttisch. Er traute es ihm kaum zu, ließ sich aber nicht darauf herab, ihm tatsächlich etwas vorzulesen.

„Ich wüsste nicht, was das damit zu tun hätte“, gab Akim zurück, gelassen und entspannt. Er amüsierte sich bestens. Bakura kannte den Nebel nicht, das war sein entscheidender Vorteil. Und er würde es wissen ihn auszuspielen, wenn die Zeit es gebot.

Doch Bakura spielte nach seinen eigenen Regeln, ganz und gar ein anderes Spiel und ihre Spielfelder kreuzten sich nur in diesen paar Zügen. „Nun ja, vielleicht würdest du dann eine der Schriftrollen lesen, die auf dem Hocker dort liegen und dann verstehst du vielleicht.“ Er stand auf und trat zu den Schriftrollen. Seine rissige Hand griff nach den Rollen und schmiss ihm eine hinüber. „Meinen Worten wirst du eh keinen Glauben schenken.“ So war es viel schöner. So machte es viel mehr Spaß, seine Gesichtszüge zu beobachten, während ganz langsam die Wahrheit in seinem Verstand durchsickerte.

Akim fing die Rolle auf und starrte noch einmal zu Bakura hinüber. „Ich denke, du unterschätzt meine Vorstellungskraft.“ Er schüttelte den Kopf, wendete sich dann aber dem Pergament in seiner Hand zu. Er öffnete es und begann zu lesen.

Er war äußerst überrascht. Sie war Libyerin? Ein wenig ungläubig betrachtete er das Schriftstück, doch es entsetzte ihn nicht. In diesem Palast wunderte ihn nicht mehr vieles. „Woher soll ich wissen, dass dies wahr ist?“, fragte er ruhig und gelassen.

Der Dieb war vorbereitet. Er ließ sein fiesestes Lachen ertönen, trat auf Akim zu und begann zu erzählen. „Unter jeder der Rollen ist das Siegel des Pharaos der letzten Dynastie. Du solltest doch wissen, dass es echt ist, nicht wahr?“ Beiläufig schritt er die zwei Stufen hinab, die seinen Thron empor hoben. „Aber es kommt ja noch besser, du sparst dir das Beste auf, stimmt's? Hach...“ Er seufzte genüsslich, hielt ihm aber keine weitere Schriftrolle hin. Es war sein Vergnügen, es ihm zu erzählen, ihm sein Grinsen aus dem Gesicht zu wischen. Ihn mit jedem seiner Worte in das hohle Geheimnis hineinzuziehen.

„Ich kannte einmal eine Libyerin, ich erinnere mich nicht gern an sie. Sie war Abschaum, eine geflohene Sklavin aus ihrem Heimatland.“ Völlig unbesorgt sprach er die Worte aus, sollte er es doch erfahren. Er würde sowieso nicht lange genug überleben um sein Geheimnis ausplaudern zu können. „Damals nahm ich sie mit in mein Dorf, Kul Elna, vielleicht hast du schon davon gehört“ - hätte er es, wäre er wohl tatsächlich mit dem Geschehen in diesem Land vertraut und Bakura zweifelte es doch stark an - „Jedenfalls war Manolya in der horizontalen ziemlich praktisch. Bis das berüchtigte Räuberdorf von dem damaligen Pharao ausgelöscht wurde.“ Mit jedem Wort wurde seine Stimme hasserfüllter, die Erinnerung daran brachte ihn in Rage, erweckte in ihm eine Wut, die ohnegleichen war. „Meine Bande“, er stockte, „mein Hofstaat.“ Diese Bezeichnung passte besser, dachte er. „Wir wurden vertrieben, die Frauen und Sklaven wurden umgebracht. Alle starben. Alle bis auf Manolyas Tochter.“ Das Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück.

„Mana ist die Tochter von dir und dieser ... Manolya?“ Akim hätte vieles erwartet, dies jedoch nicht. Es war eine Wendung, die ihn durchaus überraschte. Doch die vom Meisterdieb erhoffte Wirkung blieb aus. Es entsetzte ihn nicht und es störte ihn auch nicht weiter. Es gab dem ganzen einen interessanten Akzent, der einfach nur eine Note hinzufügte zu den Merkwürdigkeiten, die Manas Leben auszeichneten.

„So ist es“, antwortete Bakura. Er hatte es immer geleugnet, doch Kontakte ins Königshaus konnte selbst er nicht ausschlagen. „Dass sie meine Tochter ist, macht sie zur Prinzessin der Räuber, witzig nicht?“ Er drehte sich zu dem Gang, der direkt zum Palast führte, auch wenn er natürlich nicht bis dort hin sehen konnte und auch nicht hinaus kam. „Wenn man bedenkt, dass sie nun die Verlobte des Hohepriesters ist, der zum Nachfolger des Pharaos erwählt wurde...“ Er klang recht uninteressiert und beiläufig, ganz so als kümmerte es ihn nicht im geringsten, und doch konnte man es in seinen kalten Augen glänzen sehen. „Meinst du, es ist gut für ihre Zukunft?“ Der Hohn war nicht zu überhören, es amüsierte ihn, ein Grund für das Chaos zu sein, das sich im Palast immer weiter ausbreitete.

Doch der Nebeljunge zuckte leicht verbittert die Schultern. „Weißt du ... Ich denke nicht, dass es noch etwas ausmacht“, gab er zurück und klang dabei ein wenig überlegen. „Sicher, eine solche Vergangenheit ist nicht hilfreich, gerade jetzt, da Ägypten und Libyen verfeindet sind“, sein Blick war ernst, und doch schien es ihm nicht wirklich etwas auszumachen. „Doch Mana hat keine Vergangenheit mehr.“

Es war eine Tatsache. Es war eine simple und einfache Tatsache. Die Vergangenheit, die ein Problem hätte darstellen können, war bereits gelöscht, sämtliche Fäden, die die Geschichte zusammen hielten, waren bereits zerschnitten. Wieso also sollte es noch etwas zählen? Wieso sollte jemand sich noch darum scheren? Das einzige, das daran erinnerte, waren ein paar Pergamente, doch diese zu vernichten würde für jemanden wie Seth sicher kein Problem darstellen. Wenn er nicht einmal Skrupel dabei hatte, ein menschliches Gedächtnis zu löschen, was würde ihn dann aufhalten, ein paar wenige alte Aufzeichnungen zu zerstören? Nur damit der letzte Funken von Manas Vergangenheit ebenfalls zerstört werden würde.

Bakura verschränkte die Arme und grinste ihn hinterhältig an. „Du denkst einfach und in deiner Naivität hast du natürlich Recht“, erklärte er, als spräche er zu einem kleinen Kind. „Doch es gibt andere Wege dies auszunutzen. Aber die gehen dich nun wirklich nichts an.“ Er lächelte. „Nun weißt du, weshalb ich an der Kleinen interessiert bin.“

Auch Akim grinste. Er hatte seine Antwort bekommen, das stimmte. Der Andere schien ihn nicht sonderlich ernst zu nehmen, doch das machte nichts. Er würde schon noch sehen, was es hieß ihn zu unterschätzen. „Ich fürchte“, gab er kühl und sachlich zurück, „Du wirst nicht dazu kommen, dies ausnutzen zu können.“

„Ach nein?“, fragte Bakura zurück, sichtlich amüsiert und er lachte genüsslich auf. „Warum nicht?“ Wollte dieser Junge ihn wirklich einschüchtern? Versuchte er es tatsächlich? Mutig war er, das war nicht zu leugnen, kühn und provokant. Er machte ihm Spaß.

„Ich erinnere dich gern daran“, antwortete Akim nicht weniger fasziniert, „Du bist eingeschlossen und es gibt nichts, was du tun könntest um diesen Umstand zu ändern.“

Der Dieb schüttelte gleichgültig den Kopf und drehte seinem Gast den Rücken zu um sich wieder seinem Thron zuzuwenden. „Wie schön“, grinste er, voller Ironie und doch überzeugend, „Bist du sicher, dass du das wirklich willst?“ Er ließ sich auf seinen Sitz fallen, warf die Beine über die Seitenlehne und lehnte sich zurück. Sein Gesicht zierte ein breites Grinsen, das seine Zähne sichtbar machte.

Akim setzte sich auf den Boden, die Beine weit von sich gestreckt und auf seine Hände gelehnt. Es erschien ihm passend, sich ebenfalls hinzuhocken, nun da Bakura doch seine Überlegenheit so simpel beweisen wollte. „Dich hier verhungern zu lassen?“, fragte er, als hätte er ihn nicht richtig verstanden. „Ich wüsste nicht, was dagegen spräche.“

„Ich habe genügend Vorräte hier“, sagte der Weißhaarige grinsend, als wollte er Akims Argumentation aushebeln, bevor der Kleinere sich darauf etwas würde einbilden können.

Doch dieser war noch nicht am Ende seiner Ideen. „Das mag sein“, vergnügt blickte er hinüber zu Bakura, der seine Sandalen inzwischen zu Boden hatte fallen lassen, „Doch was machst du, wenn die Luft knapp wird?“

Der Dieb sah darin kein Problem. Er zuckte nur mit den Schultern. „Sonst noch was?“, fragte er gelangweilt.

Akim musterte ihn aufmerksam. Er beugte sich nach vorn, und verlagerte damit sein Gewicht so, dass er sich nicht mehr auf seine rechte Hand stützte. Er winkte einmal durch den Raum, und der Nebel, der das Tempelinnere einschloss, verdichtete sich. „Wir können es gern probieren“, sagte er, und es klang mehr wie ein Vorschlag und nicht wie eine Drohung. Herausfordernd blickte er ihn an. „Kennst du die Macht des Nebels?“, fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.

Bakura schien sich sicher zu sein, dass lügen ihn nicht weiterbringen konnte, zumindest jetzt nicht. Außerdem sollte der Kleine nicht davon ausgehen, dass er sich von ihm einschüchtern ließ, denn das tat er nicht. „Nein noch nicht“, gab er zu, „Sieht aber interessant aus.“

Der Andere nickte zustimmend. „Du solltest deine Feinde kennen, ehe du sie in dein Haus lässt“, riet er ihm, wohlwissend, dass es längst zu spät dafür war, diesen Rat noch in die Tat umsetzen zu können.

„Ich werde es mir zu Herzen nehmen, garantiert“, Bakura grinste, doch er sah nicht so aus, als kümmerte er sich tatsächlich um diese Worte. „Aber auch du solltest aufpassen, wo du hingehst.“ Vielleicht ging von Akim eine Gefahr aus, doch auch er war nicht harmlos. Ihn zu unterschätzen hatte schon vielen Menschen das Leben gekostet. Er blickte Akim überlegen an.

Doch als dieser seinen Blick erwiderte, war es nicht nur der Dieb, den er sah. Hinter ihm hatte sich eine Reihe von schattenförmigen Kreaturen gebildet, körperlose Seelen, die ihrem Meister zu Diensten standen. Akim betrachtete die Geister interessiert. Sie machten ihm keine Angst, er war von seinem Nebel geschützt und er wusste genau, dass er sich darauf verlassen konnte. „Du wirst mich nicht besiegen.“ Es klang wie eine Warnung, die er aussprach. Für sich selbst verspürte er keine Gefahr.

Ebenso wenig Bakura. „Und du mich nicht“, antwortete er, doch er wollte nicht warnen, er wollte nicht drohen. Es war einfach nur eine Tatsache, die er für unumstößlich hielt. „Ein bisschen heiße Luft“, er machte eine abfällige Bewegung zu Akims Nebel hin, „Was soll das schon ausrichten?“ Er war nicht weniger geschützt als der Violetthaarige.

„Heißer Dampf?“, beleidigt sah Akim Bakura an, ganz so als hätte er ihn zutiefst beleidigt. „Bei weitem nicht.“ Und wie um es zu beweisen, griff er in den Nebel und warf im nächstens Moment eine Feuerkugel auf den uneingeladenen Bewohner des Tempels.

Dieser wich aus, grinsend. Das Spiel war eröffnet. Die zweite Kugel traf ihn, doch es störte ihn nicht. Die Geister schirmten ihn ab, schützten ihn. Die Seelen von Kul Elna würden immer an seiner Seite stehen. „Dann irre ich mich eben“, hauchte Bakura und trat aus Akims Nebel heraus.

„Sieht ganz so aus, als könnte das ewig so gehen“, grinste Akim vergnügt. Er war nun dazu übergegangen, Nebelfesseln auf seinen Gegner zu werfen und hatte eine Menge Spaß dabei.

Die Fesseln streiften ab, bevor sie sich um ihn legen konnten. „Scheint so“, stimmte er zu, als er wieder von einem Geist gerettet worden war. Es war an der Zeit, dass er zum Gegenstoß überging. Lächelnd hetzte er die Geister auf Akim, die sogleich angriffen.

Ohne Erfolg.

Der Junge sprang zwischen ihnen hindurch, ohne dass sie ihn überhaupt berührten. „Kannst du nicht allein kämpfen?“, fragte er amüsiert und betrachtete die Geister grinsend.

„Du bedienst dich doch auch der Hilfsmittel“, gab Bakura zurück, „Außerdem sind sie freiwillig da.“ Ein wenig Stolz lag in seiner Stimme, doch Akim wusste nicht, ob er sich in diesem Punkt nicht eventuell täuschte. „Es sieht nach einem Unentschieden aus, meinst du nicht?“ Er zog einen Dolch, und verband ihn unbemerkt mit den Geistern. Akim musste nicht alles wissen, soviel stand fest.

„Es kann sehr lange dauern, ja“, stimmte der Kleinere zu, „Oder wir nennen es ein Unentschieden.“ Er grinste finster. „Ich muss sagen, du machst mir Spaß.“ Seine Angriffe stoppten, doch er gab seine Deckung nicht auf. Er hatte sich nicht ergeben.

„Mir geht es ebenso“, Bakuras Stimme durchschnitt nun die Luft, er drehte seine Waffe hinter seinem Rücken in seiner Hand. „Hättest du nicht Interesse in meine Bande einzusteigen?“ Er tat ein paar Schritte durch den Raum. „Einen wie dich könnte ich gut gebrauchen.“

Garten

Die Aufgabe war getan, das scheinbar Unmögliche war vollbracht. Und doch kehrte keine Ruhe ein. So viele Lügen galt es zu bewahren und aufrecht zu erhalten, die Intrigen, die am Hofe gesponnen wurden, mussten ihrem Zwecke dienen. Es durfte nicht scheitern. Wie durch ein Wunder war es ihr dieses Mal geglückt, den Einsturz zu verhindern.

Bakura.

Beinahe, nur beinahe, hatte er es geschafft, alles zu zerstören. Alles hing am seidenen Faden, nicht wieder durfte jemand so aus der Reihe treten.

Als Adalia in das Zimmer zurückgekehrt war, hatte das Mädchen um das sich die Welt zu drehen schien, auf seinem Bett gelegen und scheinbar friedlich geschlafen. Sie musste erschöpfter gewesen sein, als selbst sie es hätte voraussehen können.

Und die Priesterin war froh gewesen. Froh, dass ihr die Pflicht erspart geblieben war, Mana erneut zu enttäuschen. Fürs erste. Sie sofort durch den Palast zu führen, wäre töricht, ja sogar fahrlässig gewesen. All der Aufruhr, all die Unruhe, die die stolzen Mauern förmlich ertränkt hatten. Mana dem auszusetzen wäre die Dummheit gewesen, die das Fass zum überlaufen gebracht hätte.

So hatte sie sie schlafen lassen, behütet und sicher, während sich das Chaos langsam lichtete. Als Mana schließlich wieder erwacht war, war der nächste Tag bereits weit fortgeschritten gewesen. Ohne Besorgnis hatte Adalia erkennen dürfen, dass Manas Körper und vielleicht auch ihre Seele, sich die Ruhe holten, die sie so dringend brauchten, wenn die kindliche und wissbegierige Mana sie nur ließ.

Langsam hatte sie ihr einen Einblick in das Palastleben gewährt, häppchenweise vorgesetzt und mit Achtsamkeit ausgesucht. Mana sah nur das, was sie sehen sollte, traf zwar auch auf fremde Menschen, doch niemand zeigte ihr in irgendeiner Art und Weise, dass ihr Benehmen eigenartig und unüblich war. Adalia wusste sie zu zum Schweigen zu bringen, niemand wagte es, einen direkten Befehl zu missachten, wenn sie ihn gegeben hatte. Lediglich Teana hätte wohl mehr Einfluss haben können im Palast für den Moment, doch Teana ließ sich nicht blicken. Und deswegen hielt Adalia alle Fäden in der Hand. Die Einzige, die nicht bedingungslos auf sie hörte war: Mana.

Sie wollte in den Garten gehen. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, seit sie aufgewacht war, und sie ließ nicht locker. Sie musste irgendein Bild damit verbinden, irgendetwas, das ihr Interesse ganz besonders förderte. Doch die Priesterin war sich nicht sicher, ob es klug war, Bildern in Manas Kopf nachzugeben. Sie wusste nicht, was in dem Garten geschehen war, dass es das Mädchen so hatte prägen können. Doch wie sollte sie es verhindern? Sie hatte sie schon durch den Palast geführt, und langsam gab es nichts mehr, das sie hätte vorschieben können. Sie hatte keine Wahl. Mana hatte ihr Versprechen gehalten und nun war es an der Zeit, dass auch sie ihres einhielt. Letztendlich gab sie nach.

„Also schön“, sagte sie, nachdem Mana ein weiteres Mal darum gebeten hatte, „Gehen wir in den Garten.“ Sie musste aufpassen, doch es würde schon gehen. Bisher hatte Mana sich benommen, wenn sie ihr genug Information anbot.

Mana hüpfte sofort hoch. Ein Strahlen legte sich auf ihre Wangen und sie lief zur Tür. Die Freude, die sie durchströmte, war förmlich fassbar.

Die Priesterin schmunzelte, stand auf und folgte ihr. „Aber sei vorsichtig“, ermahnte sie sie, „Sonst muss ich dich wieder ins Bett stecken.“ Sie neckte sie, wusste genau, dass Mana nie darauf hören wurde. Doch sie meinte es auch nicht ernst. Im Augenblick benahm sich die Kleine relativ gut, sie sprang nicht soviel umher und sie legte sich auch ins Bett, wenn sie sich erschöpft fühlte. Adalia hatte keinen Grund, ihr noch länger vorzuenthalten, wonach sie sich so sehr sehnte.

Manas Freude war einfach ansteckend. Ihr war die Ungeduld anzumerken, die in ihren Adern floss, als die Priesterin ihr nicht sofort hinterher lief. Sie steckte ihren Kopf durch die Tür und blickte sich um. Niemand war zu sehen, doch das kümmerte sie nicht. An diesem Tag wollte sie keine Menschen sehen – sie wollte den Garten sehen. Sie zwängte sich durch einen Spalt der Tür, weiter hatte sie die schwere Tür nicht öffnen können, doch es reichte um der Gefangenschaft im Palast zu entkommen. Sie lief voraus. Adalia war ihr zu langsam, sie quängelte und trieb sie zur Eile an, doch zumindest in diesem Punkt würde die Priesterin nicht nachgeben können. Ihr eigenes Versprechen band sie an das Wort, das sie Seth gegeben hatte. „Bitte bleibe an meiner Seite, ja? Wir haben den ganzen Tag Zeit.“ Zumindest hatten sie Zeit, bis die Sonne untergehen würde und dieser Zeitpunkt war noch nicht gekommen.

Mana blieb stehen, wartete einen Moment auf ihre Aufpasserin, ehe sie dann doch weiter lief. „Ich kann aufpassen“, sagte sie stolz, „Mir passiert nichts, auch wenn ich vor laufe!“ Sie kicherte, konnte es kaum abwarten. Adalia war ihr viel zu langsam, sie hatte keine Geduld auf sie zu warten, wollte, dass sie sich beeilte, wollte, dass sie schneller zu ihr aufschloss.

„Das weiß ich“, antwortete die Ältere ruhig, sanft und trotzdem streng, „Aber ich möchte trotzdem, dass du bei mir bleibst, sonst müssen wir das machen, was der Arzt geraten hat.“

Das Argument zog und Adalia hatte es gewusst. Der Arzt wollte, dass sie sich in ihr Bett legte, damit ihr Körper heilen konnte, wollte sie daran fesseln, wenn es sein musste, doch auch er wusste, dass sie sich nicht daran halten konnte, dass es von Nachteil sein konnte, sie jetzt einzusperren, da sie alles verstehen wollte. Die Gedanken, in die sie sich hätte flüchten können, Bilder, die sie nicht einzuordnen vermochte, waren noch viel gefährlicher.

Leicht schmollend wartete Mana auf Adalia, lief dann brav neben ihr her. Sie musterte sie mit großen Augen, ganz so, wie sie es in den letzten Tagen so häufig getan hatte. Adalia lächelte sie ermunternd an, forderte sie auf, ihre Fragen zu stellen.

Das Mädchen wirkte äußerst interessiert. „Was war ich denn, bevor ich den ... Unfall hatte?“, fragte sie und legte den Kopf schief. „Du hast gesagt, Seth ist Hohepriester. Was bin ich denn?“ Sie zögerte einen Moment. „Was war ich denn?“

Die Frage war heikel. Wie viel konnte sie ihr erzählen? Es war gefährlich. Adalia lächelte. Die Kleine wusste durchaus geschickt die gefährlichen Fragen auszuwählen. Sie waren es, die am interessantesten waren, sie waren es, die sie am meisten beschäftigten. Und sie waren es auch, denen die Priesterin am liebsten ausweichen wollte. „Du warst eine Priesterschülerin“, antwortete sie schließlich, abwiegend, dass es wohl ein geringeres Risiko darstellte, ihr zumindest einen Teil der Wahrheit zu geben, als sie ihr völlig zu verweigern.

„Priesterschülerin?“ Sie sah nicht so aus, als könnte sie damit sonderlich viel anfangen, doch das hinderte sie nicht daran, es faszinierend zu finden. „Ist das so etwas, wie du es machst? Und was war ich danach?“ Ohne zu zögern, schossen ihr unzählige neue Fragen durch den Kopf, die sich anschlossen. Sie fand es amüsant, sich vorzustellen, dass sie einst etwas anderes getan hatte als nun, dass sie all das mal gemacht haben sollte, obwohl sie sich doch an nichts erinnerte. Es war wie ein fremdes Leben, dass sie betrachtete und das dennoch ihr gehörte.

„Nun ja, dann war deine Prüfung ... und ...“ Sie stockte. Sie wollte ihr nicht sagen, dass sie gleich danach zu Seths Verlobten gemacht wurde. Dieses Wissen hätte sie überfordert, sie hätte nicht verstehen können, was es bedeutete und hätte dann wahrscheinlich auch falsche Vorstellungen davon gehabt. Sie würde Seth noch weiter binden, als sie es ohnehin schon tat.

Sie gingen weiter, traten aus den schweren Schatten der Palastmauern heraus und Adalia wurde aus der Pflicht genommen, ihre Antwort weiter auszuführen. Mana war nicht mehr zu stoppen, konnte kaum an sich halten. Sie hatten den Garten erreicht, erblickten einen Ort, der wundersamer kaum hätte wirken können. Eine grüne Oase breitete sich vor ihren Augen aus, unzählige grüne Pflanzen zogen Manas Aufmerksamkeit auf sich, erfrischten die Luft mit einem Duft, der das Mädchen begeistert aufschreien ließ. Sie nahm einen tiefen Atemzug, lief durch die Beete und hockte sich dann neben ein ganz besonders hübsches Blumenbeet, in dem Akim oft gesessen hatte, auch wenn sie dies natürlich nicht hatte wissen können. Die Pflanzen sahen mitgenommen aus, von der brennenden Sonne ganz trocken und doch strahlten sie eine unglaubliche Lebendigkeit aus, die Manas Blick gefangen hielt.

Froh über den Themenwechsel trat Adalia an sie heran. Auch sie lächelte. „Schön hier, nicht wahr?“, fragte sie und beobachtete, wie Mana eine der Pflanzen gerade hinstellte, sie ganz liebevoll und vorsichtig behandelte und bewegte.

Ihre Vergangenheit musste noch immer in ihr stecken. „Du warst früher oft im Garten“, gab die Priesterin zu, ohne darauf zu achten, was sie eigentlich sagte, und welch eine Vorlage sie ihr damit gab.

Mana hob erstaunt ihren Kopf. „Ehrlich?“, fragte sie und ihre Augen leuchteten. Es war etwas, das sie verstehen konnte, etwas, das Adalia ihr einfach so gesagt hatte, ohne, dass sie hatte fragen müssen. Sie ließ ihren Blick schweifen, versuchte alles in sich aufzusaugen und aufzunehmen.

„Was ist das dort?“, rief sie entzückt aus, als sie den Teich erblickte, der ihr auf eine geheimnisvolle Weise seltsam vertraut war. Sie stand auf, schneller als Adalia es selbst von ihr je gesehen hatte, jeder Schmerz war vergessen.

Da war etwas.

Etwas Fassbares.

Etwas, das ihr gehörte, etwas, dass Adalia ihr nicht erklären konnte.

„Ich kenne das!“

Manas Ausruf erfreute sie in gleicher Weise, wie er die Priesterin erschrak. Verblüfft folgte sie ihr zu dem Gewässer, sah sie überrascht an. „Du erinnerst dich?“, fragte sie leicht ungläubig. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. War der Zauber, den Seth über sie gelegt hatte, denn nicht stark genug gewesen? Hatte er wirklich Schwachstellen?

Seth wusste, was er tat, oder nicht? Hatte dieses Mädchen etwa solch einen Einfluss auf ihn gehabt, dass er seine eigene Macht nicht mehr zu kontrollieren vermochte?

„Ich kenne das, ja!“, wiederholte Mana, die Adalias Überlegungen weder bemerkte noch darauf achtete, sie war viel zu erstaunt über sich selbst. Es war unfassbar. Es war so außergewöhnlich, dass Mana selbst damit überhaupt nichts damit anfangen konnte. Sie kniete sich hin, tauchte ihre Hand in das Wasser und ließ es dann daran herab tropfen. Sie fühlte sich wohl an diesem Ort, ohne, dass sie sagen konnte, aus welchem Grund es so war. „Ich glaube, als ich geschlafen habe, war ich hier“, sagte sie leicht naiv, und blickte Adalia an. „Geht das?“

Die Priesterin schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht“, sagte sie lächelnd und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht erinnerst du dich wirklich.“ Sie musste wirklich unglaublich viel mit diesem Ort verbinden, wenn die Gedanken daran so viel stärker waren, als der Bann, den Seth um sie gelegt hatte. Die Kleinere nickte heftig, hielt dann für einen Augenblick inne, ehe sie langsamer weiter nickte. Offenbar hatte sie ihre lädierten Knochen gespürt und es für das bessere gehalten zu haben, nicht so stark den Kopf zu bewegen.

„Vielleicht!“, stimmte sie freudig zu und wendete sich wieder dem Wasser zu. Ihr Spiegelbild blickte sie an, sah ganz aus wie immer, nicht anders als es gewesen war, als sie das letzte Mal hier gewesen war. Doch nun. Alles war anders, und Mana wusste nicht, was es war.

Sie war hier gewesen, doch sie kannte es nicht. Es war ihr völlig unbekannt, völlig fremd.

Etwas stimmte nicht, etwas stimmte ganz und gar nicht. Sie betrachtete die Säulengänge, sah kurz hinauf zum Palast, ehe sie Adalia schließlich einweihte. Sie schien verstört, verwundert und gleichzeitig verängstigt, es war eigenartig. „Ich habe ein komisches Gefühl“, sagte sie, und verstand selbst nicht, was sie sagte oder was sie plötzlich so anders fühlen ließ, als noch wenige Sekunden zuvor.

Besorgt lehnte sich die Priesterin zu ihr herunter, sah sie aufmerksam an. „Was ist das denn für ein Gefühl? Kannst du es beschreiben?“

Auch ihr Blick schlich sich die Wände hinauf, doch sie konnte nichts Ungewöhnliches feststellen? Was war nur los? Was brachte das Mädchen so aus der Fassung? Hatte Seths Zauber etwa tatsächlich versagt und wurde nun schwächer?

„Ich fühle mich komisch“, sagte Mana, legte ihre Hand auf ihren Bauch und schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte, wusste nicht, was sie dachte und was sie eigentlich fühlte. Sie versuchte darüber nachzudenken, Adalia sollte ihr helfen. Sie musste was machen können, sie sollte doch auf sie aufpassen, oder? „Als ob ich etwas tun müsste, das ich vergessen habe“, versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, „Oder? Ich fühle mich leer, doch nun ist da was anderes ... Ich weiß es nicht ... Irgendetwas scheint nicht gut zu sein...“

Sie hätten niemals herkommen sollen. Nicht an einen Ort, der so reich mit Erinnerungen war, wie dieser. Sie hätte diese Gefahr niemals unterschätzen dürfen. Wenn Mana sich nun erinnerte ...

Doch gab es einen Grund an Seths Magie zu zweifeln?

Was hatte das Mädchen so aufgelöst?

War der Zauber gebrochen?

War alles zu spät?

Bitterkeit

Die Kämpfe zogen an ihm vorbei, ganz so, als gäbe es sie gar nicht. Sie waren unwichtig, absolut nebensächlich. Sein Schrei verklang dumpf, hasserfüllt und doch nicht wichtig. Die Zeit schien still zu stehen, als er sein kaltes und nun lebloses Gesicht betrachtete.

Karim.

Immer schon hatten sie alles gemeinsam gemacht, standen sich näher als Brüder. Und nun war er nicht mehr da. Hingerichtet wie ein Tier, von einem Mann, der dafür zahlen würde. Und wenn es das letzte wäre, das er tat, er würde Seth dafür büßen lassen, dass er sich eingemischt hatte.

Seth.

Wie viel Hass konnte ein Mann auf sich ziehen? Wie viel Hass konnte ein Mann spüren? Er war grenzenlos. Es gab nichts mehr, das ihn noch würde aufhalten können, nichts, absolut gar nichts mehr könnte ihn zurückhalten. Der Hohepriester gehörte ihm, ihm ganz allein.
 

Weder Atemu noch Seth verspürten Mitleid. Sie beide standen noch immer auf dem Schlachtfeld und selbst wenn sie auch nur eine Sekunde Ruhe gehabt hätten, sie hätten sie nicht an Karim oder an Shada verschwendet. Shadas Schreie halten in ihren Ohren wider wie glockenklarer Gesang, eine tiefe Freude und Genugtuung, die die beiden beflügelte und ihnen neuen Antrieb gab. Es war nur recht und billig, dass dies geschehen war, und auch Shada würde schon bald nicht mehr schreien können.

Doch bevor der Hohepriester sich seinem eigenen Ziel widmen konnte, musste er sich um die Truppen kümmern: sowohl die eigenen als auch die gegnerischen. Er schmetterte Befehle heraus und hoffte, dass sie an die richtigen Menschen gelangten. Letztendlich war es gleich. Jeder wusste, was zu tun war. Doch seine Pflicht konnte er nicht vernachlässigen und er hatte auch gar nicht die Gelegenheit dazu. Die Hinrichtung eines einzigen Priesters ging in der kriegerischen Menge unter ohne beachtet zu werden. Niemand kümmerte sich um ein einziges Todesopfer, selbst wenn der Hohepriester persönlich es niedergestreckt hatte, während im Lärm von klingendem Metall mehr kostbares Blut floss, das auf diese Art und Weise einfach nur vergeudet wurde. Niemand kannte die Namen der Opfer, niemand achtete auf ihre Gesichter. Libyer, Ägypter. Seite an Seite.

Im Tod waren sie alle gleich. Sinnlos hingeschlachtet wegen territorialen Ansprüchen. Es war eine Schande. Blinder Gehorsam und Treue zu ihrem Herrn brachte keinen Ruhm, keine Ehre. Nur Leid und Verzweiflung und Kämpfe, die scheinbar nie enden konnten, da niemand aufgeben wollte.

Auch Atemu und Seth blieben von der Routine des Tötens, des Auslöschens nicht verschont. Erbarmungslos bekriegten sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellte, stießen sie zu Boden, töteten sie.

Doch des Hohepriesters Ziel waren nicht die libyschen Truppen. Dies war nicht sein Krieg, er war hineingeraten, ganz genau so wie die Bauern, die auf diesem Feld ihr Leben ließen. Und doch gab es einen Unterschied zwischen ihnen, der sich nicht durch ihren Stand erklären ließ: Seth wollte kämpfen, er wollte töten und hassen.

Und er tat es auch. Seine Beute fest im Blick trachtete er nach deren Leben. Shada hatte Karim vor sich aufs Pferd gezogen, er wollte ihn ganz offensichtlich nicht hier, nicht zertreten werden lassen, wie er es verdient gehabt hätte. Er wollte ihn in Sicherheit bringen, doch sehr bald schon musste er einsehen, dass er nicht zu große Rücksicht auf seinen gefallenen Freund nehmen durfte, wollte er nicht ebenfalls zugrunde gehen. Er hatte keine Zeit für den Hohepriester, hatte keine Zeit sich ihm entgegen zu stellen, wenn er selbst überleben wollte. Shada suchte sein Heil in der Flucht. Er griff nach den Zügeln des Pferdes und versuchte dem Kriegsgetümmel zu entkommen, immer weiter entfernte er sich von Seth, der voller Verachtung seine Feigheit verurteilte.

Er hatte nicht vor, ihn entkommen zu lassen. Die Freude ihn zu töten, würde er niemandem anderes gönnen. Der Hohepriester erkämpfte sich eine Schneise durch die libyschen Truppen, geführt von der Millenniumsmagie, die erbarmungslos jeden traf, der ihm den Weg versperren wollte. Er ließ sich nicht aufhalten, war hoch konzentriert und seine Nerven bis ans äußerste angespannt.

Er kam näher.

Die Libyer wichen zurück. Shadas Vorsprung schrumpfte in sich zusammen. Er kam nur schwerfällig voran, aufgehalten durch die Kämpfe, denen er nicht entgehen konnte. Mit Karim, der auf dem Rücken des Pferdes lag, war er eine leichte Beute, angreifbar, verletzlich. Seth dagegen war mächtig und angsteinflößend.

Er kam seiner Beute immer näher.

Gerade, als er weit genug herangekommen war um angreifen zu können, tat der Kahlköpfige mit der lächerlichen Tätowierung etwas, womit Seth nicht gerechnet hatte. Er erstach einen ägyptischen Krieger, dem das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand und warf dessen Leiche direkt vor die Hufe des hellbraunen Pferdes, das den Hohepriester trug. Das Tier, für gewöhnlich furchtlos und kampferfahren, scheute und warf seinen Reiter ab. Hierin allein sah Shada seine Chance. Er ergriff das Schwert, das Karim getragen hatte und das nun nutzlos an seiner Seite hing und schleuderte die Klinge mit vollster Kraft in den Rumpf des Tieres.

Es brach auf der Stelle im Todeskampf zusammen, alles unter sich begrabend, das nicht schnell genug war um zu entkommen.

Seth hatte keine Wahl. Er sprang von seinem treuen, gefällten Hengst noch während dieser zu Boden ging. Als das Tier begann sich in seiner Qual zu wälzen, war er bereits außerhalb der Reichweite. Doch nun musste er kämpfen.

Er musste kämpfen, wenn er überleben wollte. Er musste kämpfen, wenn er es Shada heimzahlen können wollte. Seinem Pferd beraubt, wagten die Libyer ihn direkt anzugreifen. Sie zielten mit ihren Waffen auf ihn, Pfeile, Schwerter, Dolche. Sie alle schienen nur auf diesen einen Moment der Schwäche gewartet zu haben, damit sie zuschlagen konnten.

Shada war währenddessen längst entkommen, der Hohepriester hatte es nicht ändern können. Er hatte nicht vor in dieser Schlacht zu fallen, er hatte nicht vor klein beizugeben, nur weil er nun nicht mehr auf einem Pferd saß. Er war nicht hilflos. Zum ersten Mal spürten die libyschen Truppen nun, was es hieß, den Hass des Hohepriesters von Ägypten gegen sich prallen zu spüren. Sein Ruf war allseits bekannt, grausam und kalt. Erbarmungslos. Mit Schwert und Stab verteidigte er sich bis aufs Blut, doch die feindlichen Angriffe ebbten nicht ab, im Gegenteil. Er war einer der zwei großen Heerführer der ägyptischen Armee und deshalb eines der Hauptangriffsziele, gerade nun, da er verwundbar geworden war. In Massen prasselten die Angriffe auf ihn nieder. Er konnte sie zwar in Schach halten, doch es kostete eine Menge Kraft, die er anderweitig sehr gut hätte gebrauchen können.

Er verlor den Überblick, konzentrierte sich nur noch auf den Kampf. Er verteidigte sich nicht nur, er schlug auch zurück. Er hatte versprochen, dass er sich an ihnen rächen würde und sein Durst nach Blut war noch nicht gestillt. Einer war noch übrig. Und er hatte versprochen zurückzukehren – zu ihr. Er hatte nicht vor auch nur ein einziges seiner gegebenen Versprechen zu brechen.

Die Grenzen der Belastbarkeit waren keine Grenzen, die ihn einengten. Er kämpfte außerhalb der bewussten Wahrnehmung, auf einer anderen Ebene. Nicht gegen sich selbst, nicht gegen seine Feinde. Sie waren nur Spielfiguren in einem Kampf, den sie zu verlieren bestimmt waren, seit dem Moment, da sie ihn erblickten. Er kämpfte einfach nur um zu überleben, mit dem Körper, der die tödliche Klinge führte, als wäre sie mit seinem Fleisch verbunden, mit seinem Geist, der den Millenniumsstab zielgenau einsetzte.

„Es läuft gut, sie sind zu verstreut und sie haben keine Möglichkeit zu fliehen“, erklärte eine ernste Stimme hinter ihm, von einem Pferd hinunterblickend, eilig und dennoch nicht gehetzt. „Ein wahrlich gut entwickelter Plan, wirklich. Hättest du trotzdem Interesse an einem ruhigeren Ort?“ Atemus Hand legte sich für eine Sekunde auf seine Schulter, dann blickte Seth auf und schwang sich hinter seinen Cousin auf dessen Pferd.

Des Pharaos Millenniumspuzzle glühte, als er die feindlichen Truppen davon abhielt, sein Vorhaben zum Scheitern zu bringen.

„Jederzeit“, antwortete Seth grimmig, und stach vorher noch auf einen herbeigeeilten und der Millenniumsmagie entkommenden Mann ein, der seine Waffe gezogen und angriffsbereit hielt. Wieder auf einem Pferd sitzend konnte er für einen kurzen Moment durchatmen und verschnaufen. Nie hatte er gedacht, dass so etwas möglich sein konnte, doch er war Atemu wirklich dankbar.

Der Pharao trieb sein Pferd zur Eile an, es war in ausgezeichneter Verfassung und wurde durch das zusätzliche Gewicht nicht behindert. Gemeinsam ritten sie aus dem Gedränge hinaus, in die Peripherie des Schlachtfeldes.

Die Fußsoldaten hatten keine Möglichkeit ihnen zu folgen, ihre Waffen waren zwar tödlich, doch sie hatten den Gefahrenradius längst verlassen, als sie verstanden, was geschehen war.

Shada war entkommen. Eine tiefe Bitterkeit durchströmte Seths Körper, nun da der Adrenalinrausch ein wenig nachließ. Es hätte nicht geschehen dürfen, es hatte alles anders verlaufen sollen, ganz anders.

Atemu trieb sein Pferd weiter. Er hatte das verwaiste Reittier eines Mannes entdeckt, ob libysch oder ägyptisch konnte er nicht sagen. Doch es schien gesund zu sein. „Meinst du, du schaffst es?“, fragte er an Seth gewandt und deutete auf das fremde Tier, doch der Priester antwortete nicht. „Cousin?“

Seth zwang sich, seinen Gedanken nicht nachzugeben. Shada war entkommen. Na und? Sollte er sich verkriechen, solange er noch konnte. Er würde ihn schon noch in die Finger bekommen. Er konnte sich nicht ewig verstecken. Eine Ratte wie er, die das luxuriöse Leben am Palast gewohnt war ... Er würde sich früher oder später zu erkennen geben. Und dann würde er ihn kriegen.

„Für wen hältst du mich?!“, fragte er den Pharao und sah ihn leicht empört an, ehe er gekonnt vom Pferd sprang und die Zügel des anderen Tieres packte. Es scheute zunächst, ließ sich dann aber beruhigen. Und Seth saß auf.

„Ich war nur besorgt über deinen Zustand“, gab Atemu ehrlich zurück. Das Schwert erneut fest umfasst, blickte er zurück auf die kämpfenden Truppen. Sein Blick fiel auf den Horizont. Die Sonne ging schon unter, es wurde bereits dunkel. Nur noch ein wenig Zeit blieb ihnen im Hellen. Vielleicht täuschte es, doch das rötliche Licht, das sich über alles legte, war wie ein Schleier, der alles langsam aber sicher in die Dunkelheit zog.
 

War es dies, was er gewollt hatte? Sie verstand es nicht. Das Licht der untergehenden Sonne brach sich in ihrem roten Haar, ließ es im Schatten der Verborgenheit glitzern. Was sollte es bringen? Was hatte er geplant für sie? Hier zu sitzen und zu beobachten machte das Ganze nicht weniger grausam, nicht weniger zerstörerisch. Gab er wirklich alles auf für sie? Nur um diesen Krieg führen zu können?

Die Melancholie, in die Meira von Zeit zu Zeit verfiel, seitdem sie gesehen hatte, was die Millenniumskette ihr zu zeigen in der Lage gewesen war, war spürbar, doch Cyrus bemerkte sie nicht. Er beobachtete die Schlacht, die ihn so sehr in den Bann zog und war blind für alles, das in seiner Nähe geschah. Würde es etwas bringen, wenn sie ihm sagte, was sie gesehen hatte? Würde es ihn stoppen? Sie bezweifelte es.

Nein, er würde nicht aufhören. Er würde weiter machen, genau wie sie.

Hatte sie denn etwas verändert? Sie war nicht unschuldig. Sie war kein Engel. Ihre Sünden ließen sich nicht wieder rein waschen und sie legte es auch gar nicht darauf an. Wenn nur Akim bei ihnen bleiben würde ...

Sie hatte ihren Bruder schon einmal verloren. Damals hatte sie alles dafür gegeben, ihn eines Tages wiedersehen zu können, und jetzt drohte er ihnen erneut entrissen zu werden.

Akim.

Cyrus.

Wieso erkannten sie nicht, was es bedeutete? Wieso sahen sie nicht, was sie nicht zu ändern vermochten? Wieso begriffen sie nicht, wovor sie ihr Herz verschloss, ehe es zerbrechen würde?

Alles nur für ein kleines Mädchen?

Alles nur für Macht?

Welchen Sinn hatte all die Zerstörung? Und warum wollte sie sich nicht dagegen auflehnen? Warum nur ließ sie alles geschehen, alles passieren? Meira atmete tief durch und warf ihr Haar über ihre Schultern. Dies war nicht der Moment für sie zu handeln. Längst war sie in die Falle getreten, die alle traf, die die Zukunft gesehen hatten: Ohnmacht. Das Wissen, nichts ändern zu können, weil die Alternative einen verschleierten, unbekannten Weg darstellte.

Und wer wählte schon das Unbekannte, wenn der vorherbestimmte Weg sich klar und deutlich vor ihm ausbreitete?

Ohnmacht

Am Morgen entbrannten die Kämpfe von neuem, zerstörerischer als jemals zuvor. Die Zeit lief anders im Krieg. Bald schneller, bald langsamer, mal raste sie davon, mal schien sie zu stehen.

Die Anspannung war allgegenwärtig. Erholung fand niemand in der Nacht. Die Angst legte sich um sie wie ein Schatten, der aus dem Hinterhalt lauerte, ein Schatten, der auf sie zu kroch. Furcht machte sich breit. Und niemand, weder Ägypter noch Libyer, sehnte sich nach der Dunkelheit, der Ungewissheit.

Natürlich hatten die Kämpfe nicht gestoppt, doch sie waren abgeflaut.

Schreie gingen um wie böse Geister, die ihnen im Nacken saßen und ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Kurzum: Es war grauenhaft. Man traute den Kammeraden nicht, da niemand wusste, wer hinter einem stand. Stand dort jemand und lauerte auf seine Chance?

Feinde.

Feinde überall, allgegenwärtig. Und alles umfassende Furcht, die in einem herauf kroch.

Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne waren wie eine Erlösung. Zwar bedeutete dies, dass die Kämpfe wieder grauenhafter wurden, doch man kannte seinen Feind. Es gab keine unwillkommenen Überraschungen. Es gab nur berechenbare Abscheu.

Atemu lief ein Schauer über den Rücken, wie er ihn bisher nicht gespürt hatte. Ein Grauen, das nichts zu tun hatte mit den Kämpfen, ein Grauen, das sein Herz umfasste wie ein eiskalter Mantel. Der Hohepriester betrachtete sein erschrockenes Gesicht, konnte es jedoch nicht deuten. In einigem Abstand zu ihnen waren die brutalsten Kämpfe zu beobachten, Kälte umschloss jedes Gefühl.

„Ich hoffe, dieser Krieg ist bald vorbei. Nie war eine Schlacht unpassender als jetzt“, sagte er ohne zu wissen, wie sehr er seinem Cousin damit aus der Seele sprach.

Der Pharao nickte stumm. Teana. Etwas in ihm reagierte auf ihre Schreie, die doch so weit entfernt waren. Und er konnte nicht sagen, was es war. Es war unwirklich. Es war nicht fassbar. Und doch hatte er nicht das Gefühl, als würde es vor dem blutigen Hintergrund verblassen, der ihn umgab. Er musste zurück zu ihr, musste ihr beistehen. Sie war nicht geschaffen für das Leben in Pflichten, auch wenn sie in ein solches hineingeboren war. Die Schönheit des Seins – das war es, was sie verkörperte. Er hatte keine Zeit, lange über sie nachzudenken. Wenn er zu ihr zurückkehren wollte, so wie er es ihr so unzählbar viele Male hatte versprechen müssen, dann musste er diese Kämpfe zuende bringen.

Nicht nur für sie. Er las es in jedem Augenpaar, das ihn erblickte. Sie waren überdrüssig des Kämpfens, überdrüssig ihr Leben aufs Spiel zu setzen in einem Kampf, dessen Notwendigkeit sie nicht zu verstehen vermochten. Er musste dies beenden. Für sie alle. Für sich selbst. Und für Teana. Und doch wurde er das unsägliche Gefühl nicht los, dass dies erst der Anfang all der Tragödien war, die noch auf sie zusteuerten, direkt auf Konfrontationskurs.
 

Eine Träne suchte sich einen Weg über ihre blasse Haut, lief ihre Wange hinab und sammelte sich an ihrem Kinn, ehe das Rinnsal schließlich über ihren Hals rann. Sie atmete angestrengt und keuchend, jeder einzelne Atemzug brannte wie Feuer in ihrem Hals. Doch dies war nichts, gar nichts im Vergleich zu den Krämpfen, die ihren gesamten Körper und vor allem ihren Unterleib durchzogen.

Voller Unbehagen stellte Qadir die Schüssel zur Seite und setzte sich zu Teana an ihr Bett. Sanft wischte er ihr die Tränen weg und nahm dann ihre Hand.

Ohnmacht.

Er konnte nur zusehen. Zusehen, wie sie sich schüttelte vor Schmerzen, wie sie immer und immer wieder ihr Gesicht verzog und seine Hand mit der ihren quetschte, verzweifelt nach Halt suchend.

Wie sollte er ihr helfen? Konnte er es wirklich tun? Noch nie zuvor hatte er sich so ausgeliefert gefühlt, noch nie zuvor so hilflos. Die Angst, die Sorge, die Verzweiflung und die Belastung – all das hatte ein Wrack aus der stolzen Frau gemacht, die nun gebrochen vor ihm lag und um Hilfe flehte, um Erlösung.

„Bitte...“, hauchte sie tonlos, kein Klang kam über ihre Lippen, da sie sich vom Schreien abhalten wollte. Sie durfte den Tönen nicht nachgeben, sie wollte es verhindern, wollte nicht noch mehr Kraft einfach wegschmeißen. Tiefstes Mitleid hielt Qadir dicht bei ihr, sodass er sie trotzdem verstanden hatte.

Er seufzte schwer. Die Zeit des Wartens war vorbei, er durfte ihr Leben nicht länger aufs Spiel setzen. „Wie Ihr wünscht“, flüsterte er und war nicht weniger verzweifelt als sie. Nicht einmal seine Assistenten konnten erfassen, was es tatsächlich bedeutete. Er schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet an die Götter. Dann nahm er die Schüssel wieder auf und verabreichte ihr das Medikament, das sich dort drinnen befand. Er gab ihr ein wenig Wasser, damit sie es besser schlucken konnte, doch mehr konnte er nicht für sie tun. „Das sollte hilfreich sein“, sagte er leise zu ihr, wie um ihr Mut zu machen. Es sollte Fieber und Entzündungen lindern und hoffentlich tat es dies auch. Hoffentlich wirkte es genau so, wie es sollte.

Andernfalls ...

Doch er wollte nicht weiter in die Richtung denken.

Teana hatte es widerstandlos geschluckt. Sie glaubte nicht wirklich daran, dass es ihr helfen konnte, doch sie wollte zumindest das Gefühl haben, sie hätte etwas versucht. „Es ist so schmerzhaft“, hauchte sie, und wieder stiegen die Tränen in ihren Augen auf, verbargen sie hinter einem wässrigen Film, der ihre Sicht trübte.

Qadir nickte bedauernd. „Ich werde euch noch einmal untersuchen. Komplett, auch Euer Baby, wenn es Euch Recht ist“, beschloss er. Er musste unbedingt die Ursache für diese heftige Reaktion finden, eine Ursache, die sich erklären ließ und gegen die er etwas unternehmen konnte. Erschöpfung, Stress, Überforderung. Dies alles waren Gründe, die nahe lagen, doch sie waren ohne Gegenmittel. Es gab kein Heilmittel. Aber es musste eines geben, es musste einfach. Und wenn es keines gab, dann musste er eines finden.

Teana.

Der Pharao hatte ihr Leben in seine Obhut gegeben. Er musste sie unbedingt schützen.

Sie ließ die Prozedur über sich ergehen. „Macht, dass es aufhört ...“, flehte sie ihn an, kraftlos und erschöpft.

Qadir biss sich auf die Unterlippe. Ihr Wunsch. Ihr einziger Wunsch. Er konnte ihn ihr nicht erfüllen. Er wusste nicht wie, es gab keine ihm bekannte Möglichkeit. Er konnte es nicht.

Und dann sah er es. Blut. Blut, das ihn erschaudern ließ. Blut, dass die Laken zwischen ihren Beinen benetzte. Blut, dass einleitete, was nicht hätte sein dürfen.

Er stand sofort auf. Wachen, Assistenten, es war ihm gleich, wer es tat. Laken. Er brauchte saubere Tücher und frisches Wasser, auf der Stelle. Nun war jede Sekunde kostbarer als die vorherige. Er versuchte ruhig zu bleiben, durfte sie nicht in noch größere Panik versetzen. Sie musste mitarbeiten, sie musste nun helfen.

Eine Dienerin hielt inzwischen ihre Hand. Er hatte es so angeordnet. Sie musste wissen, dass sie nicht allein war auf der Welt, sie musste es spüren. Sie musste fühlen, dass er sie nicht aufgegeben hatte. Er versuchte die Blutung zu stoppen, doch es gelang ihm nicht. Er konnte es wegwischen, doch es kam immer welches nach.

Er griff nach einer Schale, die einer seiner Assistenten ihm reichte. Sie alle mussten nun zusammenarbeiten, sie alle mussten um Teana kämpfen. Sie mussten sie beruhigen. Weiterer Stress machte alles noch viel schlimmer, noch weit aus gefährlicher als es jetzt schon war. Er gab ihr das Mittel, das sein Kollege gebraut hatte.

Beruhigung.

Es war das einzige Mittel gegen die Ohnmacht.

Kalter Schweiß ließ ihren Körper glänzen und kleben. Sie zitterte. Immer und immer stärker. Alles in ihr zog sich krampfhaft zusammen. Und dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie schrie. Schrie mit geschlossenen Augen. Sie schaffte es nicht, sie wieder zu öffnen.

Es konnte nicht sein. Es war viel zu früh.

Er seufzte.

Doch es ließ sich nicht verhindern. „Meine Königin?“, er hoffte inständig, dass sie ihm zuhörte. „Es ist nötig, dass wir nun Eurem Kind auf die Welt verhelfen. Es hätte noch einige Zeit dauern sollen, doch es lässt sich nicht aufhalten.“ Er sprach ernst und deutlich, mit soviel Ruhe, wie er selbst aufbringen konnte. „Es wird alles gut gehen, habt Ihr mich verstanden? Ihr müsst nun mutig mitarbeiten!“

Er winkelte vorsichtig ihre Beine an. Auf keinen Fall wollte er ihr noch mehr Schmerzen zufügen, als sie ohnehin schon hatte. Es musste gut gehen. Es musste einfach.

Erneut ein Schrei.

Die Augen aufgerissen vor Panik. Hoffnungslosigkeit. Hilflosigkeit. Sie nickte. „Ich vertraue Euch“, gab sie voller Angst zurück, sie zwang sich zu sprechen, sie musste es ihm sagen. „Aber...“, sie griff nach seiner Hand, hob angestrengt den Kopf. „Bitte rettet mein Kind ...“

Unterstützt durch Teanas Schreie gab Qadir seine Anweisungen. Sie musste das Kind gebären, so schmerzhaft es auch war. Das Beruhigungsmittel hatte nicht einmal die Möglichkeit, seine Wirkung zu entfalten. Eine Tinktur stand neben dem Bett auf einem kleinen Hocker, so nahe an ihrem Kopf, wie es möglich war. Parfümierte Dämpfe stiegen auf und benebelten sie. Die Schmerzen. Sie durfte sie nicht so intensiv spüren. Sie musste nun kämpfen, nicht gegen die Schmerzen, sondern für ihr Kind.

Sie hörte auf jedes Wort, das er sagte, sie hatte all ihre verzweifelten Hoffnungen in ihn gesetzt. Sie widersprach nicht und sie dachte auch nicht über seine Worte nach.

Sie gehorchte einfach nur.

Qadir wies sie an zu pressen. Hoch konzentriert verrichtete er seine Arbeit, doch die Zweifel in seinem Kopf konnte er nicht ersticken. Selbst wenn es Teana gelänge, das Kind leben zu gebären, so hatten sie doch nicht die Möglichkeit es am Leben zu erhalten. Es war zu früh, viel zu früh. Wochen noch hätte es dauern müssen, doch die Zeit war abgelaufen.

Ein Husten unterbrach all die Anstrengungen, die Teana hineinsteckte. Blut. Doch sie nahm es nicht wahr, nahm überhaupt nichts mehr um sich herum war, alles war verschleiert. Alles schien zu sterben.

Es war zum Verzweifeln. Es gab nichts, dass er ihr geben konnte, es gab nichts, das er unternehmen konnte, um ihr zu helfen. Das Kind. Es musste heraus aus ihrem Körper bevor er sich um sie kümmern konnte. Er sah den Kopf. Ein kleines Köpfchen, hilflos und schwach. Unschuldig. Zu klein.

Das Schwindelgefühl wurde immer stärker. Nie hatte sie solche Schmerzen erlebt. Sie wollte nicht mehr, sie konnte es nicht länger ertragen, hielt es nicht aus. Sie wollte nur noch, dass es endete, je schneller, desto besser. Sie konnte nicht mehr. War sie so schwach? Zu schwach ihr Kind zu retten?

„ATEEEMUUUUUU!!“

Ihr Schrei war markerschütternd, fuhr allen Anwesenden mit Schaudern in die Glieder.

Und dann war es vorbei.

Einfach vorbei.

Qadir hielt das blutige Kind in den Händen. Sanft wickelte er es in ein sauberes Tuch, doch es hatte keinen Sinn. Das Kind war bereits tot. Kein kindlicher Schrei durchdrang die Stille, nur Teanas Schluchzer waren zu hören. Die kleine Lunge war noch nicht bereit gewesen ihre große Aufgabe zu übernehmen.

Bedrückt gab er das kleine Wesen ab, es wäre ein Mädchen gewesen. Vergebt mir, dachte er traurig. Er musste sich nun um die Mutter kümmern. Sie zumindest musste überleben.

„Mein Kind...“, hauchte sie, ehe sie vor Erschöpfung das Bewusstsein verlor.

Er würde sie nicht sterben lassen. Auf keinen Fall würde er sie sterben lassen. Nur eine einzige Dienerin blieb bei dem Kind um es zu waschen. Wenigstens sauber sollte es sein. Alle übrigen kümmerten sich um die Brünette. Sie wurde rundum umsorgt. Sie war leicht gerissen, deswegen musste Qadir sie nähen. Er selbst war noch voll mit ihrem Blut, doch es kümmerte ihn nicht. An erster Stelle kam nun Teana – und zwar eine lebende Teana.

Kräuterverpackungen bedeckten alle Wunden, eine Salbe wurde in die geschundene Haut ihres Bauches einmassiert und Räucherstäbchen angezündet. Er persönlich würde über sie wachen. Und er persönlich würde sie um Vergebung bitten müssen.

Sie bekam von alledem nichts mit. Sie atmete schwach, doch regelmäßig. Eine ganze Weile lang geschah gar nichts. Dann wurde ihr Schlaf unruhiger, wilder. Sie schlug um sich, wie um Dämonen zu vertreiben, die sie in die Enge treiben wollten. Dämonen ihrer eigenen Angst. Perlende Tropfen kalten Schweißes schmückten ihr blasses Gesicht.

Und wieder musste er auf ihren Willen hoffen.

Was war nur los? Was hatte die Götter so sehr erzürnt, dass die Herrschenden so schwer getroffen wurden? Was hatten sie getan, damit sie so hart bestraft werden mussten?

Erschöpfung

Sie hätten niemals her kommen dürfen. Sie hätte ihr niemals erlauben dürfen, nach draußen zu kommen. Niemals. Sie hätte es wissen müssen, hätte voraussehen müssen, dass es nicht gut war. Gegen jede Vernunft und gegen jedes bessere Wissen hatte sie sie gehen lassen – ein Fehler, den sie nun zu sühnen hatte. Ein Fehler, der keine Wiederholung erlaubte. Adalia schüttelte den Kopf, als ihr besorgter Blick auf Mana fiel, die in sich zusammengesunken nicht so recht wusste, wie ihr geschah. Das Mädchen war nichts weiter als ein Häufchen Elend, viel mehr war von ihr nicht übrig geblieben. Was versuchte sie eigentlich? Ein Kind ohne Erinnerungen zu einer Prinzessin zu machen? Sie zu schleifen, wie einen rohen Diamanten? Ohne Erinnerungen hatte sie doch noch nicht mal etwas, wovon sie sich hätte erholen können. Es war kein Wunder, dass es solche Schwierigkeiten mit ihr gab. Es war abzusehen gewesen, im Grunde vorprogrammiert. Eine Puppe konnte man nicht dazu bringen, einen Willen zu entwickeln, der sich um ihre eigene Gesundheit sorgte.

Sie seufzte. Sie würde nicht aufgeben. Sie würde diese sinnlose Scharade aufrecht erhalten, solange Hohepriester Seth es für notwendig erachtete oder zumindest so lange, bis er es schaffte zurückzukehren. Sie konnte nur hoffen, dass dies bald der Fall sein würde. Besorgt sah sie auf das Kind herab. „Weißt du, was du tun sollst?“, fragte sie, und hoffte inständig, dass Mana keine Ahnung hatte. Sie durfte sich nicht erinnern, an gar nichts. Wenn der Zauber nun gebrochen wäre ... Die Priesterin wusste nicht genau, wie sie einen erneuten Gedächtnisverlust hätte erklären können, doch zweifelsohne wäre genau dieser Zauber ihre Pflicht gewesen. „Was ist nicht gut?“

Die Kleinere schüttelte hoffnungslos den Kopf. Sie fühlte sich seltsam, ganz und gar falsch. „Ich weiß es nicht ...“, flüsterte sie überfordert, sie konnte all die Eindrücke, die auf sie niederprasselten weder einordnen, noch speichern noch verstehen. Sie schluckte all die Gefühle herunter, die die Tränen in ihren Augen doch nicht verbergen konnten. „Ich weiß es nicht!“, wiederholte sie, dieses Mal war ihre Stimme stärker, empörter, anklagender, voller Nachdruck. Sie sprang auf, ihre Verletzungen nicht beachtend und lief los, durch den Garten, zurück in den Palast. Die Augen hatte sie dabei fest zusammengekniffen, sie sah nur hin, wenn es sich nicht verhindern ließ. Sie musste sich doch erinnern! Es war so unglaublich frustrierend. Sie wusste nichts. Gar nichts. Alles war fremd, alles war unbekannt, und doch war ihr schmerzlich bewusst, dass es nicht immer so gewesen war. Jeder um sie herum schien sie zu kennen, all diese Blicke, die sie zu verurteilen schienen, obwohl sie doch gar nicht wusste, was sie aussagen wollten. Alles war unfassbar unverständlich.

„MANA!“, rief Adalia erschrocken, lief ihr sofort hinter her. Sie hatte nicht viel Vorsprung und war auch nicht sonderlich schnell auf den Beinen, doch sie hatte sie überrascht. Eine solche Reaktion hatte die Priesterin nicht erwartet. Im Palast hatte sie sie eingeholt. Sie griff nach ihrem Arm und stoppte sie auf diese Weise. Sie hielt sie fest, legte ihre eigenen Arme sanft um ihren Körper. „Es ist in Ordnung“, versuchte sie sie zu beruhigen, „Lass dir Zeit, ja?“ Sie durfte es nicht überstürzten, durfte sich nicht selbst stressen. Sie musste einfach nur geduldig sein und dann würde sie mit Sicherheit irgendwann etwas verstehen.

Doch damit war die Brünette nicht zu besänftigen. Sie wand sich aus dem haltenden Griff und stampfte mit dem Fuß kräftig auf den Boden. „Es ist nichts in Ordnung!“, widersprach sie. „Ich verstehe gar nichts! Ich weiß nicht, wie irgendetwas sich anfühlt! Wie es zu sein hat! Du hast keine Ahnung, wie das ist!“ Sie war laut geworden, ohne dass sie es beabsichtigt hatte. Es kümmerte sie nicht. Sie hatte das Gefühl, als wäre es richtig und gleichzeitig fand sie es sinnlos. Dennoch konnte sie nicht davon ablassen.

Die Woge der Erleichterung, die Adalia durchflutete, als sie diese Worte hörte – so voller Trotz und Bitterkeit und doch so ehrlich – sie stand im absoluten Gegensatz zu Manas Worten. Der Zauber hielt an, die Magie, der Fluch. Sie wurde nicht gezwungen, die Formel zu wiederholen, die alles schwarz werden ließ. Und sie war – das ließ sich nicht leugnen – überaus froh mit dieser Entwicklung. Sicher, für das Mädchen war es schwer, aber sie hatte einen Anfang. Erste Schritte waren bereits getan auf einem Weg, der gerade erst gelegt wurde.

Adalia musste sich zusammenreißen, nicht aufzulachen. Sicher würde Mana eine solch unerwartete Erwiderung mehr als falsch auffassen.

Es war noch nicht alles verloren.

Erneut zog sie das Mädchen in ihre Umarmung, darauf bedacht sie festzuhalten, ohne ihr Schmerzen zu bereiten. „Beruhige dich“, wiederholte sie geduldig, ganz so als wäre sie nicht soeben angeschrien worden, „Du hast Recht, ich weiß nicht, wie das ist“, gab sie zu, „Aber ich will dir helfen.“

Wieder versuchte Mana sich zu befreien, doch dieses Mal war die Priesterin vorbereitet. Widerwillig begnügte die Kleine sich damit wild ihren Kopf zu schütteln. „Nein!“, schrie sie, „Wie kann mir schon geholfen werden?!“

Pure Verzweiflung prallte auf die Priesterin, die sie ernst betrachtete. Sie runzelte die Stirn. Dies war sicher nicht der Zustand, den Seth für Mana vorgesehen hatte. Andererseits ... Was konnte er sich vorgestellt haben? Sicher nichts, das sonderlich viel besser war.

Eine Träne lief über Manas gerötete Wangen. Sie wischte sie weg, starrte dann entsetzt ihre Hand an. Hilflos blickte sie zu Adalia auf, wie um zu untermauern, was sie soeben gesagt hatte.

Die Priesterin sah ihr verständnisvoll in die grünen Augen und wischte ihr die übrigen Tränen aus dem Gesicht, ehe sie sie wieder an sich drückte und ihr beruhigend über den Kopf streichelte.

„Was ist denn passiert?“

Eine Stimme erklang aus dem Korridor, doch Adalia ignorierte sie. „Es ist okay, hörst du?“, sagte sie sanft zu Mana, die nun still hielt, „Du wirst es verstehen. Vertrau mir. Gib dir nur ein bisschen Zeit.“ Vorsichtig schaukelte sie sie hin und her. „Habe keine Angst, ja? Niemand wird dir etwas tun.“ Ihr Kopf ruhte auf Manas dichtem Haar, als sie Kisara sah. Adalia schüttelte kurz den Kopf. „Warte bitte einen Moment“, sagte sie freundlich, aber bestimmt zu der Weißhaarigen, die keinen Grund sah, dieser Bitte nicht nachzukommen. Schnell trat sie einige Schritte zurück und hielt einen diskreten Abstand, für den Adalia sehr dankbar war.

Das Mädchen schien ihren Besucher gar nicht wahrzunehmen. Sie drückte sich an Adalias warmen Körper, krallte ihre Hände in deren Gewand. Die Tränen, die die Priesterin zu stoppen versucht hatte, zogen ihre Bahnen, leise doch nicht ungesehen. Noch immer wurde sie geschaukelt und gestreichelt und langsam aber sicher beruhigte sie sich. „Es wird alles wieder gut“, flüsterte Adalia und es klang fast wie eine stille Melodie, die sie sang, „Du wirst schon sehen. Du bist nicht allein, vergiss das nicht.“

Für einen kurzen Moment nur sah Mana zu ihr auf und nickte. Dann kuschelte sie sich wieder an. „Ich bin nicht allein...“, hauchte sie, Adalias Worte nachsprechend, „Nicht vergessen...“ Mana fielen die Augen zu und sie sackte in den Armen der Priesterin zusammen, die sie jedoch rechtzeitig auffing. Der Halt, den sie ihr gegeben hatte, wurde stärker. Viel Kraft musste sie nicht aufwenden, Mana hatte kein großes Gewicht. Adalia legte die Arme fester um ihren Schützling und hob sie ohne Anstrengungen hoch. Sie musste unglaublich geschafft sein. Deswegen war es besser, wenn sie nun erst einmal schlief. Ihr Blick fiel auf Kisara, die noch immer still und beobachtend darauf wartete, erhört zu werden. Diese Aufgabe stand noch vor ihr. „Begleite uns, wenn du magst“, sagte sie leise, aber deutlich, „Ich muss sie ins Bett bringen.“
 

Diese Aufforderung ließ sich das Drachenmädchen nicht noch einmal geben. Schließlich wollte sie erfahren, was geschehen war und nichts hatte sie in der Zwischenzeit der Antwort dieser Frage näher gebracht. Sie wusste lediglich, was sie gesehen hatte und daraus konnte sie nicht schlau werden. Es war verwirrend. Ein Bild, das nur wenig Sinn hatte. Wieso hatte Mana überhaupt das Zimmer verlassen dürfen? War nicht absolute Bettruhe das Gebot der Stunde?

Dann jedoch... Kisara konnte nicht anzweifeln, wie schwer es wohl sein musste, ein Mädchen bei Laune zu halten, das nichts verstand und nichts machen durfte. Wie auch immer, sie war nicht gekommen und Adalias Methoden anzuzweifeln. Zwar kannte sie die Priesterin nicht besonders gut, doch Seth musste sich seiner Sache sicher gewesen sein, andernfalls hätte er Mana nicht in ihre Obhut gegeben.

Oder?

Ein kurzer Blick voller Mitleid fiel auf Mana, ehe sie sich an Adalia wandte. „Sage mir, was passiert ist, bitte“, flüsterte sie so, dass Adalia sie verstehen konnte, jedoch die Chance minimal blieb, dass Mana sie hörte und erwachte.

Sicheren Schrittes trat die Priesterin durch die Gänge, ohne Mana allzu großen Erschütterungen auszusetzen. Sie ließ den Blick nicht schweifen, während sie Kisara antwortete. Sie achtete genau darauf, wohin ihre Füße sie trugen. „Der Garten hat scheinbar Erinnerungen geweckt, die sie völlig überforderten.“

„Die Ärmste“, hauchte die Weißhaarige und ihre Sorge war absolut ehrlich. „Aber sie kann sich nicht erinnern, das ist völlig unmöglich...“

Wollte sie, dass sie sich erinnern konnte? Oder wollte sie es nicht? Kisara wusste nicht, wie sie sich selbst diese Frage beantworten sollte. War sie nicht vielleicht sogar so besser dran?

Mana atmete wieder ruhiger und der kindliche Eindruck in ihrem Gesicht kehrt zurück. Das musste ein gutes Zeichen sein. Sie schlief scheinbar seelenruhig, ohne Erinnerungen, die sich in Träume hätten verwandeln können, abgesehen von den aller neusten.

Adalia nickte vorsichtig. Es war unmöglich, ja. Genau darüber hatte sie nachgedacht und es stimmte. Sie konnte sich nicht erinnern, der Zauber ließ sich nicht aufheben. Und wenn es das nicht gewesen war... „Genau das hat ihr so zu schaffen gemacht“, erklärte sie.

„Das kann ich mir denken“, antwortete Kisara, stockte dann aber aufgrund ihrer eigenen Aussage. „Zumindest ein wenig“, fügte sie hinzu, allein aus dem Grund, selbst von ihrer Antwort überzeugt zu sein.

Bedrückt schauend lief sie weiter, dicht neben der Priesterin her. Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr langes Haar. Um ihre Hände zu beschäftigen, drehte sie langsam eine ihrer hellen Strähnen ein. „Es wird unmöglich sehr lange gut gehen, wenn sie sich so sehr anstrengt sich zu erinnern.“

Leider entsprach dies genau den Tatsachen. Mana konnte sich nicht erinnern und es regte sie auf – verständlicher Weise. Frustration brachte Wut hervor und ein Gefühl der Lähmung. Waren all ihre Anstrengungen umsonst?

Sie hatten das Gemach des Hohepriesters erreicht. Kisara hatte ihren die Tür geöffnet, wissend, dass Adalia Schwierigkeiten gehabt hätte mit Mana auf dem Arm.

Die Priesterin hatte es nicht übers Herz gebracht, das Mädchen in ihr eigenes Zimmer und in ihr eigenes Bett zu bringen. Wenn der Garten allein schon eine solch impulsive Reaktion förderte, dann war es vermutlich äußerst ratsam von weiteren erinnerungsreichen Orten abzusehen – gerade weil diese Erinnerung alles andere als positiv war. Fürsorglich legte sie dem Mädchen eine Decke über, die weich und warm, aber dennoch sehr leicht war, damit Manas Verletzungen darunter nicht beeinflusst wurden.

Erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Mana auch wirklich noch immer schlief, schritt sie zum Fenster, dicht gefolgt von der Weißhaarigen. Sie drehte sich zu ihr um, blickte sie ernst an. „Kann ich dir vertrauen?“

Die Frage war nicht verurteilend gemeint gewesen, Adalia war ernsthaft interessiert. Trotzdem. Als Kisara ihren Blick erwiderte, war die Verletzung durch die anklagenden Worte nicht zu übersehen. Hatte sie nicht auch darauf vertraut, dass Seth wusste, an wen er seine Bitten richtete? Auch wenn Akim dies in Frage stellte, sie hatte darauf gebaut. Leicht seufzend nickte sie. „Das kannst du“, antwortete sie schließlich, vielleicht ein wenig grantiger als sie es sonst getan hätte. „Ich will ihr nichts schlechtes und ich möchte auch, dass es Seth gut geht. Außerdem hat Seth mich beauftragt, ihm Bescheid zu geben, wenn etwas passiert. Er vertraut mir ebenfalls.“ Würde die Priesterin etwa wagen ihre Reputation anzuzweifeln? Sie senkte leicht den Kopf. „Ich will Mana helfen...“

Adalia nickte. „Verzeih“, sprach sie und ihre Stimme zeigte keinen Klang von Lüge, „Ich zweifle nicht an deiner Aufrichtigkeit. Ich muss nur sicher gehen.“ Sie zögerte. Doch dann schien es, als hätte sie ihre Entscheidung getroffen. „Kennst du Manas Vergangenheit?“

Blut

Der Morgen brach an, und setzte genau dort an, wo sie am Abend geendet hatten. Die Gesänge des Krieges zogen ihre Melodie weit voran, angestimmt von Klagelauten, Wut und Angst. Jeder Ton, der erklang, erschien zu zittern, zu beben, unsicher in den Grundfesten seiner Existenz. Jedes Fundament schien seinen Halt zu verlieren, als nach und nach immer mehr Familien auseinandergerissen wurden – permanent und ohne Wiederkehr.

Durfte Hass wirklich so weit gehen?

Rechtfertigte er all das?

Die Pferde, obgleich kriegserfahrene und edle Tiere, scheuten beim Klang von aneinander knallenden Klingen, brachen nicht selten im Hagel von Pfeilen zusammen, der für ihre Reiter bestimmt war. Niemand kümmerte sich um sie. Niemand konnte es sich leisten, auch nur eine Sekunde lang unaufmerksam zu sein. Zu vieles stand auf dem Spiel. Es ging nicht mehr um Sieg oder Niederlage. Es ging nur noch und ausschließlich ums Überleben.

Die Angst vereinte sie alle und doch ließ sie sie allein stehen.

Und es nahm kein Ende.

Bedrückend heiß war das Klima, die Sonne strahlte in all ihrer Herrlichkeit, wie zum Hohn, und nahm ihnen die Sicht. Die Hitze machte niemandem zu schaffen, denn niemand achtete auf sie. Die Unsicherheit und die Angst verdeckten jede Wahrnehmung. Und doch schien es, als würde ein eisiger Schauer immer wieder durch ihn gehen, obwohl Atemu nicht fror. Etwas war nicht in Ordnung, doch er wusste nicht, was es war. Immer und immer wieder sah er sich zu allen Seiten um in der Hoffnung die Quelle seiner Unsicherheit auszumachen, doch er fand nichts. Und trotzdem. Etwas war nicht gut. Er wurde das nagende Gefühl nicht los, irgendetwas wichtiges verpasst zu haben. Zuhause. Er konnte nur hoffen, dass Teana alles unter Kontrolle hatte. Sie war stark. Er musste daran glauben, dass sie wusste, was sie tat.

Seine Unruhe war fassbar, so fassbar, dass selbst Seth für einen Moment innehielt. „Pharao?“, fragte er besorgt, als er sah, wie weit dieser mit seinen Gedanken fort war. Es war nicht gut, in Erinnerungen, Hoffnungen oder Befürchtungen zu schweifen, wenn man auf dem Kriegsschauplatz stand. Und wenn man eine solch zentrale Person darstellte, wie Atemu sie verkörperte.

Von den Worten des Priesters aufgeweckt, fasste dieser sich wieder. Er schüttelte den Kopf. „Ich habe ein sehr ungutes Gefühl“, versuchte er sich zu rechtfertigen, „Irgendetwas sagt mir, dass es im Palast nicht mit rechten Dingen zugeht.“ Er atmete tief durch.

Der Brünette sah ihn für einen Augenblick an. Er konnte nicht widersprechen, doch er konnte ihn auch nicht besänftigen. Sicher. Er wusste, dass Kisara ihn auf dem Laufenden halten würde, wäre es nötig, doch einen Beweis hatte er nicht. Außerdem neigte der Mensch sowieso dazu, nur das zu glauben, das er selbst gesehen hatte. Es gab keine Sicherheit. Weder für Atemu, noch für ihn. Sie mussten vertrauen und hoffen. Weder der Pharao noch der Hohepriester wollte sich jedoch einzig und allein auf Hoffnung verlassen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Wenn sie zurück nach Hause wollten, mussten sie es zuende bringen. Vorher waren sie hier gefangen in einem Meer, das von Blut und Metall glänzte.

„Dafür ist jetzt keine Zeit“, es war Atemu selbst, der sich die Träumereien verbot. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Genauso gut konnte er sich alles nur einbilden, katalysiert durch all die Schreie, die er hier zu hören bekam. Er war der Pharao. Er musste jetzt an sein Volk denken. An die Männer, die hier für ihn starben.

„Du hast Recht“, stimmte Seth ihm zu, grimmig und verbissen. „Es wird Zeit, dass wir dies zuende bringen!“ Er sah seinen Cousin noch einmal an. „Für Ägypten...“, flüsterte er und gab seinem Pferd die Sporen. Bald würde er wieder bei Mana sein.

Der Pharao tat es ihm gleich. „Für Ägypten“, stimmte er zu, packte den Griff seines Schwertes und drehte es leicht in der Hand. Das Pferd ging so schnell es ging in den Galopp über. Schnell hatte er den Hohepriester wieder eingeholt, doch die Tatsache, dass dessen geborgtes Pferd langsamer war, hatte kaum einen Einfluss. Seine Kampfgewandtheit und seine Kenntnisse der Magie glichen jeden Nachteil wieder aus, bevor er ins Gewicht fallen konnte.

Dass sie sich zurück ins Zentrum der Schlacht drängten, hatte sofort Auswirkungen. Die Angriffe verlagerten sich in ihre Richtung, jeder libysche Krieger, der noch Mut in den Knochen hatte, und wäre es nur der Mut der Verzweiflung gewesen, wollte die ägyptischen Heeresführer vernichten, von denen solch eine unheimliche Stärke ausging. Gleichzeitig fassten die ägyptischen Krieger neue Hoffnung, schöpften neue Kraft aus der Anwesenheit von Atemu und Seth.

Dies war der Effekt, den Seth unbedingt ausnutzen wollte. Die libyschen Truppen war noch immer zahlreich, dezimiert zwar, doch auch die ägyptischen Truppen hatten Verluste hinnehmen müssen. Ihre Zahl war noch immer unterlegen. Doch sie durften nicht aufgeben. Zahllose namenlose Tote, niedergemetzelt in einem Krieg, der an anderer Stelle geführt wurde. Atemu und Seth ließen Schwerter sprechen und die Millenniumsgegenstände taten ihr übriges. Sie hatten sich in die Schlacht gestürzt, eine Schlacht, die für jeden tödlich sein konnte. Es hatte nichts mit Können zu tun, es ging nur um Glück und ein wenig Strategie.

Wer sich ihnen in den Weg stellte, musste sterben. Sie konnten es sich nicht leisten, Ausnahmen zu machen, selbst wenn diese um ihr Leben flehten. Fanatisch nahmen einige es hin, kämpften und starben für eine größere Sache; das zumindest überzeugte sie in ihrer Besessenheit.

Und dann sah er ihn. Ein gezielter Schlag mit seinem Schwert hatte den Weg frei gemacht. Seths Blick fiel auf einen Mann, groß und kräftig, reich behängt mit teurem Schmuck und einer Rüstung. Und es gab keinen Zweifel. Keine Zeit zu verlieren. Der Hohepriester Ägyptens trieb das Pferd zur Eile an, der Millenniumsstab in seiner Hand glühte, als er auf ihn zustürmte. Ein einziger Angriff genügte um den Mann von seinem Pferd zu reißen. Es ärgerte ihn zwar, doch er wusste aus eigener Erfahrung, dass ein Anführer ohne sein Pferd wesentlich weniger Gefahr darstellte. Vor ihm sprang Seth von seinem Pferd, landete auf seinen Füßen, konzentriert und zum ersten Mal lächelnd.

Und noch bevor der Mann sich wieder vollständig hatte aufrichten können, hatte Seths Schwert seinen Kopf sauber von seinem Körper getrennt.

Es war vorbei.

Atemu hatte Seths Vorhaben erkannt und ihm den Rücken frei gehalten. Nicht wenige der libyschen Krieger hatten sich von ihm abgewendet, als sie verstanden hatten, dass ihr Anführer in Gefahr war, doch der Pharao hatte ihnen den Weg abgeschnitten, noch bevor sie etwas hatten unternehmen können. Noch immer kämpfte er gegen die Männer, die verbissen durchzukommen versuchten. Sein Millenniumspuzzle war dem Pharao ein großer Vorteil gegen die Übermacht, die sich ihm allein entgegen stellte. Niemand von ihnen hatte mitbekommen, was geschehen war. Erst als Seths kraftvolle und grausame Stimme über das Feld donnerte, erkannten sie, was ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Der Kopf ihres Königs hing in der Luft, durchbohrt von Seths Schwert, der ihn wie eine Trophäe hochhielt.

„HALTET EIN!“, schrie er, und meinte sowohl die ägyptischen als auch die libyschen Truppen, „DIE KÄMPFE KÖNNEN EIN ENDE HABEN!“ Nun war es ganz klar, an wen er seine Worte adressierte, „ERGEBT EUCH UND NIEMAND WIRD MEHR SINNLOS STERBEN!“ Der Kopf an der Spitze seines Schwertes schien seine Stimme zu untermauern und zu stärken.

Ein Murmeln ging durch die Reihen. Konnte es das gewesen sein? Erleichterung, Hoffnung, Verwirrung auf Seiten der Ägypter, Schrecken, Angst und Unsicherheit auf Seiten der Libyer. Der Anblick ihres Königs, auf solche Weise entstellt und entehrt brachte ihren Angriff zum Stillstand. Entsetzen machte sich breit, Schwerter fielen zu Boden und die Kämpfe lösten sich in heilloses Chaos auf. Die libyschen Krieger flohen, solange die Perplexität der Feinde ihnen die Gelegenheit dazu gab.

War es wirklich vorbei? Atemu blickte zu seinem Cousin, der ihn allerdings nicht sah. Noch immer steckte der Beweis seiner Tat an seinem Schwert, das Blut lief die Klinge hinab und tränkte seine Hand darin. Das Blut des Feindes. Es war das Zeichen seiner Überlegenheit.

Atemu lächelte. Sollte er ruhig die Aufgabe der Einschüchterung übernehmen, es war ihm recht. Auf diese Weise hatte der Pharao Zeit, seine Truppen um sich zu sammeln. Die Nachricht von ihrem Sieg sickerte nur langsam durch, wahre Freude blieb aus. Lediglich Erleichterung. Und Hoffnung. Es war vorbei. Es hatte tatsächlich ein Ende. Er atmete tief durch, ehe auch er das Wort an die Menge richtete, die jedoch nun nur noch aus seinen Männern bestand. „FÜR DAS, WAS IHR HIER GELEISTET HABT, MEINE BRÜDER, DANKT EUCH DAS LAND ÄGYPTEN ZUTIEFST UND AUCH ICH BIN EUCH ZU DANK VERPFLICHTET!“ Er blickte sich um. „EURE VERLETZUNGEN WERDEN HEILEN UND EURE NARBEN WERDEN VERBLASSEN. EURE FAMILIEN WERDEN UNBESORGT LEBEN KÖNNEN!“ Nur mit Mühe gelang es ihm, ein Schlucken zu unterdrücken, das seine eigene Besorgnis zum Ausdruck gebracht hätte. Er hatte sich jetzt um sie zu kümmern. Um ihr Wohl. Genau, wie sie sich um das Wohl des Landes gekümmert hatten. „SAMMELT DIE VERLETZTEN UND BRINGT SIE AUF DIE ÜBRIGEN PFERDE!“

Ohne zu zögern machten sich die Überlebenden an die Arbeit. Seth half Atemu dabei, die Aufräumarbeiten zu beaufsichtigen, die Männer waren erschöpft und in keinster Weise euphorisch. Vielleicht würden sie am nächsten Tag ein wenig feiern können, doch verlassen würde er sich nicht darauf. Sie hatten große Verluste gemacht, Verluste, die Wunden gerissen hatten, die auch dann noch bluten würden, wenn die Zeit bereits jede sichtbare Spur in Vergessenheit hatte geraten lassen.

Es dauerte nicht lange und sie waren bereit aufzubrechen. Niemand wollte länger als unbedingt nötig an diesem Ort bleiben. Sie alle wollten zurückkehren um sich ihres Triumphes wirklich bewusst zu werden.

Seth und Atemu ritten an der Spitze, als der Zug sich in Bewegung setzte. Sie trieben die Pferde an, doch sie eilten nicht. Die Männer sollten verschnaufen können und durchatmen. Ganz langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie kehrten wirklich nach Hause zurück.

Weder der Pharao noch der Hohepriester ließ sich davon anstecken. „Es ist noch nicht vorbei“, flüsterte Seth, die Augen noch immer hart und voller Kälte. Er hatte nicht vergessen, dass Shada entkommen war. Zu hoffen, irgendjemand hätte ihn auf seinem Weg in die Freiheit niedergestreckt, wagte er nicht. Wenn er ehrlich war, wollte er es auch gar nicht. Er gehörte ihm. Irgendwann würde auch er zurückkehren müssen und dann würde er auf ihn vorbereitet sein. Er würde auf ihn warten. „Reiten wir nach Hause.“

Atemu sah ihn kurz an, und die Beklommenheit in seinem Herzen wuchs. Er wollte sein Pferd antreiben, wollte viel schneller reiten, als sie es taten, doch er musste bei seinen Männern bleiben. Treu, wie sie ihm treu gewesen waren.

Sie beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Gefolgt von den Truppen, umgeben von Spähern, die vor- und zurückritten, um ihnen den Rücken zu sichern und die frohe Nachricht zu verbreiten. Der Pharao wollte eilen und doch schien es ihm, als würde er nicht nach Hause zurückkehren wollen. Etwas schnürte ihm die Kehle zu. Angst? Anspannung? Er konnte es sich nicht erklären. Er blickte nicht nach hinten. Teana. Er würde zu ihr zurückkehren, ganz genau so, wie er es versprochen hatte. So viele Male.

Teana. Er würde sie wieder in die Arme nehmen und er wusste, in dem Augenblick würde die Sonne in seinem Gemüt wieder aufgehen. Sie, die sie alles für ihn war. Sie, die sie doch so lange auf ihn gewartet hatte. Die Kämpfe hatten nicht lange gedauert, lediglich ein paar Tage, und doch schien es, als wäre bereits etliche Zeit vergangen.

Fragend blickte der Pharao zu Seth herüber, in sein bohrendes und zweifelndes Gesicht.

„Es mag sein, dass ich es mir einbilde“, sagte der Hohepriester vorsichtig, „Doch dies war keine große Schlacht. Genau genommen, war es ziemlich leicht zu beenden...“

Es war noch nicht vorbei. Was auch immer alle glaubten, für ihn war es noch nicht vorbei. Er musste zu Mana. Er musste zu Adalia. Er wusste, dass er sich auf die Priesterin verlassen konnte, doch er musste sich vergewissern. Musste mit seinen eigenen Augen sehen, dass es ihnen gut ergangen war. So gut es eben ging.

Die Anspannung, die von dem Brünetten ausging, beunruhigte Atemu sehr, ließ ihn seine eigenen Gedanken nicht vergessen, nicht in den Hintergrund drängen. Er nickte nur mit Bedacht, wollte diese Unsicherheit nicht Herr über sich werden lassen, drängte sie zurück. „Wir sollten heim und es herausfinden“, gab er nur zurück. Er war mehr als gewillt, das Tempo anzuziehen und den Truppen den Befehl zu geben, doch er hielt sich zurück. Dies war nicht, was jetzt zählte.

Sie hatten die Schlacht gewonnen, das war es, was die Männer nun bei Laune hielt. Was ihnen die Schrecken, die sie gesehen hatte, aus dem Bewusstsein verdrängen konnte.

Es war ein Sieg, hart erkämpft, teuer bezahlt und nun gefeiert. Er würde sie nicht um ihren Triumph bringen. Seine Männer, die so vieles riskiert hatten. Männer, die so vieles geleistet hatten.

In dem Moment, da er das Glitzern in ihren Augen sah, konnte er nicht anders als ebenfalls zu lächeln. Zum ersten Mal in seinem Leben war Atemu wirklich stolz, der Pharao dieses Landes zu sein.

Meister?

Ein Angebot, das wohl verlockend hätte sein sollen. Ein Angebot, das die kühnsten Träume so manch eines Diebes weit übertroffen hätte. Seite an Seite mit dem König der Räuber, mit dem besten Jäger menschlicher Schätze und Trophäen, den es im ganzen Lande gab.

Ein Angebot, das jeden aus der Gosse gezogen hätte um ihm stattdessen ein Leben im Luxus zu bescheren. Verborgen und verhasst zwar, doch erfolgreich und gefürchtet.

Ein Angebot, das Akim dankend ablehnte. „Bedaure“, sagte er ohne danach zu klingen, „Aber ich ziehe es vor, mich niemandem zu unterwerfen.“

Sich Bakura zu unterwerfen hieße, ihm eine Macht zu leihen, die er noch nicht einmal überschauen, geschweige denn beherrschen konnte. Dies war kein gleichberechtigter Handel, nichts, das sich lohnte in Betracht gezogen zu werden. Bakura fürchtete ihn und wollte ihn deswegen unterwerfen. Gemeinsam würden sie dann kämpfen, Seite an Seite in der Schlacht, doch Akim wusste, dass Bakura, der sich selbst als König der Diebe bezeichnete, niemals einen anderen in einer machtvollen Position neben sich dulden würde. Akim wusste, dass er sich ihm niemals gleichstellen würde.

Der Meisterdieb trat einige Schritte um ihn herum, umtänzelte ihn fast, wie die langersehnte Beute, die nur auf ihn gewartet hatte. „Das habe ich mir fast gedacht“, räumte er ein und änderte dann bewusst die Strategie. „Dann kommen wir zu einem anderen Punkt“, sagte er schlicht, „Wieso interessierst du dich für meine Tochter?“

Er verstand es nicht und das war sein Schwachpunkt. Akim wusste es und er wusste sein Spiel mitzuspielen. „Sagen wir es so“, antwortete er grinsend, aber dennoch sachlich, „Ich bin praktisch mit ihr aufgewachsen. Und im Gegensatz zu dir, kenne ich das Mädchen, das sie einst war.“

Recht ernüchtert war des Diebes Reaktion. „Das ist wahr“, gab er zurück, „Doch ist es nicht egal? Ob du sie kanntest oder nicht, spielt doch nun auch keine Rolle mehr, oder? Schließlich kann sie sich doch nicht an dich erinnern, wie schlimm muss das wohl sein?“ Er musterte ihn mit finsterem Blick, ganz so, als wüsste er, worauf diese Worte abzielen konnten, wenn sie an den Nebeljungen gerichtet wurden.

Akim lächelte. „Du hast keine Ahnung, habe ich Recht?“, fragte er und war sich dessen vollauf bewusst. Bakura wusste es nicht. Bakura kannte es nicht. Er war ihm weit überlegen. „Was es bedeutet“, hauchte er finster und fast verführerisch, „Was für Möglichkeiten sich dahinter verbergen ...“

Bakura grinste, ohne zu verstehen, was den Jungen so sehr amüsierte. „Natürlich habe ich schon Überlegungen über die Möglichkeiten in Betracht gezogen“, sagte er leichtfertig, „Und ich denke, ich werde einiges davon haben, dass sie so hat leiden müssen“, er stoppte sich selbst und warf einen Blick zum Fenster hinauf, „Oder es wohlmöglich immer noch tun? Nun ja, eigentlich ist es nicht von Bedeutung. Wen interessiert schon die Kleine?“ Er zielte mit jedem seiner Worte ganz genau, legte es darauf an, Akim zu provozieren und ihn zu einer Dummheit zu bringen. Eine einzige Dummheit, die er für immer würde bereuen müssen.

Das Mädchen kümmerte ihn nicht, doch ihre Position versprach Macht und Einfluss. Beides reizte ihn sehr. Seine Ziele jedoch würde er auch ohne sie erreichen können, so viel stand auf jeden Fall fest. „Meinetwegen kann sie draufgehen“, sagte er gelassen und musterte Akim aufmerksam, „Ich lege keinen Wert auf sie.“

Doch der Violetthaarige konnte ihm nicht zustimmen. Er schüttelte den Kopf. „Ich muss dich enttäuschen – schon wieder“, gab er bestimmend zurück, „Aber du wirst sie nicht bekommen.“ Es klang schlicht und fast wie leere Worte, doch er meinte es ernst. Noch immer war er vergnügt, Bakura schüchterte ihn nicht ein, auch sein lächerliches Messerspiel verfehlte seine Wirkung bei weitem. Als ob er ihn damit überraschen könnte, als ob er aus dem Hinterhalt hätte angreifen können. Akim hatte die Waffe schon gesehen, als Bakura sie in die Hand genommen hatte.

„Wer sagt das?“, fragte der Meisterdieb kalt und spöttisch, „Wieso sollte ich das nicht?“ Er hielt inne damit, den Dolch in seiner Hand zu drehen, hielt ihn stattdessen fest in seiner Hand. Es war unsinnig, was der Junge versuchte, es war lächerlich und nutzlos. Und er würde es schon noch erkennen, bevor sein Ende gekommen war. Dies war ein Spiel und er war der Meister. Er kannte alle Regel, kannte alle Strategien und er wusste immer einen Ausweg. Deswegen hatte er überlebt, bis zu diesem Tag. Und auch einem nervigen Nebel würde er nicht unterliegen, seine stolze silberne Klinge hatte ihn noch niemals enttäuscht.

„Hast du nicht gehört?“, fragte Akim unbeeindruckt und fast gelangweilt. „Ich habe das gesagt.“

„Dir liegt etwas an ihr, nicht wahr?“, das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter, „Tja, schade.“ Es war wirklich bedauerlich. Bakura hob seinen Dolch und drehte ihn in seiner Hand. Es ging sehr schnell, wendig und geschickt, wie er es war, schleuderte er ihn direkt auf Akim zu. Sein Nebel würde ihm nichts nützen, sollte er es doch versuchen.

Der Junge wurde nach hinten geschleudert, als der Dolch ihn traf. Glatt und widerstandslos hatte er die Nebelwand durchschnitten, ganz so, wie der Meisterdieb es geplant hatte. Die Seelen von Kul Elna standen ihm bei, sie allein besaßen einen Zauber, der ihren Meister beschützte. Und der tödlich sein konnte.

Akim löste sich auf der Stelle auf. Umhüllt von weiten Schleiern ließ er sich nach hinten fallen, begeistert fast von Bakuras Kühnheit. Er lachte laut auf. „Du gefällst mir!“, rief er und seine Stimme erklang von der anderen Seite des Raumes, „Du setzt dich über Grenzen hinweg.“

„Das nehme ich als Kompliment“, gab der Weißhaarige zurück, verfolgte die Stimme und erblickte Akim, völlig unversehrt auf der anderen Seite des Raumes. „Du bist aber auch sehr interessant“, fügte er ehrlich hinzu, „Du scheinst nicht aufzugeben.“

Ihn betrachtend, trat Akim wieder dichter an Bakura heran. „Ich habe keinen Grund um aufzugeben“, antwortete er schlicht.

„Da magst du Recht haben“, hauchte Bakura und drehte sich wieder zu ihm um, „Du bist flink und schnell.“ Doch kam er damit auch zurecht? Er zückte einen weiteren Dolch und zielte mit diesem erneut auf seinen Gegner.

Ein weiteres Mal ließ Akim sich treffen, ein weiteres Mal verschwand er auf der Stelle und ein weiteres Mal tauchte er gleich darauf wieder auf. „Du hast es nicht verstanden, oder?“, er hauchte ihm die Worte in sein Ohr, so nahe war er ihm gekommen ganz ohne, dass Bakura einen Einfluss darauf gehabt hätte.

Doch dieser ließ sich ebenfalls nicht beeindrucken. Ein finsteres Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich zu ihm drehte. „Ich oder du?“, fragte er zischend und erregt. Der Dolch war weiter geflogen als er an seinem eigentlichen Ziel gescheitert war, und durchstach nun die Wand aus Nebel mit dem der Vioetthaarige den Raum verriegelt hatte. Die Schwaden wurden für einen kurzen Moment sichtbar, ehe sie in kleinen Wolken verpufften. Bakura war gegen die Macht der Nebel nicht schutzlos. Blitzschnell hatte der Dieb einen weiteren Dolch gezogen und präpariert, und rammte ihn ihm direkt in die Brust. „Unterschätze mich niemals!“, fauchte er den Jungen an, finster, voller Bosheit.

Die Freiheit jedoch blieb nicht lange erhalten. Bevor der Weißhaarige auch nur daran hätte denken können zu fliehen, hatte Akim die unsichtbare Barriere wieder aufgebaut, und war dem Dolch auf die gleiche Weise entkommen, wie schon dem anderen zuvor. „Nein“, sagte er sichtlich amüsiert über Bakuras Wut, „Unterschätze du mich nicht!“ Wie ein kindlicher Streit und doch mit tödlichen Waffen trugen sie ihre Unterhaltung aus, versuchten sich gegenseitig zu Fehlern zu drängen. „Was hast du denn?“, fragte Akim ohne großes Interesse, aber voller Hohn, „Macht dir das hier etwa keinen Spaß?“

Es musste ein unglaublich befremdliches Gefühl für den Meisterdieb sein, einen wirklichen Gegner zu haben. Jemand, der sich ihm wirklich entgegenstellen konnte und auch wirklich eine Chance hatte. Der Kampf musste ihm unglaublich ungleich vorkommen, im Vergleich zu den Kämpfen, die er sonst kämpfte, im Vergleich zu der Überlegenheit, die er sonst gewohnt war.

„Wie du willst“, brummte Bakura und ließ den Dolch ein weiteres Mal die Nebelwand zerstören, „Dann machen wir nun ernst. Und Spaß macht es mir alle mal!“

Es klang gestellt und keinesfalls überzeugend. „Der Spaß allein genügt dir nicht, habe ich Recht?“ Genüsslich führte Akim es weiter aus, schaute ihn aus überlegenden Augen an und leckte sich provozierend über die Lippen. „Du willst mich verletzen, mich unterwerfen ... Doch du kannst es nicht.“ Immer wieder ließ er den Nebel neu erscheinen, gleichgültig fast, ohne jede Anstrengung. Spielerisch mit einer einzigen Handbewegung. Die Seelen Kul Elnas besaßen eine große Macht, doch keine, die der Nebel nicht zu brechen wusste. Die Fäden ließ Akim sich nicht aus der Hand nehmen, egal, was der Meisterdieb auch versuchte oder anstellte.

Er stieß Luft aus und verdrehte die Augen, verfolgte jeden Schritt, den der Kleinere tat um ihn zu reizen. „Du solltest besser darüber nachdenken, was du sagst“, brachte er wütend hervor, und lachte leicht auf. Bisher war noch jeder daran gescheitert, der ihn unterschätzt hatte. Und dies würde keine Ausnahme sein.

„Große Worte“, sprach Akim und lachte ebenfalls, „von einem, der in der Falle sitzt.“ Es war so herrlich einfach ihn zu provozieren. Zu lange hatte Bakura dasselbe Spiel gespielt, zu oft dieselbe Taktik verfolgt. Festgefahren und verbissen – das waren die einzigen Worte, die dem Jungen nun dazu auf der Zunge lagen und nur darauf warteten, ausgespuckt zu werden um ihre volle Wirkung zu entfalten.

„ICH – SITZE – NICHT – IN – DER – FALLE!“, zischte Bakura und ließ Akim wieder auflachen. Der Dieb war außer sich, er machte einen so einfachen Fehler. Er ließ sich auf das Spiel seines Gegners ein. So konnte er nur verlieren. So musste er verlieren. Akim wusste es genau und setzte genau darauf. Es war leicht. Gewohnheit und Regelmäßigkeit hatten den König der Räuber rosten lassen, er war gut, aber er war nicht spontan genug. Er arbeitete in Schienen, war festgelegt in seinen Handlungen. Die Geister von Kul Elna waren sein Trumpf gewesen, ausgespielt viel zu früh und letztendlich nutzlos.

„Wieso bist du dann so gereizt?“ Jedes seiner Worte war pure Provokation. Provokation, die direkt ins Schwarze traf. In den Nebel greifend, ließ der Junge einen Ball in seiner Hand erscheinen, der in einem giftigen Grün leuchtete und warf ihn seinem Gegner direkt vor die Füße.

Bakura blieb stehen und sah dem Nebelgeschoss relativ unbeeindruckt hinterher. Sollte er versuchen ihn mit dem Nebel anzugreifen, es würde sowieso nichts bringen. Von daher ließ es ihn kalt. Er wusste genau, dass die Seelen ihn vor dem Schlimmsten bewahren würden, genau wie der Nebel den anderen vor dem Schlimmsten bewahrte. Akim. Er regte ihn auf. Die Gelassenheit und die Langeweile, die er an den Tag legte, machten ihn rasend. „Weil du mir auf die Nerven gehst, Bursche!“, fuhr er ihn an, und verengte seine Augen zu Schlitzen, gefährlich blinzelnd. „Verschwinde! Ich kümmere mich ein anderes Mal um dich!“ Oh ja, er würde sich um ihn kümmern. Dies würde sich nicht wiederholen. Aber nun hatte er anderes zu bedenken. Sie waren immer noch im Palast und eigentlich hatte er noch nicht vor, aus seinem Versteck zu treten. Wenn er jedoch dazu gezwungen wurde sich selbst preiszugeben, dann nach seiner ganz eigenen Art. „Wir kriegen bald hohen Besuch, das will ich nicht verpassen!“

Langsam aber sicher schüttelte Akim den Kopf. „Ich denke“, sagte er und legte eine besondere Betonung auf jede einzelne Silbe, „Ich bleibe lieber hier.“ Seine Entschlossenheit war nicht zu überhören.

Genervt verdrehte Bakura die Augen. „Dann bleib halt, ich gehe mir das Spektakel ansehen.“ Es war ein Jubel in den Straßen der Stadt zu hören, der nur einen einzigen Grund haben konnte. Die Truppen waren also zurückgekehrt. Letztendlich. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. Doch wie teuer hatten sie dafür zahlen müssen? Er musste sich selbst ein Bild davon machen.

Und Akim – der würde ihn sicher nicht aufhalten. Er schnipste kurz mit den Fingern und begann sich aufzulösen. Ein sanfter Staub regnete auf den Boden, als der Dieb immer undeutlicher wurde. Es hatte seine Vorteile, mit den Geistern in Verbindung zu stehen. „Oder willst du mich aufhalten?“ Die Frage war fast hämisch. Er grinste seinen Gegenüber an.

Dieser schüttelte den Kopf, grinste dann ebenfalls. „Nein“, sagte er und betrachtete den Staub fasziniert. „Aber ich werde dich begleiten, wenn du nichts dagegen hast.“ Und er würde ihn auch begleiten, wenn er etwas dagegen hatte.

„Wie du magst“, gab der Weißhaarige zurück, dem wohl auch klar war, dass es keinen anderen Weg gab. Er grinste noch immer, als schließlich auch sein Gesicht sich im Staub verlor. Im nächsten Moment war der Staubhaufen verschwunden, verweht durch einen Wind, der Verwirrung hätte stiften sollen, doch Akim ließ sich nicht täuschen. Bakura war nicht verschwunden und so folgte er ihm in die Unsichtbarkeit.

Leuchten

Dunkelheit. Einfach nur Dunkelheit. Kein Segen. Keine Ruhe. Eine Leere, die sich ausbreitete und jedes Licht verschluckte. Alles wurde immer wieder dunkel. Ein Leuchten am Horizont – längst wieder erloschen, bevor sie es erfassen konnte. Bevor sie verstehen konnte, was es bedeutete. Bevor sie sehen konnte, was „Leuchten“ hieß.

Stimmen im Hintergrund, doch sie verstand nicht, was sie sagten. Nur Fetzen, die nicht zusammenpassten.

Libysche Abstammung. Böse. Libyen. Böse.

Es war verschwunden. Nicht greifbar. Nicht fassbar. Nicht verständlich. Vergessen. Es war einfach nur dunkel.

Eine empörte Stimme: „Weck' sie nicht auf, sie braucht den Schlaf!“ Sie kannte die Stimme. Woher? „Es besteht kein Zweifel, das Siegel ist echt.“

Unruhe breitete sich aus. Ihr Herz. Es schlug schnell, so schnell. Schneller als normal. Sie drehte sich um. Ein Schmerz durchzuckte ihre Seite, durchfuhr sie wie ein Blitz. Sie kniff die Augen zusammen. Sie spürte es. Immer. Zu jeder Zeit. War es normal? Adalia hatte gesagt, sie spürte nichts.

Nicht normal.

Egal. Es tat schon gar nicht mehr so weh. Nur umdrehen sollte sie sich nicht gleich wieder. Ein Flüstern nun im Hintergrund. Dann Stille. Sie bekam es nicht mit. Wieder nur Dunkelheit. Ein Nichts, das auf sie wartete, jedes Mal, wenn sie ihre Augen geschlossen hielt.

„Der vorherige Pharao hat sie hierher gebracht. Keiner hat es gewusst. Doch jetzt ist ihr Vater ...“

Sie konnte den Sinn dieser Worte nicht erfassen. Die Stimme. Sie war so vertraut und doch so fremd. Sie kannte sie genau und doch nicht lange genug um zu spüren, dass sie sie kannte.

Sie war etwas Neues. Ein schwaches Licht, noch nicht weit zurück. Adalia?

Sie lief durch den Garten. Ein schöner Garten. Schöne Pflanzen. Grün. Nicht wie der Sand, der sonst überall war. Die Farbe des Lebens. Ihr Atem beruhigte sich wieder. Sie suchte etwas. Sie lief und lief und lief. Wonach suchte sie? Alles war schön, voller Leben.

Was fehlte?

„Unmöglich ... nein ... wieso?“ Eine andere Stimme. Heller, klarer. Sie war schon früher da. „Was wird das Volk sagen? Und Seth erst?“

Seth?

Seth ... Sie kannte Seth ... Blaue Augen. Die Farbe von klarem Wasser....

Seth. War er verschwunden?

Der Garten. Da war noch etwas, oder nicht? Sie drehte sich um und blickte in alle Richtungen. Wo war er? Er war nicht hier.

Der Teich. Das Wasser. So nahe, sie setzte sich auf die Knie und blickte hinein.

Ein Gesicht blickte sie an, grüne Augen, strahlend, grüne Augen. Braunes Haar. Lang und in Strähnen verdeckte es die grünen Augen.

Ein Klumpen Matsch, der durch die Luft flog, ins Wasser fiel. Wellen zerstörten ihr Siegelbild. Was war geschehen?

Die Pflanzen waren nicht vergraben, die Erde frisch. Und wieder eine Woge von Dunkelheit.

„Ihre Herkunft darf nicht bekannt werden!“

Eine Stimme im Dunkeln. Wo kam sie her?

„Niemand wird es erfahren.“

Eine zweite Stimme. Sie kam aus der anderen Richtung. Doch da war noch ein anderer Klang. Woher kam er? Was bedeutete er? Sie konnte nichts sehen. Die Hand vor ihren Augen war unsichtbar ... verschwunden.

War sie noch da?

Konnte die Finsternis noch weiter wachsen? Wo war all das Licht?

„Sie sind zurück...“

Wieso wurde es immer dunkler? Musste nicht das Licht kommen? Fiel sie etwa?

Sie verkrampfte sich leicht, die Hände zur Faust geballt. Eine Hand strich ihr über die Stirn, eine warme Hand. Sie spürte jemanden neben sich.

„Würdest du ihn empfangen?“

Wieso konnte sie nichts sehen? Wo war sie? Was war dies für ein Ort? Sollte nicht jemand hier sein, wenn dieser Ort belebt war? War sie denn die Einzige?

Wieder eine Berührung an der Stirn. Wieso konnte sie sie denn nicht halten? Nicht fassen?

Sie hatte Angst, verzog das Gesicht. Durfte sie ihre Angst zeigen? Sie war allein. Wieso war sie so allein? Wieso war niemand so wie sie?

Der Teich. Da war er wieder. Sie lief. Immer und immer wieder lief sie um den Teich herum. Sie konnte ihn ganz genau sehen. Und sonst nichts. Wo war der Garten? Da war nur der Teich. Das Wasser, so blau. Sie wollte näher heran an die einzige Farbe, die es zu geben schien. Und doch wollte sie weglaufen. Sie lief. Um den Teich herum. Und dann fiel sie hinein. Noch bevor sie den Kontakt mit dem Wasser spüren konnte, schlug Mana die Augen auf und blickte in Seths eisblaue Augen, die auf ihr ruhten.
 

Kisara war sofort hinausgelaufen. Es war ein Glück, dass Adalia sie darum gebeten hatte, sie hätte nicht gewusst, wie sie dem Drängen ihres Willens hätte nicht nachgeben können, wenn Adalia selbst es nicht vorgeschlagen hätte.

Sie waren zurück. Endlich. Wie lange war es her gewesen, dass sie ihn gesehen hatte? Es erschein beinahe endlos lange. Doch nun waren sie wieder da, er war wieder da. Wollte er zu Mana? Es bestand kein Zweifel daran. Wer wollte nicht zu Mana? Es war fast erschreckend, wie sehr sich alles um sie zu drehen schien, wie fixiert die ganze Welt auf ein einziges Mädchen schaute. Doch Adalia hatte recht, es war besser, wenn er sie nicht weckte. Egal wie sehr sie auf ihn wartete, sie brauchte die Ruhe, brauchte jede Erholung, die sie kriegen konnte.

Sie war noch kurz an ihr Bett getreten und hatte sie für einen Moment betrachtet, dann hatte sie nichts mehr in dem Zimmer gehalten.

Er war doch nicht verletzt, oder? Sie musste davon ausgehen, jeder andere Gedanke war nichts, das ihr Herz hätte fassen können.

Es war gut gewesen, dass sie und Adalia so schnell auf den Trubel in den Straßen reagiert hatten. Sie war nur eine kurze Zeit draußen in den Gängen gewesen, da kam der Hohepriester Ägyptens ihr schon entgegen. Er eilte seinem Gemach entgegen. Die Weißhaarige konnte nicht anders als zu lächeln, als sie ihn stoppte.

Sie hatte das starke Bedürfnis ihn in die Arme zu schließen, so froh war sie, dass er wieder hier vor ihr stand, doch sie traute sich nicht. Sie wusste, dass es sich nicht ziemte.

„Du bist unversehrt?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und doch atmete sie erst auf, als sie seine Zustimmung wahrnahm. Etwas unsicher sah sie ihn an. „Wie geht es dir?“

„Kisara“, der Hohepriester war stehen geblieben, er nickte kurz, doch dann kam er gleich zum Thema. „Wie geht es Mana?“, er musste es wissen. Was war alles geschehen während seiner Abwesenheit? „Danke, für deine Nachricht“

„Habe ich gern gemacht“, antwortete Kisara und es stimmte, auf die Weise war es ihr möglich gewesen zumindest ein bisschen zu erfahren und allein für die Information, dass er noch am Leben gewesen war, hätte sie es wieder getan. „Sie schläft“, sagte sie und das Lächeln, das soeben noch ihre Lippen umspielt hatte, verwandelte sich in sachlichen Ernst. „Ich denke, den Rest kann Adalia dir besser erläutern. Mana verlangt von sich zu viel…“ Sie stockte, sah ihn aus ihren hellblauen Augen an. „Es ist schön, dass du wieder da bist.“

Es war einfach nur ehrlich und doch zauberte es das Lächeln auf ihr Gesicht zurück.

Sie setzte sich in Bewegung. Sie wusste, dass sie ihn nicht lange hätte aufhalten können, selbst wenn sie es gewollt hatte. Er war ihr ausgesprochen dankbar, doch er wollte zu Mana. Sie hatte nun Vorrang. Kisara öffnete leise die Tür zu Seths Gemacht und trat herein. Der Hohepriester folgte ihr.

Sie im Bett liegen zu sehen war wie eine lang erhoffte Erlösung. Adalia an ihrer Seite sagte ihm, dass sie sicher war. Kisara blieb an der Tür stehen, schloss sie leise. Dann tauschte sie mit der Priesterin einen kurzen Blick.

Diese blickte erleichtert auf und trat ans Fenster. Es war der beste Ort für ihr Gespräch, weit genug entfernt von Mana, damit diese sie nicht verstehen konnte, wenn sie leise erklärte. Sie erzählte alles, sparte keine Einzelheit auf. Seth allein sollte beurteilen, was er als wichtig erachtete. Sie holte den Fetzen Pergament hervor, der einst eine Schriftrolle gewesen war und reichte sie ihm tonlos. Die Illusion an der Wand, all ihre Geschichten. Seth musste absolut alles wissen, damit das Netz nicht in sich zusammen fiel. Nicht jetzt, nicht da das Mädchen gerade erst angefangen hatte, neue Erinnerungen zu sammeln.

Ein leichter Unglaube lag in des Hohepriesters Blick. Es war unfassbar vieles geschehen, seit er das letzte Mal hier gewesen war, viel mehr als er befürchtet hätte, selbst wenn etwas schief gegangen wäre. Es schien, als hätte sich alles auf den Palast konzentriert, wo doch der eigentliche Krieg ganz woanders stattgefunden hatte. Er wollte es kaum glauben, doch nun nahm er es einfach so hin. Mana war das, was jetzt zählte.

Nur sie allein, nur zu ihr allein wollte er. „Ich verstehe“, sagte er zu Adalia, als ihre Geschichte geendet hatte, er nahm es erst einmal so hin. „Wir kümmern uns später darum. Lass' die Rolle verschwinden und halte die Illusion aufrecht.“ Es waren Anweisungen, die nicht einfach zu erfüllen waren, doch er wusste, Adalia war ihnen gewachsen. Sie war die beste Schülerin der Magie, die er je gehabt hatte, besaß eine unglaubliche eigene magische Kraft, ganz ohne Millenniumsgegenstand. Sie konnte eine solch große Illusion erhalten, solange sie es für nötig erachtete. Und das war so lange, bis er ihr sagte, sie sollte den Zauber lösen. Ihre Loyalität war ein unglaublich großes Geschenk.

Er atmete tief durch, setzte sich dann an Manas Bett. Sie war aufgeschreckt, blickte desorientiert umher, ehe sie seine Augen fand. „Mana?“, fragte er vorsichtig, selbst leicht erschrocken von ihrer plötzlichen Bewegung. Konnte sie sich schon wieder schmerzfrei bewegen? Er bezweifelte es. Im Grunde war es unmöglich. Doch sie ließ in keinster Weise erkennen, dass ihre Orientierungslosigkeit auch auf einem gesteigerten Schmerzempfinden basierte.

Sie saß nun aufrecht, ihr Atem beschleunigt. Erst allmählich schien sie zu verstehen, wo sie sich befand, erst allmählich nahm sie wirklich war, was um sie herum geschah.

War sie noch in ihrem Traum? Sie rieb sich die Augen, nicht sicher, ob sie Seth wirklich gesehen hatte. Und dann bildete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht. „Du bist wieder da!“, quiekte sie auf und warf sich an seinen Hals. „Wie lange habe ich denn geschlafen, dass du wieder bist?“, sie plapperte vor sich hin, ganz ohne den Sinn ihrer Worte zu erfassen, „Ich habe auf dich gewartet! Ich war auch ganz brav!“ Voller Stolz und voller Freude sah sie ihn an, die kindliche Erwartung in ihr Gesicht geschrieben.

Seth atmete ganz tief durch, schloss sie in seine Arme. Es war ein unglaublich beeindruckendes Gefühl, sie festhalten zu können, zu wissen, wo sie war und wie es ihr ging. Dies war etwas ganz anderes als im Krieg zu stehen und keine Ahnung zu haben, was vor sich ging. Nicht zu wissen, ob alles in Ordnung, oder ob etwas geschehen war. Die Veränderungen nicht nachvollziehen zu können und das Gefühl, dass einem alles aus den Händen glitt – all das mischte sich zusammen mit einer bitteren Gewissheit: Sie würde nie wieder so sein wie früher. Etwas ganz tief in ihm hatte die ganze Zeit gehofft, darum gefleht gar, dass es nur ein böser Traum gewesen war, und dieses bisschen Hoffnung war nun in ihm zerbrochen.

Er atmete den Duft ihres Haares ein. Zumindest das hatte sich nicht geändert, wenn auch weniger der Geruch von Erde darin lag. Ihre ständigen Abstecher in die Beete des königlichen Gartens waren nicht ohne Spuren geblieben. Doch sie war sie. „Ich weiß nicht, wie lange du geschlafen hast“, antwortete er ehrlich, „Aber ja, ich bin wieder da.“

Ein kurzes Poltern war zu hören und Kisara war durch die Tür verschwunden. Adalia blickte nur kurz zu ihr, Seth achtete nicht darauf. Mana loszulassen erschien ihm wie das größte Übel, das er verrichten konnte.

Das Mädchen strahlte ihn an. „Es war langweilig ohne dich“, gab sie zu, „Aber ich glaube, ich habe nicht lange geschlafen, aber das ist egal! Nun bist du wieder da!“ Der Traum war längst wieder in Vergessenheit geraten, sie kuschelte sich an ihn. Sie wusste nicht wieso, doch sie fühlte sich wohl bei ihm. Vielleicht lag dies daran, dass er der Erste war, den sie gesehen hatte, nachdem sie ihre Erinnerungen verloren hatte, dachte sie, doch sie kümmerte sich nicht weiter darum. Wieso sollte sie auch? Er war ja nun hier. Und er sollte nicht mehr weggehen. Adalia und Kisara schienen auch viel ruhiger, nun, da er wieder da war. Was hatte das zu bedeuten? Sie verstand es nicht ganz, kicherte aber trotzdem.

Der Brünette hielt sie weiterhin im Arm. Alles andere war ihm im Augenblick egal, auch dass Adalia noch anwesend war und was das Poltern verursacht hatte. Sollte sich doch jemand anderes darum kümmern.

„Wie geht es dir denn?“, fragte er sie, obwohl er wusste, dass ihre Verfassung noch immer mehr als schlecht war. Doch er wollte wissen, was sie darüber dachte und wie sie sich fühlte. Er wollte es aus ihrem Mund hören.

„Mir geht es gut!“, flötete sie sofort los und blinzelte mehrfach. Sie konnte es kaum glauben, dass er wirklich hier war. „Und wie geht es dir? Ehrlich?“ Beim letzten Mal, da sie ihm diese Frage gestellt hatte, hatte er gelogen. Das hatte sie nicht vergessen und deswegen war sie stolz, sich selbst nun daran erinnert zu haben, ihn zur Aufrichtigkeit zu ermahnen. Seth lächelte leicht. „Ich bin etwas müde, aber ansonsten geht es mir gut.“ Sie musste nichts von den Gräueln des Krieges erfahren, es war weder sinnvoll, noch nötig. Doch er war wirklich erschöpft, viel erschöpfter noch, als er sich selbst hatte glauben machen wollen. Doch jetzt wollte er bei Mana bleiben.

„Und?“, fragte er und sein Blick schweifte kurz zu Adalia. „Bist du gut mit ihr ausgekommen?“

Mana lächelte „Mit Adalia? Sie ist nett und sie hat mir einiges erklärt, aber nicht alles.“ Ein leicht schmollender Blick lag auf der Priesterin, „Und ich durfte nur ein paar Mal aus diesem Zimmer heraus.“ Sie hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt und hatte sich offensichtlich gelangweilt. „Und ich habe sie mit vielen Fragen genervt“ – ein Hauch von Stolz lag in ihrer Stimme – „aber sonst verstehen wir uns toll! Aber lass mich nicht wieder allein! Und ich will raus diesem Zimmer, ich will wieder in den Garten!“

Sie blickte ihn an, auf der Suche nach seinen Augen, die wie in ihrem Traum eisblau leuchteten.

Schreie

Die Zeiten für schlechte Nachrichten waren vorbei – das dachte Atemu zumindest, als er durch die Gänge eilte. Die Wächter verneigten sich, als sie ihren Herrscher vorbeigehen sahen, freudig erregt ihn wieder im Palast zu wissen.

Doch Atemu beachtete sie gar nicht. Er hatte nur eines im Kopf: Teana. Viel zu lange hatte er sie allein gelassen, ihr eine Verantwortung aufgebürdet, die sie zwar tragen konnte, aber die sie nicht schätzte. Ausgerechnet zu der Zeit, da sie sich eigentlich hätte schonen müssen um der Schwangerschaft den bestmöglichen Verlauf zu geben.

Doch nun – das hatte er sich geschworen – würde alles anders werden. Er würde die Aufgabe, das Land zu führen, wieder schultern und sie entlasten, er würde die Schatten wieder von ihr nehmen und sie wieder zu seiner strahlenden Sonne machen.

Das Dienstmädchen, das sich ihm – mit dem nötigen Respekt zwar, doch trotzdem unerwartet – in den Weg stellte, war nur das erste Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Es fehlte der Trubel, es fehlte der freudige Jubel über ihre Rückkehr hier in diesem Gang. Jedes Anzeichen von Leben wurde erstickt. „Mein Pharao“, hauchte die Dienerin andächtig und verneigte sich. Ihr Gesicht glänzte voller Sorge. „Die Prinzessin...“ Sie wusste offenbar nicht genau, wie sie es in Worte fassen sollte. Ihr Zögern machte Atemu fast rasend vor Angst. „Es geht ihr nicht besonders gut...“ Behutsam sprach sie die Worte aus und trat dann untertänigst zur Seite um den Pharao passieren zu lassen.

Er beschleunigte seine Schritte, schob jeden Diener eigenhändig zur Seite, trat an die Tür, klopfte einmal und trat dann ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Ein leichtes Entsetzen lag in seinen Augen. „Teana!“, rief er sie, als er auf sie zueilte, doch sie nahm ihn nicht wahr. Fiebrige Träume hielten sie gefangen, sie wälzte sich im Bett hin und her.

Qadir, der noch immer an ihrem Bett saß und persönlich über sie wachte, schrak auf. „Pharao!“, ein einfaches und gequältes Lächeln legte sich auf seine müden Züge. „Ihr seid wieder da.“ Es war lediglich eine Feststellung, doch er atmete kurz auf. Wenigstens ihre Sorge um Atemu konnte Teana nun vergessen, vielleicht half es ihr auf ihrem schweren Weg der Genesung.

„Was ist mit ihr?!“ Atemu konnte des Arztes Lächeln nicht erwidern, auch wenn es noch so halbherzig und künstlich war. Er schüttelte den Kopf, wie um einen unangenehmen Gedanken zu vertreiben, trat mit wenigen schnellen Schritten an ihr Krankenlager heran und ergriff ihre kalte Hand.

Hätte er sie doch nur nicht allein gelassen...

„Teana“, hauchte er leise, versuchte besänftigend zu klingen, „Beruhige dich, ich bin da...“

Und tatsächlich schien seine Anwesenheit etwas zu bewirken. Die Wärme seiner Haut schien durch ihre Poren zu gehen und sie anzusprechen, doch ihre Augen blieben geschlossen. Dies war nicht die Heimkehr, die er sich gewünscht hatte. Triumphal zwar, aber nicht feierlich.

Qadir erhob sich. „Mein Pharao“, er sah ihn bedrückt an, wohlwissend, dass es sich nicht für ihn geziemte, doch in dem festen Wissen, dass niemand sich im Augenblick darum kümmerte. Die Etikette hatte in diesem Palast einen bitteren Beigeschmack für alle Beteiligten. „Ich freue mich, dass Ihr wohlbehalten wieder zurück seid. Jedoch ... Der Zustand Eurer Verlobten hat sich stark verschlechtert, durch hohes Fieber und Stress gab ihr Körper nach, sie hat starke Schmerzen...“ Voller Mitleid sah er zunächst sie, dann ihn an. Er wollte ihn leicht zur Seite nehmen, dies nicht direkt neben ihr besprechen für den Fall, dass ihr Unterbewusstsein nach weiteren Gründen suchte, das Erwachen hinauszuzögern. Er schüttelte leicht den Kopf. „Ich...“

Doch Atemu riss sich los. Er wollte das nicht hören, er wollte das nicht glauben. Er schritt wieder auf das Bett zu, unablässig den Kopf schüttelnd. Was er sagte, stimmte nicht. Er wollte ihm alles zerstören, deswegen sprach er solche Worte. Er wollte das Grauen fassbar machen, es beim Namen nennen, doch was hatte er davon? Er machte doch alles nur schlimmer mit seinem Gerede. Wieder nahm er die Hand seiner Verlobte. „Liebste...“, flüsterte er und strich ihr sanft über die Stirn, „Alles ist in bester Ordnung, hörst du? Der Krieg ist gewonnen!“ Er sagte es und klang dabei fast glücklich. Das war es doch gewesen, das sie gewollte hatte, oder nicht? „Ich bin wieder zu Hause...“

Teana presste für einen kurzen Moment die Beine fest zusammen, verzog ihr Gesicht krampfhaft. Doch dann beruhigte sie sich wieder. Ob sie ihn verstanden hatte oder nicht, konnte weder Atemu noch Qadir sagen.

Letzterer trat besorgt an seinen König heran. „Es ist nicht alles in Ordnung, mein Pharao.“ So ungern er es auch tat, er musste ihm eindeutig widersprechen. „Euer Kind...“

Wieder schnitt Atemu ihm das Wort ab. Gebieterisch herrschte er ihn an zu schweigen. Er legte seine Hand an Teanas Wange und strich sanft darüber. „Alles ist in Ordnung...“, hauchte er zärtlich.

Die Prinzessin keuchte erneut auf und wälzte sich im Bett umher. Sie war schweißgebadet und unglaublich geschafft. Qadir sah es mit Besorgnis. All die Hoffnung, die er in des Pharaos Rückkehr gelegt hatte, drohte in sich zusammenzufallen. Verdrängung. Es war nur allzu verständlich, dass er nach den Bildern, die der Krieg ihm gezeigt hatte, nicht noch mehr Grausamkeiten sehen wollte – sicher hatte er auch schon von Mana erfahren – doch seine Haltung verschlimmerte alles. Er musste der Wahrheit ins Gesicht sehen, nur so konnte er sich ihr stellen und sie verarbeiten. Nur so konnte er Teana helfen.

Wenn er seiner Teana helfen wollte – und davon ging der Arzt aus – so musste er sich eingestehen können, dass es noch nicht vorbei war. Die Prinzessin schwebte noch immer in höchster Gefahr. Ihr Überlebenswille war geschwächt, seit das Kind nicht mehr bei ihr war, instinktiv konnte ihr Körper sagen, dass es ganz und gar nicht richtig war. Wieso war es nicht bei ihr? Wieso gab es keine Schreie?

Am liebsten hätte er es den Beiden komplett verschwiegen um sie zu schützen, doch selbstverständlich war dies keine in Betracht zu ziehende Alternative. Wie konnte er den Pharao zur Besinnung bringen? War er wieder nur dazu verdammt zuzusehen?

Nein.

Er musste dafür sorgen, dass er sich zusammenriss.

Teana schreckte aus dem quälenden Schlaf hoch. Von einer Sekunde auf die nächste saß sie aufrecht im Bett und begann hemmungslos zu weinen, wobei sie wieder nach hinten kippte. Atemu reagierte blitzschnell, fing sie auf, ehe sie wieder auf die Kissen gesunken war. Sein Arm lag um ihre Schulter und stützte sie. „Pscht, ruhig“, hauchte er und strich mit der anderen Hand über ihr Gesicht, „Alles ist in Ordnung...“ Er setzte sich zu ihr ans Bett und drückte ihren Kopf an seine Brust. „Ich bin wieder hier...“

Nun, da sie erneut bei Bewusstsein war, konnte sie sich nicht mehr gegen das Zittern ihres Körpers wehren. Sie lehnte sich an ihn, konnte ihr Gewicht selbst kaum halten, doch er ließ sie nicht los. „Ich hatte solche Angst...“, flüsterte sie verzweifelt.

Die starken Arme, die sie hielten, wiegten sie sanft hin und her. Er wollte sie halten, wollte sie beschützen vor der ganzen Welt, vor allem, was sie so geschwächt hatte. „Es ist vorbei, hörst du? Du brauchst keine Angst mehr zu haben, ich bin da...“

Sie drückte sich an ihn. Unaufhaltbar flossen die Tränen aus ihren Augen, zogen Bäche aus Salzwasser über ihre reine Haut. Ihre Augen waren geschwollen. Augenringe von Übermüdung und Erschöpfung. Sie nickte, doch sie verstand nicht, was er ihr sagen wollte. Ihr Kopf war einfach nicht aufnahmebereit, zu viele Gedanken schwirrten umher, die sie nicht ordnen konnte. „Es war schrecklich...“, sagte sie leise, doch das war es nicht, was auf ihrer Seele brannte. Sie wagte es nicht, Qadir anzusehen, doch sie konnte sich nicht zurückhalten. „Was ist mit unserem Kind?“ Sie musste es wissen. Sie fühlte eine unbekannte Leere in sich, nun, da sie ihr Baby nicht mehr bei sich trug.

Atemu konnte sie verstehen, konnte ihre Qualen nachvollziehen. Lediglich die Schmerzen konnte er nicht begreifen, etwas solches hatte er nicht zu spüren bekommen. Er murmelte ihr beruhigende Sätze ins Ohr, strich vorsichtig über ihr zerzaustes Haar, ganz so als wäre sie eine zerbrechliche Puppe aus Porzellan. Doch er konnte ihr die Antwort nicht geben, nach der sie verlangte. Langsam nur schüttelte er den Kopf und atmete tief durch. „Ich...“, auch ihm konnte nicht entgangen sein, dass hier etwas – oder vielmehr jemand – fehlte, „Ich weiß es nicht...“ Wie mechanisch drehte er seinen Kopf zu Qadir, nun auch auf die Antwort wartend.

Der Moment war also gekommen. Der Arzt hatte es gewusst, dennoch schnürte es ihm die Kehle zu. Jetzt die Worte aussprechen zu müssen, kam ihm unglaublich zerstörerisch vor. Er wusste genau, dass er eine große Harmonie, die immer von der Prinzessin ausgegangen war, damit vernichten würde. Doch er hatte keine andere Wahl.

Betroffen sah er die Beiden an, schluckte kurz, ehe er schließlich begann. „Es tut mir Leid...“, sagte er und senkte den Blick gen Boden, „Das Fieber und die Schmerzen waren zu stark. Der Körper hat das Kind zu früh abgestoßen...“ Die Worte waren wie ein Fluch. „Das Kind... Es ist tot.“
 

Kälte.

Eis.

Gift.

Das Gefühl, das sich durch Teanas Körper zog, ließ sich nicht durch Worte beschreiben. Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen, sie schüttelte den Kopf. Heftiger. „Das kann nicht sein...“ Sie konnte es nicht glauben, sie durfte es nicht glauben. „Ihr lügt, bitte sagt mir, dass Ihr lügt!“ Unglauben und Flehen sprach aus jeder Geste ihres Körpers, jeder Mimik. Sie drehte sich von Atemu weg, sah an sich herab.

Weg.

Es war einfach weg.

„Nein...“ Sie schüttelte erneut den Kopf, die Augen vor Angst geweitet, der Mund geöffnet. „NEIN!!“

Sie schrie. Sie schrie, doch der Pharao hörte sie nicht, nicht wirklich. Dieses eine Mal drückte ihr Schrei so viel mehr aus, als er hätte sagen können. Er erhob sich, packte Qadir bei den Schultern. „Sagt, dass Ihr lügt!“, wiederholte er Teanas Forderung, fauchend. Er schrie ihn an. „Nun macht schon! Macht doch irgendetwas!“

Befehle. Das einzige, was er geben konnte, waren Befehle. Befehle, die keinen fruchtbaren Boden finden konnten.

Der so Angesprochene sah ihn erschrocken an, schüttelte den Kopf. Er legte eine Hand auf die seines Pharaos, die noch immer auf seiner Schulter lag und die Nägel in sein Fleisch bohrte. Er stemmte sich gegen ihn und befreite sich so aus seinem Griff. „Verzeiht, mein Pharao“, sagte er leise, „Das kann ich nicht ... Es ist die Wahrheit.“

Wahrheit. Und es hatte keinen Zweck, sie zu verzerren. Es brachte nichts, schob lediglich das Leid auf, damit es zu einem späteren Zeitpunkt mit einer noch viel stärkeren Wucht zurückkehren konnte. Wenn er ihnen etwas schuldig war, dann war es Ehrlichkeit.

Teanas Schrei ging durch Mark und Bein. Sie hörte nicht auf zu schreien, schrie sich die Seele aus dem Leib. Sie konnte es nicht ertragen. Ihr Kind! Sie hatte es nicht beschützen können. Sie hatte...

Sie ließen sie gewähren. Wenigstens zeigte sie eine Reaktion, die erkennen ließ, dass sie die Worte verstanden hatte. Atemu dagegen tat sich schwer darin, aus seiner falschen Realität aufzuwachen. Nur langsam sickerten Qadirs Worte und deren Bedeutung zu ihm durch, nur langsam zwangen sie ihn zu Boden. Er sank auf die Knie, schrie ebenfalls kurz auf, doch im Vergleich zu Teanas Schmerzensschrei verklang seine Stimme ungehört. Er ließ sich nach vorn fallen und schlug mit den Fäusten auf die Fliesen. Immer und immer wieder. „VERDAMMT!“, brüllte er, und schlug wieder zu, fester.

Bei jedem seiner Schläge zuckte die Brünette unwillkürlich zusammen. Sie hielt sich die Ohren zu, wollte das nicht hören, wollte es nicht sehen, wollte die ganze Welt ausschließen. Sie schüttelte sich wild, verlor die Orientierung. Ihre Schreie ließen nicht nach, auch wenn sie kaum zum Luftholen kam. Dienerinnen kamen herbeigeeilt und versuchten sie zu beruhigen, doch sie kamen nicht zu ihr durch.

Der Arzt legte Atemu eine Hand auf den Rücken. Wenn er nicht aufpasste, brach der sich noch die Knochen seiner Hand. Es dauerte nur Sekunden, bis der Pharao ihn von sich geschoben hatte. „Verzeiht“, sagte Qadir ruhig, „Pharao, kommt zu Euch ... Das Land braucht Euch, Teana braucht Euch.“ Ein kurzer angstvoller Blick in ihre Richtung. „Ihr Zustand ist äußerst kritisch, doch sie wird es überstehen. Es wird neue Chancen geben...“

Was auch immer er tun musste, er war bereit es zu tun. Atemu war der einzige, der an Teana würde herankommen können, es war von absoluter Notwendigkeit, dass er seine Gefühle nur für ein paar Momente hintenan stellen würde.

Doch seine Worte hatten nicht die gewünschte Wirkung. Sauer sah er aus, schnaubte vor Wut und Zorn. Was hatte er den Göttern getan?! Langsam stand er auf, taumelte kurz, doch er riss sich zusammen. Bedrohlich sah er aus, noch immer in seinem Kriegsgewandt. Er hatte es eilig gehabt, hierher zu kommen. Er strich den Stoff glatt. „Neue Chancen sagt Ihr also?“ Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, voller Abscheu und Hass. „Ich wünsche Euch vorerst nicht zu sehen!“

Mittagssonne

Er lag in seinen Armen. Wie lange saßen sie nun schon so? Er konnte es nicht sagen. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren. Wochen. Es hätte Monate vergangen sein können. Oder Tage. Es bestand kein Unterschied. Sein Körper war steif und verlor jede Farbe. Karim. Er konnte ihn nicht länger mitnehmen, er musste ihn zurücklassen.

Nur so blieb ihm seine Chance auf Rache. Die ganze Zeit, in der sie geflohen waren – er hatte den Körper seines Freundes an sich geklammert, damit er ihn nicht verlor – hatten sie ein unglaublich hohes Tempo drauf gehabt. Das Pferd war inzwischen tot – vor Erschöpfung einfach zusammengebrochen – doch das kümmerte ihn nicht. Es hatte seinen Dienst getan.

Nun stand er in einer Höhle unter dem Sand. Früher einmal, das wusste er aus den Aufzeichnungen, die er so viele Jahre lang studiert hatte, war hier ein Grab gewesen und das sollte es nun wieder werden. Er hievte Karim hinein und ließ ihn dort liegen. Mehr konnte er nicht für ihn tun, wenigstens die Aasgeier kamen auf diese Art und Weise nicht an ihn heran.

Er trat zurück in das Sonnenlicht und ergriff die Zügel eines alten und schwachen Gauls. Sein ehemaliger Reiter war hier vorbeigekommen, als er sich auf dem Weg zurück in sein Heimatland befunden hatte. Er kam Shada gerade recht.

Der Mann, der keinen Angriff mehr erwartet hatte, nun da sie sich doch ergeben hatten, war überrascht worden und schneller überwältigt gewesen, als er es sich hätte vorstellen können. Das Pferd war wirklich nicht mehr das jüngste, doch es hatte sich gut gehalten und es hatte kaum Spuren von der Schlacht davon getragen. Nun war es an der Zeit, da es seinem neuen Meister diente.

Er setzte sich auf. Ein letzter Blick auf die Höhle bekräftigte ihn in seinem Vorhaben. Seth allein war hierfür verantwortlich und er würde es zu spüren bekommen. Die Konsequenzen zu tragen würde ihm das Genick brechen und ihn kriechen lassen.

Dem Pferd die Sporen gebend, ritt er los. Der Palast war nun sein Ziel und er würde dem Tier nicht eher eine Pause gönnen, ehe es die Strecke hinter sich gebracht hätte.
 

Nun, da alles vorbei war, konnte sie ihn endlich aus seiner Begeisterung herausreißen, damit er sie endlich wieder ansah.

Meira zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Das war alles?“, fragte sie wenig begeistert; die Truppen waren abgezogen, die Schlacht war wenig ausartend gewesen. Sie hatte gewusst, dass es schnell würde beendet werden, doch sie hatte sich mehr erhofft.

Der Ältere strich sich sein violettes Haar aus den Augen und lächelte sie überlegen an. „Der Krieg ist noch nicht vorbei...“, hauchte er verführerisch, verträumt. Wahrer Krieg entstand doch nicht durch territoriale Machtkämpfe ... Wahrer Krieg entstand durch grenzenlosen Hass. Nichts konnte weiter gehen, nichts konnte mehr Grenze überschreiten.

Die Rothaarige schüttelte ihren Kopf und sah ihren Bruder verwundert an. Hatte sie sich verhört? „Was meinst du?“, fragte sie, „die Libyer sind geflohen ... Ägypten hat diesen Krieg gewonnen.“ Gespannt erwartete sie die Antwort. zwar hatte die Millenniumskette ihr einiges gezeigt, doch die Wege, die es gab, an ein solches Ziel zu gelangen, waren vielfältig.

Wissend sah ihr Bruder ihr in die Augen und nun erkannte sie: Was ihn so in den Bann gezogen hatte, war nicht die Schlacht gewesen, sondern das, was noch kommen sollte. „Den Libyern fehlt es nicht an Stärke“, sagte er und schüttelte wie zur Untermalung seiner Worte den Kopf, „sondern an Strategie. Es gibt jemanden, der sie neu sammeln kann, ihnen neue Stärke gibt.“ Verträumt fast sprach er die Worte aus, „Viele ihrer Freunde sind hier gefallen ... Der Hass gegen Ägypten ist nicht erloschen. Man muss sie nur einen.“ Ein finsteres Grinsen legte sich auf sein Gesicht, das selbst seine Augen erreichte. Er riss beide Arme in die Luft, die Finger weit gespreizt und lachte kurz auf. Dunkle Nebelschwaden begannen den Himmel über ihnen einzukreisen und zu verdunkeln. „Jetzt erst ... wird es spannend“, hauchte er genüsslich und verhängnisvoll.

Skepsis war die einzige Antwort darauf, die Meira einfiel. „Du willst die Libyer vereinen?“, fragte sie perplex und betrachtete den dunkler werdenden Nebel. Sie konnte den Sinn in einem solchen Unterfangen nicht recht erkennen. Die Libyer waren schwach, sie hatten es doch gerade erst mit angesehen. Sie waren schon einmal besiegt worden, was also sollte das noch bringen? Seit wann gab Cyrus sich mit zweitklassigen Spielfiguren zufrieden?

Der Mann mit dem violetten Haar, das dem seines Bruders so ähnlich war, schüttelte den Kopf. „Nicht ich, nein“, widersprach er, „Ich habe jemanden anderes dazu auserkoren ... Jemand, der Rache will. Er reitet in diesem Moment mit Hass und Schmerz im Herzen zum Palast...“ Er lächelte seine Schwester an. „Doch er wird dort nicht ankommen ... noch nicht.“

Meira sah ihn fragend an. Ein weiterer Mann? Ein Mann war nicht in ihrer Vision aufgetaucht. Was also sollte das bedeuten? Spielte er denn keine Rolle?

Oder ... Hatte sich die Zukunft etwa schon verändert? Bedeutete es nicht das? Hatte sich allein dadurch, dass sie es gesehen hatte, schon alles anders entwickelt? Es war sicherlich kein Teil der Zukunft gewesen, dass sie bereits alles wusste, oder? Oder hatte sie sich intuitiv anders verhalten durch die Vision?

Sie wusste es nicht. War es ein Grund zu hoffen? Wollte sie überhaupt eine andere Zukunft?

In diesem Moment war es egal.

Egal, was sie wollte, sie kannte ihren Bruder zu gut, um zu wissen, dass er sich nicht würde aufhalten lassen, hatte er sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt. Und genau das hatte er getan.

Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. Dann hüllte er sie beide in seinen Nebel, er schien an ihr zu ziehen. Als Meiras Sicht wieder klar wurde, waren sie bereits an einem anderen Ort. Der Wind blies durch ihr offenes Haar, etwas kühler als die sandigen Winde, die sie für gewöhnlich verspürte. Sie standen also noch immer im Nebel über der Erde.

Cyrus deutete nach unten, noch immer lächelnd. „Dort ist er...“, hauchte er vergnügt, ehe er auch hier seinen Verhängnis verkündenden dunklen Nebel aufziehen ließ.

Das also war der Grund, weswegen er sie hergebracht hatte. Er. Der Mann, der die Zukunft verändern sollte. Denn das sollte er doch, oder nicht? Nun, da sie die Tätowierung auf seinem Kopf von oben sah, wusste sie genau, dass sie ihn nie zuvor gesehen hatte – weder real noch in Visionen.

Der Mann ritt unter ihnen entlang, Blut klebte an seinem zerschlissenen Gewand und es sah nicht so aus, als wäre es sein eigenes. Dass der Nebel aufzog, schien ihm erst gar nicht aufzufallen, so sehr versunken war er in die Wut, die ihn antrieb. Erst als das Pferd immer wieder scheute, blickte er um sich, nach dem Grund suchend.

Cyrus ließ die Hand seiner Schwester los, grinste vielversprechend. Was immer nun kommen würde, er würde es genießen. Langsam ließ er sich durch den Nebel nach unten gleiten, noch immer schützend umgeben von einer halbdurchsichtigen Wand. So stellte er sich ihm direkt in den Weg und sah ihn musternd, aber schweigend an.

Wieder war es das Pferd, das als erstes reagierte. Es verlangsamte seinen Schritt, wich vor dem Nebel zurück. Das Tier spürte, dass es kein Durchkommen geben konnte. Leicht erschrocken und von Hass zerfressen, zog der ehemalige Priester sein Schwert und richtete es auf den Störenden. „Halte mich ja nicht auf“, zischte er, „verschwinde, wenn dir dein Leben lieb ist!“ Finster sah er aus, unterstützt durch das schattenhafte Licht, das durch den Nebel fiel. Er war nicht zu Scherzen aufgelegt. Doch um Cyrus zu beeindrucken reichte seine rostige Klinge bei weitem nicht aus.

„Du kannst mich nicht töten“, stellte dieser sachlich klar, „Keine Macht, die du besitzt, könnte das erreichen.“ Dennoch betrachtete er das Schwert. „Ich habe nicht vor dich aufzuhalten“, sprach er weiter, ganz so als stünde er nicht vor ihm, um ihm den Weg zu blockieren. Hinterlistig blickte er ihn an. „Du willst Rache?“

Shada ließ das Schwert leicht sinken, sein Gesicht schien in einem Schwall aus Zorn zu verfinstern und versteinern. „Rache...“, wiederholte er, knurrte fast. „Ja ... die will ich.“ Er betrachtete ihn skeptisch. „Doch was hast du damit zu tun?“

Cyrus grinste finster. „Wir haben den gleichen Feind“, sagte er schlicht, um es simpel auszudrücken, „Aber allein kannst du nichts ausrichten.“

„Natürlich kann ich das!“, fauchte Shada aufgebracht und wollte sein Pferd wieder antreiben. Zu viel Zeit war schon sinnlos vergeudet worden. Doch das Tier rührte sich nicht. „Lass' mich weiter reiten“, knurrte er Cyrus an, „Ich habe etwas zu tun!“

Der Nebel wich ebenso wenig, wie sein Herrscher. „Und was willst du ausrichten?“ Er sah ihn an, die Stirn kraus, die Augenbrauen hochgezogen.

„Ich will ihm Leid zufügen wie nie zuvor! Jeder, der ihn kennt, wird leiden!“ Die Provokation stachelte seine Wut noch weiter an, brachte ihn zum rasen.

Cyrus nickte. „Das ist mir bekannt“, sagte er und blickte ihn ernst an. „Genau aus diesem Grund bin ich hier.“ Er lächelte immer noch, spielte mit dem Nebel zwischen seinen Fingern.

Der Kahlköpfige sah aus, als würde er ihn zerfleischen wollen. „Sprich, was du vorhast, oder verschwinde!“, brüllte er ihn an, sich zwingend ruhig zu bleiben, doch dies ohne Erfolg.

Der Violetthaarige hatte ihn genau da, wo er ihn haben wollte. Er musste sich seine eigene Fehlbarkeit eingestehen, seine eigene Schwäche. Musste erkennen, dass er Recht hatte und musste es akzeptieren. Musste tun, was ihm so sehr verhasst war. Er lächelte. „Du wirst mir zuhören.“ Sollte er doch aggressiv sein, er konnte ihm nichts anhaben. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit sich ihm entgegen zu stellen, selbst wenn er, Cyrus, ihn gelassen hätte. Alles lag allein in seiner Hand. Gnade, Erbarmen – oder die Rache, nach der der Kleinere so schrie. „Du wirst Unterstützung brauchen. Eine Gruppe Libyer ist noch immer kampfbereit. Ihr Hass gegen Ägypten ist geradezu grenzenlos. Doch sie brauchen Führung.“ Er genoss seine eigene Überlegenheit und das Wissen darum. Hatte der andere eine Wahl? Eine Alternative? Nein.

Und er wusste es. Trotzdem wurde Shada aufmerksamer. Die Sache begann interessant zu werden für ihn. Libyer? Nichts als Marionetten. Von Hass gesteuerte Puppen ohne Wille und ohne Ziel. Genau das, was er brauchen konnte, damit er auch wirklich zum Hohepriester vorstoßen konnte. Dennoch, sein Misstrauen blieb. „Und nun kommst du damit zu mir?“, stieß er zwischen geschlossenen Zähnen hervor, „Wieso?“ Es machte keinen Sinn. Wenn sie, wie er sagte, den gleichen Feind hatten, dann könnte er diesen Schritt auch selbst tun. Selbstsicher wie er sich gab, war er sicherlich nicht zu schwach für eine solche Aufgabe. Er wollte sich nicht die Hände schmutzig machen, wollte ihn dafür benutzen und das passte dem Kahlköpfigen gar nicht. Er ließ sich nicht benutzen, ließ sich nichts sagen und auch nicht zur Puppe machen. Er war bereit, die Puppen zu lenken, doch er selbst hing an keinem Faden.

„Das ist nicht wichtig“, unterbrach Cyrus seine Spekulationen. „Ich glaube, du bist der Richtige für die Aufgabe.“ Schlichte Worte, die das Thema für beendet erklärten. Er würde ihm keine Rechenschaft ablegen.

Shada zog die Augenbrauen hoch, musterte ihn leicht. „Ich habe andere Pläne“, fauchte er schließlich. „Wenn ich das erledigt habe, stehe ich dir zur Verfügung, nicht eher.“

Der Andere trat näher auf ihn zu, drohend nun. „Das war kein Vorschlag“, sagte er ruhig, kalt, die Stimme tief. Seine Intention war klar. Shada hatte sich zu fügen. Sie standen einander gegenüber, die Stimmung zwischen ihnen war tödlich. „Dann sind wir uns also einig?“, zischte der Mächtigere bedrohlich, sah ihn ernst und berechnend an. „Du führst die libyschen Truppen und fällst in Ägypten ein. Quäle jeden einzelnen, ganz so, wie es dir beliebt...“, er setzte an, sich von ihm wegzudrehen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. „Ach, und noch etwas: Der Hohepriester gehört mir.“ Auch dies war kein Vorschlag. Es war ein Befehl. Ein Befehl, dessen Missachtung keine schönen Folgen haben würde.

Shada grummelte sauer. Er war nicht einverstanden. Er war überhaupt nicht einverstanden. Doch er war nicht dumm, er hatte keine Wahl. „Mir bleibt wohl nichts anderes übrig“, knurrte er finster. Als ob er sich an eine solche Abmachung halten würde. Der Priester würde leiden und das unter seiner Hand. Dieses Vergnügen würde er sich von nichts und niemanden nehmen lassen.

„Nein, bleibt dir nicht“, stimmte Cyrus ihm genüsslich zu. „Aber er wird nicht verschont werden, glaube mir“, versicherte er ihm, zu oft hatte der Hohepriester sich ihm in den Weg gestellt, er hatte mit ihm eine Rechnung zu begleichen, die er nicht würde zahlen können. Es war, wie sagte man? Eine Familienangelegenheit, in die er sich völlig ungestraft viel zu intensiv eingemischt hatte.

Die Wut des Violetthaarigen interessierte ihn nicht. Er hatte nicht vor ihm Seth zu überlassen. Die Libyer würde er führen, diese Unterstützung wollte er annehmen. Sollten sie sich doch um jene kümmern, die ihn völlig kalt ließen. „War's das denn nun?“, genervt verdrehte er die Augen. Er wollte es hinter sich haben, endlich weiterreiten, endlich dort ankommen, wo er seine Rache würde bekommen können.

„Du kannst es kaum erwarten, oder?“ Er spielte mit seinem Hass. „Naja, es ist dir nicht zu verübeln, nachdem, was dir angetan wurde...“ Er kannte den Grund dafür, dass der ehemalige Priester nun verbannt war aus dem Königreich, doch es kümmerte ihn nicht. Es war nur nützlich. Der dunkle Nebel verdichtete sich. „Die libyschen Truppen werden bald eintreffen ... Überzeuge sie und sie werden dir folgen. Ihr Hass auf Ägypten ist grenzenlos und die Schande ihrer Niederlage wiegt schwer auf ihren Herzen.“ Er grinste. In diesem Moment trieb der Nebel die verstreuten Überreste der Feinde Ägyptens zusammen und einte sie neu.

„Ich werde sie überzeugen...“, zischte Shada. Er war sich sicher, dass er auch ohne Hilfe an sein Ziel kommen würde, doch die Möglichkeit war ihm bereits genommen worden. „Mein Hass kennt weder Grenzen noch Hindernisse.“

Wollte er es klarstellen? Wollte er sich besser stellen? Es war beinahe süß, dachte Cyrus kalt. „Daran habe ich nicht gezweifelt.“ Er zeigte zum Horizont, in die einzige Richtung in die der Nebel einen etwas weiteren Blick zuließ. „Die Truppen kommen“, hauchte er fast zärtlich. Sie wurden getrieben von der Angst, die sie umgab, die Angst, die sie wach hielt, wenn sie vor Erschöpfung fast zusammenbrachen.

Der Kleinere folgte seinem Blick mit etwas Mühe, denn er hatte einige Anstrengungen damit, das Pferd ruhig zu halten. Er blickte erst sauer, dann grinste er überheblich. Wieso nicht? Sollten sie doch die Drecksarbeit für ihn machen. „Meine Truppen...“ Es klang gut. Es klang mächtig. Sie waren durcheinander, kaum geordnet und voller Hass. Sie waren genau das, was er brauchte. „Gut...“ Sollten sie nur kommen. Er würde sie begrüßen.

Cyrus entfernte sich von der Stelle, an der sie beide sich unterhalten hatten. „Zeige mir, wie groß dein Hass wirklich ist...“, flüsterte er, mehr zu sich selbst, als zu Shada, dann war er verschwunden.

Erinnerungen

Ihm zu folgen war im Grunde eine Kleinigkeit. Selbst die Unsichtbarkeit war keine Hürde für ihn, der doch bereits so viel weiter gegangen war. Simple Magie? Er hatte sich lange genug von so etwas unterwerfen lassen. Damals, ja. Da war es dem Hohepriester gelungen ihn zu zähmen. Es war mehr ein Zufall gewesen, ein Zufall und eine glückliche Fügung, durch die der Priester als der Überlegene hatte entkommen können. Er hätte ihn mit Leichtigkeit besiegen können und er konnte es immer noch. Jetzt hielten ihn bloß andere Dinge davon ab, als noch vor so vielen Jahren. Zu der Zeit hatte er mit ihm spielen wollen, bevor er ihn überwältigte, doch Seth war ihm damals zuvor gekommen. Ein Fehler, der ihm niemals wieder geschehen würde. Niemals wieder würde er einfache, simple Magie unterschätzen.

Bakura war nicht schwach. Bakuras Macht war absolut tödlich, seine Strategie berechnend und kalt. Er gewährte keine Gnade. Er forderte das Äußerste von seinen Gegnern, sonst langweilten sie ihn und verloren in seinen Augen das Recht zu existieren. Er spielte immer noch. Doch Akim wusste: Jedes Spiel konnte durch einen einzigen falsch gesetzten Zug außer Kontrolle geraten.

Er sah den Meisterdieb vor sich, nur wenige Meter von ihm entfernt. Er konnte ihn nicht sehen, wie er ihn gesehen hätte, wenn der Schleier der Unsichtbarkeit nicht auf ihm gelegen hätte, doch er konnte sich von ihm nicht verbergen. Wie eine mystische Aura umgab die Macht den Weißhaarigen, die Seelen von Kul Elna, die Bakura beschützten und ihm all ihre Kraft liehen. Die Macht, die Akim sehen konnte. Bakura lachte auf, als er Kisara und Seth im Gang vor sich stehen sah. Ihre Worte waren nicht zu verstehen, doch dem Jüngeren war sofort klar, dass sie sein Gelächter nicht gehört haben konnten. Unbesonnen näherte er sich ihnen, rieb sich die Hände in Vorfreude. Akim schüttelte den Kopf. Glaubte er denn wirklich, dass es so einfach war? Es war einfach lächerlich. Unterschätze er ihn immer noch?

Gerade als Seth und Kisara den Raum betraten und Bakura ihnen ungesehen hatte folgen wollte, versiegelte er die Tür. Der Dieb war gezwungen draußen zu bleiben, und stellte dies nur Sekunden später fest. Sauer lief er vor der Tür auf und ab, grummelnd und genervt. Akim grinste vor sich hin. Das Spielchen begann ihm zu gefallen. Die Wut des Königs der Räuber war geradezu fassbar, seine Aura wurde immer deutlicher, genährt von den Seelen, die auf seine Emotionen reagierten. Ein Klirren erschütterte die Gänge, als Bakura scheppernd gegen eine Vase trat, die in unzählige Scherben zerbrach. Er fluchte.

Akim stellte sich direkt vor ihn. „Nicht aufregen“, hauchte er ihm entgegen und hatte mächtig Spaß dabei. Die Rage, die den Mann vor ihm zerfraß, war sein Vergnügen.

„Halt‘ dein verfluchtes Maul!“, knurrte Bakura, überhaupt nicht mehr darauf bedacht, nicht aufzufallen. Jeder im Umkreis von einigen Metern musste bereits die Vase zu Bruch gehen gehört haben.

Wieder lachte der Jüngste auf. „Was hast du denn? Ist dir der Spaß vergangen?“ Es war genau das, was Bakura geplant hatte. Sich im Dunkeln anschleichen und dann aus dem Hinterhalt heraus die Fäden ziehen. Doch wer nun die Fäden zog war nicht er – es war Akim. Bakura packte ihn an der Kehle und drückte leicht zu. „Ich habe lange kein Blut von einfältigen Burschen mehr gehabt, also reiß dich gefälligst zusammen!“, fauchte er, ehe er ihn zur Seite stieß und sich wieder zur Tür umdrehte, die sich gerade in dem Moment leise öffnete. Ein weißhaariges Mädchen blickte sich leicht verstört im Gang um, konnte aber selbstverständlich bis auf die Scherben der Vase nichts erkennen. Das Grinsen fand seinen Weg zurück auf des Diebes Gesicht, als er sich ihr unsichtbar näherte.

Akim ließ sich locker zur Seite schubsen, es kümmerte ihn nicht. Warum hätte er sich daran stören sollen? Der Nebel fing ihn doch jederzeit auf. Er hatte offensichtlich einen sehr empfindlichen Punkt getroffen. Er lächelte. Diesen Meisterdieb aus der Fassung zu bringen, war noch viel einfacher, als er es sich vorgestellt hatte. Er saß auf dem Boden und beobachtete die Szene. Bakura, wie er auf Kisara zuging. Sie musste seine Anwesenheit bemerkt haben, doch sie konnte die Quelle ihrer Unsicherheit nicht ausmachen. Sie wirkte angespannt, der sich ihr Nähernde vergnügt.

Sollte er?

Er würde Bakura den Spaß wieder verderben, egal, was dieser auch vorhatte. Natürlich musste die Vase jemandem aus dem Gemach aufgefallen sein, doch dass es ausgerechnet Kisara gewesen war, die nachsehen ging. Er seufzte leicht. Interessanter wäre es doch gewesen, wenn der Hohepriester selbst ihnen die Ehre seiner Anwesenheit gegeben hätte.

Nun ja, er konnte es nicht ändern. Doch gegen das Drachenmädchen hegte er keinen Groll. Direkt vor ihren Füßen ließ er eine Nebelkugel erscheinen, um sie nicht nur zu warnen, sondern auch um ihr einen Hinweis zu geben.

Ein erschrockener Aufschrei war die Reaktion darauf. Verwirrt blickte Kisara die Kugel an, starrte sie an, fast apathisch. Sie war ganz offensichtlich nicht darauf gefasst gewesen. Bakura, der ebenfalls nicht damit gerechnet hatte, drehte sich erneut um und schenkte dem Nebeljungen einen eisigen Blick, eher er kopfschüttelnd, aber grinsend, verschwand. Sein Gesichtsausdruck war eindeutig gewesen. Er verließ sie nicht, weil er sich vor Kisara fürchtete. Er verließ sie, weil er wusste, dass Akim ihm nicht folgen konnte, wenn er sich um die Weißhaarige zu kümmern hatte. Dies war seine einmalige Gelegenheit zur Flucht, die er sofort nutzte. Das also hatte er sich dabei gedacht. Es war äußerst geschickt eingefädelt, das musste Akim anerkennen. Während er sich vor Kisara rechtfertigen musste, hatte Bakura alle Zeit der Welt zu entkommen.

Die junge Frau schien sich wieder gefangen zu haben. Ihr Blick verhärtete sich, als die Erkenntnis kam, sie trat einen Schritt zurück. „Zeig‘ dich!“, stieß sie befehlerisch hervor.

Akim trat hervor, aus dem Schatten heraus, der ihn verborgen hatte. Er sah keinen Grund darin, sich vor ihr zu verstecken, nun, da er sich ohnehin schon zu erkennen gegeben hatte. Lediglich seine Geschwister hätten die Magie der Nebel ebenfalls nutzen können, doch dass sie nicht hier waren, konnte wohl selbst der Dümmste noch vorhersagen. Mit festem Blick musterte er sie, sah ihr direkt in die Augen. Nichts Böses war darin zu lesen.

Ein ganz schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Du bist es wieder“, sagte sie leise und entfernte sich langsam von der Tür. Sie schien ihm nicht zu misstrauen und das, obwohl er doch die einzige, sichtbare Erklärung für die zerstörte Vase war. Sie atmete tief durch. „Darf ich dir eine Frage stellen?“

Höflich. Sie war höflich. Sie erwartete keine Feindseligkeit, wie Akim etwas verblüfft feststellen durfte. Sie erwartete auch keine Erklärungen von ihm. Es war einfach Neugierde, die sie antrieb. Er hatte nicht damit gerechnet, doch sie hatte nur gefragt. Es gab keinen Grund, ihr die Frage zu verwehren, die Antwort konnte er ihr schließlich immer noch schuldig bleiben, wenn er nicht im Stande dazu wäre, sie angemessen zu formulieren. „Natürlich darfst du“, gab er also zurück, nun selbst gespannt auf ihre Frage. Eines konnte er mit Sicherheit sagen: Die Vase kümmerte sie nicht.

Sie zögerte. Es schien sie einige Überwindung zu kosten, es tatsächlich auszusprechen. „Naja…“, begann sie schließlich, „Du weißt ja, wie es ist, sein Gedächtnis zu verlieren…“ Akim spürte genau, dass sie ihn das eigentlich nicht fragen wollte, doch einfach niemanden sonst darauf ansprechen konnte. Sie versuchte, es so neutral wie möglich zu formulieren, und ihre Besorgnis rechnete der Junge ihr an. „Kannst du dich daran erinnern, wie es am Anfang war? Und wenn ja, kannst du mir vielleicht sagen, wie es war und ob du dich vielleicht am Anfang, du weißt schon … als du dich ja eigentlich gar nicht hättest erinnern können … naja … Hast du da Dinge als vertraut wahrgenommen? Vielleicht wiedererkannt?“

Ihre eigene Unsicherheit war fassbar, sie fühlte sich nicht wohl dabei, ausgerechnet ihn das zu fragen. Doch es war nicht ihre Schuld. „Am Anfang?“, fragte er leise. Er hatte nicht damit gerechnet und brauchte einen Augenblick, um in Ruhe darüber nachdenken zu können. „Es war nichts … Absolut nichts … alles war fremd … Wahrscheinlich war es, wie direkt nach der Geburt“, er konnte es nicht so recht vergleichen. „Es gab eine Welt und in die kam ich herein. Ich kannte niemanden, nicht einmal mich selbst. Alles, was ich später wusste, war das, was er mir gesagt hatte.“ Seine Stimme klang bitter. Ihnen beiden war wie in einem stillen Einvernehmen klar, dass er von Seth sprach, ohne seinen Namen aussprechen zu müssen. Er, der ihm seine ganze Welt aufgebaut hatte, voller Lügen und voller Hass. „Es hat mich niemand ernst genommen, niemand legte Wert auf meine Meinung. Nur Seth hörte sie sich ein paar Mal an, ich glaube nicht, dass er anders über mich gedacht hatte …“ Er schien für einen Moment in seine Gedanken versunken zu sein, Kisara unterbrach ihn nicht. Natürlich hatte Seth gewusst, was er all dein anderen nicht gesagt hatte. „Was soll’s. Ich kam in eine Welt, die keinerlei Grenzen kannte, denn ich kannte die Regeln nicht. Und nach und nach wurde diese Welt kleiner. Regeln, Gesetze, Vorschriften. All das kam plötzlich auf mich zu, ich musste alles lernen, alles verstehen. Doch ich hatte nie gelernt zu verstehen – das dachte ich jedenfalls.“ Er sah ihre blauen Augen, die leicht in Tränen schwammen. „Aber Erinnerungen? Es gab keine. Wie auch? Ich habe vorher nicht hier im Palast gelebt, ich kam an den für mich fremden Hof und ich hätte nichts gekannt, selbst wenn mein Gedächtnis erhalten geblieben wäre.“ Er hatte schon verstanden, was sie wissen wollte. Er schüttelte bedauernd den Kopf. „Ich kann dir nichts sagen, ob Mana Dinge wiedererkennen kann. Aber wirklich daran erinnern, wird sie sich nicht.“

Kisara schluckte. Sie hatte ihm aufmerksam zugehört, nickte nun leicht. Sie wirkte bedrückt, ob nun seinetwegen oder wegen Mana konnte er nicht sagen. Letzten Endes war es ihm gleich.

„Ich hoffe, nun verstehe ich es ein wenig besser…“, flüsterte sie. Aus einem ihm nicht verständlichen Grund, brachte sie die Worte einfach nicht in einer normalen Lautstärke hervor. Die Stimmung schien eingefroren, sie nahm sich jedes seiner Worte zu Herzen. Gern hätte er ihr eine bessere Antwort gegeben, doch es ging einfach nicht. Es war nicht möglich. Seine Situation und die von Mana – sie waren sich so ähnlich und doch grundverschieden. Vielleicht konnte ihr Unterbewusstsein die Umgebung erkennen, in der sie groß geworden war, vielleicht hätte auch er etwas wiedererkennen können, doch man hatte ihn aus seiner Heimat gerissen und in die Fremde verdammt. Ein Leben, das unbekannter nicht hätte sein können. Die Liebe und die Fürsorge, die Mana nun bekam, hatte er nie kennen gelernt. Seth hatte sich um seine Eingliederung in die Gesellschaft nur insofern gekümmert, wie es ihn selbst betraf und von ihm einmal abgesehen, hatte er keinerlei Bezugspersonen. Er war ein Gespött gewesen, nicht mehr. Der arme, kleine Junge ohne Erinnerungen, den niemanden hatte haben wollen und dem sich der Hohepriester gnädiger Weise angenommen hatte.

Nein. Es gab keine Übereinstimmungen zwischen Mana und ihm, abgesehen davon, dass es derselbe Mann und derselbe Zauber gewesen war, der jede Erinnerung ausgelöscht hatte. Seth.

Akim selbst hatte diesen Zauber überwunden, doch einzig und allein die Magie der Nebel, die ihm von Geburt an gehört hatte, hatte ihm diesen Schritt ermöglicht. Nur die Tatsache, dass sein eigener Zauber wesentlich stärker war als der des Hohepriesters, hatte ihm die Möglichkeit gegeben aus der Schmach hervorzutreten und stärker und mit jeder einzelnen seiner Erinnerungen vereint, dem Mann entgegen zu gehen, der ihm alles hatte nehmen wollen.

Kisara betrachtete fasziniert sein Gesicht. Sie legte ihren Kopf schief, nachdenkend. Wieder schien sie mit sich selbst zu hadern. „Seth war ein grausamer Mann…“, gab sie leise zu, „doch…“

Die Tür hinter ihnen sprang auf und Mana lief auf sie zu, gefolgt von Adalia und von Seth, dessen Blick versteinerte, als er ihn erkannte. Nein, er hatte sich nicht geändert. Was auch immer das Drachenmädchen in ihm sah, es war nicht ausreichend um die Schatten in seinen Augen zu überdecken und Mana, die nun auf den Jüngsten zugesprungen kam, war der beste Beweis dafür. War sie nicht diejenige, die nun zur Marionette gemacht wurde? Vielleicht nicht zur Unterwerfung, wie es damals bei ihm der Fall gewesen war, vielleicht nicht zur Belustigung. Aber war nicht Liebe die schlimmste Foltermethode, die es gab?

Liebe

Wollte er lächeln? Wollte er es lassen? Als Hohepriester von Ägypten war er schon auf viele skurrile und absurde Situationen gestoßen, doch keine war so eigenartig gewesen, wie diese hier. Vor ihm stand ein Mädchen, das in Kinderschuhen zu gehen schien, die ihm viel zu groß waren. Unaufhörlich lächelnd stolperte sie vor sich hin und kam doch nirgendwo an. Mana. Seine Verlobte.

Er schluckte. Es hatte sich so vieles verändert. Ihr das Gedächtnis zu nehmen war nur eine Kleinigkeit gewesen, ein Schritt, der leicht gewesen war im Vergleich zu dem, was ihm nun bevorstand. Er hatte es ihr versprochen. Er hatte ihr versprochen, dass sie bei ihm bleiben durfte und er hatte ihr versprochen, dass sie glücklich sein würde. Niemals hätte er den Preis dafür erfassen können. Ihre großen, kindlichen Augen strahlten – doch die Freude war nicht echt. Sie schien ihm entgegen zu schreien und ihn für all das verantwortlich machen zu wollen, was er getan hatte.

War es bei Akim ebenso gewesen? Waren auch seine Augen anklagend gewesen? Anklagend dafür, dass er ihm das Leben genommen hatte, das ihm eigentlich zugestanden hätte?

Das ihr eigentlich zugestanden hätte? Er hatte sich nicht zu beklagen. Ihre letzten ehrlichen Worte an ihn, er musste sie im Gedächtnis behalten. Er allein konnte sie in Erinnerung behalten. Es gab keine Magie in Mana, die alles rückgängig machen konnte, denn sie hatte all dem zugestimmt. Sie hatte ihn darum gebeten, alles ungeschehen zu machen – wirklich alles. Es gab kein Zurück.

Er atmete tief durch. Sollte er sie aufgeben, nur weil sie bereit gewesen war, alles zu opfern? Weil er alles geopfert hatte?

Nein.

Sie konnte nichts dafür. Sie saß vor ihm, lächelte ihn an und wartete auf seine Antwort. „Sei Adalia nicht böse…“, versuchte er sie zu besänftigen, „Sie musste streng sein, ich habe sie darum gebeten. Immerhin sollte sie auf dich aufpassen.“ Adalia nicht zu vertrauen wäre ein törichter Fehler gewesen, den er nicht zu machen bereit war. Er kannte sie, wusste, wie sie in bestimmten Situationen reagierte. Er war sich ihrer unendlichen Treue bewusst. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie hatte ihr wirklich eine ganze Menge beigebracht und darüber war er sehr froh.

„Ich kann ihr gar nicht böse sein“, grinste Mana und schaute kurz zu der Priesterin. „Aber ich kann auf mich selbst aufpassen!“ Sie quängelte leicht.

Er schluckte erneut. Wenn sie es nur gekonnt hätte… Er musterte ihr forderndes Gesicht. „Du möchtest in den Garten?“

„Ich möchte sogar sehr gern in den Garten!“ Sie war sofort Feuer und Flamme. Sie stand auf, und sah aus glänzenden, grünen Augen zu ihm auf. „Gehen wir? Gehen wir?“, drängelte sie, ergriff seine Hand und tat so, als würde sie ihn zur Tür ziehen wollen.

In diesem Moment trat die Priesterin an sie beide heran, die sich bis dahin zurückgehalten hatte. „In den Garten?“, murmelte sie leise, die Worte wiederholend. „Verzeiht“, bat sie förmlich, „Ich würde vorschlagen bis zum Morgen damit zu warten.“ Zu bildhaft war die Erinnerung daran, was beim letzten Mal geschehen war. War es wirklich klug, das Mädchen erneut einer solchen Belastung auszusetzen? Vielleicht konnte sie in den Garten gehen, wenn er dabei war … Doch ihr Körper brauchte definitiv Ruhe.

Manas Augen wurden noch größer. „Bitte, bitte, bitte!“, flehte sie energisch und zog die Mundwinkel trotzig nach unten. Sie ließ des Priesters Hand los und stellte sich direkt vor Adalia, um sie selbst ansprechen zu können. „Bitte! Ich lauf‘ nicht weg und ich bleibe in der Nähe und bin ganz brav!“

Adalias Blick wurde weich. „Aber es ist doch schon fast dunkel, du kannst doch gar nichts mehr erkennen draußen.“ Es war tatsächlich schon ungewöhnlich dunkel, selbst für die bereits fortgeschrittene Zeit. Die Idee war nicht die beste, doch die Entscheidung lag bei Seth. Sie wollte sich nicht in den Vordergrund drängen, schon gar nicht seine Autorität untergraben.

Der Hohepriester betrachtete die beiden Frauen aufmerksam. Das Spiel, das sich zwischen ihnen entwickelt hatte, war geradezu beeindruckend.

Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Mana – seine kleine Mana – nun so anders war. Er konnte sie nicht einsperren. Sollte sie nicht glücklich werden können? Sie wollte in den Garten und er würde ihr ihren Wunsch erfüllen. Zu lange schon hatte sie seinetwegen zurückstecken müssen. „Also schön…“, gab er schließlich nach, „Aber wir bleiben nicht lange.“
 

Sie wusste nicht, ob es eine gute Idee war, doch sie wollte sich nicht widersetzen. Leicht unglücklich verließ die Priesterin hinter Seth und Mana das Zimmer und blickte direkt in Akims überraschte Augen. Sie seufzte leicht, verschloss die Tür hinter sich und schritt auf das Drachenmädchen zu. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie sie, wohlwissend, dass der Hohepriester selbst sich wohl um Mana kümmern wollte für den Moment.

Die Weißhaarige lächelte schwach. „Ja, alles in Ordnung“, hauchte sie leise, konnte den Blick jedoch nicht von Mana und Akim abwenden. Sie wirkte bedrückt.

Die Priesterin folgte ihrem Blick. „Wieso ist er wieder hier?“, wollte sie wissen, doch es war kein Befehl in ihrer Frage. Kisara traute dem Jungen, das hatte sie längst erkannt. Und Adalia akzeptierte ihre Meinung.

Kisara zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich selbst nicht so genau…“, gab sie zu, und die Brünette nickte verstehend.

Sie würde es schon noch erfahren…

Das Mädchen neben ihr seufzte leise, senkte den Blick, als der Hohepriester der Priesterin zunickte. Sie legte ihr eine Hand auf die Schulter und lächelte sie aufmunternd an. „Er hat dich nicht vergessen“, flüsterte sie ihr zu und schien damit genau den Nerv des Drachenmädchens getroffen zu haben.

„Ich weiß…“, murmelte sie, doch ihre Unsicherheit war nicht zu übersehen.

Die Brünette nickte nur. „Ich muss jetzt gehen, Mana braucht ein Kindermädchen“, entschuldigte sie sich und machte einige Schritte von ihr weg.

Die Weißhaarige lächelte besorgt. „Pass‘ gut auf sie auf, ja?“, bat sie nur.

Adalia beeilte sich, es ihr zu versichern. Sie kam nicht darum herum, sich Sorgen um das Mädchen zu machen. Beizeiten wirkte sie äußerst angeschlagen und zurückgewiesen. Sie würde mit Seth darüber reden müssen, beschloss die Priesterin. Kisara hatte ihr Herz am richtigen Fleck, ihre Unterstützung war wirklich überaus hilfreich. Und sie verdiente eine angemessene Behandlung.
 

Er hatte nicht erwartet, dass sie so stürmisch war. Kaum, dass er seine Worte ausgesprochen hatte, war sie losgelaufen, hatte die Tür aufgerissen und war in den Gang hinausgelaufen. Hätten nicht allein schon ihre Verletzungen ihr eine solche Reaktion unmöglich machen müssen? Er wusste es nicht. Ein verlorenes Gedächtnis schien andere Maßstäbe zu setzen, wie er nun feststellen musste. Auch er hatte noch sehr viel zu lernen. Er musste lernen, besser mit ihr umgehen zu können, damit er ihre Bedürfnisse würde erkennen können.

Ihre Reaktion auf den jungen Mann, in den sie förmlich hineingelaufen war, war ebenso überraschend wie schmerzhaft für den Hohepriester. Akim. Was tat er hier? Wieso war er hier? Und was hatte er mit Mana zu tun? Hatte nicht sie selbst keinen Kontakt mehr gewollt, seit er wieder zu seinen Geschwistern übergelaufen war? Zurückgekehrt, sollte er wohl eher sagen… Er hatte sich gegen Mana gestellt, als er seine Erinnerungen zurück bekommen hatte. Wieso also tat er nun so, als wären sie noch immer Freunde?

Diese Freundschaft hatte er nie verstanden. Beruhte sie auf Mitleid? Hatte Mana Mitleid mit ihm gehabt, als er noch bei Seth am Palast gewesen war, ohne Erinnerungen und ohne Hoffnung? Hatte er nun Mitleid mit ihr? Weil er sich in ihr sah?

Mana war freudig auf ihn zu gelaufen, hatte ihn beim Namen gerufen und strahlte ihn an. Auch er lächelte, begrüßte sie freudig. Er blickte nicht zum Hohepriester.

„Weißt du was?“, plapperte das Mädchen munter, „Wir gehen in den Garten!“ Voller Stolz verkündete sie es, drehte sich strahlend zu Seth und wieder zurück zu Akim. Die eingefrorene Stimmung zwischen ihnen konnte sie nicht fühlen. „Du musst unbedingt mitkommen!“, verkündete sie freudig, „Ich muss euch was zeigen! Euch beiden!“

Wusste sie, was sie da verlangte? Vermutlich nicht. Doch er hatte nicht die Wahl dies zu entscheiden. Ob er es wollte oder nicht, er musste ihn nun hier dulden. Mana wollte ihn hier bei sich haben und ihn nun zu verbannen würde sie nur verletzen. Er konnte es nicht. Mit strengen Blicken musterte er den Jungen, dann fiel sein Blick auf die Weißhaarige, die im Hintergrund stand. Die Bitte um Verständnis und um Nachsicht stand ihr ins Gesicht geschrieben. Er seufzte.

„In den Garten?“, fragte Akim kurz nach und nickte dann. „Also gut, ich komme mit.“ Seine Stimme klang freundlich. Was immer er hier vor hatte, er tat es, um ihr einen Gefallen zu tun.

Er musste es wohl so hinnehmen. Seth zog es vor, lieber nichts dazu zu sagen und ging stattdessen ein paar Schritte voraus. „Kommst du?“, fragte er das Mädchen und blickte kurz zu Adalia zurück, die mit Kisara im Gang stehen geblieben war. Er nickte ihr leicht lächelnd zu, während er auf Mana wartete.

Diese hatte Akims Hand gepackt, zog ihn ein kleines Stück mit, damit er es sich nicht anders überlegen konnte und ließ ihn dann wieder los. Sie strahlte ihn noch einmal an und lief dann selbst los, an Seth vorbei, kichernd und begeistert, drehte sich dann um zu ihm und tapste rückwärts weiter. Ihr Kopf lag schief und eigentlich war es ein absolutes Wunder, dass sie nicht das Gleichgewicht verlor. Sie grinste glücklich vor sich hin. Seth folgte ihr, Akim ebenfalls. Der Abstand zwischen ihnen war maximal, ohne dass einer von ihnen bewusst darauf achtete.

Der Hohepriester stockte kurz. Manas freudiges Gesicht gefiel ihm, so oft schon hatte er sie lachen sehen, so oft hatte sie ihn herumkommandiert und –

Er schüttelte den Kopf, entsetzt von sich selbst. Er durfte es nicht denken, nicht einmal für eine einzige Sekunde lang durfte er zurückdenken, wenn er es ihr nicht noch schwerer machen wollte. Doch wie sollte er das schaffen, wenn allein schon ihr braunes Haar im Wind wehte und förmlich nach ihm rief? Es war zum verrückt werden! Wie sollte er sich dem entziehen?!

Mana grinste sie noch einmal an, dann drehte sie sich wieder um und lief weiter, so schnell ihre Füße sie trugen. Sie kannte den Weg noch vom letzten Mal und nun, da sie endlich wieder hierher durfte, konnte sie es kaum erwarten. Es erschien ihr Ewigkeiten her zu sein; sie musste unbedingt sehen, ob sich irgendetwas verändert hatte. War alles wie im Traum? War da auch eine solche Dunkelheit?

Sie lief die Stufen zum Garten hinab, streckte die Arme in die Höhe und atmete die frische Luft ein. „Endlich!“, schrie sie in den Himmel hinein, erschrak kurz, als sie sah, wie dunkel dieser schon war, grinste schwach und sah sich nach den anderen um. „Wieso seid ihr so langsam?“, beschwerte sie sich, und stemmte die Fäuste in die Seite.

Der Violetthaarige war es, der als erster auf ihre Provokation ansprang. „Sind wir doch gar nicht!“, rief er ihr hinterher und lachte. Auch er war inzwischen im Garten angekommen, stellte sich zu ihr. „Da bin ich!“

In Gedanken versunken erreichte der Hohepriester als Letzter ihr Ziel. Er hatte es nicht allzu eilig. Zum einen musste er sich erst seinen Gedanken entledigen, zum anderen hatte er nicht viel Interesse daran, dem Jungen zu nahe zu kommen. Er war gefährlich. Seth wusste es und es gefiel ihm gar nicht, dass Mana ihn so nahe an sich heran ließ. Natürlich hatte Adalia ihn gewarnt, dass Akim hier gewesen war, doch dass er nun einen solchen Stellenwert für Mana hatte, war alles andere als gut. Er hatte die Macht, ihr ohne jeden Kampf das Leben zu nehmen. Doch das war es nicht, was der Hohepriester fürchtete. Die Frage, die sich ihm jedoch stellte, war, ob Akim es wagen würde, sich offen gegen ihn zu stellen, solange Mana in der Nähe war. Es hätte ihn nicht gestört, wenn er nicht gewusst hätte, dass er dadurch die Möglichkeit bekam, Mana vollständig zu zerstören. Er konnte sie nicht aus den Augen lassen.

„Aber ich bin immer noch schneller!“, kicherte sie Akim entgegen und strahlte wieder in die Runde. „Ich muss euch etwas zeigen!“ Sie lief voraus, verschwand hinter dem ersten Busch. Sie war auf dem Weg zum Teich, sie wusste, dass er hier sein musste und dennoch schien sie die Dunkelheit ein wenig einzuschüchtern. Flüchtig sah sie sich um, Seths und Akims Rufe vernehmend. Sie blinzelte. Es legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, als sie das Wasser erblickte. Alles war nun wie in ihrem Traum, und doch war es anders. Sie wusste, dass sie nicht allein war. Langsam trat sie daran heran, stellte sich demonstrativ neben den Teich und zeigte darauf. „Hier!“, rief sie ihren Begleitern entgegen, enttäuscht fast, dass diese nicht schnell genug waren.

„Mana?“ Seth gefiel es überhaupt nicht, dass er sie nicht sehen konnte. Er wollte sie in seinem Blickfeld haben, wollte da sein können, wenn sie ihn brauchte und sie nicht dann erst noch suchen müssen. Er wollte, dass sie bei ihm blieb, doch wie sollte er das machen? Er konnte sie nicht an die Kette legen. Er lief ihr hinterher, Akim noch immer ignorierend.

Dieser sah die Sache nicht so eng, sondern gab sich alle Mühe, das ganze in ein lustiges Spiel für Mana zu verwandeln. Er hatte gewartet, bis er sie nicht mehr sehen konnte, bis er hinter ihr herlief. „Ich bin schneller!“, rief er lachend, wusste jedoch selbst genau, dass es nicht stimmte. Sie war schon immer schneller gewesen als er, aber sie hatte sich auch immer schon dadurch ärgern lassen.

Als sie schließlich den Teich und Mana erreichten, stockten sowohl Akim als auch Seth. Der Jüngere biss sich kurz auf die Unterlippe, schaute flüchtig zu dem Hohepriester, ehe er seinen Blick wieder auf die Kleinste richtete. Sie wusste wirklich, wie sie ihn effektiv quälen konnte, das musste er ihr schon lassen.

Entgeistert starrte der Brünette auf das Wasser. Dieser Ort war voller Erinnerungen; Erinnerungen, die zwar für Mana leer waren, ihn jedoch zu foltern wussten. Er versuchte zu lächeln. Sie wusste es nicht, sie konnte es nicht wissen. „Was ist mit dem Teich?“

Mana kicherte ihn an, strich sich mit dem Arm über das Gesicht, als würde sie etwas wegwischen, und strahlte ihn fasziniert an. „Ist er nicht wunderschön?! Ich habe hiervon geträumt!“ Das Mondlicht spiegelte sich an der Oberfläche, ehe es von dem Schatten verdeckt wurde. Mana stand mit dem Gesicht zu Seth und zu Akim, lächelte. „Ich finde es wunderbar hier!“, rief sie grinsend, bevor sie stockte. Ihr Strahlen schien zu gefrieren, sie kniff die Augen zusammen und sah aus, als würde sie schreien wollen. Sie brachte keinen Ton hervor, doch sie fiel nach hinten, direkt auf das Wasser zu. Ein letzter erstickter Schrei drang aus ihrem Mund hervor, ehe sie die Wasseroberfläche mit dem Hinterkopf zuerst durchbrach und in eine Tiefe gezogen wurde, die der Teich zuvor nicht gehabt hatte.

Zerrissen

Wie sollte sie jemals wieder glücklich werden können? Sie hatte alles vermasselt, hatte versagt, hatte ... hatte alle enttäuscht. Sie war zu schwach gewesen, wollte doch alle beschützen können, doch nicht einmal diejenigen, die sie am meisten liebte, konnte sie retten. Wie war das geschehen? Eben noch war ihr Kind, ihr eigen Fleisch und Blut, in ihrem Körper gewesen, ganz nahe bei ihr und doch ... Hatte sie es vergiftet? Hatte ihre Schwäche dem Kind das Leben ausgehaucht?

Alles hätte so schön werden sollen. Sie hatte es gesehen, hatte es sich in den leuchtendsten Farben ausgemalt, bunte Bilder für eine strahlende Zukunft. Ein stolzer Pharao, eine stolze Königin und ein ganz wunderbares Kind.

Doch dieses Bild war nun zerrissen. Tot. Unwiederbringlich weg. Sie schrie. Sie schrie und schrie, doch nichts davon schien auch nur einen Teil der Gefühle ausdrücken zu können, die sie nun überwältigten.

Schuld.

Trauer.

Wut.

Hass.

Frustration.

Angst.

Verzweiflung.

Und wieder Schuld.

Welches war der richtige Ausdruck? Was spiegelte die Leere am besten wider, die sie spürte und die ihr Herz zersplittern ließ? Was sollte nun geschehen? Wie sollte es weitergehen? Würde man ihr jemals wieder etwas so wichtiges wie ein Leben anvertrauen? Sie hatte sich als ungeeignet herausgestellt. Sie hatte alles falsch gemacht, hatte versagt. Wie sollte man ihr vertrauen können?

Teana nahm kaum etwas von dem wahr, das um sie herum geschah. Sie konnte nicht. Sie wollte nicht. Sollte die Welt doch stehen bleiben, sie wollte einfach nur verschwinden. War es nicht gleich, was nun geschah?

Verschwinden. Sie sollte verschwinden ... Nein, er sollte verschwinden. Sie hatte es gehört und stockte. Wer war er? Ruckartig riss sie ihre Augen auf, als sie begriff. „NEIN!“, kreischte sie, „SCHICK' IHN NICHT WEG!“ Sie zuckte, brach dann in Tränen aus. Plötzlich sah sie wieder, plötzlich spürte sie es wieder. Die Wirklichkeit. Kein taubes Polster, das sie umgab, kein Schutz. Völlig ausgeliefert.
 

Atemu stieß leicht die Luft aus, schluckte seine Wut hinunter. Das Land und Teana brauchten ihn. Qadir hatte es gesagt. Er wollte ihn verdammen, doch er hatte Recht. Er wollte ihn nicht sehen, doch sie wollte es. Sie war wichtiger.

Er stellte sich vor sie, den Blick nun sanfter. Wie nur sollte er ihre bitteren Tränen trocknen?

Er musste sich zusammenreißen. Er musste stark sein für sie. Vorsichtig wischte er einige ihrer Tränen weg, gegen alle kam er nicht an. „Beruhige dich ... Liebste“, sagte er eindringlich, besorgt.

Ihr Blick war völlig leer. „Bitte“, stieß sie nun kraftlos hervor, „Schicke ihn nicht weg ... Er hat mir geholfen ...“

Leise liefen die Tränen über ihr Gesicht, es schien ihr auf dem Herzen gelegen zu haben. Sie hatte es unbedingt sagen wollen, egal, ob es ihr die letzte Kraft nahm.

„In Ordnung“, versicherte er ihr und zog sie auf seinen Schoß. Erst dann fiel sein Blick auf den Arzt. Wollte er ihn hassen? Es wäre so einfach ihn für alles verantwortlich zu machen. Ihn zu verurteilen. Er schluckte, nahm dann seinen Befehl zurück. Sollte er bleiben. Wenn es Teanas Wunsch war, dann wäre er der Letzte, der ihn ihr verwehren würde. Er schloss die Arme um seine Verlobte, hielt sie schützend fest. „Alles wird gut...“, flüsterte er ihr ins Ohr, „Du wirst schon sehen...“

Sie drückte sich an ihn, nach Hilfe suchend, um Halt flehend. Sie konnte einfach nur weinen, konnte all das kaum glauben. Eine tiefe Traurigkeit hatte sie erfasst und sie wusste nicht, ob sie sich ihr jemals wieder würde entziehen können. „Warum...?“, fragte sie mit gebrochener Stimme.

Die Frage, die niemand beantworten konnte. Die Frage, die sie sich wohl immer stellen würde. Hätte es sich anders entwickelt, wenn er nicht fortgegangen wäre? Wenn er sie nicht ausgerechnet zu dieser Zeit im Stich gelassen hätte? Er wusste es nicht. Auch dies waren Fragen ohne Antworten. Gab es eine Möglichkeit eine solche Schuld zu tilgen? „Ich weiß es nicht“, brachte er leicht erstickt hervor.

Sie schluchzte. „Aber...“

Wie nur sollte man so etwas verstehen? Er schüttelte leicht den Kopf, drückte sie an sich und legte sein Kinn auf ihr Haar. „Alles wird wieder seine Ordnung einnehmen ...“ Er sagte es sachlich, weil er es anders nicht hätte aussprechen können. Seine eigenen Gefühle konnte er jetzt nicht gebrauchen. Er spürte einfach nur ein großes Bedauern ihr gegenüber und eine unsagbare Angst, sie auch zu verlieren. „Teana, beruhige dich ... du musst jetzt an deine Gesundheit denken...“

Doch wenn er gehofft hätte, sie damit zur Besinnung zu bringen, dann hatte er sich getäuscht. „Meine Gesundheit?!“, kreischte sie schrill, aufgebracht, „Wen kümmert es noch?! Ich bin es nicht wert! Ich habe versagt!“ Sie sackte in sich zusammen, in Tränen fast ertrinkend. Ihre Stimme wurde immer leiser. „Nicht einmal mein eigenes Kind konnte ich retten..!“ Ihr Blick verweilte hohl am Boden, der Kopf war gesenkt und sie sah nichts. Sie wollte nichts sehen. Der Schleier aus Salzwasser machte sie blind für alles um sie herum.

Ihr Anblick machte den Pharao tieftraurig. Teana, seine Teana. Ein Sonnenschein. War ihr Lächeln nun für immer hinter den Schleier verbannt? Der Klang von Schritten ließ Atemu aufsehen: Qadir war an sie herangetreten, er schüttelte den Kopf. „Es war nicht Eure Schuld“, sagte er leise, aber eindringlich, „Die Situation -“, doch Atemu schnitt ihm das Wort ab. Er wollte seine Unterstützung nicht. Er brauchte sie nicht. Im Augenblick hasste er alles um sich herum, jeden einzelnen und es gab nichts um diesen Hass zu besänftigen. Lediglich Teana konnte er bei sich ertragen, ihre Bedürftigkeit half ihm in der Wirklichkeit zu verweilen, obwohl sie nichts für ihn bereithielt. Sie tat ihm so unendlich Leid, war so unbeschreiblich hilflos und trotzdem liebte er sie über alles. Sie durfte nicht so schlecht von sich denken, durfte nicht an sich zweifeln. Sie durfte jeden verachten, nur nicht sich selbst. Er strich ihr behutsam über die Finger. Ob er es wollte oder nicht, er musste die Worte des Arztes wiederholen. „Es war nicht deine Schuld, Liebste, es war sicherlich ein Schicksal, das die Götter für uns gewählt haben“, sagte er streng, schluckte aber selbst. Welchen Verrat hatte er an die Götter begangen, der dies rechtfertigte? „Es ist keinesfalls deine Schuld. Ich hätte dich mit der Belastung einfach nicht allein lassen sollen.“ Wem hätte er etwas vormachen sollen? Er hasste sich selbst am allermeisten. Wenn er nur Seth allein mit den Truppen losgeschickt hätte, wenn er nur darauf bestanden hätte, dass Teana nicht dazu bereit gewesen war, das Land in seiner Abwesenheit zu regieren, wenn er es nur geschafft hätte, diesen Krieg irgendwie abzuwenden.

Die Brünette achtete überhaupt nicht auf seine Worte. Unablässig sprach sie sich die Schuld zu hysterisch, verzweifelt. „Ich habe es im Stich gelassen...“, sagte sie weinend. Dann weiteten sich ihre Augen in Abscheu und sie stieß sich selbst von Atemu weg. „WIE KANNST DU MICH LIEBEN WOLLEN?!“, fragte sie schrill, „ICH HABE DEIN KIND GETÖTET!!“

Vor den Kopf gestoßen. Er fühlte sich vor den Kopf gestoßen und entsetzt. Nie zuvor hatte er sie schreien gehört, nie zuvor hatte sie ein zorniges Wort an ihn gerichtet. Erschrocken starrte er sie an, während die Wut in ihm hochkochte. Wie konnte sie so etwas glauben? Wie konnte sie so etwas sagen?! „Sag' das nicht!“, zischte er fies, sich selbst total vergessend und auch an wen er das Wort richtete. Er stand auf, richtete sich vor ihr auf. „Es ist NICHT deine Schuld!“, brüllte er sie an, „Und nun krieg' dich wieder ein!“ Auch seine Stimme klang schrill, tiefer, aber trotzdem anklagend. Er konnte einfach nicht länger an sich halten. Wie konnte sie es sagen? Wie konnte sie es glauben? Wie nur konnte sie so dumm sein?!

Sofort im nächsten Moment jedoch erkannte er, dass er zu weit gegangen war. Teana stockte, starrte ihn mit weitaufgerissenen Augen an und begann hemmungslos zu schluchzen. Viel schlimmer als zuvor, immer weiter, bis sie kaum noch Luft bekam. Sie kam nicht wieder zu sich, war hoffnungslos gefangen in ihren finsteren Gedanken und in ihrer Angst. Die Zurückweisung hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Sie japste nach Luft, in ihren Schluchzern erstickend. Sie schnürten ihr die Kehle zu.

Panisch setzte Atemu sie zurück aufs Bett. „Teana ...“, hauchte er immer wieder, „Verzeih mir ...“ Sie musste atmen, musste unbedingt Luft holen. Was sollte er tun? Er war hilflos, verdammt dazu zuzusehen. Teana. Sie versuchte krampfhaft, den rettenden Atemzug zu erwischen, doch es klappte nicht. Ihre Augen weiteten sich vor Angst noch mehr, sie versuchte zu keuchen - vergebens. Voller Sorge betrachtete er seine Liebste. Es konnte nicht sein. Es durfte nicht sein. Er konnte sie nicht auch noch verlieren. Nein. Nicht jetzt. Nicht so. Niemals! Es durfte nicht sein. Was sollte er tun? Er wusste es nicht. Er konnte nur dastehen und zusehen. Sie starb. Starb direkt vor seinen Augen. Was hatte er getan? Was sollte er tun?

Erst als Qadir ihn etwas unsanft zur Seite stieß, bemerkte Atemu seine eigene Apathie. Der Arzt stand da, schüttelte nur immer wieder den Kopf, während er mit geschickter und geübter Hand hochkonzentriert nach einem Medikament griff, es in eine Schüssel füllte, den Inhalt eines kleinen Fläschchens mit Flüssigkeit hinzufügte und die Mixtur anzündete. Die Flamme erstickte schnell wieder, bis schließlich nur noch Rauch daraus emporstieg. Zurück blieb nichts als eine Paste. Eine Paste mit einem Kraut, das die Atemwege stärkte und weitete und das durch seine mentholische Wirkung einen tiefen Schlaf heraufbeschwor. Er tauchte seine Finger hinein, genau darauf achtend, dass er die Dämpfe nicht ausversehen selbst einatmete. Eigentlich hatte er darauf verzichten wollen, Teana in einen künstlichen Schlaf zu versetzen, doch ihr jetziger Zustand ließ ihm keine Wahl. Er stellte die Schüssel vorsichtig vor sich ab, legte seinen Arm um Teanas Schultern und hielt sie so fest, während er ihr mit der anderen Hand vorsichtig die Paste auf die Lippen strich. „Ihr müsst nun ruhig bleiben“, erklärte er ihr, „Es wird bald besser...“ Anschließend tauchte er ein frisches Tuch in die Paste und hielt es ihr unter die Nase. „Atmet ruhig ... gleich ist alles in Ordnung.“ Es dauerte nur Sekunden, bis sie in seinen Armen zusammengesackt war.

Was sollte er denken? Was fühlen? Alles in ihm ging durcheinander.

Unwillen.

Angst.

Hass.

Dankbarkeit?

Stumm beobachtete er Qadir, nicht fähig die Entscheidung zu treffen, die ihn entweder verurteilte oder in den Himmel pries. Er musste einfach glauben, dass er ihr helfen wollte, wenn nicht seine ganze Welt zerbrechen sollte. Einigermaßen ausdruckslos nickte er dem Arzt zu, ehe er seinen Platz einnahm. Er legte seine Verlobte gerade hin, deckte sie sanft zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich...“, sagte er leise, mehr jedoch brachte er nicht hervor. Er wusste genau, dass er die Schuld dafür trug, dass sie nun in diesem Zustand war. Oder wäre sie auch ohne sein Zutun hier gelandet?

Ein tiefer Schlaf und flacher Atem. Wie nur sollte nun jemals alles wieder gut werden? Wie sollte das Glück zu ihnen zurückkehren, wenn die Götter selbst gegen sie waren? War nun alles vorbei?

Er war erschöpft. Es war nur wenige Stunden her, da war er noch im Krieg gewesen. Müde zwar, doch zuversichtlich. Die Schlacht war schlauchend gewesen, doch zu der Zeit hatte er noch Hoffnung gehabt. Er ließ seinen Blick zu Boden sinken. Er wollte sie nicht sehen. Nicht so. Gebrochen und verletzt. Er hatte sie freudig begrüßen wollen, mit der freudigen Nachricht ihres Sieges. Hatte in seinen Alltag zurückkehren wollen. Nicht in einen Alptraum. Einen Traum, der ihn selbst im wachen Zustand noch quälte.
 

Was blieb ihm nun noch? Es war ihr erstes Kind, der Thronfolger des Landes. Hatte er so etwas geahnt, als er Seth zu seinem Nachfolger ernannte? Hatte er eine Vorahnung gehabt?

Nein.

Seth sollte Pharao sein um seinem Kind den Weg zu ebnen, sollte er selbst nicht dazu in der Lage sein. Falls er im Krieg gefallen wäre. Wenn er doch nur ...

Er verbot sich, diesen Gedanken weiterzudenken. Er musste jetzt leben – für Teana, für sein Land.

Er saß auf einem harten Stuhl, unbequem und eines Pharaos nicht würdig. Es war ihm gleich. Störte sich jemand daran? Allein durch Teanas Anblick wurde jeder Stolz sofort zerstört.

Qadir hatte längst wieder die Aufsicht über sie übernommen. Ihr Atem hatte sich in der Zwischenzeit stabilisiert, ihr Puls war immer noch ausgesprochen niedrig. Doch wenn sie nun nur ein wenig Ruhe bekam, dann war ihr Leben nicht mehr in akuter Gefahr. Erst als er sich vergewissert hatte, dass sonst alles den Umständen entsprechend in Ordnung war, kümmerte er sich darum, ihre Lippen von dem Medikament zu befreien und zu säubern.

Er hatte auch dem Pharao ein Beruhigungsmittel angeboten, doch dieser lehnte vehement ab. Seit Minuten nun saß er schweigend und in sich gekehrt auf dem Stuhl und schüttelte immer wieder den Kopf. Er konnte es nicht verstehen. Er wollte es auch nicht.

Er hatte das Gefühl, ein enges Familienmitglied verloren zu haben, auch wenn er das Kind weder gesehen noch wirklich gekannt hatte. Er hatte sich mit ihm verbunden gefühlt und diese Verbindung war nun abgerissen. Wenigstens Teana konnte nun schlafen. Es war sein einziger Halt. War dies wirklich wahr? Oder war es wirklich ein Alptraum? Sein Kind lebte, es musste so sein. Jeder, der das Gegenteil behauptete, log. Doch noch während er versuchte es sich einzureden, brach sein Lügenkonstrukt in sich zusammen.

Er seufzte tief, stand dann auf. Mit einem schnellen Blick vergewisserte er sich, dass Teana noch immer in einem tiefen Schlaf gefangen war und seufzte erneut.

Es war ihm nur noch eine Aufgabe geblieben. Er musste sich um sein Land kümmern.

Und so verließ er das Zimmer.

Versprechen

Dem Jungen zu entkommen, war an sich schon eine Glanzleistung gewesen, zu der er sich selbst beglückwünschte. Auch wenn er zugeben musste, nicht erwartet zu haben, dass eine einzige zerschmetterte Vase ausreichen konnte, seine Flucht in die Tat umzusetzen.

Der Junge war hartnäckig – das gefiel ihm. Mit ihm ließ sich etwas anfangen und der Zauber, den er kontrollierte, war auch nicht zu unterschätzen. Nebel. Keine Millenniumsmagie, einfach nur Nebel. Ein bisschen heißer Dampf, mehr war das nicht. Und trotzdem. Nie hätte er erwartet, dass es einmal etwas geben würde, das die Seelen von Kul Elna so einfach übergehen würde. Es war wirklich lustig. Normalerweise brauchte er sich nicht auf sie zu stützen und nun tat er es einmal und es hatte praktisch keinen Effekt. Egal.

Bakura grinste. Das machte die Sache nur spannender. Dieser Junge, die Priesterin, der Hohepriester – und natürlich Mana selbst. Der Palast war voll von interessanten Menschen, Spielfiguren, mit denen es sich lohnte zu spielen.

Ja, er hatte es geschafft, dem Jungen zu entkommen. Für einen kurzen Moment hatte selbst er gezweifelt, dass es ihm gelingen würde, doch er hatte das Spiel herum gerissen. Und nun? Nun würde er selbst ein wenig spielen. Nun würde er selbst ein wenig die Fäden ziehen. Er hielt seine kräftigen und muskulösen Arme vor seinem Körper verschränkt. Niemand konnte es sehen. Er war noch immer unsichtbar, stand direkt vor einem Teich. Wieso auch nicht? Sofort in den Tempel des Anubis zurückzukehren, während die Spielfiguren sich gerade bewegten, war ihm sinnlos erschienen und so war er stattdessen hier her gekommen. Der Palastgarten. Viel war hier schon geschehen, wie viel davon war ihm zu Ohren gekommen? Sie würden ganz sicher kommen.

Eigentlich hatte er nicht ganz so schnell mit ihnen gerechnet, doch die lärmenden Rufe, die über die Hecken und Beete klangen, belehrten ihn eines besseren. Die Kleine kam direkt auf ihn zu, wusste nicht, dass er bereits auf sie lauerte. Seine Tochter? Es war ihm egal. Ein kleines Mädchen ohne Erinnerungen? Das war schon weniger egal. Doch ein Kind, für das sie alle in die Bresche springen würden, kam ihm schon sehr entgegen.

Genau so, wie sie ihm entgegen kam. Er grinste kurz. Dann schlang er seine grobe Hand um ihre Hüfte, presste die andere auf ihren Mund und zog sie nach hinten. Er lachte auf. Unsichtbarkeit hin oder her, es war ihm gleich. Sollten sie doch wissen, dass er hier war, es war längst zu spät für sie. Zusammen mit Mana ließ sich Bakura nach hinten fallen, direkt in das Wasser des Teiches. Die Seelen von Kul Elna würden ihn schützen, doch was war mit ihr? Reichte ihre Abstammung um auch sie zu retten?

Nun, es kam auf den Versuch an, nicht wahr? Nur so würde er erfahren, ob sie es würdig wäre, seine Tochter genannt zu werden. Und nur so würde er erfahren, wie weit sie wirklich für sie gehen würden. Er grinste mit geschlossenem Mund. Der Teich war tief, sehr tief. Und er hatte Zeit. Das Mädchen strampelte wild, japste nach Luft, doch alles, was sie einatmen konnte, war Wasser. Sie versuchte an die Oberfläche zu kommen und plötzlich zog etwas an ihr. Er blickte auf, der Hohepriester war ins Wasser gesprungen, hatte ihre Hand ergriffen und versuchte sie nach oben zu ziehen. Doch daran waren zwei Leute beteiligt. Er zog fester an Mana, zog sie weiter in die Tiefe und sich selbst dabei ein Stück nach oben. Geschickt ergriff er die Hand von Seth, die Mana nicht erreichen konnte, und zog auch daran. In seinem schweren Gewand konnte er sich unmöglich dagegen wehren. Der Meisterdieb und der nasse Stoff selbst zogen ihn nach unten. Bakura hatte Mana längst wieder an sich gedrückt. Der Hohepriester war schwerer zu halten als das Mädchen, aber wesentlich leichter hinab zu ziehen. Ihm war es gleich, sollten sie halt beide hier ertrinken. Spielfiguren, die nichts taugten und solch essentielle Fehler machten, waren sowieso nicht zu gebrauchen und gehörten ersetzt. Seth musste wissen, dass es reinster Wahnsinn gewesen war, in vollem Gewand in ein Gewässer zu springen, selbst wenn er glaubte, dieses zu kennen.

Doch aufzugeben schien er nicht. Bakura spürte, wie etwas an ihm zog, feste, verzweifelte Griffe mit dem Ziel dem Dieb näher zu kommen. Seth rüttelte an seinem Arm. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, versuchte er den Griff um Mana zu lockern, sodass wenigstens sie frei kam. Der Weißhaarige hatte keine Chance. Wenn er sie unter Wasser halten wollte, dann musste er die Kleine loslassen. Doch so blieb der Hohepriester gefangen und wenn er ehrlich war: Das war doch wirklich wesentlich interessanter als ein kleines, gedächtnisloses Mädchen. Doch er würde den Preis zahlen, dafür, dass er ihn um seine Geisel gebracht hatte. Oh ja, das würde er schon noch bereuen. Ihn einfach nur ertrinken zu lassen, kam dem Meisterdieb zu langweilig vor, es war nicht seine Art, einfach zu warten. Nein, er nahm die Dinge gern selbst in die Hand und was er besonders gern in die Hand nahm, war sein Dolch. Sein über alles geliebter Dolch, den er nun mit aller Kraft in den Unterarm des Priesters rammte.

Und er genoss es. Er genoss das Gefühl, wie sich die Klinge langsam in das Fleisch bohrte, das zwar ein wenig Widerstand bot, aber letztendlich kein Hindernis darstellte. Er genoss den Schrei, den Seth ausstieß, während es ihn weiter nach unten zog. Und er genoss es zu sehen, wie das Wasser sich langsam färbte. Seine Aufgabe hier war getan. Er schubste den Hohepriester noch ein weiteres Mal in die Tiefe und löste sich dann wie bereits zuvor in Sand auf, der still in die Tiefe rieselte.
 

„MANA!!“, sie wusste nicht, was geschehen war, doch eines war klar: Es war alles viel zu schnell gegangen. Und wieder der Teich. Wieso geschah so viel an diesem Teich? An dem Ort, wo Manas Erinnerungen am lebendigsten waren? Es konnte nicht sein. Adalia riss die hellen Augen weit auf. „Ich wusste, wir hätten nicht nach draußen gehen sollen!“, fluchte sie, ehe sie entsetzt mit ansehen musste, wie Seth ohne zu zögern hinterher sprang. Hatte er denn den Verstand verloren? Was sollte das bringen? Er konnte doch so nicht schwimmen! „MEIN PRIESTER!“, rief sie außer Atem, fassungslos.

Sie rannte zum Teich, kniete sich davor, sah hinein, konnte jedoch kaum etwas erkennen. Das Wasser war viel zu aufgewirbelt dafür und doch wusste sie, dass es in diesem Gewässer nur eine Richtung gab: Nach unten. Es konnte nicht sein, es durfte nicht sein. Was sollte sie tun? Einfach abwarten? Warten und nichts tun war grausam. Einfach nur hoffen, brachte niemanden voran. Doch nun hatte sie keine Wahl. Wie gebannt starrte die Priesterin in das Wasser, hielt ohne es zu bemerken den Atem an. Sekunden. Minuten. Wie viel Zeit verging? Verging, ohne dass es ihr klar war? Es dauerte alles viel zu lange. War der Teich schon immer so tief gewesen?

Sie zögerte. Dachte sie wirklich darüber nach? War sie wirklich so dumm?

Nein, der Teich war definitiv nicht so tief gewesen. Niemand hätte sich eine solche Mühe gemacht ihn anzulegen, nicht einmal für den Palastgarten. Wie also konnte es sein? Wieso war das Was-

Adalia stockte. Magie? Nichts als ein Zauber? Dann konnte der Hohepriester ihn auflösen, wenn er es nur verstehen würde. Doch jegliches Denken schien ausgesetzt zu haben. Für Mana. Wieder Mana. Was hatte dieses Kind an sich? Sie konnte es nicht verstehen. Natürlich, auch sie sorgte sich um Mana, doch war es nicht nur, weil Seth es ihr aufgetragen hatte? Nein, entschied sie, sie sorgte sich aus freien Stücken um sie.

Warten war grausam. Man dachte über so vieles nach, gab sich den hinterhältigsten Gedanken hin, nur um die Zeit zu überbrücken. Deswegen war es besser zu handeln, anstatt einfach nur zu hoffen.

Adalia atmete tief durch. Endlich stieg das Mädchen wieder höher. Drückte sie jemand? Oder schaffte sie es von allein? Im Augenblick war es egal. Adalia griff besorgt ins Wasser, tastete nach etwas, das sie packen konnte und schließlich bekam sie Manas Kleid zu fassen. Sie handelte instinktiv, zog sie aus dem Teich ans rettende Ufer.

Diese lag nun hustend auf dem Boden, keuchend und Wasser spuckend. Viel zu viel davon hatte sie geschluckt, alles musste nun wieder raus. Die Kleider klebten an ihr, doch ansonsten schien es ihr soweit gut zu gehen. Wenigstens war sie wieder frei. Sie würde es überstehen. Irgendwie. So, wie sie alles überstand. Was war mit Seth? Wieso kam er nicht zurück? Was hielt ihn da unten?

Panisch fast rief die Priesterin nach dem Hohepriester. Sie musste die Nerven behalten, es brachte nichts, wenn auch sie durchdrehte. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Was hielt ihn da unten? Wieso kam er nicht hinauf? Mana war frei. Also konnte das nur bedeuten, dass er keine Wahl hatte. Sie schüttelte den Kopf. Musste es also doch sein. Kurzentschlossen stand die Priesterin auf, rannte auf Akim zu, trat ihm einmal kräftig gegen das Bein. „PASS‘ AUF MANA AUF!“, befahl sie, „UND WEHE IHR PASSIERT ETWAS!“

Verblüfft blinzelte der Nebeljunge sie an, überrascht und überrumpelt zugleich, gehorchte dann aber und lief zu Mana. Gut. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Blitzartig zerriss Adalia ihr langes Gewand und ließ es zu Boden fallen, darin konnte sie nicht schwimmen. Sorgsam legte sie den Fetzen der Pergamentrolle, den sie noch immer am Körper trug, dazu und sprang dann in den Teich. Sie musste ihn da heraus holen.

Das Wasser war kalt. Viel kälter, als es hätte sein dürfen. Ein Zauber. Es war nur ein Zauber. Gefährlich nur, wenn man nicht wusste, was es war. Sie tauchte tief hinab, die Kälte ignorierend, versuchte sich umzusehen, doch aufgrund des wenigen einfallenden Lichtes war ihre Sicht stark eingeschränkt. Wieso war es überhaupt schon so dunkel? Sie durfte jetzt nicht nachgeben, sie hatte nur wenig Zeit. Sie musste sich darauf konzentrieren, dass es nur ein Zauber war, und jede Magie war zu knacken. Sie hatte nur so lange Zeit, wie sie Luft hatte. Luft und Kraft, doch sie gab nicht auf. Schließlich hatte sie ihn. Sie konnte nur einen Arm um ihn legen, wenn sie schnell wieder an die Oberfläche wollte, doch er war unglaublich schwer. Der schwere Stoff und all der Schmuck waren ein zusätzliches Gewicht, das selbst im Wasser noch schwer zu bewegen war. Ihn jetzt jedoch von dem Schmuck zu befreien hätte Zeit gekostet, die sie nicht hatten. Wie lange schon war der Priester unter Wasser? Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren.

Lange.

Viel zu lange.

Mit aller Kraft schwamm sie und zog ihn mit sich, bis sie schließlich erschöpft die Wasseroberfläche durchstießen. Sie kletterte aus dem Wasser und zog Seth dabei hinter sich her. Er hatte das Bewusstsein verloren. Erst jetzt konnte sie das Blut sehen, das langsam aus der Wunde an seinem Arm sickerte und den Dolch, der noch immer darin steckte.

Dolch.

Dolch? Sie schüttelte den Kopf. „Bakura...“, keuchte sie verstehend und blickte sich rasch um. Wo war er? Wo versteckte er sich? Denn eines war sicher, in dem Teich war niemand mehr gewesen...

Doch sie konnte ihn nicht finden. Grimmig griff sie nach dem Fetzen, der einst ihr Gewand gewesen war, und wickelte sich den Stoff um den Körper. „Ich kriege dich schon...“, murmelte sie, „Verlass‘ dich drauf...“

Seth. Sie musste das Wasser aus seinen Lungen drücken. So leicht würde sie ihn hier nicht sterben lassen. Immer wieder presste sie ihre zitternden Hände auf seine Brust, bis er schließlich zu husten begann und das Bewusstsein zurückerhielt.

Adalia lächelte kurz. So, und nun war es an der Zeit, ihn von diesem Dolch zu befreien und sich um die Blutung zu kümmern. Was sonst um sie herum geschah, war egal, dies hatte Vorrang. Sie biss auf die Zähne. Welch eine Teufelei... Oh ja, sie würde Bakura kriegen, wenn dies hier erledigt wäre... Und wenn es das Letzte wäre, das sie tat, sie würde ihn dafür bezahlen lassen.

Adalia packte den Griff des Dolches um ihn herauszuziehen, bekam einen starken Schlag, der über ihre Finger in ihren ganzen Körper zu schießen schien, schrie auf und flog nach hinten. Ihre Augen waren vor Schreck und Schmerz geweitet. Was war das? Sie konnte den Dolch nicht herausziehen?!

Aber wie sollte sie ihm dann helfen?!

Seelen

Er war erschrocken und beeindruckt zugleich. Er verachtete, dass es wieder Mana getroffen hatte, doch dieser Dieb war wahrlich ein Meister. Wie er es geschafft hatte, von ihm unentdeckt zu bleiben war dem Violetthaarigen schleierhaft und gerade deswegen musste er es ihm hoch anrechnen.

Er war abgelenkt gewesen. Die Anwesenheit des Hohepriesters ging ihm auf die Nerven. Sollte Seth halt endlich sagen, was er dachte! Doch nein, der hohe Herr zog es vor zu schweigen und grimmig vor sich hinzustarren. Weil er Mana nicht beunruhigen wollte? Es war lächerlich. Er kannte Mana nicht, wenn er davon ausging, dass ihr sein bedrücktes Gesicht nicht aufgefallen wäre – ob sie nun Erinnerungen an ihre Zeit mit ihm hatte oder nicht. Aus irgendeinem – ihm unverständlichen – Grund hing das Mädchen an dem Priester und warf für ihn ihr Leben weg. Das Leben in Ketten hatte sie gewählt – nun gab es nichts mehr, das diese Ketten halten konnte.

Natürlich beunruhigte er Mana! Und deswegen musste sie davon abgelenkt werden. Deswegen hatte er seine Aufmerksamkeit schweifen lassen und nur deswegen war ihm das wichtigste entgangen. Bakura. Wieder war es Bakura. Er konnte nicht anders, es schien keinen Weg zu geben um um ihn herumzukommen an diesem Tag. Immer wieder war da Bakura. Die Vase? Da hatte er sich geschickt aus dem Staub gemacht. Und nun? Wie wollte er dieses Mal fliehen? Eines war Akim inzwischen klar geworden: der Weißhaarige war ein Überlebenskünstler ohne gleichen. Diese Seelen waren interessant, doch nicht wirklich nennenswert. Zumindest nicht für ihn. Er kannte eine Magie, die weit mächtiger war, weshalb also sollte diese ihn interessieren?

Ein heftiger Schmerz an seinem Knie riss ihn aus seinen Gedanken. Adalia. Erstaunt und perplex blickte er zu der Brünetten auf. Sie war immer wieder für eine Überraschung gut. Er sollte auf Mana aufpassen? Es war in Ordnung. Niemals würde er zulassen, dass ihr etwas geschehen würde, wenn er es verhindern konnte. Das musste auch die Priesterin inzwischen verstanden haben. Oder sie war einfach nur verzweifelt. Dies war die einmalige Gelegenheit Seth endlich loszuwerden, doch Adalia schien nicht sonderlich begeistert von diesem Gedanken zu sein. Es war schade. Bedauerlich. Die unerwiderte Liebe der Priesterin war herzzerreißend und niemanden interessierte es. Auch ihn nicht. Er hatte sich nun um Mana zu kümmern. Sie hustete und prustete, doch davon abgesehen schien sie unverletzt und das allein war im Grunde genommen schon ein Wunder. Bei all den Verletzungen, die sie noch immer auszukurieren hatte, hätte sie wesentlich mehr Schmerzen haben müssen, es hätte sie wesentlich schlimmer treffen müssen. Die Wunden hätten wieder aufgehen müssen und die gebrochenen Knochen wieder schlimmer werden müssen. Doch dies war nicht geschehen. Wer war dieses Mädchen? Was hatte sie an sich, dass sie jeder Regel trotze?

Das Husten verebbte, nicht aber ihre Angst. „NEIN!“, schrie sie aufgebracht und voller Sorge, und immer wieder seinen Namen. Seth. Sie sah Adalia hinterher, versuchte so schnell es ging aufzustehen, doch Akim hielt sie dezent zurück. Er hatte sich zu ihr auf den Boden gesetzt und bevor sie sich auf ihre Füße hatten stellen können, hatte er sie auf seinen Schoß gezogen. Sie zappelte. Sie wollte zu Seth, das war ganz eindeutig. Doch was sollte sie tun? Zurück ins Wasser springen? Es hätte niemandem etwas gebracht. Erst, als Adalia den Hohepriester an Land gezogen hatte, kehrte Ruhe ein in Manas aufgebrachtes Wesen. Sie starrte sie an. Sie beide. Adalia, wie sie ohne Bekleidung gegen das Wasser ankämpfte und Seth, wie er einfach nur auf dem Boden lag und sich nicht rührte. Und plötzlich gab es kein Halten mehr. Mana entriss sich Akims Griff, kämpfte sich gegen ihre Schmerzen angehend auf die Füße und lief einige Schritte auf Adalia zu. Doch dann blieb sie stehen. Ihre Augen waren groß, doch dieses Mal nicht voller Entsetzen. Sie war nicht allein. Einige wenige Geister schienen sich um sie zu sammeln, die Seelen von Kul Elna. Sie lenkten sie ab. Ein kurzes Lächeln schlich sich trotz der angsteinflößenden Situation auf Manas Gesicht. Waren ihr diese Wesen vertraut? Kannte sie sie etwa? Sie streckte ihre Hand nach einer Seele aus und kicherte leise.

Es war wirklich erschreckend einfach sie abzulenken. Immer mehr Seelen schienen zu ihr zu kommen, und es dauerte noch einige Sekunden, bis Mana wieder wusste, was sie eigentlich gewollt hatte. Bis ihr Blick wieder auf Seth fiel.

Akim beobachtete das Ganze mit gemischten Gefühlen. Hatte Bakura die Seelen zu ihr geschickt? Doch wieso griffen sie sie dann nicht wieder an? Wollte Bakura sie nur wieder zu sich holen? Sie dahin locken, wohin er nun verschwunden war? Denn eines war inzwischen sicher, im Teich war der Meisterdieb nicht mehr. Seine Präsenz war vollkommen aus dem Wasser verschwunden. Wie machte er das? War dies wirklich nur das Werk des Millenniumsringes? Oder steckte noch viel mehr dahinter? Diese Geister waren ja auch rätselhaft. Es war definitiv nötig, ihn im Auge zu behalten. Und wenn er es nur für Mana tat, einer musste die Verantwortung übernehmen. Seth hatte sich soeben glanzvoll für diese Aufgabe disqualifiziert.

Bakura... Wo war er? Akim hatte seine Augen bis auf ein schmalen Spalt geschlossen und versuchte grimmig eine einzige Bewegung des Meisterdiebes auszumachen. Er sollte sich zeigen. Feige in der Ecke verkriechen und verstecken - es passte nicht zu Bakura, der auch sonst gern die Zügel übernahm. Er war hier, Akim wusste es genau. Nur wo?

Er konnte nicht einfach nach ihm suchen, es war unmöglich. Adalia hatte ihn unmissverständlich an diesen Ort gebunden, er musste Mana bewachen, musste dafür sorgen, dass ihr nichts geschehen konnte. Und mit Bakura in der Nähe war die Wahrscheinlichkeit in Gefahr zu geraten doch verhältnismäßig groß. Er würde ihm schon noch früh genug wieder gegenüber stehen... Er konnte warten. Ob Bakura eine solche Geduld aufbringen konnte, konnte Akim nicht sagen und es war ihm auch egal. Eigentlich war der Meisterdieb ihm sowieso egal, sollte er doch im Palast leben, sollte er doch für Unruhe sorgen. Es kümmerte ihn nicht. Doch der Mann faszinierte ihn in seiner Unberechenbarkeit. Und es störte ihn die Verbindung, die er zu Mana zu haben schien. Seine Tochter? Es machte keinen Sinn. Wie viele Zufälle konnte es geben? Dass Manas Mutter ausgerechnet in dem Dorf der Räuber gelebt hatte, war vielleicht noch nachzuvollziehen. Doch dass ein Kind mit solcher Abstammung überhaupt an einer Priesterschule angenommen worden war, passte nicht ins Bild. Die Priesterschulen, die einen solch guten Ruf genossen und die solch hohe Ansprüche an ihre Absolventen stellten. Wieso sollten sie Mana aufgenommen haben? Einem Sklavenkind gab man eine solche Zukunft nicht, es konnte ohnehin nichts damit anfangen.

Ein lauter Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Ein weiteres Mal hatte die Priesterin ihn überrascht. Sie war daran gescheitert, Seth aus seiner Misere zu befreien? Akim schüttelte stumm den Kopf. Und wieder war es Bakura, das wusste er genau. Es war immer Bakura, alles ließ sich im Moment auf ihn zurückführen. Er hatte die Zeit gut genutzt, in der der Palast praktisch ungeschützt gewesen war.

Und dann plötzlich gab er sich zu erkennen. Ein lautes hinterhältiges Gelächter, das er wohl nicht mehr hatte zurückhalten können und Akim wusste genau, wo er war. Blitzschnell drehte er sich in dessen Richtung, holte mit dem Arm aus, als wollte er etwas werfen und tatsächlich schien aus seinem Arm eine Kugel herausgeschossen zu kommen, ein giftgrünes rundes Etwas aus Nebel, das mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf Bakura zuraste. Er konnte dem nicht entgehen, hatte nicht die Zeit zu reagieren. Ein weiteres Mal würde Akim ihn nicht in der Unsichtbarkeit verschwinden lassen. Die Substanz legte sich wie ein Schleier um den ungebetenen Gast und ätzte sich in seine Haut. Er konnte sich nicht mehr länger verstecken. Zufrieden grinsend begutachtete Akim sein Werk.

„Ich sagte dir schon einmal: Unterschätze mich nicht!“, spie er Bakura entgegen.
 

Das Wasser war allgegenwärtig gewesen und doch hatte es sie nicht wirklich erreicht. Sie hatte Unmengen davon geschluckt und doch war sie nicht ertrunken. Alles war so eigenartig, dass Mana überhaupt nichts mehr verstand. Wieso sie in den Teich gefallen war, wieso sie wieder heraus gekommen war, wieso sie soviel hatte husten müssen und wieso Seth nun einfach da lag. Was war mit Adalia? Wieso war sie schreiend zurückgeschleudert worden? Und wieso war Seth auf einmal wieder wach? Was waren das für Geister, für die sie nun keine Zeit hatte?

Sie schüttelte den Kopf, wollte verstehen, doch konnte es nicht. Wieso lachte Akim so? Sie sah genauer hin. Nein, es war nicht Akim, der lachte. Es war jemand anderes. Wer war es? Wer lachte? Woher kam diese Stimme?

Mana schaute sich um, drehte sich um sich selbst, versuchte verzweifelt zu verstehen. Es war verwirrend, äußerst verwirrend.

Hinter einem grünen Schleier kam ein Mann zum Vorschein, ein Mann mit vielen Muskeln und weißen Haaren. Mana kannte diesen Mann, sie hatte ihn schon einmal gesehen. Genervt strich sie sich die nassen Haare aus dem Gesicht und starrte ihn an. „Du!“, rief sie aufgebracht, als sie sich an die Situation in Seths Gemach erinnerte. Seinen Auftritt hatte sie nicht vergessen. Böse. Er war böse. Adalia hatte gesagt, das war ein böser Mann. Sie warf einen kurzen Blick zu Seth und drehte sich dann wieder zu Bakura. „Das warst du!“, wiederholte sie und in ihren grünen Augen funkelte ein Zorn, den sie sich selbst nicht erklären konnte. Sie trat einige Schritte auf den Weißhaarigen zu, entfernte sich dabei immer mehr von Akim. Sie wusste nicht, was sie tat, sie tat es einfach. Es war, als hätte sie einem Impuls nachgegeben, den sie nicht unter Kontrolle hatte. Plötzlich lag Manas Stab in ihrer Hand, sie hielt ihn drohend auf den Dieb gerichtet und wusste dennoch nicht, was sie damit tun sollte.
 

Untätig hielt sie ihn fest, während Akim sich bemühte möglichst ruhig an ihr vorbei zu gehen und sich so wieder vor sie zu stellen. Es war nicht gut, was hier geschah. Und doch versetze der Anblick von Manas Stab ihm einen Stich. Die Mana, die er einst kennen gelernt hatte, musste noch immer in ihr stecken, unterdrückt und gefangen in einem Körper, der nicht mehr ihr zu gehören schien. Er würde sie nie mehr wieder sehen. Diese neue Mana war gefährlich. Sie wusste nicht, was sie tat, war unbeholfen und verwirrte sich selbst.

Bakura knurrte ihn wütend an, beachtete Mana gar nicht. „Du wagst es...“, fauchte er wütend, strich sich kurz über den Arm und versuchte den Schleier wegzuwischen, er schüttelte den Kopf. Das Brennen auf der Haut ließ sich nicht leugnen. „Zugegeben, nicht schlecht...“, brummte er und starrte in Akims kalte Augen.

„Wie gesagt, unterschätze mich nicht“, wiederholte der Violetthaarige ruhig und berechnend, trat noch weitere Schritte auf ihn zu, immer darauf achtend, dass Mana nicht an ihm vorbei kommen konnte.

„Ich habe dich nie unterschätzt...“, gab Bakura nicht weniger kalt zurück, angriffslustig nun, da sein Stolz angegriffen wurde. Er hob seinen Arm, streckte ihn leicht aus und rief die Geister. Die Geister, die ihn immer beschützt hatten, die Geister, die ihm dienten, seit sie in den Millenniumsgegenständen ihrem Schicksal begegnet waren. Seit man ihren Seelen das Leben ausgehaucht hatte. Er sammelte sie um sich, rief sie herbei, nur um sie im entscheidenden Moment auf Akim hetzen zu können. Sie alle auf einmal. Sie stürzten sich auf ihn und Akim blieb nichts anderes übrig als auszuweichen. Er hätte sie ablenken können, doch er durfte Mana nicht in Gefahr bringen. Er hatte es Adalia versprochen und sie wäre vermutlich dumm genug um sich mit ihm anzulegen. Wie auch immer, nun war nicht die Zeit dafür. Die Seelen an sich waren kein Problem, ebenso wenig wie sie es zuvor gewesen waren. Doch es waren viele und somit kosteten sie Sekunden, die er anders hätte genutzt haben müsste. Er hatte sich um Bakura zu kümmern, der die kurze Zeit, die er für sich gewonnen hatte, effektiv zu nutzen wusste.

Als Akim seinen Blick wieder auf ihn richten konnte, hatte dieser einen Dolch in jeder seiner Hände. Er richtete einen davon grinsend auf Mana, in deren Hand ihr Stab noch immer wirkungslos zitterte. „Töchterchen, Töchterchen“, sagte er finster lachend, „Du überraschst mich jedes Mal!“

Abstammung

Ich widme dieses Kapitel abgemeldet ^^ Noch einmal alles Gute zu deinem Geburtstag ^^ Und nun viel Spaß!
 

Abstammung

Er konnte sie schon sehen und dann doch wieder nicht. Braunes Haar wehte in sein Gesicht, Tropfen fielen die hellen Strähnen hinab.

War es Mana? Hatte sie es geschafft? Eine Unruhe in ihm, die er sich nicht erklären konnte. Wieso war sie in den Teich gezogen worden, wieso gerade sie? Wieso traf es immer sie?!

Der Schmerz in seinem Arm war dumpf, aber störend. Es pochte im Einklang mit dem Blut, das er noch immer verlor. Was war das? Wer war der Mann gewesen? War etwa Shada zurück an den Palast gekommen? Ungesehen von allen?

Natürlich hatte er die Wachen angewiesen unter allen Umständen, nach ihm Ausschau zu halten. Ein einziger Schritt nur in die Nähe des Palastes und er wäre endlich sein. Dann könnte er ihm nicht mehr entkommen.

Doch war es Shada? Seth schloss einmal kurz die schweren Lider über seinen blauen Augen und blinzelte einige Male. Seine Sicht wurde klarer. Eines jedoch wurde ganz deutlich. Es war nicht Shada. Und was war auch nicht Mana, die über ihn gebeugt saß und seinen Arm begutachtete. Es war Adalia.

Sie ergriff den Dolch, der in seinem fleisch steckte und wollte ihn gerade herausziehen, als er merkte, dass es schief ging. Er hatte es gespürt in dem Moment, als die Priesterin das Metall berührt hatte. Ein einzigartiges Pickeln durchzog seinen ganzen Körper, ausgehend von der Verletzung und Adalias spitzer Schrei allein wäre wohl Beweis genug gewesen.

Was war nun geschehen? Er konnte es nicht verstehen. Doch dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit, das ihn an der Priesterin vorbeisehen ließ: Wieso hielt Mana ihren Stab in den Händen? Wie hatte sie ihn rufen können? Es war völlig unmöglich, dass sie ihn zu kontrollieren vermochte.

Leicht verzweifelt versuchte er sich auf die Füße zu ziehen. Sie brauchte seine Hilfe, jetzt und sofort. Er konnte nicht warten, bis es Adalia gelungen war, ihn von diesem Dolch zu befreien.

Er musste ihr doch helfen können, irgendwie. Er hatte es ihr doch versprochen.

Adalias empörte Blicke versuchte er soweit es ging zu ignorieren. Sie hielt sich ihren Arm, der den Schlag abbekommen hatte und war wieder an seine Seite gekommen, nur um zu beobachten, dass Seths Leichtsinn noch nicht vorbei war.

Doch Mana war ihm wichtiger. Sie konnte nicht allein gegen den Weißhaarigen antreten und auf Akim wollte er sich nicht verlassen. Es war von vornherein klar, dass der Junge keinen einzigen Befehl mehr von ihm annehmen würde und er hätte es nicht einmal getan, wenn sein Leben davon abhängig gewesen wäre. Der Hohepriester musste schluckend verstehen, dass er es ihm nicht einmal mehr verübeln konnte. Langsam aber sicher begann er, die Bedeutung seines eigenen Zaubers zu verstehen, seines Fluches. Er war es, der ihm die Erinnerungen genommen hatte, niemand sonst.

Das einzige, das dem Hohepriester blieb, war ein wackliges Vertrauen darauf, dass der Nebeljunge Mana nicht betrügen würde. Ein Vertrauen, für das es keinerlei Sicherheiten oder Rückhalt geben konnte.

Mit schweren Lidern beobachtete Seth, wie Akim von den Geistern angegriffen wurde und der Mann so die Gelegenheit bekam, seine Aufmerksamkeit ganz auf Mana zu verlegen.

Es durfte nicht sein! Wie sollte sie sich verteidigen? Wie sollte er sie beschützen? Es gelang ihm kaum sich aufzurichten. Er biss die Zähne zusammen, doch es half nichts. Er fand einfach keinen Halt. Er hatte so viel Blut verloren, dass ihm schwindelig war. Die Welt drehte sich vor seinen Augen. Gift. Die Klinge des Dolches war vergiftet und verzaubert. Das Metall konnte nicht entfernt werden, die Wunde sich nicht verschließen. Einzig und allein das fließende Blut war in Bewegung.

Und irgendwie gelang es ihm doch. Er stand. Zweifellos würde dies nicht lange so bleiben können, doch er stand - und zuckte unwillkürlich zusammen.

Töchterchen?

Er nannte Mana sein Töchterchen?!

Der Hohepriester war wie vom Donner gerührt. War das ... Das war also der König der Diebe? Das war Manas Vater!?

Doch ... Wie konnte er davon wissen? Hatte er sie wirklich wiedererkannt? Nach all den Jahren? Hatte Mana vielleicht eine solch große Ähnlichkeit zu ihrer Mutter? Kümmerte er sich denn so sehr um seine Sklavinnen, dass er ihre Gesichter selbst noch nach Jahren wiedererkennen konnte?

Sklavin. Konnte er wirklich so von ihr denken?

Es machte nur wenig Sinn.

Nein. Irgendjemand musste sie verraten haben. Die Schriftrolle war geheim und Adalia hätte ihr niemals etwas gesagt. War es etwa Akim gewesen?

Die zwei ungebetenen Gäste waren sich hier und jetzt nicht zum ersten Mal begegnet, das war vollkommen kar. Sprach denn etwas dagegen, dass er sich nicht auf Manas Kosten an ihm rächen wollte?

Er würde sich darum kümmern müssen. Es war nicht sicher für Mana, wenn der Nebeljunge in ihrer Nähe war. Fürs erste jedoch war er Meisterdieb das größere und dringendere Problem.

Die Geister wurden abgelenkt. Hatte Akim etwa irgendeinen Nebel gerufen um sich zu verteidigen? Es hätte zu ihm gepasst. Er spielte gern mit seinen Gegnern. Und wenn er nicht aufpasste, dann verpasste sein Gegner ihm den entscheidenden Schlag in der richtigen Sekunde. So war es zwischen ihnen damals abgelaufen. Akim - sich seiner Überlegenheit gänzlich bewusst - spielte und musste deshalb verlieren.

Doch was hatten diese Geister mit Mana zu tun? Sie umschwirrten ihren Kopf, schienen sich um sie zu versammeln, als würden sie sie decken wollen.

Nun vollends verwirrt, hielt das Mädchen inne. Sie blickte zwischen Bakura und Akim hin und her, anschließend fiel ihr Blick auf Adalia. Tränen stiegen in ihre Augen, sie blickte hilflos umher. Er musste ihr helfen, sie war völlig überfordert mit der ganzen Situation und es war seine Schuld. Er hätte sie nicht in den Garten bringen sollen, nicht an diesen Ort, der für sie beide sovieles beherbergt hatte.

Den Kopf schüttelnd kam sie auf ihn zu. Es war ganz offensichtlich, dass jeder Mut sie wieder verlassen hatte, wo auch immer er plötzlich hergekommen war. Sie griff nach seinem gesunden Arm und hielt ihn fest, den Blick jedoch ganz und gar auf den anderen fixiert. „Seth braucht nun Ruhe…“, murmelte sie leise und kindlich. Sie betrachtete den Dolch, konnte den Blick nicht davon abwenden und wieder schüttelte sie den Kopf. „Das ist böse…“

Adalia begriff als Erste, was Mana vorhatte. „Nein!“, rief sie entsetzt, und griff nach Manas Hand, die sich der Waffe genähert hatte, „Du darfst das nicht anfassen!“ Ein leichtes Flehen legte sich in ihren Blick. „Bitte, du musst mir unbedingt vertrauen…“ Ihre Gefühle waren gespalten, das konnte Seth selbst in seiner Besorgnis noch sehen. Sie wollte nicht, dass der Dolch noch länger in seinem Arm stecken blieb, doch sie wollte auch nicht, dass Mana etwas solch gefährliches versuchte. Sie hatte gespürt, wozu das führte und Mana hatte genug durchmachen müssen für einen einzigen Tag, es reichte.

Er richtete sein Augenmerk auf seine Verlobte. „Du hast recht, das ist böse“, stimmte er ihr zu, „Aber Adalia hat auch recht.“ Er sah sie an, sah es in ihren Augen glitzern. „Du musst keine Angst haben“, flüsterte er, „Bitte weine nicht.“ Nicht seinetwegen. Sie hatte genug leiden müssen seinetwegen. Es war an der Zeit, dass er sie endlich mal glücklich machte. Das Mädchen jedoch schien nicht allzu viel von alle dem zu halten und hören zu wollen. Sie fixierte die Priesterin kurz mit einem durchbohrenden Blick, dann stampfte sie laut mit den Füßen auf. „Ich will ihm aber helfen!“, protestierte sie fauchend, schluckte und senkte verzweifelt den Blick. Sie schüttelte leicht trotzig den Kopf, ohne die Tränen aufhalten zu können. Als sie wieder wahrnahm, was um sie herum geschah, erschrak sie kurz, bevor sich ein Lächeln auf ihr Gesicht legte. Wieder war da einer dieser Geister. Wieser war er bei ihr. Er umschlängelte leicht ihre Hand. Sie betrachtete ihn eine ganze Weile, ehe sie ihren Entschluss getroffen hatte.

Seth blieb nichts anderes übrig als sie zu beobachten. Er wusste nicht, was sie vor hatte, er wusste nicht, was der Geist an ihrer Hand zu bedeuten hatte und er wusste nicht, was er dagegen hätte tun sollen, ohne sie zu verschrecken. Ihr Lächeln beunruhigte ihn über alle Maßen. Niemand konnte sie aufhalten. Niemand konnte sie stoppen. Als Mana nach dem Griff des Dolches fasste, stockte sowohl dem Hohepriester als auch der Priesterin der Atem. Doch nichts geschah. Seelenruhig lag Manas Hand an der Waffe, bis sie ihn ruckartig aus der Wunde herauszog und zu Boden fallen ließ.
 

Es war unfassbar, wie einfach die Seelen abgelenkt wurden. Es war interessant. Es war überraschend. Und doch nicht völlig unerwartet. Das Schicksal schrieb sich seine eigene Wege, beeinflusste alles und doch nichts.

Von Mana dürfte keine Gefahr ausgehen. Sie war jung und unerfahren und außerdem absolut naiv. Er hatte sie nicht zu fürchten. Sie lenkte die Seelen? Es war eben ihre Aufgabe. Das Blut ihrer Mutter klebte in den Ruinen Kul Elnas an den zerstörten Wänden, ebenso wie ihr eigenes dort hätte kleben sollen.

Viel nervtötender war der Junge. Bakura verzog grimmig das Gesicht. Seine Haut brannte, als hätte man ein Feuer darauf angezündet. Er hatte sich das alles nun viel zu lange gefallen lassen, es war von Nöten, dass Akim lernte, was es hieß zu bereuen.

Doch dieser ließ sich nicht beeindrucken. Anstatt sich von ihm einschüchtern zu lassen, warf er eine weitere ätzende Nebelkugel auf den Meisterdieb, die sich durch dessen Kleidung fraß. Es wurde Zeit, dass er ging. Dass er verschwand und dem Palastleben ein wenig Ruhe gönnte. Nicht für Seth, sondern für Mana.

Es war Zeit, dass er ging. Bakura fauchte auf, sah Akim sauer an. Der Junge machte nichts als Ärger, jedes Mal, wenn er ihn sah. Es musste endlich etwas geschehen. Etwas, was nicht einfach so an ihm vorbei ging und dass Eindruck bei ihm hinterließ. Bakura griff mit den Fingern seiner rechten Hand an die Klinge des Dolches aus seiner linken und brach die Spitze ab. „Du hast es gewagt...“, sagte er finster und trat auf einigermaßen wackligen Beinen auf den Jungen zu, der davon völlig ungerührt schien, „Aber niemand wird mich je töten können!“ Er war davon überzeugt. Er hatte bis hierhin überlebt und er würde auch weiter überleben. Egal, wer sich gegen ihn stellte, ob es Akim war oder jemand anderes, er würde ihn immer besiegen können. Er würde jede Herausforderung annehmen.

Mit einer plötzlichen Bewegung schleuderte Bakura den Splitter des geliebten Dolches auf Akim zu, er verfing sich in der Haut seines Halses. Wenigstens er würde ihm nicht entkommen.

Sollte Mana sich doch um den Hohepriester kümmern, sollte sie das Spiel doch künstlich verlängern. Er würde damit zurecht kommen. Der Dolch, den er benutzt hatte um Seth zu verletzen, war ein ganz besonderer gewesen. Eine der Seelen war in ihn eingewoben gewesen und hatte eine bessere Wirkung gezeigt als jedes Gift oder jeder Zauber, der dem Meisterdieb bekannt war. Er hatte nicht erwarten können, dass Mana die Verbindung würde lösen können, doch es war halt letztendlich ihre Aufgabe. Wie sollte er eine solch edle Abstammung anzweifeln?

Doch während sie sich um den Priester kümmerte, sollte der lästige Nebeljunge leiden. Er würde ihn schon noch gefügig machen, irgendwann. Unter allen Umständen. Jetzt jedoch war er es, der gehorchen musste. Er musste die Substanz von seinem Körper loswerden und das so schnell es ging. Es war wirklich ausgesprochen unangenehm, doch das würde ihn nicht aufhalten. Er würde schon noch bekommen, was er wollte. Würde bekommen, was ihm rechtmäßig zu stand. Und er würde sich an Akim rächen.

Doch gegen die Säure gab es nur eines, dass er tun konnte: Er musste fürs erste verschwinden, ganz nach Akims Geschmack.

Ungewissheit

Sie saß an ihrem Zimmer und wusste nicht weiter. Seth war wieder zurück, Adalia war da und auch Akim schien einen Platz gefunden zu haben, an dem er nicht entbehrlich war. Nachdenklich warf Kisara ihr langes, weißes Haar über ihre Schultern. Wurde sie hier wirklich noch gebraucht? Welchen Sinn hatte es noch, hier zu bleiben? Sie war doch einfach überflüssig. Wer würde sich schon dafür interessieren, ob sie hier war oder nicht?

Viel zu lange schon gab das Drachenmädchen sich ihrem Selbstmitleid hin. Sie war es satt. Es störte sie so sehr, dass sie wiederum einen Grund darin fand, sich selbst zu verachten. Sie schüttelte den Kopf. Sie dachte zu viel, eindeutig. Wäre sie nicht gewesen, hätte alles anders ausgesehen, ihre Hilfe war überaus entscheidend gewesen. Also konnte sie doch stolz sein, oder nicht? Seth hatte sich bei ihr bedankt. Er musste noch irgendetwas in ihr sehen, oder? Wäre sie ihm nicht andernfalls völlig egal gewesen?

Sie starrte aus dem Fenster. Wollte sie hier bleiben? Hier, wo alles sie an die alte Zeit erinnerte? Nein. Eigentlich nicht. Doch wo sollte sie hin? Sie hatte keinerlei Besitz und sie kannte auch sonst niemanden. Sie wollte sich keinem aufzwingen. Die Sicht vor ihren Augen verschleierte. Sie schüttelte den Kopf. Es lief falsch. Alles hier verlief absolut falsch. Und es gab nicht, das sie dagegen tun konnte.
 

Ihren leicht tauben Arm konnte sie nur ignorieren. Wieso sollte er ihr etwas bedeuten? Sie spürte ihn noch, das lähmende Gefühl, das sie seit dem Rückstoß hatte, ließ langsam aber sich nach, verlor an Intensität. Wieso sollte sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, wo es doch etwas viel wichtigeres zu beachten galt?

Die Priesterin war verwirrt und erleichtert zugleich. Sie hatte Mana aufhalten wollen, sie vor dem Schlag beschützen wollen, den sie kommen gesehen hatte, doch dann stellte sich heraus, dass ihre Sorge unbegründet gewesen war. Wie konnte das sein? Wie kam es, dass Mana diese Tat geschafft hatte, obwohl sie selbst so erschütternd daran gescheitert war?

Sie atmete tief durch. Für den Moment war es egal. Es zählte nicht. Was zählte, war dass Seth endlich von diesem ... Ding ... befreit worden war. Nun endlich konnte man seine Wunde versorgen, nun endlich konnte sie ihm helfen.

Adalia stand auf und schloss Mana in die Arme. Sie war ihr dankbar, unendlich dankbar. „Danke schön“, flüsterte sie in ihr Ohr und küsste sie auf die Wange. Leicht verwirrt lächelte Mana, bestätigt und zufrieden. Doch die Überraschung über Manas unerwarteten Erfolg blieb bestehen.

„Wie hast du das gemacht?“ Es war der Hohepriester selbst, der die Frage aussprach, die in Leuchtschrift ungesehen im Raum stand. Seinen Arm zierte eine klaffende Wunde, doch in seinen Augen glänzte Dankbarkeit und Verwunderung.

Mana tapste von einem Bein auf das andere. Leicht lächelnd und unsicher zuckte sie mit den Schultern. „Wieso?“, fragte sie wissbegierig, „War doch ... einfach?“ Sie schien nach den passenden Worten zu suchen.

Adalia kannte dieses Verhalten bei ihr nun schon ausgesprochen gut. Sie legte es immer an den Tag, wenn sie einen Sachverhalt in ihren beschränkten Worten zu erklären versuchte. Sie wollte verstanden werden, wollte die Selbstverständlichkeit spüren, die die Grundlage für ein funktionierendes Gespräch darstellte.

Sie empfand es also als einfach. Es warf einige Fragen auf. Wie war es Mana möglich gewesen, den Dolch zu ziehen? Besaß sie etwa eine magische Kraft, von der sie bisher nichts wussten? War es ihr nicht auch gelungen, ihren Stab zu rufen?

Doch halt. Sie hatte diese Magie. Der Stab gehörte ihr, hatte ihr gehört, doch sie konnte ihn nun nicht mehr benutzen. Sie wusste nicht, was sie tat, doch diese Magie besaß sie zweifellos. Doch konnte das ausreichen, um den Zauber des Dolches aufzuheben? War ihre Magie so groß?!

Die Priesterin war sich sicher, dass nicht einmal Seth diese Kraft gehabt hätte und wenn doch, dann nur mit Hilfe des Millenniumsstabes und in einwandfreier körperlicher Verfassung.

Sie konnte eine solche Macht nicht beherbergen, ohne jemals einen Zugriff darauf gehabt zu haben. Es war unmöglich. Doch wie konnte es dann angehen?

Angestrengt dachte Adalia nach und kam doch zu keinem sinnvollen Schluss, bis sie schließlich wieder zu dem Mädchen aufsah, das unschuldig lächelnd mit einem der Geister spielte und ihn um ihren Finger wickelte.

„Ich glaube, sie haben geholfen“, flüsterte sie, drehte ihren Kopf um sich umzusehen und erstarrte traurig, als sie das Blut sah, dass des Hohepriesters nasses Gewand färbte. Mit betroffenen Augen starrte sie durch den Geist hindurch zu Seth, als etwas geschah, das sie mehrfach blinzeln ließ.

Einer der Geister schwebte über ihren Kopf hinweg, legte sich auf die Wunde an Seths Arm und heilte diese fast vollständig. Lediglich eine starke Rötung blieb erhalten und doch war der Unterschied enorm.

Adalia stockte, durcheinander, verwirrt. Sie atmete einmal tief durch, nicht um Zeit zu schinden, sondern lediglich um ihre Gedanken zu ordnen. Es war also tatsächlich wahr. Es war fast nicht zu glauben, doch sie hatte es gerade mit ihren eigenen Augen gesehen. Die ganze Zeit über hatte die Priesterin gehofft, es wäre doch eine Lüge gewesen, doch Mana schien tatsächlich die Kontrolle über diese Geister zu haben. Die Geister, die Bakura erst gerufen hatte. Manas Vater.

Es war wohl gut so, zumindest für den Moment. Seths geheilter Arm war wirklich eine Erleichterung, wenn man es genau betrachtete. Es hätte Wochen gedauert, eine solche Verwundung zu heilen und das auch nur mit sehr viel Glück.

Ein leichtes Zittern ging durch ihren Körper. Erleichterung, Kälte, sie konnte die Quelle nicht benennen.

Die heilende Wirkung war dem Hohepriester anzusehen, wenn auch Erstaunen mit einwirkte. Er musste dieselben Gedanken gehabt haben wie sie, der Schatten, der sich kurz über seine Augen gelegt hatte, sprach Bände. Manas Vater. Konnte sie das so hinnehmen? Konnte man ignorieren, dass die Verlobte des Hohepriesters, des Thronfolgers von Ägypten nicht nur keine Erinnerungen mehr hatte, sondern zusätzlich noch den König der Räuber zum Vater?

Blieb ihnen denn etwas anderes übrig? Seth hatte Mana versprochen, dass sie würde bei ihm bleiben dürfen, egal, was auch geschah. Sie wusste davon heute jedoch nichts mehr...

War Seth bereit, sie zu betrügen um die Etikette zu wahren?

„Und jetzt?“, platzte Mana in ihre Gedanken und sah erwartungsvoll zwischen der Priesterin und dem Hohepriester hin und her.

Adalia lächelte. Manchmal war sie wirklich niedlich. „Jetzt gehen wir wieder hinein“, antwortete sie bestimmend, „Es wird wirklich Zeit, dass wir etwas trockenes anziehen.“ Mana selbst mochte es vielleicht ignorieren, doch der Priesterin war ihre Gänsehaut aufgefallen. Es fehlte nur noch, dass das Mädchen erkrankte, um ihre Heilungschancen noch weiter sinken zu lassen. Ihr Körper litt schon genug.

Es war fast ein Jammer, dass diese Geister sich in Luft aufgelöst hatten, kurz nachdem Bakura verschwunden war. Nachdem, was sie eben bezeugen durften, hätte es da nicht möglich sein müssen, dass Mana sich selbst heilte? Bestand nicht diese Möglichkeit? Oder reichte ihr Mitleid für sich selbst nicht aus um einen solchen Wunsch auf diese Geister zu übertragen?

Es war wirklich schade. Musste es also so gehen. Mana musste genesen und das durch ihre eigene Kraft.

In der Zwischenzeit war Seth dem Beispiel der Priesterin gefolgt und hatte sich ebenfalls erhoben. Auch ihm klebten die Stoffe am Körper, blutig und nass. Es war nur allzu deutlich, dass nichts ihn länger an diesem Ort hielt. Etwas widerwillig schien auch Mana zuzustimmen. Vermutlich tat sie es nicht aus dem Grund, dass sie es für gut erachtete, sondern vielmehr, weil sie davon ausgehen musste, dass sie sich nicht gegen Seth und Adalia würde durchsetzen können, aber sie tat es. Schneller als die beiden anderen lief sie los, lief voran, bis sie bei Akim ankam und erneut stehen blieb. Er war an der Stelle verharrt, wo er bei seinem Angriff auf Bakura gewesen war, offensichtlich unentschlossen, ob er hätte gehen sollen oder nicht. Das zufriedene Grinsen, das sein Gesicht zierte, seit der Weißhaarige verschwunden war, ließ ihn überheblich aussehen, wie einen jungen Gott, der soeben die Welt neu erschaffen hatte.

Sie grinste ihn an. „Kommst du mit?“, fragte sie frech und fügte zwinkernd hinzu: „Falls du mithalten kannst?“

Er lächelte sie an. Kümmerte er sich um die Zustimmung des Hohepriesters? Es machte nicht den Eindruck. „Glaubst du nicht, dass ich mithalten könnte?“, hielt er dagegen, wohlwissend, dass dies wohl genau die Reaktion war, auf die das Mädchen gehofft hatte.

„Nein!“, gab sie kichernd zurück und lief dann los, an ihm vorbei in den Palast.

Adalia schüttelte leicht resignierend den Kopf. Für die Sicherheit des kleinen Wirbelwindes zu sorgen, war alles andere als einfach. Wieder war sie voraus gelaufen. Wieder hatte sie sich nicht an die Abmachung gehalten. Wieder hatte sie sich genau so verhalten, wie auch die frühere Mana gehandelt hätte. Völlig instinktiv nur das machend, was ihr gefiel.

Akim blieb noch immer stehen. Wollte er nicht hinter Mana hinterher? Er war ein eigenartiger Junge. Er schien tatsächlich auf die Bestätigung von Seth zu warten. Tat er das für Mana? Damit sie nicht Zeugin einer Auseinandersetzung würde sein müssen? Oder tat er das für sich selbst? Als persönliche kleine Rache? Seth hatte doch keine andere Wahl, als ihm den Umgang mit Mana zu erlauben, wenn er sie nicht verletzen wollte. Und tatsächlich, fast unmerklich nickte der Hohepriester ihm zu.

Noch immer wusste Adalia nicht, was sie von ihm halten sollte oder ob sie ihm trauen konnte. Sie hätte gern an ihn geglaubt, doch die Kehrseite war äußerst dominant. Akims Hass und seine Verachtung Seth gegenüber war nahezu grenzenlos. Und der Nebel, den er kontrollierte ... er war schon so oft gegen sie verwendet worden, wie sollte man ihm da trauen?

Er war nicht so harmlos, wie er aussah, das stand auf jeden Fall fest.

Bevor er sich in Bewegung setzen konnte um Mana zu folgen, hielt Adalia ihn auf. „Mana mag dich wirklich sehr...“, sprach sie ihn leise an. Es war lediglich eine Feststellung gewesen, er musste es längst bemerkt haben. Sie konnte nur hoffen, dass er ihre Lage und ihr Vertrauen nicht ausnutzen würde. Ernst betrachtete sie sein Gesicht. „Du bist dem König der Diebe gerade nicht zum ersten Mal begegnet, habe ich Recht?“ Es war ihr aufgefallen. Die Art, mit der er Bakura begegnet war, ließ keinen Zweifel daran übrig. Sie musterte ihn genau. Dieses Wissen war wichtig. Wie standen die beiden zueinander? Was grenzte sie voneinander ab?

Sie hätte dieses Gespräch gern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, doch es musste sein. Anstatt nun also in ein trockenes und vor allem heiles Gewand zu schlüpfen, stand sie da, hielt die zerrissenen Fetzen eng an ihren Körper gepresst und betrachtete den Violetthaarigen aufs genaueste.

„Sie hat mich schon immer gemocht“, gab Akim nachdenklich zurück, „Ich weiß nicht, woran das liegt.“ Die Aufrichtigkeit der Verwunderung stand in seinen Augen geschrieben. Wenigstens ehrlich schien er sein zu wollen, das war sehr gut. Seine Worte filtern zu müssen, hätte als nur verkompliziert.

Er wurde ernster. „Nein, ich bin ihm nicht zum ersten Mal begegnet“, gab er zu, doch der Widerwillen in seiner Stimme stieg. Offensichtlich wollte er nicht über seine Begegnung mit dem Räuber sprechen. Oder lag es etwa daran, dass Mana im Grunde nicht mehr einzuholen war? Lag es eventuell daran, dass er durch dieses Gespräch Manas Spiel verlor? „Vorhin erst stand ich ihm gegenüber“, fuhr Akim unbehelligt fort, „Er ist ein interessanter Mensch.“ Gedankenverloren blickte der Junge auf den Teich und dann auf die Stelle, an der Bakura verschwunden war.

Klang Anerkennung in seiner Stimme mit? „Ein interessanter Mensch?“, fragte sie überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Auf wessen Seite stand der Junge? Sie hätte es wirklich zu gern gewusst. „Wie meinst du das?“ Es interessierte sie brennend und sie würde ihn auch erst gehen lassen, wenn sie die Antworten bekommen hatte, nach denen sie suchte.

Um Mana musste sie sich für den Moment nicht kümmern. Sie wusste genau, dass Seth ihr folgen würde. Es gefiel ihr zwar nicht, doch der Hohepriestertat für das Mädchen so ziemlich alles, was sich nicht für einen Mann von seinem Stand geziemte. Er würde sie jetzt nicht allein lassen, nicht, wo er gerade erst wieder zurück war. Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Akim. „Du standest ihm gegenüber?“, wiederholte sie seine Aussage skeptisch, „Und er hat dich gehen lassen?“ Sie war nicht überzeugt.

Er lächelte sie an, schien so etwas erwartet zu haben. Wissend sah er sie an. „Er ist nicht zu unterschätzen“, antwortete er schließlich, wieder ausweichend, „Aber ja, ich stand ihm gegenüber. Wir haben es bei einem Unentschieden belassen. Obwohl ... Nun liege ich wohl in Führung“, fügte er stolz hinzu.

„Ein Unentschieden?“, sie schaute überrascht. „Und das hat er einfach hinge-?!“

Etwas, das sie nicht hatte kommen sehen, riss an ihr, zerrte sie nach hinten. Erschrocken schrie sie auf. Etwas Kaltes legte sich um ihre Handgelenke, zwang sie ihre Arme auszubreiten. Eiskalt und fast durchsichtig: Geister. Sie waren so schnell gekommen, dass die Priesterin nicht die Gelegenheit bekommen hatte, irgendwie zu reagieren.

Sie wurde vor eine Wand gezogen, wurde mit dem Rücken dagegen gedrückt und ihre Hände waren wie durch enge Ketten gefesselt. Fast hätte sie des Gleichgewicht verloren, doch die Geister hatten sie davor bewahrt. Sollte sie etwa dankbar sein? Adalia biss die Zähne zusammen. Und dann sah sie ihn. Bakura. Offensichtlich hatte er es nicht einfach hingenommen.

Sie musste weg von hier, musste sich irgendwie befreien. Und wieder beschlichen sie Zweifel. Konnte sie sich auf Akim verlassen? Oder war alles nur ein abgekartetes Spiel?

Vergangenheit

Eine Niederlage eigestehen? Nie im Leben würde es dazu kommen. Sie würden es schon noch bereuen, dass sie es überhaupt gewagt hatten, sich mit ihm anzulegen. Mit ihm! Wie konnten sie nur?!

Es war lange her, dass er eine solche Unbefriedigtheit gefühlt hatte, eine solche Wut... Selbstverständlich hatte es schon weit schlimmeres gegeben. Die Zerstörung seines Heimatdorfes für die Herstellung von ein paar magischen Gegenständen ... Nun, wenigstens der Millenniumsring tat ihm gute Dienste und auch die rachesuchenden Seelen von Kul Elna kontrollieren zu können, hatte durchaus seine Vorteile. Und nun? Er war aufgebracht. Er war äußerst aufgebracht. Die Kontrolle über die Toten Kul Elnas sollte ihm gehören! Ihm allein! Nur ihm sollten die Seelen Schutz geben! Niemandem anderes!

Dass Mana ihm diese Kontrolle streitig machen konnte, störte ihn über alle Maßen. Er biss sich auf die Lippen. Seine Tochter?

Pah!

Er hatte keine Tochter. Er hatte noch nie eine gehabt. War dieses Kind Manolyas persönliche Rache an ihn? Sollten sie es doch versuchen. Niemand konnte ein Spiel gegen ihn gewinnen.

Dennoch regte es ihn auf. Mana... und Akim. Wie kam er dazu, ihn so vorzuführen?! Zugegeben, er hatte ihn überrascht. Aber ohne diese ätzende Substanz hätte er niemals etwas ausrichten können.

Bakura saß auf seinem Thron im Tempel von Anubis. Er war hierher zurückgekehrt, weil es ihm als der sicherste Platz vorgekommen war. Hatte er gewusst, dass die Substanz flüchtig war? Nun, er hätte es sich denken können, immerhin bestand alles nur aus einem bisschen Nebel. Doch gewusst hatte er es nicht. Er hatte keine Ahnung gehabt.

Aber gut, war es, wie es war. Er würde das Ganze schon zu seinen Gunsten zu drehen wissen. Irgendwie würde er derjenige sein, der sich am Ende im Licht des Triumphes würde rekeln können. Er verschloss die Augen, lehnte sich in seinem edlen Sitz zurück und dachte nach. Er musste sich etwas einfallen lassen, etwas, das ihn das Blatt wenden ließ. Mana war also seine Tochter? Nun ja, das hatte doch etwas. Sollte sie Königin werden, hatte er dann nicht offiziell Zugang zum Palast? So als Brautvater?

Grinsend sinnierte der König der Räuber vor sich hin. Nicht, dass er nicht ohnehin längst Zugang zu den königlichen Gemäuern hatte... aber trotzdem, das konnte man nutzen. Er konnte in die Regierung eingreifen und das sogar ganz legal. Nahm das der Sache nicht den einzigen Reiz, den man in ihr sehen konnte? Wo blieb der Spaß dabei? Allerdings... Er konnte ausnutzen, dass dieser lächerliche Hohepriester sie um jeden Fall retten wollte. Das war nun wirklich nicht sonderlich eindrucksvoll gewesen am Teich. Bakura verschränkte die Arme. Ja, doch, das gefiel ihm.

Ein Problem jedoch war erst einmal dieser Bursche mit dem Nebel. Sah er es ebenfalls als ein Problem an, dass Mana sich in seine Macht einmischte?

Macht...

Bakura lachte wahnsinnig auf, blickte sich um. Ein Skarabäus krabbelte an der Wand gegenüber von ihm hinauf. Er war knapp zehn Meter von ihm entfernt. Der Meisterdieb seufzte resignierend.

Konnte er seine Wut beherrschen?

Er zog seinen Dolch, richtete seinen Körper zu dem Käfer aus und schleuderte die Klinge lustlos auf das Tier, das dadurch perfekt aufgespießt wurde. Es brachte nichts. Es befriedigte ihn nicht. So machte es keinen Spaß. Es war langweilig. Er erhob sich von seinem Thron, griff nach einigen Dolchen und zwei goldenen, schweren Halbringen und steckte sie ein.

Die Substanz machte ihm nicht mehr zu schaffen, also war er auch nicht gezwungen sich zu verstecken. Es gab sowieso keinerlei Anreiz hier zu bleiben, wo doch die interessanten Personen noch immer draußen waren und nur darauf warteten, beschäftigt zu werden. Er wollte seine kostbare Zeit nicht einfach nur sinnlos vergeuden und vor Langeweile vergehen.

Akim. Bei ihm würde er anfangen. Ihn zu finden, durfte eine Kleinigkeit sein, immerhin hatte er ihm sein eigenes Zeichen verpasst. Die Metallspitze des Dolches. Sie war in die Haut des Nebeljungens eingedrungen und konnte dem Räuber nun als Wegweiser dienen.

Ein Weg, der klar vor ihm lag. Sie hatten sich also noch nicht bewegt. Noch immer waren sie im Garten. Er grinste. Es hatte sich in der Zwischenzeit etwas verändert, das konnte er nicht leugnen. Weniger Publikum. Es kam ihm durchaus gelegen. Es war an der Zeit, dass er nicht mehr unterbrochen wurde. Aus dem Hinterhalt agieren und seinen Vorteil ausspielen – genau das war seine Stärke. Er hatte die Goldringe in seinen Händen und die Geister an seiner Seite.
 

Ihre Füße trugen sie schneller, als sie es eigentlich erwartet hatte, aber sie freute sich trotzdem darüber. So konnte Akim sie ganz gewiss nicht einholen! Er war viel zu langsam! Sie strahlte.

Eine ganze Weile lief sie weiter, lächelte dabei. Doch je länger sie lief, desto ruhiger wurde sie. Es passierte nichts. Niemand folgte ihr, niemand lief ihr hinterher. Sie hatte so viele Fragen, so viele unbeantwortete Fragen, die nun alle wieder durch ihr Bewusstsein schwirrten. Sie konnte sie sich nicht beantworten, konnte sie nicht zuordnen und nichts damit anfangen. Für einen kurzen Moment schien sie zu schmollen, dann jedoch betrat sie den Palast und wurde von der imposanten Größe des Gemäuers in den Bann gezogen. Die Gänge waren von Kerzen erhellt und sie lief hindurch. So langsam kannte auch sie sich aus, sie wusste, wo sie entlang zugehen hatte, wo sie abbiegen musste um an ihr Zieh zu kommen. Auf dem Weg begegneten ihr nur wenige Palastwächter oder noch weniger Tempeldiener. Sie alle verneigten kurz ihren Kopf vor ihr, doch Mana dachte sich nichts dabei. Kichernd lief sie weiter und senkte kurz dem Kopf, als sie dem nächsten über den Weg lief, der wiederrum verdutzt zu ihr blickte.

Das Mädchen kümmerte sich nicht um sie. Adalia hatte gesagt, sie sollte etwas Trockenes anziehen. Mana lächelte. Sie war stolz auf sich! Sie wusste, was sie zu tun hatte, etwas angezogen hatte sie sich schon öfter. Oder besser gesagt, hatte sie sich brav von Adalia anziehen lassen. Die Priesterin war dafür immer in einen Raum gegangen, der neben dem Gemach von Seth war, hatte dort Kleidung hergeholt. Mana lächelte.

Das konnte sie auch! Kurzentschlossen lief sie in den Raum, der für eine kurze Zeit ihr eigenes Gemach gewesen war. Adalia hatte hier immer alles gefunden, sie selbst war nicht oft mitgekommen. Der Raum war fremd, kalt und uneinladend, die Kerzen waren erloschen, das Wachs zu Boden getropft. Mana mochte diesen Raum nicht. Irgendetwas war hier, das ihr nicht gefiel, das sie aber nicht sehen konnte. Sie wollte wieder hinaus, wollte wieder bei den anderen sein, doch sie wollte sich nun etwas Trockenes anziehen, genau so wie Adalia gesagt hatte. Seth wollte auch, dass sie nicht mehr nass war, oder? Sie lächelte kurz bei dem Gedanken an den Hohepriester. Er würde sich bestimmt freuen, wenn sie es allein schaffte!

Sie trat an den Schrank heran. Adalia hatte ihr einmal gezeigt, wo all ihre Sachen waren, das half ihr nun. Deswegen musste sie nun nicht suchen. Sie war zwar unglaublich beunruhigt in diesem Raum, doch da sie das Gefühl nicht wirklich einordnen konnte, konnte sie es unterdrücken. Es passte zu all dem anderen unbekannten, mit dem sie seit ihrem Unfall immer wieder konfrontiert wurde.

Sie wusste, was sie tun sollte und sie konnte es ganz allein machen.

Was Mana in dem Schrank fand, ließ ihr Herz höher schlagen. Ein sandfarbendes, recht kurzes Gewand fiel ihr ins Auge und gefiel ihr besonders gut. Es war nicht so schrecklich umständlich vernäht, es war einfach und nicht aufwändig gestaltet. Der Stoff schien weich und bequem, nicht steif und anständig. Und die Farbe ... Mana lächelte. All diese langen Kleider, in die Adalia sie gehüllt hatte, waren ihr viel zu hell. Der Farbton dieses Gewandes war wesentlich wärmer und schöner.

Sie freute sich. Ja, das wollte sie haben. Sie durfte das doch, oder? Hatte Adalia nicht gesagt, das wäre alles ihres? Etwas umständlich zog sie ihr nasses Kleid aus und schlüpfte in das trockene Gewand. Auch den Goldreifen, der neben dem Leinenstoff lag, legte sie um. Es passte alles wie angegossen, selbst über all ihre Verbände.

Ihre Schulter war verbunden, um ihr Stabilität zu geben, um den Brustkorb trug sie einen festen Stützverband, der die Heilung ihrer geschädigten Rippen unterstützen sollte. Unzählige blau-grün-gelbe Flecken zierten ihre Haut. Sie blinzelte. Wieso kam denn nun niemand hinter ihr her? Waren sie alle so langsam? Sie hatte sich doch jetzt etwas Trockenes angezogen. Sollte sie denn noch mehr machen? Hatte sie nicht genug geschafft?

Verunsichert blickte sie sich um, nahm die bedrückende Atmosphäre des Raumes wieder wahr, die sie hatte ignorieren können, als ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelegen hatte.

Sie wollte hier weg. Es gefiel ihr nicht. Mana blickte verschüchtert um sich, ehe sie aus dem Zimmer lief. Das nasse Gewand hatte sie einfach liegen lassen.

Wo war Seth?

Sie wollte zu Seth. Sie wollte nicht in diesem Raum sein und sie wollte nicht allein sein. Sie wollte doch einfach nur ein vertrautes Gesicht sehen, dass sie nicht allein ließ.
 

Wie viel konnte ein einziger Mensch ertragen? Wie weit war er belastbar, wenn er dazu verdammt war, sich an alles zu erinnern? Die Erinnerung mit sich zu tragen und niemals darüber sprechen zu dürfen...

Hatte er ein Recht dazu, sich zu beklagen? Es hatte sich so vieles verändert. Tief in Gedanken versunken, setzte der Hohepriester Ägyptens einen Fuß vor den anderen. Er musste sich nicht beeilen. Akim würde auf sie achten. Akim... Was war nur aus seiner Mana geworden?

Es warf ihn immer noch völlig aus der Bahn. So vieles war hier geschehen. Doch was genau war es? Was genau war alles geschehen in seiner Abwesenheit? Adalia hatte ihm zwar einiges erzählt, doch längst nicht alles und außerdem war es nicht dasselbe. Er hatte so vieles verpasst.

Als Seth schließlich eine ganze Zeit nach Mana im Palast ankam, ging er sofort in sein Gemach. Er musste nachdenken. Der Krieg, Shada und Karim und die Sache mit dem Teich hatten ihn unglaublich geschlaucht, er musste seine Gedanken ganz dringend ordnen. Seine nassen Sachen ignorierend, setzte sich Seth an seinen Tisch und stützte seinen Kopf in seinen Händen ab. Mana hatte sich so unglaublich verändert... Und woher hatte sie plötzlich die Macht zu heilen? War die Kontrolle über diese Geister wirklich nötig?

Wie auch immer ... Er hatte gedacht, wenn er nur erst wieder hier gewesen wäre, dann hätte alles wieder gut werden können. Irgendwie. Aber selbst er musste nun einsehen, dass es eine äußerst schlechte Illusion gewesen war. Konnte er nun noch irgendetwas ändern?

Eigentlich sollte er glücklich sein. Er hatte den Angriff überstanden, er war aus dem Krieg zurückgekehrt, doch nichts hatte an seiner Situation etwas verändert. Er seufzte leise. Nein, er war nicht glücklich. Alles war anders, als er es geplant hatte. Alles war so perfekt gewesen. Ihre Verlobung vor dem versammelten Volk war eine Sensation und ein Triumph zugleich gewesen. Und nun? Alles war mit einem Schlag vernichtet. Nur das Versprechen blieb. Ein Versprechen, das die einzige Verbindung zur Vergangenheit darstellte. Eine Vergangenheit, die langsam aber sicher abriss.

Der Hohepriester atmete tief durch. Der nasse Stoff klebte schwer an seiner Haut und störte ihn schließlich doch. Ohne großes Interesse wechselte er seine Kleidung und fühlte sich dennoch nicht besser, als er Schritte im Gang vernahm. Leichte Schritte. Mana. Er riss die Tür auf und blickte in ihre verwirrten, grünen Augen.

Er erstarrte bei ihrem Anblick. Das Gewand, der Schmuck – sie sah ganz und gar so aus wie früher. Nur die Haare waren noch immer kürzer und die schmerzhaften Verfärbungen ihrer Haut zeugten von den Schrecken, die sie erlebt hatte. Was hatten sie ihr nur angetan? Was nur hatte das Kind zerstört, dass sie nun verkörperte?

Das Mädchen sah ihn an, lief auf ihn zu, bis sie schließlich in seinen Armen stoppte. Sie lachte nicht. Es war still. Sie war still. Es passte nicht zu Mana, so zu schweigen. Doch er weigerte sich nicht, ihr die Umarmung zu schenken, nach der sie sich sehnte. Es war etwas anderes. Es war nicht wie früher. Sie war zerbrechlicher, unsicher. Trotzdem erinnerte ihn alles an ihr an ihre kurze, gemeinsame Zeit. Ihr Geruch, ihr Aussehen, sogar ihre Körpertemperatur. Alles war identisch. Und doch war dies nicht seine kleine Mana.

Fragen

Akim und Adalia hatte sie längst wieder vergessen. War es wichtig? Nein. Sie konnte nur Seth sehen. Das letzte Stück lief sie auf ihn zu, lief in seine Arme. Sie wollte, dass die Stille aufhörte. Es war viel zu lang still gewesen.

"Seth!", rief sie und freute sich aufrichtig ihn zu sehen. Es schien schon so lange her gewesen zu sein. Nun war alles wieder gut. Seth war bei ihr. Sie war glücklich. Auf einfache Art und Weise schien alles einen Sinn zu haben.

Doch es war nicht einfach. Nicht für den Hohepriester. „Ich dachte, du wärest schon hier gewesen“, versuchte er entschuldigend zu erklären, er hatte gar nicht bemerkt, dass Akim offensichtlich doch nicht hinter ihr hergelaufen war. Wo war er mit seinen Gedanken gewesen? Er sollte sich wirklich mehr anstrengen, dass all seine Gedanken ihn nicht überwältigten.

Er legte ihr seinen Arm um die Schultern, vorsichtig, völlig ohne Belastung auf ihren Körper auszuüben. Sie folgte ihm dennoch bereitwillig in sein Gemach.

Mana tapste neben ihm her. „Nein, ich war im Zimmer nebenan“, erklärte sie lieb, „und ich habe mir etwas trockenes angezogen!“ Voller Stolz präsentierte sie ihr Werk. „Das fliegt so schön!“ Sie hüpfte einmal demonstrativ auf der Stelle. Es gefiel ihr, das war überhaupt nicht zu leugnen.

Es schnitt dem Brünetten tief ins Herz, doch es war nicht richtig, sie in diese Gefühle mit hineinzuziehen. Er musste sich endlich zusammenreißen. Es gelang ihm einfach nicht. Wie sollte er die Scharade aufrecht erhalten, wenn sie so vor ihm stand? Wie gern hätte er sich nun um seine Pflichten gekümmert, sich in Arbeit gestürzt, einfach nur um nicht zu denken.

Das Mädchen blinzelte verdutzt. Sein Gesichtsausdruck gefiel ihr ganz und gar nicht. Vorsichtig, so wie alle anderen auch sie behandelten, legte sie eine Hand an seine Wange. „Was hast du denn?“, fragte sie besorgt mit großen Augen, blinzelte wieder - voller Unschuld.

Unsicher senkte er den Blick. Ihre Berührungen machten ihn über alle Maßen nervös. Wieso war es nur so schwer ihr zu entgehen?! „Ich bin nur etwas müde“, antwortete er schließlich, denn ihr bohrender Blick verbot ihm zu schweigen. Er musste es herunterspielen, musste ihr einen Grund geben, den sie verstehen konnte.

Skeptisch lächelte sie ihn an. „Dann musst du jetzt schlafen“, befand sie, entschlossen. Adalia hatte es ihr erklärt: Wenn man müde war, dann schlief man. Wenn man sich ausruhen musste, dann schlief man.

Schlaf heilte. Schlaf konnte auch Seth helfen. Und wann wäre er auch nicht mehr müde und dann ginge es ihm auch besser. Es war logisch, einfach, vollkommen einleuchtend. Sie lächelte. „Los!“, befahl sie streng, „hinlegen!“

Ihre Stimme hatte so viel Vertrautes und war doch so unglaublich fremd, dass es weh tat. Sie wollte sich um ihn kümmern? Immer noch? Es war eine verkehrte Welt, in der sie lebten. Es war seine Aufgabe, sich um sie zu kümmern, nicht umgekehrt. Er hatte endlich seine Pflicht zu erfüllen, doch sein Körper gehorchte ihm einfach nicht. Stark und mächtig, wie er sonst war, war er doch nicht mehr als eine Spielfigur in ihren Händen und unter der Aufsicht ihrer strafenden, lieblosen Augen, die den Menschen verborgen hielten, mit dem er alle Zeiten hatte verbringen wollen.

Vergessen. Einfach nur vergessen. Süße Erinnerungen voller Folter und Qual.

Doch er hatte keine Wahl. Sein Körper schien nur ihrem Willen zu folgen. Er setzte sich auf sein Bett. Er wollte auf gar keinen Fall jetzt schlafen. Schlaf brachte kein Vergessen. Im Schlaf festigten sich die Eindrücke und konnten zu Dämonen werden, die einen selbst im Hellen noch verfolgten.

Als der Hohepriester aus seinen Gedanken wieder hochschreckte, hatte Mana ihn nach hinten gedrückt. Sie stützte ihr gesamtes Gewicht auf ihn, damit er sich nicht weigerte und liegen blieb, dann beugte sie sich weiter über ihn und sah ihn an. „Nun musst du schlafen, dann geht es dir besser“, sagte sie entschlossen und in ihrem Gesicht spiegelten sich Sorgen.

Seth seufzte tief. Konnte er sich ihr widersetzen? Nein. Wie hätte er es schaffen können? Er hatte es doch nicht anders verdient. Wo war sein ganzes Selbstbewusstsein hin? Sein ganzer Stolz? Wo war all die Autorität, wenn er sie brauchte?

Er blickte zu ihr auf. Die Situation war absurd. Er hatte sich so oft gewünscht, sie so bei sich zu haben. Viele Male... Und nun? Es war nicht richtig. Er wollte sie an sich ziehen, wollte sie in die Arme nehmen, wollte sie halten ... wollte einfach nur wissen, dass es sie noch gab, irgendwo...

Gequält lächelte er sie an. „Und was ist mit dir?“, fragte er, weil es die einzigen Worte waren, die ihm über die Lippen kamen. „Solltest du nicht auch Ruhe haben?“

„Ich schlafe dann auch“, antwortete sie prompt, „Es ist schließlich schon spät.“ Für sie war alles ganz einfach. Sie ließ sich zur Seite fallen, legte sich neben ihn. Ein Kichern kam über ihre Lippen. Es war so schön warm. Locker legte sie ihren Arm auf seinen Oberkörper und kuschelte sich an ihn. „Ich freue mich, dass du wieder da bist“, erklärte sie, gähnte und schloss die Augen. Sie war wirklich müde, doch da war noch etwas anders. So viele Gedanken, die in ihrem Kopf spukten, so viele Fragen.

Töchterchen...

Was hatte es zu bedeuten? Sie drückte ihre Stirn an seine Schulter. Ob er ihr antworten würde? Sie musste es versuchen. Vielleicht hatte sie bei ihm ja mehr Glück als bei Adalia? „Seth?“, leise und vorsichtig erklang ihre Stimme, verunsicherte den Angesprochenen noch mehr, als ihre bloße Nähe.

„Ja?“, erwiderte er, es war nur ein Hauch und seine Stimme drohte zu brechen. Wie konnte sie das tun? Sie trieb ihn in den Wahnsinn, machte ihn unglaublich nervös.

Das Mädchen lächelte kurz, nicht weniger unsicher, wenn auch aus einem anderen Grund heraus. Es gelang ihr, ihren Kopf unter seinen Arm zu schieben und ihn so dazu zu zwingen, sie fester zu halten. Sie legte sich auf seinen Oberkörper, krallte sich leicht an ihn. Sie hatte ein wenig Angst davor zurückgewiesen zu werden. Würde auch er ihr die Antworten verweigern? Würde er sie jetzt wegschieben? War es vielleicht falsch, was sie gerade tat? Sie wusste nicht, wieso sie so an ihm hing, aber er war irgendwie ganz anders als alle anderen. Er kümmerte sich immer um sie, passte immer auf sie auf. Adalia hatte das auch getan, aber trotzdem war sie anders. „Adalia hat versucht mir einiges zu erklären“, fing sie schließlich an, zunächst langsam, dann zunehmend sicherer. „Aber sie hat mir oft auf meine Fragen nicht geantwortet...“

Schmollte sie?

Sie blickte unsicher zu ihm auf. „Darf ich dir ein paar Fragen stellen, bevor ich schlafen muss?“ Bei der Priesterin hatte das auch so funktioniert. Sie hatte ihr auch meist vor dem Schlaf etwas erklärt, damit sie Ruhe gab. Oder hatte sie nur das Gefühl, es wäre so gewesen, weil sie andauernd hatte schlafen sollen?

Der Hohepriester festigte seinen Griff um ihren Körper ganz unwillkürlich. Er konnte sich nicht gegen sie wehren. „Adalia hatte mit Sicherheit Gründe dir nicht zu antworten“, gab er ausweichend zurück. Durfte er sich hierauf einlassen? Er wusste genau, dass er es bereuen würde. Dass er es würde bereuen müssen. Doch er nickte. „Aber nur ein paar Fragen“, war seine einzige Einschränkung.

Es war wie ein Funke, der in ihren Augen Feuer fing. Sie durfte Fragen stellen! Sie kicherte kurz, dachte nach, versuchte die Fragen wieder zu finden, erneut in Worte zu fassen. „Adalia hat mir gesagt, du bist der Hohepriester ... und sie hat mir alles über den Palast erzählt.“

Sie lächelte, er schluckte.

„Und sie hat gesagt, ich war einmal eine Priesterschülerin...“, sie stoppte kurz, blickte ihn fragend an, „Aber was habe ich denn nun für eine Stellung?“

Musste es ausgerechnet diese Frage sein? Hätte sie nicht irgendeine andere Frage stellen können? Egal welche? Sie konnte nicht wissen, wie schwerwiegend das Wissen war, nach dem sie da fragte. Sie hatte einfach keine Ahnung. Was sollte er jetzt tun? Sollte er es schaffen, sich herauszureden? Wie sollte das gehen?

Er lächelte verlegen, atmete tief ein und schließlich wieder aus. Er wollte sie nicht belügen, setzte an, doch stockte sogleich wieder. Er brachte kein Wort heraus, verfluchte sich selbst dafür. Welchen Eindruck konnte er so vermitteln? Er hatte ihr versprochen, dass sie glücklich sein würde, doch er konnte nicht einmal ihre Fragen beantworten. Wie sollte sie so glücklich sein können?
 

Mana seufzte leise. Er würde es ihr wohl auch nicht sagen, genau wie Adalia. Ein schwaches Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Wieso wollte ihr niemand antworten? Was verbargen sie vor ihr? Es war merkwürdig. So viele komische Dinge geschahen mit ihr, alle kümmerten sich um sie, alle kannten sie, doch niemand erklärte es ihr. Wieso bewachten sie alle sie so sehr? War sie vielleicht doch böse? Musste deshalb auf sie aufgepasst werden?

Hatte dieser Weißhaarige nicht Töchterchen zu ihr gesagt? Was bedeutete das?

Er war böse...

Wie konnte sie dann gut sein? Mana schwieg eine ganze Weile, drückte sich näher an ihn. Eine seltsame Kälte ging durch ihren Körper, die sie sich nicht erklären konnte. Eine Kälte, die sie erzittern ließ. Da war wieder diese Stille. Wieder war es eine Stille, die sie beenden wollte. „Andere Frage, ja?“ bot sie an, behielt aber ihre erste Frage dennoch im Gedächtnis. „Wer war das vorhin am Teich?“

Seth betrachtete sie ernst, biss sich kurz auf die Lippe. War es besser so? War es gut, dass sie selbst diese Alternative anbot? Es war doch so noch viel schlimmer. Ihr enttäuschtes Gesicht war eine Folter. „Hör zu“, setzte er wieder an, „Ich werde es dir beantworten, ja? Deine Frage von eben ... aber nicht heute.“ Er konnte es ihr nicht an diesem Tag sagen, konnte es ihr nicht gestehen. Es war so grausam. Er musste sich erst genauestens darüber klar werden, was und wie viel sie wissen durfte und was und wie viel er wollte, das sie wusste.

Er schüttelte leicht den Kopf, ging dann zu ihrer anderen Frage über. „Der Mann am Teich?“, wiederholte er ruhig, „Ich weiß es nicht genau. Ich habe ihn eben zum ersten Mal gesehen. Doch wie es scheint, ist er dein Vater...“ Zumindest das wollte er ihr nicht vorenthalten, zumindest diese Frage wollte er ihr beantworten.

Natürlich warf er damit weitere Fragen auf, das war ihm vollkommen klar. Doch vielleicht gelang es ihm dadurch, das Gespräch in eine Ebene zu lenken, in der es nicht so viele gefährliche Details gab, die ihn oder sie in Bedrängnis bringen konnten.

Mana lächelte ihn an, zufrieden. Sie nickte. „Danke...“, flüsterte sie, er würde ihr die Frage beantworten. Er hatte sie nicht weggeschickt, würde sie nicht länger zurückweisen.

Vielleicht musste sie sich gar keine Sorgen machen und sie war gar nicht böse?

Vielleicht hatte sie das ja auch nur falsch verstanden? Sie sah ihn ernst, aber fröhlich an. Sie würde fragen, er würde ihr antworten. Aber nicht jetzt. Jetzt ging es um eine andere Frage.

„Mein Vater?“, wiederholte sie blinzelnd, sichtlich verwirrt. „Was heißt das? Und ist das gut oder böse?“ Sie wusste es nicht.

Was wollte er ihr sagen?

Geschickt drehte Mana sich in Seths Arm und setzte sich auf, damit sie ihn besser ansehen konnte. Seinen Arm hielt sie dabei fest, das Gefühl von Sicherheit, das er in ihr weckte, wollte sie auf gar keinen Fall loslassen.

Was sollte er sagen?

Nie hatte er erwartet, einmal so um Worte verlegen zu sein. Das Thema war nicht heikel, an sich zumindest nicht und doch brachte es ihn aus dem Konzept. Es war so basal, so grundlegend und doch konnte sie es nicht wissen. Sie wusste es einfach nicht. Es war eine simple Tatsache. Und es blieb seine Aufgabe, es ihr zu erklären.

Nicht lange war es her, da hatte sie mit ihm die Strategie des Krieges durchgesprochen und sie dabei entscheidend beeinflusst. Nun wusste sie einfach gar nichts mehr.

Er seufzte unmerklich. „Jeder Mensch hat eine Mutter und einen Vater. Und Eltern haben Kinder, um die sie sich eigentlich kümmern müssten. Die Mutter bringt das Kind auf die Welt...“ Es war schwierig, es ihr zu erklären, zumindest empfand er es als schwierig. „Das Kind soll bei den Eltern aufwachsen, das ist normal. Und es ist gut, wenn es so ist.“ Er stockte kurz. „Dein Vater hat sich aber nicht um dich gekümmert, also ist das schlecht...“

Konnte er das so sagen? Es war äußerst wenig und ihm persönlich hätte eine solch schwammige Antwort niemals gereicht. Doch er konnte kaum mehr sagen. Die Geschichte der Vernichtung Kul Elnas und ihre wahre Herkunft durfte sie zu ihrem eigenen Schutz niemals erfahren. Über ihre Mutter wusste der Hohepriester praktisch nichts außer dem wenigen, das die Schreiber des ehemaligen Pharaos für erwähnenswert gehalten hatten – und das war gewiss nicht viel.

Dass sie ein Sklavenkind war... Nun, das sollte im besten Fall in der Geschichtsschreibung untergehen...

Hinterhalt

Die Geister hatte er sofort erkannt, doch eine Gelegenheit zu reagieren war ihm nicht geblieben. Er konnte sich nicht um Adalia kümmern, er hatte sich um sich selbst zu kümmern.

Bakura stand vor ihm, wie aus dem Nichts war er aufgetaucht und grinste ihn finster an. So schnell hatte er wirklich nicht wieder mit ihm gerechnet, langsam wurde er lästig. Immer und immer wieder langweilte er ihn mit seiner Anwesenheit, auch wenn er durchaus bemüht war, sich immer wieder etwas anderes einfallen zu lassen.

Akim sah ihn uninteressiert an. „Du schon wieder...“, beklagte er sich, „Hast du noch nicht genug?“ Eine erneute Provokation war es und doch war es das Einzige, das Sinn machte in Anbetracht der Hartnäckigkeit des Meisterdiebes.

Dieser wirkte alles andere als begeistert. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, gab er kühl zu, zuckte mit den Schultern und drehte sich um. Adalia stand im Grunde direkt vor ihm, doch sie konnte sich dagegen nicht wehren. Sie war gefesselt und unfähig sich zu befreien. Was wollte er nun von ihr? Im Grunde war es ihm gleich.

Bakura bückte sich, hob einen Fetzen auf, der aus Adalias Gewand gefallen war und studierte ihn für einen Moment, ehe er mitleidig den Kopf schüttelte. „Glaubst du, das bringt irgendetwas? Es zu verbergen?“ Er spukte ihr vor die Füße.

„Lass mich sofort frei!“, befahl sie kreischend, zerrte an ihren Fesseln und versuchte sich loszureißen, doch ohne Erfolg. In ihren Augen glühte es, sie starrte den Fetzen an, starrte Bakura an.

„Wieso sollte ich?“, gab der jedoch nur zurück.

Der Violetthaarige wusste nicht, um was es sich bei dem Pergamentstück handelte, doch offensichtlich sagte es den beiden anderen etwas. Auch das war ihm gleich, er wartete immer noch auf eine Antwort des Diebes.

„Ich habe noch etwas gut bei dir“, wendete dieser sich schließlich wieder an ihn, „Das war wirklich nicht nett vorhin.“ Giftig hauchte er seine Worte in Akims Gesicht, kniff die Augen scharf zusammen und runzelte die Stirn. Im selben Moment spürte Akim einen heftigen Stich in seinem Hals, genau an der Stelle, an der der Splitter des Dolches seine Haut durchschnitten hatte und fühlte, wie eine fremde Macht ihn zu Boden drücken wollte. Seine Knie knickten ein und Akim verlor das Gleichgewicht. Es war ein eigenartiges Gefühl so beherrscht zu werden, ein Gefühl, das er unter keinen Umständen tolerieren konnte. Ein einziges Mal nur war er so unterworfen worden und er hatte sich geschworen, dass es nie wieder geschehen sollte.

„So gefällt mir das schon viel besser“, verkündete Bakura, doch der Angesprochene konnte ihm nicht zustimmen.

„Das gefällt dir?“, sagte er grimmig, enttäuscht. „Du bist weit niveauloser, als ich erwartet hätte.“ Hätte Seth sich über eine solche Demütigung gefreut? Vermutlich schon. Im Grunde war Akim sich da sicher. Aber dass Bakura so einfach zu erfreuen war... nun, er hatte ihn überschätzt, wie es aussah. Doch dieser Splitter machte wirklich mehr Ärger, als gut war.

Der Junge fasste sich an den Hals, grummelte und hob dann den Kopf. So leicht würde er es ihm nicht machen… Wenn Bakura glaubte, ihn so einfach beherrschen zu können, dann war er naiver, als er gedacht hätte. Auf der Stelle löste Akim sich in einem blauen Nebel auf. Der Splitter fiel dabei herunter, dem Angreifer vor die Füße. Er selbst tauchte hinter Bakura wieder auf, was dieser jedoch erst in dem Augenblick realisierte, als ein Dolch aus Nebel ihm an die Kehle gehalten wurde. „Das hast du dir so gedacht…“, zischte Akim säuerlich, „Du magst Dolche, nicht wahr?“

Der Weißhaarige zuckte zusammen, fast unmerklich und doch deutlich spürbar. Er zeigte also doch Nerven. Na bitte, es ging doch. Der Bedrohte nahm sich einen Moment Zeit, die Waffe zu betrachten, dachte nach. „Natürlich mag ich sie“, hauchte er fast zärtlich, unschuldig, bevor er selbst einen solchen zog und ihn in Akims Seite rammte. Es war ihm gelungen, sich so zu bewegen, dass er der fremden Klinge nicht näher kam, als er es sowieso schon war und durch das Überraschungsmoment schaffte er es sogar, sich vollkommen zu befreien. Er war keinesfalls ein Anfänger, der sich alles bieten ließ. „Und ich bin nicht niveaulos!“, setzte er wütend hinzu.

Wieder verschwand Akim im Nebel, dieses Mal fiel auch der Nebeldolch zu Boden und löste sich auf. Unbeeindruckt erschien er wieder neben dem Räuber, unversehrt und etwas genervt. „Aber du bist nicht sehr einfallsreich.“

„Ebenso wenig wie du“, war die einzige Antwort, die er darauf bekam. Der Dieb hatte sich inzwischen wieder der Priesterin zugewendet, die noch immer versuchte, ihre Handgelenke aus den Ketten zu ziehen. Tiefrote Schlieren zeichneten sich über ihre Haut, doch sie schien es nicht zu bemerken. Sie zog weiter, versuchte krampfhaft, sich irgendwie zu befreien, zerrte an den Ringen, die sie gefangen hielten. Es war inzwischen ziemlich dunkel geworden, doch Adalias Wut tat das fehlende Licht keinen Abbruch. Es war nur allzu offensichtlich, dass sie Bakura in Stücke reißen wollte, dass sie ihm Schmerzen zufügen wollte, die selbst jemand mit einer Vorgeschichte wie der Seinen, noch nie zuvor gespürt hatte.

Der Dieb trat einen Schritt auf sie zu. „Es ist eh zwecklos, etwas gegen diese Fesseln tun zu wollen…“, sagte er genervt, ihre Schreie störten ihn, sie konnte den gesamten Palast dadurch alarmieren. „Versuch-“

Er stockte, Akim sah auf. Als er die Priesterin erblickte, wusste er sofort, wieso Bakura zögerte. Adalias Gewand hatte sich vollständig gelöst und war zu Boden gefallen, der zerrissene Stoff hatte keine Chance gehabt, an ihrem Körper zu bleiben, während sie so sehr damit beschäftigt gewesen war, aus ihrer misslichen Lage zu entkommen.

Ihr entblößter Körper irritierte sowohl Akim als auch Bakura, doch wesentlich auffälliger noch waren ihre verzweifelten und zum Scheitern verurteilten Versuche, den Stoff wieder in die Finger zu bekommen.

„Was tust du?“, fragte Akim, der völlig perplex wirkte.

Ebenso ungläubig starrte sie zurück. „Meinst du, ich mach‘ das mit Absicht?!“, fauchte sie entgeistert, „Hilf mir lieber!“ Weiter zog sie an den Fesseln, die sie peinigten, versuchte Bakura zu ignorieren, der sie eine ganze Zeit lang nur anstarrte, ehe er seinen Blick mit den Worten: „Wie lächerlich...“, abwendete.

Akim fühlte sich wie auf der Stelle eingefroren. Er war schlicht und einfach peinlich berührt. Adalia zu helfen erschien ihm als das logischste von all dem, das er nun tun konnte, doch er rührte sich nicht. Um ihr zu helfen hätte er ihr sehr nahe kommen müssen – zu nahe.

Kopfschüttelnd und mit vor Unglauben aufgerissenen Augen starrte Adalia zurück. „Worauf wartest du noch?“, schrie sie empört, „Du IDIOT!“ Sie war ohne Zweifel ziemlich sauer, Bakuras Bemerkung trug nicht gerade zur Besserung ihrer Laune bei. Die Drohung in ihren Augen war so eindeutig, dass der Nebeljunge sich ernsthaft fragte, wieso Bakura nicht auf der Stelle das Weite suchte.

Dieser jedoch verschränkte demonstrativ die Arme, grinste und nickte Akim aufmunternd zu. „Nun mach schon!“, wies er ihn an, „Hilf ihr!“

Doch so ließ der Violetthaarige nicht mit sich reden. Völlig ungeachtet der Situation und der Forderung stellte er sich dem anderen entgegen, fixierte ihn mit seinem Blick und hob zweifelnd eine Augenbraue. „Meinst du, ich mache, was du sagst?“, fragte er überheblich und kalt; wenn der Dieb wirklich daran glaubte, hatte er sich aber eindeutig getäuscht.

„Ich werde ihr garantiert nicht helfen!“, fauchte Bakura ungeduldig zurück. Anscheinend meinte er es tatsächlich ernst, das überraschte ein wenig. Doch worum es ihm eigentlich ging, wurde sehr schnell klar. „So können wir unsere Diskussion nicht weiterführen! Mach!“

Diskussion war wahrlich eine interessante Bezeichnung für ihre Auseinandersetzung, die nicht selten wertvolles Blut kostete. Adalia tat ihm Leid. Sie war ihm immer vorsichtig gegenüber getreten, war stets misstrauisch, doch sie hatte ihn eine Position einnehmen lassen, die er selbst gewählt hatte. Er hatte keinen triftigen Grund, sie auf diese Weise quälen zu lassen, abgesehen vielleicht von der Tatsache, dass sie Seth völlig hörig war. Tat es ihr nicht möglicherweise gut, erkennen zu müssen, dass der Hohepriester denen, die ihn anbeteten, nicht zur Hilfe eilte?

Ihr zorniges Gesicht war rot vor Wut. Doch. Er wollte ihr helfen. Gleichzeitig jedoch hielt ihn ein Impuls zurück. Wenn er ihr nun zu nahe kam, dann würde sie ihn umbringen, das stand ohne Zweifel fest. Sie war gefährlich. Belustigt nahm er es zur Kenntnis, ihr Hass war geradezu beeindruckend.

Doch ihre Schreie und ihr Gekreische ging auch ihm auf die Nerven und auf die Ohren und auch er hatte nicht viel Interesse an zu viel Publikum. Und so setzte sich Akim in Bewegung, hob ihr Gewand vom Boden auf und gab ihr den Stoff in die Hand.
 

Es war nicht zu fassen. Es war nicht echt, einfach nicht real. Es war nicht möglich. Sie träumte, es musste so sein. Es machte einfach keinen anderen Sinn. Dies war ein Traum. Nein. Dies war ein Alptraum. Ein Alptraum ohne die Möglichkeit des Erwachens und Adalia wusste genau, dass sie nicht schlief. Wie jedoch konnte es angehen? Es war so unglaublich, so unfassbar absurd, dass ihr der Mund offen blieb.

Erst diskutierten die beiden schüchternen Herren scheinbar stundenlang sinnlos miteinander nur um den jeweils anderen zu übertrumpfen und nun DAS.

War es nicht schlimm genug, dass sie, völlig entkleidet und in Ketten gelegt, hier stand? Musste man sie da auch noch zu einem Gespött machen?!

Ja, sie gab zu, dass es dumm gewesen war, zu hoffen. Als Akim ihr Gewand, oder vielmehr das, was davon übrig war, aufgehoben hatte, war in ihr für einige Sekunden ein Funke von Erleichterung entflammt.

Dieser Funke war längst wieder erloschen. Die Priesterin starrte auf den Stoff in ihrer Hand, schaffte es nicht, ihren Blick davon abzuwenden. Sie war fassungslos. Sie war völlig entgeistert.

Endlich gelang es ihr wieder sich zu regen. „HAT DIR SCHON MAL JEMAND GESAGT, DASS DU EIN TOTALES ERBSENHIRN HAST?! WIE SOLL MIR DAS DENN JETZT WEITERHELFEN?!“

Bakura lachte auf, lachte laut auf. Sie versuchte ihn zu ignorieren, doch sie schaffte es nicht. Er regte sie so unglaublich auf, und nicht nur er, sondern auch Akim. Wie konnte es einem solchen ... Wesen ... überhaupt erlaubt sein zu leben? Die Dummheit tat schon weh! Wie sollte es ihr gelingen, sich darüber nicht aufzuregen?!

„Halt endlich deinen verdammten Mund, du Miststück!“, erklang des Diebes fauchende Stimme, offensichtlich regte sie ihn genauso auf, wie er sie. Gut so. Er würde schon noch sehen, was es ihm brachte.

„DAS HÄTTEST DU WOHL GERN!“, entgegnete sie schreiend, so laut sie konnte. Sie würde ihm niemals verzeihen, sie würde niemals nach seiner Nase tanzen. „SO BRINGT MIR DAS AUCH NICHTS!“, rief sie laut und ließ das Gewand fallen. Hatte sie etwas davon?

Nein.

Sollte es halt so sein, sollten sie sich halt amüsieren. So einfach ließ sie sich nicht versklaven. Sie zerrte weiter an den Fesseln, mit aller Kraft, schrie dabei voller Anstrengung nur um Bakura zu ärgern.

Es tat weh. Es tat höllisch weh. Die metallenen Fesseln schnitten in ihre Haut wie stumpfe Klingen, die dennoch schnitten. Sie biss die Zähne zusammen.

Plötzlich stand Akim wieder vor ihr. Sie hatte ihn nicht kommen gesehen, so sehr hatte sie sich darauf konzentriert, freizukommen.

Es war eine solche Demütigung! Sie konnte es nicht hinnehmen. Feige und aus dem Hinterhalt hatte Bakura angegriffen, sonst hätte er sie niemals gefangen. Sie hatte selbst genügend Kenntnisse der Magie um sich zu wehren, doch blinde Wut behinderte sie darin klar zu denken.

„Du solltest vorsichtig sein...“, hauchte Akim ihr zu, er wickelte den Stoff um ihren Körper und sicherte ihn mit einem festen Knoten. „Er bringt dich sonst um...“

War es Besorgnis, die er ihr entgegenbrachte? Glaubte er wirklich, dass eine solch große Gefahr von dem Dieb ausging? Natürlich, er war unberechenbar, doch in seiner Unberechenbarkeit war er wieder berechenbar. Reichte es wirklich aus um selbst jemandem wie Akim Respekt einzuflößen?

Sie warf einen Blick über Akims Schulter hinüber zu Bakura. Wäre sie nicht so unglaublich sauer auf ihn gewesen, hätte sein Ausdruck ihr vermutlich Angst gemacht. Er sah sie an, finster und böse.

„DU BIST JETZT RUHIG!“, schrie er zu ihr, lauter als sie es getan hatte, was vielleicht daran lag, dass seine Stimme ohnehin voluminöser war als ihre helle Stimme.

Sie sah es, noch bevor sie es spürte. Einer der Geister, die den Meisterdieb scheinbar immer und überallhin begleiteten, tauchte hinter ihm auf, schwebte auf sie zu, einfach über Akim hinweg und schneller als er hätte reagieren können. Er kam ihr immer näher, entsetzt sah sie mit an, wie er auf ihr Gesicht zu kam, sich um ihren Hals schlängelte und ihr dann den Mund zudrückte.

Sie verstummte auf der Stelle, die Augen weit aufgerissen. Sie konnte nicht mehr atmen. Und als die silberne Klinge des Diebes ihr Bein durchstieß, konnte sie noch nicht einmal mehr schreien.

Antworten

Sie hatte einen Vater. Jeder hatte einen Vater. Es war gut. Aber er hatte sich nicht um seine Tochter gekümmert. Das war schlecht.

Töchterchen.

Das war sie. Doch, das hatte sie verstanden. Es war verwirrend, aber das klappte. Alles war verwirrend, aber sie lernte. Und Adalia hatte ihr versichert, dass sie sogar sehr schnell lernte. Und das war gut, oder?

Aber trotzdem waren da noch so viele Fragen! „Und was ist dann mit meiner Mutter?“, jeder hatte einen Vater und eine Mutter, „Bin ich bei ihr aufgewachsen?“

Der Hohepriester schüttelte voller Bedauern und gezeichnet von Anspannung den Kopf. „Es tut mir leid, aber über deine Mutter weiß ich nichts“, antwortete er ruhig.

Er wusste es nicht? Es gab also auch Dinge, die selbst Seth nicht wusste?

War das jetzt schlecht oder gut? Sie sah ihn erstaunt an, setzte sich erst auf ihre Knie und krabbelte ihm dann auf den Schoß. Dann durfte sie jetzt eine andere Frage stellen, nicht wahr? „Was hatte ich für einen Unfall?“, fragte sie leise, „Adalia sagt mit dazu gar nichts…“ Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sie war unglaublich erschöpft und sehnte sich nach Nähe und Wärme, damit sie sich nicht so einsam und allein vorkam in dieser Welt voller Fremder, aber gleichzeitig brannte sie förmlich darauf, ihn mit Fragen zu bombardieren. Er sollte ihr alles erklären, doch sie fürchtete sich vor den Antworten. Was, wenn sie doch etwas Schlimmes getan hatte? Was, wenn deswegen alle so vorsichtig mit ihr waren? Sie fühlte sich so eigenartig, so als würde etwas in ihr sich ganz stark zusammenziehen, wenn sie nur daran dachte.

Wieder legte Seth seinen Arm um ihre Schultern. War das Wärme? Er zögerte. Dachte er nach? Er würde es ihr doch sagen, oder? Für einen kurzen Moment glaubte Mana, etwas in seinen blauen Augen gesehen zu haben, das nicht dorthin gehörte. Sorge? War es Angst? Doch dann begann er langsam zu antworten. „Du kennst doch den Raum dort drüben“, sagte er und sein Gesicht wirkte gequält.

Sie nickte. Der Raum, wo die Kleider waren. Der Raum, in dem ihr immer so kalt wurde.

„Du hast dort mal gewohnt, wenn auch nur für kurze Zeit…“ Wieder zögerte er, seine Worte kamen ihm immer langsamer über die Lippen und er sah sie nicht an. Sein Blick ging in die Ferne. Machte es ihn so traurig? „Nun ja“, fuhr er fort, „und dort bist du aus dem Fenster gefallen…“

Aus dem Fenster gefallen. Sie war im Raum nebenan aus dem Fenster gefallen und hatte sich deshalb verletzt. Aus diesem Grund wusste sie nichts mehr, deshalb war ihr alles fremd. Nur weil sie aus dem Fenster gefallen war… Bestimmt hatte sie nicht aufgepasst. Und nun? Sie atmete tief durch. Nun, jetzt wusste sie es wenigstens. „Danke schön…“, flüsterte sie lächelnd. Sie war froh, dass sie es endlich wusste, sie fühlte sich besser dadurch. Endlich wusste sie, was geschehen war, endlich musste sie nicht mehr darüber nachdenken. Dann war sie nicht böse, oder? Immerhin war sie nur aus dem Fenster gefallen, das war doch nichts, das nur böse Menschen taten. Endlich wusste sie, warum sie sich nicht erinnerte. Es machte Sinn, endlich konnte sie es verstehen. Seth hatte es ihr erzählt und sie konnte ihm vertrauen. Er wollte ihr ja schließlich helfen.
 

Waren Gebete wirklich alles, was noch helfen konnte? Er war mit seiner Weisheit am Ende. Wieso nur war es so schwer? So scheinbar völlig unmöglich, ihr zu helfen?

Qadir wusste sich keinen Rat. Der Zustand der Prinzessin war alles andere als stabil, noch immer schlief sie und noch immer wachte er über sie. Eine Menge Hoffnung hatte er in die Wirkung gelegt, die Atemu auf sie ausübte, doch auch dem Arzt war klar: Selbst ein Pharao war menschlich und es war nur allzu verständlich, wieso er auf solch heftige Weise reagiert hatte. Für Teana wäre es wesentlich besser gewesen, wenn er seinen Ausbruch nicht in ihrer Anwesenheit gehabt hätte, doch es ließ sich nun nicht rückgängig machen. So hatte er ihr eine Schuld aufgelastet, die sie sich zwar ohnehin gegeben hatte, aber die er deutlich hätte vermindern können.

Doch war es wie es war, es war längst zu spät. Was aktuell von Bedeutung war, war Teanas Zustand. Er konnte nur hoffen, dass der Pharao einigermaßen zurecht kam...

Was sollte er nun tun? Jede Art der Medikation, die ihm bekannt war, hatte er sich durch den Kopf gehen lassen und probiert, was davon Sinn machte.

Doch wie sollte er schaffen, was gegen den Willen der Götter zu sein schien? Was auch immer die Prinzessin getan hatte um ihre Wut oder ihren Missmut auf sich zu ziehen, Qadir konnte es nicht verstehen. Teana hatte niemandem etwas zuleide getan und auch ihr nun totes Kind war völlig rein gewesen.

Doch wie allmächtig konnten Götter sein, die nichts taten außer Leben zu nehmen und Unschuldige zu strafen?
 

Ihre Augen waren geschlossen, als sie sich gegen ihn lehnte und der Hohepriester war froh darüber. Wenn sie seinen Gesichtsausdruck gesehen hätte in dem Moment, da sie sich bei ihm bedankt hatte, dann hätte sie ihm nicht ein einziges Wort geglaubt. Er versuchte unter allen Umständen sich zusammen zu reißen. Es war besser so, das musste er sich immer wieder sagen. Sie hatte etwas, an dem sie festhalten konnte. War das nicht der eigentliche und einzige Sinn all der Lügen? Er musste nur noch rechtzeitig Adalia darüber informieren, was er ihr gesagt hatte, damit sie bei ihrer Geschichte bleiben konnten und es nicht zu Ungereimtheiten würde kommen können. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht noch mehr wissen wollte.

Konnte nicht die Müdigkeit sie einfach übermannen? Es wäre um so vieles einfacher gewesen. Er konnte kaum widerstehen, sie an sich zu ziehen, sie fester in den Arm zu nehmen und sie einfach zu küssen. Doch er durfte es nicht!

Er konnte es niemals erlauben. Den Preis, den es kostete an seiner Seite zu sein, hatte sie einmal gezahlt – er war viel zu hoch. Sanft strich er ihr über ihr Haar. Sie war ihm so vertraut und doch so fremd, war so nahe und doch so unendlich weit entfernt.

Er selbst war mit einem Mal überhaupt nicht mehr müde, konnte sich kaum aus ihrem Griff befreien, obwohl es dadurch leichter geworden wäre – zumindest für ihn. Doch sie hielt ihn fest, dachte gar nicht daran ihn loszulassen, ihn freizugeben Jede einzelne ihrer Bewegungen nahm er wahr, jede noch so kleine Regung. Gedankenverloren starrte er zur Decke. War es wirklich so einfach getan? Eine einfache Lüge und sie war glücklich. Sie kuschelte sich an ihn und sie war glücklich.

Es ging so nicht. Doch wie sollte er etwas hieran ändern, ohne es für sie noch schwerer zu machen? Noch komplexer? Wie sollte es ihnen gelingen, das Konstrukt aufrecht zu erhalten, das ihre Welt darstellte, wenn es mit noch mehr Inhalt gefüllt wurde? Und es wurde unweigerlich dauernd mit neuen Inhalten gefüllt…

Inhalte, die niemand steuern konnte. Mana schwieg. War sie tatsächlich eingeschlafen? Es wäre wünschenswert gewesen, doch wie hätte er auch nur erwarten können, dass sie es tun würde? Dass sie es für wichtig erachtete, was ihr Körper verlangte? Sie kannte nur einen Körper, der schmerzte, sah es als Normalität an und dachte sich nichts dabei. Für sie hatte es so zu sein und sie hatte damit klar zu kommen.

„Seth?“

Er schreckte aus seinen Gedanken hoch. Sie blickte ihm direkt in die Augen, hatte ihn genau fixiert und er hatte es nicht bemerkt. Wie sollte er diesen Blick erwidern? Wie sollte er ihn halten können?

Was hatte er nur getan…

Sorge stand in ihren Augen, Sorge und Unsicherheit und Angst. Sie biss sich auf die Lippen. „Was hast du denn?“, fragte sie zurückhaltend, fast eingeschüchtert. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, brachte ihn dazu, sie weiter anzusehen und er konnte nichts dagegen tun. Er wollte den Blick abwenden, doch sie hinderte ihn daran, wollte sich einfach in Luft auflösen, doch sie ließ es nicht zu.

„Es tut mir leid…“, flüsterte er, sah sie traurig an, ohne dass er sich dagegen hätte wehren können. Er wusste einfach nicht, wo ihm der Kopf stand, wusste nicht, wie er es koordinieren, nicht, wie er es schaffen sollte. Es war zum Scheitern verurteilt, er wusste es und rannte doch in sein, in ihr aller Verderben. „Du hast nichts falsch gemacht, wirklich nicht“, beteuerte er, es war ihm so unglaublich wichtig, dass sie es wusste. Sie glaubte so vieles, das nicht wahr war, da wollte er ihr zumindest etwas Wahres geben, das auch stimmte.

Eigentlich wollte er nur seine alte Mana wieder haben, wollte von ihr angezickt und herumkommandiert werden, ganz so wie früher. Wenn sie es nur gewusst hätte… Wenn sie nur gewusst hätte, was sie ihm bedeutete…

Sie hielt sein Gesicht weiter fest, schüttelte leicht ihren eigenen Kopf. Dann legte sie ihre Arme um ihn, schluckte deutlich vernehmbar und setzte sich wieder auf seinen Schoß. „Was hast du denn?“, fragte sie hilflos, es stand ihr fast auf der Stirn geschrieben, dass sie nicht wusste, was sie tun sollte, „Wieso bist du so traurig?“

Er musste sich am Riemen reißen, musste sich unter Kontrolle kriegen, dringender als je zuvor. Er zwang sich, tief durchzuatmen und sie anzulächeln, und es gelang ihm auch, wenn auch nur schwach. So gut es noch möglich war, versuchte er, einen Abstand zwischen ihnen zu halten, doch sie machte es ihm sehr schwer. So gern hätte er ihr die Wahrheit gesagt, so gern hätte er sein Schweigen gebrochen, doch er durfte es nicht. Es nahm der Sache den einzigen Sinn, den sie je gehabt hatte.

Sie erwiderte seinen Blick, offenbar erleichterte sie schon das leichte Lächeln, das er im Stande gewesen war, aufzusetzen. Und sie wartete. Wartete auf eine Antwort, wartete auf die Antwort, die er ihr schuldig bleiben musste, aber nicht konnte, wenn er sie nicht wieder enttäuschen wollte.

Da war sie also wieder. Die unausgesprochene Frage, die in ihrem bohrenden Blick lag, die eindeutige Frage nach der Wahrheit.

„Es tut mir leid“, wiederholte er unsicher, um Worte ringend, die nicht alles verrieten, „Es ist so schwierig…“, setzte er an und wusste doch nicht, was er sagen sollte.

Sie legte ihren Kopf schief, hörte aufmerksam zu. „Was ist schwierig?“, fragte sie lieb, „Die Sache, die du sagen willst oder die Situation?“ Skepsis legte sich in ihren Ausdruck. „Bin ich schuld?“

Sie dachte so komplex wie eh und je, doch ihre Ergebnisse waren wesentlich reduzierter. Entschieden schüttelte er den Kopf. „Nein, du bist nicht schuld“, wiederholte er, sie musste es ihm einfach glauben.

Es hatte doch keinen Sinn so. Er war so unentschlossen, dass er sich selbst nicht vorstellen konnte, wie jemand ihm überhaupt irgendetwas glauben können sollte. Er hätte sich doch selbst nicht geglaubt. Was blieb ihm anderes übrig? Seufzend resignierte er. „Du hast mir doch eine Frage gestellt…“, sagte er schließlich.

Sie rückte näher, aufgeregt nun. Jede Erwartung, die sie hegte, konnte er nur enttäuschen, das war ihm klar. Sollte er wirklich weitersprechen?!

Einfach alles sprach dagegen, einfach nichts sprach dafür! Doch er tat es trotzdem.

„Ja, das habe ich“, stimmte sie ihm nickend zu, blickte ihn überrascht an. Die Ungeduld war fassbar, und doch hielt sie sich zurück, beschränkte sich darauf, interessiert auszusehen.

Wieder wich er ihrem Blick aus, doch er nickte dennoch. „Du wirst es sowieso erfahren...“, versuchte er sich selbst Mut zuzusprechen, sah sie dann ernst an, jedoch noch immer nicht in ihre Augen, „Ich wollte dich damit nicht überfordern... Deswegen habe ich nichts gesagt... und deswegen sollte auch Adalia dir nichts sagen...“

Noch immer zögerte er, machte es für Mana fast unerträglich ruhig sitzen zu bleiben. Es war eindeutig, dass sie endlich wissen wollte, was er ihr sagen konnte. Dass sie wissen wollte, wer sie eigentlich war.

Es war unfair, sie warten zu lassen. Er atmete noch ein weiteres Mal tief durch, seufzte und begann dann zu sprechen. „Mana... Du warst eine Priesterschülerin... das hat Adalia dir schon gesagt.“ Was tat er hier?! „Aber dann...“ Wieso hörte er nicht einfach auf?! Es war falsch! Es war einfach falsch! „hast du dich in einen Priester verliebt...“ Er konnte es kaum aussprechen, es schnürte ihm die Brust zu, schmerzte, sich daran erinnern zu müssen. „Weil aber eine Priesterschülerin bestimmte Regeln zu beachten hat...“ Er musste aufhören! Jetzt! Sofort! „hat der Priester deine Prüfung vorgezogen und dich absichtlich durchfallen lassen... Er wollte dich zu seiner Königin machen...“ Wieso hörte er nicht einfach auf? Jetzt, wo er angefangen hatte, schien es wie ein Fluch zu sein. Er wusste nicht, wie er sich stoppen sollte, wusste nicht, wieso er nicht einfach aufhörte zu sprechen. „Weil er sich in dich verliebt hatte...“ Hatte es noch einen Sinn? „Weil ich mich in dich verliebt habe...“

Sandwind

Ich wünsche euch allen ein frohes Weihnachtsfest! ^_^ und nun viel Spaß mit dem vorletzten Kapitel für dieses Jahr ^^
 

Sandwind
 

Ihr Geschrei war wirklich nicht auszuhalten! Wie konnte sie es wagen, ihn so zu provozieren?! Wusste sie denn nicht, dass er gefährlich war? Oder glaubte sie es nicht?!

Wie auch immer, sie hatte ihren Bogen weit überspannt. Ihn so zu reizen, ging zu weit und konnte für ihn nur eines bedeuten: Er musste sie zum Schweigen bringen.

Wieder einmal war es hilfreich für den König der Räuber, dass die Seelen von Kul Elna ihm bedingungslos gehorchten. Zunächst sorgte er dafür, dass ihr die Luft weg blieb, ehe er sich selbst bewegte.

Er zog seinen Dolch – das würde heute noch ein Rekord werden, so oft hatte er das bereits getan – und lief auf Adalia zu. Akim, der noch immer im Weg stand, drängte er zur Seite. Sie würde nicht mehr lange schreien... Sie würde ihn zu fürchten lernen, wenn schon nicht freiwillig, dann eben mit Gewalt. Aber sie würde schon lernen, was es hieß Respekt zu haben.

Ihr erstickender Schrei war wie eine süße Melodie in seinen Ohren, klang in den schönsten Tönen.

Mit der Klinge in ihr Fleisch zu stechen, ihr Bein auf zu schneiden war ein reinstes Vergnügen, so amüsant, so verlockend. Sollte er auch nicht ihr anderes Bein nehmen? Er hatte noch so viele Dolche übrig, die alle förmlich danach riefen, genutzt zu werden. Doch, er sollte es wirklich tun. Immerhin hatte auch sie sich ihm mehr als einmal zu viel in den Weg gestellt, da war es doch nur gerecht, wenn auch er sich mehr als einmal den Spaß gönnte, oder?

Oh, es war so ein herrliches Gefühl den Konkurrenten leiden zu sehen! Obwohl Konkurrent noch die falsche Bezeichnung war... Um einen Konkurrenten zu haben, musste man auch eine Konkurrenz in der betreffenden Person sehen, oder? Nun das war definitiv nicht der Fall. Diese Priesterin hatte nicht im Geringsten das Zeug dazu, ihm seinen Rang streitig zu machen.

Egal. Also das andere Bein.

Genüsslich leckte er sich mit der Zunge über die Lippen, in Vorfreude auf das, was unmittelbar bevorstand. Er zog seinen Dolch, holte weit aus, zielte und wollte gerade zustechen, als etwas geschah, womit er nicht gerechnet hatte. Ein greller Blitz erschien, plötzlich und unerwartet, und der Meisterdieb wurde nach hinten geschleudert. Erschrocken blickte er auf, sah in die hasserfüllten Augen der jungen, aber mächtigen Priesterin.

Er hatte Glück gehabt. Obwohl er sich eigentlich zu eitel war um es zuzugeben, hatte er Glück gehabt, dass die Seelen da gewesen waren um seinen Sturz aufzufangen. Ohne ihre Hilfe hätte seine Landung durchaus ziemlich unangenehm werden können. Doch was machte es? Der Dolch war ihm aus der Hand geflogen und lag nun nutzlos an der Seite, das Fleisch der Brünetten war noch immer unberührt.

Noch.

Nicht mehr lange. Es war wirklich an der Zeit, dass er ihr Respekt beibrachte. Dieses Benehmen war nicht mehr länger zu tolerieren. Sehr finster sah er sie an, fixierte sie böse. „Du wagst es?!“, fauchte er grimmig, sie war wirklich zu weit gegangen! Sicher, dieser Blitz war beeindruckend gewesen, aber trotzdem! Es war dringend nötig, dass ihr jemand Manieren beibrachte! Und damit es auch Spaß machte, würde er derjenige sein.

Die Seelen warteten nur auf sein Kommando, zögerten nicht, seine Befehle auszuführen. Ein paar von ihnen krochen nun an Adalia hinauf schenkten ihrer zarten Haut eine Gänsehaut. Doch die Priesterin ließ nicht mit sich spielen. Ihr Blick war gerade zu von Wahn gezeichnet, Wahn und Entschlossenheit. Mit einem kräftigen Ruck riss sie ihre Handgelenke aus den Fesseln. Dass sie ihre Hände dabei ziemlich verletzte, war ihr egal, ebenso das Blut. Mit einer weiteren schnellen Bewegung befreite sie sich von der Seele, die ihr die Luft zum atmen nahm, und auch die übrigen Seelen schüttelte sie ab. „Nein! DU wagst es!“

Sie blutete an beiden Armen und am Bein, doch sie beachtete es überhaupt nicht. Drohend schritt sie auf ihn zu. Langsam wurde die Sache interessant. Sie war wohl doch nicht so harmlos, wie sie aussah. Sehr schön... Es war fast langweilig gewesen, viel zu wenig Herausforderung, doch nun versprach die Situation abwechslungsreich zu werden.

Wie wenig Hemmungen sie nun hatte, war wirklich eindrucksvoll. „Was hast du denn, Süße?“, hauchte er giftig in ihre Richtung, zuckte dann leicht mit den Schultern, „Ich habe dir doch gar nichts getan“, bestimmte er grimmig.

Nun ja... abgesehen davon, dass er sie gefangen und ihr Bein verletzt hatte. Dazu die Fesseln... Aber dass sie sich daran die Hände aufgerissen hatte, das war wirklich nicht seine Schuld.

„HALT'S MAUL!“, schrie sie, ließ es ein weiteres Mal blitzen und die Seelen waren verschwunden. Plötzlich stand sie direkt vor ihm, legte ihre Hand an seine Wange, strich ihm leicht darüber und gab ihm dann eine heftige Ohrfeige.

Sie hatte ihn überrascht, das musste er zugeben. Er betrachtete sie finster, blieb mit seinem Blick an ihrem Blut hängen. Das Blut des Feindes. Es bedeutete Triumph. Es bedeutete Macht! Das Elixier der Unterwerfung. Von einer wilden Gier gefangen, griff er ihr Handgelenk, zog es rücksichtslos an sich heran und kostete die rote Flüssigkeit, die Leben verhieß.

„Du bist niedlich“, grinste er sie an, „und erbärmlich!“ Er stieß sie von sich, ihren entsetzten Blick missachtend, auf genau die selbe Weise, wie er es zuvor mit Akim getan hatte.

Dieser beobachtete das Spiel des Meisterdiebs aus einiger Entfernung, aufmerksam zwar, doch wirkte er nur mäßig interessiert. Sollte er es halten, wie er wollte, er würde sich später um ihn kümmern. Die Zeit war gekommen, da er es beendete. Die Priesterin mochte die Seelen vertrieben haben, doch sie allein waren die Herren der Wüste und es war sein Wille, der sie lenkte und der ihn zu ihrem eigentlichen Meister machte.

Es zog ein Sandsturm auf. Gelenkt und gewollt von Bakura hörte er nur auf seine Worte. Adalia hatte keine Möglichkeit dem Sturm auszuweichen. Instinktiv kniff sie die Augen zu, griff nach dem Stoff und zog ihn über ihr Gesicht. Sie lag auf dem Boden und war der Naturgewalt hilflos ausgeliefert. Sollte sie doch versuchen mit ihren eigenartigen Blitzen etwas zu erreichen, es würde ihr nicht das Geringste bringen. Nein... Sie musste sich selbst verteidigen, doch wer sich verteidigte, der konnte nicht richtig angreifen. Genau das galt nun für Adalia. Sie konnte nicht angreifen, während sein Sturm ihr die Luft abschnitt. Vielleicht war es ihr gelungen, die Seelen abzuschütteln, doch dieses Mal lag die Sache anders.

Ihm selbst machte der Sand nichts aus. Er richtete sich gerade auf, blickte amüsiert zunächst auf Adalia und dann zu Akim. Lautstark lachte er auf, seine Stimme wurde getragen von dem Wind und erschallte auf diese Weise mehrfach. Er war also nicht einfallsreich, ja? Wenn er sich recht erinnerte, war dies das Urteil des Nebeljungen gewesen.

Ein lächerliches, falsches Urteil, das stand fest. „Was habt ihr denn?“, rief er vergnügt und verstärkte den Sturm.

Akim hatte ... nun ja, nichts. Es konnte ihm nicht verborgen blieben, dass es dem Jungen nicht zu stören schien, was hier geschah. Er trat einen Schritt auf den Räuber zu. „Was meinst du?“, hauchte er ihm in sein Ohr und wieder gelang es ihm so seinen Gegner erschaudern zu lassen, wieder gegen dessen Willen.

Er konnte dagegen sagen, was er wollte, der Junge beeindruckte ihn immer wieder. Wieder schien der Nebel ihn zu schützen, wieder schien er von allem unberührt.

Bakura drehte sich zu ihm, strich ihm über seine Wange. „Ach gar nichts“, lenkte er ein, doch der Andere achtete nicht auf seine Worte. Zwischen den Fingern hatte der Meisterdieb eine Klinge gehalten und ihm ins Gesicht geschnitten. „Genug Abwechslung?“, fragte er gehässig.

Gelassen blickte der Violetthaarige ihn an. „Du weißt doch, dass das nichts bringt...“, erklärte er bedauernd, völlig unbeeindruckt nahm er die Waffe aus Bakuras Hand, musterte sie für einen Augenblick. „Aber der Dolch ist hübsch“, fügte er anerkennend hinzu.

Er nahm ihn absolut nicht ernst! Es kümmerte ihn ganz und gar nicht, was auch immer er tat, er ließ sich einfach nicht in Schranken weisen und es machte ihn rasend. Er mochte es ganz und gar nicht, seine Waffe in fremden Händen zu sehen, sie gehörte ihm! Ganz allein ihm!

Was bildete er sich nur ein? Was glaubte er, wer er war? Er war nichts als ein Ärgernis! „Nun ja“, sagte er schneidend, „Es bringt nichts, oder?“ Es war geradezu lächerlich! „Hast du schon mal gesehen, wie Nebel sich im Sand bewegt?! Im Sand gibt es keinen Nebel, praktisch nicht lebensfähig!“

Lächelnd sah Akim ihn an. „Du hast gut aufgepasst“, sagte er voller Anerkennung, doch eigentlich klang es wie blanker Hohn; der Dolch wechselte von einer Hand in die andere. Er grinste. „Und hast du schon einmal von Nebel gehört, der einem die Haut verätzen kann?“

Er hatte eine wahnsinnige Freude daran, ihn zu erinnern und Bakura hatte einen wahnsinnigen Hass darüber in sich. „Das wirst du doch wohl nicht vergessen haben?“

Das Gefühl der Verätzungen auf seiner Haut war alles andere als schön gewesen, auch wenn es nicht lange angehalten hatte. Sauer betrachtete er den Jungen. Er war ein weiterer Grund, weswegen seine bloße Existenz nicht geduldet werden durfte.

Doch Akim war mit seinen Provokationen noch nicht am Ende. Um die Erinnerung besonders lebendig zu halten, spielte er mit seiner dolchfreien Hand mit einer grün leuchtenden Nebelkugel, warf sie hoch und fing sie wieder auf. Er spielte damit, als wäre es nichts weiter als ein Ball, doch Bakura konnte er nicht täuschen. Er wusste genau, dass es bei weitem nicht so lässig aussehen würde, wenn er eine dieser Kugeln berührte.

„Willst du auch?“, fragte Akim fröhlich, fies.

Der Weißhaarige brummte. „Ist mit doch egal!“, zischte er genervt und sah ihn abwertend an. Er hielt wirklich nichts von ihm, er störte ihn einfach nur. Der Sandwind wehte immer noch, hatte den ganzen Gang schon mit Sand zugeweht und es hörte nicht auf. Er drehte sich um und wollte gerade einige Schritte gehen, als er Akims Stimme erneut vernahm.

„Ist es das?“, fragte er amüsiert – machte er sich etwa über ihn lustig?! - „Hast du schon keine Lust mehr? Das ist aber schade...“

Die Nebelkugel traf ihn direkt auf dem Rücken und die ätzende Substanz zeigte Wirkung.

„ARGH!“, fluchte der Getroffene, doch dieses Mal machte ihm die Verätzung keine Angst. Er wusste, was er zu tun hatte, wusste, dass es nicht von Dauer war und so zerfiel er im Sand, ehe er wieder erstand.

Nun war er wirklich endgültig sauer. Zu Akims Füßen sammelte sich schlagartig Sand, der eine andere Farbe annahm und von Lichtstrahlen durchzogen wurden, die an dem Violetthaarigen empor schienen. Die Seelen stiegen hinauf, klammerten sich an Akims Beine, zogen sich hinauf und ihn gleichzeitig herab.

Die Seelen an sich schienen den Angegriffenen nicht zu stören, er kannte sie inzwischen schon gut und auch Bakura musste einsehen, dass er ihn damit nicht einschüchtern konnte. Doch das Gewicht an seinen Beinen schien ihn sehr wohl zu stören. „Glaubst du wirklich, dass es so einfach ist?“, Akim betrachtete die Waffe in seiner Hand, warf sie kurzentschlossen in den dunklen Sand hinein. Er kam frei, schüttelte kurz den Kopf, löste sich im Nebel, murmelte: „Wir sehen uns bald wieder...“ und verschwand dann im Nebel.

Der Sturm umwehte ihn, bis er keinen Widerstand mehr ausmachen konnte, doch der Wind ließ nicht nach. Bakura blieb zurück, starrte finster und voller Hass auf die Stelle, an der Akim verschwunden war und auf den Boden, wo seine Waffe lag, die er nun endlich wieder an sich nehmen konnte. „Bis bald...“, grummelte er.
 

Missmutig sah er in die Menge, es war kaum zu fassen. Seine Männer blickten auf ihn, erwartungsvoll, heiß auf den Kampf. Seine Männer! Es war kaum zu glauben, dass er nun schon auf Hilfe angewiesen sein sollte! Die Männer an sich waren nicht das Problem, aber dieser herrschsüchtige Nebelbeschwörer ging ihm entschieden gegen den Strich! Dass er sich einfach so herumkommandieren lassen musste! Es war dreist! Es war unglaublich entwürdigend! Aber er würde diese Männer nutzen können.

Diese Männer waren Menschen, die den Hass auf sich zogen, die seinen Hass hören wollten um ihn in sich aufsaugen zu können. Doch, die Schlacht versprach interessant zu werden. Shada lachte innerlich auf. Der Gedanke, die Gelegenheit zu bekommen, Seth abzuschlachten, versetzte ihn in Hochstimmung!

Mit den Augen überflog er die Menge, schätze ihre Zahl und grinste hinterhältig. Sie waren beachtlich viele, mit ihnen konnte man etwas anfangen.

„MÄNNER LIBYENS!“, begann er, richtete seine laute Stimme über das Feld, „In eurem Herzen lodert der Hass gegen das Volk ÄGYPTENS! Zu oft wurde euer Reich verkleinert, zu oft wurdet ihr niedergeschlagen! DOCH DAS SOLL NUN EIN ENDE HABEN!“ Er betrachtete die Truppen. „Um eure Rache auszuführen, braucht ihr einen starken Führer, der den gleichen Hass verspürt wie ihr! Folgt mir und wir werden das Land zerstören, die Menschen quälen und jeden töten, der es wagt, sich uns in den Weg zu stellen!“

Der Jubel war ohrenbetäubend, Schreie ertönten, Zustimmung!

„Ich werde euch als Führer nicht enttäuschen!“ Er kannte immerhin jede Strategie, die in Ägypten je erdacht worden war, kannte ihre Schwäche. „SIE sind SCHWACH in ihrer Hauptstadt! Zu wenige Überlebende, zu wenig Schutz und kaum Soldaten! Ein Heer wie das unsere sollte die Mauern schnell überrennen und die Menschen Angst und Hass lehren!“

Er würde seine Rache bekommen...

Gefühle

Ich wünsche allen Lesern einen guten Rutsch ins Jahr 2010! ^__^
 

Kapitel 80 – Gefühle
 

Weil ich mich in dich verliebt habe... Verliebt. Er hatte sich in sie verliebt. Der Stich, den Mana in ihren Herzen spürte, war echt. Er kam nicht von irgendeiner Verletzung, nicht, weil sie etwas falsch gemacht hatte. Er kam einfach nur von innen. Von ganz weit in ihr, das konnte sie fühlen, aber nicht erklären. Sie wusste nicht, wieso sie seine Worte verstanden hatte und sie kannte auch eigentlich gar nicht deren Bedeutung, aber sie hatte es verstanden. Der Priester hatte sich in sie verliebt. Die Bedeutung war so klar, als hätte man es ihr stundenlang erklärt.

Schmerz.

Es tat weh.

Er war nicht wie all das, was sie sonst spürte, nicht wie all das, was sie gewöhnt war, es war etwas ganz anderes. Liebe... Wusste sie, was das war? Wusste sie, was es hieß? Sie musterte ihn vorsichtig, abwesend. Sie musste sich doch an so etwas erinnern, oder nicht? Konnte man so etwas vergessen? Wie hatte sie es nur vergessen können? Was war nur falsch mit ihr? Sie biss sich auf die Lippe. Was sollte sie sagen? Wie sollte sie ihm darauf antworten? Sie wusste es nicht.

Hilflos blickte sie ihn an, lächelte leicht gequält. Er schüttelte den Kopf. „Es ist nicht deine Schuld“, sagte er, „Du kannst nichts dafür...“ Er sprach leise, aber sie verstand jedes Wort, das er sagte, als würde er es schreien. „Jetzt kennst du die Wahrheit...“, flüsterte er und es klang, als würde er sich von ihr verabschieden wollen. Als würde er um Entschuldigung flehen und doch nicht Gnade sondern Bestrafung erhoffen.

Sie verstand es nicht. Liebe... Es brachte sie durcheinander. War das, was sie fühlte, wenn sie ihn ansah, Liebe? War es nicht vielmehr einfach nur Freude? Wie sollte sie ihre Gefühle deuten, wenn sie deren Bedeutung nicht kannte? War das Liebe? War das Freude? Wieso war es so wichtig? Und wieso fühlte sie sich bei ihm anders als bei Adalia? Es war so schrecklich verwirrend... War es früher auch so gewesen? Bevor sie gestürzt war? War es da einfacher gewesen? Hatte sie es da gewusst?

Sie wusste nicht, wie es früher gewesen war, sie versuchte sich zu erinnern, aber sie konnte es nicht.

Doch er hatte es ihr nun erklärt... Sie wollte, dass man es ihr erklärte, wollte alles verstehen, was sie nicht kannte, damit sie bald wieder etwas wusste.

„Danke...“, flüsterte sie, immer noch nicht in der Lage zu entscheiden, was sie denken sollte. „Bist du…“, setzte sie an und richtete ihren Blick wieder auf seine Augen, „Bist du deswegen so traurig?“, fragte sie leise und hielt seine Hand fest, „Weil ich mich nicht erinnern kann?“

War sie schuld daran, dass Seth traurig war? War er traurig, nur weil sie aus dem Fenster gefallen war?

Er nickte schwach. Ihr Herz schlug schneller. Es war ihre Schuld… Sie machte ihn traurig. Sie wollte, dass er lachte, aber sie machte ihn traurig. Er drückte ihre Hand. „Mach dir keine Vorwürfe, weil du dich nicht erinnern kannst…“, flüsterte er, sah sie besorgt an.

Wie sollte sie etwas anderes denken?

Er legte seine freie Hand an ihre Wange und brachte sie damit dazu ihn anzusehen. „Es ist nicht deine Schuld“, wiederholte er. Seine Augen sprachen eine deutliche Sprache: Es war seine Schuld. Wieder schluckte sie, wieder biss sie sich auf die Lippe. Sie hörte ihm genau zu und strengte sich an zu lächeln. „In Ordnung“, sagte sie und sah ihn an, „Es ist nicht meine Schuld…“ Er wollte, dass sie ihm glaubte, also würde sie ihm glauben. Aber es war auch nicht seine Schuld. Es war der Unfall. Der Unfall hatte Schuld, beschloss sie.

Sie wusste nicht, wie sehr Seth ihr darin zugestimmt hätte, auch wenn der „Unfall“ für ihn eine völlig andere Definition hatte als für sie.
 

Sie gab sich alle Mühe, die schlimmen Gedanken zu verdrängen. War es nicht viel wichtiger, dass sie versuchte sich zu erinnern? Doch wie erinnerte man sich an etwas, das völlig unfassbar, einfach nicht existent war?

Er war traurig, weil sie sich nicht erinnerte. Er hatte sich in sie verliebt. „Deswegen machst du dir auch solche Sorgen um mich, oder?“, fragte sie und schaute ihn freundlich an. „Habe ich deswegen auch so Angst um dich?“

Er nickte. „Genau das ist der Grund“, stimmte er ihr zu und machte einen unverständlichen Eindruck auf sie. Wie sollte sie ihn deuten? Wie sollte sie verstehen, was sie nun zu tun hatte? Wenn sie nur gewusst hätte, was es bedeutete. Wenn es ihr nur klar wäre, welche Rolle sie zu spielen hatte.

Konnte er es ihr nicht sagen? Auch sie nickte, senkte dann jedoch den Blick und betrachtete ihre Hände für eine Weile. Jetzt wusste sie, wer sie war, doch…

Was brachte ihr das? Was sollte sie tun?

Seth.

Immer wieder nur Seth… Sie wusste, dass sie ihn gern mochte, aber war das Liebe? Wie konnte jemand wie sie wissen, was Liebe war? Wie sollte sie es wissen?

Sie war verzweifelt. Sie hatte sich doch sicher verändert, oder? Man konnte einfach nicht davon ausgehen, dass sie so war wie früher, wenn sie nichts mehr von früher wusste. In Gedanken versunken, schob sie sich immer näher an ihn heran, lehnte sich ihm leicht entgegen, doch es war ihr nicht bewusst. Sollte sie… Sollte sie ihm einfach eine Chance geben? Oder sollte sie sich… Zeit lassen? Sie wusste es nicht. Verwirrt schaute sie auf, erschrak. Ihr Gesicht war kurz vor seinem. Wie war sie ihm so nahe gekommen?!

„Seth…?“

In seinen Augen konnte sie es lesen. Die Überraschung, das Entsetzen, die wilde Gier nach ihr. Doch er zog weg. Schloss kurz die Augen und wich zurück, entfernte sich von ihr.

Es war ein eigenartiges Gefühl. Ein Gefühl von Leere. Ein Gefühl von Kälte. Sie hatte nicht erwartet, dass er zurückzog, blinzelte leicht, musterte ihn skeptisch und biss sich erneut auf die Lippe. Was hatte sie erwartet? Wieso fühlte es sich an, als hätte er sie abgewiesen, wenn sie doch gar nicht wusste, nicht wissen konnte, was sie denken und fühlen sollte? Was sie wollte? Sie hatte Angst. Angst, dass er sie nicht mochte, schluckte. Gekränkt drehte sie sich von ihm weg, neigte ihm den Rücken zu, mehr jedoch nicht. Sie winkelte ihre Beine an und legte die Arme darum. In letzter Zeit hatte so häufig so gesessen. War sie ihm eine Last? Er wollte sie nicht, wich vor ihr zurück. Wieso fühlte sich das so falsch an?

War das Liebe?

Sie hatte sich verändert. Er hatte sich in sie verliebt, doch sie war nicht mehr die, die sie gewesen war, als er sich verliebt hatte. Liebte er also immer noch? Sie wollte nicht, dass er weg ging, wollte nicht, dass er sie allein ließ, doch was sie wollte, das konnte sie nicht deuten.

Erschrocken über ihre Reaktion starrte er sie an. Sie spürte seinen Blick auf sich, drehte sich jedoch nicht wieder zu ihm und reagierte auch nicht auf ihn. Erst als er seine starken Arme um ihren Körper legte und sie so von hinten an sich zog, kehrte wieder Leben ein in sie. Für einen Moment hatte sie sich wehren wollen, hatte sie ihn von sich stoßen wollen, doch dieser Moment war schnell vergangen. Sie lehnte sich an ihn, schloss die Augen. Er war warm. Er war so unglaublich warm und stark. Konnte sie sich sicher fühlen bei ihm? Er verunsicherte sie, all seine Handlungen, all seine Taten und all das, was er nicht tat - es verunsicherte sie über alle Maßen. Erneut schluckte sie, seufzte leise. Ihr Herz schlug schneller. Hatte das eine Bedeutung? Hing es mit der Vergangenheit zusammen? Konnte jemand wie sie so etwas assoziieren? „Ich...“, fing sie leise und mit zittriger Stimme zu sprechen an, „Ich bin nicht die, in die du dich verliebt hast, oder?“, fragte sie, „Ich habe mich verändert, stimmt's?“

Sie musste es wissen, musste die Antwort von ihm erfragen. Nur er konnte es ihr sagen, nur er konnte es beantworten. Und seine Worte konnten sie zerstören.

Er hielt sie fest in seinen Armen, schaukelte sie sanft hin und her und schüttelte nach einigem Zögern den Kopf. „Doch... du bist es“, antwortete er mit einer Entschlossenheit, die sie nicht verstehen konnte und die mit einem Versprechen zusammenhing, das sie nicht kennen konnte, „Ich will nur, dass du dir sicher bist...“, erklärte er langsam, „Das geht doch sicher alles viel zu schnell für dich...“

Er legte seinen Kopf an den Ihren und betrachtete sie besorgt. Sie verstand es nicht. Es ging zu schnell? Was sollte sie denken? Was sollte sie sagen? Wie sollte sie handeln? Was waren Gefühle? Sie drückte sich dichter an ihn, legte ihre Hände auf die Seinen und hielt sich daran fest. „Zu schnell?“, fragte sie verwirrt, ließ sich das durch den Kopf gehen. „Es kann nicht schnell genug gehen, oder? Es ist doch ... sicher selten, wenn jemand alles vergisst ...“ Sie wurde immer leiser. „Ich habe euch schon so viele Probleme bereitet...“ Es stimmte. All die Geheimnisse, all die Vorkommnisse. Adalia, Kisara, Akim – und Seth. Sie gaben sich alle so viele Mühe für sie und sie konnte ihnen noch nicht einmal danken. Und Bakura. Auch er war nur ihretwegen wiedergekommen, oder? Sie seufzte tief. „Ich will, dass sich das ändert. Und dass du wieder glücklich wirst...“

Er drehte seine Hände so, dass er ihre drücken konnte, wiegte sie weiter hin und her. „Ja, es ist selten…“, stimmte er ihr zu, „Es ist sogar sehr selten…“ Wie selten genau konnte er ihr nicht offenbaren, doch die Zahl lag ihm auf der Zunge. „Doch mach dir deswegen keine Gedanken“, lenkte er wieder ein, „Du brauchst dich nicht rechtfertigen. Du machst uns keine Probleme, das brauchst du wirklich nicht glauben…“ Seine Stimme klang ernst, sachlich, aber dennoch voller Überzeugung. Meinte er es also wirklich ernst?

„Aber weißt du…“, fuhr er fort, „Solange du dir nicht sicher bist, sollten wir warten… Damit du… es später nicht bereust.“

Er lächelte – und brachte sie damit auf die Palme. Sie drehte sich zu ihm, sah ihn direkt an und schüttelte den Kopf. „Wie sollte ich es denn bereuen?“, meinte sie leise, traurig, lehnte sich wieder an ihn. „Wie sollte ich irgendwann merken, dass ich dich liebe… oder es noch tue, wenn ich doch eigentlich keine Bedeutung kenne?“ Sie atmete tief ein, „Wieso sollte ich euren Worten vertrauen, wenn ich doch nicht weiß, ob ihr lügt oder nicht? Wer sagt mir die Wahrheit, außer meinem Herzen? Wie kann ich mir denn je sicherer werden in dem, was ich tue, wenn ich doch eigentlich gar nichts weiß? Wie soll ich reagieren? Ich erkenne doch nichts…“ Es war zum verrückt werden. Sie alle hatten irgendwelche Vorstellungen von dem Leben, das sie zu führen hatte, doch zu nichts von alle dem konnte Mana sich wirklich eine Meinung bilden, weil sie keine Alternativen kannte.

Sie kannte doch überhaupt nichts. Sie war doch einfach nur ein Hindernis. Seth war nur wegen ihr traurig… Wenn sie sich doch nur erinnern könnte! Wie sollte sie ihn auf diese Weise denn nur glücklich machen?

Sie drückte ihren Körper dicht an seinen Oberkörper. Er war so schön warm, sie wollte immer bei ihm sein. Wenn er da war, dann ging es ihr besser, dann konnte sie durchatmen und es war ihr eigentlich auch egal, dass sie so wenig wusste. Nur dass sie ihn dadurch so unglücklich machte… Ging es nicht, dass sie beide glücklich waren? Sie war glücklich, wenn sie bei ihm war, doch wenn sie bei ihm war, machte sie ihn unglücklich…

Was sollte sie denn tun? Es war so zum verzweifeln… „Ich weiß doch nur, was mein Herz mir versucht zu sagen… Und den Unterschied zwischen Gut und Böse kann ich einschätzen…“ Er hörte ihren Worten aufmerksam zu, sagte jedoch für den Moment nichts. Wollte er nichts sagen? Wusste er nicht, was er sagen sollte? Oder wollte er ihr einfach nur die Gelegenheit geben zu Ende zu sprechen und sie nicht in ihren Ausführungen stören? Wieder wusste sie es nicht. „Alltägliche Dinge“, fuhr sie fort, „und Dinge, die der Instinkt lenkt, werde ich auch beherrschen… Und im Moment sagt mir mein Herz, mein Instinkt, dass dies hier richtig ist…“ Sie wurde immer leiser, blickte ihn an und zweifelte. Würde er versuchen, sie zu verstehen…? Oder würde er weiter darauf bestehen, auf eine Veränderung zu warten, die niemals würde kommen können?

Puppenspiel

Sand. Jede Pore ihres Körpers schien sich damit zu bedecken, schien sie zu umhüllen, sie einzusperren, ihr die Luft zu nehmen. Es kam so plötzlich, wie aus dem nichts war es da und nun gab es kein Zurück. Verzweifelt riss Adalia an ihrem ohnehin schon zerstörten Gewand und versuchte fast krampfhaft rechtzeitig mit einem Fetzen Stoff ihr Gesicht bedecken zu können, bevor der feine Staub auch ihre Atemwege erreichen konnte.

Wo war dieser Sturm auf einmal hergekommen? Wieso so plötzlich?! Es war ihr unverständlich. Es brannte in ihren Wunden, brannte, als der Sand über ihre Haut peitschte, doch all das nahm sie nur peripher wahr. Sie konnte nicht atmen.

War dies das Ende? War es ihr vorherbestimmt auf solch elendige Art zu sterben? Wie Vieh dahingerafft zu werden?! Dies war nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Sollten sich etwa all ihre Träume einfach so im Sand auflösen? Verschwunden in der endlosen Weite der Wüste?

Würde sie ihn wirklich nie mehr wieder sehen?

Nie mehr sein stolzes Antlitz erblicken?

Nie wieder... Seth?

Obwohl der Priesterin das Bewusstsein fast gänzlich schwand, schaffte sie es nicht, den Atemreflex zu unterdrücken. Sie schnappte verzweifelt nach Luft, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte – und sog einen kühlen Hauch ein von etwas, das nicht hätte möglich sein können. Sie riss die Augen auf, wohlwissend, dass ihr diese Tat den Sand in die Augen streuen musste, doch wiederum wurde sie überrascht. Ihre Sicht reichte nur wenige Zentimeter, doch in diesem Bereich war sie klar. Völlig klar. Adalia zwang sich zu denken. Etwas solches war gänzlich unmöglich. Der Sand hätte sie ersticken müssen, diese schützende Schicht war nichts, das der Natürlichkeit entsprach.

War es also... Sie stockte. Wieso eigentlich nicht? Das, was sie eingeatmet hatte, war keine reine Luft gewesen. Doch es war auch kein Sand. Spielte er etwa immer noch nach seinen eigenen Regeln? Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Manchmal war Akim wirklich unglaublich. Niemand konnte beurteilen, auf wessen Seite er gerade stand, doch die Überraschung – nun, die stand immer auf seiner Seite. Trotzdem blieb der Priesterin nichts anderes übrig, als darauf zu warten, wie sie langsam aber sicher verschüttet wurde. Sie konnte nur hoffen, dass dieser eigenartige Lebenshauch, den Akim ihr geschenkt hatte, lange genug vorhielt.
 

Zeit verging. Adalia wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen verstrichen worden war, und sie wusste auch nicht, wie lange sie noch hier gefangen sein würde. Das Gewicht auf ihrem Körper war immer schwerer geworden, also musste die Sandschicht über ihr auch immer breiter geworden sein. Nahm sie noch zu? Sie wusste es nicht. Sie hatte seit einer Weile nun keine Zunahme des Gewichtes mehr gespürt, doch sie wusste nicht, ob es daran lag, dass tatsächlich nichts Neues mehr hinzugekommen war, oder ob sie es schlicht und ergreifend einfach nicht mehr wahrnahm. Wie viel konnte so ein Körper tragen? Und vor allem: Wie viel konnte ein Körper tragen, ohne einen Unterschied zu spüren?

Wie lange lag sie schon hier? Noch immer konnte sie atmen. Sie Luft war zwar relativ dünn, aber sie reichte aus um sie am Leben zu erhalten, reichte aus um sie nicht voller Wut an sich und ihren Fähigkeiten zweifeln zu lassen.

Etwas geschah. Sie konnte es spüren, konnte es in jedem Muskel ihres Körpers fühlen. Das Gewicht nahm ab, doch sie selbst blieb voller Anspannung. Sie war bereit, noch einmal würde er sie nicht aus dem Hinterhalt angreifen. Noch einmal würde er sie nicht überraschen. Etwas riss an ihren Armen und zog sie aus dem Sand, zog sie auf die Füße. Wieder waren es diese Geister und wieder stand der Weißhaarige direkt vor ihr.

Wie sie ihn hasste! Wie sie ihn verabscheute!

Er legte seinen Kopf schief, zog erstaunt die Augenbrauen nach oben. „Du scheinst es wirklich gut verkraftet zu haben“, sagte er, hauchend fast und doch lauter als erwartet.

Wenn sie ihn nur erwischen könnte… Wie viel hätte sie darum gegeben, nun an seiner Stelle zu stehen, ihn festzuhalten.

Er legte seine Hand an ihre Wange, strich ihr grinsend übers Gesicht und packte dann eine ihrer offenhängenden Haarsträhnen und wickelte sie sich um den Finger. Die Geister verschwanden. Wacklig stand die Priesterin auf ihren Beinen, sie waren zwar geschunden, doch sie hielten ihr Gewicht. Sauer sah sie ihn an, schlug seine Hand voller Abscheu von sich weg. „FASS MICH NICHT AN!“, fauchte sie aufgebracht, erreichte damit jedoch nur, dass er sie auslachte. Noch immer grinsend trat er an sie heran, legte einen Arm um ihre Taille, locker zwar, doch dennoch mit Nachdruck. Ihre Worte ignorierte er vollständig. „Was hältst du von einer kleinen Wanderung?“, fragte er gelassen, packte in ihre Seite, was sie das Gesicht verziehen ließ. Erst einmal tat es weh und außerdem war es ihr unangenehm. Er war ihr unangenehm, sie verabscheute es in solch einer Nähe zu ihm zu stehen, doch sie hatte keine andere Wahl; er riss sie mit, egal wie sehr es ihr widerstrebte.

Er sprang – und im nächsten Moment schien der Boden unter ihnen wegzubrechen, er riss sie in die Tiefe, durch den Sand hindurch in die Finsternis. Das Einzige, das die Priesterin in ihrem Schecken wahrnahm, war das wahnsinnige Lachen, das noch immer von Bakuras Lippen kam.

Zwar wurde sie nach unten gezogen, doch wiederum konnte sie atmen. Dieses Mal jedoch war es ganz sicher nicht Akim, der ihr dabei half, das zumindest stand fest.

Sie schrie auf – er genoss es. Es ließ sich nicht anders sagen, es gab keinen besseren Ausdruck. Purer Genuss. Voller Abscheu versuchte sie sich von ihm wegzudrücken, ihm irgendwie zu entkommen, doch sie hatte keine Chance. „Was willst du von mir?!“, verlangte sie zu wissen, doch er ließ sich Zeit mit der Antwort, ließ sie warten.

Wider Erwarten landeten sie Beide auf den Füßen, doch im Gegensatz zu dem Räuber konnte die Priesterin den Aufprall nicht lange halten und so fiel sie dennoch zu Boden. Finster knurrte sie ihn an, blickte sich um. Sie kannte diese Gemäuer nicht, wusste nicht, wo sie sich befand und das gefiel ihr überhaupt nicht.

Bakura packte grob ihren Arm, zog sie gewaltsam wieder auf die Füße. „Was ich von dir will?“, fragte er höhnisch, erwartete jedoch keine Antwort, sondern gab sie im nächsten Augenblick selbst: „Fast gar nichts“, erklärte er, drückte sie leicht an sich und legte seine Hand an ihr Kinn um sie dazu zu zwingen ihn anzusehen. „Fast gar nichts“, wiederholte er noch einmal hauchend.

Es war alles voller Sand, er umgab sie, schloss sie ein, doch Adalia sah ihn nicht. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt, den Mann voller Hass anzustarren, der sie dazu brachte, den Blick nicht abzuwenden. Wenn sie sich nur hätte befreien können! Wenn sie nur etwas hätte tun können!

Wie gern hätte sie ihn in der Luft zerrissen, wie gern hätte sie ihn zur Strecke gebracht, gleich jetzt, auf der Stelle. Fesseln aus Sand hielten sie davon ab, schoben sich um ihre Handgelenkte und ihre Beine, hielten sie schon wieder fest, nahmen ihr schon wieder die Möglichkeit sich zu rühren. Und noch etwas hatte der Meisterdieb ihr genommen: Die Möglichkeit sich zu verteidigen. Der Zauber, der ihre Macht blockierte, war so präsent, dass sie es nicht einmal probieren musste. Sie wusste, dass es nichts brachte, nichts bringen konnte.

Hass durchströmte sie, durchfuhr jede einzelne Faser ihres angespannten Körpers. Wieder riss sie an ihren Fesseln, doch der Sand zog sich enger zusammen, jedes Mal, wenn sie daran zerrte.

Adalia spuckte Bakura ins Gesicht. „Ich sagte, du sollst mich loslassen!“, wiederholte sie sauer, der Blick fest und konzentriert. Wenn er ihr nur eine einzige Chance ließe... Er würde es auf Ewig bereuen.

Angewidert blickte er sie an, wischte sich das Gesicht im weiten Ärmel seines roten Mantels ab. „Wie du wünschst“, zischte er und löste den Zauber auf, der sie festhielt. Grob und hart wurde sie auf den Boden geschleudert, Stein und Sand spürte sie in ihr Fleisch schneiden.

Er schritt ein paar Meter auf und ab. „Sonst noch Wünsche, du Miststück?!“, fragte er und die Brünette starrte ihn entsetzt an.

Durch den Aufprall waren ihre Wunden wieder aufgerissen, doch das hatte sie nicht zu kümmern. Was wollte er? Wieso hatte er auf sie gehört?! Gut, sie hatte nicht so brutal zu Boden stürzen wollen, doch er hatte sie losgelassen. Er musste wissen, dass sie in der Magie ebenfalls äußerst bewandert war; wie konnte er es da riskieren? Der blockierte Zauber hin oder her – Wer sein Geheimnis kannte, der konnte sich auch in die Lage versetzen, den Zauber umzukehren.

Wieso also dieses Risiko?

Was für ein Ziel verfolgte der Weißhaarige, der ihr nicht nur die Freiheit, sondern langsam auch die Geduld nahm. Der Rand des Wahnsinns war nur eine weitere Klippe in Adalias Kampf und sie war nicht bereit sich auf Grenzen einzulassen. Unter keinen Umständen.

Grimmig starrte sie ihn an, sagte jedoch erst einmal nichts, gab nicht einen einzigen Ton von sich.

Herablassend sah er sie an, sie, die sie noch immer nicht wieder aufgestanden war, sie, die sie ihn so sehr verachtete. „Das habe ich mir gedacht“, rief er laut auflachend und ließ sich nieder auf einem Berg aus Sand, der sich nun wie ein geheimer und im Wüstensand verborgener Thron unter ihm offenbarte. Alles nur die Geister von Kul Elna? Ohne die Macht des Millenniumsringes wäre er bei weitem nicht so gut ausgerüstet, da war Adalia sich sicher. Sie selbst trug keinen Millenniumsgegenstand, doch deren ungeheure Macht war ihr dennoch nicht unbekannt. Sie war ihr nicht fremd, aber dennoch nicht furchteinflößend – Adalia wusste, was sie konnte, wusste, wozu sie im Stande war, was sie fähig war zu tun. Zwei Menschen nur auf der Welt teilten dieses Wissen ob ihrer Kompetenzen: Sie selbst und natürlich Seth. Der Mann, der ihr alles beigebracht hatte, der Mann, der noch immer ihr vollstes und absolutes Vertrauen genoss. Der Mann, der sie finden und ihn bestrafen würde, koste es was es wollte.

Von den Seiten des unterirdischen Raumes krochen Sandgestallten auf sie zu, kamen näher, je länger sie sie anstarrte.

Sollten sie ihr drohen? Sollten sie sie einschüchtern? „Sie wollen nur spielen“, erklärte der Ältere lachend.

„Was soll das heißen?“ schrie Adalia schrill, „Lass mich endlich frei!“ Noch immer schaffte sie es nicht sich zu rühren. Sie hatte den feindlichen Zauber zwar erkannt, doch ihre Rage selbst hinderte sie daran, etwas unternehmen zu können.

Ein Spiel also?

Sie schnaubte. Niemand würde jemals eine Spielfigur aus ihr machen, eine Puppe, eine willenlose Sklavin. Sie war keine Marionette, tanzte an keinen Fäden. Nicht für ihn und nicht für irgendjemanden sonst auf der Welt. Nicht in diese Leben. Was sie tat, wofür und wann, das entschied ganz allein sie selbst.

Er schüttelte den Kopf. „Du stehst meiner Tochter nur im Weg“, sagte er und betrachtete sie ausgiebig. Der Widerstand, der von ihr ausging, dieser hasserfüllte Blick. „Irgendwie erinnerst du mich an Manolya...“, murmelte er, doch sie konnte diese Worte kaum verstehen, so leise hatte er gesprochen. „Du bist wirklich amüsant“, hauchte er hinterhältig, „Es ist besser für dich, glaube es mir.“

Versuchte er sie von seinem Mitleid zu überzeugen? Es gelang ihm nicht. Für wen nur hielt er sich, dass er es wagte, so mit ihr umzuspringen?!

Ein Spiel, ja?!

Sie war nicht bereit für ein Spiel. „Was ist besser?“, fragte sie, das Gesicht vor Wut verzerrt, doch der Blick eiskalt, berechnend und konzentriert.

Er erklärte es ihr nur zu gern. „Ich sorge nur dafür, dass du niemandem mehr im Weg stehen, oder – wie du es nennen würdest – helfen kannst.“ Er lachte. Ihr Hass trieb ihn an, sie wusste es, doch sie konnte es nicht unterdrücken. Sie war nicht bereit für dieses Spiel!

„Du wärest eh nur lästig, wenn meine Tochter“ – er unterbracht sich kurz um die Wirkung dieses Ausdrucks genießen zu können – „Königin wird!“

„Falls Mana Königin wird, hast du da trotzdem nichts davon!“, patzte Adalia sofort, die finsteren Sandkreaturen weiterhin misstrauisch betrachtend. Sie war fest davon überzeugt. Seth würde es niemals zulassen, dass jemand wie Bakura Einfluss im Palast bekäme, er würde nicht zögern, jede Möglichkeit einer solch absurden Situation auf der Stelle im Keim zu ersticken und zu vernichten.

„Ach nein?“, fragte der Dieb nur und belächelte sie schamlos, „Glaubst du nicht, dass ich einige Dinge zu meinem Vorteil lenken kann, jetzt, da sie sich nicht mehr an Gut und Böse erinnern kann?!“

Nun jedoch war es an Adalia, ihn grimmig zu belächeln. „Nein, das glaube ich nicht“, sagte sie entschlossen. Er unterschätzte Seth.... Es war sein eigener Fehler... er würde sehen, was er davon hatte.

Er erhob sich, ging wieder auf sie zu und grinste. Neben ihr angekommen, hockte er sich zu ihr nieder, neigte leicht seinen Kopf. „Du brauchst das nicht glauben, das hat dich gar nicht mehr zu interessieren!“, sprach er, und seine Stimme klang schrill wie purer Hohn.

Sie legte ihre Stirn in Falten. Es gefiel ihr absolut nicht. Sie fühlte sich ihm ausgeliefert und das war ein Gefühl, das hatte sie nie gekannt. Es war nicht gut, etwas gänzlich schlecht. „Was willst du damit sagen?!“, schrie sie, „Drück‘ dich gefälligst klar aus!“ Wieder gelang es ihr nicht, sich selbst im Zaum zu halten, wieder schaffte sie es nicht, ihm nicht direkt in die Hände zu spielen, damit er sie in aller Ruhe zerfleischen konnte.

Sie musste hier heraus, und das dringend!

Er trat ihr in ihre Seite, zuckte dann mit den Schultern. „Wer wird dich hier vermissen?“, fragte er finster grinsend, sah sie jedoch nicht an, sondern fixierte einen Punkt weit abseits von ihr, die Arme triumphal verschränkt. „Wer wird nach die suchen?“ Er drehte sich zu ihr, zog ihren Kopf nach oben, nur um sie sogleich wieder in den Dreck zu drücken. „NIEMAND! Du solltest es dir bequem machen, schlafe eine Runde...“

Er lachte.

Und Adalia kam nicht darum herum, erkennen zu müssen, dass er alle Fäden in den Händen hielt.

Teana

Pflichten, die es zu erfüllen galt, standen ihm bevor, unzählige Aufgaben für den Pharao Ägyptens. Reden, Ansprachen und Feste zu ihrem Sieg, Gedenken an die Opfer und die Neuordnung der politischen Lage an der Grenze – die Liste war schier endlos.

Anliegen, die für den Krieg zurückgestellt worden waren, hatten nun Priorität und mussten angehört werden, ebenso jene, die neu hinzugekommen waren. Atemu seufzte schwer. Wie nur sollte er seine eigenen Gedanken ordnen um dem Volk gerecht zu werden? Wie nur seine Trauer, seine Wut und seine Angst unterdrücken und als Gebieter über sein Reich herrschaftlich auftreten?

So vieles hatte sich verändert in der Zwischenzeit, so viele Einschnitte hatte es gegeben. Wie nur sollte er verkünden, dass die Götter sein Kind verstoßen hatten? Wieder schien sich seine Brust zu verkrampfen. Der Gedanke an den Verlust des Kindes stach tief hinein in sein Herz und doch war es noch immer nicht ausgestanden.

Wie nur sollte er es Seth mitteilen? Er musste die traurige Neuigkeit dringend erfahren, nun, da er neben Atemu selbst der einzig übrige Thronanwärter war. Wie würde er dazu stehen können?

Sicher kam ihm diese Nachricht nicht weniger ungelegen. Ihn nun ins Licht der Öffentlichkeit zu ziehen war gewiss nicht von Vorteil, denn nicht nur auf den Hohepriester würde vermehrt geachtet werden. Nun, da das Kind tot war und Teana sich noch nicht davon erholt hatte, würden die Blicke auf Seth und Mana ruhen. Von ihnen würde man erwarten Stärke zu zeigen, während der Pharao es vor Kummer und Sorge nicht konnte.

Mana...

Ohne Erinnerungen.

Seth war im Augenblick nicht bereit für die Öffentlichkeit und er konnte es ihm nicht verübeln. Wie nur wollte er Mana nun schützen? Ihre Veränderung durfte kein Aufsehen erregen. Sie würden sie in der Luft zerreißen!

Und es war seine Pflicht ihnen die Zeit zu verschaffen, die sie nun brauchten. Seine ganz allein. Denn letztendlich war es nur ihm zu verdanken, dass dies alles überhaupt geschehen war. Wenn er nur jemanden anderes für den Unterricht erwählt hätte...

Es war seine Pflicht sie zu schützen. Sie vor unnötigen Fragen zu bewahren und er würde ihr gerecht werden. Denn zumindest das war er Mana schuldig.

Und was war er sich selbst schuldig?

Entschlossen drehte er sich um und setzte sich in Bewegung. Die Öffentlichkeit konnte warten. All das hatte noch Zeit.

Wenig Zeit dagegen hatte: Teana.
 

Die Libyer zu überzeugen ihm zu folgen, war eine Kleinigkeit gewesen, wesentlich einfacher, als er es sich vorgestellt hatte. Nicht, dass er diesem Priester sonderlich viel zugetraut hätte, doch wenn es ihm nicht gelungen wäre die feindlichen Krieger davon zu überzeugen ihm zu folgen, nun dann wäre es auch kein sonderlicher Verlust gewesen.

So machte es die ganze Sache um einiges einfacher. Einfach und interessant. Er konnte die Fäden im Hintergrund lenken, die Richtungen vorgeben und musste sich nicht selbst die Finger dreckig machen. Es war einfach großartig. Alles verlief nach seinem Willen und sollte doch etwas geschehen, war es nicht von Belang, denn alle Figuren waren unwichtig und austauschbar. Cyrus leckte sich genüsslich über seine Oberlippe. Die Ägypter würden sich schon sehr bald wünschen, niemals geboren worden zu sein und er freute sich über alle Maßen darüber.

Seine Rache würde perfekt sein, niemals wieder würde irgendjemand auf dieser jämmerlichen Welt es wagen sich an seiner Familie zu vergreifen. Niemals wieder…

Erst hatten sie ihnen Akim genommen und schließlich auch Meira so zugerichtet. Seine geliebte Schwester. Wer auch immer dafür verantwortlich gewesen war, würde zahlen – und das Mädchen ebenfalls.

Und Akim? Sein Bruder Akim. Jahre lang war er verschollen gewesen, sie hatten nicht einmal gewusst, dass er noch am Leben war, bis er schließlich wieder vor ihnen stand.

Der Priester, der ihn unterworfen hatte, hatte nie dafür gebüßt. Nie den Preis mit Blut gezahlt. Es war an der Zeit, dass er lernte zu bereuen; es war an der Zeit, dass er verstand, dass es Mächte gab, die die seinen bei Weitem übertrafen.

Akim… Er hatte sich so sehr verändert und doch war er derselbe geblieben. In all den Jahren hatte er doch nie den Spaß an Spielen verloren. In all den Jahren hatte er nie das Lachen verloren… Und doch war er nicht mehr zuhause. Seine Heimat konnte er nicht mit Überzeugung als solche betrachten. Und sein Umgang im Palast war zweifelhaft. Meira mochte davon ausgehen, dass sie es vor ihm verbergen konnten, doch es war Cyrus nicht entgangen, dass sein jüngerer Bruder noch immer im Palast ein und aus ging, ganz so wie es ihm beliebte.

Nur welchen Zweck er damit verfolgte, das war ihm nicht ganz klar. Es kümmerte ihn nicht. Es war seine Sache. Doch wenn er den Hohepriester nicht für seine Taten bluten lassen wollte, so konnte er sich nicht heraushalten.

Diese Rache würde er sich nicht entgehen lassen.

Das Heer war bereit, kampferprobt und verbittert. Es war die perfekte Mannschaft um sie für seine Zwecke zu benutzen. Sie hörten auf das Wort des ägyptischen Priesters, der von ihnen allen wohl die meiste Wut im Herzen hatte und dieser hörte auf sein Wort. Er selbst glaubte wohl, dass er ihn hintergehen konnte, doch Cyrus wusste es besser.

Es versprach interessant zu werden. Shada formte das Heer und gab ihm eine Aufstellung, verteilte Waffen an all jene, die ihr Geschütz in der vorangegangenen Schlacht verloren hatten und deckte auch sich selbst wieder ordentlich ein. Die Pferde wurden angetrieben, kranke oder verletzte Tiere ausgetauscht. Unentwegt schrie er ihnen Parolen des Hasses zu, schürte ihre Abscheu und ihre Verachtung vor den Mördern ihrer Verwandten und Freunden, vor den Unterdrückern ihrer Freiheit und vor den Unterwerfern ihres Willens. Es war gerade zu lachhaft, wie sehr er sich in seine neue Aufgabe hineinsteigerte; lachhaft wie nötig er es hatte, ihnen seine eigene Wut aufzudrängen.

Das Heer hatte eine Aufgabe, die nur eine einzige Handschrift trug: Zerstörung.

Cyrus schüttelte den Kopf. Shada hatte sich an die Spitze der Truppen begeben und führte sie nun an, trieb sie der Hauptstadt des ägyptischen Reiches entgegen. Der ehemalige Priester zuckte lässig mit den Schultern, als er den Blick des Nebelherrschers auf sich spürte. Sein Grinsen sprach eine eindeutige Sprache.

Eine Hoffnung, die der Violetthaarige zu zerschlagen gedachte. Er hatte nicht vor den Hohepriester jemandem anderen zu überlassen, doch sollte der Kahlköpfige ruhig glauben, was er wollte. Er konnte ihn nicht täuschen, und wenn er sich einbildete, dass er untätig bleiben würde, dann war er naiv. Naivität war so leicht zu brechen…

Die Zeit war gekommen dem Ganzen die nötige Atmosphäre zu verschaffen und sich selbst einzubringen. Er bewegte zwar strategisch die Figuren, doch den Spaß des Krieges würde er sich nicht länger entgehen lassen. Zu lange hatte er sich herausgehalten, zu lange nur beobachtet.

Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, zu dem es sich lohnte sich die Finger zu beschmutzen, nun, da all die lästige Vorarbeit getan war. Dieses Mal würde er es zuende bringen. Dieses Mal gab es kein Zurück.

Er schmiss seine Hände gen Himmel, lachte in die entstehende Finsternis hinein. Der Nebel, den er rief, war schwarz, erstickte jedes Licht und jeden Funken Hoffnung im Keim, denn er war erfüllt von den Schreien, den klagenden Lauten, die der Wind über das Schlachtfeld getragen hatte und die im höchsten Ton und im Tode endeten.
 

Er war zurück gekommen. Konnte es auf etwas anderes hinauslaufen? Sie brauchte ihn, er allein blieb übrig, wenn er es von ihrer Perspektive aus betrachtete. Er war ihr engster Vertrauter.

Wer sollte ihr beistehen, wenn nicht er? Es war alles so unfassbar… Eben noch waren sie dabei eine kleine Familie zu werden, zwar unter ständiger Beobachtung, aber dennoch glücklich. Und nun?

Es war alles wie zerstört. Das Kind war tot, Teana lag im Sterben und er konnte nichts tun. Wieso nur sie? Wieso sie beide? Welches Verbrechen hatte er gegen die Götter begangen? Welchen Verrat getan?

Er betrachtete sie stumm. Die Überreste seine Familie, die letzten Fäden, die noch nicht gerissen waren. Teanas Leben.

Er musste sie unbedingt retten, musste ihr unbedingt beistehen, ganz egal was es kostete. Wenn er nur kein Pharao gewesen wäre… Die Last auf ihren Schultern wäre so viel leichter gewesen. Zwar hätte er dennoch in die Schlacht ziehen müssen, doch er hätte jemanden dafür verantwortlich machen können, jemanden verfluchen.

So blieb nur er selbst. War es nicht genau so, wie sie alle es ihm gesagt hatten? Vor dem Krieg? Wie Teana es ihm gesagt hatte? Wie sogar Mana – er schluckte beim Gedanken an sie wiederum – es ihm gesagt hatte?

Er hatte alles dafür vorbereitet, dass Seth ihn als Pharao ersetzen konnte, sollte ihm etwas zustoßen, und alle Warnungen in den Wind geschlagen um das Heer selbst anzuführen. Hatte er denn gezweifelt, dass Seth allein das Heer nicht hätte führen können? Nein.

Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, dass nicht er zum Opfer dieses Krieges werden würde, sondern Teana. Weit ab von der Grenze, verborgen hinter dicken Mauern, die hätten Schutz bieten sollen. Alles war anders gekommen, als er es erwartet hatte.

Was blieb ihm nun? Welche Alternative hatte er noch? Teana brauchte ihn, brauchte ihn dringender als je zuvor. Also musste er stark sein für sie. Wenigstens ein einziges Mal wollte er seinen Pflichten als Ehemann gerecht werden, nicht als Pharao. Die Politik hatte bereits zu viele Opfer gefordert, die nicht mehr wieder gut zu machen waren. Zu hoch war der Preis gewesen, den sie alle zu zahlen gehabt hatten.

Teana.

Sie wühlte sich im Bett umher, unruhig, kalter Schweiß auf der Stirn. Und der Arzt war ratlos. Was konnte er da tun? Was sollte er tun? Was wurde von ihm verlangt? Welch übermenschliche Tat sollte er vollbringen um die Götter gnädig zu stimmen?

Er war kein Gott. Er hatte nie einer sein wollen. Er wollte doch nur … Teana.

Immer nur Teana.

Teana, wie sie ihn lächelnd ansah.

Teana, wie sie majestätisch ihre Pflichten erfüllte.

Teana, wie sie traurig in die Gegend blickte, wenn die Welt zu viel von ihr verlangte.

Teana, wie sie lachte, Teana, wie sie weinte.

Immer nur Teana.

Seine Teana.

Langsam erhob er sich, war dann aber doch schneller, als er selbst es erwartet hätte, an ihrem Krankenbett und ergriff ihre Hand. „Teana“, flüsterte er eindringlich, „Bitte…“ Sie musste aufwachen, sie musste kämpfen, sie musste leben! Sie musste, sie musste, sie musste!

Doch sie zeigte keine Reaktion. Qadir trat an ihn heran, musterte ihn aufmerksam. „Herr, ich möchte Euch noch einmal bitten dieses Zimmer zu verlassen“, sprach er nachdrücklich, „Es steht sehr ernst um sie…“

Atemu bedachte ihn mit einem todbringenden Blick. „Genau deswegen bleibe ich!“, zischte er in einem Ton, der jeden Widerspruch nicht duldete. Er war noch immer der Pharao und Qadir nur ein Arzt. Er drehte sich wieder zu seiner Liebsten, drückte ihre zarten Finger ein wenig fester und strich ihr sanft über ihre Stirn und ihre Wangen. „Teana, bitte wach auf…“

Sie ließ sich nicht aus ihren finsteren Träumen reißen, doch sie wurde ruhiger. „Atemu“, hauchte sie schwach, gefangen in sich selbst und es war nur ein leises Murmeln, so dass er noch nicht einmal sicher sein konnte, sie wirklich gehört zu haben. Trotzdem versuchte er aus diesem einen kleinen, leisen Wort neue Hoffnung zu schöpfen, Hoffnung, die er so sehr benötigte.

„Teana? Hörst du mich?“, fragte er wieder, wurde ungeduldiger, „Wach auf, bitte! Du musst aufwachen und kämpfen, hörst du?! Lass mich nicht allein…“ Seine letzten Worte waren erstickend, es schnürte ihm die Kehle zu. Doch keine Veränderung. Sie hörte ihn nicht und ihre Augen blieben geschlossen.

Nur einmal noch… Nur einmal noch wollte er sie lächeln sehen, nur einmal noch wollte er in ihre strahlenden Augen blicken…

Nur ein einziges Mal…

Verzweiflung machte sich breit. Er schüttelte sie leicht, rief immer wieder ihren Namen. Täuschte er sich, oder nahm ihre Körpertemperatur ab?! Bei allen Göttern, er konnte nur beten, dass er es sich einbildete…

Was sollte er denn nur ohne sie tun?! „TEANA!“, rief er wieder, er war immer lauter geworden.

Er schüttelte sie, er schüttelte seinen Kopf, die Tränen schossen ihm in die Augen und er konnte nichts dagegen tun. „VERDAMMT!“, schrie er, starrte den Arzt an, „TU DOCH WAS!“ Er brüllte, einfach so, brüllte ohne Sinn und Verstand jeden an, der ihm in den Weg kam, jede helfende Hand, die nichts für sie tun konnte.

Und doch blieb immer nur Teana. Er wollte nicht weg von ihr, er wollte doch nur ihr Lächeln sehen, nur ihr Lächeln! War das denn zu viel verlangt?! Er rückte näher an sie heran, bettete verzweifelt seinen Kopf auf ihre Brust und lauschte ihrem schwachen, unregelmäßigen Herzschlag. „Wach auf… Wach einfach auf!“, flehte er und schlug mit der Faust auf das Bett neben sich, „Nicht du auch… nein… Wach auf, Teana!“

Traum

Schritt für Schritt lief die Zeit voran, Sekunde um Sekunde verging und niemand konnte sie stoppen. Nichts auf dieser Welt konnte sie aufhalten, weder die Millenniumsmagie, noch die Magie des Nebels. Es war der natürliche Lauf der Dinge. Wie sollte man sich da widersetzen?

Die Zeichen waren eindeutig, Vergangenheit, Gegenwart – und Zukunft. Alles geschah so, wie die Kette es ihr gezeigt hatte, ohne Einschränkungen, ohne Zweifel an dem, was da kommen würde. Meira schluckte einmal schwer. Ihr Bruder tat alles, was in seiner Macht stand, um diesen Krieg in Bewegung zu bringen – diese Mal sollte es kein Entkommen geben.

Der Priester, den er zu seiner Marionette gemacht hatte, tat ihr schon fast Leid für seine Blauäugigkeit. Aber nur fast. Im Grunde war er ihr völlig egal. Er war ersetzbar und er würde es schon noch merken. Selbst wenn sie ihn also von seinem Vorhaben hätte abbringen können, so wäre doch die entstehende Lücke schnell geschlossen. Der Stein war ins Rollen gebracht und niemand konnte sich dem Lauf des Schicksals widersetzen.

Hätte sie es gekonnt? Hätte sie es getan, wenn sie nicht vorher schon alles gesehen hätte? Hätte sie sich dann diesem Kampf angeschlossen?

Rache… War es ein Lebensgefühl, das so erstrebenswert war, dass man alles dafür riskierte? Sie wusste es nicht.

Ihr großer Bruder hatte immer alles für sie getan, hatte sich immer um sie gekümmert. Immer war er da gewesen und all seine Taten waren nur ihretwegen geschehen.

Doch war es Rache, die sie wollte?

Rache dafür, dass sie so sehr verletzt worden war? Es war nicht das Mädchen gewesen, das sie so zugerichtete hatte, das hatte die Rothaarige längst durchschaut. Sie war nur das Medium gewesen, nichts weiter. Seit dem Moment, als Akim zu ihnen zurückgekommen war, hatte sie gewusst, dass es seine Magie gewesen war, die sich gegen sie gerichtet hatte. Das Mädchen hatte bereits gebüßt und doch war ihr Preis noch nicht gezahlt.

Wollte sie sich an Akim rächen? Hätte sie es tun sollen? An ihrem eigenen Bruder?

Nein.

Und die Rache für ihn?

Meira lächelte traurig. Cyrus trat für sie beide auf, doch eigentlich stand es ihm nicht zu, dies zu entscheiden. Sie hatte es immer gewusst und auch jetzt wusste sie es. Sein Starrsinn allein führte ihn und seine unersättliche Gier nach Macht. Er war der Mächtigste von ihnen allen, doch das war ihm noch immer nicht genug. Geblendet von all seinen Möglichkeiten übersah er, was sie längst gesehen hatte.

Was sie ihm verschwiegen hatte…

Meira hüllte sich selbst in einen Nebel ein, verbarg sich darin und entfernte sich immer weiter von ihrem Bruder, während dieser seine Schachzüge in die Tat umsetzte. Er beachtete sie sowieso jetzt nicht.

Die Libyer interessierten sie nicht. Sie hatte nur noch Augen für die Kette, die sie nun in ihren Händen hielt und traurig betrachtete. Sie seufzte.

Die Millenniumskette. Würde nun wirklich alles wahr werden?

Gab es kein zurück?
 

Jedes einzelne ihrer Worte kam ihm vor wie seine gerechte Bestrafung für all das, was er getan und nicht getan hatte, für all das, was er war und für all das, was er aus ihr gemacht hatte.

Jedes einzelne Wort schnitt tief und prägte sich ein, doch durfte er keine Regung zeigen, durfte nicht zugeben, wie sehr er darunter litt sie so zu sehen. Es war nur gerecht, dass es ihm nun so schwer fiel mit ihr umzugehen, es war gerecht, dass er zu schweigen hatte, denn wenn er nur rechtzeitig eingeschritten wäre, hätte es niemals soweit kommen müssen.

Es hatte in seiner Macht gestanden, all das zu verhindern, doch er hatte es nicht getan. Weil er nicht geglaubt hatte, dass so etwas innerhalb der sicheren Mauern des Palastes möglich war, weil er nicht geglaubt hatte, dass Atemu sich in der Wahl seiner Priester so sehr hatte täuschen können.

Er hatte all das nicht gewollt.

Er war nur seinem Herzen gefolgt, nur ein einziges Mal. Hatte Schwäche gezeigt, nur ein einziges Mal…

Verletzbarkeit war etwas, das er sich nicht leisten konnte in einer Zeit wie dieser. Eine Zeit, die einem alles abverlangte, die das absolute Maximum forderte.

Eine Zeit, in der Handeln auf dem Tagesplan stand und nicht bereuen.

Eine Zeit, die von politischem Interesse war, eine Zeit, in der alle Wunden noch frisch waren, doch auch eine Zeit, in der ihr Sieg schwer wiegte. Eine Zeit wie diese.

Und was tat er? Was war alles, woran er denken konnte? Pausenlos? Rundum die Uhr? ... Ein Mädchen ohne Erinnerungen.

Die Etikette verlangte eine Partnerin an seiner Seite, eine Frau, die breit war die Krone mit ihm zu tragen, sollte er eines Tages Atemus Platz einnehmen. Eine Frau, die bereit war, ihr Wohl für das Volk und für das Land zurückzustellen. Eine Aufgabe, die Mana nun nie im Leben würde erfüllen können.

Er seufzte tief. Was sollte er tun?

Er konnte sie nicht allein lassen mit all ihren Fragen, konnte sie nicht einfach links liegen lassen. Er konnte Adalia bitten, sich um sie zu kümmern, doch er konnte sie nicht ignorieren. Es ging einfach nicht.

Wenn sie nur endlich schlafen würde, wenn sie sich nur endlich Ruhe gönnen würde… Doch sie war aufgewühlt und aufgeregt, nun, da er wieder da war.

Ihre Worte hatten ihn tief traurig gestimmt. Nachdenklich nahm er ihre Hand in die Seine. „Du wirst die Bedeutung deiner Gefühle kennen, glaube mir“, versuchte er sie zu besänftigen, davon ausgehend, dass er sie nie auf solch einfache Weise überzeugen konnte, doch sie stimmte ihm zu. „In Ordnung“, antwortete sie und kicherte – und Seth musste sich zwingen nicht zu entsetzt zu schauen. Ihr altes Selbst hätte ihm niemals geglaubt, hätte solange auf ihn eingeredet, bis sie selbst nicht mehr wusste, worum es ihr eigentlich ging – doch niemals hätte sie nachgegeben.

Sie verglich ihre Hände mit seinen, war erstaunt und fasziniert, als sie erkannte, dass ihre Finger wesentlich kleiner waren als seine und spielte damit. Sie strich über seine Haut, sanft und langsam und stieß ihn damit in die Hölle.

Er hatte es kaum verdient. Er genoss ihre Nähe und hätte sich im selben Moment für solche Gedanken ohrfeigen können. Ihre Berührungen brachten ihn durcheinander, genauso wie ihre Worte. Sie glaubte ihm? Wie konnte sie? Wieso hinterfragte sie nicht, wieso protestierte sie nicht? Wieso nur hatte er sie nicht behalten können, wieso nur war alles so schief gegangen?

Sie kicherte, drückte sich dann an ihn. Sie suchte seine Nähe, immer und immer wieder, doch was sollte er tun? Sollte er ihren Wunsch erfüllen? War es wirklich ihr Wunsch? Ihr Lachen klang so verspielt, so vertraut. Ohne recht einen Einfluss auf seine Handlungen zu haben, schloss er seine Arme um sie. Er hielt sie fest und genoss.

Für diesen einen Moment wollte er vergessen, für diesen einen Moment wollte er einfach nur froh sein, dass sie hier war. Nie hätte er gedacht, dass er so sehr an ihr hängen würde, nie hätte er gedacht, dass so etwas jemals möglich sein konnte. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er ihren Geruch aufsog.

Sie kicherte, offenbar kam es ihr eigenartig vor, doch sie wehrte sich nicht. Im Gegenteil, sie schien Vertrauen zu fassen und hielt sich an ihm fest, kuschelte sich in seine Umarmung und strahlte.

Dieser Blick gefiel ihm so viel besser als all die Traurigkeit und die Unsicherheit, die sie zuvor ausgestrahlt hatte. Wenn er nur dafür sorgen könnte, dass sie wenigstens so fröhlich blieb, dann hätte er zumindest eine Sorge weniger. Doch er war realistisch genug um zu wissen, dass es nicht möglich war.

Die Kälte allein, die er auslösen würde in dem Moment, da er sie loslassen musste, war Grund genug, weshalb er das Lächeln auf ihrem Gesicht nicht festigen, nicht einfrieren konnte. Auf seinem auch nicht. Ihre Nähe war wie ein ungeahnter Schatz für ihn, doch er konnte nicht damit umgehen.

Fasziniert betrachtete sie seine Augen, die sie fixiert hatten. Zögerlich hob sie ihre Hand und legte sie ihm an die Wange – der Hohepriester wäre am liebsten vor ihr geflohen. Sie, die sie ihn so in der Hand hatte, sie, die sie eine solche Kontrolle über ihn zu besitzen schien…

Er musste sich das einbilden. Es konnte nicht real sein. In dem Moment, als er den Millenniumsstab losgelassen hatte und der Zauber damit permanent war, hatte er gewusst, dass eine solche Vertrautheit nie wieder möglich sein konnte. Es musste einfach ein Traum sein… Erschreckend genau, detailliert und realistisch ein grausames Abbild der Wirklichkeit – ein Traum, aus dem er nicht mehr erwachen wollte.

Er lehnte sein Gesicht gegen ihre Hand, sah sie verlegen lächelnd an. Sie erwiderte seinen Blick, hielt mit ihrer anderen Hand die Seine ganz fest. Als sie die Worte sprach, die sein Herz scheinbar zerspringen ließen, sah sie fröhlich aus. „Ich bin mir sicher…“, murmelte sie leise, doch er verstand jedes Wort. Sie hörte nicht auf zu strahlen, lächelte ihn freudig und voller Erwartungen an.

Doch waren es wirklich Erwartungen, die sie an ihn setzte? Wartete sie auf etwas? Verlangte sie es? Er konnte ihren Blick nicht deuten, doch er nahm ihn gefangen, hielt ihn in seinem Bann und er konnte nichts dagegen tun. Sein Verstand versuchte ihn aufzuhalten, schrie förmlich danach, dass er Vernunft annahm, doch sein Körper arbeitete scheinbar von allein. Er kam ihr näher. Immer und immer näher, konnte jede feine Pore in ihrem Gesicht sehen, bis er sich nicht mehr dagegen wehren konnte.

Langsam und vorsichtig legte er seine Lippen auf ihre, küsste sie ganz sanft. Sie zuckte kurz erschrocken zusammen, zog jedoch nicht zurück, schloss die Augen und erwiderte. Sie schien genauso wenig darüber nachzudenken, was sie hier taten wie er und für den Augenblick war es ihm völlig egal. Es schien das einzig Richtige jetzt hier zu stehen und das Mädchen seiner Träume zu küssen.

Er zog sie dichter an sich, sie kuschelte sich bereitwillig an ihn und als er den Kuss schließlich löste, strahlte sie immer noch. Eine leichte Röte hatte sich auf ihre Wangen geschlichen, sie wirkte etwas schüchtern.

Ihr allererster Kuss – so schien es, war es gewesen, obwohl das natürlich nicht stimmte. Sein Herz schlug wie wild und alle Bedenken und Zweifel waren wie weggeblasen.

War es so einfach? Er hätte noch stundenlang so mit ihr stehen können. Die Zeit spielte keine Rolle, solange sie nur da war. Sie war so lange nicht da gewesen… Sie strich ihm mit ihren Fingerspitzen über den Nacken und er genoss. Genoss jede ihrer Berührungen, jedes Lächeln, jeden ihrer schüchternen Blicke. Nie hätte er erwartet, dass dies noch einmal geschehen würde, nie hätte er gedacht, dass er seine Sorgen noch einmal würde ablegen können. Wenn auch nur für einen Moment...

Er war müde, unbeschreiblich müde, doch er wollte es nicht zulassen. Nicht jetzt. Er konnte später noch schlafen. Seit er aus dem Krieg zurückgekehrt war, hatte er nicht geschlafen, doch es spielte keine Rolle. Nichts in der Welt hätte ihn nun ins Bett gebracht, nichts in der Welt hätte ihn nun dazu gebracht, sich von ihr zu entfernen. Nun, da er sie endlich wieder halten konnte…

So vieles hatte sich verändert und doch war nicht alles anders. Sie war immer noch da, oder? Seine Gefühle für sie hatten sich nicht verändert… Aber er hatte sich verändert. Die Zeit der Trennung hatte ihm viele Gelegenheiten gegeben über ihre Beziehung nachzudenken, nun, da ihm jede Wahl freigestanden hätte – dem Versprechen zum Trotz. Jede Erklärung hatte in seiner Hand gelegen, jede Alternative. Sie hatte bei ihm bleiben wollen und er hatte dafür sorgen sollen, dass sie glücklich werden konnte – das waren ihre einzigen Bedingungen gewesen. Nichts verlangte, dass er sie trotz allem zu seiner Königin machte.

Die Etikette widersprach sich selbst in diesem Punkt: Nach ihrer Verlobung auf dem Fest – wie viele Jahre schien das schon her zu sein – gab es im Sinne der Öffentlichkeit nur den Weg sie zur Frau zu nehmen, doch jede Regel des Anstandes schlug diesen Weg unter den gegebenen Umständen aus. Woran also sollte er sich halten? Es gab praktisch keine Vorgaben. Es gab nur sie und ihn und was sein Herz und sein Verstand ihm sagten. Und diese sprachen eine eindeutige Sprache: Er hatte keine Wahl.

Schüchtern hauchte Mana dem Priester einen weiteren Kuss auf die Lippen, den dies wiederrum vollkommen unvorbereitet traf. Er erwiderte, gab sich der Verführung in, die sie für ihn ausstrahlte. Er konnte nicht an die Folgen denken jetzt, nicht an die Konsequenzen. Es war ihm alles egal, solange es nur nicht aufhörte. Sie strahlte noch immer und hielt seinen Verstand dadurch gefangen. Er unterbrach ihren Blickkontakt, zog sie an sich und vergrub seine Nase lächelnd in ihrem Haar, was sie zum kichern brachte.

Wenn dies ein Traum war, dann wollte er ihn festhalten solange es ging, egal was es kostete. Er sog ihren Geruch ein, wie ein Ertrinkender, der den rettenden Luftzug spürte und genoss einfach nur ihre Nähe. Er atmete tief durch, schloss die Augen und konnte das Gähnen nicht mehr unterdrücken. Es war eine ganz natürliche Reaktion, trotzdem war sie ihm unangenehm. Er wollte nicht schlafen, nicht jetzt. Er wollte für immer hier stehen bleiben und niemals wieder aus diesem Traum erwachen, doch die Realität hielt dem nicht stand. Er brauchte den Schlaf und Mana kannte die Symptome. Souverän übernahm sie das Kommando. Sie grinste ihn an und stemmte ihre Arme in ihre Taille. „Du musst unbedingt schlafen!“, bestimmte sie, legte ihre Hände auf seine Brust und schob ihn rückwärts zum Bett. Mit etwas unbeholfenen Bewegungen brachte sie ihn dazu sich hinzulegen und deckte ihn zu. Wer müde war, der musste schlafen, damit es ihm besser ging. Das hatte Adalia gesagt und Adalia hatte recht. Und deswegen musste Seth jetzt schlafen.

Widerstandslos ließ der Hohepriester sich von ihr dirigieren, zog sie dann neben sich, legte ihr seinen Arm um die Schultern und schlief fast augenblicklich neben ihr ein.

Freiheit

Schlaf. Schlaf war wie der Tod hier in der Unterkunft des Diebes, hier, wo sie keine Freiheit hatte. Sie fand keine Ruhe. Er beobachtete sie die ganze Zeit über, schlief ebenso wenig wie sie. Wenigstens das. Er schien sie nicht zu unterschätzen. Doch so, wie die Dinge im Moment standen, konnte Adalia sich nicht sonderlich dafür begeistern. Wenn er nur geschlafen hätte, wäre ihr wenigstens Zeit zum Nachdenken geblieben. Zeit, ungestört und frei von lästigen Blicken, die sie von Kopf bis Fuß musterten.

Die Priesterin schnaubte leicht. Oh ja, er hatte sie in Ruhe gelassen die letzten Stunden über, hatte sich darauf beschränkt ihr immer wieder einen überheblichen Blick zu schenken, doch er hatte nichts gesagt und er hatte auch nichts getan.

Die Müdigkeit und die Erschöpfung zerrten an ihr, doch sie durfte ihren Bedürfnissen nicht nachgeben. Sie konnte es nicht. Selbst wenn sie es gewollt hätte, so hätte doch wahrscheinlich der stechende Schmerz ihrer Wunden sie wach gehalten.

Bakura hingegen schien überaus fit zu sein. Der Morgen war bereits angebrochen, Schatten fielen im Dämmerlicht, doch der Räuber machte den Eindruck, als hätte er sich soeben stundenlang ausgeruht. Nun ja, in gewisser Weise hatte er das getan. Er hatte nicht geschlafen, aber er hatte sich dennoch entspannt, ihren Widerwillen genossen und daraus Kraft geschöpft.

Adalia widerte es an. Sie wollte ihn fertig machen, wollte sich ihm endlich entgegenstellen, doch sie musste untätig warten, bis er sich schließlich dazu erbarmte, wieder zu ihr zu treten.

Er grinste: „Und? Bist du endlich auch zu dem Schluss gekommen, dass niemand dich vermisst?!“, fragte er keck, begeistert von sich selbst stemmte er sich seine Hände in die Seiten und beugte sich zu ihr hinab, denn sie saß am Boden.

Ihm zu Füßen... Wenn Adalia daran nur dachte, wurde ihr schlecht. Doch sie hatte keine Wahl, sie musste ihre Kräfte sammeln, durfte sie nicht sinnlos verschwenden. Das wäre ineffektiv gewesen. Das konnte sie sich nicht leisten. „Du lügst!“, zischte sie ungehalten und er lachte. Sie konnte es nicht mehr hören. Er ging ihr auf die Nerven! Er hatte doch keine Ahnung von Seth! Der Hohepriester hatte sie noch niemals im Stich gelassen, wenn sie ihn brauchte. Er würde kommen und sie befreien. Er würde sie retten. Er würde...

Sie stockte.

Was dachte sie da?! Er war bei Mana. Das Mädchen beherrschte all seine Gedanken, wenn SIE nicht nach der Priesterin fragen würde, was sollte ihn dann an sie erinnern?

Sie stockte erneut, schüttelte dann entschieden den Kopf. Sie durfte nicht an Seth zweifeln. Er würde kommen, er würde ganz sicher kommen!

„Alle sind glücklich, niemand wird dich vermissen“, wiederholte Bakura seine Worte, die sich wie Gift unter ihre Haut schlichen.

Er verschränkte die Arme, sah sie genau an. „Dein Talent und deine Ausstrahlung sind nicht unbeachtlich“, sprach er leise, aber deutlich und brachte sie damit dazu die Stirn skeptisch kraus zu ziehen. Er beachtete sie nicht. „Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen, so viel Ausdruckskraft, so viel Stärke...“

Versuchte er ihr zu schmeicheln? Sie wusste nicht, was er vor hatte, doch die Lüge hatte sie sofort durchschaut. Ernst sah sie ihn an, etwas anderes blieb ihr im Augenblich ohnehin nicht übrig. „Was willst du damit sagen?“, fragte sie kalt und unantastbar. Er verfolgte eine Strategie, soviel stand fest.

Er antwortet ihr nicht. Stattdessen schüttelte er abwertend den Kopf, neigte ihn dann leicht, musterte sie und drehte ihr demonstrativ den Rücken zu. „Nein, ich denke nicht, dass du dazu in der Lage wärst“, meinte er kühl.

Was sollte das wieder heißen?! Grimmig sah sie ihm nach, keine Anspannung war nun in ihr, nur blanker Hass. „Wozu in der Lage?!“, zischte sie gereizt, wollte er sie provozieren?

Wieder winkte er ab, antwortete aber trotzdem. „Gegen den Hohepriester zu bestehen“, hauchte er, blickte über seine Schulter zurück zu ihr. „Er hat dich ausgenutzt, doch auch in deinem Zorn würdest du sicher nicht gegen ihn standhalten, keine zwei Sekunden.“ Voller Spott und Häme klang seine Stimme, schneidend, berechnend. „Auch wenn deine Kraft beeindruckend ist“, fügte er noch hinzu.

Adalia verengte ihre Augen zu Schlitzen. Wie konnte er es wagen?! Seth hatte sie nicht benutzt! Er hatte sich auf sie verlassen, weil er wusste, dass man sich auf sie verlassen konnte, weil er wusste, dass sie die Beste war! Er hatte sie nicht benutzt, er hatte sie erwählt! Das war ein himmelweiter Unterschied. Die Priesterin konnte kaum an sich halten, so sauer war sie. Doch sie wusste, sie musste sich nun beherrschen, musste Herrin der Lage werden und vor allem ihre Gefühle im Zaum halten. Sie musste Seth vertrauen. „Du findest meine Kräfte also beeindrucken“, sprach sie ihm daher nach, musterte ihn scharf, „Warum sollte ich mich ihm entgegenstellen?“ Auf diese Erklärung war sie wahrlich gespannt. Wie wollte er versuchen sie zu ködern?

Der Weißhaarige zuckte mit den Schultern, sah sie leichtgläubig an, ganz so, als läge die Antwort auf der Hand. Sie wollte sie trotzdem hören.

„Wer hat denn die ganze Drecksarbeit gemacht den letzten Monat?“, fragte er finster grinsend, „Wer hätte den Ärger bekommen, wäre etwas gewesen?“ Er lachte fies auf. „Jetzt ist Mana wieder in Ordnung, er kommt wieder, ignoriert dich und macht mit ihr rum. Verdienen deine Dienste eine solche Behandlung? Bist du wirklich so einfach gestrickt?“

Seine Worte waren grausam. Grausam, weil sie selbst das Gefühl nicht los wurde, dass es stimmte, was er sagte. Worte, die sie nicht hören wollte, Worte, die sie nicht wahr haben wollte. Worte, deren Bedeutung so unendlich wehtat. Sie durfte ihm nicht glauben. Wenn sie jetzt ihr Vertrauen aufgab – nun, dann hatte sie schon verloren. Sie musste einfach davon ausgehen, dass er sie hier heraus holte.

Und in der Zwischenzeit musste sie sich auf das Spiel einlassen. Es musste ihr gelingen, möglichst viel Zeit zu gewinnen, möglichst viel Spielraum. Seth würde kommen. Ganz sicher. Irgendwann würde er sie gefunden haben. Bestimmt suchte er schon nach ihr. „Würdest du mich etwa anders behandeln?“, spie sie ihm entgegen und es schmerzte sie, diesen Vergleich aussprechen zu müssen, doch es ließ sich nicht vermeiden. Sie stieß die Luft durch die fast geschlossenen Zähne. Er selbst konnte nicht einmal daran glauben. Allein die Vorstellung war so lächerlich –

Doch er überraschte sie. „Ich weiß dein Talent durchaus zu schätzen“, gab er zu, zuckte gelangweilt mit der Schulter und tat dann das, womit sie nie gerechnet hätte: Er schnipste mit den Fingern und schon zerfielen ihre Fesseln, einige der Geister legten sich über ihren Körper und heilten dessen Wunden, bis sie – abgesehen von der Erschöpfung und der Müdigkeit – vollständig genesen war. „Ich weiß wenigstens, was du geleistet hast“, erklärte er und grinste sie fast freundlich an. Wollte er sie jetzt gegen Seth ausspielen? Sie schnaubte verächtlich. Sollte er es doch versuchen, sollte er seine Energien ruhig verschwenden.

Dennoch empfand sie es als Wohltat, dass all die Schmerzen nun verschwunden waren. Sie konnte sich endlich wieder rühren, tat es aber dennoch nicht. Stattdessen starrte sie ihn misstrauisch an. „Du versuchst mich zu kaufen“, stellte sie sachlich fest.

Diese Freiheit war nur Schein, das wussten sie beide. Die Fesseln zu lösen war befreiend gewesen, und doch war sie in gewisser Weise noch immer gefesselt. Ihre Magie wurde unterdrückt, sie brachte ihr nichts und so konnte sie ihr auch nicht helfen. In dieser Perspektive betrachtet, war seine Hilfsbereitschaft schon gar nicht mehr allzu hilfreich.

Er zuckte mit den Schultern. „Das mag sein“, stimmte er ihr schamlos zu, „Aber größtenteils versuche ich dir deinen langen Aufenthalt bei mir etwas zu erleichtern.“ Das hinterhältige Zwinkern seiner Lider brachte Adalia fast dazu, ihm mit der geschlossenen Faust auf eben jene Lider zu schlagen, doch sie ließ es. „Du weißt, dass ich recht habe und niemand dich so schnell suchen wird.“

Musste er immer wieder versuchen, sie davon zu überzeugen? Sie glaubte nicht an seine Worte, wollte sie nicht glauben. Was wollte er nur erreichen? „Mir meinen Aufenthalt erleichtern?“, fragte sie skeptisch nach, selbst wenn niemand nach ihr suchte, machte diese Aussage wenig Sinn. „Du hast nichts davon.“ Worauf also hatte er es abgesehen?

„Habe ich nicht?“, fragte er grinsend und trat einen Schritt näher an sie heran. Sie wich nicht zurück. Sein Spiel fürchtete sie nicht. Er kämpfte nicht mit fairen Mitteln, doch sie war auch nicht naiv genug um von etwas anderem ausgehen zu können. Immer wieder schlichen seine Worte in ihr Bewusstsein, immer wieder schob sie sie genervt zur Seite.

Der Dieb schritt einmal um sie herum. „Natürlich könnte ich dich auch wieder in die Freiheit entlassen“, flüsterte er und es klang mehr wie eine Drohung als ein Segen. „Doch das hat seinen Preis...“

Freiheit. Die Verlockung, die in diesem einen Wort lag, war unbeschreiblich. Und doch war diese Freiheit nicht echt, erkauft nur die Leine, an der er sie zu halten gedachte. In die Freiheit... Sie musste hier heraus. Sie konnte sich nicht einfach auf den Hohepriester verlassen. Selbst wenn er nach ihr suchte oder sie zumindest suchen ließ – wovon sie ausgehen musste, egal was Bakura sagte – dann war es immer noch nicht gesichert, dass er sie auch fand, immerhin schien der Weißhaarige schon seit längerem hier zu sein und war bisher unauffällig gewesen. Das Gefühl der Erniedrigung zerrte an ihren Nerven. „Welchen Preis?“, fragte sie kalt.

Er blieb vor ihr stehen, lächelte sie überlegen und schief an. „Du wirst eine kleine Aufgabe für mich erledigen“, befahl er, „eine winzig, kleine Aufgabe und ich entlasse dich in die Freiheit...“

Sie sah ihn an, dachte kurz darüber nach. Allein kam sie hier nicht heraus und ohne ihre Magie war sie praktisch wehrlos. Er hatte sie völlig in der Hand, auch wenn es ihr nicht gefiel das zuzugeben. Was konnte er nur von ihr wollen? Sie verstand es nicht. Dass er ihre Hilfe wirklich benötigte, bezweifelte sie stark. „Was ist es, das du nicht selbst erledigen kannst?“, fragte sie provokant, formulierte es absichtlich so abwertend und war sich trotzdem nicht sicher, was sie davon zu halten hatte. Konnte er es nicht? Oder wollte er es nicht?

Er lachte geringschätzig – aber lauthals – auf und sah sie grinsend an. Der Trumpf lag noch immer in seiner Hand. „Es ist ein einfacher Tausch“, erklärte er ruhig, betrachtete sie skeptisch. Eine Weile lang blieb er so vor ihr stehen und weckte dadurch eine gewisse Art von Faszination. Gegen ihren Willen ertappte sich Adalia dabei sich zu wünschen, dass er weitersprach, doch noch im selben Moment schollt sie sich selbst dafür. Sie war nicht auf ihn angewiesen!

„In Ordnung“, meinte er schließlich leichtfertig, „Deine Freiheit ist dir offensichtlich nicht genug wert…“ Er löste seine Starre, trat einen weiteren Schritt auf sie zu, hockte sich vor sie hin. Nur Zentimeter trennten sie noch voneinander, doch die Priesterin wich noch immer nicht zurück. Sie würde ihm niemals nachgeben.

Bedrohlich kam er ihr näher, bis er in der Bewegung innehielt und kurz nickte. Er schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. „Dann bekommst du alle Beweise, auf denen Manas Abstammung niedergelegt ist… und deine Freiheit…“

Alle Beweise? Wenn ihr das gelang, konnte sie sich Seths Anerkennung sicher sein, wenn es ihr gelang, die unangenehmen Zusammenhänge für alle Ewigkeit auszuradieren, wie ihre Erinnerungen es schon waren, dann würde ihr eine enorme Dankbarkeit zuteil werden. Wieder nur für Mana.

Doch noch immer kannte sie nicht den Preis. Jemand wie Bakura legte nicht all seine Karten offen, ohne ein wesentlich besseres Blatt dafür zu verlangen. Erwartungsvoll starrte sie ihn an.

Er grinste zufrieden. „Im Gegenzug verlange ich einfach nur den Leichnam des Kindes der Prinzessin“, hauchte er verführerisch.

Adalia erschrak. „Das Kind der Prinzessin ist tot?!“, schrie sie überrascht auf und schüttelte schnell den Kopf. „Du lügst!“, sie war nicht überzeugt. „Woher solltest du das wissen?!“ Wenn man bedachte, wie viel Wahres seine Worte sonst enthielten, konnte sie nur verächtlich den Kopf schütteln. „Wieso sollte ich dir glauben? Das alles sind doch nichts als die leeren Worte eines Diebes.“

Ihre Worte trafen wie Geschosse sofort ins Ziel, genau wie sie es beabsichtigt hatte. „KÖNIG der Diebe, vergiss das nicht!“, fauchte der Angesprochene ungehalten, schaffte es jedoch schneller, als sie es geschafft hätte, sich zusammenzureißen. „Ich beobachte die Situation im Palast schon seit einiger Zeit und auch am gestrigen Tag hatte ich die Gelegenheit Neuigkeiten aufzuschnappen.“ Er bedachte sie mit einem finsteren Blick. „Doch ich weiß nicht, warum ich mich vor dir rechtfertigen muss… Ich würde niemals lügen in so einer ernsten Begebenheit.“ Voller Dramatik drückte er sich aus und sorgte damit dafür, dass die Brünette die Augen verdrehte. Er entfernte sich ein wenig von ihr. „Aber wie du willst. Es ist deine Freiheit, dein Leben, das du in den Dreck wirfst.“

Sollte sie?

Oder sollte sie nicht?

Adalia erhob sich würdevoll, lächelte grimmig. Er verstand es zu spielen, das konnte niemand abstreiten. „Von mir aus, EURE HOHEIT!“, betonte sie und zog die Bedeutung auf diese Weise ins Lächerliche, wenn Ihr mir einen Beweis für Eure Loyalität geben könntet…“ Sie zögerte kurz. Unzählige Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf, doch einer leuchtete klar hervor: Sie musste hier heraus. „… dann steht der Handel.“

Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter. „Aber gerne doch“, heuchelte er eindrucksvoll uncharmant und zog die gestohlenen Schriftrollen aus dem Archiv hervor. Er reichte sie ihr ohne abzuwarten. „Hier, meine Liebe“, sagte er, „Dies und Eure Freiheit… Im Gegenzug bekomme ich die Leiche des Kindes… Und Ihr gehört mir, falls Euch ein Fehler unterlaufen sollte…“

Das also war der Haken, den er bisher noch nicht benannt hatte. Er wollte sie gewinnen und anschließend unterwerfen, das war das eigentliche Spiel, für das er die Regeln aufstellte. Nun gut, es war ihr gleich. Sie hatte die Schriftrollen und das war für den Moment alles, was zählte. Er würde sie ohnehin nicht bekommen, dafür wusste sie schon zu sorgen. Sie nickte. „Einverstanden.“

Selbstsicher stand er da, doch für den einen Augenblick störte die Priesterin sich nicht daran. „Dir bleibt eh keine andere Wahl…“ Er drehte sich um, lachte auf und hob die Hand. Sofort veränderten sich die Sandstrukturen um sie herum und gaben eine Tür frei, die einladend aufschwang und den ersehnten Weg in die Freiheit ebnete.

Adalia starrte sie ungläubig an, bis der Meisterdieb sie wieder ansprach: „Nun verschwinde“, sagte er finster, „Und vergiss deine Aufgabe nicht.“

Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wartete auf ihre Reaktion. Sie nahm die Möglichkeit sofort beim Schopfe, hielt die Rollen fest in der Hand und verließ das Verließ. Beim Hinausgehen hauchte sie noch: „Das werde ich nicht“, doch sie würdigte ihn keines Blickes.

Sie tauchte in einem dunklen Gang im Palast wieder auf, sah sich kurz um, um sicher zu gehen, dass niemand ihr gefolgt war und atmete erleichtert auf. Ohne den bindenden Zauber, der auf ihr gelegen hatte, fühlte sie sich schon gleich viel freier.

Freiheit…

Sie war ihm aus seinem Netz entkommen und er wusste es vermutlich ebenfalls. Sie hatte nicht vor zu ihm zurück zu kehren und sie hatte auch nicht vor, sich ihm auszuliefern. Dennoch hatten seine Worte ihr die Richtung gewiesen, die sie nun einschlagen musste.

Das Kind…

Es gab nur eine Sache, für die es sich lohnte, die zurückgegewonnene Freiheit aufs Spiel zu setzen. Eine einzige nur.

Verantwortung

Es hatte mehr als einen Moment gebraucht, ehe es ihr gelungen war, einzuschlafen. Die Aufregung, die ihr Herz wild klopfen ließ, war eine lange Zeit weit mächtiger gewesen, als die Müdigkeit, der sie ohnehin gern aus dem Weg ging.

Seth war müde gewesen. Sofort war er eingeschlafen und hatte Mana dadurch viel Zeit gegeben über alles nachzudenken. Sie war zu keinem Schluss gekommen. Verwirrung war das einzige Gefühl, das sie sicher zu deuten wusste, das einzige Gefühl, das sie nicht täuschen konnte. Eine Zeit lang hatte sie ihm einfach nur zugesehen, während er schlief, hatte ihn beobachtet, wie er atmete und wie er tatsächlich einmal zufrieden schien. Vorsichtig hatte sie sich aufgesetzt, um einen besseren Blick auf ihn erhaschen zu können, er faszinierte und verunsicherte sie in gleicher Weise.

Was sollte sie denken? Er hatte ihr erklärt, dass sie ihre Gefühle sicher würde deuten können, doch das schaffte sie nicht. War es schlimm, dass sie es nicht konnte? Sie wollte ihn nicht enttäuschen, wollte ihm beweisen, dass sie auch etwas allein konnte.

Sie lächelte ihn an, legte sich dann an ihn und konnte im nächsten Moment ihre Überraschung kaum zügeln. Kaum, dass sie neben ihm gelegen hatte, hatte er schon seinen Arm um sie gelegt und hielt sie fest. War er aufgewacht? Hatte er schon ausgeschlafen? Sie versuchte sein Gesicht zu sehen, doch es war schwierig, nun, da er sie nicht mehr losließ und doch glaubte das Mädchen zu erkennen, dass er nicht wach war. Darum tat sie das Einzige, das ihr sinnvoll erschien, denn sie wusste, dass sie sich nicht allein aus seinem Griff befreien konnte: Sie legte ihren Kopf auf seinen Oberkörper, gähnte einmal herzhaft und schloss die Augen.

Lediglich sein gleichmäßiger Atem brachte sie dazu, irgendwann spät in der Nacht tatsächlich einzuschlafen.
 

Am frühen Vormittag, die Sonne war bereits vor einigen Stunden aufgegangen, erwachte der Hohepriester von Ägypten aus einem tiefen Schlafen. Kein Traum hatte seine Erinnerungen erreicht und doch fühlte er sich, als hätte er die Nacht durchgemacht. Der Grund dafür lag auf der Hand – die Erkenntnis über die Geschehnisse des letzten Abends traf ihn völlig unvorbereitet. Was hatte er sich dabei nur gedacht?! Er war fassungslos, wie wenig Standhaftigkeit er zur Schau gestellt hatte, wie schnell er nachgegeben hatte…

Mana lag noch immer im Bett neben ihm, doch sie schien schon seit längerer Zeit wach zu sein. Sie beobachtete ihn aufmerksam und als sie bemerkte, dass Seth wach geworden war, verwandelte sich ihr ernster Ausdruck in ein strahlendes Lächeln. Sie kicherte leise, rollte sich förmlich auf ihn und gab ihm einen kurzen Kuss – den er teilnahmslos erwiderte. „Guten Morgen!“, flötete sie fröhlich und lachte.

Zumindest konnte er davon ausgehen, dass sie gut geschlafen hatte. Dem Stich in seiner Brust tat dies jedoch keinen Abbruch. Ihr Kuss hatte ihn auf dem falschen Fuß getroffen, verwirrte ihn. Ihre Fröhlichkeit verunsicherte ihn über alle Maßen. „Dir auch“, erwiderte er nachdenklich und war doch nicht bei der Sache. Seine Gedanken kreisten um den letzten Abend. Es hätte nicht geschehen dürfen…

„Hast du gut geschlafen?“, wiederholte Mana die Frage, die sie ohne Zweifel von Adalia regelmäßig gestellt bekommen hatte, und hielt sich an ihm fest, drückte sich freudig an ihn.

Der Hohepriester nickte. „Ja“, antwortete er ihr recht träge und beiläufig, „Und was ist mit dir?“ Er fragte es zwar, doch hauptsächlich hing er seinen eigenen Gedanken nach. Wieso nur war er so schwach gewesen? Er hatte alles komplizierter gemacht. Nun blieb ihm nichts mehr als sich selbst zu verfluchen. Diese Entwicklung war ganz allein seine Schuld, eine Schuld, die er – wie jene sie im entscheidenden Moment nicht beschützt zu haben – nicht mehr loswerden konnte.

„Hab‘ ich auch!“, erklärte sie wild gestikulierend, entzückt über seine Nachfrage und stolz auf ihre Worte. Er sah es ihr an, konnte es in ihren Augen lesen.

Diese Augen, der er so liebte… Der Glanz war ein völlig anderer als der, den er gewohnt war. Wie nur hatte er das übersehen können? Wie in aller Welt hatte er sich blenden lassen können? Er verstand es nicht. Es war gut, dass sie gut geschlafen hatte, doch sie hätte nicht in seinem Bett schlafen dürfen. Nun war es nicht mehr rückgängig zu machen und die Folgen nicht mehr aufzuhalten. Konnte er mit den Konsequenzen umgehen?

Es war zu spät, darüber nachzudenken. Er hatte den Fehler schon begangen, nun musste er damit zurechtkommen. Er hätte sich niemals verleiten lassen dürfen, das war ihm längst klar. Doch Mana durfte er nun auf keinen Fall die Schuld daran geben, deswegen musste er sich zusammenreißen. Er musste jetzt die Rolle spielen, die jeder Anstand von ihm verlangte. Er musste nun zu seinen Taten stehen, egal wie dumm sie auch gewesen waren. Sich selbst zu verleugnen, war der erste Schritt in den eigenen Untergang.

Er versuchte ihr Lächeln zu erwidern und es gelang ihm auch, wenn auch nicht so überzeugend, wie noch am gestrigen Abend. „Das freut mich“, antwortete er ausweichend, dachte noch immer darüber nach, wie er möglichst elegant aus diesem Schlamassel entkommen konnte. Das Mädchen musterte ihn skeptisch, änderte dann jedoch ihre Meinung und sagte nichts zu seinem offensichtlich eigenartigen Verhalten. Er musste sich dringend mehr anstrengen!

Mana sprang aus dem Bett und lief ein wenig im Zimmer herum, ehe sie direkt vor ihm stehen blieb – erwartungsvoll mit großen, grünen Augen, die ihn fixierten. „Was machen wir heute?“, fragte sie grinsend und es war nur allzu klar, dass sie sich nicht so leicht würde zufrieden stellen lassen.

„Nun, antwortete er zögerlich und wog jedes seiner Worte genau ab, „Das werden wir sehen. Zunächst muss ich mich um meine Pflichten kümmern…“ Er bedauerte es selbst, doch er konnte es nicht leugnen. Die Pflichten als Hohepriester und als offizieller Thronfolger waren nicht zu unterschätzen und er durfte sie – auch in Anbetracht der schwierigen Situation – nicht vernachlässigen. Die Aufmerksamkeit, die ihm und Mana zuteil werden würde, wenn er sich nicht wie erwartet verhielt, war zu groß um ihr standhalten zu können. Er durfte kein Risiko eingehen.

Und es hatte noch einen zweiten Grund, weshalb er unbedingt an seinen Pflichten festhalten wollte: Es konnte nicht schaden, nicht durchgängig die Zeit mit ihr zusammen zu verbringen. Es konnte die Angelegenheit deutlich einfacher machen.

Leicht geknickt setzte sich das Mädchen wieder auf die Bettkante und blickte ihn fragend an. „Deine Pflichten?“, wollte sie wissen und sah ein wenig besorgt aus, genau wie er befruchtet hatte.

Ernst richtete er seinen Blick auf sie, sah ihr jedoch nicht in die Augen. „Ich bin Hohepriester“, erklärte er leise, „Ich habe Pflichten zu erfüllen, die ich nicht aufschieben kann…“ Er hoffte inständig, dass sie verstand. Hoffte, dass sie nicht auf der Stelle durchschaute, dass er vorhatte sich selbst in Arbeit zu stürzen. Er wünschte sich, er wäre standhafter geblieben, wünschte sich, er hätte ihr keine Hoffnungen gemacht, doch vergeblich. Er seufzte, spürte ihren fragenden Blick auf sich. Wieso nur war es so schwierig?

„In Ordnung“, sagte sie, klang jedoch wenig überzeugt und ein wenig trotzig. „Kann ich dir irgendwie helfen?“

Ein ‚Nein‘ kam überhaupt nicht in Frage, das war vollkommen klar. Sie unbeaufsichtigt und unbeschäftigt zu lassen, war völlig ausgeschlossen. Wer wusste schon, was sie dann anstellte, welche Ideen ihr dann kamen? Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr zuzunicken. „Kannst du“, sagte er und lächelte sie an. Das Lächeln war ehrlich, auch wenn er selbst nicht allzu überzeigt war. Er deutete auf seinen Tisch, auf dem ein ganzer Stapel Schriftrollen lag. Ein Diener musste sie dort abgelegt haben, während sie geschlafen hatten. Von dieser Seite aus betrachtet, hatte es sogar etwas gutes, dass er schwach geworden war. Welcher Eindruck nur konnte entstehen, wenn er Mana nicht in seine Nähe ließ? Wenn an die Öffentlichkeit käme, was geschehen war, dann kam es einer Verstoßung sehr nahe… Es durfte nicht passieren. Diesen Balanceakt musste er schaffen ohne zu straucheln, wenn er sie nicht in Gefahr bringen wollte. „Du kannst die Rollen schon einmal öffnen“, sagte er, „Dann geht es schneller.“ Es war eine stumpfe und sinnlose Aufgabe, das war ihm bewusst, doch er durfte sie nicht unbeaufsichtigt lassen und so blieb es die einzige, die übrig war.

Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, war Mana sofort einverstanden gewesen. Sie erhob sich lächelnd, lief zum Tisch und setzte sich auf den Stuhl, der daneben stand. Dann griff sie zielsicher nach der ersten Rolle, sah sie sich konzentriert und aufmerksam an und öffnete sie schließlich sehr vorsichtig und langsam, ganz so, als könnte das Pergament jederzeit zu Staub zerfallen.

Er beobachtete sie lächelnd. War es richtig, was er hier tat? Sie sollte gefördert werden, sollte lernen, damit sie sich in ihrem Leben wieder zurechtfinden konnte, doch alles, was er tat, war sie zu beschäftigen.

Wo blieb nur Adalia? Seth war sich sicher gewesen, dass sie sich auch weiter um Mana kümmern wollte, sie gab die Verantwortung nicht einfach so ab. Dazu kannte er sie viel zu gut, es passte nicht zu ihr. Warum also war sie noch nicht hier?!

Er konnte nicht länger auf sie warten…

Da Mana auf seinem Stuhl saß und er nun kein Interesse an nervtötenden Dienern hatte, die ihm ohne zu zögern auch fünf oder sechs weitere Sitzgelegenheiten gebracht hätten, setzte er sich – nachdem er sich angekleidet hatte – kurzerhand auf den Tisch neben die Schriftrollen und ließ sich die geöffneten Pergamente von Mana reichen. Es ging tatsächlich auf diese Weise schneller, doch er achtete kaum darauf. Rolle für Rolle ging er die Texte durch und mit jeder weiteren stieg seine Verwunderung. Es schien überhaupt kein Ende zu nehmen.

Wieso war das so viel? Ausnahmslos alles schien heute bei ihm gelandet zu sein, die Informationen, die die Priesterschaft angingen, aber auch die, die direkt an den Pharao adressiert waren.

Was hatten sie auf seinem Tisch zu suchen? Der Hohepriester runzelte die Stirn. Auch als Mitregent fielen ihm nicht sämtliche Zuständigkeiten zu, es machte keinen Sinn.

Erst als Mana ihn von der Seite mit einer weiteren geöffneten Rolle in der Hand ansprach, bemerkte er, dass er gedankenverloren auf das Pergament in seiner Hand gestarrt hatte, ohne wirklich dessen Inhalt in sich aufgenommen zu haben. „Alles in Ordnung?“, fragte sie leise und sah ihn an.

Recht abwesend hob er seinen Blick, sah erst dann zu ihr. Er musste sie unglaublich verunsichern… „Hast du gerade etwas gesagt?“, fragte er schuldbewusst, denn er hatte ihre Stimme zwar vernommen, doch nicht auf sie geachtet, so sehr war er in Gedanken gewesen. „Entschuldige bitte“, fügte er leise hinzu.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und wiederholte ihre Frage. „Ich habe dich gefragt, ob alles in Ordnung ist…“, sagte sie und legte die Rolle, die sie noch immer festhielt, zur Seite. Kindisch und interessiert blickte sie zu ihm, ihre Augen voller Erwartungen, die er nur enttäuschen konnte.

„Ist es“, gab er ruhig zurück, „Ich habe nur nachgedacht…“ Genau gesagt, tat er das noch immer. Er hatte gar nicht damit aufgehört. Er hatte das Gefühl, kaum Herr über seine Gedanken zu sein. Sie drehten sich im Kreis, drehten sich immer wieder um denselben Punkt und fanden doch keinen Fokus. So hatte das Ganze keinen Sinn. Wo blieb nur Adalia? Wieso war sie noch nicht hier? Was hielt sie auf? Er machte sich langsam wirklich Sorgen. Es war nicht ihre Art, einfach so ohne Aufsehen zu erregen zu verschwinden. Es passte nicht zu ihr. Doch er hatte anderes zu tun. Etwas widerwillig griff er nach der Schriftrolle, die Mana gerade weggelegt hatte und rollte sie wieder auf. „Ich muss das machen“, sagte er erneut, „Verstehst du?“

Die Kleine kicherte mit großen Augen und schmollendem Gesicht. „Hast du schon mal gesagt“, erinnerte sie ihn, lehnte sich kurz hinauf zu ihm und hauchte ihm einen zarten, unschuldigen Kuss auf die Lippen. Dann setzte sie sich wieder, machte sich wieder an die Arbeit, all die unzähligen Schriftrollen für ihn zu öffnen.

Er durfte ihren Kuss nicht weiter beachten, wenn er sich nicht selbst foltern wollte, doch er tat es trotzdem. Es war ganz und gar seine Schuld, dass es so gekommen war und dies war wohl seine gerechte Strafe dafür. Es machte die Sache dennoch nicht leichter. Resignierend lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück auf das Pergament in seiner Hand. Wieder handelte es sich um eine Nachricht, die nicht ursprünglich an ihn gerichtet war, sondern an den Pharao. Was hatte Atemu die ganze Zeit über gemacht? Wieso schob er die Verantwortung nun ab?!

Seth

Die Stimmung im Palast war eisig kalt, leblos fast und absolut unwirklich. Sie war bedrückend und das machte ihr Angst. Hätte nicht alles gut sein müssen? Jetzt, da der Krieg vorbei war, hätte da nicht gefeiert werden sollen?

Und doch waren die königlichen Gemäuer wie ausgestorben. Stille war das Einzige, das überall präsent war. Präsent und einengend nahm sie jede Luft zum Atmen, jede Freude und jede Freiheit. Es war ganz und gar falsch. Wann war diese Todeskälte eingezogen in diese Welt? Woher stammte diese Leere, die alles ergriff? Was bedeutete all die Beklommenheit?

Anfangs hatte das Drachenmädchen geglaubt, dass es sich nur um ihre persönlichen Eindrücke handelte, doch inzwischen hegte sie keinerlei Zweifel mehr: Der Palast und all das Leben darin waren im Begriff zu streben.

Kisara schüttelte angespannt den Kopf, doch niemandem fiel es auf, denn niemand war hier. Lediglich die Wachen waren auf ihren Posten, doch auch sie erschienen eigenartig blass und hoffnungslos. Oder bildete sie sich das ein? Redete sie es sich schon ein, nur weil im Moment alles nach Erlösung zu schreien schien?

Sie hatte ein ganz seltsames Gefühl. In der Nacht hatte sie kaum Schlaf gefunden und die daraus folgende Müdigkeit und die Erschöpfung taten ihr übriges um sie selbst in dieser Apathie gefangen zu halten. Irgendetwas würde passieren, da war sie sich sicher. Die Luft, die sie atmete, knisterte voller Vorahnungen, schmeckte kälter als sonst. Sie seufzte leicht. Sie konnte den Palast nicht verlassen, auch wenn es ihr die einzig sinnvolle Möglichkeit war, der Schande zu entgehen. Sie konnte nicht gehen. Nicht jetzt. Sie war verstoßen worden von dem Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte und doch war er es, der sie nun an diesem Ort festhielt. Er brauchte ihre Hilfe, das spürte sie ganz genau. Wann, wenn nicht jetzt, sollte sie ihre Treue unter Beweis stellen? Sie hatte nie aufgehört ihn zu lieben...

Alles, was zwischen ihnen schief gegangen war, hatte sie nicht gewollt und erstrecht nicht beeinflussen können. Es überstieg ihr Verständnis und ihr Vorstellungsvermögen bei weiten, doch nie hatte jemand danach gefragt.

Dennoch befand sie sich nun ganz automatisch auf dem Weg zu ihm. Dies war nicht die Zeit um der alten Liebe hinterherzulaufen, die sie doch längst verloren hatte. Dies war nicht die Zeit um ungestellte Fragen zu stellen. Es musste etwas geschehen und es würde etwas geschehen, das wusste sie genau. Sie würde da sein, wenn sie gebraucht wurde, sie wollte ihrem Leben damit wieder einen Sinn geben. Wieso sie das wollte, wusste sie selbst nicht und sie war äußerst froh, dass niemand ihr diese Frage stellte, denn sie hätte keine Antwort geben können. Es waren andere Zweifel, die ihren Verstand beschäftigten, andere Fragen, für die sie sich selbst immer wieder selbst verurteilte.

Warum eigentlich Mana?, fragte sie sich immer wieder und kam doch zu keiner Lösung. Warum nicht sie? Sie hasste sich für diese Gedanken, doch landete immer wieder bei demselben Punkt, alles drehte sich nur im Kreis und nahm kein Ende. Sie wusste, dass Seth das Mädchen liebte auf eine Art und Weise, wie er sie niemals geliebt hatte, auch wenn sie nicht verstand, was er an ihr fand, was so schrecklich besonders an ihr war. Doch das war es nicht, was sie so sehr quälte. Einzig und allein die eine Frage beschäftigte sie und hielt sie wach, Nacht für Nacht, seitdem alles zerstört worden war: Hätte er dasselbe für sie getan?

Sie wusste es nicht. Sie würde es wohl auch niemals erfahren. Sie wollte es auch gar nicht. Zu schmerzhaft konnte die Antwort sein, die er ihr zu geben hatte.

War es doch nur der Drache gewesen? Der Drache und die Macht, die seine Kontrolle versprach? Ja, sie hatte etwas zu bieten gehabt. Sie hatte es immer noch. Und doch hatte Seth sie freigegeben. Er musste gewusst haben, dass er damit auch den Anspruch auf die Macht des weißen Drachen verlor...

War er also nicht dessen Bann erlegen? Seths Verhalten war widersprüchlich. Einerseits hatte er alles dafür getan um aufzusteigen, doch in dem Moment, da er fast alles erreicht hatte, was er je angestrebt hatte, hatte er alles von sich gestoßen und auf wackligem Fundament gebaut.

Für die Liebe?

Es passte nicht zu ihm. Sie bog in einen Gang ein, der direkt zu des Hohepriesters Gemächern führte. Wie oft schon war sie hier gewesen, wie oft schon hatte sie ihre Zeit hier verbracht, doch nun fühlte sie sich wie eine Fremde, die sich unerlaubt in seine Nähe schlich.

Was sollte sie tun? Sie hatte doch nur ihn hier im Palast, er allein hatte ihr einen Platz gegeben, er allein hatte sie von der Straße geholt und damit ihre Pein beendet. Die Pein, die ihre blasse Haut mit sich gebracht hatte, ihr strahlend weises Haar. Auf der Straße war es grau gewesen, dreckig und strähnig, doch trotzdem anders und dadurch abstoßend. Immer war sie allein gewesen, gejagt und vertrieben bis in die Gefangenschaft. Auch damals schon hatte er sie befreit. Auch damals schon hatte er ihr dabei geholfen, ihre Ketten zu sprengen. Und dann war er an den Palast gekommen, ein vielversprechender junger Priester, ohne seine eigene hohe und edle Abstammung zu kennen und hatte es allen bewiesen und alles in Erfahrung gebracht.

Damit hatte sich für ihn alles verändert und doch hatte er sie wieder befreit. Er hatte sie an den Palast geholt und ihr ein Leben ermöglicht, dass sie sich nie erträumt hätte. Hatte er ihr nun all das genommen?

Nein. Sie hatte ihre Freiheit, konnte ein Leben in Würde führen und war relativ angesehen. Doch war das Großzügigkeit? Hatte er sie lediglich so lange an die goldene Hand genommen, bis sie gelernt hatte auf eigenen Füßen zu stehen?

Noch ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Tür aufgerissen und Mana lief ihr direkt in die Arme.
 

Als sie in ihrem Gemach angekommen war, atmete Adalia erst einmal tief durch. Erleichterung floss durch ihren gesamten Körper, ließ sie sich unwillkürlich schütteln. Die Anspannung hatte sie in jeder Faser gespürt und als diese nun von ihr abfiel, traf es sie ziemlich unvorbereitet.

Die Priesterin musste sich setzen. Sie zitterte und ihr war kalt. Bakura war wirklich nicht zu unterschätzen und für einige lange Stunden hatte sie nicht gewusst, ob er sie jemals wieder freigeben würde.

Sie hätte ihm auch wochenlang die Stirn geboten, wenn es nötig gewesen wäre, niemals hätte sie klein beigegeben und sich ihm unterworfen. Nichts in der Welt hätte sie dazu zwingen können, nicht einmal ihre eigene Schwäche. Und doch musste sie sich eingestehen, dass es knapp gewesen war – sehr knapp. Viel zu knapp um es genau zu nehmen. Es gefiel ihr überhaupt nicht, kratzte an ihrer Selbsteinschätzung. Doch niemals hätte sie sich unterworfen. Jeder Drohung zum Trotz, jede Tat hätte er bereut und genau das würde er noch tun, wenn sie sich erst einmal wieder gefasst hatte.

Die Schriftrollen hatte sie achtlos zu Boden fallen lassen. Sie würde sich gleich darum kümmern. Zunächst einmal brauchte sie einen Augenblick um sich zu sammeln. Sie lag auf ihrem Bett auf dem Rücken und starrte an die Decke. Nur langsam wich die Kälte aus ihren Gliedern, nur langsam gelang es ihr sich wieder auf sich selbst zu besinnen.

Langsam, aber doch mit Bestimmtheit. Es brauchte mehr um sie zu unterwerfen, als einen lähmenden Zauber, ein paar Dolche und ein hinterhältiges Lächeln. Nun war dies kein Kampf mehr, den sie für Seth oder Mana führte, nein. Nun war es ein Kampf um ihre eigene Ehre, den sie gewiss nicht zu verlieren gedachte. Die nächste Begegnung mit dem Meisterdieb würde ganz gewiss anders verlaufen. Sie lächelte. Oh ja, er würde staunen, wenn die Erkenntnis ihn traf. Er würde sie bewundern und verachten – und der heftigsten Niederlage seines Lebens gegenüberstehen.

Sie zweifelte nicht eine einzige Sekunde lang an ihrer Überlegenheit. Er hatte sie überrascht, hatte Glück gehabt. Doch das war nun vorbei. Er konnte sich nicht mit ihr messen, war ihr niemals gewachsen. Sie hatte den besten Lehrer gehabt, den sie hätte kriegen können und sie hatte immer alles gegeben und ihn noch nie enttäuscht! Sie würde jetzt nicht damit anfangen.

Tief durchatmend setzte Adalia sich auf, das zerrissene Gewand, das sie immer noch trug, fiel einfach herab, ohne dass sie sich daran störte. Es war eine Last gewesen kein ordentliches Gewand zu haben, hatte sie ziemlich behindert. Nun, da sie sich wieder frei bewegen konnte, war diese Last von ihren Schultern genommen. Wie viel Zeit war schon vergangen, seit sie Seth aus dem Teich gezogen hatte? Es schien Ewigkeiten her zu sein, doch dabei waren lediglich ein paar Stunden vergangen.

Eine Nacht, die ihre Ausgangssituation und ihre Möglichkeiten grundlegend verändert hatte. Sie war nun in der Position etwas zu erreichen, sie hatte Handlungsspielraum. Ein ganz neues Gefühl von Begeisterung und Aufregung erfüllte ihr Bewusstsein, ließ ihr Herz schneller schlagen, während sie ein frisches – und vor allem heiles – Gewand überstreifte und dann zu Boden sah, zu dem Ort, wo die Schriftrollen noch immer lagen. Die Rollen, die Manas geheimnisvolle Vergangenheit dokumentierten, sie lagen ihr direkt zu Füßen. Die Priesterin bückte sich danach und betrachtete sie unschlüssig. Sollte sie sie öffnen und sich vergewissern, dass es sich um die richtigen Rollen handelte? Adalia war sich fast sicher, dass es eine Finte gewesen war. Sie war nicht in der Position gewesen Forderungen stellen zu dürfen, und trotzdem hatte Bakura bereitwillig seinen Trumpf nicht nur präsentiert, sondern auch abgegeben.

Es passte nicht zu seinem sonst so berechneten Spiel, es passte ganz und gar nicht. Und sie glaubte auch nicht daran. Ein Risiko wollte sie dennoch nicht eingehen. Der Entschluss war schnell gefasst. Was immer auch auf diesen Schriftrollen stand, es interessierte sie nicht. Es hatte aber auch niemanden sonst zu interessieren und genau deswegen musste sie jegliche Beweise vernichten. Mit einem kurzen Klatschen auf ihre zweite Hand, die die Rollen hielt, gingen die Pergamente in Flammen auf. Magische Flammen, die zwar ihre Hand nicht verbrannten, von den Rollen jedoch nicht mehr als Staub zurückließen. So einfach war sie nicht zu kaufen. Sie klopfte sich die Aschereste von den Händen und atmete tief durch. Die vergangene Nacht war nicht umsonst gewesen. Es war an der Zeit das Wissen zu nutzen, das sie von dem Weißhaarigen bekommen hatte, das er ihr bereitwillig serviert hatte. Das Kind der Prinzessin war tot? Sie konnte es nicht so recht glauben, war nicht überzeugt davon.

Was für eine Garantie gab es für das Wort des Diebes? Keine einzige. Sie musste sich vergewissern, musste herausfinden, wie viel Wert die Information in sich trug.

Was war mit dem Kind geschehen? Sie musste es wissen. Musste wissen, was es bedeutete, musste abschätzen, was sie damit anfangen konnte. Wenn das Kind bereits nicht mehr am Leben war, dann konnte man viele Facetten betrachten, die sicher nicht das Licht erreicht hatten. Facetten, die alles veränderten.

Wie sollte sie vorgehen? Hatte Bakura recht? Oder log er? Es war in entscheidender Wiese interessant. Das tote Kind nahm dem Pharao den einzigen Erben. Unentschlossen schritt Adalia im Zimmer auf und ab, die Hand umschloss fest einen Gegenstand, den sie dem Räuber entwendet hatte.

Teanas Kind...

Immer wieder musste sie an Bakuras Worte denken. Es schien tatsächlich niemand nach ihr zu suchen. Er hatte tatsächlich nur Augen für sie... Der Stich traf tief. War sie überhaupt wichtig? War sie wirklich nur ein Mittel zum Zweck? Einfach nur gut genug um sich um Mana zu kümmern? Wenn sie an das Mädchen dachten, das so vieles gewonnen und noch viel mehr verloren hatte, wurde sie traurig. Sie hatte Mitleid mit ihr, verspürte aber gleichzeitig auch eine tiefe Eifersucht. Sicher war sie nun bei ihm... Die Priesterin biss sich auf die Lippe. Doch was würde geschehen, wenn Seth Pharao wurde...? Er würde sich niemals auf sie verlassen können...

Sie stand am Fenster und sah grübelnd hinaus ohne die Schönheit der Welt wahrzunehmen. Sonst hätte sie die Zeichen vielleicht erkannt.

So jedoch hing sie einfach nur ihren Gedanken nach, strich mit den Fingern fast zärtlich über den Gegenstand, der inzwischen vor ihr lag. Die Aufgabe, die Bakura ihr gegeben hatte..,

Dass er nicht die Befugnis hatte, über sie zu bestimmen, würde er noch lernen. Solange er sich nicht an die Abmachungen hielt – und das tat er nicht, dafür hätte sie alles aufs Spiel gesetzt – war jeder Deal hinfällig. Er machte den entscheidenden Fehler sie zu unterschätzen, doch sie ließ sich nicht benutzen. Von niemandem!

Schließlich hatte sie einen Entschluss gefasst. Vorsichtig ließ sie den Gegenstand in ihrem Gewand verschwinden, sodass nichts blieb, außer einem eisigen Gefühl auf der Haut. Ein verträumtes Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Für Seth...

Götterdämmerung

!!! Achtung: Nächste Woche (also am 25.2.2010) gibt es KEIN Kapitel! Ich steh kurz vor der Abgabe meiner Bachelorarbeit, deswegen muss das mal pausieren. Danach gehts aber weiter, drückt mir die Daumen! *zitter* !!! Viel Spaß mit diesem Kapitel! ^.^
 

Kapitel 87 – Götterdämmerung
 

Es war eine erschreckend schwere Nacht gewesen, in der ihre Nerven mehr als einmal kurz vor dem Zerreißen gewesen waren. Es war eine unruhige Nacht gewesen, in der er den Pharao mehr als einmal besorgt gebeten hatte sich etwas Ruhe zu gönnen. Selbst das Versprechen ihn sofort zu benachrichtigen, sollte eine Veränderung eintreten, hatte Atemu nicht von Teanas Seite weichen lassen.

Sie hatte die ganze Nacht um ihr Leben gekämpft. Fast durchgehend hatte Qadir den Zusammenbruch des Pharaos befürchtet, doch Atemu hatte nicht aufgegeben. In regelmäßigen Abständen hatte er die Nerven verloren und seine Verzweiflung in Form von Wut auf alles und jeden, insbesondere aber auf die Götter und den Arzt, der nicht mehr tun konnte, als über sie zu wachen und jederzeit zur Stelle zu sein, ausgelassen, doch dabei war es geblieben. Qadir konnte es ihm nicht verübeln.

Erst in den frühen Morgenstunden war er ruhiger geworden. Er war körperlich und psychisch völlig am Ende, doch er bestand darauf dort zu bleiben. Sein Kopf lag inzwischen gebettet auf Teanas Kissen, er saß auf einem Stuhl daneben und hielt stumm ihre Hand. Ein wenig Ruhe war eingekehrt. Noch immer überwachte Qadir die Prinzessin praktisch durchgehend, doch seine Besorgnis nahm langsam aber sicher ab. Sie schien stärker zu sein, als er hatte befürchten müssen, schien den Kampf um ihr Leben zu gewinnen. Diese Entwicklung war der einzige Grund, der Atemu auf den Füßen hielt, das war dem Arzt und all seinen Helfern zu jeder Sekunde bewusst. Doch auch Atemu musste sie spüren, die Veränderung, die in Teanas Zustand zu sehen war, die Ruhe, die langsam zurückkehrte. Die Sonnenstrahlen, die auf ihre Haut fielen, spendeten ihr Wärme und verschleierten ihren gespenstisch blassen Teint ein wenig.

Schwach lächelnd trat der Arzt hinter seinen Herrscher. „Mein Pharao...?“, sprach er ihn zurückhaltend an, ohne zu wissen, was ihn erwarten mochte. Würde Atemu wieder schreien, weil er es gewagt hatte, das Wort an ihn zu richten?

Der junge König jedoch blieb ruhig, drehte sich nur ein winziges Stück zu ihm und sah ihn aus abwesenden Augen an. „Ja?“, fragte er leise, richtete seinen Blick jedoch sofort wieder auf Teana, damit er nur nichts verpasste. Der Ausdruck auf seinem Gesicht zeugte von einer tiefen Bitterkeit und doch war es ein eindeutiger Beweis dafür, dass Atemu die Realität nicht verlassen hatte.

„Ihr Zustand verbessert sich“, sprach Qadir die Worte aus, auf die sie alle die ganze Nacht über gewartet hatten, „Sie schläft ruhig und ihr Körper scheint auch endlich Erholung zu finden. Ich denke, sie hat den Kampf gewonnen. Wie es aussieht“, und er hauchte die Worte nur, so sehr hoffte er, dass sie wahr waren, „waren unsere Sorgen und Zweifel nicht gerechtfertigt.“

Die Wirkung, die diese Worte auf Atemu hatten, war gerade zu atemberaubend. Als wären plötzlich alle Lebensgeister in ihm zu neuem Leben erwacht, richtete er sich auf, lächelte Teana hoffnungsvoll an und festigte den Griff um ihre Hand. Erleichtert atmete er durch, als er spürte, dass ihre Haut nicht mehr kalt war und sie endlich wieder Regungen zeigte.

Waren seine Gebete doch erhört worden?

„Ich danke Euch“, flüsterte der Pharao, schaffte es jedoch nicht den Angesprochenen dabei auch anzusehen, doch Qadir kümmerte es nicht. Nach einer solch turbulenten Nacht wie der letzten, in der mehr als Teanas Leben auf dem Spiel gestanden hatte, hatte er nicht damit gerechnet, Dankbarkeit entgegengebracht zu bekommen. Und trotzdem hatte Atemu die Worte ausgesprochen. Er lehnte sich vor und hauchte seiner Liebsten einen Kuss auf die Stirn – Qadir sah es mit Wohlwollen. Es konnte ihrer Genesung nur zugute kommen. Atemu schien tief versunken in seinem Ritual der Liebkosungen, strich zärtlich über Teanas Wange, küsste ihre Lippen und wich nicht von ihrer Seite. Es konnte beiden nur gut tun.

Zum ersten Mal seit Stunden konnte Qadir ein wenig durchatmen. Das Schlimmste war überstanden, da war er sich sicher.
 

Das Licht wärmte ihre Glieder, schien auf ihr Gesicht und spendete Wärme, wo zuvor nur Kälte gewesen war. Sanfte Berührungen konnte sie auf ihrer Haut spüren, doch sie konnte sie nicht zuordnen. Was war das? Woher kam diese Geborgenheit, die ihr Bewusstsein nicht richtig erfassen konnte?

Sie wusste nicht, was es war, doch etwas hatte sie gehalten, hatte sie immer wieder gerufen, als alles dunkel gewesen war. Eine zarte, aber ausdrucksstarke Stimme, die sie immer wieder aufgehalten hatte einfach aufzugeben, einfach der Dunkelheit nachzugeben, einfach in der Ewigkeit zu verschwinden. Es war so friedlich gewesen, so ruhig und ohne jegliche Verpflichtungen. Keine Schuld. Keine Trauer. Keine Wut. Keine Angst.

Aber auch keine Freude und keine Liebe. Einfach nur das Nichts, das auf sie gewartet, die fest an sich gehalten hatte. Dies hier war etwas anderes. Das Licht ließ es ihr ganz deutlich bewusst werden. Dieser Ort war nicht der, den sie zu verlassen gedachte. Hier, wo jemand auf sie wartete. Ein schwaches Lächeln legte sich auf ihre Züge, angedeutet nur, weil sie nicht genügend Kraft besaß und doch wusste sie, dass es genau dorthin gehörte. Atemu. Ja, sie hatte die Stimme inzwischen erkannt, konnte sagen, wer so sehnsüchtig nach ihr gerufen hatte. Immer und immer wieder. Immer wieder nur er.

Je mehr Zeit verstrich, desto mehr nahm sie wahr und desto mehr konnte sie auch einordnen. Er war hier. Atemu war hier bei ihr, trotz allem, was sie nicht zu leisten geschafft hatte. Sie hatte auf ganzer Linie versagt, die hohen Erwartungen, die er an sie gestellt hatte, weit unterboten und sein Vertrauen furchtbar verletzt. Und trotzdem rief er noch nach ihr. Nach allem, was sie verschuldet hatte, stand er noch immer an ihrer Seite. Sie verdiente ihn kaum. Auch jetzt war sie sich da sicher, doch sie konnte es ihm nicht sagen. Sie brauchte ihn. Ohne ihn würde sie es nicht ertragen. Sühnte man denn nicht genug, wenn man unter den Konsequenzen seiner Taten litt?

Wieder wusste Teana es nicht. Sie wusste nur, dass es wehtat darüber nachzudenken. Und sie wusste, dass Atemu noch immer nach ihr rief. Ob nun, um sie zu richten, oder aus einem anderen Grund, war letztendlich auch egal. Wichtig war lediglich, dass er sie bei sich haben wollte. Und vielleicht konnte er sie auch noch lieben... Oder es zumindest wieder erlernen. Sie musste daran glauben.

Sie musste es jetzt tun. Sie musste sich der Welt stellen. Und sie musste endlich die Kraft aufbringen ihn zu erlösen. Teana atmete tief ein. Es war ein eigenartiges Gefühl die Atemmuskulatur bewusst zu belasten, es war ein eigenartiges Gefühl sich auf ihre Handlungen zu konzentrieren.

Irgendwie gelang es ihr, ihre Augen ein ganz kleines Stück zu öffnen. Sie blinzelte, als das Licht sie blendete, konnte zunächst kaum etwas sehen. Doch sie wusste, dass er da war. Er war schon immer da gewesen um sie aus ihren finsteren Träumen wachzuküssen. Und er war auch jetzt da. Jetzt und für immer.
 

Sein Gesicht – es war ihr so nahe. Und doch schien es eine Weile zu dauern, bis er merkte, dass sie erwacht war. Gerade, als er sich ihres schlafenden Blickes hatte versichern wollen, öffnete sie die Augen. Er erschrak, konnte es im ersten Moment kaum glauben. War es wirklich wahr? Träumte er auch nicht?

Nein. Ein freudiges Lächeln legte sich auf seine verbitterten Züge, gab ihm ein wenig seiner jugendlichen Schönheit zurück. Zitternd erhob er seinen Arm, strich ihr sanft über die Wange und ließ dennoch ihre Hand nicht los. „Guten Morgen, mein Schatz...“, sagte er und er musste sich anstrengen, damit seine Stimme nicht brach. Ihre Augen waren so schön, hatten eine solch intensive Farbe, während sie das einfallende Licht reflektierten. Wie lange hatte er sie nicht mehr so leuchten gesehen? Viel zu lange war es her gewesen...

Zärtlich strich sein Daumen über ihren Handrücken, er lehnte sich nach vorn und küsste sie auf die Stirn. Er war so froh. So unendlich erleichtert, dass sie wieder bei ihm war, dass er selbst die Tränen kaum zurück halten konnte. Waren die Götter wieder gnädig gestimmt? Hatte das Opfer seines einzigen Kindes den Preis gezahlt, den er zu sühnen gehabt hatte? Er konnte es nur hoffen. Das Kind zu verlieren war eine Sache, etwas ganz anderes war es Teana – er konnte den Gedanken nicht einmal denken, so schmerzhaft war er. Nein. Teana würde für immer bei ihm bleiben. Er hatte nicht vor ihr irgendwelche Vorwürfe zu machen, hatte nicht vor irgendeine Schuld auf sie abzuwälzen. Die Götter hatten ihn bestraft, viel zu sehr hatte sie schon darunter gelitten. Doch sie hatten ihm auch eine neue Chance gegeben. Die Reinheit von Teana würde er nicht aufs Spiel setzen um den Willen der Götter zu erklären.

Er blickte in ihr Gesicht. Sie war noch immer recht blass und man sah ihr die Erschöpfung deutlich an. Trotzdem war die positive Entwicklung nicht zu übersehen. Sie erwiderte seinen Blick, lächelte leicht. „Warst du etwa die ganze Zeit über hier?“, fragte sie gerührt und anklagend zugleich, fast lautlos, doch er verstand jedes ihrer Worte. Nun, da er sich so lange nach einem einzigen Ton von ihren Lippen gesehnt hatte, erschien auch der noch so stille Ton wie ein heller, glockenklarer Hall.

Gedankenverloren strich er über ihr Haar. „Ja, war ich“, gab er seufzend zu, lächelte aber für sie. „Ruhe dich gut aus“, bat er.

Sie deutete ein Nicken an, übte einen ganz leichten Druck auf seine Hand aus, als sie ihre Finger um die Seinen legte. „Das werde ich“, versprach sie und fügte besorgt noch hinzu, dass auch er Ruhe brauchte.

Natürlich, sie hatte selbstverständlich recht. Doch wie hätte er die Nacht über schlafen können, wo doch so vieles im Unklaren gelegen hatte?

Sie sollte gar nicht darüber nachdenken. Sie sollte einfach nur daran denken, sich auszuruhen, sollte egoistisch sein, nachdem die Götter ihren Willen schon auf ihrem Rücken ausgetragen hatten. Sie sollte jetzt einfach nur an sich denken, damit sie wieder ganz gesund werden konnte und damit er sie endlich zu seiner strahlenden Königin machen konnte. Wieder lehnte er sich zu ihr, stupste mit seiner Nasenspitze die Ihre an und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ich habe mich genug ausgeruht hier“, flüsterte er, und obwohl er wusste, dass das nicht gerade der Wahrheit entsprach, fühlte er für sich, dass es die richtigen Worte waren. Er konnte nur hoffen, dass sie von seinen Ausbrüchen in der Nacht nichts mitbekommen hatte, er wollte sie nicht beunruhigen. „Liegst du bequem?“, wechselte er das Thema, „Soll ich dir noch ein Kissen holen lassen?“

Teana schüttelte den Kopf, und ihr Blick verriet nur eins: sie hatte ihn sofort durchschaut. „Es ist schon in Ordnung so“, sagte sie, wechselte dann aber ihrerseits zurück zum vorherigen Thema. „Du hast nicht eine Sekunde geruht“, stellte sie fest und fing sich dafür seinen schuldbewussten Blick ein.

Zunächst wollte er widersprechen, doch er wusste auch, dass es sinnlos war. „Da magst du recht haben“, gab er nun doch zu, „Aber ich musste auf dich aufpassen...“ War es eine Erklärung für sie? Oder eine Ausrede für ihn? War es nicht Schönrederei? Was hatte er denn schon getan? Er hatte an ihrem Krankenbett gewacht, das war wahr. Aber reichte das schon aus? War das allein schon eine helfende Tat?

Es war Qadir, der ihn aus seiner Grübelei riss. Er sah die Prinzessin aufmerksam an und auch er konnte das Lächeln nicht unterdrücken. „Es freut mich, dass Ihr erwacht seid“, mischte er sich ein und wandte sich dann direkt an den Pharao, „Aber ich denke, es ist das Beste, wenn sie jetzt Ruhe bekommt.“ Er schickte die Diener weg, die, wie sie es schon die ganze Nacht getan hatten, noch immer im Zimmer standen, bereit jederzeit Befehle entgegen zu nehmen.

„Ich danke dir“, sagte Teana lieb zu Atemu und stimmte ihrem Arzt dann zu. Sie musste es wohl am besten wissen, doch der Pharao wusste es besser. Sie tat es vor allem, weil sie wollte, dass er endlich zur Ruhe kam und ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr im Stillen dafür zu danken. Er musste sich wirklich dazu zwingen, nicht gleich wieder zu protestieren, musste sich zwingen, den guten Willen anzunehmen und der Tatsache, dass auch er nach dem Krieg und nach der letzten Nacht völlig entkräftet war, ins Gesicht sehen. Er schluckte. „Sag aber sofort Bescheid, wenn irgendetwas ist, ja? Ich bin sofort zur Stelle. Schlaf gut, meine Königin“, hauchte er in ihr Ohr, küsste sie sanft. Es fiel ihm schwer, ihre Hand loszulassen und sich abzuwenden. Doch er wusste auch, dass es sein musste. Er durfte sie nun nicht beunruhigen, sie sollte all ihre Kraft nur in ihre Genesung stecken und nicht in Sorgen um ihn. Trotzdem wollte er noch einen Moment mit ihr allein sein.

Er erhob sich, trat Qadir entgegen und sah ihn kurz an. Er zögerte erst, doch dann schickte er ihn aus dem Zimmer. Qadir verbeugte sich vor ihm und erfüllte seinen Wunsch, auch als Arzt konnte er keine Einwände haben. Er besaß einen Raum nur wenige Zimmer von diesem entfernt, konnte also auch weiterhin problemlos regemäßig nach der Brünetten sehen.

Atemu sah ihm nachdenklich hinterher. Er war dem Mann dankbar. Er war ihm ehrlich dankbar. Er wusste nicht, ob er die Nacht ohne ihn so glimpflich überstanden hätte. Vermutlich nicht. Wenn er niemanden gehabt hätte, an dem er seine Verzweiflung hätte auslassen können – nur die Götter allein wussten, wozu er dann im Stande gewesen wäre.

Leicht lächelnd wandte er sich wieder seiner Liebsten zu. Er legte seine Hand auf ihre Wangen. „Ruh' dich aus...“, sagte er einfühlsam und zärtlich. „Ich liebe dich.“

Er wollte sie nicht allein lassen, doch er wusste genau, dass sie ebenfalls darauf bestehen würde, dass er sich schonte, wäre alles anders herum gewesen.

„Ich liebe dich auch“, entgegnete Teana, ein Glitzern in den Augen. War es Erleichterung? War es Rührung? Was war es?

Was war es, das er mit ihr allein lassen würde? Er würde immer bei ihr sein, nichts auf dieser Welt konnte sie trennen. Sie würden alles zusammen überstehen. Der Verlust ihres Kindes bildete da keine Ausnahme. Er wusste genau, sie würden es gemeinsam schaffen. Und nur deswegen konnte er jetzt die Kraft finden, den Raum zu verlassen. Nur deswegen konnte er akzeptieren, dass sie Zeit für sich brauchte, damit sie jede Chance bekam, wieder sie selbst zu werden. Damit sie alles verkraften konnte. Und er auch.

Damit sein Land gemeinsam mit Teana wieder erblühen würde. Dafür würde er kämpfen. Dafür würde er sorgen. Er schritt langsamen, aber festen Schrittes aus dem Gemach und sah den Arzt noch einmal eindringlich an. Er vertraute sie ihm an – wieder. Qadir würde in ihrer Nähe bleiben, während er seinen Pflichten nachging. Viel zu lange schon hatte er sie vernachlässigt. Es war an der Zeit, sich nicht mehr zu verstecken. Er hatte eine Aufgabe. Er war der Pharao. Für sein Volk war auch er ein Gott.

Fäden

Danke für eure Geduld und auch für euer Daumendrücken ^^ (Hats wer gemacht? XD) Ich habe am Montag meine Bachelorarbeit abgegeben und heute gibts wie versprochen wieder ein neues Kapitel ^^ Viel Spaß ^^
 

Kapitel 88 – Fäden
 

Oh, wie ihn allein die Gedanken an das Kommende in Ekstase versetzten, ihn verzückten und die Aufregung in ihm fast ins Unermessliche steigen ließ, es war kaum begreifbar und erst recht nicht nachvollziehbar. Und doch genoss Cyrus jede einzelne Sekunde. Das ägyptische Volk war einem Angriff schutzlos ausgeliefert. Müde noch von der vergangenen Schlacht und sich dem Siege gewiss, konnte niemand damit rechnen, dass die Gefahr ihnen immer näher kam. Die Sonne war zwar erneut aufgegangen, doch sie brachte nur wenig Licht. Schwere Schwaden eines dichten Nebels verhinderten, dass der Hauch des Lebens den Boden erreichte. Cyrus hatte seine diebische Freude daran. Viel zu lange hatte er gewartet, zwar war er sich in all der Zeit stets bewusst gewesen, dass all die Warterei nur den Zweck gehabt hatte, im richtigen Moment zuschlagen zu können, doch er war es Leid geworden. Jetzt, da er endlich die Zügel in die Hand nehmen konnte – und es waren stramme Zügel, die er sich nun nicht mehr nehmen ließ – war er mit Feuer und Flamme dabei. Er konnte es kaum erwarten. Ungeduld zerfraß ihn. Sein Hass auf den Palast war grenzenlos. Das Land, das sie an sich gebunden hatte, weil ihr Bruder hier verschollen war. Das Land, in dem der Hohepriester lebte, der die Sklaverei über ihre Familie gebracht hatte. Das mächtigste Reich der Zeit. Es stand kurz vor dem Fall. Und nur er wusste es. Doch nicht mehr lange. Bald schon würden sie es verstehen.

Er konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Noch immer begleitete er die libyschen Truppen unter der Führung dieses tragisch gescheiterten Priesters, noch immer lenkte er aus dem Verborgenen ihre Wege, und sorgte dafür, dass ihnen eine Aura von Schrecken voraus ging. Die Stadtmauern kamen immer näher. Er konnte sie aus seiner hohen Position heraus bereits sehen und auch sie würden es schon sehr bald erkennen. Er würde dafür sorgen, dass sie angemessen empfangen werden konnten, wenn sie die Stadt schließlich erreichten. Die Magie der Nebel lag in seiner Hand. Und er war mehr als gewillt, sie einzusetzen. Niemand würde ihnen entkommen, dafür würde er sorgen. Und dann würde ihm der Triumph zukommen. Ihm ganz allein.
 

„Gehen wir in den Garten?“

Ihre Frage riss ihn mit einer solchen Gewalt aus seinen Gedanken, dass es ihn selbst überraschte, wie weit er entfernt gewesen war von diesem Ort. Der Ort der Erinnerungen... Er hatte mit aller Macht versucht, sich auf das zu konzentrieren, was getan werden musste, und wider Erwarten schien es ihm auch gelungen zu sein – bis zu ihrer irritierenden Frage, die ihn wieder aus dem Konzept gerissen hatte.

Gequält richtete er seinen Blick auf. Mana saß noch immer auf seinem Stuhl, doch die Schriftrollen beachtete sie in keinster Weise. Ungeöffnet lagen sie noch immer dort, wie sie wohl schon seit einigen Stunden gelegen. Etwas entgeistert blickte er sie an, seufzte schließlich, atmete noch einmal tief durch, eher er zur Antwort ansetzte. „Es tut mir Leid, ich habe jetzt keine Zeit“, sagte Seth und wiederholte damit die Worte, die er ihr bereits gesagt hatte, „Nachher gehen wir hinaus, in Ordnung?“

Wenn nur Adalia sich um sie kümmern würde, dann wäre ihm eine große Last abgenommen. Doch die Priesterin war nicht hier und jemandem anderes wollte er Mana nicht anvertrauen. Da blieb nur er selbst. Und er hatte keine Zeit. Er arbeitete jetzt schon für geraume Zeit, doch die Aufzeichnungen nahmen kein Ende. Kurz sah die Brünette ihn ernst an, senkte dann jedoch den Kopf, nickte leicht und murmelte eine Entschuldigung. „Ich halte dich nicht länger auf“, erklärte sie förmlich, legte schließlich ihre Hand unbeholfen auf sein Knie und strich kurz darüber, lächelnd.

Er verfluchte sich selbst dafür, dass ihm ihre Berührung gefiel, dass alles in ihm nach mehr schrie. Diese Entwicklung war überhaupt nicht förderlich. Er hatte sie am Vorabend viel zu nahe an sich heran gelassen, viel näher als gut für sie war. Und er hasste sich dafür. Er bereute jedes Wort, das er zu viel gesagt hatte. Jedes einzelne. All das geschah nur, weil er es nicht geschafft hatte, sich zusammenzureißen. Immer wieder nur, weil er zu schwach war. Der Versuch, sich auf die Rolle in seinen Händen zu konzentrieren, scheiterte kläglich. Immer wieder wollte er aufschauen, zwang sich aber jedes Mal im letzten Moment noch dazu, es nicht zu tun. Es musste eine Folter für sie sein, doch er konnte es nicht ändern. Er wusste nicht wie er es anstellen sollte, ohne alles nur noch schlimmer zu machen. Als er die Schritte auf dem Gang vernahm, war es wie eine Erlösung, auf die er nicht mehr gehofft hatte. Der lang erwartete Klang, der endlich ertönte, um ihn aus der Apathie zu reißen.

Adalia. Es konnte nur Adalia sein, die endlich kam um ihm die Aufgabe abzunehmen, Mana zu beschäftigen. Sie Aufgabe, die er ihr abgetragen hatte, bevor er in den Krieg gezogen war. Sie war diejenige, die am ehesten verstehen musste, was hier im Palast zurzeit los war.

Die Schritte kamen näher, es klopfte an der Tür. Er hob den Kopf, als er Mana durch den Raum poltern sah, die Rolle, die sie gerade noch schuldbewusst hatte öffnen wollen, wurde achtlos beiseite geworfen. Leicht lächelnd schüttelte er den Kopf, stand er auf und hob das Pergament vom Boden wieder auf. Wenn Adalia erst da war, dann würde es klappen. Erleichterung durchströmte ihn. Mana öffnete die Tür voller Vorfreude. Adalia –

„Kisara!“, rief seine Verlobte fröhlich aus und der Priester musste blinzeln. Er hatte fest mit Adalia gerechnet, die Anwesenheit der Weißhaarigen überraschte ihn über alle Maßen. Allerdings nicht unangenehm. Er fühlte sich durchaus erleichtert, die junge Frau zu sehen.

Mana schien alles andere als überrascht zu sein, ganz im Gegenteil. Sie lief auf sie zu, hüpfte freudig vor ihr auf und ab und warf sich ihr dann förmlich in die Arme, die die andere etwas zögerlich um sie schloss. Nicht nur Seth wunderte sich über diese Vertrautheit, wie er ihn dem Blick der Blauäugigen erkennen konnte, die ihre Verwirrtheit jedoch gut genug überspielte, damit Mana es nicht sah. Ihn konnte sie nicht täuschen.

„Freust du dich?“, fragte Kisara, die fast sofort auf Manas Spiel eingegangen war, ehe sich ihr Blick schließlich hob. Ihre Augen suchten nach Seth, schienen regelrecht nach Bestätigung zu rufen, und es schien eine Hoffnung in ihren Augen zu brennen, die sie noch nicht aufgegeben hatte. Seth betrachtete sie schweigend. Die beiden Frauen so zu sehen, die sich nie nahe gestanden hatten, war ein eigenartiges Gefühl. Es war nicht richtig. Es sollte nicht so sein. Dies war eine künstlich geschaffene Atmosphäre, die nur aufrecht erhalten werden konnte, solange man sie immer wieder stabilisierte. Sie hatte keine Natürlichkeit. Es gab keine Sicherheit.

Die Schriftrolle, die Seth gerade aufgehoben hatte, legte er zur Seite – was bei Mana ein entzücktes Lächeln auf die Lippen zauberte – und trat näher. Mana grinste Kisara an, packte ihre Hand und zog die Weißhaarige in Seths Gemach, ohne auf dessen Zustimmung zu warten. Sie hüpfte aufgeregt zwischen beiden hin und her, strahlte übers ganze Gesicht. Es war beinahe niedlich, doch auch dieses Strahlen besaß keinerlei Natürlichkeit in Seths Augen.

Fürs erste jedoch fiel seine Aufmerksamkeit auf Kisara, die fast schüchtern vor ihm stand und sich in ihrer Haut nicht so recht wohl zu fühlen schien. „Hast du sehr viel zu tun?“, fragte sie höflich und diskret, „Ich will nicht stören...“ Kisara senkte leicht den Blick, deutete auf diese Weise eine Verbeugung an.

Die Förmlichkeit irritierte ihn ein wenig, doch er achtete nicht weiter darauf. Er nickte zustimmend. „Es ist erstaunlich viel, ja“, gab er zu, „Der Pharao scheint nicht bei der Sache zu sein...“

Er betrachtete sie einen Moment. Sie hatte nichts von ihrer Schönheit verloren. Sie war noch immer jung und attraktiv und mächtig, trotz des Standes, den das Leben für sie gewählt hatte. Sie hatte Einfluss. Und Mana schien ihr zu vertrauen. War es da nicht möglich... Er sah ihr in die Augen, wartete darauf, dass sein Blick sie gefesselt hielt. „Würdest du...“, setzte er an, machte dann aber eine kurze Pause und dachte kurz nach. Vielleicht war es zu viel verlangt, doch ihm fehlten die Alternativen. „Könntest du Mana in der Zwischenzeit beschäftigen?“, fragte er und sah nicht, wie der Glanz in ihren Augen durch seine Worte vollständig erlosch.
 

Es war unglaublich interessant gewesen. Die Erfahrungen, die er mit der Priesterin gemacht hatte, waren eine unglaubliche Quelle von Erheiterung gewesen. Sie war im Nachteil gewesen, das musste er fairer Weise zugeben, und es war nicht einmal grundsätzlich sein Verdienst gewesen. Es nagte ein wenig an ihm, doch letztendlich war es auch nicht von Bedeutung. Bakura stand noch immer an der Stelle, an der er gestanden hatte, als Adalia gegangen war und schmunzelte vor sich hin. Es war einfacher gewesen, als er gedacht hatte. Die Priesterin hatte keine andere Wahl gehabt, als ihm zuzustimmen, das war ihm durchaus bewusst. Lässig drehte er eine Schriftrolle in seiner Hand. Natürlich hatte er zuvor eine genaue Kopie angefertigt, und die Originalrolle behalten. Wie hätte er dazu kommen sollen, einen solch eindeutigen Beweis einfach aus der Hand zu geben? Es gab ihm Handlungsfreiheit. Nicht nur, dass er dadurch besonders gute Verbindungen zum Palast bekam, es gab ihm auch Narrenfreiheit. Er konnte verlangen, was immer er wollte; wenn nicht erwünscht war, dass er die Informationen über Mana preisgab, mussten sie alle seine Forderungen erfüllen. Nahm es der Sache nicht den Reiz? Nein. Er hatte die ganze Nacht dafür genutzt, darüber nachzudenken, und war zu dem Schluss gekommen, dass er seine Möglichkeiten nutzen würde. Zu sehen, wie der Hohepriester vor ihm zitterte, war doch wirklich eine äußerst angenehme Vorstellung. Obwohl er dadurch vermutlich wieder die Wut der Priesterin auf sich zog. Es war fast niedlich, wie sehr sie ihn vergötterte, und wie blind sie war für all seine Dummheiten. Stiller Gehorsam nur um in seiner Gunst aufzusteigen... Es war naiv. Und genau das war der Grund, weswegen sie niemals gewinnen konnte. Sie würde immer an zweiter Stelle bleiben, das hatte sie nur noch nicht verstanden. Sie würde es schon noch verstehen. Und wenn sie erst ihre Aufgabe erfüllt hätte... nun, erst dann würde es wirklich beginnen. Das eigentliche Spiel zwischen ihnen. Es war so nahe. Sie würde ihn betrügen. Natürlich würde sie es tun. Er selbst würde es an ihrer Stelle tun. Und doch würde sie die Fäden ziehen, an denen das Schicksal hing. Deswegen hatte er sie gehen lassen mit dieser fadenscheinigen Aufgabe. Sie hatte Potential. Sie hatte Mut. Sie wagte es, für das zu kämpfen, was sie für richtig hielt. Sie wagte es, sich allen zu widersetzen. Selbst ihm. Nur Seth nicht, das war der eine Haken, der alles lenken würde. Er hatte es in ihren Augen gesehen in dem Moment, da sie erfahren hatte, dass das Kind der Prinzessin tot war. Er hatte es gewusst, ganz genau so wie er gewusst hatte, dass diese zwei anderen Priester niemals zu ihm zurückkehren würden. Sie waren feige, besessen zwar von ihren Ideen, doch sie spielten so schlecht, dass es sich nicht einmal lohnte, eine Herausforderung in ihnen zu sehen.

Doch Adalia war anders. Sie würde ihm noch viel Freude bereiten. Er musste tatsächlich zugeben, er freute sich darauf, sie wiederzusehen, war mehr als gespannt auf die Entwicklungen, die Taten, die da kommen würden. Er hatte ihr diese eine Chance gegeben, die einzige, die sie bekommen konnte. Die eine Möglichkeit, seine Wünsche zu erfüllen, auch wenn sie noch immer glaubte, es wäre ihre eigene Intention. Vermutlich würde sie es irgendwann verstehen. Er hoffte es, wenn er ehrlich zu sich selbst war, und das war er immer. Sie war die eine Variable, die er frei bewegen konnte, ohne dass seine Handschrift darin zu erkennen war.

Er lachte auf, als eine Reaktion seines Millenniumsgegenstandes ihn aufmerksam werden ließ. Die Magie, die er vorerst im Verborgenen gehalten hatte...

Sein Millenniumsring sagte ihm, dass etwas geschehen würde. Ein weiterer Gegenstand war ganz nahe, kam mit zunehmender Bestimmtheit näher. Lässig ließ Bakura sich auf seinen Thron fallen, lehnte sich zurück und genoss die Stille. Die Stille, die unweigerlich auf einen Knall folgte und die Stille, die der Katastrophe den Weg ebnete.

Zurückweisung

Nur langsam rieselte der Sand zurück gen Boden, den die Hufe der Pferde aufwirbelten, während sie in einem unglaublichen Tempo scheinbar durch die Wüste flogen. Das Flussbett hatten sie lange hinter sich gelassen, ebenso all die Orte, die so sehr an die Schmach der letzten Niederlage erinnerten. Jetzt war es nur noch der Hass, der sie vorwärts trieb, der Hass und Shada, dessen Hass noch wesentlich unbändiger war. Die Verachtung, die in seinem Herzen wohnte, kannte keine Grenzen mehr.

Die Ungeduld kroch in seinem Herzen hoch, brachte sein Blut zum kochen. Es juckte ihm heftig in den Fingern, endlich die Klinge auszuprobieren, die er einem Toten abgenommen hatte, eine Waffe, die ebenso wie er nach Vergeltung schrie. Kurz nur verweilte sein Blick am Himmel, dort, wo er den Violetthaarigen vermutete, doch für den Moment störte er sich nicht an dessen Anwesenheit. Ganz im Gegenteil. Die Finsternis, die sein Nebel über das Land brachte, hatte durchaus seinen Reiz, einen Reiz, den er nicht verleugnen konnte. Die Mystik des Unbekannten lag darin, doch viel mehr noch interessierten ihn die Klänge, die darin eingewoben waren. Die Klänge, die die Verzweiflung und die Schreie wiederhallen ließen, nach der er sich im Augenblick so sehr sehnte und die er über das Königreich, das einst seine Heimat gewesen war, bringen wollte. Er lachte innerlich auf.

Seth würde leiden. Er würde bezahlen für das, was er getan hatte, würde alles bereuen noch ehe das Ende kam. Er würde leiden und seine kleine Hure ebenfalls. Oh ja, er würde sie sich noch einmal vornehmen. Er freute sich auf die Schreie. Seth würde schreien. Und Mana würde es miterleben dürfen, wie ihr lächerlicher Held vor ihren Augen zerbrach. Und danach war sie an der Reihe. Sie hatten noch eine Rechnung offen, und die gedachte er zu begleichen. Nichts hatte sie erzählen dürfen, hatte schweigen sollen, doch sie hatte ihr jämmerliches Versprechen gebrochen noch bevor sie selbst verstanden hatte, worum es ging. Sie war an allem Schuld, nur sie ganz allein. Sie trug die Verantwortung und nur ihretwegen würde das Königreich in den Schatten versinken. Letztendlich hatten sie also recht mit der Einschätzung, die sie gemacht hatten, als sie ihr kleines, libysches Geheimnis aufgedeckt hatten. Die Vergangenheit holte einen immer wieder ein, egal wie weit man vor ihr davonlief.

Shada atmete die finstere Luft tief ein. Sie alle würden mit dem Leben bezahlen. Er konnte es kaum noch erwarten. Die Stadtmauer war nun bereits in seinem Blickfeld, auch wenn er sie durch den Nebel nur erahnen konnte, so wusste er doch genau, dass sie da war. Sie hatten ihr Ziel fast erreicht. Und noch immer war die Stimmung unter seinen Männern blutrünstig und unglaublich eisig. Sie trieben sich gegenseitig zur Eile an, die Ungeduld als ständiger Begleiter.
 

Wie viel Hoffnung hatte sie in diese Begegnung gelegt? Sie konnte es selbst nicht sagen. Kisara strich gedankenverloren über ihr langes Haar, ehe sie es wagte, Seth wieder in die Augen zu sehen.

Eisige Augen ohne Liebe oder Zuneigung.

„Vielleicht hat der Pharao einfach andere Dinge zu tun?“, sagte sie leise und ließ ihre Worte damit im Raum stehen. Es tat weh. Ein schwerer Kloß verschloss ihre Kehle, machte es ihr zur Qual, ruhig zu bleiben. Wieder war sie also nur dazu da um IHR zu helfen. Zu mehr war sie wohl nicht mehr gut. Eine einfache Dienerin. Das war wohl ihr Schicksal... Sie nickte resignierend. „Aber natürlich“, stimmte sie Seth zu, wusste aber eigentlich gar nicht, was sie jetzt mit Mana anfangen sollte. Hätte sie vielleicht einfach nicht herkommen sollen? Aber wohin hätte sie sonst gehen sollen? Sie hatte doch keine andere Heimat...

„Ich danke dir“, sagte der Hohepriester aufatmend, schenke ihr allerdings sonst keine Aufmerksamkeit. Er schien überhaupt nicht zu wissen, was er da verlangte. Stattdessen ging er auf ihre – eigentlich nebensächliche – Bemerkung ein. „Atemu hätte wenigstens etwas sagen können.“

Doch das Drachenmädchen hörte nicht weiter zu. Sollte er sich doch über seine Arbeit beschweren, sie hatte jetzt keinerlei Interesse daran.

Mana hatte sie bereits mit großen Augen in ihren kindlichen Bann gezogen und trotz der vielen Dinge, die zwischen ihnen standen, hatte sie das starke Bedürfnis, sie vor allem und jedem zu beschützen.

Erwartungsvoll lief das Mädchen um sie beide herum, konnte das Grinsen nicht unterdrücken. „Und was machst du?“, fragte sie an Seth gewandt, wartete aber dessen Antwort nicht ab, sondern drehte sich ohne zu zögern zu Kisara. „Und was machen wir? Gehen wir in den Garten?“ Sie kicherte. Offenbar amüsierte es sie sehr, nicht mehr bei des Hohepriesters Arbeit zusehen zu müssen.

Doch Kisara zögerte. Der Garten? Sollte sie sie wirklich so schnell schon wieder hinaus lassen? Es konnte nicht gut für sie sein, wieder auf die Erinnerungen zu stoßen, die sie doch nicht fassbar machen konnte. „Du willst in den Garten?“ Unsicher blickte die Gefragte zu Seth, dessen Blick sofort ernst geworden war. Unauffällig schüttelte er den Kopf. Na also. Das hatte sie sich doch gedacht. Seth wollte das Mädchen aus dem Garten fernhalten. Es war durchaus verständlich, auch wenn sie sich insgeheim fragte, wie er es schaffen wollte, sie für immer vor der Wirklichkeit zu schützen. „Was hältst du von Senet?“, fragte die Weißhaarige, nachdem sie einen Moment darüber nachgedacht hatte, welche Alternativen ihr blieben unter der Voraussetzung, Manas Erinnerungsvermögen nicht zu fördern. Da blieb nicht viel. Aus den Augenwinkeln heraus erkannte Kisara, dass Seth lächelte, ehe er sich wieder an seinen Tisch setzte, dieses Mal jedoch auf den Stuhl, so wie es immer hätte sein sollen. Es schien also eine gute Idee gewesen zu sein. Immerhin. Wenigstens das konnte sie noch leisten. Es war an sich schon traurig, dass sie jetzt für alles offensichtlich seine Erlaubnis einzuholen hatte.... Wer war er denn? Er war nicht der Pharao...

Die Verbitterung, die in ihrem Herzen aufflammte, versuchte sie wieder hinunterzuschlucken und mit Manas Hilfe, die interessiert zu ihr blickte und dabei scheinbar angestrengt nachdachte – zwei Finger gegen ihre Lippen tippend – gelang es ihr auch relativ gut.

„Senet?“, fragte das Mädchen, „Was ist das?“

Auch das hatte sie sich gedacht, nur deswegen hatte sie es vorgeschlagen. Sie lächelte sie an, trat auf die andere Seite des Gemachs und kramte ein Spiel heraus. Es hatte seine Vorteile, wenn man sich in den Räumen auskannte und diesen hier kannte sie ganz genau. „Das ist Senet“, sagte sie und breitete das Spielfeld vor Mana auf dem Boden aus, weit genug entfernt von Seth um ihn nicht zu stören und auch um sich selbst einen Gefallen zu tun. Sie sah Mana lächelnd an, deren aufgeregter Blick das Spielfeld fixierte. „Soll ich dir erklären, wie das geht?“

Mana nickte, strich kurz über einen blauen Stein. „Ja, bitte“, sagte sie und drehte eine der Figuren in ihren Händen.

Es schien unglaublich spannend zu sein, zumindest Manas Reaktion zufolge. Sie war schon süß. Während Kisara also die Regeln von Senet erklärte, hing Mana regelrecht an ihren Lippen. Ihr Wissensdurst war fast ansteckend, die Begeisterung echt. Trotzdem konnte das Drachenmädchen es nicht fertig bringen, ihre Stimmung zu teilen. Immer wieder fiel ihr Blick auf Seth, jedes Mal konnte sie es nur knapp verhindern zu seufzen. Er beachtete sie überhaupt nicht. Sie war ihm völlig egal...

Lediglich Mana schenkte er hin und wieder einen Blick, er glaubte wohl, es wäre unauffällig gewesen, doch da hatte er sich getäuscht. Mana hibbelte vor ihr herum. „Ich habe es verstanden“, freute sie sich und strahlte sie an, was auch Kisara wieder ein Lächeln abgewinnen konnte, „Kann es losgehen?“

Etwas verwundert sah die Weißhaarige sie an. Sie hatte es wirklich verstanden? Eigentlich konnte es doch gar nicht möglich sein, dass sie so schnell wusste, worum es ging, oder? War sie einfach nur ungeduldig?

„Dann lass uns loslegen.“ Kisara wandte ihren Blick von Seth ab und stellte die Figuren auf. Sie musste sich jetzt auf Mana konzentrieren um wenigstens ihr den Spaß nicht zu verderben. „Du darfst anfangen.“

Das Spiel begann – und war schneller vorbei, als das Drachenmädchen je erwartet hätte. Zug für Zug spielten sie und am Ende hatte Mana gewonnen. Kisara war mehr als überrascht, fast schon entsetzt.

„Es sind alle vor dir ins Ziel gekommen! Ich habe gewonnen!“, rief Mana freudig aus, was sogar Seth für einen kurzen Augenblick aufsehen ließ.

Verdutzt starrte Kisara auf das Spielfeld, doch ein Fehler war ausgeschlossen. Sie hatte verloren. Es war eigenartig. Sie hatte wieder gegen Mana verloren. War sie so wenig bei der Sache? So wenig konzentriert? Es machte doch glatt den Eindruck. Sie hätte wirklich nicht gedacht, dass Mana gleich beim ersten Mal gewinnen konnte. Nicht, dass sie zu eitel war, die Niederlage einzugestehen, nein... Sie war nur so furchtbar überrascht, wie wenig sie von dem Spiel mitbekommen hatte. Verlegen lächelte sie Mana an. „Ich habe es anscheinend gut erklärt“, sagte sie und machte für das Mädchen ein schmollendes Gesicht, „Da hast du mich doch glatt geschlagen.“ Natürlich war sie ihr nicht böse, wenigstens Mana sollte sich amüsieren und das war ihr ganz offensichtlich gelungen. Sie stellte die Figuren wieder auf ihre Ausgangspositionen und grinste herausfordernd. „Noch eine Runde?“, fragte sie und vermied es, noch einmal Seths höchst irritierenden Blick aufzufangen. Schnell schüttelte sie den Kopf um die Gedanken an ihn wieder zu vertreiben.

Die Brünette strahlte. „Dieses Mal fängst du an, vielleicht hast du dann eine Chance“, sagte sie frech und wartete auf den ersten Zug, den die Ältere setzte, bevor sie beide durch den Hohepriester abgelenkt wurden, der aufgestanden war, kurz gedankenverloren auf das Spielfeld gestarrt hatte und mit den Worten: „Ich bin gleich wieder da“, den Raum verließ ohne sich noch einmal umzusehen.

Verwirrt und skeptisch blickte Kisara ihm hinterher, wusste kaum, was sie ihm entgegnen sollte. Sie musste sich stark zusammenzureißen, ihm nicht hinterherzulaufen oder einfach nur den Raum und damit Mana zu verlassen. Es kostete eine Menge Überwindung, doch sie blieb. Ein Blick zu der Kleineren zeigte ihr deutlich, dass sie das Mädchen nicht allein lassen konnte, das ihr alles genommen hatte.

Aber war es wirklich sie gewesen?

Kisara tippte auf das Spielfeld, was schließlich auch Mana dazu brachte, sich wieder auf die laufende Partie zu konzentrieren. Sie musste diesem Mann wirklich bedingungslos vertrauen... Doch dieses naive Vertrauen zeichnete Manas Liebe zu Seth ohnehin aus, den Schluss hatte Kisara schon vor einiger Zeit gezogen. Und so ging das Spiel weiter, Zug um Zug bewegten beide die Figuren, bis dieses Mal die Weißhaarige als Siegerin übrig blieb.

„Wie gemein!“, meckerte Mana, „Das war aber fies!“ Trotzdem lächelte sie. Sie beklagte sich, aber sie hatte Spaß dabei – ganz im Gegenteil zu Kisara, die nun, seit Seth sie beide hier einfach zurückgelassen hatte, wesentlich weniger Interesse daran hatte, hier zu bleiben und auf das Kind aufzupassen. Sie seufzte tief, konnte es nicht unterlassen, obwohl sie wusste, dass es Mana nicht verborgen bleiben konnte. Ihre Selbstbeherrschung war arg zusammengeschmolzen, ohne die strenge Aufsicht, die Seth geführt hatte, solange er anwesend gewesen war.

„Hast du nun keine Lust mehr?“, fragte Mana beunruhigt – genau die Reaktion, die man von ihr erwartete. Das kleine, wissenshungrige Mädchen, vor dessen neugierigen und aufmerksamen Augen wahrlich nichts verborgen bleiben konnte.

Seth...

Was nur hatte ihn so sehr an dieses Mädchen gefesselt? Sie konnte es nicht verstehen, konnte nicht begreifen, was den Zauber ausmachte, der von der frechen Göre ausgegangen war, die sie einst einmal gewesen war. „Nein“ – sie versuchte sich in einem Lächeln, scheiterte jedoch kläglich dabei – „habe ich nicht.“ Die Offenheit und die Ehrlichkeit, die jetzt von diesem Kind ausging, konnte wahrlich nicht der Grund gewesen sein, denn diese Eigenschaften hatte sie doch zuvor nicht gehabt, oder?

Mana sah sehnsüchtig zur Tür, Kisara konnte es ihr nicht verübeln. Wie oft hatte sie diesem Mann hinterher gesehen? Sie legte ihre Hand auf Manas Arm, hielt sie mit sanfter Gewalt zurück. „Bleib‘ besser hier...“, sagte sie freundlich und mit einer Traurigkeit in den Augen, die nicht an das Mädchen adressiert war, „Das ist Seth wahrscheinlich lieber.“

Sie konnte einem wirklich leid tun, dachte das Drachenmädchen voller Mitleid, musterte Mana kurz und trat dann ans Fenster. Aber wenigstens war sie Seth nicht egal...

Alle anderen waren unwichtig...

Sie selbst war unwichtig... völlig bedeutungslos und unwichtig...

Manipulation

Das Kratzen seiner Nägel auf dem Tisch und dem Pergament machte die Illusion eines geregelten Tagesablaufes perfekt. Rolle für Rolle ging der Hohepriester von Ägypten die Unterlagen durch, befasste sich mit den Belangen, die das Land beschäftigten und die er im Augenblick als völlig sinnlos erachtete.

Kisara war wahrlich von den Göttern geschickt worden, Mana hatte es ihm unmöglich gemacht, zu arbeiten und dabei auch voranzukommen. So jedoch konnte er sich einigermaßen konzentrieren. Es belustigte ihn fast, welch lächerliche Probleme das Volk und die Priester beschäftigten, und doch kam er nicht daran vorbei festzustellen, dass ihre Rückkehr einige positive Entwicklungen gefördert hatte. Wenigstens das war zufriedenstellend. Noch immer nicht klar war ihm jedoch, weshalb diese Rollen überhaupt bei ihm gelandet waren. Einige von ihnen waren so eindeutig an den Pharao adressiert, dass jeder Fehler ausgeschlossen war und doch hatten die Rollen den Pharao nie erreicht. Atemu hatte vielleicht etwas anderes zu tun? Er konnte sich nicht vorstellen, weshalb dann jedoch nicht einmal eine Anmerkung oder eine Nachricht des Pharaos zu finden war. Nein, er hatte diese Rollen nie zu Gesicht bekommen, wusste vermutlich noch nicht einmal von ihrer Existenz. Die Bediensteten selbst mussten die Entscheidung getroffen haben und der Grund dafür interessierte ihn wirklich über alle Maßen.

Das Spiel zwischen den beiden Frauen in seinem Gemach ignorierte er geflissentlich, soweit es ging. Es war besser so. Erst Manas Ausruf über ihren Sieg ließ ihn kurz zu ihnen hinübersehen. Sie war wirklich besser dran ohne ihn. Niemals hätte er sie an seine Seite holen dürfen, es war so unbeschwert gewesen, als sie noch eine Priesterschülerin gewesen war. Er hätte sich niemals in den Lauf der Dinge einmischen dürfen. Eine jede solche Tat war zum Scheitern verurteilt, das hatte er schmerzlich erkennen müssen.

Nun war es zu spät. Seth legte die letzte der Schriftrollen beiseite und betrachtete tief in Gedanken versunken die vor sich aufgestapelten Pergamente. Seine Arbeit hier war getan und doch zog er es vor, lieber so sitzen zu bleiben, als sich bei Mana und Kisara einzumischen. Die Zeit, in der er seinen Gedanken nachhängen durfte – sie war rar gesät.

Wieso war Adalia noch immer nicht hier? Wo steckte sie nur? Dieses Verhalten war gänzlich unüblich für die Priesterin. Wo blieb sie nur? Ungeduldig klopfte Seth mit seinen Fingern auf den Tisch, erhob sich dann. „Ich bin gleich wieder da“, erklärte er an die beiden Frauen gerichtet, die noch immer in ihr Spiel vertieft waren, schritt zur Tür und verließ den Raum. Es war wie eine Erleichterung. Die verschlossene Tür war wie eine Last, die von seinen Schultern fiel. Sich gegen die Wand lehnend, schloss Seth für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Die Ketten, die ihn nun fesselten, hatte er niemals kommen sehen.
 

Die Tatsache, dass noch niemand gekommen war um nach ihr zu fragen, bestätigte Adalia in ihren Befürchtungen. Sie hatte also recht gehabt. Seufzend erhob sie sich. Sie war enttäuscht, das konnte sie ganz eindeutig feststellen. Sie hatte etwas anderes erwartet, oder es zumindest gehofft. Hatte sie sich so sehr getäuscht?

Egal. Es war unwesentlich. Hoffnung allein war nichts, worauf sie sich zu verlassen gedachte. Sie wandte den Blick vom Fenster ab. Es war an der Zeit zu handeln.

Adalia verließ ihr Gemach, verschloss die Tür und blickte sich um. Niemand war zu sehen. Sie erhöhte ihr Tempo. Zielstrebig schritt sie durch die Gänge, hoheitsvoll, anmutig. Vor der Tür des Gemachs der Prinzessin blieb sie stehen und klopfte vorsichtig an die Tür. Es kam keine klare Antwort. Die Priesterin atmete noch einmal entschlossen durch. Das war schon einmal nicht schlecht. Leise öffnete sie die Tür.

Sie hatte Glück. Außer Teana war niemand in dem Raum und sie war sich sicher von niemandem gesehen worden zu sein. Oh ja, sie würden sie beachten....

Teana. Da lag sie. Tränen die Wangen hinunterlaufend und nicht mehr als ein Häufchen Elend. Ein Schatten ihrer selbst. Natürlich hatte sie ihr Eintreten bemerkt, doch sie störte sich nicht daran. Vermutlich kamen im Augenblick ständig Dienerinnen vorbei um nach ihr zu sehen. Nun – sie jedenfalls war keine Dienerin.

Leise schloss Adalia die Tür hinter sich, trat dann an das Bett von Teana heran. „Prinzessin?“, fragte sie leise.

Müde hob die Angesprochene ihre Lider, betrachtete Adalia für einen Moment. Die stumme Erkenntnis, dass sie sie kaum kannte, war förmlich in ihrem blinzelnden Blick zu lesen. Schwach lächelte sie sie an. „Darf ich fragen, wer Ihr seid?“, fragte sie mit zittriger Stimme und dennoch schien eine Erleichterung in ihrem Ton zu liegen, ein unglaublich starkes Gefühl.

Die Priesterin musste unweigerlich ihr Lächeln erwidern. Sie hatte von Teanas Leichtgläubigkeit gehört. Adalia verneigte sich kurz. „Meine Prinzessin, verzeiht mein unhöfliches Eindringen“, sprach sie anstandsvoll und stellte sich dann vor. „Mein Name ist Adalia. Ich bin eine ehemalige Schülerin von Hohepriester Seth. Er hat mich geschickt, mich nach Eurem Zustand zu erkundigen.“ Genau gesagt hatte er das nicht, aber das brauchte sie ja nicht zu wissen.

Erstaunen legte sich in Teanas Gesicht. „Der Hohepriester erkundigt sich nach mir?“, fragte sie überrascht und ein wenig skeptisch. Ja, es passte nicht zu ihm. Erneut verbeugte die Priesterin sich. „So ist es“, log sie sie ohne Scham an, „Er hörte... dass Ihr, nun ja.“ Sie sprach leise, sah die Andere betroffen an. „Ihr habt Euer Kind verloren? Es tut mir wirklich sehr leid...“

Der Blick der Prinzessin veränderte sich schlagartig, das Lächeln verschwand und es blieb nichts als Kälte und Verzweiflung. Genau da zielte Adalia hin mit dem Mitleid, das sie doch nur heuchelte. Sie trat dichter an sie heran. „Euer Schmerz über den Verlust muss sehr groß sein“, sagte sie und trat dichter an sie heran, die Augen voller Bedauern. „Ich wünschte, ich könnte Euch irgendwie helfen...“ Die Wirkung ihrer Worte war in jeder Faser von Teanas Körper sichtbar. Die Tränen, die in ihren Augen wieder aufstiegen, der schneller werdende Atem, die verkrampfenden Glieder; alles sprach nur eine Sprache: Schmerz. Teana schaffte es nicht, die Tränen zu unterdrücken, und so liefen diese hemmungslos ihre Wangen hinab. Sie konnte nur nicken, schaffte es nicht ein Wort zu sagen.

„Euer Schmerz muss grenzenlos sein...“, setzte die Stehende wieder an, sah betroffen auf sie herab. „Und der Pharao? Wie geht es ihm?“ Der schwächste Punkt konnte selbst die stärksten Bauwerke zu Fall bringen. Genau darauf zielte sie. Gemessen an der Kraftlosigkeit, die Teana ohnehin schon ausstrahlte, war es aber im Grunde auch völlig egal, wohin sie zielte. Sie konnte nur Treffer für Treffer landen, konnte nicht daneben liegen. Alles lag in ihrer Hand. „Es ist sicher nicht leicht, sein Kind und seinen Nachfolger zu verlieren... Ich kann es fühlen... Das Leid, das Ihr spürt...“

Teana schluckte schwer, als ihre Verzweiflung wuchs.

„All der Schmerz, der Euer Herz verdunkelt“, fuhr die Priesterin unbeirrt fort, „Doch es muss nicht sein, versteht Ihr? All das ist nicht notwendig...“ Sanft und zärtlich strich sie ihr über die Wangen, versuchte ihr die Tränen zu trocknen, doch der feuchte Strom versiegte nicht. „Ihr könnt Eurem Kind folgen“, flüsterte sie, „Es ist ganz leicht...“ Ihre Hand fuhr weiter über Teanas Gesicht. Mit der anderen jedoch zog sie einen silbrigen Gegenstand hervor, ganz langsam erhob sie den Arm und die Gier konnte sie nur schwer im Zaum halten. Ein Funkeln lag in ihren Augen, verlieh ihr einen unnatürlichen Glanz, der sich in den Augen der Prinzessin spiegelte.

Ein bitteres Lächeln legte sich auf Teanas Lippen, als sie den Dolch erkannte. Ein Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. „Warum tut Ihr das?“, fragte sie schwach, hatte aber nicht die Kraft irgendetwas zu tun.

Adalia betrachtete sie, lächelte fast ebenso bitter. Sie würde ihr antworten. „Wenn Seth Pharao wird...“, hauchte sie, „Dann wird er mich beachten...“ Der Ton verließ ihre Stimme, wich der Anspannung und der Aufregung. Sie zog den Dolch, holte damit aus. „Verzeiht mir, Prinzessin“, flüsterte sie, schloss noch einmal kurz die Augen und rammte der Brünetten die Klinge mit aller Kraft in die Seite.

Eine kurze Pause entstand. Adalia atmete nicht durch, dazu war keine Zeit. Sie musste aus diesem Raum verschwinden, und das schnell. Ein einziger falscher Schritt konnte jetzt tödlich sein. Sie machte sich nicht die Mühe, den Dolch aus dem nun leblosen, aber noch warmen Fleisch der Prinzessin zu ziehen, die nicht einmal geschrien hatte. Nein, Teana hatte keinen einzigen Ton mehr von sich gegeben. Resignation und Erlösung – die Priesterin vermutete, dass es die einzigen Empfindungen waren, die sie noch gespürt hatte.

Und wenn schon, nun war es gleich. Teana hatte sie nicht verraten, es war also noch möglich, dass sie ohne großartige Balanceakte von hier verschwinden konnte. Niemand würde jemals etwas erfahren... Die Waffe blieb hier. Sie war der einzige Hinweis auf den Verantwortlichen, doch würde man durch den Dolch niemals auf sie zurückschließen.

Nein. Adalia biss sich auf die Unterlippe. So schnell es ging, verließ sie das Gemach, schnell aber dennoch leise, schritt sie an den umliegenden Gemächern vorbei. Niemand blickte sich nach ihr um und als sie um die Ecke gebogen war, hatte sie es geschafft. Sie fühlte sich beflügelt, erleichtert und aufgeregt. Adrenalin floss durch ihren Körper und brachte sie zu Höchstleistungen. Niemand war aufmerksamer als Adalia in diesem Moment. Jedes noch so kleine Geräusch nahm sie wahr und doch war ihr die Unruhe nicht anzusehen. Im Gegenteil. Nach außen hin wirkte sie völlig gelassen. Sie atmete tief durch, richtete kurz ihr Gewand, strich den Stoff glatt. Eine Priesterin hatte vorbildlich auszusehen. Sie lächelte.

Er würde sie beachten, da war sie sich sicher. Mana konnte das niemals allein schaffen. Und dann – ja dann wäre sie da.
 

Seine Augen waren noch immer geschlossen, als sie plötzlich vor ihm stand. Er hatte schon an ihrem Gang erkannt, dass sie näher kam und hatte auf sie gewartet. Endlich.

Adalia betrachtete ihn aus sorgenvollen Augen. „Geht es Euch gut?“, fragte sie vorsichtig, doch er lächelte. Lächelte, als er die Augen öffnete und sie ansah. Lächelte sie an. „Da bist du ja...“, sagte er erleichtert und seine Erleichterung ließ ihr Herz ein wenig schneller schlagen, „Was hat dich aufgehalten?“ Dass sie nicht freiwillig so lange nicht anwesend gewesen war, davon ging er aus, davon war er fest überzeugt. Doch ihre Antwort wartete er nicht ab. „Ich muss mit dir reden“, erklärte er nachdrücklich, „Mana weiß von unserer Verbindung.“ Schnell gab Seth der Priesterin eine Zusammenfassung des gestrigen Abends und auch wenn er nicht gern zurück dachte, musste es dennoch sein. Sie musste es wissen. Es war absolut notwendig, dass sie Bescheid wusste. Nur eines verschwieg er ihr, nämlich, dass er sich noch immer wünschte, der Abend wäre nie vergangen. Denn mit der Nacht war die Erkenntnis gekommen und mit der Erkenntnis die Schuld. Und diese Schuld hatte er selbst zu tragen. „Jedenfalls“, schloss er seine Rede, „habe ich ihr gesagt, sie wäre aus dem Fenster gefallen... Sollte sie dich fragen, wieso sie ihr Gedächtnis verloren hat, musst du unbedingt dasselbe sagen.“ Er atmete durch, froh ihr das endlich mitgeteilt zu haben. Es war so wichtig gewesen, dass er sie vor Mana abfing, und nun, ja nun, war ihm wenigstens das gelungen.

Adalias perplexen Blick nahm er überhaupt nicht wahr. Es dauerte einen Moment, ehe sie seinen Worten hatte folgen können, doch dann nickte sie. „Selbstverständlich, mein Priester“, stimmte sie ihm zu, froh über die Nachfrage und nicht darauf achtend, was das Gesagte für ihn bedeutete. Sie ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen, zeigte dann die Professionalität, mit der sie ihm gegenüberstand, seit sie ihn kannte. „Kisara ist nun mit Mana im Zimmer?“, fragte sie nach, runzelte leicht die Stirn. Was ihr Sorgen bereitete, sollte der Hohepriester schnell erfahren. „Das muss für sie ziemlich hart sein“, sagte sie ernst.

Seit wann setzte Adalia sich für das Drachenmädchen ein? Er hatte so viel verpasst...

Er verstand nicht, und sie verstand, dass er nicht verstand. „Sie hat Euch geliebt“, fuhr sie erklärend fort, „Und sie tut es noch... Doch Mana ist nun Eure Verlobte...“

Was wollte sie ihm damit sagen? Er verletzte Kisara dadurch, dass er sie mit Mana allein ließ? Überraschung lag in seinen Zügen, das hatte er nicht erwartet. War das so? Langsam nickte er, denn er wusste, dass seine Reaktion nun nötig war. Adalia befasste sich niemals mit Nebensächlichkeiten, sie war zielstrebig und das schätzte er an ihr. „Wahrscheinlich hast du recht“, sagte er und wurde wieder von den Selbstzweifeln gepackt. Er war so schrecklich egoistisch... „Ich werde mit ihr reden“, versprach er, das war er ihr schuldig. Sie hatte so vieles für ihn getan, völlig selbstlos, und das obwohl er sie weggeschickt hatte. Er hatte es nie wirklich wertgeschätzt. Er hatte das zu ändern. Seth stieß sich von der Wand ab und trat wieder an die Tür heran. „Achtest du so lange auf Mana?“, fragte er die Priesterin, bevor er in sein Gemach zurückkehrte und die Beklommenheit ihn wieder von Neuem ergriff.

Abschied

Ewigkeiten schien es nun her zu sein, Ewigkeiten und doch erst einen kurzen Augenblick. Als er seine Schwester das letzte Mal gesehen hatte... es war wie in einer anderen Zeit.

Akim saß mitten im Nebel, ungesehen und grübelte vor sich hin. Seine Unterlippe war zwischen seinen Zähnen eingeklemmt, doch er übte keinen Druck darauf aus. Eigentlich war er ganz entspannt. Entspannung und doch nervös zugleich. Cyrus Pläne waren völlig klar, lagen offen vor ihm wie ein Buch, das er schon ein paar Mal gelesen hatte. Er wusste nicht, was er denken sollte. In den letzten Tagen hatte sich so vieles verändert, alles war radikal umgeworfen worden und das nicht nur bei ihm. Er konnte es nicht leugnen - er hatte sich unglaublich verändert. Oder war er wieder so geworden, wie früher? War das überhaupt möglich? Wer wäre er gewesen, wenn er Seth damals nicht begegnet wäre? Oder wenn er ihn getötet hätte, wie er es hätte tun sollen?

Es war das Spiel der Überlegenheit gewesen, das er verloren hatte, das wusste er jetzt. Hätte er den Hohepriester nicht in seiner kindlichen Naivität unterschätzt, wäre all das nicht geschehen. So gesehen war es auch ein Wunder gewesen, dass er überhaupt noch am Leben war. Als erinnerungslose Puppe wäre es ein leichtes gewesen, sich ihm zu entledigen und es war ja auch nicht gerade so, dass sonderlich viele Menschen sich für ihn interessiert hatten. Nein. Wenn Seth ihn hätte töten wollen, dann hätte er mehr als genügend Möglichkeiten dafür gehabt. Aber auch der Brünette war im Begriff, das Spiel der Überlegenheit zu verlieren. Es war Unterschätzung, die alles zu Fall bringen konnte, nichts anderes. Selbstüberschätzung und Unterschätzung des Gegners. Alle Fäden führten in einem Punkt zusammen.

Er atmete tief durch. Mit einem einfachen Klatschen in die Hände versank Akim in dem Nebel, der ihn umgab. Als er eine Sekunde später die Augen wieder öffnete, stand der neben Meira, die nicht überrascht schien. „Verzeih... Meine Warnung war etwas grob“, sagte er mit Bedacht und dachte an die Nebenkugel, mit der er sie beworfen hatte beim letzten Mal. „Es gab keinen anderen Weg.“ Rechtfertigte er sich hier? Er wusste selbst nicht, was er tat. Alles war Chaos und doch auffallend klar.

Die Rothaarige, die den Blick bis dahin auf die Millenniumskette fixiert gehabt hatte, sah auf. „Ich habe dich kommen sehen“, sagte sie leise, ihre Augen waren gefüllt von einer tiefen Traurigkeit und sie schüttelte ihren Kopf. „Du hast getan, was du tun musstest.“ Das Lächeln, das ihre Lippen zierte bei diesen Worten, war echt, doch so unglaublich betrübt, dass eine Kälte von Akim Besitz ergriff, die er nicht kannte. „So einiges ist geschehen seitdem...“, flüsterte Meira.

Er nickte. Ja, es war unglaublich viel geschehen in der Zwischenzeit. Vielleicht war es nicht geprägt von Taten gewesen, die die Welt verändert hatten, doch die Einstellungen hatten sich gewiss verändert. Er lächelte. „Du weißt es, habe ich recht?“, fragte er berechnend, ihr Blick sprach Bände, auch wenn sie keine Antwort gab. Er wusste, dass genau diese Eigenschaft ihre Gegner immer wieder scheitern ließ und doch brannte ihm nur eine einzige Frage wirklich auf der Zunge. Eine Frage, nicht nach ihren Techniken oder Methoden, nicht nach ihrer Gnade. Er sah in die Ferne, dem Horizont entgegen, den er kaum noch zu erkennen vermochte durch den dunklen Nebel, der inzwischen alles verhüllte, woraus noch Hoffnung hätte wachsen können. „Wieso hältst du mich nicht auf?“

„Würdest du dich aufhalten lassen, selbst, wenn ich es wollte?“ Ihr Lächeln verging nicht, im Gegenteil. Seine Anwesenheit schien in ihr eine ungeahnte Ruhe auszulösen, etwas, das er von ihr nicht kannte. Seit er ihr wieder begegnet war, ging von ihr eine ständige Unruhe aus, etwas, das er sich nicht erklären konnte, ihre Aura jedoch trübte. Er hatte vermutet, dass dieses Gefühl mit der Millenniumskette in einen Zusammenhang zu bringen war, Geheimnisse der Zukunft, die eigentlich nie hätten entschleiert werden dürfen. Trotzdem schien sie nun ruhig zu sein, im Reinen mit sich selbst und offenbar im Einklang mit der Kette. Es was faszinierend. Meiras strahlende und zugleich trübe Augen betrachteten ihn aufmerksam, schienen jede seiner Reaktionen erforschen zu wollen. „Cyrus wird Ägypten angreifen...“, sagte sie leise, und er wusste, dass sie recht hatte.

Er nickte, und auch wenn ihn die Neuigkeit scheinbar kalt ließ, konnte er den Schauer, der bei ihren Worten über seinen Rücken gelaufen war, nicht leugnen. „Das was nur eine Frage der Zeit...“, erwiderte er kühl, auch wenn es ihm überhaupt nicht gefiel. Was ihn jedoch noch viel mehr überraschte, war seine Schwester. „Du scheinst davon nicht begeistert zu sein“, stellte er überrascht fest, „Du bist ganz anders als er.“ Verwunderte es ihn wirklich so sehr? Es hatte es doch gewusst, hatte gewusst, dass Cyrus andere Dinge schätze, als sie.

„Das mag sein, ja“, antwortete sie, doch auf welche Frage sie sich bezog, das war nicht klar. Sie lächelte schwermütig, ließ ihren Blick in die Ferne schweifen, vorbei an den dunklen Nebelschwaden, die sie doch nicht übersehen konnte. Fast unbemerkt schwenkte ihr Kopf von einer Seite zur anderen, ehe ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Kette fiel.

Und wieder spürte er eine Verbitterung, die sie gewiss nicht so deutlich zeigen wollte, doch sie konnte es nicht verbergen. War es Sorge? Wovor fürchtete sie sich? Nichts auf der Welt konnte sich mit der Nebelmacht messen, und ihr stand nicht nur diese, sondern zusätzlich noch die Millenniumsmagie zur freien Verfügung. Wovor also hatte sie Angst? Was waren das für Sorgen, die sie nicht teilen konnte? Die Dunkelheit war allgegenwärtig. Akim konnte nicht anders. Voller Faszination und stiller Begeisterung lächelte er in den Nebel, achtete jedoch darauf, die Rothaarige nicht aus den Augen zu lassen. Schließlich erhob er sich. „Es wird Zeit“, sagte er mit eine unglaublichen Zartheit in der Stimme zu ihr, ehe er im Nebel verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen oder auch nur ihre Antwort abzuwarten. Meira konnte ihm nur noch hinterher sehen und ihrem Bruder alles Gute wünschen. Sie konnte sich nur noch still verabschieden, als er sie mit all ihren Hoffnungen und Wünschen für ihn allein zurück ließ.
 

Es war einfach nur eigenartig. Irgendetwas war absolut nicht richtig, das konnte sie spüren, aber sie konnte es nicht erklären. Mana drehte eine Strähne ihres Haares um ihren Finger und runzelte die Stirn. Eben noch hatten sie doch ganz toll gespielt? Sie hatte sogar ein Spiel gewonnen! Stolz erfüllte das Mädchen, sie hatte die Regeln schnell gelernt. Aber Kisara hatte auch gewonnen. Sie freute sich aber überhaupt nicht darüber. Hatte sie das Spiel doch nicht richtig gespielt? Aber das hätte sie ihr doch gesagt, oder?

Und wo war Seth hingegangen? Musste er auch woanders arbeiten? Ein wenig beunruhigt sah Mana ihm nach. Er würde doch nicht wieder weggehen, oder? Das hätte er ihr doch bestimmt vorher erklärt oder? Seth... Es war verwirrend. Was war denn Liebe? Hatte sie das richtig verstanden? Wieso konnte ihr das denn keiner vernünftig erklären? Es hatte ja auch keiner wirklich versucht... Ein Seufzen von Kisara lenkte das Mädchen ab. Doch, da stimmte etwas nicht. Die Weißhaarige hatte auch zur Tür gesehen, hatte auch hinter Seth hinterher gesehen. Und hatte sie nicht auch seitdem schlechte Laune? Hatte es etwa etwas mit Seth zu tun? Oder war es etwas ganz anderes? Sie verstand es nicht. Schon wieder. Wieder konnte sie nicht folgen und das gefiel ihr gar nicht. Kurzentschlossen stellte sie sich direkt vor Kisara, strahlte sie an, lachte kurz. Die Ältere konnte bestimmt auch lachen, oder? Mana ergriff ihre Hand und zog sie mit sich, setzte sich selbst auf die Fensterbank und ließ ihre Beine baumeln. „Was hast du denn?“, fragte sie neugierig.

Bedrückt sah die Andere sie an, schüttelte leicht den Kopf und lächelte. Aber das Lächeln sah komisch aus. Nicht wie das Lächeln, das sie sonst hatte. „Es ist nichts“, sagte Kisara lieb, drehte sich leicht von ihr weg. Trotzdem konnte Mana sehen, dass sie sich auf die Lippen biss. „Es ist unwichtig...“

Skeptisch schaute Mana in ihre Richtung. „Unwichtig?“, wiederholte sie das Wort, dessen Bedeutung sie in diesem Zusammenhang nicht deuten konnte. Die Tür öffnete sich und nahm ihre Aufmerksamkeit für einen kurzen Moment in Anspruch.

Seth! Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer, sie wollte erst aufschreien, doch sie ließ es dann doch. Sie dachte an Kisara. Lag es wirklich an ihm? Sie zögerte. Das war doch falsch oder? Das war verwirrend. Seth war wieder hier und sie wollte nicht darüber nachdenken! Es war toll, dass er wieder da war! Sie freute sich, freute sich so ehrlich und rein, dass auch Kisara kurz lächelte. Mana schob sich selbst von der Fensterbank und lief dann doch zu ihm. Sie konnte einfach nicht anders, seine Rückkehr machte ihr so viel Freude, dass sie einfach nur hüpfen wollte. Sie lief auf ihn zu, schmiss sich in seine Arme, verzog nur kurz das Gesicht, weil ihre Rippe rebellierte. Doch das machte nichts. Und Adalia war auch wieder da! Sie strahlte sie an. „Seth!“, rief sie grinsend, „Adalia!“

Kisara trat an die drei heran. „Willkommen zurück“, richtete sie ihr Wort an Adalia, nickte dem Hohepriester nur zu. Freute sie sich denn nicht? Mana sah unsicher zwischen den anderen hin und her. Es war doch richtig, dass sie sich freute, oder? War es gut?

Wieder wurde die Tür geöffnet, dieses Mal jedoch nicht langsam und gemächlich, sondern mit einem lauten Knall. Adalia konnte gerade noch ausweichen, sodass sie die Tür nicht gegen den Rücken gestoßen bekam. Mana riss vor Schreck die Augen auf. Was war los? Ein Mann stand im Raum, ein Mann, den sie nicht kannte. Hatte sie ihn schon einmal gesehen? Er sah Seth so unglaublich ähnlich... War er gut? Was wollte er?

„MEIN PRIESTER!“, brüllte der Mann und das Mädchen wich erschrocken zurück, „IHR MÜSST SOFORT MITKOMMEN!“ Wieso schrie der Mann? Er war ganz außer Atem, aber Mana verstand es nicht. Ihre Augen waren weit geöffnet, ihr Mund stand ein wenig offen und sie war verwirrt. Durfte er so mit Seth sprechen? Durfte er einfach so hier her kommen? „DER PHARAO VERLANGT NACH EUCH! ES IST ETWAS SCHRECKLICHES GESCHEHEN!“ Seine Stimme machte ihr Angst, was sollte das? Was war geschehen? Etwas Schreckliches? Das war nicht gut, oder? Mana griff nach Adalias Gewand, zog an dem Stoff, hielt sich daran fest. Doch die Priesterin reagierte nicht. Mana sah zu ihr auf. Sie sah auch so eigenartig aus, hatte sie auch Angst? Adalia starrte den Mann an, stand ganz starr da und ihre Augen glänzten. Weinte sie? Oder nicht? Was war denn nur los?!

Und dann war der Mann wieder weg, war einfach wieder losgelaufen. Und Seth lief hinterher. Es ging so schnell, dass Mana überhaupt nicht verstand, was eigentlich geschah. Adalia riss sich von ihr los und lief ebenfalls davon, alle liefen weg und achteten nicht auf sie. Sie hatte Seth und Adalia nur noch von hinten gesehen, als sie laufend in den Gang einbogen, der sie aus ihrem Blickfeld entweichen ließ. Die Tür stand offen, Manas Herz schlug schneller, als sie es je gekannt hatte. Das war falsch, das war falsch! Was war denn richtig? Sollte sie hier warten? Sollte sie auch loslaufen? War etwas hier in diesem Raum? Was war denn nur los? Sie lief los, ein paar Schritte nur, dann zog etwas sie zurück. Hände hielten sie fest, zogen sie mit sanfter Gewalt zurück, drückten sie an einen warmen Körper. Mana versuchte sich freizukämpfen, doch sie hatte nicht genug Kraft, sie wollte weiter laufen, doch sie schaffte keinen weiteren Schritt mehr. Sie konnte sich nicht wehren. „SEEEEETH!“, schrie sie verzweifelt, immer wieder, versuchte sich loszureißen, doch die Hände ließen sie nicht los. „SETH!!“

„Beruhige dich!“, flüsterte eine Stimme und weißes Haar fiel über Manas Schulter. Weißes Haar...

Mana hörte auf zu kämpfen. „Kisara?“, fragte sie verunsichert, drehte sich zu der Anderen um, Verwirrung und Verständnislosigkeit durchflutete sie. Sie schüttelte den Kopf, genauso wie die Weißhaarige. „Aber... was ist denn passiert?“, fragte sie mit brüchiger Stimme, blinzelte einige Tränen aus ihren Augen heraus. Kisara zog sie zurück in das Zimmer, schloss unter Manas Protesten die Tür. „ICH WILL DOCH BEI SETH BLEIBEN!“

Lächeln

Es war seine Pflicht gewesen, nach der Prinzessin zu sehen, die ganze Nacht hatte er es getan und auch jetzt ließ es ihm keine Ruhe. Ihre Genesung hatte absolute Priorität, es hatte Auswirkungen auf das gesamte Königreich. Sie repräsentierte das Volk ebenso wie Atemu, ihr Einfluss war enorm, auch wenn sie sich dem gar nicht sonderlich bewusst war. Es war nur gut, dass der Krieg nun vorbei war, die Umstände hatten ihr mehr Kraft gekostet, als gut gewesen war. Jetzt, mit dem Pharao zurück an ihrer Seite, würde alles gut werden. Ein müdes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Es war wirklich Zeit gewesen, dass sich etwas veränderte. Es war wirklich an der Zeit, dass alles besser wurde und sich wieder dem Licht zuwendete.

Und jetzt war es an der Zeit, dass er seine Pflicht erfüllte und nach Teana sah. Eigentlich wollte er sie nicht stören, sie brauchte Ruhe, aber er musste sich vergewissern, ob sie sich diese Ruhe auch wirklich gönnte, oder ob sie ein wenig Gesellschaft brauchte. Der geeignetere Mann dafür wäre natürlich Atemu selbst gewesen, doch auch der sollte sich in diesem Moment die Ruhe gönnen, die er so dringend brauchte. Qadir konnte nicht ahnen, dass des Pharaos Vorstellungen von Ruhe nicht ganz mit den seinen in Einklang zu bringen waren.

Leichtfertig erhob der Arzt sich von seinen Unterlagen und schritt zur Tür. Schon im Gang verstand er, dass etwas nicht stimmte. Die Tür zum Gemach der Prinzessin stand offen. Er war sich sicher, dass sie zuvor geschlossen gewesen war. Er blinzelte. Warum stand die Tür offen? Sein Gang wurde schneller. Skepsis durchfuhr ihn, seine Stirn legte sich in Falten. Ohne zu zögern klopfte er an die geöffnete Tür. „Prinzessin?“, fragte er unsicher, bekam jedoch keine Antwort. Widerwillig trat er in den Raum, blieb aber sogleich wie angewurzelt stehen. Oh nein, etwas stimmte ganz und gar nicht. Die Situation schien eingefroren und lief doch in einem unglaublichen Tempo an ihm vorbei. „PRINZESSIN!“, schrie er auf, eilte dann an ihr Totenbett. Vollständig perplex versuchte er sie wach zu schütteln, doch das silberne Metall in ihrer Seite hatte seine Aufmerksamkeit längst erreicht und ihre Leblosigkeit war eindeutig. „PRINZESSIN TEANA!“, wiederholte er starr vor Schrecken, „TEANA, WACHT DOCH AUF!“ Was war denn nur geschehen? Wie war das denn nur geschehen?! Eben noch war doch alles in Ordnung gewesen, eben noch war sie doch auf dem besten Wege gewesen, wieder völlig gesund zu werden! Eben noch war sie noch am Leben gewesen! Vor ein paar Minuten nur!

Die Tür wurde knallend zur Seite gedrückt, und jede Wärme wich aus Qadirs Körper.

Atemu.

Er war hier.

Der Pharao war hier. Hinter ihm einige Diener.

Und die Welt um ihn herum war schwärzer als die dunkelste Nacht. Qadirs Augen waren aufgerissen, er konnte nur zur Seite treten um den Pharao vorbei zu lassen. Es war skurril. Atemu schwieg. Seine Augen waren starr auf den kalten Körper der Prinzessin gerichtet, weit aufgerissen und unfähig sich zu rühren. Qadir bemerkte es fast automatisch, ohne wirklich darauf geachtet zu haben, aber Atemu atmete nicht. Er stand nur da, voller Entsetzen, voller Unglauben und voller Panik. Ein einziges Wort nur war in seinen trüben Augen zu lesen: Nein.

Der Arzt schloss bedauernd die Augen, kurz nur, doch die Botschaft für den Pharao war völlig klar, selbst ohne das Kopfschütteln, das Qadirs stumme Aussage unterstrich.

Und dann war die Starre vorbei. Atemus Körper gab nach, der Schwäche, der Trauer und vor allem der Wut. Seine Augen verloren jeden Glanz, blickten stumpf auf den toten Körper, ein Zittern ließ seinen Körper erbeben, er taumelte leicht zur Seite. Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht, es war voller Hass, verzerrt, entstellt. Selbsthass. Er hasste sich dafür, dass er sie allein gelassen hatte. Er hasste alles. Er hasste sich. Und er wusste nicht, was er tat. Er tat es einfach nur, einem Impuls nachgebend und es war doch das Einzige, das für ihn in irgendeiner Weise Sinn ergab. Für Qadir waren seine Handlungen völlig klar, auch wenn auch er wie gelähmt war. Atemu kam näher, riss an seinem Arm, schubste ihn zur Seite, stieß ihn grob weg von Teanas Totenbett. Der Arzt taumelte, konnte sich aber auf den Füßen halten.

„VERSCHWINDE!“, brüllte Atemu ihn an, rannte an ihm vorbei, fauchte auch die Diener an, von denen die meisten den Befehl sofort angespannt befolgten. Nur ein einziger Mann blieb außer dem Pharao und dem Arzt in dem Raum, betrachtete die Situation mit bloßem Kopfschütteln.

Qadir konnte sich nicht um ihn kümmern. Atemu hatte sich über Teanas Körper gebeugt, das Entsetzen noch immer in den Augen. Voller Verzweiflung strich er die Haare der Prinzessin aus ihrem Gesicht, ein Hauch von Wahnsinn ergriff ihn, als er seine Lippen auf die Ihren legte. „Wach auf... Du hast dich genug ausgeruht...“, hauchte er, die Stimme hoch und schrill und leise, aber sie durchdrang Mark und Bein. Wieder schüttelte er den Kopf. Immer und immer wieder. Und dann fiel sein Blick auf den Dolch. Er stockte, trat einen Schritt zurück, sofort jedoch wieder heran. Seine Hand legte sich an die silberne Waffe, er zitterte zwar, doch sein Griff war fest, als er das Metall aus Teanas geschundenem Körper zog. Fassungslos starrte er den Dolch an, die Augen aufrissen, den Kopf schüttelnd und dann lachte er einmal kurz laut auf. Er warf Qadir die Waffe vor die Füße. „Alles war umsonst...“

Es war lediglich eine Feststellung. Eine Feststellung, die der Arzt ebenfalls schon gemacht hatte. Er richtete sich wieder auf, überbrückte die Entfernung zwischen sich und Atemu in wenigen Schritten. Er dachte gar nicht daran, jetzt auf dessen Befehl zu achten. „Mein Pharao...“, versuchte er ihn anzusprechen, doch ohne Erfolg.

„ICH HABE GESAGT, DU SOLLST VERSCHWINDEN!“, wiederholte Atemu seine Worte, doch es lag eine andere Nachricht in diesem Satz. Qadir missachtete den Befehl. Sollte Atemu schreien, sollte er seinen ganzen Hass doch hinaus schreien! Es wäre um so vieles besser, als dieses Lächeln, das nun auf seinen Lippen lag, dieses Lächeln der Verzweiflung, das einem den Schmerz ins Gesicht schrieb. Er konnte es nachvollziehen. Er konnte es verstehen. Es war wahrlich Ironie, die mit dem Leben der Herrschenden gespielt hatte, doch er durfte sich davon jetzt nicht beeinflussen lassen. Er musste Professionalität zeigen, musste die Nerven bewahren. Er musste dafür sorgen, dass Atemu jetzt nicht den Verstand verlor und sich seinem Wahn hingab. Qadir schüttelte den Kopf. Kurzentschlossen lief er auf den einzigen Mann zu, der noch hier war. „Dein Name ist Xerxes, nicht wahr?“, fauchte er kurz, Höflichkeiten waren völlig fehl am Platz. „Geh und hole den Hohepriester Seth, ich denke er ist der Einzige, der jetzt mit ihm umgehen kann! Los!“

Xerxes blickte ihm nur ein einziges Mal in die Augen, nickte kurz und dann war er verschwunden.

Es war seine letzte Hoffnung. Er war seine letzte Hoffnung. Wenn er wenigstens die Blutung hätte stoppen dürfen, die die Prinzessin noch weiter entstellte, seit die Klinge ihr Fleisch verlassen hatte... Doch er durfte es nicht. Atemu ließ ihn nicht näher als einen Meter an das Bett seiner Liebsten heran, hielt ihn immer wieder auf, wenn er auch nur einen Schritt näher kam. Und immer wieder war da dieses Lächeln, das keinen irdischen Ursprung zu haben schien. Das Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Kehlige Laute, die wohl ein Lachen hätten sein sollen, seltsam entstellt und von einer Grausamkeit erfüllt, die keine Grenzen kannte.

Die Zeit hatte keine bekannten Dimensionen mehr, ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Es machte einfach nichts mehr einen Sinn. Die Zeit, die langsam verstrich, nicht und noch viel weniger der Pharao, dessen einzige kluge Tat es gewesen war, die Klinge wegzuwerfen.
 

Wieder schlug die Tür auf, dieses Mal war es fast wie die Erlösung aus einem tauben Schlaf. Qadir blickte sich um, sah in das vertraute Gesicht des Hohepriesters, der erst Atemus Lachen hörte, dann den Dolch erblickte, an dem das Blut noch nicht getrocknet war, und der schließlich zu Teana sah und sofort verstand. „Was ist geschehen?“, zischte Seth den Arzt an, dem die Erleichterung ins Gesicht geschrieben stand.

Leicht fragend musterte Qadir die brünette Priesterin, die nach Seth das Gemach betreten hatte, ein erschrockenes Gesicht, die Hand panisch vor dem Mund und den Kopf ungläubig schüttelnd. Dann wandte er sich an den Hohepriester. In knappen Worten erzählte er ihm alles, von Teanas schwerer Zeit während des Krieges, von dem Verlust des Kindes, davon, dass sie nach einer langen Nacht endlich auf dem Weg der Genesung gewesen war und davon, dass sie nun tot in ihrem Bett lag. Seine Worte waren kurz, ohne viel Gefühl. Er durfte keine Zeit mit sinnlosen Reden verschwenden. Konnte es noch schlimmer werden? Tief seufzend blickte Qadir Seth an, ehe seine Sicht zu Atemu schweifte. „Ihr seid der Einzige, der nun mit ihm umgehen kann, befürchte ich...“ Er selbst wusste keinen Ausweg. Er konnte nur stumm beobachten.

Beobachten, wie Atemu an Teanas Bett stand, das Gesicht noch immer verzerrt vor Zorn. Er lachte immer wieder bitter süß auf. „Wie absurd die Sache doch ist... oder Schatz?“, hauchte er dem Körper entgegen. Er bebte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, um das Zittern zu verbergen, das ihn beherrschte. „Unser Kind... Und nun du...“, flüsterte er erstickt, biss sich auf die Lippen, biss sie sich blutig ohne es zu bemerken. Er war in einer völlig anderen Wirklichkeit als sie, war sich ihrer Anwesenheit nicht bewusst, das wusste Seth, das wusste Qadir, doch wie sollte Atemu es erfahren?

Der Nachttisch wurde umgeschmissen, polternd brach er auseinander, weil der Pharao mit aller Kraft hinein getreten hatte. „WARUM?!“, schrie er auf, „WARUM? WARUM? WARUM?!“

Es war herzzerreißend.

Qadir bemerkte, wie Seth sich neben ihm in Bewegung setzte. Er wusste nicht, was er denken sollte, er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er wusste nur, dass es der einzige sinnvolle Weg war.
 

Es war bizarr. Verzerrte Wirklichkeit, keine Realität. Kälte. Grausamkeit. Keine Gedanken hielten den Hohepriester auf, nichts, das ihn zögern ließ. Er hatte sich direkt vor seinen Cousin gestellt, zwang ihn dazu, ihn anzusehen. „Atemu?“, sprach er den Anderen an, wachsam und aufmerksam. Er rechnete fest damit, dass der Angesprochene ihn in seinem Wahn schlagen würde, doch er war bereit, das sofort abzufangen. Wie war das nur geschehen?

Das Blut lief Atemus Lippen hinab, er starrte ihn an, schien ihn nicht zu erkennen. Sein Blick war in die Ferne gerichtet und wie erwartet, holte er zum Schlag aus. Doch Seth hielt ihn auf. Er packte den zitternden Arm, hielt ihn fest.

„VERSCHWINDE!“, brüllte Atemu ihn an, ohne ihn zu sehen, er grummelte, versuchte sich aus dem Griff zu winden. Er riss an seinem Arm, versuchte sich zu befreien, doch Seth ließ ihn nicht los. Er zitterte wieder, sackte förmlich in sich zusammen. Und dann erkannte er ihn schließlich. „Seth...?“, fragte er verunsichert, gab seinen Kampf gegen die starke Hand auf.

Der Hohepriester sah ihm direkt in die Augen. Es war kein Wunder, dass Atemu zitterte, es war kein Wunder, dass er die Kraft verlor. Mit beiden Armen und festen Griffen sorgte Seth dafür, dass der Pharao nicht ganz zusammenbrechen konnte. Er musste ihn nun ansehen. „Ich werde nicht verschwinden“, antwortete der Priester schlicht, „Aber du musst dich jetzt zusammenreißen!“ Voller Nachdruck war seine Stimme. Er konnte ihn verstehen, konnte mit ihm mitfühlen. Auch er konnte sich nicht erklären, was mit Teana geschehen war, auf seltsame Art und Weise machte es überhaupt keinen Sinn. Wer sollte die Prinzessin töten?

„Und wofür?“, fragte Atemus zitternde Stimme, noch immer zierte das bittere Lächeln sein Gesicht, doch er schien bei Sinnen zu sein. Er stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf seinen Cousin, versuchte gar nicht erst, sich selbst zu halten. Wieder biss er sich auf die Lippen, er war hin und her gerissen zwischen Trauer und Wut, sein Gesicht spiegelte seine Emotionen besser, als jedes Wort, das er hätte sagen können. Seine Welt war zusammengebrochen. Sein Blick fiel auf den Dolch auf dem Boden und verhärtete sich.

Doch Seth konnte die ungestellten Fragen nicht beantworten. Sein Blick gefiel ihm überhaupt nicht, so hatte er Atemu noch nie gesehen. In letzter Zeit war wirklich überhaupt nichts in Ordnung. Auch sein Blick fiel auf den Dolch. Die Waffe, die das Leben der Prinzessin ausgehaucht hatte...

Doch sein bitterer Blick galt nun Atemu. Er schüttelte ihn aufgebracht. „WOFÜR?“, schrie er ihn an, entgeistert und ein wenig gekränkt. „Du bist der PHARAO!“, schrie er, „Es ist deine PFLICHT, dich um DEIN VOLK zu kümmern!“

Königswürde

Wie plötzlich alles gewesen war, wie unglaublich schnell es ging! Es war kaum zu fassen, war nicht zu verstehen! Und wenn sie es nicht einmal begreifen konnte – wie musste es dann erst für Mana sein?

Kisara war völlig durch den Wind. Sie schluckte leicht, schüttelte den Kopf. Der Pharao? Was war denn nur geschehen? Weshalb all die Panik? Gerade nur so gelang es ihr, Mana aufzuhalten, sie davon abzuhalten, sofort hinter Seth und Adalia herzulaufen. Am liebsten wäre sie selbst losgelaufen, doch sie konnte das nicht verantworten. Sie konnte jetzt nicht so unvernünftig handeln, nicht wenn sie nicht wollte, dass Seth sie für immer hasste. Sie hielt Mana sanft aber bestimmend fest, tätschelte ihr beruhigend den Kopf. „Du kannst jetzt nicht bei Seth bleiben, ja? Es ist wichtig, dass du nun gehorchst...“ Es war so ein grausiges Wort, aber es war die einzige Bezeichnung, die das Drachenmädchen für diesen Zustand hatte. Gehorsam. Blindes Vertrauen ohne zu zweifeln. Mit aller Mühe gelang es ihr, die Unsicherheit aus ihrer klaren Stimme zu verbannen und ruhig zu bleiben. Sie musste jetzt die Nerven behalten, durfte nicht alles hinschmeißen, nicht alles aufgeben nur um zu verstehen... Verstehen, was um sie herum geschah, verstehen, was ihre Unsicherheit und ihre Angst verstärkte. Sie war diejenige, auf der die grünen Augen nun ruhten. Voller Unverständnis, mit Zornestränen. Unverstanden. Allein gelassen. Genau wie sie. Aber nicht ungeliebt.

Kisara schluckte. Sie musste Mana unbedingt ablenken. „Weißt du was?“, fragte sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, auch wenn sie sich selbst dadurch verraten musste, „Du hattest recht, ich habe zu viel nachgedacht eben gerade. Dich kann man einfach nicht anlügen, oder?“ Sie versuchte sich an einem halbherzigen Lächeln, doch es reichte aus um Manas Aufmerksamkeit zu bekommen. Das war genug. Das reichte völlig. Sie durfte ihn nicht wieder enttäuschen... Eine weitere Zurückweisung konnte sie nicht ertragen. Und wenn sie nur sein Kindermädchen war.

Das Mädchen legte den Kopf schief, drehte sich in Kisaras Armen um. Sie musterte sie einen Moment, die Weißhaarige ließ sie los. Jetzt würde Mana nicht weglaufen, das wusste sie. Die großen Augen blinzelten sie an. „Hat es was mit Seth zu tun?“, fragte sie, und ihre Worte schnürten der Anderen die Kehle zu, so treffend waren sie, „Ich habe das Gefühl, dir geht es schlecht, wenn er da ist...“

Wieso nur konnte sie so vieles sehen? Was machte sie so empathisch für andere? Wieso verstand sie, was sonst niemand sah? Es war einfach nicht nachvollziehbar. Wieso konnte ausgerechnet sie nicht genauso blind sein wie alle anderen?

Mana hatte ihre Hand ergriffen, doch Kisara ließ sie sofort los. Sie war erschrocken, erschrocken, weil sie wusste, dass das Mädchen recht hatte. Dass ihre Worte die Wahrheit waren. Und jetzt war ihr Lächeln echt. Verbittert, aber echt. Dieses Mädchen war vollkommen rein, sie hatte ihren Groll nicht verdient. Sie konnte nichts dafür. Sie machte sich aufrichtige Sorgen. Das Verständnis kam aus einer Richtung, aus der Kisara es am wenigsten erwartet hatte. Sie nickte schließlich. „Ja, es liegt an ihm“, gab sie zu, ließ ihren Blick ins Leere laufen. „Er hasst mich.“ Und in dem Moment, da sie die Worte aussprach, war sie sich sicher, dass es stimmte. Diese Erkenntnis traf sie ziemlich nüchtern. Sie lächelte. „Ich habe ihn geliebt... und... ich dachte, er würde mich ebenfalls lieben“, fuhr sie erklärend fort, „Doch ich habe ihn verärgert...“ Und sie wusste nicht einmal wie. Wusste nicht, was sie verbrochen hatte, wie sie seine Wut auf sich gezogen hatte. Sie wusste es einfach nicht.

Nun war es an Mana erschrocken zu sein. Direkt stellte sie sich vor Kisara, sah sie fragend an. Es war fast zu lesen in ihren Augen. Liebe?, fragte sie sich, und Kisara wusste, dass sie noch immer nach der Bedeutung dieses Wortes suchte. „Was hast du gemacht?“, fragte Mana interessiert, nicht anklagend oder verneinend, einfach nur wissbegierig. Sie biss auf ihre Lippe, zog die Stirn kraus. „Seth hasst dich bestimmt nicht“, sagte sie fest entschlossen, ein trotziger Versuch sie aufzuheitern, der Kisara im Herzen traf.

Die Kleine war wirklich süß in ihrem Widerwillen, in ihrem tapferen Versuch, die Wirklichkeit schönzureden. Und doch war sie ihr dankbar dafür. Trotzdem. Sie seufzte. Konnte es ihr gelingen, die stumme Anklage aus ihrem Blick zu verbannen? Alles war nur wegen Mana so aus der Bahn geraten... Nur ihretwegen hatte Seth sich so sehr verändert, nur ihretwegen hatte er sie weggeschickt. Es war wirklich Ironie. Alles nur wegen ihr... Das kleine Mädchen, das gerade vor ihr stand. Sie schloss kurz die Augen, dachte nach. Dachte lange über die richtigen Worte nach. Sie wollte die Schuld nicht abschieben, nicht mehr. Mana war mehr gestraft worden, als sie es verdient gehabt hätte, viel mehr. Sie war nicht mehr das Ziel ihres Hasses und ihrer Verzweiflung. Sie war wie eine zerbrechliche Puppe. Unendlich wertvoll und gleichzeitig so verletzlich. Noch einmal atmete sie durch, das Mädchen wartete geduldig.

„Ich habe etwas getan, an das ich mich nicht erinnern kann...“ Es war bitter, oder? „Und Seth hat mich nicht verstanden.“ Es war wirklich hart. Sie wusste, dass dieses Thema sehr viel in Mana aufwirbelte, einfach aufwirbeln musste. Und doch gab es keine treffendere Bezeichnung für das, was geschehen war.

„Etwas, an das du dich nicht erinnern kannst...?“ Mana schluckte sichtlich, das konnte sie verstehen. Sie konnte verstehen, wenn man sich an etwas nicht erinnern konnte, zu gut sogar. Und auch ihre Gedankengänge waren im Augenblick völlig klar. War sie zu weit gegangen? Hätte sie sich selbst stoppen müssen um stattdessen Lügen zu erfinden, die die Wirklichkeit schmeichelhafter machten? Sollte sie sich verhalten, wie alle anderen? Egal. Es war zu spät. Mana hatte nach dem Grund gefragt, und sie hatte ihr geantwortet. Und sie glaubte auch nicht, dass sie Seth Rechenschaft abzulegen hatte, immerhin war dieser ja aus dem Gemach gestürmt und hatte sie hier zurück gelassen. Sie hatte einfach nur das getan, was Mana ablenken konnte. Hatte gesagt, was ihre Gedanken beschäftigte, bis er wieder hier war.

Seth.

Was war nur geschehen? Was war geschehen, weswegen der Pharao nach ihm riefen ließ? Was war so dringend gewesen, das es eine solche Panik auslöste? Kisaras Blick schweifte durch den Raum hinaus durch das Fenster, über die Landschaft hinweg und verweilte dann wie erstarrt auf der Stadt.

Die Stadt.

Es war nicht möglich. Es war dunkel. Zu dunkel.

Alles war verfinstert, verhüllt von einem tiefen Schleier. Ein tiefer Schleier aus...

... Nebel ...

Ihr Herz setzte für ein paar Schläge aus.

„OH NEIN!“, schrie sie erschrocken auf, trat unweigerlich ein paar Schritte zurück.

Nebel...

Die ganze Stadt war finster. Und es kam immer näher. Ein Gefühl tiefer Beklemmung drückte ihr die Kehle zu. Unmöglich... Es war unmöglich, es musste unmöglich sein! Panik ergriff das Drachenmädchen, erschrocken blickte sie sich um und wieder nach draußen. Was sollte sie tun? Wie sollte sie sich verhalten? Wieder blickte sie um sich, hilfesuchend, tief erschrocken.

Mana.

Sie musste zu Seth, sie musste so schnell es ging zu ihm! Sie musste ihn warnen, ihn und jeden, den sie traf! Panisch lief sie auf Mana zu, schob sie etwas unsanft auf das Bett, doch es kümmerte sie nicht. „Süße, du bleibst hier sitzen, ja?“, redete sie einfach los, „Mach' bitte nichts dummes, ich muss Seth Bescheid sagen, dass etwas passiert ist, in Ordnung? Unterdrücke deine Neugierde und warte hier, ohne dich irgendwie zu bewegen, hast du mich verstanden?!“ Ihre Stimme war voller Nachdruck, und das obwohl sie zitterte. Nicht ihre Hände zitterten. Sie waren als einziges ruhig. Doch es war als stünde sie unter Strom. „Du darfst dich erst rühren, wenn entweder Seth, Adalia oder ich dich hole, ja? Bitte, tu' mir den Gefallen!“ Sie konnte sie unmöglich mitnehmen, sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren. Verzweifelt sah sie ihr in die verwirrten Augen. „BITTE!“, wiederholte sie flehend, „Ich komme gleich wieder!“ Und noch bevor Mana auch nur etwas sagen konnte, war sie bereits losgelaufen. Sie rannte aus dem Zimmer, schloss die Tür, nicht jedoch ohne darauf zu achten, dass sie auch wirklich geschlossen war und dann lief sie. Sie lief und lief, ohne zu wissen, wohin ihre Füße sie trugen, lief einfach nur, ohne eine einzige Sekunde zu verschnaufen.

Seth.

Sie musste zu Seth. Er war bestimmt noch im Gemach des Pharaos, er musste einfach! Wenn er nicht dort war... Sie durfte nicht an diese Möglichkeit denken. Und wenn sie den ganzen Palast zusammenschreien musste, sie würde ihn finden. Sie musste einfach!!!

Die Tür zum Gemach der Prinzessin stand offen, sonst hätte sie dort niemals nachgesehen. Kisara rannte ohne nachzudenken hinein, geführt von Seths Stimme, die aus dem Inneren drang. Geweitete Augen fielen auf Teana, panisch schüttelte sie den Kopf, konnte die Schreckensbilder nicht vertreiben, die scheinbar an jedem Ort darauf warteten, offenbart zu werden. Der Nebel über der Stadt, der Staub, den die einfallenden Truppen aufwirbelten, Teana tot auf ihrem Bett, ihr Blut überall verteilt, der Pharao wie eine Puppe in Seths Armen – Kisara schloss kurz die Augen. Und sie musste jetzt der Unglücksengel sein, der den Urteilsspruch verkündete, den die Feinde über dieses Land gesprochen hatten. Sie hatten keine Zeit mehr.
 

Es war eine unsagbare Aufregung, die sie durchfahren hatte, als der Diener nach dem Hohepriester geschrien hatte. Er war so plötzlich eingetreten, hatte sich so plötzlich in den Lauf der Dinge eingemischt, dass sie selbst erschauderte. Natürlich wusste sie, was geschehen war, hatte sie es doch selbst initiiert. Und doch war es ein eigenartiges Gefühl von Macht, Befriedigung und Nervenkitzel. Sie wusste nicht genau, woher das Gefühl kam, doch sie wusste sofort, was es bedeutete. Ohne nachzudenken war Adalia hinter Seth hergelaufen, als er zum Ort des Geschehens gekommen war, sie hatte sich einfach selbst ein Bild davon machen müssen, wie der Pharao reagierte.

An Kisara und Mana hatte sie keinen Gedanken verschwendet. Nur einen kurzen Moment nach Seth war sie im Gemach der Prinzessin angekommen, zurück an dem Ort, wo sich das Schicksal gewendet hatte. Sie presste ihre Hand vor ihren Mund, riss die Augen auf. Doch sie sagte keinen Ton. Nicht ein einziger Laut entwich ihren Lungen, der sie hätte verraten können. Sie schüttelte nur stumm den Kopf, als ihr Blick auf den Leichnam der Prinzessin fiel. Jemand hatte den Dolch gezogen und damit das Bild des Grauens in Blut getränkt. Selbst wenn sie die Stichwunde hätte überleben können, so hatte sie auf keinen Fall eine Chance behalten. Die Klinge machte sich gut zu Füßen der beiden mächtigsten Männer des ägyptischen Reiches, rostrot gefärbt durch das königliche Blut, das hier vergossen worden war. Es war ein wahrhaft erhabener Anblick.

Die Panik, die Trauer und der Hass – das Schauspiel des Pharaos war weitaus besser als selbst sie es erwartet hatte. Er reagierte genau auf die Weise, wie sie es vorausgesehen hatte, und noch viel besser. Langsam aber sicher legte sich ihre Aufregung, ebbte ein wenig ab. Ganz langsam nur, doch sie durfte die Hand noch nicht von ihrem Mund entfernen. Sie lächelte, und ihre Augen hätten sie verraten, wenn nur irgendjemand auf sie geachtet hätte. Doch das tat niemand. Niemand hatte den Blick für das Offensichtliche, niemand sah, was alles einen Grund gegeben hätte.

Der Dolch. Immer wieder fiel er ihr ins Auge, immer wieder hielt er ihre Aufmerksamkeit gefangen. Verstand denn niemand, was dieser Dolch bedeutete? Wusste denn niemand, wer einen solchen Dolch zu tragen pflegte? Es hätte kaum deutlicher sein können. Doch in dem Moment, da Adalia den Mund öffnen wollte, hörte sie einen keuchenden Atem und Schritte, die schnell zum Stehen kamen. Die Priesterin wirbelte herum und blickte in das emotionsträchtige Gesicht von Kisara. Ihr weißes Haar fiel ihr zerzaust in die Augen, unsanft wischte sie es zur Seite.

Adalia verstand nicht, was vor sich ging. Fragend sah sie Kisara an. Hatte sie etwa Mana allein gelassen? Schon der Gedanke daran, ließ ihr sie erschaudern. Wie konnte sie? Seth würde sie hassen... Es war die einzige Schlussfolgerung, die sie ziehen konnte. Doch der Blick in die blauen Augen sprach eine ganz andere Sprache. Sie hatte einen guten Grund dafür, dass sie Mana allein gelassen hatte...

Kisara konnte den erschrockenen Ausdruck nicht von ihrem Gesicht vertreiben. Sie atmete tief durch, wie um sich selbst Mut zu machen. „Seth, Pharao, ihr solltet das ein anderes Mal klären!“, sagte sie laut – Adalia zischte aufgebracht. Wie konnte sie es wagen, so respektlos zu sprechen?! Doch Kisara ließ sich nicht beeinflussen. „Es ist Krieg!“, schrie sie, als sie sich der vollen Aufmerksamkeit bewusst war, „Truppen begleitet von Nebel haben die Stadtmauern überwunden!“

Verzweiflung lag in ihrer Stimme. Die Priesterin erstarrte.

Krieg.

Ihr Herz schlug schneller.

Krieg.

Die Zeit schien eingefroren. Wie in Zeitlupe verfolgte Adalia, wie die Starre sich von Kisara auf Seth und den Pharao ausbreitete. Es war totenstill. Atemu schluckte, trat einen Schritt zurück. Er wirkte wie versteinert, doch er zitterte nicht mehr. Im Gegenteil. Für eine kurze Weile regte er sich überhaupt nicht mehr. Dann wand er sich aus Seths Griff heraus, der ihn längst losgelassen hatte, noch immer den Blick auf das Drachenmädchen gerichtet.

Und Atemu nickte. Kurz betrachtete er den Dolch, dann lenkte er seinen Blick auf Teana, und wieder atmete er tief durch. Dann sah er Seth mit festem, aber verbittertem Blick an. „Du hast recht, Cousin“, sagte er mit brüchiger Stimme, „Ich muss mich um unser Volk kümmern.“ Zum ersten Mal, seit sie das Gemach betreten hatten, sah er aus, als wäre er einiger Maßen bei Sinnen und als wüsste er, was er sagte. Adalia starrte ihn an, wusste nicht, was sie erwarten sollte. Sie wagte es kaum, zu atmen.

Krieg...

Fassungslos beobachtete die Priesterin, wie Atemu Seth noch einmal fest ansah und dann das Millenniumspuzzle abnahm. Mit ruhigen Händen und entschlossenem Blick hielt er es seinem Cousin hin. Er blinzelte einmal langsam.

Adalias Herz schlug schneller.

„Führe du die Truppen an meiner statt an, lass' nicht zu, dass dieses Land untergeht...“ Er hauchte die Worte, wirkte gefasst und doch war es nicht mehr als eine Bitte.

Seths Blick war undurchschaubar. Sein Kopf bewegte sich fast unmerklich von rechts nach links, doch sein Blick war starr auf Atemu gerichtet. Er zögerte.

Ihr Atem ging schneller, vielleicht sogar schneller als seiner. Kisara und ihre Botschaft war in den Hintergrund gerutscht, alles drehte sich nur noch um dieses Puzzle.

Das Millenniumspuzzle. Die Verantwortung über die Truppen. Die königliche Würde, die sich dahinter verbarg...

Und er zögerte. Unendlich lange, so schien es, dauerte dieser Augenblick, doch letztendlich nahm Seth das Millenniumspuzzle entgegen. „Dieses Land wird nicht untergehen...“, flüsterte er seinem Cousin entgegen, die Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Und dann lief die Zeit weiter. Lief in einem unglaublichen Tempo. Und Seth rannte. „PASS AUF MANA AUF!“, schrie er noch, dann war er verschwunden. Adalia lächelte.

Blutdurst

Er konnte es kaum erwarten. Der Nebel lag tief über der Stadt, längst konnte niemand mehr seine Macht und seinen Einfluss verleugnen. Alles lag in seiner Hand, der Nebel schürte die Angst, sorgte für Panik. Panik war gut. Panik brachte die Menschen dazu, die dümmsten Dinge zu tun, Dinge, die sie nie getan hätten, wenn sie bei Verstand gewesen wären. Panik war sein größter, sein stärkster Mitstreiter.

Nicht Shada. Nicht die Truppen, die er anführte. Es war die pure Angst. Die Schreie, die mit dem Nebel kamen, die Schreie, die die Erkenntnis weitertrugen. Cyrus schloss die Augen und atmete tief die nach Kämpfen riechende Luft ein. Einen angemessener Empfang – so konnte man es wohl nennen, hatte er ihnen beschert, ganz so wie er es geplant hatte. Unauffälligkeit war eine Tugend, die er satt hatte, ebenso Zurückhaltung. Er hatte lange genug gewartet. Hatte gewartet auf den schwächsten Moment, auf den Zeitpunkt, der so unfassbar geeignet war für sein Vorhaben. Dieses Mal würde sich ihm niemand widersetzen. Er fühlte sich unglaublich wohl, wie er von seinem hohen Throne aus die Truppen führte, alles verlief genau so, wie er es geplant hatte. Sollte Shada sich ruhig für den Anführer halten, dachte er und grinste finster, er würde schon noch früh genug erfahren, wie viel Wahrheit tatsächlich in dieser Vorstellung steckte.

Ein kaltes Lachen aus der tosenden Menge ließ ihn wieder zu dem Glatzköpfigen sehen. Sie hatten ihr erstes Ziel erreicht, die Stadtmauern waren überwunden und es ging los. Schwerter wurden gezogen und gegen die Männer Ägyptens gerichtet, Männer, die mit einem solchen Überfall sichtlich nicht gerechnet hatten. Männer, deren einzige Verteidigung die Steine und das Geröll waren, die in den Straßen lagen. Männer, die unbewaffnet waren. Die Truppen suchten sich ihre Wege durch die Gassen, fanden ihre unschuldigen Opfer mit tödlicher Genauigkeit.

„Nur zu!“, schrie Shada den Kämpfenden schrill entgegen, „STILLT EUREN DURST NACH BLUT!“ Und es war doch nichts als sein eigener Durst, den er zu stillen hoffte. Cyrus sah ihm dabei zu, wie er vereinzelte Soldaten des ägyptischen Heeres, die sich verzweifelt zu sammeln versuchten, mit dem Pferd niedertrampelte, andere erstach er ohne mit der Wimper zu zucken.

Sie waren nicht sein Ziel, es war völlig klar. Sie waren nicht die Beute, nach der er gierte, es war nicht ihr Blut, das er zu vergießen hoffte, auch wenn er ihren Tod dennoch nicht bedauerte.

Es war fast langweilig einfach, wie er sich den Weg zum Palast mit Leichen ebnete. Immer wieder ertönte sein Lachen, voller Wahn, voller Hohn. Immer wieder brachen die Menschen vor ihm und den libyschen Truppen zusammen und immer wieder waren sie nicht das eigentliche Ziel. Sie waren Opfer eines Krieges, der an anderer Stelle ausgetragen werden musste und eines Traumes, der nun endlich in Erfüllung gehen konnte. Ein Traum von Rache. Seine Rache sollte es werden, nicht die Shadas. Seine eigene. Niemals würde er den Hohepriester entkommen lassen, den Mann, der einst seine Familie auseinander gerissen, ihre Macht verspottet hatte. Der Mann auf den alles zurück fiel. Zurück fallen musste, aufgrund seines Starrsinns und seiner Blindheit für die Details, auf die es ankam. Zu lange schon hatte er seinen Schatten auf sie alle geworfen, zu lange dem Wahnsinn die Treue gehalten.

Dies nun sollte seine Rache werden, zu lange hatte er darauf gewartet. Viel zu lange schon. Und heute sollte es ein Ende haben. Dieses Land musste untergehen. Flüche gegen die Götter, Verrat und Verzweiflung an jedem Ort. Dieses Land hatte seine Würde verloren. Und nun war er hier um zu richten.

Ein Gefühl von tiefem Glück schien all seine Glieder zu wecken, fuhr in ihn wie Balsam, ein Elixier des Lebens, das ihn zu Höchstleistungen treiben konnte. Dies war sein Kampf. Er konnte nicht länger zusehen. Konnte nicht länger darauf warten, wie andere das Blut vergossen, das er fließen sehen wollte. Konnte nicht mehr abwarten, bis die kostbare Flüssigkeit, die Leben verhieß, ungeschätzt vergeudet wurde.

Der Nebel um ihn herum wurde durchsichtiger, ließ ihn in die Tiefe fallen und so stürzte Cyrus sich förmlich in die Schlacht. Ein Schwert aus blauem Nebel in der Hand, mischte er sich in den Kampf ein. Seine Waffe war tödlicher als jede Klinge, die sonst geführt wurde, und doch kämpfte er nur zur Belustigung seiner Selbst, nicht weil er ein Ziel damit verfolgte. Sein Ziel war nicht die Stadt.

Und auch Shadas Ziel war nicht die Stadt, auch wenn ihn das nicht davon abhielt, verbissen zu kämpfen. Lächerlicher Narr. Er vergeudete seine Reserven, verschwendete seine Kraft. Er machte sich angreifbar im entscheidenden Moment und konnte auf diese Weise nur verlieren. In gewissem Maße war es also als sein persönliches Glück zu bezeichnen, dass der Kampf, auf den der verstoßene Priester hinarbeitete, niemals eintreten würde. Nicht eine Sekunde lang ließ der Violetthaarige ihn aus den Augen, immer war seine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet, egal wie viele Feinde sich ihm auch entgegen stellten. Es waren ohnehin nicht allzu viele. Nicht viele waren tollkühn und lebensmüde genug, um gegen ihn anzutreten. Die Macht, die von ihm ausging, war fassbar, der Nebel zog tiefe Schlieren der Angst durch die Reihen, auch ohne, dass er ihn tatsächlich gegen sie einsetzte.

Die Stadt zu unterwerfen konnte nicht lange dauern, die Gegenwehr war schwach. Sie waren nicht erwartet worden, niemand hatte sie kommen sehen. Und die ägyptischen Krieger waren müde. Müde von den Kämpfen, die gerade erst gewonnen waren, müde von den Siegesfeiern, die das Land in eine falsche und trügerische Sicherheit gehüllt hatten. Und die Führung des Landes war schwach. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Palast entblößt wurde. Und dann, ihm Hofe des Palastes würde sich alles entscheiden.
 

Entsetzen. Mehr war es nicht, das ihn nun antrieb. Es war kein Triumph, es war in keinster Weise ein Sieg. Es war einfach nur ein grausames Zusammenspiel verschiedenster Faktoren, die nun dafür gesorgt hatten, dass das Millenniumspuzzle in seinen Händen lag. Die ihn zum Pharao gemacht hatten.

Pharao.

An dieser Stelle stoppten all seine Gedanken. Die Verantwortung über dieses Land und über all seiner Einwohner lag nun in seinen Händen. Wie oft hatte er in der Vergangenheit nach dieser Macht gestrebt? Wie oft hatte er mehr als den Verstand und die Freiheit riskiert um diese Position zu übernehmen?

Um als Pharao das Land zu regieren?

Alleiniger Herrscher, vom Volk zum Gott erhoben – von seinem Volk. SEIN Volk.

Er konnte das Puzzle nur anstarren, aber es nicht begreifen. Pharao. Er war Pharao. Im Zentrum aller Aufmerksamkeit. Von nun an würde jeder Blick sich nach ihm ausrichten, jeder Schritt genauestens verfolgt. Wie lange hatte er sich hiernach gesehnt? Wie lange fast alles dafür getan? Seine Ernennung zum Thronfolger war der erste Schritt auf einem Weg gewesen, den er niemals hätte einschlagen dürfen. Ein Weg, den er nun gegangen war und auf dem es kein Zurück gab.

Er war nun Pharao.

Und sie befanden sich im Krieg.

Atemus Hände zitterten, als er das Millenniumspuzzle übergab, zitterten, als er seine Hände davon löste. Es gab nichts, das seine Entscheidung hätte in Frage stellen können. Sie waren im Krieg und Atemu konnte es nicht. Atemu konnte die Truppen auf gar keinen Fall anführen.

Und so blieb Seth überhaupt keine Alternative. Er musste das Puzzle annehmen. Alles was er noch tun konnte für seinen Cousin, war es ihm etwas zu versprechen. Das Land würde nicht untergehen. Was auch immer geschah, er würde als Pharao für das Land einstehen und es verteidigen. Bis auf den letzten Mann, wenn es sein musste, doch das Land würde weiterbestehen.

Ein letztes Mal noch, so schien es ihm, atmete er durch, dann rannte er los.

Es war Krieg und er hatte das Kommando über alle Truppen. Die Männer unterstanden dem direkten Befehl des Pharaos. Sie unterstanden bedingungslos seinem Befehl.

Noch im Laufen brüllte er unzählige Anweisungen, das Puzzle in der Hand. Er hatte sich nicht die Zeit genommen, es um seinen Hals zu hängen. Sie hatten keine Zeit. Sekunden nur waren ihm geblieben, je länger es dauerte, desto näher konnten die Feinde kommen. Desto näher kamen sie dem Palast und seinen Bewohnern. Desto näher kamen sie Mana.

Er hatte gewusst, was ihn erwarten würde, dennoch traf der Anblick der silber-schwarzen Nebelschwaden ihn wie ein heftiger Schlag. Er biss die Zähne zusammen. Wie hatte das nur geschehen können?!

Ihm blieb keine Zeit die Truppen zu sammeln. Wenn sie noch irgendetwas ausrichten wollten, dann mussten sie es sofort tun – ohne Kampfstrategie und ohne Aufstellung. In Windeseile bestieg Seth sein Pferd und dann erblickten seine Augen auch die Truppen, die gegen sie ins Feld zogen. Libysche Streitmächte. Es war unfassbar. Eben noch glaubte er sie besiegt und nun waren sie hier. Kampfbereit innerhalb seiner eigenen Mauern. Wieso nur hatte niemand die Warnung gegeben? War denn wirklich jeder ägyptische Bote getötet worden? Oder hatte man sie einfach nicht gefunden?

Es war egal. Es gab nicht die Zeit für solche Gedanken. Es war Krieg. Und er hatte die Truppen zu führen und das Land zu verteidigen.

Der warme Körper des Pferdes hatte eine erstaunliche Wirkung auf ihn. Entschlossenheit und Ruhe durchfuhr ihn – eine tödliche, eisige Kälte, die sich nun erbarmungslos über seine Züge legte. Die Macht des Krieges, die von ihm Besitz ergriff und ihn zu dem stolzen Heeresführer werden ließ, der er schon immer gewesen war.

Seine Truppen sammelten sich nicht – sie zogen direkt in die Schlacht. Kein langer Ritt war notwendig, der Feind war nahe und dieser Umstand brachte nicht nur starres Entsetzen, sondern auch lodernden Hass hervor. Hass, von dem sie nun zehren mussten.

Unaufhörlich gab er seine Befehle weiter, das Puzzle hing inzwischen um seinen Hals – es störte dort einfach am wenigsten. Zwar hatte niemand die Titeländerung mitbekommen, doch wagte es ohnehin keiner in diesem Moment nicht auf seine Worte zu hören.

Der Pharao kämpfte mit dem Millenniumsstab. Es war Magie, die er entfesselte, die wesentlich mehr Kontrolle erforderte als ein Schwert, aber dafür auch wesentlich wirkungsvoller war. Dort, wo er und seine Männer kämpften, konnten sie die Libyer zurückdrängen, allerdings beschränkte sich dies nur auf einen geringen Radius. Es waren einfach zu viele und sie hatten nicht die Zeit, angemessen zu reagieren. Alles hatte sich nun umgedreht... Am Fluss hatten sie die Feinde zurückdrängen, ihnen eine Niederlage abringen können, weil sie ihnen von vorneherein die Möglichkeit verwehrt hatten, eine Aufstellung einzunehmen. Dort hatten sie keine Chance gehabt. Und doch war es kein Sieg gewesen, wie sie nun bitter festzustellen hatten. Es war nur ein Aufschub des Unausweichlichen gewesen, etwas, das hätte vermieden werden können, wenn sie brutal und grausam jeden abgeschlachtet hätten ohne Gnade walten zu lassen.

Seths blaue Augen waren wie Eis. Wenn sie nur alle getötet hätten, wie ausgehungerte Raubtiere, hätte dies nicht geschehen können. Raubtiere mit Durst nach Blut.

Seine Stimme erklang über das Schlachtfeld, er versuchte jeden Ägypter zu motivieren, der ihn in diesem Moment hören konnte. „EUER LAND BRAUCHT EUCH!“, schrie er, ohne währenddessen auch nur eine Sekunde lang seinen eigenen Kampf zu unterbrechen, „IN ZEITEN DER GRÖSSTEN NOT RUFT ES EUCH UM HILFE! DIESER FEIND WIRD UNS NICHT BESIEGEN KÖNNEN!“ Er musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass diese Worte wenig Wahres enthielten. Ihre Situation war denkbar ungünstig, doch aufgeben konnten sie nicht. Es wäre das Todesurteil für das ganze Land und für jeden einzelnen, der hier lebte.

Widerwillig musste Seth sich weiter zurückdrängen lassen. Widerwillig nur gab er die Distanz zum Palast auf. Sie standen einer Übermacht gegenüber. Seine Männer in die Schlacht zu führen, war eine Tat, die weder von Sinn noch von Verstand zeugte, doch er hatte keine Wahl. Niemals würde er sich ergeben. Niemals würde er sich vor den Feinden in den Dreck werfen. Niemals würde Ägypten kampflos untergehen. Die einzige Hoffnung, die ihn antrieb, war die Zeit. Je länger sie den Einmarsch der gegnerischen Truppen verzögerten, desto mehr seiner eigenen Truppen konnten sich sammeln und in den Krieg eingreifen. Die Zeit war nun auf ihrer Seite. Sie hatten Reserven. Reserven, die nur mobilisiert werden mussten.

Bedingungslos, brutal und blutig – das wäre wohl die beste Beschreibung gewesen für den Kampf des Pharaos. Wäre sein Pferd nicht bereits schlachterprobt gewesen, hätte er es niemals geschafft. Doch das stolze Ross zeigte weder Scheu noch Müdigkeit, unermüdlich passte es sich den Bewegungen des Brünetten an, reagierte souverän bei Attacken und störte sich auch nicht daran, wenn Seth mit beiden Händen kämpfen musste und dementsprechend die Zügel nicht festhalten konnte. Er kämpfte erbarmungslos. Wie viele er tatsächlich schon getötet hatte, wusste er nicht und er dachte auch nicht darüber nach. Es wäre nur hinderlich gewesen. Dieses Mal gab es keine Gnade.

„ZEIGT IHNEN, WAS WIR ZU LEISTEN IM STANDE SIND!“, brüllte er grimmig, „NIEMAND WIRD DIESES KÖNIGREICH ANGREIFEN, OHNE DEN PREIS ZU ZAHLEN!“ Er konnte spüren, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Die Männer kämpften nicht weniger verbissen als er, die gleiche Entschlossenheit war auf ihren Gesichtern zu lesen und auch sie zeigten keinerlei Gnade.

Und dann sah Seth einen Mann, bei dessen Anblick der Hass ihn ihm ins Grenzenlose anwuchs. Seine Züge verhärteten sich, als er seinem Pferd die Sporen gab und auf ihn zu ritt. „Du steckst also dahinter“, stieß er voller Abscheu hervor, „Du kommst wie gerufen...“

Endlich...

Wie auf einen Schlag waren all seine Gedanken wieder da. Doch sie waren nicht chaotisch und wirr, standen ihm nicht im Weg. Sie zeigten alle auf ein und dasselbe Ziel: Shada. Dieses Mal würde er ihm nicht entkommen...

Wissen

„Aber -“

Kisara war aufgesprungen, ihre Augen vor Schreck weit geöffnet.

„Aber -“

Sie sollte hier bleiben? Nicht weglaufen?!

„Aber, ich -“

Wieder wurde sie unterbrochen. Einfach nur sitzen bleiben?! Was war denn nur los?!

„Aber ... ja, gut“, stimmte Mana verstört zu. Wieso nur waren sie alle so hektisch? Und wieso liefen sie alle weg und nur sie durfte nicht weglaufen? Es war ihr nicht begreiflich. Sie konnte die Panik nicht verstehen, wohl aber spüren. Ihre Gefühle reflektierten das Chaos, das um sie herum herrschte und sie verstand es nicht, konnte es nicht deuten.

Erst Seth, dann Adalia ... und jetzt Kisara. Was war denn nur los?! Sie kam sich so dumm vor, so unglaublich allein in einer Welt, die viel zu groß für sie war. Brav setzte sie sich aufs Bett und wartete, ohne der Weißhaarigen wirklich hinterher zusehen. Was sollte sie auch anderes tun? Ihre Beine winkelte sie an und ihr Kinn stützte sie auf ihre Knie. Sie war allein und das gab ihr Zeit, über alles nachzudenken, was das Drachenmädchen ihr erzählt hatte. Sonderlich weit kamen ihre Gedanken dabei nie, sie stoppten immer wieder am selben Punkt, kreisten förmlich darum. Seth hasste Kisara, weil sie etwas getan hatte, woran sie sich nicht mehr erinnern konnte.

Nicht mehr erinnern... Ob er sie wohl auch irgendwann hassen würde? Oder tat er es schon?

Was würde nun noch geschehen? Das war alles so verwirrend. Wo waren sie denn nur hin? Mana kämpfte mit den Tränen. Kisaras Blick ging ihr nicht aus dem Sinn, sie sah ihr immer noch vor sich. Angst in ihren Augen.

Angst.

Angst konnte sie deuten. Alles in ihr schien rebellieren zu wollen, ihr Körper reagierte, auch wenn ihr Verstand nicht folgen konnte. Die Angst konnte sie nicht beschreiben. Sie konnte es nicht in Worte fassen, das Gefühl, das sie überwältigte. Doch sie war ausgeliefert. Sollte sie es wagen hinauszusehen? Sie traute sich nicht. Kisara war so erschrocken gewesen. Und Kisara war doch mutig, oder? Sie hatte noch nie Angst gehabt, hatte doch immer alles zu erklären gewusst, hatte sie doch immer beruhigen können...

Und jetzt war sie allein. Kisara war jetzt bei Seth. Wieso durften sie alle zu Seth und nur sie sollte hier warten? Konnte sie nicht auch helfen?

Hinter ihr schrie jemand auf – Mana zuckte heftig zusammen. Sie drehte sich noch immer nicht um, saß mit dem Rücken zum Fenster. Sie schaffte es einfach nicht, dorthin zu gucken, wo das war, das Kisara Angst gemacht hatte.

Aber trotzdem konnte es ihr nicht verborgen bleiben. Die Finsternis, die sich ausbreitete, die Kälte, die sie mit sich brachte, als die Sonne verdunkelt wurde. Sie konnte es spüren.

Und sie konnte es hören. Menschen, die schrien und der Klang als würde etwas aufeinanderprallen. Sie spürte die Angst. Sie saugte sie in sich auf. Und sie war allein.
 

Sollte sie sich nun freuen oder lieber nicht? Adalia war hin- und hergerissen, konnte sich kaum zusammenreißen. Sie hatte es gewusst, hatte Atemus Schwachstelle schneller durchschaut, als selbst sie es erwartet hätte. Sie hatte gewusst, dass er die Krone abgeben würde, hatte gewusst, dass er ohne Teana nicht in der Lage sein konnte zu regieren. Sie hatte es gewusst, seit sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Beim Fest war es gewesen, wie viel Zeit war seitdem ins Land gezogen? So vieles war geschehen und in Bewegung gebracht worden...

Teana wäre eine gute Königin gewesen, davon war die Priesterin überzeugt. Nie hatte sie eine persönliche Fehde gegen die Prinzessin gehabt – sie war einfach nur ein Opfer im Marionettenspiel der Macht. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Krieg kam gänzlich unerwartet in genau jenem Augenblick, da Adalia ihren Trumpf ausgespielt hatte. Sie hatte nicht damit gerechnet, doch in welchem Spiel handelte schon jeder nach denselben Regeln? Sie musste nur umdenken. Seth als neuer Pharao brachte sie in eine strategisch äußerst reizende Position. Sein ungebrochenes Vertrauen in sie setzte sie an die Spitze.

Die Verantwortung über Mana lag in ihren Händen, er würde sie niemals wieder wegschicken. Niemals wieder würde sie gezwungen sein, von seiner Seite zu weichen. Denn sie war die Beste. Und sie würde immer die Beste bleiben. Und genau das war es, was auch er wusste.

Adalia hatte keine Sekunde lang gezögert. Sofort war sie, seinem Befehl folgend, losgelaufen. Der Krieg war nun nicht ihre Angelegenheit. Sie hatte sich um Mana zu kümmern. Mana, die völlig hilflos war, ohne sie.

Wie lang war sie jetzt schon allein in Seths Gemach? Wie lange hatte Kisara gebraucht um hier her zu finden? Sie musste auf der Stelle zu ihr.

Als die Priesterin die Tür zum Gemach öffnete, war sie auf so ziemlich alles gefasst – nicht jedoch darauf, dass das Mädchen brav und gehorsam auf dem Bett saß und wartete. Sie schreckte auf, drehte ihren Kopf instinktiv in Richtung Tür. Dass sie zitterte, erkannte die Ältere schon von weitem.

„Adalia!“, schrie Mana auf und robbte an die Kante des Bettes heran – offenbar wollte sie aufstehen.

Sofort lief die Priesterin auf sie zu, setzte sich neben sie.

„Was ist denn los?“, fragte Mana, „Was ist denn passiert?!“ Sie war ungeduldig und das war wohl auch verständlich. „Sag' doch was!“

Adalia schloss ihre Arme um sie. Ihre Haut war eiskalt und nass vor Schweiß. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie sich beruhigte. „Entschuldige, dass du so lange allein warst...“, sagte die Priesterin mit belegter Stimme, löste dann die Umarmung, hob sie vorsichtig auf die Füße und nahm sie bei der Hand. „Ich werde dir alles erklären“, versprach sie leise und führte sie zum Fenster. Widerwillig nur folgte das Mädchen, beunruhigt sah sie einmal auf und dann nach draußen. Sie schluckte. Adalia stellte sich direkt hinter sie, sodass sie sich an sie anlehnen konnte, und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Siehst du den Nebel?“, fragte sie das eingeschüchterte Mädchen, das daraufhin nickte.

„Er ist böse, richtig?“, mutmaßte Mana vorsichtig, schaffte es nicht, den Blick davon abzuwenden.

Adalia half ihr dabei. Es war nicht gut, wenn Mana zu viel von der Schlacht sah, lediglich den Nebel musste sie gesehen haben. Für eine Erklärung. Damit sie es verstehen konnte. Damit sie es annehmen konnte ohne daran zu zerbrechen. Die Priesterin ließ die Kleinere nicht los, drehte sie jedoch zu sich herum und hockte sich vor sie, damit sie ihr in die Augen sehen konnte. Ein Zeichen von Sicherheit... Sie wusste genau, was in diesem Kind vor sich ging. „Ja“, stimmte sie zu, „Der Nebel ist böse. Ich weiß nicht, wer ihn beschworen hat, doch derjenige ist böse...“ Wie einfach war es, die Welt in zwei Teile zu spalten? Zwei Seiten derselben Sache? Hell und Dunkel, Tag und Nacht, Gut und Böse. Es war immer wieder das gleiche entstellende Schema, das die einzigen Erklärungen barg, die Mana kennen und verstehen durfte. Sie durfte nicht zweifeln. „Da draußen sind ganz viele böse Menschen“, fuhr sie fort, „Sie hassen dieses Land. Sie wollen es zerstören.“ Es waren nur einfache Worte, Worte, die dem Ausmaß der Katastrophe nicht gerecht werden konnten und doch reichten sie aus um Mana noch weiter zu verängstigen. Mit den Augen konnte Adalia immer wieder aus dem Fenster sehen, konnte immer wieder die Truppen sehen, die gekommen waren, um sie zu vernichten. Es waren so unglaublich viele...

Sie sah wieder zu Mana. „Seth muss sie jetzt aufhalten, das ist seine Aufgabe...“ Als Pharao, doch das sollte sie wohl jetzt nicht dazu sagen. „Wir müssen jetzt hier bleiben und auf seine Rückkehr warten.“

Es war tatsächlich einfacher, so etwas zu sagen, als sich auch wirklich daran zu halten. Sie selbst hätte in diesem Moment gern an seiner Seite gestanden, doch sie hatte andere Verpflichtungen. Verantwortung, die mehr wog, als die Ausuferungen des Krieges.

„Wir warten einfach?“ Manas Blick war skeptisch, sie schüttelte leicht den Kopf. Ihre Stirn war kraus gezogen und sie sah Adalia unverständlich an, doch sie widersprach nur halbherzig. Sie drehte sich zurück zum Fenster, sah eine Weile hinaus, ohne auf die Versuche der Priesterin zu achten, die sie wieder harmlosere Bilder sehen lassen wollte. „Aber... Seth?“, setzte sie an, doch als sie in Adalias Augen sah, erkannte sie, dass es zwecklos war. Sie seufzte tief und auch die Ältere seufzte. Sie kannten sich einfach zu gut inzwischen. „Also warten wir...“, sagte Mana leise, resignierend.

Adalia nickte. „Glaube mir, wir helfen am meisten, wenn wir jetzt hier warten“, erklärte sie und sie hatte vermutlich recht. Es konnte niemandem helfen, wenn sie sich in Gefahr brachten, es brachte nur noch mehr Durcheinander, noch mehr Besorgnis, noch mehr Angst. Chaos, das vermeidbar war. Sorge, die nicht zu tragen und Panik, die nicht nötig war.

Die Worte schienen Mana zu besänftigen. Zwar entzog sie sich den Berührungen, die ihr hatten Hoffnung und Sicherheit hatten geben sollen, doch sie widersetzte sich nicht und ließ sich auch sonst nicht vom Trotz leiten. Mana setzte sich auf die Fensterbank. Sie musste nicht sehen, was in der Stadt um im Hof des Palastes vor sich ging, es reichte, dass sie es hören konnte. Es reichte, dass sie es wusste. Wissen bedeutete Macht – Macht auf allen Seiten. Die Macht, andere zu manipulieren. Die Macht, von seinen Ängsten und Gefühlen verleitet werden zu können. Die Macht, die Wahrheit zu verschieben. Die Macht, nach der sie alle suchten.

Grüne Augen starrten gedankenverloren ins Leere. „Kisara hat gesagt, Seth hasst sie, weil sie etwas getan hat, das böse war, an das sie sich aber nicht mehr erinnern kann...“, sprach sie ruhig und langsam, musterte dann das Gesicht der Priesterin.

Diese war überrascht, hatte im ersten Moment gar nicht verstanden, was Mana da gesagt hatte. Es erstaunte sie über alle Maßen. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass das Drachenmädchen ausgerechnet Mana dieses Wissen aufbürden würde, sie musste wirklich überaus verbittert gewesen sein. Sie tat ihr Leid. Doch die Bedürfnisse der verstoßenen Geliebten durften nun nicht ihre Wahrnehmung vernebeln. Sie musste nun auf Mana achten. „Seth hasst sie nicht“, sagte sie zuversichtlich, obwohl sie nicht so recht wusste, ob es stimmte. Sie konnte es sich nicht vorstellen, „Die beiden haben sich gestritten, das stimmt... Und dass Kisara sich nicht mehr erinnern kann, das wohl auch...“ Sie gab es nur ungern zu, hätte das Thema gern in eine andere Richtung gelenkt, dem Gespräch eine anderen Verlauf geschenkt, „Aber Seth hasst sie nicht, das könnte er gar nicht.“ Sie durfte nicht schlecht von ihm denken. Wieder griff Adalia nach Manas Händen. „Kisara hat auch nichts böses gemacht“, sagte sie beschwichtigend, sie konnte ihr unmöglich erklären, dass sie Mana angegriffen hatte, ohne dass das Mädchen an ihrer Vorstellung der Welt zu zweifeln beginnen musste. „Das war einfach nur ein Missverständnis.“ Und sie hatte damit noch nicht einmal gelogen, auch wenn ihre Aussage der Wahrheit kaum entsprach. Doch das war nicht wichtig. Einfach musste es sein. Simpel und leicht zu verstehen.

Die Kleinere zog ihre Hände dieses Mal nicht weg, sondern blickte wie gebannt auf Adalias zarte, weiche Haut. Ihre Augen fanden ihr Strahlen wieder, all der grausamen Geräusche zum Trotz. „Dann hasst er sie nicht?!“, wiederholte sie und ihre Stimme quietschte leicht, weil sie so aufgeregt war. Sie sprang auf, zog an Adalias Armen. „Dann müssen wir zu ihr!“ Sie drängelte fast, versuchte mit bester Überzeugung im Blick die Priesterin zu bewegen, „Wir müssen ihr unbedingt sagen, dass er sie nicht hasst! Vielleicht verstehen sie sich dann besser!“, erklärte sie noch einmal mit Nachdruck, „Und vielleicht geht es Kisara dann auch wieder besser!“

Es war unglaublich, wie viel dieses Mädchen sah! Die Ältere war immer wieder von Neuem beeindruckt. Sie hatte Kisara nicht nur verstanden, sondern auch durchschaut. Es war einfach unglaublich, als könnte nichts vor ihr verborgen bleiben. Doch wie viel auch immer sie wusste, sie wusste nicht genug.

„Und vielleicht ist Seth dann auch etwas zufriedener?“, plapperte Mana unbeirrt fort, „Vielleicht werden sie dann wieder Freunde?“ Sie hüpfte auf der Stelle, lächelte strahlend.

Adalia hielt sie trotzdem zurück. „Er hasst sie nicht“, bestätigte sie wieder, und sie war unglaublich froh, dass das Mädchen darauf reagiert hatte. So konnte sie das Thema verdrängen, das so viele falsche Fragen aufwerfen konnte. „Aber wir sollten wirklich jetzt hier bleiben und warten“, wiederholte sie ebenfalls, „Kisara wird sicher bald herkommen, dann kannst du es ihr selbst sagen, ja? Sie wird sich sicher sehr freuen.“ Auch wenn sie es nicht glauben würde. Natürlich würde sie es nicht glauben, Adalia würde es an ihrer Stelle auch nicht glauben. Wie sollte Mana so etwas schon beurteilen können? Sie wusste doch nicht einmal, worum es eigentlich ging. Und das wusste auch Kisara.

Dass sie aber noch nicht hier war, beunruhigte die Größere etwas. Sie hatte damit gerechnet, dass sie ihr dicht auf den Fersen gewesen war, doch das war nicht der Fall. Es gab nur einen einzigen Ort, an dem sie stattdessen sein konnte. An Seths Seite... An des Pharaos Seite. Kisara kämpfte. Kämpfte für Ägypten, für sich und um ihn. Der Platz an seiner Seite, den die Priesterin ebenfalls gern eingenommen hätte in dieser ungewissen Stunde. Die Stunde, die alles verändern konnte.

„Mir hat Kisara gesagt, dass sie gleich wieder kommt!“, unterbrach Mana ihre wirren Gedanken, lief einmal um sie herum und umarmte sie dann in Höhe ihrer Hüfte. „Das tut sie doch, oder?“, fragte das Mädchen mit einer Begeisterung, die so absurd und falsch war, wie das Leben in dem goldenen Käfig, dessen Gitterstäbe sie hier langsam aber sicher und beständig um sie herum bogen.

„Ich muss es ihr unbedingt erklären!“

Sinn

Alles, was er jetzt fühlte, konnte Atemu nicht deuten, nicht lenken und in keinster Weise kontrollieren. Wer war er denn nun noch? Er hatte alles verloren. Er war ein niemand. Das Chaos war riesig und er hatte noch nicht einmal mehr Interesse daran, darüber nachzudenken. Er wollte überhaupt nichts mehr. Zuerst sein Kind. Grausam und brutal war seine Teana gefoltert worden durch den Tod des Babys, die Verantwortung, die er ihr aufgedrängt hatte... All das nur, weil er Pharao gewesen war. Er hatte sie dafür angeschrien! Er hatte ihr Vorwürfe gemacht! Ihr! Die sie doch alles gegeben hatte, was sie hatte. Er hatte sie nicht einmal richtig um Verzeihung bitten können. Hätte er es getan, wäre sie ... wäre ... es nicht geschehen?!

Nein. Atemu wusste es und er hasste sich dafür. ER hätte IHR vergeben, dass sie gescheitert war. ER hätte IHR vergeben, dass sie alles verloren hatte. Sie wären irgendwie in den Alltag zurückgekehrt und doch hätte er sich nicht darum gekümmert, welches Loch der Verlust des Kindes auch in ihr Herz gerissen hatte. Welche Schuld sie sich selbst aufgelastet hätte. Er hätte sich nicht darum gekümmert, weil er blind gewesen wäre. Blind für all das, was sie ihm nicht sagte.

Jetzt würde sie ihm nie wieder etwas sagen. Er hatte alles verloren. Teana hatte erst die Hoffnung verloren, dann ihr Kind und letztendlich ihr Leben. Alles nur, weil er Pharao war?

Wer hätte sich denn für sie interessiert, wenn sie nicht so im Zentrum gestanden hätten? Nie hatte er die Macht angezweifelt, die seine Geburt ihm verliehen hatte. Nie hatte er nach einer solchen Macht verlangt, doch er hatte auch nie auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass es falsch war. Dass die Macht nicht nur Verantwortung, sondern auch Hass auf sich ziehen konnte. Nicht die Bewunderung des Volkes, für die er immer gekämpft hatte. Als Pharao.

Er hatte alles verloren.

Sein Körper schien in einer tiefen Kälte erstarrt zu sein, er hätte sich bewegen können, doch nichts daran erschien ihm sinnvoll. Dass er nie wieder Teanas Lächeln würde sehen können, konnte er einfach nicht fassen. Er konnte es nicht begreifen. Es war zu grausam, als dass sein Bewusstsein es akzeptieren konnte. Es ging nicht. Kein Herzschlag pochte in der Stille, weder der seines Kindes, noch der seiner Verlobten. Sie waren beide von ihm gegangen. Sie hatten ihn beide zurückgelassen.

Und die Erkenntnis sickerte nur langsam in Atemus Kopf. Nur langsam kam das Verständnis der Worte, die ihn noch weiter in die Tiefe reißen sollten. Einen Krieg konnte er nicht überstehen. Einen Krieg konnte er nicht kämpfen. Es war nicht sein Krieg... Und so hatte er das Einzige getan, das ihm noch sinnvoll erschienen war, für dieses Land, das nicht mehr das seine war. Er konnte das Land nicht ausliefern, nur weil ihr Herrscher schwach war. Ein schwacher Herrscher konnte keinen Krieg gewinnen oder ihn auch nur führen. Er konnte nur jeden ins Unglück reißen. Er konnte nur alle mit sich untergehen lassen.

Und deswegen war er nun nur noch ein niemand. Ohne Titel, ohne Anspruch, ohne Verantwortung. Er hatte seinem Land den Rücken gekehrt, er hatte es verraten. Niemals würde ihm das jemand verzeihen. Und so trug nun Seth die Krone von Ägypten. Er würde wissen, was zu tun war, er war stark. Er war schon immer stark gewesen. Niemals hatten die Männer an ihm gezweifelt, er konnte die Truppen führen. Er musste es.

Und er, Atemu... was blieb ihm noch? Sein Blick ruhte auf dem leblosen Körper seiner Verlobten. Seiner geliebten Teana. Ihr weiches Haar fiel ihr in Strähnen über die Schultern. Er hatte es schön hingelegt. Sie sollte nicht die Qual widerspiegeln, die sie hatte durchmachen müssen. Sie sollte schön sein. Sie war wunderschön. Und eine friedliche Ruhe strahlte sie aus. Wenigstens musste sie die Gräuel des Krieges nicht noch einmal durchleben...

Es war der einzige Trost, den Atemu ihr noch geben konnte. Für sich selbst behielt er nichts über. Er wollte nichts mehr. „Schlafe in Frieden...“, brachte er über die zitternden Lippen hervor, „Bitte vergib mir, dass ich nicht besser auf dich geachtet habe...“ Sanft strich er über ihre Wange, gab ihr einen letzten Kuss auf ihre kalten Lippen.

Er konnte nicht bleiben. Konnte nicht in diesem Raum bleiben. Nicht eine Sekunde länger. Gern wäre er für immer mit ihr zusammen geblieben, doch ihr Anblick ließ eine solche Kälte durch seine Glieder fahren, dass er zurückwich. Er wollte es nicht sehen. Konnte es nicht mehr sehen. Er musste weg von hier, musste irgendwohin, wo er noch einen Sinn hatte... Er musste -

Und dann konnte er es wieder hören. Die Truppen, die ihr Leben gaben und nur verlieren konnten. Die Übermacht, die in sein... nein, in das Land seines Cousins einfiel und es auslöschen wollte... Der Klang der Klingen, die sich kreuzten... und der süße Geruch nach Magie, die ihre letzte Chance sein musste.

Er war ein niemand. Er hatte alles verloren, hatte nichts mehr, wofür das Kämpfen sich lohnte. Er war ohne jeden Stand. Und doch konnte er nicht stehen bleiben. Er hörte die Befehle. Die Befehle des Pharaos. Und er lief.
 

Der Anblick der feindlichen Truppen war in sich schockierend. Doch die Szene, die sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte, war weit – verstörender gewesen. Wie viel konnte einem Menschen aufgebürdet werden, wie viel konnte er verkraften ohne zu zerbrechen? Mana, Teana, Atemu... das gesamte Volk. Und Seth.

Was war mit ihr?

Wie viele Schlachten wurden geführt, die nichts mit dem Feind zu tun hatten, der nun vor ihren Toren stand? Wie viele Kriege forderten wie viele unschuldige Opfer? Wo lag der Sinn darin? Wo der Grund? Wer trug die Verantwortung?

Das Drachenmädchen war lediglich einem Instinkt gefolgt, doch als sie die Befehle von Seth vernommen hatte, hatte sie einfach nicht anders gekonnt. Sie war ihm gefolgt, hinaus in die Schlacht. Hinaus in den Krieg. Wohin hätte sie auch gehen sollen? Ihr Platz war schon immer an seiner Seite gewesen, seit er sie an den Hof geholt hatte. Hatte sie eine andere Wahl?

Sie war die Erste gewesen, die den Aufmarsch der Truppen gesehen hatte und doch hatte sie keine Ahnung gehabt, was sie erwartete. Und es war ihr egal gewesen. Den Kopf voller Gedanken, die ihren Verstand zum Wahnsinn schickten, zog sie mit dem Pharao in die Schlacht, die nun ihr aller Schicksal bestimmen sollte. Sie wollte die Gedanken loswerden. Sie wollte die Bilder loswerden. Sie wollte einfach nur sie selbst sein können! Sie selbst, das bedeutete keine Verpflichtungen. Sie selbst, das bedeutete keine Angst, denn der weiße Drache stand an ihrer Seite. Sie selbst sein, das bedeutete Macht und Freiheit, die sie schon viel zu lange vermisste. Alles hatte sie aufgegeben für diesen Mann, der nun sämtliche Verantwortung trug und wissen musste, dass er seine Männer nur in den Tod schicken konnte. Der Mann, der aus Stolz und Würde heraus kämpfen musste, egal wie hoch der Preis auch sein sollte. Dieser Mann, der nun Pharao des Landes war. Einst einmal hatte er diesen Traum gehabt, diese Krone... In unendliche Ferne war er gerückt und nun wahr geworden, dieser Teil der Vergangenheit, den letztendlich Mana besiegt hatte. Mana, die sich ihm nicht unterworfen hatte, Mana, die seine Liebe und sein Vertrauen bekommen hatte, Mana, die ihn auf den Weg gebracht hatte, dem Pharao zwar zu widersprechen, aber ihm nicht zu misstrauen. Das war alles Mana gewesen. Nicht sie. Und jetzt, da Mana sich nicht mehr um ihn kümmern konnte, bekam er die Königswürde auf dem Tablett serviert. Wer sollte dieses Mal auf ihn achten?

Kisara wusste nicht, was für eine Chance sie noch hatten oder ob es überhaupt noch Hoffnung gab in diesem Land, das in Verzweiflung erstarrte. Doch sie würde ihren Platz nicht noch einmal verlieren. Dieses Mal würde sie ihn nicht enttäuschen, dieses Mal würde sie sein Vertrauen zurückgewinnen. Dieses Mal würde der Nebel sie nicht dazu bringen ihre Familie zu verraten...

Das Drachenmädchen war bereit zu kämpfen. Ägypten mochte schwach sein, doch die Truppen standen nicht allein. Wenn niemand sonst Hoffnung schöpfen konnte, dann musste zumindest sie daran glauben. Sie würde ihn nicht noch einmal enttäuschen.
 

Ein Pferd und ein einfaches Schwert war alles gewesen, wonach Atemu gegriffen hatte, ehe er aufs Schlachtfeld hinausgeritten war. Viel eher noch als er es selbst in seinen bösesten Träumen gesehen hätte, traf er schon auf die Feinde, die in riesigen Formationsreihen das Königreich überrollten. Er war vielleicht nun nicht mehr der Pharao, doch er hatte auch nichts mehr zu verlieren. Er hatte nur noch einen Ruf – und auf den gab er nicht mehr viel. Dennoch. Er hatte Seth das Versprechen abgenommen, dass das Land diese Krise überstehen würde und als Teil des Volkes war es seine Pflicht sein Land zu verteidigen. Und wäre es nur, damit er etwas zu tun hatte... Nur, damit er die bittere Wahrheit noch für eine Weile verdrängen konnte... Nur, damit das Leben ihn nicht auch verließ. Das einzige, das er noch nicht gegeben hatte, alles andere wurde ihm schon genommen.

Sie würden es bereuen. Sie alle. Jeder einzelne von ihnen würde bereuen, dass sie es gewagt hatten, in dieses Land einzufallen. Sein Blick war leer und doch schrecklich vielsagend. Dieses Schlachtfeld war vielleicht nicht seine Berufung, und vielleicht konnte er auch nichts ausrichten. Doch es war der einzige Ort, der nun noch eine Bedeutung für ihn hatte. Der einzige Ort, an dem seine pure Existenz noch einen Sinn zu haben schien.

Mit dem Schwert in der Hand stellte sich Atemu dem Feind entgegen. Es waren so unglaublich viele, dass ihm der Atem immer wieder stockte. Vielleicht lag es jedoch auch an seiner sonstigen Verfassung, vielleicht lag es nicht einmal an der Überlegenheit... Ein einziger Blick zu Seth sagte ihm, dass es richtig war, was er getan hatte. Seth konnte das Land in dieser Stunde führen. Er war der Pharao, nicht Atemu. Vielleicht, wenn nur Seth sein Geburtsrecht niemals verwehrt geblieben wäre... nur vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Vielleicht hätte er dann mit Teana -

Doch an dieser Stelle stoppten seine Gedanken. Es war zu schmerzhaft. Es war zu dunkel, das Nichts, das nach ihm rief, an ihm zerrte.

Sein Kampf war lustlos, doch trotzdem nicht weniger tödlich. Seine Klinge war scharf und er hatte keinerlei Skrupel mehr. Er brachte etliche zur Strecke, ohne sich ihrer Zahl auch nur bewusst zu werden. Es kümmerte ihn nicht, wie viele Menschen er ermordete, wie viele Familien er auseinander riss. Er konnte nur den Ort verteidigen, den die Feinde ohne ihre Gegenwehr längst überrannt hätten. Der Ort, an dem Teana schutzlos gewesen wäre, wenn sie nicht längst -

Wieder konnte er nicht weiter denken. Wieder schnürte ihm ein schwerer Kloß die Kehle zu. Und wieder hatte er keine andere Wahl. Wieder durchschnitt seine wütende Klinge Fleisch, zertrümmerte Knochen, brachte die Feinde mit röchelnder Genugtuung zu Fall.
 

Kisara saß auf einem Dach und beobachtete die Kämpfe. Sie hatte in der Peripherie entschlossen gekämpft, doch ihre Stärken lagen nicht in Zweikämpfen. Es war die uralte Magie, die in ihr lebte, die den Drachen in ihrem Inneren zum Leben erweckt hatte und ihn nun lenkte. Der weiße Drache, der ihr eigentlicher Trumpf war. Der weiße Drache, der nun das Geschehen überflog.

Seine Herrin grummelte. Es gefiel ihr nicht, alles einfach nur zu überwachen, es gefiel ihr nicht, sich so zurückzuziehen. Doch im Getümmel der Kämpfenden konnte sie ihren Drachen nicht rufen und erstrecht nicht kontrollieren, deswegen musste sie sich einfach zurückziehen. Es gefiel ihr dennoch nicht. Sie hatte Seth aus den Augen verloren und sie wollte aktiv in den Kampf eingreifen. Sie wollte nicht wieder zurückbleiben!

Es war anstrengend. Nicht allein das Zusehen, sondern vor allem der Drache. Ihn zu rufen hatte sie schon eine unglaubliche Kraft gekostet, eine Kraft, die sie nicht gewohnt war aufbringen zu müssen und auch jetzt war es furchtbar kräftezehrend. Sie hatte vorgehabt mit dem Drachen den Feinden einzuheizen, doch nun konnte sie ihn kaum lenken. Ihr Wille drang einfach nicht durch zu dem majestätischen Ungeheuer – das musste am Nebel liegen. Der Nebel war wesentlich stärker als beim letzten Mal, das konnte sie spüren, doch dass jemand sich so penetrant in ihre Verbindung zu ihrem Drachen einmischen konnte, das machte sie wirklich wütend. Es nervte sie, nicht richtig eingreifen zu können, und es nervte sie vor allem das beklemmende Gefühl, das von diesem unsäglichen Nebel ausging.

War sie denn wieder nicht von Nutzen? Die Weißhaarige fühlte sich merkwürdig stumpf. Sie hatte unbedingt helfen wollen und nun saß sie auf einem Dach und konnte doch nichts ausrichten mit dem Drachen, der nie zuvor so schwer zu lenken gewesen war. Immer wieder versuchte sie sich auf den Drachen zu konzentrieren, doch immer wieder musste sie den Versuch enttäuscht und mit wachsender Verbitterung abbrechen. Sie schüttelte den Kopf. Hier auf dem Dach war sie wenigstens sicher. Doch war das der Sinn? Noch hatte keiner der Feinde verstanden, dass sie für das weiße Monster verantwortlich war und so achtete keiner auf die blasse Frau, die aufs Dach geklettert war. Ihr hinterherzulaufen hätte für jeden Angreifer bedeutet, dass sie ihren Gegnern den Rücken hätten zukehren müssen, was jedoch den sicheren Tod nach sich gezogen hätte. Kisara selbst hatte lediglich das Überraschungsmoment, das ihre ungewohnte Handlung ausgelöst hatte, ausgenutzt. Doch was sollte sie ohne den Drachen von hier aus ausrichten?

In den Palast zurückzukehren kam für sie nicht in Frage, auch wenn sie eigentlich durch ein Versprechen gebunden war. „Tut mir Leid, kleine Mana, aber du musst noch etwas länger warten...“, flüsterte sie und der Gedanke an das Mädchen brachte auch die Angst um Seth wieder zurück. Er musste ganz in der Nähe kämpfen. Nur, wo war er?

Bestimmung

Eine Minute... Eine halbe...

20 Sekunden...

10... 9...

Er hatte wirklich lange genug gewartet. Viel zu lang eigentlich schon. Wieso sollte er überhaupt abwarten? Er, der König der Diebe?

Entschlossen stand Bakura auf, kehrte dem Zimmer und seinem Thron den Rücken. Bequem war es nicht gerade gewesen, doch das machte nichts. Er hatte ja anderes in Aussicht. Ein fieses Lächeln zierte sein Gesicht – um es genau zu nehmen hatte es ihn nicht verlassen, seit Adalia gegangen war.

Adalia. Es war wirklich an der Zeit nach der Priesterin zu suchen. Er hatte immerhin noch eine Rechnung mit ihr zu begleichen und sie hatte nun wirklich genug Vorsprung.

Sie war nicht ernsthaft davon ausgegangen, dass er sie so einfach würde ziehen lassen, oder? Nein, mit Sicherheit nicht. Er musste davon ausgehen, dass sie intelligenter war als seine sonstigen Opfer, sonst versprach auch dieses Spiel nur wenig Spaß. Unberechenbarkeit, das war es, das er schätzte. Und genau das war es auch, was er an den Menschen, die sich die Herrschenden nannten, vermisste. Langeweile und Eintönigkeit – war das denn ein Lebensinhalt?

Still und heimlich verließ Bakura sein Versteck. Schritt für Schritt trugen seine Füße ihn durch die ausgestorbenen Gänge des Palastes. Hier war wirklich auch schon einmal mehr los gewesen. Was nur beschäftigte all die unglücklichen Menschen so sehr? Natürlich wusste er längst Bescheid. Er war vermutlich derjenige, der über all die Vorkommnisse am Besten informiert war, doch Mitleid hatte er deswegen noch lange nicht. Wieso sollte er auch? Es geschah ihnen nur recht. Sie, die sie seine Heimat vernichtet hatten... Sollten sie ruhig leiden. Er könnte einfach nur warten, bis sie alle an ihrem Schmerz erstickten, doch lohnte sich das?

Nein.

Er wollte seinen Spaß haben mit diesen Menschen, die so hoch standen und die so tief fallen konnten. Er wollte teilhaben an dem Chaos, das nur zu seinem Vorteil sein konnte.

Anfangen würde er bei der Priesterin. Sie hatte nicht nur die Aufgabe ignoriert, die er ihr gegeben hatte, nein. Sie hatte ihm auch etwas gestohlen. Und so etwas konnte er überhaupt und unter keinen Umständen tolerieren. Ihre Abmachung war nun hinfällig und auch wenn er von Anfang an gewusst hatte, dass sie sie nie zu halten gedachte, sollte sie nun die Konsequenzen zu spüren bekommen. Er hatte das Kind der Prinzessin gewollt und ihr damit die Information geschenkt, nach der ihr Herz so sehr verlangt hatte – doch der Preis, den sie dafür zahlen musste, war niemals ein totes Kind gewesen. Sie selbst war der Preis und sie hatte ihre Freiheit äußerst bereitwillig verspielt. Sie hatte Mut, das gefiel ihm. Doch nun gehörte sie ihm.

Die Vereinbarung, die sie einst getroffen hatten, machten sie nun zu seinem Besitz – ein Preis, den er einfordern wollte.

Ungestört ging der König der Diebe durch den Palast. Auf jede Art der Tarnung hatte er verzichtet und trotzdem kreuzte niemand seinen Weg. Es war schon fast langweilig einfach. Die überraschende Ankunft der libyschen Gäste schien wirklich alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Wo mochte die Priesterin sein? Eigentlich kam nur das Gemach des Hohepriesters – Pharao sollte er wohl sagen – in Frage. Sie ging schließlich dort ein und aus, wo Mana war. Es war berechenbar. Es war uninteressant. Doch die Vorfreude trieb ihn weiter. Ein einziger Blick aus dem Fenster genügte und seine Stimmung war auf dem Hochpunkt. Das Getümmel auf dem Schlachtfeld, das so nahe war, amüsierte ihn königlich, er grinste finster. Sollten sie sich nur alle gegenseitig abschlachten, es war ihm nur recht. Bakura rieb sich die Hände in gieriger Erwartung. Er war bereit, die Reste aufzumischen, der geeignete Moment für ihn rückte immer näher. Und dann würde er zuschlagen! Dann würde ihm die ganze Macht zuteil werden, ihm! Ihm ganz allein!

Vorerst jedoch sollte er sich auf Adalia beschränken. Sie kam zuerst, dann alle anderen. Nur ein einziges Mal das Schlachtfeld überschauen musste er noch – er musste sich wenigstens vergewissern, dass sie nicht dummerweise auf die törichte Idee gekommen war, sich in die Kämpfe einzumischen. Doch nirgendwo konnte er jemanden erkennen, der ihr auch nur im Entferntesten ähnlich sah und das reichte ihm als Bestätigung, denn die Wahrscheinlichkeit war eh nur ausgesprochen gering gewesen. Sie würde ihr blaues Wunder erleben. Sie würde bereuen, dass sie das Kriegsgeschehen nicht vorgezogen hatte.

Er schritt voran. Nur ein weiteres Mal abbiegen und schon kam das Gemach in Sichtweite. Er war bereit. Um sich herum hatte er die Seelen von Kul Elna versammelt, auch sie waren voller Vorfreude, voller Gier und voller Hass. Die Sucht nach Vergeltung trieb sie alle weiter. Und dann stand er vor der Tür.

Mit viel Kraft trat er gegen die Tür, sodass es schepperte. Mit einem giftigen Grinsen ging er durch die zerstörte Tür, Manas erschrockenes Gesicht war das erste, das er sah und es gefiel ihm. Dieser Ausdruck war es, den er immer in ihren Augen hatte sehen wollen, als ihre lächerliche Mutter sie vor ihm mit allem geschützt hatte, was ihr geblieben war. Das Kind war immer trotzig und frech gewesen – jetzt in diesem Moment sah sie ihn zum ersten Mal so an, wie es sich für sie geziemte.

Natürlich war Adalia hier. „Meine Damen“, sagte er und verbeugte sich spöttisch vor ihnen, dann ging er zielstrebig auf die Priesterin zu und sein Blick zeigte keinerlei Gnade. „Ich glaube, du schuldest mir noch etwas!“
 

„Das hat sie gesagt?“

Adalia wirkte nicht überrascht. Natürlich hatte Kisara dem Mädchen versprochen, dass sie gleich wieder kommen würde. Wer versprach ihr denn etwas anderes? Immer nur versprach jeder seine Rückkehr. Doch wer von ihnen wollte dieses Versprechen einhalten? Wer konnte es? Und wer floh lieber vor den Konsequenzen?

Die Priesterin wusste um diese Folgen. Die Folgen, die unausweichlich waren. Sie wusste es, so wie sie gewusst hatte, dass der Tod Teanas die Krönung des Hohepriesters nach sich ziehen würde. Mana die Rückkehr zu versprechen sorgte für unglaubliches Leid. Preise, die das künstliche Lächeln der neuen Prinzessin forderte. Preise, die jeder einzelne von ihnen zu zahlen hatte. Auch Adalia.

Doch das Mädchen lächelte sie an. Dies war ihr Preis. „Dann wird sie sicher auch zurückkommen“, sagte sie freundlich „Kisara hält, was sie verspricht.“ Manas kindliche Art kam ihr äußerst entgegen. Es half ihr dabei, ruhig zu bleiben, obwohl sie noch immer jedes Geräusch von draußen hören konnte. Unwissenheit war grausam. Sie konnte nur vermuten, ob die Schlacht gut oder schlecht verlief, konnte sich nur verlassen auf die Schreie, die der Wind herantrug. Alles war unglaublich stumpf. Der Nebel fing jedes Geräusch ab und filterte es scheinbar. Jeder Triumph wurde entstellt, nur Panik blieb zurück.

Adalia konnte nur froh sein, dass Mana ihr so bedingungslos Glauben schenkte. Das kleine Mädchen, um das die Welt sich zu drehen schien. Was sollte nun aus ihr werden? Prinzessin? Gar Königin?

Es war unmöglich. Wie sollte das gehen? Der Platz an Seths Seite beinhaltete die Krone. Eine Krone, die sie nicht tragen konnte. Es beinhaltete Aufgaben, die sie niemals erfüllen konnte. Anforderungen, die ihr Können überstiegen. Und eine Natürlichkeit, die sie einfach nicht mehr ausstrahlte. Konnte sie all das lernen? Konnte man sie so herrichten, dass sie dafür bereit wäre? Für die Öffentlichkeit? Es war ihr wirklich ein Rätsel. Manas Schicksal hing allein von Seth ab. Ein Wort von ihm entschied, ob sie lachte oder ob sie weinte, ob sie glücklich war oder traurig, ob sie Erinnerungen hatte oder nicht. Ein einziges Wort genügte. Alles lag allein in seiner Hand.

Und jetzt? Er kämpfte dort draußen nicht nur um das Land, sondern ums pure Überleben. Sie standen einer Übermacht gegenüber und jeder von ihnen wusste es. Machte dieses Wissen einen Sieg nicht fast unmöglich?

Sie musste warten und auf seine eigene Macht vertrauen. Doch es gefiel ihr nicht. Es passte nicht zu ihr. Es entsprach nicht ihrer Natur, abzuwarten. Sie war ein Mensch der nicht hoffte, sondern handelte. Doch jetzt musste sie warten. Warten und ein Kind bewachen, solange bis er selbst sie von seiner Seite verweisen musste. Er hatte doch keine Wahl. Er hatte keine Alternative. Mana war nicht bereit für die Öffentlichkeit. Die Offenbarung von Seths geheimer Leidenschaft am Tag seiner Ernennung hatte das Hindernis ihres niedrigen Standes überwunden. Doch jede öffentliche Präsentation hatte ihre Regeln und jede Ausnahme ihre Grenzen.
 

Interessiert musterte Mana die Priesterin. Sie war froh, dass sie wieder da war. Sie freute sich wirklich darüber. Einfach so in den Arm genommen zu werden und endlich Antworten zu bekommen, bedeutete ihr viel.

Sie konnte sie beruhigen. Sie konnte ihr helfen. Und wenn Kisara erst wieder da war, dann würde sie es ihr sagen. Und wenn Kisara erst wusste, dass Seth sie nicht hasste, dann konnte sie doch auch wieder glücklich werden. Dann musste sie nicht mehr traurig sein, dann konnte sie wieder richtig lächeln!

Die Brünette war ganz aufgeregt. Sie lächelte Adalia an. Die Ältere war wirklich toll, sie mochte sie wirklich sehr gern. Sie war immer da, erklärte ihr immer alles. So wollte sie auch irgendwann einmal sein. So wie Adalia. Und dann –

Dann flog die Tür auf. Ein lauter Schlag schlug die Tür gegen die Wand, sorgte dafür, dass Mana zusammenzuckte. Ruckartig drehte sie sich zur Tür, ohne auf den Schmerz in ihrer Seite zu achten, der durch die schnelle Bewegung ausgelöst worden war. Sie zog die Luft erschrocken ein.

Adalia reagierte blitzartig. In Sekundenschnelle hatte sie Mana hinter sich gezogen und sich dem Eindringling in den Weg gestellt. Keine einzige Möglichkeit blieb, an ihr vorbei zu kommen. Sie konnte noch nicht einmal richtig sehen.

„BAKURA!“, schrie sie und auch Mana hatte ihn erkannt. Adalias gereizte Stimme machte ihr Angst. „Ich schulde dir gar nichts!“

Was war denn wieder los? Erschrocken wich das Mädchen einige Schritte zurück. Wieso hatte Adalia sie denn zurückgeschoben? Und wieso war er wieder hier?

Wieso passierte das alles?

War das ‚normal‘?

Es war nicht gut. Das wusste Mana. Wieder versuchte sie den ungebetenen Gast anzustarren und dieses Mal gelang es ihr einen Blick zu erhaschen. Ihr... Vater?

Seth hatte ihr ja etwas über ihn erzählt, doch sie konnte es nicht so recht glauben. Sie konnte es nicht fassen. Was sollte das denn bedeuten? War sie dann auch böse?

Sie wollte nicht böse sein! Sie wollte nicht so sein wie er. Sie wollte so einen Vater nicht! Er störte. Er sollte nicht hier sein. Sie wollte Kisara doch erzählen, dass alles in Ordnung war, sie wollte doch, dass Kisara wieder gute Laune hatte! Und sie wollte sich mit ihr freuen können... Aber jetzt? Jetzt war er hier, nicht Kisara. Das war doch schon wieder falsch. Das war doch nicht richtig.

Wieder stellte Adalia sich vor sie, versperrte ihr die Sicht. Wieder schob sie sie weiter zurück. Und wieder verstand Mana es nicht.

Was wollte er hier?

Schulden?

Wieder versuchte Mana an der Priesterin vorbeizusehen. Und wieder gelang es ihr. Doch es machte es nicht besser.

Das war falsch! Einfach nur falsch!

Sie wollte jedes Wort verstehen können, wollte jede Bedeutung kennen, wollte alles wissen, doch sie verstand einfach gar nichts!

Sie schluckte. Es gab etwas, das wollte sie noch viel mehr, als es zu verstehen. Sie wollte weg. Sie wollte verschwinden.

Seth...

Sie wollte zu Seth. Unbedingt.

Jetzt sofort, auf der Stelle.

Aber Adalia hatte gesagt, sie sollte hier bleiben.

Kisara hatte gesagt, sie sollte hier bleiben.

Seth hatte gesagt, sie sollte hier bleiben.

Sie wollte weg.

Und jetzt war Bakura hier. Wieso sollte sie hier bleiben?!

Die Worte, die Adalia und er wechselten, die sie sich entgegen schrien, konnte Mana kaum verstehen. Sie konnte sie nicht aufnehmen. Konnte sie weder wiedergeben noch sie erklären. Sie verstand es nicht. Sie wusste nicht, was das sollte. Sie wusste überhaupt nichts.

Mana schüttelte den Kopf.

Nein.

Das war falsch.

„Du entkommst mir nicht.“

Nein.

Was war das nur?

„Du bist mein!“

Was ging denn nur vor sich? Sie verstand es nicht. Sie war so verwirrt, so unglaublich durcheinander. Lippen, die sich auf ihre Haut legten, eine Zunge, die das Blut mit Speichel benetzte.

„LASS MICH LOS!“

Mana schluchzte. Das war ganz und gar nicht gut. Draußen nicht, und hier drinnen auch nicht. All die Schreie, die durch das Fenster drangen, Schreie im Raum. Um sie herum. In ihrem Kopf. Überall.

Seth.

Verunsichert versuchte Mana Adalias Blick zu bekommen. Die Erlaubnis zu gehen. Die Erlaubnis wegzulaufen. Die Erlaubnis zu fliehen. Nicht hier zu bleiben.

Und dann sah sie die Waffe in seiner Hand. Und Mana lief. Sie konnte nicht schreien. Sie konnte nicht stehen bleiben. Sie konnte nicht zurück sehen.

Sie konnte nur laufen.

Seth.

Sie musste zu Seth.

Treue

Seine Schritte hatten ihn nach draußen geführt, er hatte überhaupt gar keine andere Wahl gehabt. Der Ruf des Pharaos hatte ihn in die Schlacht geführt – jene Schlacht, vor der er einst gewarnt hatte, jene Schlacht, die er beendet geglaubt hatte, genau wie sie alle. Die Schlacht, die nun den eigentlichen Kriegsschauplatz erreicht hatte. Der Ort, an dem die Gewalt wesentlich subtiler, wesentlich effektiver zugeschlagen hatte als durch Klingen, Sperre oder Pfeile. Als er aufgebrochen war, hatte er nicht erwartet, dass das Königshaus bereits so unwiederbringlich in Scherben liegen würde. Vertrauen und Kraft war das, was die königlichen Bewohner des Palastes auszeichnen sollte, doch die Fassade war nicht einmal zum Schein aufrecht erhalten worden. Die Grausamkeit hatte nicht nur die Wüste Libyens und die Ufer des Nils überrollt. Nein. Sie hatte nirgendwo Halt gemacht und sich in die Herzen aller eingenistet. Panik, die in den Herzen wuchs, Misstrauen und Angst. Keine Sicherheit. Das Reich, für das er schon immer gekämpft hatte. Als Bote der Zerstörung hatte er zwar nie in vorderster Front gekämpft, doch auch sein Leben war mehr als einmal in Gefahr gewesen. War es nicht seine Aufgabe gewesen, sich unter die Feinde zu mischen um sie auszukundschaften? Nichts, das er hinter den feindlichen Linien je kennengelernt hatte, war tödlicher gewesen für sein Königreich als das Treiben auf der eigenen Seite.

Nun jedoch änderte sich alles. Die Krone hatte ihren Besitzer gewechselt und so verloren auch alte Befehle ihre Bedeutung. Das Wort des Pharaos war Gesetz und der Pharao rief sie in den Krieg. Es konnte nur ihre eigene Niederlage werden, daran zweifelte niemand, der seine Augen zu benutzen wusste. Doch es war seine heilige Pflicht, den Wunsch des Pharaos zu befolgen – irgendwie war es ja doch auch das sinnvollste. Wenn die ägyptische Armee nicht überlebte... wer brauchte dann noch Boten?! Außerdem hatte Xerxes es satt. Satt, dass er immer nur die schlechten Nachrichten überbringen durfte, satt, dass er nie etwas ausrichten konnte. Und diese Starre, die den ganzen Palast mit eisiger Stärke gefangen hielt, die hatte er auch satt. Nach allem, was geschehen war, war dies genau der richtige Ort für ihn. Er war Ägypter! Und er würde sein Land bis zu seinem eigenen Untergang verteidigen.

Der markerschütternde Schrei eines Drachens ließ ihn aufsehen. Dass er über ihnen schwebte, konnte nur eines bedeuten. Er hatte es nie wirklich verstanden. Er hatte es auch nie begreifen wollen. Kisara war ihm schon ein Rätsel gewesen, als er sie das erste Mal getroffen hatte. Ein Mädchen ohne Herkunft, ohne Stand, aber voller Macht. Voller Magie, die sich in der Form ihres weißen Drachens manifestierte. Ihr Ka. Wie konnte eine so unglaubliche Bestie in einem so reinen Wesen hausen? Welche Faszination ging davon aus für jene, die nach Macht strebten? Er hatte es nicht glauben wollen, doch nun, da er den Drachen sah, wurde ihm klar, weshalb es Menschen gab, die danach strebten. Menschen, die auch ihren Tod in Kauf genommen hätten um diese Macht an sich zu reißen. Dabei war sie doch nur ein weiteres unschuldiges Wesen, das die Grausamkeiten des Krieges erleben musste. Irgendwo hier musste sie sein. Irgendwo kämpfte sie ihren eigenen Kampf. Und er konnte sich nicht um sie kümmern. Solange der Drache nicht wirklich in das Geschehen eingriff, brachte er ihnen keinen Vorteil. Und der Nebel ließ sich dadurch nicht aufhalten. Xerxes konnte nur darauf vertrauen, dass das Drachenkind wusste, was es tat. Es war ihre einzige Chance.

Sie alle hatten nur diese eine Gelegenheit, etwas auszurichten. Ein letztes Mal noch standen sie den Libyern gegenüber. Absolut alles hing ganz allein von diesem Kampf ab.

Die Gefahr war viel zu groß.

Nun stand er also hier, seine Chancen waren besser und schlechter, als er es erwartet hatte. Besser, weil er sich eines starken Führers bewusst war und schlechter, weil er mit nichts weiter als einem Schwert bewaffnet seinen Weg durch die Feinde freizukämpfen hatte. Ein Bogen wäre ihm lieber gewesen, doch er hatte keinen. In einem Krieg hatte man keine Ansprüche zu stellen, wenn man überleben wollte. Man durfte nicht wählerisch sein. Und er konnte wahrlich nicht sagen, die Klinge wäre stumpf. Sie durchschnitt das Fleisch, zertrümmerte Knochen mit einem Schlag. Sie war eine grausige Waffe, die er zu führen wusste. Für sein Land. Für seinen Pharao. Und für sich selbst.

Nicht zuletzt sein eigenes Leben und seine eigene Freiheit standen auf dem Spiel – wer nicht zumindest ein wenig egoistisch war, der hatte keine Chance zu überleben. Es kam nur darauf an, das richtige Verhältnis zu finden, zwischen Pflichterfüllung und Selbsterhaltung. Er konnte kämpfen. Er konnte töten. Und er konnte auch sterben.

So wie sie alle hier. Sie alle, die sie nur dem Ruf gefolgt waren, ohne Hoffnung, ohne Plan, ohne Strategie. Ihr neuer Pharao war ein starker Kriegsherr und ein grausamer Gegner. Doch sein Hass trieb ihn an, verhinderte, dass er die Logik in Betracht zog. Die Logik, die sie ins Verderben stürzen musste. Vielleicht war es ihr Vorteil, dass der Hass das Unausweichliche vernebelte. Vielleicht war es dieser verfluchte Nebel selbst... Eiskalte Logik ließ ihnen alle keine Wahl. Wenn nicht ein Wunder geschah, dann waren sie dazu verurteilt hier zu sterben. Doch er würde nicht sterben, ohne seine Gegner mit sich in den Tod zu reißen. Es war seine Pflicht. Es war seine Ehre. Vielleicht war es ihr aller Schicksal, hier zu versagen. Vielleicht sollte alles untergehen. Doch niemals geschah es, dass sich ein Ägypter kampflos ergab. Dieses Land würde nicht kapitulieren, solange ein einziger Mann es verteidigte. Niemals.
 

Wer auch immer es gewesen war, wer auch immer ... es ... getan hatte, dem konnte er ein Grauen versprechen, das er selbst nie für möglich gehalten hätte. Nie zuvor hatte er einen solchen Hass gespürt, nie zuvor eine solche Pein. Atemu strich die Haare aus seinen Augen.

Er musste ruhig bleiben. Er musste jetzt die Fassung bewahren. Eisige Ruhe war die Grundlage für wahren Hass – nun endlich konnte er Seth wirklich verstehen. Doch im Gegensatz zu Teana war Mana zumindest noch am Leben... Wer immer es getan hatte, der würde dafür büßen. Er würde denjenigen finden. Ganz sicher. Nur wusste er nicht, wo er seine Suche beginnen sollte, und er hatte auch nicht die Zeit dazu. Er wollte es nicht aufschieben, doch er musste. Er wusste nur, dass er diesen Dolch schon einmal gesehen hatte. Wo auch immer das gewesen war... Er würde es schon herausfinden. Und dann würde er seine Rache bekommen. Und sie würde schrecklich werden. Nun erst konnte er wirklich verstehen, weshalb Seth ihm nicht gestattet hatte, dass er Shada und Karim bestrafte. Weshalb er es selbst hatte machen wollen. Diese Aufgabe war ganz und gar nur für ihn bestimmt. Und er würde erst ruhen, wenn er den Verantwortlichen gefasst hatte.

Vorerst hatte er jedoch keine Gelegenheit dazu. Zwar hatte er Seth die Krone übergeben, doch auch er gehörte zu seiner Familie und er konnte ihn nicht allein in die Schlacht schicken. Zumindest für Mana musste er daran denken, dass es Menschen gab, die auf keinen Fall fallen durften.

War er nur ein einfacher Krieger? Ein Mann, der kämpfte um sein Land zu verteidigen? So wie all die anderen? Ein Mann, dessen einziges Ziel es war, die Feinde niederzustrecken? War er so jemand? Konnte er das sein?

Er musste es sein. Teanas Mörder musste warten, vorerst hatte Atemu sich um die Libyer zu kümmern und sich mit ihnen zu vergnügen. Das Leid um sich herum konnte er nicht mehr sehen. Er konnte es nicht mehr aufnehmen. Kalt wie eine Puppe stieg er über Leichen und kämpfte. Frauen und Kinder lagen ihm zu Füßen, tot, den Schrecken in den Augen und ihr Blick bis in alle Ewigkeit entstellt. Sie waren alle unschuldig gewesen. Unschuldig, genau wie Teana.

„Ihr Götter“, dachte er und verfluchte sie. Was auch immer er getan hatte, nichts rechtfertigte die Art, mit der sie sich von ihm abgewandt hatten. Erst nahmen sie ihm das Kostbarste in seinem Leben, und nun stießen sie sein Land ins Verderben.

Die Gedanken an Teana ließen ihn nicht los. Ihr blasses Gesicht spiegelte sich in den Leichen, die um ihn herum lagen, er schien sie überall zu sehen und es machte ihn wahnsinnig! Er musste diese Gedanken in den Griff bekommen, er musste einfach! Wenn er hier starb, dann machte das zwar auch nichts mehr, doch er wollte noch nicht sterben. Er hatte die libyschen Truppen gesehen und in dem Moment war ihm bewusst geworden, dass dies nicht der Ort war, an dem er zu sterben hatte.

Das donnernde Hufgetrampel, das in Windeseile auf ihn zustürmte, bemerkte er im letzten Moment. Der Waffe, die auf ihn gerichtet war, die gekommen war um ihn zu richten, konnte er nur knapp entkommen. Doch es reichte, um ihn von seinen Hirngespinsten zu befreien.

Schon wendete der Reiter, drehte um um ihn auszulöschen. Er musste erkannt haben, wen er vor sich hatte, musste erkannt haben, dass er zwar nicht mehr der Pharao, aber trotzdem noch ein einflussreicher Mann im Reich war. Ein Wort von ihm, und die ägyptischen Truppen würden strammstehen und auf seinen Befehl hören. Das musste dem Libyer klar geworden sein. Zumindest sagten das seine Augen. Eine Gier lag darin, die dem Wahnsinn die Hand reichen konnte. Wieder schlug die Waffe auf ihn nieder – wieder wich Atemu aus. Nicht hier. Nicht jetzt. Er hatte nicht vor hier zu sterben. Nicht durch diese Hand. Und beim nächsten Schlag des Soldaten war er bereit. Mit einem geschickten Streich seines Schwertes brachte er das Pferd zu Fall. Das arme Tier begrub seinen Reiter unter sich, doch das reichte dem ehemaligen Pharao nicht aus. Es gab kein Erbarmen mehr. Ein einziger gezielter Schlag genügte, um dem Mann den Kopf abzutrennen.

Wie viel Wut tatsächlich in diesem Schlag gelegen hatte, wurde auch ihm nicht bewusst. Erst danach achtete er wieder auf das weitere Geschehen. Er wurde überrascht. Sie schlugen sich besser, als er es für möglich gehalten hatte und zum ersten Mal, seit er sich der Katastrophe bewusst geworden war, glaubte er, dass sie eine Chance hatten. Seth hatte wenig Zeit gehabt, doch er hatte alles geregelt. Und wenn er auch sonst nichts geschafft hatte, so war Atemu zumindest in einem Punkt stolz auf sich: Er war froh, Seth ernannt zu haben. Er war froh, nun unter seinem Kommando zu stehen. Es war, als wären schwere Ketten von ihm abgefallen, Ketten, die verhindert hatten, dass er etwas unternehmen konnte. Ketten, die er – wie er zu seine Schade gestehen musste – nun seinem Cousin angelegt hatte. Doch Seth hatte schon öfters bewiesen, dass er die Verantwortung tragen konnte. Er hatte schon viel früher eine Reform gewollt, wenn auch zunächst aus niederen Gründen. Nun war er bereit, dieses Reich zu seinem Ende zu führen – was auch immer sie erwarten würde. Und er, Atemu, er konnte zum ersten Mal seine eigenen Pläne verfolgen. Zum ersten Mal musste er das Wohl des Volkes nicht über alles andere stellen. Seine Verpflichtungen hatten Teana in den Tod gerissen. Und er würde nicht ruhen, bis er nicht nur seine geliebte Prinzessin sondern auch sein Kind gerächt hätte. Solange musste er leben. Und so lange durfte er die Götter verfluchen, die sich von ihm abgewendet hatten.

Einst war er Pharao gewesen. Mächtig und einflussreich zwar, doch im Grunde schwach. Jetzt war er etwas völlig anderes. Getrieben von Hass und blinder Verachtung war er zum ersten Mal in seinem Leben wirklich stark. Libyen hatte den Krieg erst notwendig gemacht. Die Unruhen an der Grenze waren der Auslöser gewesen für alles, was geschehen war. Und nun waren sie hier um noch das letzte bisschen Leben aus dem Land zu zerstören. Er konnte das nicht zulassen. Die Teufel mussten vernichtet werden, nicht einfach aufgehalten. Gnade war etwas für die Schwachen. Das hatte er schmerzlich feststellen müssen. Hätte er den Überlebenden am Fluss keine Gnade gewehrt, dann hätte dies hier verhindert werden können. Noch einmal durfte das nicht geschehen.

Und dafür würde er kämpfen. Er hatte vielleicht seine Krone verloren, doch nicht seine Würde. Der Pharao rief sie in die Schlacht und er würde kämpfen. Erst wenn hier aufgeräumt worden war, konnte er den Verräter suchen. Erst dann konnte er Teana rächen. Erst dann durfte er sterben. Und die Übermacht, die ihm gegenüberstand, die interessierte ihn nicht, schüchterte ihn nicht ein. Solange er noch kämpfen konnte, würde er es tun. Für seinen Cousin. Für sich selbst. Und für Teana.

Ekstase

Sie versuchte also immer noch das Mädchen zu schützen? Es war wahrlich überaus interessant. Oder besser gesagt: niedlich. Und es wäre interessant gewesen, wenn Mana ihm nicht völlig egal wäre. Sie war doch eh nur ein Mittel zum Zweck. Seth hatte sich seine Beliebtheit durch sie erkauft, Adalia die Erlaubnis in seiner Nähe zu sein. Und er? Bekam seine Anwesenheit im Palast nicht eine Legitimation durch ihre bloße Existenz? Jeder benutzte sie auf seine eigene Weise, doch wirklich interessieren tat sich doch niemand für sie. Sollte sie ruhig weglaufen. Sollte sie sich ihrer Angst hingeben. Sollte sie doch schwach sein. Er brauchte sie nicht, hatte keinerlei Verwendung für sie. Nicht ihretwegen war er jetzt hier her gekommen.

Nein. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Adalia. Adalia, wie sie verzweifelt versuchte, das Kind zu beschützen und dabei nicht einmal bemerkte, wie sie immer weiter zurückwich.

Der Millenniumsring offenbarte ihm alles: ihre Wünsche, ihre Geheimnisse, ihre Ängste, ihre ganze Sehnsucht – und ihre berechnende Kälte. Es war wirklich faszinierend, sie einfach nur zu betrachten, wie musste es dann erst sein, sie tatsächlich zu quälen? Ihr Körper wies noch immer die geschundenen Zeichen ihrer letzten Begegnung auf, doch sie ließ sich in keinster Weise anmerken, ob es ihr überhaupt etwas bedeutete. Doch er konnte es fühlen. Kein Geheimnis blieb dem Millenniumsring verborgen und doch verstand er sie nicht. Alles, was sie tat, tat sie nur aus einem einzigen Grund, nur für den einen Mann, der nun nur noch eine Priesterin in ihr sah; der Mann, für den ihr Körper einst eine andere Bedeutung gehabt hatte. Der Mann, der sie in den Tempel fort geschickt hatte, nachdem er selbst sich der sündhaften Versuchung nicht mehr hatte erwehren können. Nur für Seth. Und Bakura konnte es nicht verstehen. Doch es gefiel ihm, wie stur und hartnäckig sie an ihrem Ziel festhielt, es gefiel ihm, mit welcher Inbrunst sie kämpfte und es gefiel ihm, wie bereitwillig sie die Opfer ihrer Intrigen auswählte.

Mit einem finsteren Lächeln auf dem Gesicht blickte er sie an – sie darauf hinzuweisen, dass Mana im Begriff war zu verschwinden, hielt er nicht für nötig. „Das Gewand steht Euch besser als der Fetzen davor“, sagte er spöttisch und dachte mit Belustigung an das Stück Stoff, das sie verzweifelt an sich gebunden hatte beim letzten Mal. Er trat einen Schritt dichter an sie heran, die Berechnung stand nun in ihrer beider Augen. Er durfte sie nicht unterschätzen, sie war gefährlicher als eine Raubkatze in der Falle. Sie war eine wahre Herausforderung, nicht einfach ein Opfer. Schnell und ohne sein Vorhaben zu verbergen zog er mit der rechten Hand einen Dolch. Seine Züge verfinsterten sich augenblicklich. „Nicht nur, dass du unsere Abmachung nicht eingehalten hast, du hast mir auch noch etwas gestohlen“, zischte er und seine Stimme wurde immer lauter. Wenn er etwas hasste, dann waren es Diebe, die sich an seinem Eigentum vergriffen und diese Dolche bedeuteten ihm wirklich eine Menge. „Dafür wirst du bezahlen...“, versprach er. Ein Versprechen, das er auf keinen Fall zu brechen gedachte, oh nein. Wenn er etwas versprechen konnte, dann das: Sie würde jeden Augenblick bereuen, da sie geglaubt hatte, ihm überlegen oder auch nur ebenbürtig zu sein.

Grimmig und voller Trotz zugleich sah sie ihn an, die Abscheu stand in ihren Augen. Doch da war noch etwas anderes. Etwas wesentlich primitiveres. Der Wunsch ihm zu überwältigen, der Wunsch ihre Macht zu demonstrieren und sich zu beweisen. Sich selbst zu rechtfertigen vor sich selbst und vor allen anderen. Der pure Trieb, dem einen Mann zu gefallen, der sich längst abgewandt hatte von ihr. „Du hast doch wohl nicht geglaubt, ich hätte ernsthaft vorgehabt, mich auf dich einzulassen?!“, fragte sie mit gestelltem Entsetzen und lachte leicht auf. „Das ist absolut lächerlich!“

Vermutlich hatte sie recht, doch das machte gar nichts. Sollte sie doch. Was sie dachte, war sowieso völlig egal.

„Du hast es also bemerkt...“, flüsterte sie schließlich und es konnte nichts anderes sein, als ein dummes, naives Manöver um Zeit zu gewinnen, während ihre Aufmerksamkeit auf dem Dolch in seiner Hand ruhte. „Ich hätte dir das gar nicht zugetraut“, sagte sie trocken.

Bakura lachte. Es war so simpel. Es war so schrecklich einfallslos, dass es schon traurig war. „Natürlich nicht!“, stimmte er ihr fies grinsend zu, doch dann verfinsterte sich sein Ausdruck abermals. „Hast du wirklich geglaubt, du könntest den König der Räuber – einen Meisterdieb! - bestehlen?“ Er schritt weiter auf sie zu, legte seine Finger fast zärtlich um den Griff der Waffe in seiner Hand, ehe er mit der anderen Hand nach ihrem Arm griff, zupackte und sie an sich zog. Es dauerte nur Sekunden und die Klinge drückte gegen Adalias Hals. Er konnte das Blut in ihren Adern förmlich pochen sehen. Mit der nun freien Hand strich er über ihr Haar, griff danach, zog daran, krallte dann seine Fingernägel in ihren Nacken. „Jetzt ist es auch egal, nicht wahr?“, hauchte er in ihr Ohr, das er sich an seine Lippen zog, „Ob ich es bemerkt habe oder nicht, macht jetzt keinen Unterschied mehr, oder?“ Er kannte die Antwort. Natürlich. Denn sie lag allein in seiner Hand. Nirgendwo sonst. Die erhoffte Überlegenheit konnte die Priesterin besser gleich vergessen, wenn sie nicht besonders lange leiden wollte. So gesehen hätte er eigentlich ihren Irrglauben unterstützen sollen, anstatt ihn zu zerschlagen. Aber war es, wie es war. Es war egal. Es hatte keine Bedeutung. „Du bist mein… du entkommst mir nicht!“, fauchte er und war dabei so ungehalten, dass er kaum wusste, wie er sich zurückhalten sollte.

Die Gänsehaut auf ihrem Körper war wie eine Belohnung für ihn, eine eisige Bestätigung für seinen finsteren Willen, der den Ihren brechen sollte. Der Dolch an ihrem Hals schien die Priesterin nervös zu machen. Sie versuchte sich von Bakura weg zu drücken, doch gelingen konnte es ihr nicht, dazu musste sie viel zu vorsichtig sein. „Natürlich werde ich dir entkommen“, erwiderte sie dennoch, „Und das weißt du auch.“

„Nein, das wirst du nicht“, widersprach er, strich ihr Haar mit seiner Nase zurück, biss in ihr Ohr, wodurch sie schmerzerfüllt zusammenzuckte. Dadurch bohrten sich allerdings auch seine Nägel tiefer in ihre Haut und mit der Klinge schnitt er zunehmend tiefer, bis das Metall in ihrem Blut getränkt war. „Du hast dir das selbst zu verschulden“, klärte er sie sachlich auf, „Hättest du den Auftrag ausgeführt, würdest du jetzt noch ein schönes Leben haben. So schön, wie das Leben im Krieg eben sein kann“, er grinste fies. Nun jedoch, nun würde sie seine Sklavin werden, jetzt und für alle Zeiten. Und es war allein ihre Schuld. Voller Genuss legte er seine Lippen an ihren Hals und kostete von ihrem Blut. Der Saft, der Leben verhieß. Das Leben, das er nun zu beherrschen gedachte.
 

„LASS MICH LOS!“

Adalia biss sich auf die Lippe. Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien, doch diesen Triumph durfte sie ihm einfach nicht geben. Nicht jetzt. Nicht später. Niemals würde er sie dazu bringen. Es stand allein in ihrer Macht, ihre Gefühle und ihre Abscheu im Zaum zu halten und nicht die Nerven zu verlieren. Deshalb war sie die Beste. Deshalb war sie es schon immer gewesen. Er war so schrecklich abstoßend, so unglaublich widerlich, und nur jemand wie er konnte Gefallen hieran finden. Der Schnitt an ihrem Hals brannte, doch wesentlich störender war der Druck in ihrem Nacken. Die dreckigen Nägel, die ihre Haut besudelten und nicht von ihr abließen – es war einfach nur abscheulich. Doch sie wollte es nicht auf sich sitzen lassen. Sie war nicht soweit gekommen, um nun gegen ihn zu verlieren, sie war nicht all die Wege gegangen, die sie ihrem Ziel hatten näher bringen sollen, die sie ihm so nahe gebracht hatten, nur um vom ihm aufgehalten zu werden. Es war lachhaft, wenn er wirklich daran glaubte. „DU HAST DOCH GEWUSST, DASS ICH ES NICHT MACHEN WÜRDE!“, brüllte sie ihn an, ihr Hass trieb sie an, feuerte sie an und sorgte dafür, dass sie nicht nachgab. Nicht nachgeben konnte. Er würde sie schon noch kennenlernen... Niemand sollte sie unterschätzen. Das würde auch er noch verstehen. Schon bald. Schon bald würde er erkennen müssen, dass auch jemandem wie ihm natürliche Schranken gesetzt waren, allein dadurch, dass es jemanden gab, der mächtiger war. Mächtig waren immer jene, die unterschätzt wurden, denn sie besaßen Kräfte, die die Feinde nicht verstanden. Das würde auch er schon noch herausfinden... Ein weiteres Mal biss die Priesterin auf ihre Lippe.

Den Dolch hatte Bakura in der Zwischenzeit verschwinden lassen, doch seine Hand lag noch immer an ihrem Hals. Er drehte sie um, zwang sie damit direkt in seine Arme und legte einen Finger auf ihre Lippen. „Na, na, Liebes“, hauchte ihr ins Gesicht, er war ihr nahe, viel zu nahe und er grinste bedrohlich, „Schreie niemals deinen Meister an.“ Es war ein Befehl, das stand ganz außer Frage. Wütend sorgte er dafür, dass sie sich nicht losreißen konnte, ungehalten strafte er sie für ihre Hartnäckigkeit.

„MEINEN MEISTER?!“, schrie Adalia ihn wiederum an, alles andere als überzeugt davon und ebenso unwillig wie widerspenstig. Die Augen waren zu Schlitzen verengt, ihr Blick nicht weniger tödlich als sein eigener. Als sie seinen Finger auf ihrem Mund spürte, biss sie augenblicklich hinein, ignorierte den Geschmack nach Schweiß und Dreck. „Du wirst mich niemals beherrschen!“, rief sie, hysterisch lachend. Seine Nähe war grausam und doch hatte sie einen gewissen Reiz. Niemals hatte sie sich einer größeren Probe zu stellen gehabt, niemals zuvor einer größeren Herausforderung. Sollte er ruhig glauben, was er wollte, sollte er ruhig davon überzeugt sein, IHREN Willen konnte er auf gar keinen Fall brechen, da musste sie ihn enttäuschen, bitter seinen Wunschtraum auslöschen.

Da war Blut an seinem Finger. Sie musste tatsächlich fest genug zugebissen haben, stellte sie mit wilder Genugtuung fest und auch ihm konnte es nicht verborgen bleiben. Waren sie nun quitt? Sein Blut für Ihres? Nein. So leicht ging das nicht.

Gewaltsam griff Bakura erst nach ihren Haaren, riss daran, dann nach ihren Schultern und stieß sie grob von sich weg, sodass sie zu Boden fiel.

„VERDAMMTES MISTSTÜCK!“, fauchte er und wischte das restliche Blut an seiner Kleidung ab, jenes Blut, das nun nicht an ihrer Kopfhaut klebte. Doch Adalia war es egal. Egal, wie oft er sie mit seinem Blut beschmutzen wollte, egal, wie oft er sie von sich stoßen wollte, egal, wie lange dieses Spiel dauern sollte. Sie hatte alle Zeit der Welt. Je länger sie ihn hier aufhalten konnte, desto näher rückte der Moment, da Seth siegreich zu ihr zurückkehren würde und wenn sie ihm erst den König der Räuber – und noch dazu den Vater von Mana – auf dem Silbertablett präsentieren könnte, dann würde er sie mit Sicherheit königlich belohnen und diese Ehre meinte sie wörtlich.

Viele ihrer Verletzungen waren wieder aufgerissen durch die unsanfte Behandlung, doch auch das kümmerte sie nicht. Es war nicht von Belang. Das Blut, das bereits an einigen Stellen ihrer Haut langsam nach außen sickerte, hatte für sie keine Bedeutung mehr – zu oft war sie in letzter Zeit verletzt worden, als dass es sie noch schockieren konnte. Es war schon fast etwas normales, gewöhnlich und damit uninteressant.

Und dann war es still zwischen ihnen. Die Stille vor dem Sturm, die Stille vor der Entscheidung. Adalia erhob sich elegant vom Boden, trat majestätisch auf den Dieb zu, der jedoch keinen Millimeter zurückwich. Ihr Blick war gesenkt, ihre Augen fast geschlossen. Die Aura, die sie umgab, knisterte förmlich, erfüllte den Raum.

Und Adalia lächelte. Nie war sie schöner gewesen, als in diesem Moment, niemals anmutiger. Eine Königin, strahlend im letzten Licht der Sonne, die ihrem Feind entschlossen entgegen trat, nur zu dem einen Zweck: Sie wollte ihn vernichten. Ihre Magie war entfesselt, alles, was sie jemals gelernt hatte, jede Erfahrung, jedes Erlebnis. All die Dinge, die sie stark gemacht hatten. Sie setzte alles gegen Bakura, der sich dadurch allerdings nicht einschüchtern ließ.

„Ich sagte dir schon einmal“, sprach sie leise und würdevoll, bevor ihre Augen plötzlich ihr Ziel fanden und ihn mit eisigem Blick fixierten, „UNTERSCHÄTZE MICH NIEMALS!“

Und der Blitz, der zwischen ihnen niederging, hätte mehr schmelzen können, als nur den Sand der Wüste. Wesentlich mehr.

Rache

Er tötete nur nebenbei. Ägypter, Libyer, Feinde, Verbündete. Es bedeutete ihm nichts und es kümmerte ihn auch nicht, dass kaum einer wirklich wagte, ihn anzugreifen. Die ägyptischen Truppen schienen intelligenter zu sein, als ihr Heerführer, doch das allein konnte sie nicht retten. Es gab nichts, das sie noch retten konnte und Cyrus wusste, dass es ihnen langsam dämmerte. Die Finsternis, die sein Nebel aufrecht erhielt, ließ die Verzweiflung in ihren Herzen aufleben, ließ den Mut erlöschen. Und sie konnten nichts dagegen tun.
 

Die Ägypter niederzustechen war eine Genugtuung, die er sich nicht entgehen lassen durfte, selbst wenn sie nicht sein eigentliches Vergnügen darstellte. Dass die Männer, die nun durch seine Hand sterben mussten, ursprünglich auf seiner Seite standen oder besser: er auf ihrer Seite, das war ihm völlig egal. Er fand den Reiz in der Grausamkeit, in den entsetzten Gesichtern der Männer, die in ihm einen Priester des ägyptischen Königreiches zu erkennen glaubten. Ein Priester, der nur noch für den Verrat und für seine Rache lebte und der Gefallen am Leid der anderen fand. Angsterfüllte Augen, die seine Überlegenheit demonstrierten und bestätigten – das war genau das, was er gemeinsam mit Karim immer gesucht und selbstverständlich auch gefunden hatte. Wer zweifelte schon an der Loyalität der Priester? Als Priester genoss man die Privilegien, man wurde bevorzugt behandelt, ohne viel dafür tun zu müssen und – und das war das Beste daran – man hatte freien Zugang zu fast jedem Raum oder Gemach. Ein Privileg, das sie mehr als einmal zu nutzen gewusst hatten.

Und nun, in diesem Krieg, den nur er allein wieder angefacht hatte, bekam er die Genugtuung auf wesentlich subtilerer Weise. Es war viel einfacher, nun, da er nicht mehr darauf zu achten hatte, unauffällig zu bleiben, es war so viel befriedigender, nun, da der Verrat offenkundig war. Jeder einzelne Mann, der durch seine Hand starb, jede Frau und jedes Kind, war eine persönliche Bereicherung für ihn, doch die Krönung stand ihm erst noch bevor. Der Palast war zum Greifen nahe, seine Mauern erschienen alt und morsch, nun, da er sich nicht mehr auf deren Sicherheit verließ. Mit dem libyschen Heer hinter sich, konnte er jede Mauer überwinden, selbst wenn sie danach vor Angst fliehen würden. Letztendlich war es egal. Er hatte nur ein einziges Ziel, nur ein einziger Mann, der ihm seinen Wunsch nach Rache erfüllen konnte. Und dieser Mann kam freundlicher Weise gerade auf ihn zugeritten.
 

Sie hatte ihm nur noch hinterher sehen können. Ihr blieb nun nichts anderes mehr übrig, als ihn gehen zu lassen. Und auch als er längst verschwunden war, konnte Meira ihren Blick nicht von der Stelle lösen, an der ihr Bruder eben noch gestanden hatte. Akim. Ihr Bruder Akim. Sie lächelte. Zwar war er nun gegangen, doch sie würde ihn schon bald wieder sehen. Noch einmal sehen. Die Rothaarige strich ihr Haar gedankenverloren hinter ihr Ohr, dennoch blies der Wind es ihr zurück ins Gesicht. „Wir sehen uns bald wieder...“, murmelte sie. Sie hatte nur noch eine einzige Hoffnung für ihn. Nur noch die eine. „Mein Bruder... erfülle dir deine Wünsche...“
 

Wen hatten sie denn da? Shada konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, darauf hatte er die ganze Zeit gewartet, darauf hin gearbeitet, darauf sich gefreut. Seth in der Menge zu erkennen, war eine Kleinigkeit gewesen, er war wirklich auffällig, imposant – und lächerlich. Wie einfältig er sich vor ihm aufbaute, die Härte in seinen Gesichtszügen und sein Hass, der ihn verblendete, war gerade zu niedlich, einfallslos.

Shada sah sich leicht um, nur um ihn zu reizen. „Ich bin lange nicht hier gewesen...“, sagte er finster, doch kein Bedauern lag in seiner Stimme, „Ich könnte mir aber vorstellen, wieder einzuziehen. Genug Zimmer werden ja frei hier im Palast.“ Er hauchte seine Worte voller Hohn, doch die Härte konnte er nicht verbergen. Eines der Zimmer, die frei wurden, hatte Karim gehört. Deshalb war er nun hier. Deshalb war er nun allein. Dieser Mann, dem alle zujubelten – er musste sterben. Hier und heute, es durfte keinen weiteren Aufschub geben. Zu lange schon hatte er sich ihnen in den Weg gestellt, zu lange schon hatten er und seine erbärmliche, kleine Freundin ihn bis an den Rand des Wahnsinns gereizt. „Dieses Mal stehen deine Chancen bedauernswert schlecht, kleiner Hohepriester!“, rief er ihm entgegen, spie die Worte förmlich heraus. Erst kurz bevor er direkt vor ihm war, brachte er sein Pferd zum Halten. Alles andere war egal. Die Kämpfe um sie herum hatten keine Bedeutung mehr, sinnlos und unwichtig, das Blut, das vergossen wurde, der Betrachtung nicht wert. Und dann lächelte er ihn an, wohlwissend, welche Folgen seine Worte haben würden, haben mussten: „Aber nicht nur deine Chancen stehen schlecht. Deine kleine Hure wird auch bluten müssen!“

Seths Reaktion war gerade zu berechenbar einfach vorherzusehen. Er hatte niemals anders reagiert, war praktisch steuerbar durch seinen Hass. Es war traurig. Wirklich traurig. Dass ein solch einfach gestrickter Mann ein solch hohes Amt bekleidete, dass ihm solch ein Respekt gezollt wurde, passte einfach nicht zu seiner Berechenbarkeit. Doch wozu sollte er sich Gedanken machen? Es war ohnehin fast vorbei. Beim letzten Mal hatte er Glück gehabt. Mehr Glück als er verdiente, mehr Glück, als er ihm gönnte, doch er hatte Glück gehabt. Nur Glück allein hatte dafür gesorgt, dass der Pfeil sein Ziel verfehlte. Shada bereute es immer noch. Es war allein seine Schuld, dass Seth nun noch am Leben war, doch er war hier um diesen Fehler wiedergutzumachen. Dieses Mal würde das Glück ihn nicht schützen, dieses Mal war es nicht der Zufall allein, der über Sieg oder Niederlage entschied.

Seths Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war vollkommen klar, dass er ihn bei jedem einzelnen Wort am liebsten auf der Stelle zerrissen hätte und es war auch vollkommen klar, dass es ihn sehr viel Stärke kostete, nicht sofort Hals über Kopf auf ihn los zugehen. Sollte er es ihm anrechnen?

„Schon einmal darüber nachgedacht, weshalb dein Freund gestorben ist?!“, zischte der Brünette ungehalten und voller Wut, „Er hat mich herausgefordert! Und du bist nicht klüger, nicht besser... Alles was du tust, ist seine Fehler wiederholen...“

Nein, er sollte es ihm definitiv nicht anrechnen. Der Mann, der ihm gegenüberstand, konnte sich kaum zügeln. Shada musste damit rechnen, jederzeit angegriffen zu werden. Immer aufmerksam, immer wachsam, niemals nachsichtig. Doch er konnte ihn nicht überraschen. Nicht jetzt und nicht später. Niemals.

„Der Einzige, der bluten wird, bist DU!“, brüllte Seth und im nächsten Moment war der Millenniumsstab schon auf ihn gerichtet.
 

Er lächelte. Nun wurde es erst wirklich interessant. Shada und Seth waren aufeinander getroffen, standen sich gegenüber und ihre Absichten waren mehr als deutlich. Dies war die Zeit, da Cyrus sich aus dem Kampf zurückzog. Es war nun von größerer Bedeutung, dass er Shada unter Beobachtung behielt. Der Nebelherrscher glaubte nicht im Mindesten daran, dass er sich an ihre Abmachung zu halten gedachte. Er an seiner Stelle hätte es nicht gemacht, doch Naivität war hier nicht angebracht. Er sollte es nur nicht wagen, ihn zu betrügen...
 

Sein Angriff war gezielt und mächtig gewesen. Für die Schlacht war nun keine Zeit mehr. Sollten sich andere darum kümmern, dies war der Ort, wo er zu sein hatte. Seine eigene Schlacht. Sein persönlicher Krieg. Wer sich in diesen Krieg einmischte, der hatte einfach Pech gehabt. Namenlose Opfer, die lediglich am falschen Ort gestanden hatten – die es nicht geschafft hatten, auszuweichen. Der Pharao von Ägypten konnte es sich nicht leisten, unaufmerksam zu sein. Er musste sich einhundert prozentig konzentrieren, ein einziger Fehler wäre nicht nur fatal, sondern eine Katastrophe für ihn und das ganze Land. Und für Mana. Er durfte hier nicht versagen. Er musste sie nun verteidigen. Das Mädchen, das er längst verloren hatte... Er verlangte nach Rache. Für sie. Für sich. Für das Volk. Und für Atemu. Die Gefahr, dass er den Kopf verlor, war entschieden zu groß, als dass er es einfach so hätte hinnehmen können. Er war ein Mann der Tat, bekannt und gefürchtet für seine eiskalte Art mit seinen Gegnern zu spielen und sie zu demütigen. Taktik und Strategie hatten ihn zu einem ungeschlagenen Heerführer werden lassen, doch weder Taktik noch Strategie konnte er jetzt abrufen. Dieser Kampf wurde nur aus Hass geführt, nur aus Rache und Vergeltung, die weder Sinn noch Verstand hatte, und die doch ein eindeutiges Ziel verfolgte. Der Feind musste sterben, ausgelöscht bis auf den letzten Mann und anfangen würde er mit diesem hier. Er, der seine ganze Wut auf sich zog, er, der er alles zerstört hatte.

Shada wurde zu Boden gerissen. Ein fluchender Aufschrei verkündete seinen Zorn, als sein Pferd scheute und in der Menge verschwand. Der Kahlköpfige war zwischen einigen leblosen Körpern gelandet und aschfahl. Doch keine Angst trieb ihm die Blässe ins Gesicht, nein, es war der reine Hass, der aus seinen Augen loderte und nur noch einen Willen verfolgte. Er erhob sich, zog sein Schwert. Seth konnte jede seiner Bewegungen ausmachen und er kam nicht darum herum, sich über die Klarheit seiner Absichten lustig zu machen. Seine Worte ärgerten den ehemaligen Priester über alle Maßen und das war genau das, was Seth wollte. Er wollte ihn provozieren, er wollte seinen Hass anfeuern, wollte, dass er blind vor Wut einfach nur noch angriff. Und er hatte ihn bald soweit, hatte ihn bald dazu gebracht, seinen Verstand vollständig zu ignorieren. Schon bald würde er den Punkt erreicht haben, an dem er nur noch verlieren konnte.

„Ich wiederhole seine Fehler?!“, wiederholte Shada seine Aussage spöttisch und voller Kälte in der Stimme, es schien ihn überhaupt nicht zu interessieren, dass er ihm ohne Reittier weit unterlegen war. „Nein!“, fuhr er fort, „Ich führe das weiter, was er angefangen hat, bevor er von DIR getötet wurde!“ Er spie ihm die Worte entgegen. Worte, die eine ermutigende Wirkung auf den Brünetten hatten, sie bestärkten ihn. Durch den Verlust seines grausigen Freundes war Shada angreifbar geworden und er stellte seine Naivität bereitwillig zur Schau durch seine lächerliche Vorstellung. „Wieso sollte ich dich noch am Leben lassen?!“, brüllte der Kleinere, und überschätzte dabei seine aktuelle Position maßlos, „Ich habe einmal versagt, dich zu töten – oder töten zu lassen. Nur durch einen Unfall bist du diesem Pfeil entkommen!“ Die Wut machte Shada rasend.

Und Seth stockte. Sicher war das eine Information, die er ihm nicht hatte geben wollen. Unweigerlich legte sich ein Lächeln auf seine kalten Lippen, doch seine Augen erreichte es nicht, da war kein ehrliches Gefühl, nur Hohn. Er hatte also versagt ihn zu töten? Und das Lächeln wurde breiter. „Dann hast du Schuld an seinem Tod!“ Dann war es seine Schuld, dass Karim überhaupt sterben musste... Ein einziger Blick in des Feindes Gesicht sagte ihm, dass er mit seiner Behauptung genau ins Schwarze getroffen hatte. Wenn Shada tatsächlich verhindert hatte, dass dieser Pfeil ihn traf, dann musste es ihm zwangsläufig ein Dorn im Auge sein. Dann musste es ihn peinigen bis in seine Alpträume hinein und sein größter Alptraum stand in diesem Moment vor ihm.

„DU MONSTER!“, rief Shada, doch Seth beeindruckte er damit nicht sonderlich. Es war mehr als deutlich, dass ihre Definition von 'Monster' doch sehr weit auseinander gingen. Doch Karims Tod bereute der Pharao in keinster Weise. Im Gegenteil. Viel eher schon hätte er eintreten müssen, vielleicht wäre das Schlimmste dann niemals geschehen. Doch er hatte keine Zeit nun seinen Gedanken nachzuhängen.

Shada hatte sich einen Speer gegriffen, der in der Brust eines gefallenen, ägyptischen Kriegers gesteckt hatte, und mit diesem Speer zielte er auf das Pferd. Es hatte keine Chance. Mit dem gefährlichen Metall im Körper brach das Tier zusammen – es war auf der Stelle tot. „Nun stehen die Chancen wieder gleich!“, stellte er sachlich fest.

Seth hatte keine Zeit zu überlegen. Er schaffte es gerade noch von dem sterbenden Pferd zu springen, bevor es ihn unter sich begraben konnte, als er sich schon Shada gegenüber sah, der in beiden Händen jeweils ein Schwert hielt, das auf ihn gerichtet war. Eine einzige Sekunde, in der die Aufmerksamkeit nicht allein auf seinem Gegner gelegen hatte... Der Kahlköpfige grinste finster. „Dein Stolz erlaubt es dir wahrscheinlich nicht zu schreien...“, sagte er mit künstlichem Bedauern, „Schade eigentlich. Zu gern hätte ich gehört, wie du um dein Leben schreist und ich hätte gern gewusst, ob du SIE dabei übertriffst!“

Seths Eingeweide zogen sich zusammen.

„Aber glaube mir, dieses Mal darfst du von ganz oben zuschauen, wie diese schreckliche HURE und SKLAVENTOCHTER um ihr Leben schreit!“

Wie konnte er es nur wagen...

„Schade nur, dass es ihr nichts bringen wird...“ Und sein Lächeln verfestigte sich.

„Schade in der Tat...“, sagte Seth und seine Stimme war ruhig. Sehr ruhig. Ruhig und berechnend. Der Verlust seines Pferdes war nur ein geringeres Übel. Im Grunde war es ihm lieber so, auch wenn es schade war um das stolze Tier, das nun geschlagen am Boden lag. Es hatte ihm stets treue Dienste geleistet. Doch dieser Umstand ermöglichte ihm, aktiv in den Kampf einzutreten, das Schwert zu ergreifen und sich zu verteidigen. Und zu kämpfen. Und auch zwei gezogene Schwerter waren nicht gefährlicher als die Person, die sie führte. Mit einem geschickten Streich seiner eigenen Waffe, drehte Seth sich aus der Gefahrenzone heraus, schlug kräftig auf die Handgelenke des Anderen und legte ihm schließlich in unglaublicher Geschwindigkeit seine Klinge an die Kehle. „Leider kann ich dich nur einmal töten!“, hauchte er ihm fast ins Ohr, gehässig und leise, „Das Vergnügen hätte ich gern öfter!“ Es waren keine leeren Worte. Es war genau das, was er empfand. Am liebsten hätte er ihn gefoltert, er wollte ihn Schmerzen spüren lassen, die er nie zuvor gespürt hatte, die ihn langsam von innen heraus zerstörten und selbst das erschien ihm viel zu freundlich. Doch er konnte sich nicht darauf einlassen. Er musste sich jetzt zurückhalten um nicht den Überblick und damit den Vorteil zu verlieren. Die Worte 'Hure' und 'Sklaventochter' erleichterten es ihm nicht, bei Verstand zu bleiben. Allein die Tatsache, dass er es wagte, so über Mana zu reden, bestätigte, dass er den Tod verdient hatte. Und er sollte ihn kriegen! „DAFÜR WIRST DU BEZAHLEN!“
 

Er ließ ihn nicht aus den Augen. Es war nicht überraschend. Niemals hatte Cyrus ernsthaft daran geglaubt, dass Shada sich an die Abmachung halten würde. Niemals, nicht einmal eine einzige Sekunde lang hatte er sich der falschen Sicherheit hingegeben, die ihr Abkommen geboten hatte. Und, wenn er ehrlich war zu sich selbst, dann war es ihm nur recht. Auf diese Art und Weise machte es wesentlich mehr Spaß.

Er war den verbitterten Gegnern näher, als sie glaubten. Keiner von Beiden hatte bisher seine direkte Anwesenheit wahrgenommen, doch er konnte jedes Wort verstehen, das gewechselt wurde. Sie amüsierten ihn. Es hatte etwas, ihnen in ihren lächerlichen Konkurrenzkämpfen dabei zuzusehen, wie sie versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen. Es war um Längen interessanter, als die Kämpfe um sie herum, für die er keine Aufmerksamkeit mehr übrig hatte. Nur Spielereien, nur Kindereien, die bedauerlicher Weise in den meisten Fällen tödlich endeten. Es verlief alles genau nach Plan. Sie konnten nur verlieren.
 

Es war ein Balanceakt, doch er gelang. Mit seinem eigenen, gestohlenen Schwert, gelang es Shada, die Klinge, die gegen seinen Hals drücke, von sich wegzureißen und nun seinerseits wieder zum Gegenschlag anzusetzen. Er wirbelte herum, tat einen Schritt zur Seite, immer gefolgt von Seth, der jeden seiner Angriffe gekonnt parierte. Es gefiel ihm wahnsinnig gut, dass der Brünette so hervorragend auf seine Worte reagierte, es war wie eine Belohnung für ihn und für seine Dienste.

„Was hast du denn?“, fragte Shada spöttisch, „Ist sie etwa etwas anderes?!“ Und er wusste genau, dass auch Seth wusste, dass er recht hatte. Genau aus diesem Grund, regte er sich so auf. Deswegen traf es ihn so tief, dass er fast die Fassung verlor. Und er wurde immer lauter. „Wie SCHWACH du bist, dass du immer noch so an ihr hängst!“, höhnte er, „Sie ist befleckt. Und wir haben es genossen!“ Er lachte auf. „Ihre Schreie, der Blick, der immer leerer wurde und die verzweifelten Rufe nach dir!“ Er genoss das Entsetzten, dass seine Worte auslösten, „'Seth!'“, bellte er und machte Mana auf erschreckend realistische Art und Weise nach, nur um Seth zu provozieren. Und es gelang ihm. Es war auch Karim gelungen, durch Provokation seinen Zorn herauszufordern. Deshalb war er gestorben. Doch er war nicht hier, um die Fehler zu wiederholen. Er war hier, weil er das zuende bringen wollte, was Karim begonnen hatte. Und Seth würde bereuen... „Sie wird die Qualen mindestens noch einmal durchleben, bevor ich sie zu dir schicke!“ Es war ein Versprechen. Ein Versprechen, das von ihm keine Opfer forderte. Ein Versprechen, das Mana früher oder später in den Tod schicken sollte. Doch sie konnte warten. Sie war hilflos, sie war schwach. Sie sollte ihm gehören, als Preis für Karim würde er sie zu seinem persönlichen Eigentum machen. Wenn der Priester erst aus dem Weg geräumt war... „STIRB, FÜR DAS, WAS DU GETAN HAST!“, rief er zornig und wollte zu stechen, doch auch Seth stand nicht still.

Jedes einzelne Wort fachte seinen Durst nach Rache weiter an. „DU WIRST SIE NICHT NOCH EINMAL ANRÜHREN!“, brüllte er außer sich, griff mit der linken Hand fester um den Griff seines Schwertes. Die eigentliche Waffe jedoch lag in seiner rechten Hand: der Millenniumsstab. Bereit, den kommenden Angriff abzuwehren, merkte Seth nicht sofort, dass etwas nicht stimmte.

Auch Shada erkannte es erst, als es schon zu spät war. Es war, als wäre die Zeit plötzlich stehen geblieben, eingefroren und starr. Willkürlich festgesetzt, nicht fließend und gleichmäßig. Ein einziger Blick in Seths Gesicht reichte aus, um Shada zu sagen, dass dieser genauso wenig verstand, was hier vor sich ging, wie er.

Allianz?

Das Schlachtfeld konnte sie mit ihren Augen gut überblicken – das war wohl der einzige Vorteil, den ihr ihre zweifelhafte Position auf dem Dach einbrachte. Sie konnte sehen, was geschah. Und sie musste es selbst tun. Sie hatte gehofft, dass der weiße Drache diese Aufgabe für sie übernehmen würde, hatte sich darauf verlassen – doch unter dem Nebel war das mächtige Ungeheuer unbrauchbar. Sie konnte ihn nicht lenken, konnte die Verbindung zu ihm nicht aufrecht erhalten. Sie konnte nicht dafür sorgen, dass er ihr Geschick in diesem Krieg in die richtige Richtung lenkte. Sie konnte wieder nichts tun als zuzusehen.

Und dann erblickte sie Shada in der Menge. Er stand ganz in der Nähe von Seth, viel zu dicht war er ihm und sie war fassungslos. Fassungslos ihn hier zu sehen, fassungslos, dass er es wagte, noch einmal hier aufzutauchen. Mit den libyschen Truppen. Erschrocken schlug die Weißhaarige ihre Hände vor den Mund. Das sah wirklich alles andere als gut aus. Sie kannte Seth genau, er würde bis zum letzten kämpfen, wenn es sein musste, und sie konnte es ihm nicht verdenken. Nachdem, was er ihr erzählt hatte, juckte es ihr gehörig in den Fingern, selbst gegen ihn vorzugehen. Sie konnte ihm seine Taten niemals verzeihen. Zwar hatte Mana ihr vieles genommen, doch das rechtfertigte es nicht. Er hatte ihr weh getan. Und Seth dadurch ebenfalls. Und das war nicht zu verzeihen.

Kisara jedenfalls wusste, an welchem Ort ihre Aufmerksamkeit hängen blieb. Sie konnte nur hoffen, dass die sie umgebenden Kämpfer nicht plötzlich ihre Taktik änderten um in den Kampf ihrer beider Anführer einzugreifen. Sie selbst hätte es so gemacht, daher konnte der Gedanke nicht so abwegig sein. Allerdings wusste sie nicht, was Shada den Libyern gesagt hatte. Bei Seth ging sie davon aus – und das wurmte sie gewaltig – dass er jede Art der Einmischung untersagt hatte. Diese Rache wollte er sich von niemandem nehmen lassen. Das konnte sie verstehen. Doch Shada war kein Gegner, der auf Fairness setzte und genau darin bestand die Gefahr. Was, wenn sich nun noch jemand in ihren Kampf einbrachte? Seth war zwar mächtig, doch Hass vernebelte seinen Verstand und wie lange konnte er einer Übermacht standhalten?

Nein. Die Gefahr war zu groß. Sie musste ein Auge auf ihn gerichtet lassen, musste auf ihn achten. Ein kurzer Blick gen Himmel reichte aus, um den Drachen zurückkehren zu lassen. Zwar tat es weh, sich eingestehen zu müssen, dass er nutzlos war, doch genau das war er. Es kostete sie Kraft, die Verbindung aufrecht zu erhalten, besonders unter diesem schrecklichen Schleier aus Nebel und es brachte einfach keinen Vorteil. Wieder konnte sie nicht helfen...

Das Drachenmädchen atmete einmal tief durch, die Augen geschlossen und voller Selbstzweifel. Als sie ihre Augen wieder öffnete und versuchte einen erneuten Blick auf Seth zu erhaschen, stellte sie fest, dass sie sich von ihr entfernt hatten. Sie konnte kaum erkennen, was geschah – sehr zu ihrem Unmut. Entschlossen rutschte Kisara an den Rand des Daches, auf dem sie saß und warf einen Blick nach unten. Es sah gut aus. Der Platz vor der Hauswand unter ihr war ein guter Ort: Er war noch frei von Leichen und keine Kämpfe wurden dort ausgetragen. Etwas Müll lag in den Ecken, doch in einer Zeit wie dieser, war es ein freundlicher, heller Anblick, selbst für jemanden, der sonst im Palast lebte. Der Krieg veränderte jede Ansicht, Ansprüche auf Luxus verliefen sich und das Leben allein wurde zum kostbarsten Gut, das es zu verteidigen galt.

Geschickt ließ Kisara sich die Hauswand hinunter rutschen und landete gekonnt auf den Füßen. Sicherheitshalber blickte sie sich noch einmal um, ob auch wirklich niemand sie gesehen hatte und als sie ganz sicher war, dass keine Feinde in der Nähe waren, lächelte sie beruhigt. Jetzt musste es ihr nur noch gelingen, möglichst ungesehen dichter heran zu kommen an Seth und Shada.
 

Er konnte nur den Kopf schütteln. Nichts anderes fiel ihm dazu noch ein. War es nicht offensichtlich gewesen? War die Dummheit wirklich so allgegenwärtig? Ohne sich dessen bewusst zu sein, war er fassungslos. Wie konnten all diese Menschen nur glauben, dass sie damit Erfolg haben könnten? Dass sie damit überleben könnten? Wie konnten all diese Menschen nur so dumm sein?!

Die Auseinandersetzung zwischen dem ehemaligen Priester und dem neuen Pharao Ägyptens war nur für eine kurze Zeit amüsant gewesen. Sie hatte schnell ihren Reiz verloren und war in Eintönigkeit übergegangen. Letzten Endes mussten sie beide verlieren. Es gab überhaupt keine Alternative. Denn es konnte nur einen geben, der im Licht des Triumphs baden konnte: Und das würde er sein. Er ganz allein. Denn nur er hielt alle Trümpfe in der Hand.

Wie lange schon hatte Cyrus auf den Moment gewartet? Wie lange schon hatte er darauf hingearbeitet? Wie lange nur für diesen einen Augenblick alles aufs Spiel gesetzt? Er konnte sich das nicht zerstören lassen. Er konnte einfach nicht diesen Moment teilen, er musste ihn allein auskosten! Und niemand durfte sich einmischen, nicht jetzt. Hier und jetzt war er derjenige, der die Fäden zog. Es war traurig, wie leichtfertig die Würdenträger Ägyptens ihr Land dem Untergang weihten.

Doch es war nicht sein Problem. Die Spielregeln waren bekannt gewesen und jeder, der die Regeln übertrat, der musste die Konsequenzen spüren.

Der Angriff hätte tödlich sein müssen. Er hatte die nötige Kraft und die Wut in sich, um wirklich ernsthaft Schaden anrichten zu können. Doch leider richtete sich dieser Angriff gegen ein Ziel, das er nicht freigeben wollte, ein Ziel, das ihm allein gehörte. Shadas Angriff zu unterbinden, war eine Kleinigkeit für den Violetthaarigen, er musste sich nicht einmal dafür konzentrieren. Cyrus trat dicht hinter Shada, zog einen dichten Nebel um ihn, sodass dieser sich unweigerlich umdrehen musste. Pures Entsetzen und blanker Hass stand in seinen Augen, doch der Nebelherrscher interessierte sich nicht dafür.

„Hast du nicht etwas vergessen?“, fragte er und seine Stimme schnitt förmlich durch den Nebel. Um Seth kümmerte er sich nicht. Sollte der doch zusehen. Sollte er ihn ruhig verfluchen. Er konnte niemals an ihn herankommen. Der Nebel hielt ihn effektiv fern, ohne dass der Brünette irgendetwas daran hätte ändern können. Wieso also sollte er ihn beachten? Er würde ihm schon noch früh genug von seiner Zeit schenken. Seine Aufmerksamkeit nun galt einzig und allein demjenigen, der nicht in der Lage gewesen war, sein Wort zu halten, der es auch niemals hatte halten wollen. Er starrte ihm direkt in die Augen, ohne auch nur zu blinzeln ließ er seinen vor Zorn funkelten Blick auf dem Kahlköpfigen verharren. „Wir beide hatten eine andere ABMACHUNG!“ Unsanft erinnerte er ihn daran, eine andere Wahl hatte er nicht und eine andere Wahl wollte er auch gar nicht haben. Wenn Cyrus ehrlich zu sich selbst war, war dies genau das, worauf er gehofft hatte. Auf diese Weise konnte er sich beider nacheinander entledigen, ohne den Spaß in irgendeiner Weise teilen zu müssen. Und verdoppelte das nicht die Freude daran noch?
 

Erschrocken schrie Shada auf und wenn es nicht so unerwartet gewesen wäre, dann hätte Seth in diesem jämmerlichen Laut der Schwäche mehr Befriedigung gesehen. So jedoch verharrte er bewegungslos. Etwas war nicht richtig. Es fühlte sich an, als wäre die Welt um ihn herum erstarrt, die Zeit einfach stehen geblieben, und doch konnte er sehen, dass es anders war. Er konnte sehen, wie Cyrus sich Shada näherte, er konnte sehen, wie der Nebel sich dichter um ihn schloss, er konnte sehen, dass die Zeit nicht stehen geblieben war, doch er konnte nicht daran teilnehmen. Gefangen hinter einer Wand aus Nebel hatte er keine Möglichkeit sich zu bewegen, geschweige denn irgendwie in das Geschehen einzugreifen.

Und es machte ihn rasend.

Wieder war es der Nebel. Wieder diese Magie, die ihn schon damals so sehr fasziniert hatte. So sehr in seinen Bann gezogen, dass er die Sicherheit seines Landes dafür in Gefahr gebracht hatte. Wieder war es der Nebel, der sich in alles einmischte. Und wieder war er unterlegen.

Und es machte ihn rasend.

Shada versuchte sich dem Nebel zu entreißen. Versuchte zu entkommen und es wäre ein entzückender Anblick gewesen, wenn nicht Verstörung und Irrsinn überwogen hätten. Dass auch er sauer war, stand ganz außer Frage. „Ich weiß nicht, WAS DU MEINST!“, brüllte er dem Überlegenen zu, „LASS MICH SOFORT LOS!“ Er fauchte. Er schrie und er brüllte.

Und es machte ihn rasend.

ER sollte derjenige sein, der Shada das Entsetzen ins Gesicht trieb, ER allein und niemand sonst! IHM allein sollte das Vergnügen zuteil werden, den Widerling bluten zu lassen! Doch der Nebel hielt ihn gefangen, hüllte ihn fest in seinen Bann und er konnte ihm nicht entkommen.

Und es machte ihn rasend!

Cyrus ließ sich nicht beirren. „Du weißt es nicht?“, fragte er und grinste finster, „Ich helfe deinem Gedächtnis gern auf die Sprünge...“ Er sah aus, als hätte er die ganze Zeit auf nichts anderes gewartet. Seth konnte es gut verstehen, es ging ihm schließlich nicht anders, doch er gönnte es ihm nicht.

„Der Priester gehört mir!“, zischte Cyrus und Seth zuckte unweigerlich zusammen. Er war also Inhalt ihres Abkommens gewesen?! Sie standen also hier und diskutierten über IHN?!

Es machte ihn rasend!!!

„Du weißt das“, fuhr der Violetthaarige fort, „Und du hast es gewusst. Du wolltest dich mit widersetzen“, er lächelte grimmig, „Und du hast dich mir widersetzt.“ Der Nebel um Shada wurde immer dichter, das Lachen auf seinem Gesicht immer breiter. „Du wirst die Strafe bekommen, die deiner angemessen ist, du Ratte!“

Wie nur sollte er ihn aufhalten?! Er wollte ihm nicht das Leben retten, er fand sogar Gefallen daran, wie sehr Cyrus mit dem verhassten Priester spielte, doch ER wollte ihm den Rest geben! Er hatte es doch versprochen!

Es machte ihn rasend.

Wieso konnte er schon wieder nur zusehen? Wieso war da schon wieder dieser Nebel, der so viel mächtiger war als er? Wie nur sollte er denn das Versprechen einhalten, dass er Mana gegeben hatte? Er musste Shada selbst erledigen!

Es machte ihn rasend.

Eine Abmachung zwischen Cyrus und Shada. Das erklärte zumindest, weshalb die Libyer sich so schnell hatten sammeln können, und woher ihre Stärke kam. Es erklärte all die ungestellten Fragen. Eine unausgesprochene Allianz zwischen zwei Feinden, die nur Verderben zu bringen verhofften und sich genau deshalb vereint hatten.

Und doch hatten sie nur zweifelhaften Erfolg. Der Niedergang des ägyptischen Reiches stand nicht zwingend bevor, sie hatten noch Hoffnung. In der kurzen Zeit hatten sie die Feinde deutlich zurückgedrängt. Vielleicht lag es nur daran, dass die Anführer nicht bei der Sache waren, doch die Disziplin der ägyptischen Truppen war wesentlich besser als die der Libyschen. Wer auch immer das erwartet hätte...

Shadas Körper war inzwischen durch und durch von Nebel umgeben. Um ihn, an ihm, selbst in ihm und er konnte ihm nicht entkommen.

„Ewige Gefangenschaft...“, säuselte Cyrus vergnügt, „Ich habe es dir versprochen. Du wirst ewig leiden, wenn du die Abmachung brichst...“

Und dann war der Nebel überall und die Sicht verschwamm.
 

Sprachlos beobachtete die Weißhaarige das Geschehen. Seth, Shada, Cyrus. Bei Cyrus hatte für sie alles angefangen. Cyrus, der in der Wüste auf sie gewartet hatte, Cyrus und seine Schwester, die dafür gesorgt hatten, dass sie nicht mehr über ihre Taten hatte gebieten können. Der Nebel, der daran Schuld war, dass sie Mana angegriffen hatte – einst, vor scheinbar endlos langer Zeit.

Cyrus, der genau wusste, wie er sich um ihren Drachen zu kümmern hatte. Wenn Seth nur die Wahrheit gekannt hätte, bevor er sie aus seinem Herzen verbannt hatte... Vielleicht wäre dann alles anders geworden. Doch nun war Cyrus bei Seth. Und wieder war da der Nebel. Der Nebel, der ihr solche Angst machte. Er hielt ihn gefangen, sie konnte es spüren. Er hatte mit Shada gespielt, als wäre er nichts als ein lästiges Spielzeug, das nun nicht mehr gebraucht wurde. Vermutlich kam diese Bezeichnung der Wahrheit schon sehr nahe. Doch nun stand Seth diesem Mann gegenüber... Allein. Welche Garantie gab es, dass er ihn besiegen konnte? Dass er ihm gewachsen war?

Das Herz schlug Kisara bis zum Hals. Sie hatte Angst. Cyrus war mächtig und Seth war allein.

Sie versuchte noch einmal den Drachen zu rufen, doch sie schaffte es nicht. Der Nebel war zu stark, sie kam nicht dagegen an. Nicht einmal der Drache konnte ihm noch helfen...

Verzweifelt versuchte die junge Frau, sich zu Seth durchzukämpfen, doch sie musste immer wieder ausweichen, wurde dabei immer weiter von ihm weggedrängt. Was sollte sie nur tun?

Sie musste ihm doch helfen...
 

„VERDAMMT!“, fluchte Shada, als der Nebel von ihm Besitz ergriff. Die Schmerzen, die ihn nun durchzogen, konnte er nicht beschreiben. Die Schwerter fielen zu Boden, er konnte sie nicht mehr halten. Und dann wurde es dunkel. Ein Schatten vor seinen Augen, der die Lider ihm verschloss. Er musste es zugeben: Er hatte ihn unterschätzt.

„Karim...“, flüsterte er noch, und dann war er in der Ewigkeit des Nichts verschwunden, umgeben von Nebel, der das Schlachtfeld in weite Ferne rückte und seine Gedanken auf die endlose Reise in die Verbannung der Schatten schickte.

Wünsche

Die Libyer waren zurückgedrängt. Nicht besiegt, doch auch nicht überlegen. Es war wirklich kaum zu glauben. Die Übermacht, mit der Cyrus und Shada in dieses Land eingefallen waren, war beeindruckend gewesen – und totbringend. Doch sie waren nicht überlegen.

Es war wohl die größte Überraschung. Doch trotzdem. Welche Chance bestand noch für sie? Cyrus Wille war unverkennbar. Er hatte nicht vor, das Reich zu verschonen. Welchen Grund hätte er auch haben sollen? Er selbst konnte doch nur gewinnen. Reichtum, Macht, Anerkennung? Er tat alles für seine Familie. Seine Familie, die so lange auseinandergerissen gewesen war. Konnte er sie wirklich wieder vereinen? Konnten sie wirklich wieder so etwas werden? Eine Familie? Oder hatte dieses Wort längst an Bedeutung verloren?
 

In all dem Durcheinander konnte er doch eine Person ausmachen, deren Anwesenheit ihn verwirrte. Kisara schlich sich durch die Kämpfenden, zielstrebig irrte sie umher und suchte sich ihren Weg. Ein Weg, der sie unweigerlich immer näher heranbrachte an Seth.

Und wieder war es Seth. Wo nur lag die Faszination, die ihn ausmachte? Akim konnte es nicht verstehen. Es war ihm nicht einleuchtend. Sahen sie denn alle nicht, wie viel Blut an seinen Händen klebte? Wie viel Verantwortung er besser abgegeben hätte? Sahen sie denn alle nicht seine Fehler?

Der Jüngere verstand es beim besten Willen nicht. Wie er es auch drehte oder wendete – der einzige Pluspunkt, den er Seth zugestehen konnte, war die Tatsache, dass er ihn nicht getötet hatte, als er die Wahl gehabt hatte – und auch das war wohl nur aus Eigennutz so verlaufen. Worauf also stützte sich seine Herrschaft? Als Pharao über das Land zu regieren… Es war wirklich zweifelhaft. Konnte dieses Land so viel aushalten? Konnte das ägyptische Volk so viel ertragen?

Oder tat Cyrus richtig daran, es auszulöschen, bevor es zu spät war? Akim beschloss zu warten. Abzuwarten und den Lauf der Dinge zu beobachten. Blieb ihm etwas anderes übrig?

Ja. In der Tat gab es Möglichkeiten für ihn zu handeln. Doch er zog es vor, die Entwicklungen auf sich zukommen zu lassen. Denn für wen hätte er kämpfen sollen? Für Cyrus? Gar für Seth?

Dieser Kampf war nicht der Seinige. Was mit dem Land geschehen sollte, war ihm egal. Ob sein Bruder seine Hilfe brauchte? Vermutlich nicht.

Er hatte also Zeit. Die Auseinandersetzung zwischen Seth und Cyrus war bei weitem der interessanteste Kampf. Und auch wenn die libyschen Truppen ein weiteres Mal nicht stark genug waren um einen Sieg auf dem Schlachtfeld zu erringen, war der Krieg dennoch noch nicht entschieden. Solange Seth atmete, würden die ägyptischen Männer kämpfen. Es gab also nur eine Möglichkeit, dieses sinnlose Blutvergießen zu beenden.

Durch Blut.

Das Blut des ehemaligen Hohepriesters.

Das Blut des Pharaos.

Es war ein kostbares Gut und gleichzeitig die mächtigste Waffe, die den Libyern zur Verfügung stand.
 

Mana lief. Lief und lief. Und sie wusste nicht wohin. Sie wusste überhaupt nichts. Einfach gar nichts. Sie wusste nicht, wer sie war. Sie wusste nicht, wo sie war. Sie wusste nicht, weshalb sie hier war. Sie wusste nicht, was das alles bedeutete. Sie wusste nicht, weshalb es so dunkelt war. Sie wusste nichts mehr von dem, was Adalia ihr erklärt hatte. Es war einfach weg. Sie wusste nur, dass sie lief. Sie wusste nicht wieso und sie wusste nicht wohin.

Sie wollte nur raus. Nach draußen. Wo Seth war. Weg von Bakura.

Sein Lachen war grausam gewesen. Sie hatte einen eisigen Schauer in sich gespürt und sie konnte es nicht deuten. Sie wusste nicht, was es gewesen war. Sie wusste nicht, weshalb er gelacht hatte.

Und Adalia?! Was war nun mit ihr? Auch das wusste Mana nicht. Sie wusste auch nicht, ob sie es wissen wollte. Das war so verwirrend. Es war alles durcheinander und nichts machte mehr Sinn.

Adalia würde es bestimmt gut gehen. Sie würde es schaffen. Sie war doch stark! Sie war doch mächtig! Sie wusste bestimmt, was sie tun musste. Ein Teil in ihr, den sie nicht kontrollieren konnte, drängte sie förmlich dazu, umzudrehen und der Priesterin zu helfen. Adalia war doch ihre Freundin! Musste sie denn nicht auch auf sie aufpassen?

Doch ein anderer Teil – und dieser war weitaus größer – ließ sie einfach nur laufen. Weg von Adalia, weg von Bakura. Ihrem Vater…?!

Es war egal. Sie musste weg, einfach nur weg! Und das so schnell wie möglich. Es tat weh. Jeder einzelne Schritt tat so schrecklich weh, aber sie konnte nicht langsamer werden. Wenn sie jetzt stehen blieb, dann würde sie nie wieder loslaufen. Mana war sich sicher. Sie konnte nicht anhalten.

Sie musste laufen. Laufen, bis sie bei Seth war.

Er würde sie beschützend. Er würde auf sie aufpassen! Und wann wäre alles gut… Sie schluchzte. Es nahm ihr die Luft zum Atmen, doch sie konnte sich nicht beruhigen. So sehr sie auch nach Luft schnappte, es wurde immer nur noch schlimmer.

Und es tat weh.

Aber sie musste weiterlaufen. Sie konnte kaum sehen, wohin sie lief. Die Tränen versperrten ihr die Sicht. Sie konnte sich nur auf das verlassen, was Adalia gesagt hatte: Seth musste draußen sen. Und sie biss sich auf die Lippe. Und sie lief weiter.

Wie konnte sie nach draußen kommen? Sie kannte den Weg nicht. Alles, was sie kannte, war der Weg in den Garten. Das war auch ‚draußen‘. Doch irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es das falsche ‚draußen‘ war. Das Haupttor des Palastes hatte sie nie passiert, soweit sie sich erinnern konnte. Die Wege waren alle fremd, alle unbekannt. Doch sie musste sie gehen. Sie musste es versuchen, musste IHN suchen. Sie musste den Palast verlassen, aus dem goldenen Käfig fliehen, der ihr Zuhause war. Und sie konnte niemanden fragen. Die Posten waren verlassen, der Palast war wie ausgestorben. Sie hatten alles stehen und liegen gelassen um in den Krieg zu ziehen, doch das konnte Mana nicht wissen.

Es gefiel ihr nicht. Es machte ihr Angst. Und sie konnte nicht aufhören zu schluchzen.

Wieso war niemand hier?! Sie hatte das Leben im Palast doch gemocht. Auch wenn sie so wenig wusste, so hatte sie sich doch besser gefühlt, wenn sie unter Leuten gewesen war. Sie war nie vielen begegnet, hatte nie mit vielen gesprochen. Jetzt konnte sie sie nicht einmal mehr sehen. Sie konnte nur rennen. Sie musste nur laufen.

Und sie weinte.

Und sie lief.
 

Die Luft war erfüllt von Schreien. Der Nebel erstickte nicht nur jedes Licht, sondern auch jede Hoffnung im Keim.

Cyrus hatte wirklich ganze Arbeit geleitet. Er verstand sein Handwerk und Akim hatte nicht eine Sekunde lang daran gezweifelt. Ganz im Gegenteil. Es hätte ihn maßlos enttäuscht, wenn es anders gewesen wäre.

Doch nicht nur Cyrus Magie war hier am Werk. Und die Stimmen im Nebel waren auch nicht nur ein Echo dessen, was unten auf dem Schlachtfeld geschah.

Cyrus konnte es nicht ahnen, denn er war den Kreaturen nie begegnet, doch in dem Nebel lauerte etwas Tödliches. Die Seelen von Kul Elna… Angetrieben von all der Zerstörung und all dem Leid labten sie sich an der Verzweiflung.

Akim war sich nicht einmal sicher, ob Bakura selbst von ihrer Anwesenheit hier wusste. Vermutlich hatten sie es einfach nicht geschafft, fern zu bleiben. Zu groß war der Wunsch nach Rache.

Und doch blieben sie friedlich. Sie mischten sich nicht ein, dazu fehlte ihnen vermutlich der direkte Befehl. Und das bedeutete zumindest, dass Bakura seinen Kampf nicht auf dem Schlachtfeld mit all den anderen suchte.

War das etwas Gutes? Akim wusste es nicht. Er wusste, dass er den Meister der Diebe nicht unterschätzen durfte, aber er wusste ebenso genau so sicher, dass er seinen treuen, eigenartigen Untertanen keinen Befehl zum Angriff gegeben hatte.

Und außerdem – war denn davon auszugehen, dass Cyrus ihn verschonte, wenn er sich einmischte? Nein. Bakura war nicht sein Problem. Und auch die Seelen waren nicht sein Problem. Schaulustige gab es immer und diese Beobachter machten noch einen speziellen Reiz aus. Die Vernichtung des ägyptischen Volkes und die Niederstreckung all ihres Glanzes war nicht unerwünscht…

Akim lächelte. Und als er Meira schließlich ankommen sah, wusste er, dass es ein Ende haben würde. Der Violetthaarige ließ seine Gedanken schweifen, weit ab von irgendwelchen Geistern im Nebel, ohne auf Seth oder seinen Bruder zu achten. Für den Moment hatte seine Schwester sich aus diesem Krieg herausgehalten. Sie hatte sich nicht in die Kämpfe gemischt.

Wieso nicht? Ein einziges Wort von ihr und Cyrus wäre sofort am Ziel seiner Wünsche. Sie beide beherrschten den Nebel mit einer solchen Stärke, dass allein ein Augenzwinkern schon enorme Verwüstungen ausrichten konnte.

Nicht, dass er nicht auch diese Macht beherrschte… Doch Meira war ihm ein Rätsel. Seit er zu seinen Geschwistern zurückgekehrt war, wirkte sie wie ausgetaucht. Zwar hatte er nicht mit seinem vollen Bewusstsein mitbekommen, wie Cyrus und auch Meira sich in das Leben am Palast eingemischt hatten, doch eines hatte auch er verstanden: Sie waren voller Hass gegen das Land vorgegangen, sie hatten mit den Menschen gespielt, ohne Rücksicht zu nehmen. Sie hatten ihre Macht ausgeweitet, ohne Zweifel an ihrer Rechenschaft zuzulassen. Sie hatten zusammen gekämpft, ganz so, wie Cyrus es immer noch tat.

Was also hatte sie dazu gebracht, aufzuhören? War es wirklich genug gewesen, dass er – ihr verloren geglaubter Bruder – zu ihnen zurückgekehrt war? Hatte seine Wiederkehr ihrem rachsüchtigen Herzen Frieden geschenkt?

Er konnte es sich nicht vorstellen. Es lag kein Sinn in dieser Vermutung, selbst, wenn es ein schöner Gedanke gewesen wäre.

Nein. Meira musste einen anderen Grund gehabt haben. Etwas, das sie entweder tief verstört oder tief bewegt hatte – oder sie wartete einfach nur auf den richtigen Moment. Auch diese Möglichkeit musste er in Betracht ziehen. Niemand kannte seinen Bruder besser als Meira, des musste er neidlos anerkennen. Vielleicht verfolgte sie einen ganz anderen Plan.

So gesehen sollte es ihn gar nicht verwundern, sie hier zu sehen. Sie hatte nicht weniger Grund hier zu sein, als er. Eigentlich war er froh, ihr vertrautes Gesicht zu sehen. Die Rothaarige hatte eine ausgesprochene Sanftheit in ihren Augen – sie war die Quelle der Ruhe in ihrer hitzigen Familie. Allein der Gedanke an sie ließ ihn lächeln. Endlich waren sie wieder alle zusammen an einem Ort. Seine ganze Familie war nun wieder vereint. Und sie konnten im Grunde nur einen einzigen Gegner haben: den Mann, der sie auseinandergerissen hatte.
 

Seine Worte lagen schon weit zurück, doch Meira kam nicht darum herum, sie sich immer wieder zurück ins Gedächtnis zu rufen. Er hatte Recht. Sie fühlte es in jeder Faser ihres Körpers, spürte ein Verlangen in ihrem Herzen brennen, dem sie nicht zu entkommen vermochte. Was sollte sie nun tun? Wie sollte sie sich verhalten? Sollte sie einfach abwarten?

Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste es einfach nicht. Sie hatte so vieles vorausgesehen und doch konnte das die Entscheidung nicht erleichtern. Sie hatte so lange darüber nachdenken können und doch war sie zu keinem Ergebnis gekommen. War das die Zukunft, die sie gesehen hatte? Die Zukunft, die nun immer näher rückte? Oder war doch alles nur eine Illusion?

Die Rothaarige schloss die Augen und zählte leise für sich bis drei. Als sie sie wieder öffnete, befand sie sich an einem anderen Ort. Der Ort, an den es nun jeden zog, der Ort, der ihre Bestimmung sein sollte. Die Tore des Palastes waren prächtig anzusehen, doch die Idylle war getrübt. Schreie und Kämpfe, die in dem Chaos vorherrschten und die alles zu überwältigen drohten.

Dies also war die Zukunft. Alles, was hier geschah, war nichts als eine Wiederholung dessen, was sie längst gesehen hatte. Sie hatte es gesehen. Hatte gewusst, dass es so kommen würde. Und noch immer wusste sie nicht, wieso sie nicht einfach etwas veränderte. Es hätte doch in ihrer Macht gelegen! Sie hatte es noch immer in der Hand. Doch sie war regungslos. Sie sah einfach nur zu und wartete. Und sie konnte es nicht verstehen. Sie wollte etwas tun, sie wollte selbst eingreifen, wollte etwas verändern – doch sie konnte einfach nicht. Sie war wie erstarrt. Bewegungsunfähig. Irgendetwas in ihrem Herzen sagte ihr, dass sie es nicht durfte. Dass dies die Zukunft war, die sie sich wünschte. Und waren nicht die eigenen Wünsche das, was man zu erfüllen versuchen sollte? Selbst wenn der Preis nicht abzusehen war?

Falle

Entsetzen hatte ihn gepackt, er konnte es nicht fassen. So nahe war er ihm gewesen, so kurz bevor war der ersehnte Moment gewesen. Jetzt war Shada weg.

Ungläubig starrte der Pharao auf die Stelle, an der Shada eben noch gestanden hatte. Es war nur noch ein bisschen Nebel übrig. Nebel, der in Schwaden langsam davon zog um wieder Teil der alles umfassenden Finsternis zu werden.

Und Shada war weg. Zornesröte stieg ihm ins Gesicht, Wut ließ ihn erzittern. Er hatte ihn um seine Rache gebracht! Cyrus hatte alles zerstört. Die ganze Zeit hatte er darauf hingearbeitet, Shada leiden zu lassen und jetzt war es plötzlich alles vorbei. Der Kahlköpfige war einfach verschwunden.

Er wollte schreien. Schreien vor Wut, schreien vor Hass. Und Cyrus lächelte ihn an. „Jetzt zu dir“, sagte er mit erwartungsvoller Stimme, ganz so, als würde er sich nun seinem nächsten Programmpunkt zuwenden, „Wir haben uns lange nicht mehr gesehen...“ Er schien sich auf diese Begegnung wirklich gefreut zu haben und das stand im absoluten Gegensatz zu Seth eigener Einschätzung. Freudig griff Cyrus hinein in den Nebel und formte mit seinen Händen eine Kugel daraus, die sich bei Berührung seiner Haut sofort tiefrot verfärbte.

Seth achtete nicht darauf. Wieder der Nebel! Er durfte sich davon nicht wieder durcheinanderbringen lassen. Das hatte er hinter sich...

Es war an der Zeit, ein für alle Mal damit abzuschließen! Zu oft hatten sie sich eingemischt. Zwar erklärte die Anwesenheit des Nebelherrschers, weshalb die Libyer überhaupt so stark hatten werden können, doch nun war er endgültig zu weit gegangen. Alles machte nun Sinn. Er musste es die ganze Zeit über geplant haben, musste die Fäden im Hintergrund kontrolliert gezogen haben, bis er hierher hatte kommen können. Deswegen war wohl auch ihre erste Schlacht gegen die Libyer so problemlos verlaufen. Am Flussbett des Nils brachte es dem Violetthaarigen wenig, sich einzumischen. Also hatte er seine Figuren so positioniert, dass sie für ihn das Geschehen lenken konnten.

Und das hatten sie getan. Seths Verstand arbeitete im Sekundenschnelle um das zu verstehen, was er zu spät erkannt hatte: Er war ihm direkt in die Falle gelaufen.

Es durfte nicht sein, er konnte es nicht hinnehmen! Diese Schlacht würde er ganz sicher nicht verlieren! Wer auch immer sich ihm entgegenzustellen wagte... Doch er konnte sich nicht wehren. Er selbst war nun sein gefährlichster Gegner. Seth sehnte sich danach, seine Klinge in das Fleisch von Shada zu rammen, ihm seine Tätowierung vom Kopf zu schaben und ihn zu foltern bis in die Unkenntlichkeit, doch durch Cyrus war ihm dies nun für immer verwehrt. Es machte ihn wütend! Es vernebelte jede logische Überlegung, die ihm in der Situation wahrlich gut getan hätte. Doch Cyrus war zu weit gegangen! Wieder war es der Nebel. Immer wieder dieser Nebel! Und das nagende Gefühl, dass er dem nicht gewachsen war. Er war ihm schon einmal unterlegen... Nur durch Glück war es ihm damals gelungen, dem sicheren Tod zu entkommen. Akim war unaufmerksam, nicht auf einen Kampf eingestellt gewesen. Und trotzdem hätte er ihn mit Leichtigkeit besiegt, wenn nicht der Zufall seinen eigenen Angriff schneller hätte einschlagen lassen. Er hatte den Jungen damals bei sich behalten, um mehr über dessen Magie herauszufinden, doch seine Suche nach Antworten war erfolglos geblieben und auch heute war er dem Geheimnis nicht näher...

Jetzt hatte er keine Zeit mehr. Cyrus war anders als Akim damals. Er war nicht hier um zu spielen. Cyrus wollte kämpfen. Um selbst wenn alle mächtigen Priester und Magier des Landes in diesem Moment hinter ihm gestanden hätten, so hätte er dennoch nicht gewusst, wie er ihn hätte besiegen sollen.

Er hatte den Millenniumsstab. Er hatte das Millenniumspuzzle. Er war selbst mächtig und verstand von der Magie der Finsternis wohl mehr, als irgendjemand sonst am Hof. Doch er wusste auch, dass es nicht genug war. Er konnte Cyrus nicht besiegen. Was tat man, wenn es aussichtslos war? Er konnte nur auf den Zufall setzen. Er konnte nur hoffen, dass etwas geschah, das ihm zum Vorteil gereichte. Doch selbst wenn er den Nebelherrscher wider Erwarten schlug – so hatte dieser noch zwei Geschwister und zumindest Akim hatte allen Grund das Land und ihn persönlich zu hassen und zu verachten. Eine erstickende Starre mischte sich in seinen Zorn, die Ohnmacht drohte von ihm Besitz zu ergreifen, doch er konnte ihm nicht entkommen. Cyrus sah ihn aus mitleidsvollen Augen an. Er bereute nicht, Shada aus dem Verkehr gezogen zu haben, das lag auf der Hand.

„Oh! Das tut mir Leid“, heuchelte er spöttisch, „Wie unhöflich von mir!“ Und er grinste, trat dann aus seinem Nebel heraus, die rote Kugel noch immer in der Hand. „Ich kann dein Leiden beenden, dann musst du nicht mehr daran denken...“ Cyrus wollte ihn provozieren, ihn zu einer äußerst dummen Tat verleiten, die er nur bereuen konnte. Doch sein finsteres Lächeln machte den Pharao wahnsinnig. Ohnmacht und Hilflosigkeit waren ihm nicht vertraut. Als die Nebelkugel direkt auf ihn geschleudert wurde, konnte Seth nur ausweichen. Seine Millenniumsmagie war allerdings trotz allem nicht schwach. Die kombinierten Kräfte des Puzzles und des Stabes waren ihm eine enorme Hilfe. Sie vereinten Angriff und Verteidigung in seiner Person. Das Millenniumspuzzle, eingesetzt um das Volk und das gesamte ägyptische Reich zu beschützen und sein Millenniumsstab, gefährlicher wohl als jeder andere Millenniumsgegenstand: er vermochte es, Körper und Geist zu kontrollieren.

Erneut schleuderte Cyrus eine Nebelkugel auf Seth, erneut konnte dieser im letzten Moment ausweichen. Ihr Kampf gewann an Schnelligkeit. Cyrus Vorrat an Geschossen war unersättlich, immer und immer wieder griff er in den Nebel und seine Haut allein machte fassbar, was für jeden anderen nur unerreichbarer Nebel gewesen wäre. Wie in einem mystischen Tanz wich Seth den Kugeln aus, wehrte sie ab und wollte seinerseits mit dem Stab angreifen, doch der Nebelherrscher ließ es erst gar nicht so weit kommen. Immer wieder unterband er die Gegenangriffe. Doch wer sich ausschließlich verteidigte, der konnte nicht richtig kämpfen. „Ich habe diesem Augenblick entgegen gesehen!“, rief er freudig erregt und warf eine neue Kugel seinem Gegner direkt vor die Füße.

Seth sprang – und es war gerade noch rechtzeitig. Wenn er diesem Treiben nicht bald Einhalt gebieten konnte, dann war Ägypten verloren, das Volk dem Verderben ausgeliefert. Er hatte genug von den Spielchen. Cyrus hätte ihn längst getroffen haben können, doch er verfehlt ihn absichtlich. Er trieb ihn vor sich her wie gewöhnliches Vieh! Das hatte nur einen Vorteil aus Seths Perspektive: Die Fassungslosigkeit, die ihn ob Shadas Verschwinden getroffen hatte, wich einer mörderischen Wut auf den Violetthaarigen und riss den Brünetten damit aus seiner Starre.

Er durfte dies nicht geschehen lassen!

Er durfte sich nicht bloßstellen lassen!

Er durfte sich nicht beherrschen lassen!

Er war der Pharao! Der Herrscher über dieses Land. Wenn er fiel, war das Reich verloren. Es gab niemanden, der die Thronfolge übernehmen konnte – denn Cyrus würde niemanden übrig lassen, niemanden an seiner Seite dulden. Und ein Ägypten unter der Herrschaft des Nebels hatte keine Chance, jemals wieder zu erblühen. In diesem Schatten gab es kein Leben – es gab nur Tod und Zerstörung.

Ein Schicksal, das er nicht hinzunehmen gedachte. So lange hatte er auf die Position gewartet, die er nun inne hatte... Zwar hatte er nicht mehr vorgehabt, Atemu gewaltsam von seinem Posten zu verdrängen, doch nichtsdestotrotz war seine Machtübernahme ein Triumph gewesen. Aufgebaut durch große Opfer – und gerade deswegen umso wertvoller. Atemu verließ sich auf ihn, damit das Land überleben konnte, obwohl er selbst längst keine Hoffnung und keinen Glauben mehr aufbringen konnte. Er durfte hier auf keinen Fall sterben. Und das hatte er auch nicht vor. Sollte Cyrus ihm ruhig die Zeit schenken. Sollte er ihn hetzen, so sehr er wollte – die Zeit war auf der Seite des Pharaos. Je mehr Minuten verstrichen, desto höher wurde die Wahrscheinlichkeit, die dem Zufall in die Hände spielte – der Brünette dachte fieberhaft nach. Der Ausweg lag auf der Hand – so viel war sicher. Er musst ihn nur finden und das rechtzeitig. Er musste Cyrus Angriffen standhalten bis er die eine Möglichkeit gefunden hatte, die ihn noch retten konnte.

Doch Cyrus hatte andere Pläne. Mit beiden Händen griff er nun in den Nebel, holte zwei Nebelkugeln zugleich hervor, die zwar immer noch rot leuchteten, sich aber dennoch deutlich verändert hatten. Sie schienen in seinen Händen zu brennen, erhitzten die Luft, die sie umgab, sodass es flimmerte – doch Seth ließ sich davon nicht abschrecken. Der Nebel, der brannte, war ihm nicht unbekannt. Schon einmal hatte er sich dem beugen müssen. In Zeiten des Kampfes jedoch war ein Gegner, der bekannt war, willkommener als ein unbekannter Feind, ganz egal welche Macht auch in ihm steckte. Das Unbekannte war weit gefährlicher – die tödliche Gefahr der Flammenkugeln dagegen hatte weit weniger Bedeutung. Er konnte sie abwehren. Er wusste, was ihn erwartete und er konnte dem entgegenwirken.

Jedoch – die Zeit half auch Cyrus. Seine Angriffe nahmen an Brisanz zu. Eine Kugel erwischte Seths Umhang, der sofort Feuer fing. Es war der Millenniumsstab, der den Stoff von seinem Körper schnitt, bevor er sich in seine Haut brennen konnte. Doch er hatte wertvolle Sekunden verloren, die er für einen Angriff hätte nutzen müssen, doch die ihm nun nicht zur Verfügung standen. Er wollte Cyrus paralysieren. Eine Starre, die ihn am Angriff hinderte und ihm Zeit schenkte – Zeit für den einzigen Zauber, der eine Wirkung gegen ihn haben musste. Der Zauber, der Cyrus die Erinnerungen nehmen konnte... Die Erfahrung hatte Seth gezeigt, dass er den Nebel zwar nicht besiegen, aber dennoch aufhalten konnte und den Moment der Verwirrung, den der Zauber zwangsläufig nach sich ziehen musste, den hatte er zu nutzen. Dieses Mal würde er niemanden verschonen. Er musste Cyrus in dem Augenblick zerstören, da sein Zauber Wirkung zeigte. Er durfte nicht zulassen, dass er sich davon erholte... In Anbetracht der Intensität des Nebels um ihn herum blieben ihm dafür also nur wenige Minuten. Die Erfahrung hatte ihm schmerzlich gezeigt, dass der Nebel nicht permanent wegzusperren war. Und dann waren da noch Meira und Akim. Doch über sie durfte Seth erst nachdenken, wenn er Cyrus hinter sich gebracht hatte...

Sie mussten irgendwo in der Nähe sein. Krampfhaft versuchte der Pharao einen Blick auf seine Umgebung zu erhaschen, doch Cyrus unermüdlicher Kampf hinderte ihn äußerst effektiv daran, sich nach Feinden oder Verbündeten umzusehen.

Und dann plötzlich konnte er nicht mehr ausweichen. Die Kugeln kamen direkt auf ihn zu, drei an der Zahl und jeder Schritt zur Seite, nach vorn oder zurück brachte ihn nicht aus der Schusslinie. Der Millenniumsstab konnte nicht alle Angriffe zeitgleich abwehren – Cyrus war zu schnell.

Seth fluchte. Es durfte hier nicht enden. Nicht so!

„NEEEEEIN!“, schrie eine Stimme und sie drang dumpf nur in Seths Bewusstsein. Alles, was er sah, waren weiße Haare, die im Schatten des Nebels die letzten Sonnenstrahlen reflektierten und ein Angriff, der ihn nie erreichte...
 

Erschrocken hatte Kisara beobachtete, was passierte. Cyrus, der immer wieder angriff, Seth, der immer wieder auswich und Nebel, der den Tod bringen sollte. Es war ein grausiger Anblick, der sie mehr als alles andere schockierte. Seth als Spielball einer gefährlichen Macht, völlig ausgeliefert und unterlegen. Und alles, was sein Gegner tat, war lachen. Der Schauer, der ihr über den Rücken lief, als sie erkennt hatte, dass Seth zum Tode verurteilt war, hatte sie eiskalt erwischt. Es hatte sie in eine Hoffnungslosigkeit gestürzt, aus der es keinen Ausweg gab.

Und als sie verstand, dass der letzte Angriff wirklich auf Seth gerichtet war, und nicht mehr nur das Ziel verfolgte, ihn aus der Konzentration zu reißen, da war es um sie geschehen. Die Weißhaarige selbst hätte nicht sagen können, was sie bewegt hatte, doch eines hatte sie ganz genau gewusst: Seth durfte auf gar keinen Fall sterben. Verzweifelt schreiend warf sie sich zwischen Seth und die Nebelkugeln, machte sich selbst zur Zielscheibe. Die Arme ausgestreckt fing sie die Angriffe mit ihrem eigenen Körper ab – und brach gleich darauf zusammen.

Es tat weh, doch Kisara spürte keinen Schmerz. Sie biss sich auf die Unterlippe und ein Ausdruck von fester Entschlossenheit lag in ihrem Antlitz.

„Ha!“, hauchte sie, als ihre Stimme brach.

„KISARAAAA!“, schrie Seth entsetzt. Ganz plötzlich hatte er verstanden, was geschehen war. Es war ihm gelungen, sie noch aufzufangen, bevor sie ganz zu Boden gesunken war und ungläubig starrte er sie nun an. Die Zeit schien still zu stehen, die Sekunden waren wie Stunden und nur sein eigener Herzschlag ließ ihn erkennen, dass die Welt nicht aufgehört hatte zu existieren. Jeder Gedanke an Cyrus war für den Moment aus seinem Bewusstsein verbannt, kopfschüttelnd sah er sie an und er konnte es nicht glauben.

„Nein...“, flüsterte er so leise, dass sie es unmöglich hätte hören können, doch seine eisblauen Augen sprachen eine ganz deutliche Sprache. Entsetzen spiegelte sich in ihnen, als er über das blasse Gesicht strich, das ihm so vertraut war. „Kisara...“

Und sie lächelte. Sie schaffte es kaum noch, ihre Augen offen zu halten, doch ihr Gesicht war friedlich und voller Zufriedenheit. Sie hatte keine Angst. Sie war nur froh, dass sie rechtzeitig gewesen war... Sie hatte nicht versagt...

„Seth...“ Ihre Lippen formten lautlos seinen Namen, ihre Augen blickten ein letztes Mal in die Seinen. Sie war also doch nützlich gewesen... Sie hatte etwas erreicht... Nützlich...

Dann kippte ihr Kopf leblos zur Seite. Der weiße Drache würde niemals wieder erstrahlen...

Sonnenuntergang

Es war ein Seufzen, das von ihren Lippen erklang, nicht mehr. Shadas Verschwinden hatte alles besiegelt. Schreie ertönten, doch es waren keine Schreie des Hasses. Es waren Schreie der Angst. Die Libyer flohen, rannten wild durcheinander nur um weg zu kommen, rannten um ihr Leben. Weg von dem Nebel, von dem eine solch unfassbare Gefahr ausging. Nur diejenigen von ihnen, die der Falle mit Todesmut entgegen blickten und jene, die noch mitten in einem Kampf steckten, blieben – mussten bleiben.

Und Meira strich sich ihr Haar hinter die Ohren. „Es ist also soweit...“, murmelte sie still vor sich hin, so vieles war geschehen...
 

„NEEEEEIIIIIN!!!“

Die Zeit stand still. Sein Herz schlug schneller, als er es fassen konnte, schlug ihm bis zum Hals. Es durfte nicht wahr sein. Er konnte es nicht glauben. Kisaras lebloser Körper lag in seinen Armen, er hatte es nicht übers Herz bringen können, sie einfach zur Seite zu legen. Es war seine Pflicht, doch er konnte es nicht. Er musste kämpfen, doch auch das konnte er nicht.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Er konnte es nicht glauben. Sie konnte nicht tot sein... Selten zuvor hatte Seth sich so hilflos gefühlt wie in diesem Moment. Adalias Worte klangen laut in seinen Ohren, und die Vorwürfe, die er sich nun machte, konnte keine sachliche Darstellung neutralisieren. Er hatte nicht mehr mit ihr über ihre Gefühle gesprochen, hatte sich nicht mehr bei ihr bedankt. Und nun – nein. Nun würde er nie wieder mit ihr sprechen. Sanft strich er über ihr langes, weißes Haar, zärtlich fast, wie früher.

Kisara...

„Nein...“, hauchte er mit erstickter Stimme, kraftlos. Wäre er nur schneller gewesen, hätte er sie doch nur beschützt!

Kisara...

Es schnürte ihm die Kehle zu. Ein Gefühl, das er kaum zu deuten wusste. So vieles hatte zwischen ihnen gestanden, so viele Missverständnisse... Doch sie war immer da gewesen.

Kisara...

Es war ein kaltes Lachen, das ihn in die Realität zurückholte und den Brünetten aufsehen ließ. Cyrus. Jetzt hatte er seinen Gegner gefunden, den Mann, der all das zu verantworten hatte. Er erhob sich langsam, doch festentschlossen, stellte sich schützend vor Kisaras Körper. „Dafür wirst du bezahlen!“ Als Pharao war es seine Pflicht sein Volk zu verteidigen, doch was war seine Pflicht als Freund?!

Der Violetthaarige jedoch nahm ihn in keinster Weise ernst. „Du?“, fragte er und der Spott in seiner Stimme konnte nicht missgedeutet werden, „Du willst gegen mich bestehen?“ Er lachte erneut auf, voller Hohn. Ein fieses Grinsen lag auf seinem verzückten Gesicht. Noch immer hielt er den Nebel in seinen Händen, bereit ihn jederzeit zu weiteren Geschossen zu formen. „Niemand von euch besitzt die Macht mich zu besiegen“, sagte er unbeeindruckt, selbstsicher, eiskalt und berechnend.

Seths Blick war versteinert. Es durfte nicht sein...

„Nicht einmal du!“, fuhr der Nebelherrscher fort, ohne auf ihn zu achten, „Mein... Pharao!“ Er spie das Wort heraus, schrie es ihm entgegen wie einen schmutzigen Ausdruck, gehässig, ohne ihm in irgendeiner Weise Respekt entgegen zu bringen. Er trat dichter an ihn heran, sicheren Schrittes an all seinen Feinden vorbei, die allesamt wie erstarrt auf jede seiner Bewegungen warteten und doch nichts zu tun wagten.

Und dann schweifte sein Blick über den Kopf des Pharaos hinweg, und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde breiter. „Sieh an“, sprach er lächelnd und ein Schauer raste über Seths Rücken, da war etwas in Cyrus Augen. Ein Glitzern, voller Erwartungen, voller Begeisterung. Der Brünette wagte es kaum sich umzudrehen, doch er hatte keine andere Wahl. Was sollte er sehen?

„Die Nächste, die sich bereitwillig für dich opfert!“

Seine Worte waren wie Gift und die Bedeutung sofort klar. Doch viel, viel grausiger war der angsterfüllte Schrei, der unnatürlich laut, vielfach verstärkt durch den Nebel zu ihm getragen wurde. Die Stimme, die ihm so vertraut war. Die Stimme, die er hier auf gar keinen Fall hören wollte...

„Seth!“, rief sie panisch, umherirrend, „SEEEEETH!“

Und dann sah er sie.

Und sein Atem stockte.

Mana.

Nein.

Was tat sie hier?! Sie durfte nicht hier sein! „MANAAA!“, schrie er entsetzt, unfähig, den Blick auf ihr ruhen zu lassen, oder ihr entgegen zu gehen. Immer wieder schweifte er zu Cyrus, der zielsicher in den Nebel gegriffen hatte. Die Kugel leuchtete rot, grell, tödlich.

Und Mana kam näher, stolperte über unzählige Leichen auf sie zu. Völlig verstört.

Seth starrte sie an, entsetzt, wie versteinert, die Hände waren ihm gebunden. Cyrus hatte sein Ziel gefunden und er hatte recht in all seinem Spott, in all seinem Hohn. Er hatte nicht die Macht ihn zu besiegen und mit Mana hier, auf dem Schlachtfeld... Auserwählt. Das nächste Opfer des Nebels... Er durfte sie nicht verlieren...

Und Cyrus warf. Die Nebelkugel entzündete sich noch im Flug. Die Nächste, die sich bereitwillig für ihn opferte...

„MANAAA!!!“
 

Ihre Augen brannten, die Tränen wurden vom Staub des aufgewirbelten Sandes weggeweht und ihre Sicht verschwamm immer weiter. Als Mana schließlich durch das Tor gerannt war, konnte sie nur erschrocken stehen bleiben.

Ruckartig.

Es war grausig mit anzusehen. Dass sie sich hier überhaupt nicht wohl fühlte, war schon von Weitem zu erkennen. Auf wackligen Beinen versuchte sie den Körpern auszuweichen, nicht in das Blut und die Zerstörung hineinzutreten. Und sie schrie. Akim war immer ruhiger geworden. Seths Schrei hatte ihn irgendwie aufgerüttelt, nie zuvor hatte er ihn so schreien hören. Schmerzerfüllt. Verzweifelt. Kisara lag tot in seinen Armen und das machte ihn sprachlos. Erschüttert. Das hatte er nicht gewollt. Sie war immer unglaublich zivilisiert mit ihm umgegangen. Es war unfassbar.

Und es war der Nebel gewesen.

Nein.

Dies war Cyrus Wille. Cyrus Wunsch nach Vergeltung. Akim blickte auf Seth herab, konnte die blanke Angst in seinen Augen sehen. Nur ein einziges Mal in seinem Leben hatte er diesen Ausdruck auf dem Gesicht des Brünetten gesehen. Doch es ging nicht um sein eigenes Leben. Dieses Mal nicht.

Und Mana kam näher.

Cyrus griff in den Nebel, formte seine mörderische Waffe. Kisara war bereits tot...

Sein Blick huschte auf seinen Bruder, dessen Absicht vollkommen klar war. Diesen Angriff konnte sie nicht überstehen. Mana würde dem Drachenmädchen folgen...

Cyrus Kugel verkörperte all den Hass, den er auf dieses Königreich verspürte. Und Mana war das Ziel. Akim hatte seine Worte gehört. Er starrte auf sie, er starrte auf Seth, der sie nicht beschützen konnte. Und dann konnte er nicht mehr. Konnte nicht mehr zusehen, konnte nicht mehr warten. Reflexartig wehrte Akim die Nebelkugel seines Bruders mit seiner eigenen ab, wodurch deren Flugbahn sich verschob. Die beiden Kugeln explodierten direkt zwischen ihnen. Und als der Rauch sich legte, stand Akim vor Mana. Es war ihre einzige Chance...

„Du hast recht, Bruder“, sagte er voller Verbitterung, die er von sich selbst nicht kannte und blickte Cyrus voller Bedauern an. Seine Stimme zitterte, als er weiter sprach, doch die Hand, die in den Nebel griff, war ganz ruhig. „Keiner von ihnen hat die Macht, dich zu besiegen...“ Akim blickte zu Mana. Die kleine Mana. Seine kleine Mana... Er hatte unendlich viel Mitleid für sie und er blinzelte. „ICH habe sie...“ Seine ohnehin schon erschütterte Stimme brach, als er Cyrus angriff. Und dann schloss er die Augen.
 

Ein einziger Atemzug genügte. Meira wusste, was nun geschehen musste. Sie weinte. Weinte bitterlich. Sie hätte die Macht gehabt, Akim aufzuhalten. Sie hätte es tun können... Doch sie schaffte es nicht, weinte einfach nur bitterliche Tränen. ‚Cyrus...‘, dachte sie verzweifelt, ‚Akim... meine Brüder...‘

Cyrus hatte Akims Angriff nicht kommen sehen. Der Macht des Nebels beraubt, konnte er ihm weder ausweichen noch ihn abwehren. Er bekam den Angriff mit aller Wucht ab, wurde nach hinten geschleudert, in den Nebel hinein, der ihn jedoch nicht mehr halten konnte, denn Akim hatte ihm diese Macht genommen. Entsetzt sah der Ältere seinen Bruder an, schaffte es noch, zu ihm aufzusehen. Und dann lächelte er. „Ich habe gewusst...“, presste er hervor, „dass du... uns eines Tages ... verraten würdest...“ Mit letzter Kraft brachte er seine Worte heraus. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten, brach zusammen. „Akim... mein Bruder.“ Seine Augen drohten zuzufallen. Sein letzter Blick galt seiner Schwester, die herbei geeilt war, geführt von ihren eigenen Tränen. Die Millenniumskette hatte sie längst achtlos in den Sand fallen gelassen. „Meira...“

Als der Kopf ihres Bruders zur Seite fiel, konnte Meira ihre Gefühle kaum noch kontrollieren. Sie spürte eine eisige Kälte in sich aufsteigen. Nichts von alle dem, was sie gesehen hatte, hätte sie in irgendeiner Weise auf diesen Moment vorbereiten können. Immer war er an ihrer Seite gewesen, zu jeder Zeit war er ihre Familie gewesen. Ganz automatisch und ohne, dass sie irgendetwas hätte steuern können, fiel sie vor ihm auf die Knie und küsste ihn zärtlich auf die Stirn, benetzte dabei seine Wangen mit ihren salzigen Tränen.

Doch Meira wusste auch, dass es noch nicht vorbei war. Sie zwang sich, wieder aufzustehen. Ihre Füße trugen sie zu Akim, doch ihr Kopf blieb gesenkt. Sie blickte erst zu ihm auf, als sie direkt vor ihm stand. Nie zuvor hatten ihre Augen eine strahlendere Farbe. „Akim...“, flüsterte sie und legte ganz sanft beide Arme um seinen Körper, kuschelte ihren Kopf an seine Schulter. Er war inzwischen etwas größer als sie, das war ihr nie zuvor aufgefallen. „Endlich ist es vorbei...“, sie schluchzte, sprach jedoch mit gefasster Stimme. Die Stimme einer Frau, die ihre Grenzen kannte. Obwohl er gerade erst ihren Bruder getötet hatte, fürchtete sie ihn nicht. „All das Leid... Und die Zerstörung... Es ging doch um gar nichts mehr...“ Sie wusste es, konnte es nicht verkraften. „Nur noch um Macht... Macht, die niemand verdient hat...“ Und sie sah ihm ins Gesicht, ganz so, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Seine Arme hielten ihren Körper, der vor Trauer zitterte, doch wagte sich an einem Lächeln. Ein verlorenes Lächeln, das auf dem Schlachtfeld und in all ihrer Verzweiflung unterging. „Du hast es verstanden...“, hauchte sie zärtlich und voller Stolz, „Werde glücklich... mein geliebter Bruder...“ Sie strich ihm über die Wange, schloss die Augen. Und dann küsste sie ihn, während sie ihren Körper an den Nebel übergab, und langsam aus seinen Armen verschwand.
 

Stille. Es war, als hielt jeder der Anwesenden den Atem an. Das Schlachtfeld wirkte wie ausgestorben, obwohl so viele hier waren.

Was sich soeben vor seinen Augen abgespielt hatte, konnte Seth nicht verstehen. Die Wucht der Nebelexplosion hatte ihn zu Boden gedrückt, er war über Kisaras Körper gebeugt, hielt sie fest, ganz einfach weil dies das einzige war, das er tun konnte. Jede andere Handlung hatte Akims Macht unterbunden.

Doch selbst, wenn dies anders gewesen wäre; er hätte nicht gewusst, was er hätte tun sollen. Fassungslos blickte er von Akim zu Cyrus, beobachtete dann, wie Meira vor seinen Augen verschwand. Doch auch er hatte ihre Worte gehört. Alles, was geschehen war... Nur Hass. Er konnte sehen, wie der Nebeljunge schmerzverzehrt die Augen schloss. „Finde Frieden... Meira...“, hauchte er, voller Liebe, doch seine Schwester konnte ihn schon nicht mehr hören.

Auch über Seths Wangen rannen Tränen und er konnte es sich nicht erklären. Es war einfach unbeschreiblich – unbeschreiblich grausam. Nichts von alle dem hatte einen Sinn gehabt... Seths Blick erstarrte, als er Mana wieder sehen konnte. Sie war völlig durcheinander, verschüchtert und hilflos, die Augen vor Schreck weit geöffnet.

Ohne Sinn...

Er wollte zu ihr laufen, wollte ihr die Augen zuhalten, die Sicht verwehren, doch es war zu spät. Sie hatte es bereits gesehen. „Wie konnte all das nur geschehen...“

Zu seiner Überraschung und zu seinem Entsetzen, war es Akim, der an seine Seite trat. Er sah erst ihn ernst an, dann fiel sein Blick auf Kisara. Er senkte sein Haupt, wie um sie zu ehren. „Pharao“, setzte er plötzlich an, wandte sich direkt an Seth, blickte ihm in seine eisblauen Augen. Seine Stimme war weder kalt noch vorwurfsvoll. Sie war ruhig. Ruhig und belegt. „Du hast sie immer gewollt...“, sprach er angespannt, „Die Krone, die du jetzt trägst... Doch zu welchem Preis... Sieh‘ dir dein Königreich an...“ Und der Vorwurf wurde lauter, sein trauriger Blick verlor sich in der Menge, bis er Mana fand und er wurde immer leiser.

Seth hielt den Atem an.

„Was hast du ihr nur angetan?“

Er wollte ihm widersprechen, wollte ihn in die Schranken weisen. Doch er konnte es nicht. Denn Seth wusste, dass er recht hatte. Manas Zustand bewies es mehr als eindeutig. Und er konnte es nicht mit ansehen. Nur kraftlos kamen die Worte über seine Lippen, die nun niemandem mehr helfen konnten: „Es tut mir Leid...“

Lang lebe der König

Als deine Stimme erklang, echote sie die Dunkelheit. Ich wollte dein Rufen hören, wollte dass du mich brauchtest.

Denn deine blasse Haut allein schenkte mir Wärme.

Ich wusste nicht, was es bedeutete, wusste nicht, war es gut oder schlecht? Doch zusammen warteten wir immer wieder auf die Wiederkehr der Sonne.

Auch wenn deine Zukunft verblasste, konnte ich dir nicht entkommen.

Ich konnte dich nicht vergessen.

Einsamkeit, die ich nicht kontrollieren konnte.

Alles lag zu meinen Füßen. Die Welt, die ich immer wollte. Mein Sieg war da – alles, was ich jemals wollte...
 

Lang lebe der König!
 

Erhebet Euch und sehet hin!

Seit ich meine Liebe zu dir entdeckte, beherrschte mich die Angst, dich zu verlieren. Gab es noch eine Erlösung für mich?

Selbst, als deine Zukunft zerbrach, wartete ich auf dein Lächeln, das allein mich zu heilen vermochte.
 

Lang lebe der König!
 

Nun erzitterte die Welt, verneigte sich vor meiner Herrschaft.

Und der Alptraum erwachte...

Und es war alles, was ich jemals wollte...
 


 

★ Sunset over Egypt - Ende ★



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Von:  SenseiSasuNaru
2017-05-05T19:04:36+00:00 05.05.2017 21:04
Hallo tolle Geschichte war spannend sie zu lesen.Das Seth x mana paaring hab ich zum ersten gelesen war aber klasse. :-) LG
Antwort von:  Sennyo
30.08.2017 21:46
Es freut mich, dass sie dir gefallen hat! Danke schön :)
Von:  TeaGardnerChan
2013-02-11T06:36:48+00:00 11.02.2013 07:36
O.O

Da kann man wirklich nur zu gut erkennen wie viel Schmerz in ihm ruht und wie sehr er Teana vermisst.
Dass es ihn regelrecht wahnsinnig macht dass sie nicht mehr an seiner Seite ist, ist auch nachvolliehbar, er tut mir so leid.
Gute Frage wieso ihn die Götter so im stich gelassen haben.
Krieg.... überall nur Krieg.
Furchtbar.
Ich hoffe doch wenigstens dass es für Mana und Seth ein Happy End gibt.
Von:  TeaGardnerChan
2013-02-11T06:31:22+00:00 11.02.2013 07:31
Schnell Schnell schnell.
Auf zu Seth.
Wo sie hin gehört ^^

Ich hoffe doch Bakura führt nicht wieder irgendwas im Schilde
*rofl*
Obwohl.
Einer muss ja der Böse sein
*g*

Endlich komme ich auch mal weider dazu deine FF weiter zu verfolgen.
Dein Schreibstil mag ich auch nach wie vor sehr.
Sehr detailreich und man kann sich dadurch alles sehr gut vorstellen ;)
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:42:33+00:00 13.02.2011 14:42
>>Und wenn sie nur sein Kindermädchen war.<< Was für eine Entscheidung für jemanden, der eigentlich so mächtig ist wie Kisara. Nur weil sie in Seths Nähe bleiben will ^^° Total krass, irgendwie.

>>„Ich habe etwas getan, an das ich mich nicht erinnern kann...“ << Bei Mana ist es in Ordnung, dass sie es vergessen hat, er hilft ihr ^^° Und bei Kisara ist es etwas anderes, es ist irgendwie ein verdammt hartes Los ^^° Arme Kisara, Arme Mana ^^°

>>„Es ist Krieg!“, schrie sie, als sie sich der vollen Aufmerksamkeit bewusst war, „Truppen begleitet von Nebel haben die Stadtmauern überwunden!“<< Es geht looss..

>>Seths Blick war undurchschaubar. Sein Kopf bewegte sich fast unmerklich von rechts nach links, doch sein Blick war starr auf Atemu gerichtet. Er zögerte.<< Armer Seth, was hat dich das alles gekostet? ^^° Schade.. Und der Titel ist absolut geil in diesem Zusammenhang *__*

>>Adalia lächelte.<< Sie hat erreicht was sie wollte.. Das ist sooo böse ^^°
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:42:02+00:00 13.02.2011 14:42
>>Die Tür wurde knallend zur Seite gedrückt, und jede Wärme wich aus Qadirs Körper.
Atemu.
Er war hier.<< DÖ DÖDÖ DÖÖÖÖ! *dramtatische Musik* XD

>>Er schüttelte ihn aufgebracht. „WOFÜR?“, schrie er ihn an, entgeistert und ein wenig gekränkt. „Du bist der PHARAO!“, schrie er, „Es ist deine PFLICHT, dich um DEIN VOLK zu kümmern!“<< Gänsehaut~! Seth und Atemu sind in dieser Szene richtig, richtig toll~
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:41:40+00:00 13.02.2011 14:41
Akim ist total toll!
>>Er lächelte. „Du weißt es, habe ich recht?“, fragte er berechnend, ihr Blick sprach Bände, auch wenn sie keine Antwort gab. << Ich finde, die Akim - Meira Beziehung ist so toll! Ich finde es voll wunderbar, wie sie es verbirgt, obwohl sie weiß was er machen wird und trotzdem zu ihm steht und ach ^^ Das ist so toll!

>>Mana griff nach Adalias Gewand, zog an dem Stoff, hielt sich daran fest. Doch die Priesterin reagierte nicht. Mana sah zu ihr auf. Sie sah auch so eigenartig aus, hatte sie auch Angst?<< Mana ist so klein und hilflos ^^° Und Adalia hat ein bisschen Muffensausen XD

>>„Aber... was ist denn passiert?“, fragte sie mit brüchiger Stimme, blinzelte einige Tränen aus ihren Augen heraus. << Verwirrtes Mana ^^° Völlig überfordert und Kisara packt sie einfach und hält sie zurück xD wäre so ein bisschen realität nicht toll für sie gewesen? Ne, wahrscheinlich nicht... ^^°
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:41:19+00:00 13.02.2011 14:41
>>Sie war wirklich besser dran ohne ihn.<< Unbeschreibliche Schuldgefühle uuund gaaanz viel Selbstmitleid xD Der kleine tuff-tuff Seth!

>>Die Tatsache, dass noch niemand gekommen war um nach ihr zu fragen, bestätigte Adalia in ihren Befürchtungen.<< Jahaa, du bist nicht die wichtigste Frau in Seths Blickfeld xD Außerdem ist sogar seine Ex fast öfter bei ihm als du xD würde ich mir mal gedanken drüber machen xD

>>Doch es muss nicht sein, versteht Ihr? All das ist nicht notwendig...“<< Adalia is ein Arsch ^^ Ach sie is so toll xD

>>schloss noch einmal kurz die Augen und rammte der Brünetten die Klinge mit aller Kraft in die Seite.<< xD So, damit hätten wir das auch abgehakt! *Häkchen mach* Was steht als nächstes an? XD

>>„Achtest du so lange auf Mana?“<< Irgendwie~ schiebt er Mana immer von Ex zu Ex xD Wie ungerecht ^^°
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:41:02+00:00 13.02.2011 14:41
>>Sie hatte wieder gegen Mana verloren. << Och Mensch Kisara xD Is doch nur ein Spiiel xD Gut, du hast deinen Freund an sie verloren und am Ende auch dein Leben uns alles xD Aber hey! Man muss ja nicht immer alles schwarz sehen xD

>>Was nur hatte ihn so sehr an dieses Mädchen gefesselt?<< Zuerst Faszination und dann Schuldgefühle? XD Irgendwie würde das am Besten passen xD
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:40:43+00:00 13.02.2011 14:40
>>Oh, wie ihn allein die Gedanken an das Kommende in Ekstase versetzten, ihn verzückten und die Aufregung in ihm fast ins Unermessliche steigen ließ, es war kaum begreifbar und erst recht nicht nachvollziehbar. <<
Ach Cyrus rockt voll xD Wollt ich mal anmerken!

>>„Gehen wir in den Garten?“<<
"HALT DIE FRESSE!" XDD Ich wäre irgendwann sicher genervt von der Frage. Aber wie niedlich das der gute Seth immer so abwesend ist mit seinen Gedanken xD

>>„Würdest du...“, setzte er an, machte dann aber eine kurze Pause und dachte kurz nach. Vielleicht war es zu viel verlangt, doch ihm fehlten die Alternativen. „Könntest du Mana in der Zwischenzeit beschäftigen?“<< Es IST definitiv zuviel verlangt xD Ich mein xD Aber es ist Seth, was soll man erwarten? ^^°

>>Es war einfacher gewesen, als er gedacht hatte.<< Bakura rockt übrigends auch xD Ich mags!

>>Doch Adalia war anders. Sie würde ihm noch viel Freude bereiten. << *Bakura x Adalia Fahne schwenk*
Von: abgemeldet
2011-02-13T13:40:25+00:00 13.02.2011 14:40
So, ich mach mich mal daran die ganzen Kommentare zu schreiben, die ich dir noch schulde ^^° Habe gerade festgestellt, dass es noch ein paar sind..

>>Selbst das Versprechen ihn sofort zu benachrichtigen, sollte eine Veränderung eintreten, hatte Atemu nicht von Teanas Seite weichen lassen.<< Jahaa~, er ist ja auch noch ein braver Pharao der bei seiner Frau hocken bleibt, wenn sie ihn braucht xD Aber irgendwie verlässt er sie in dem Moment, in dem es wichtig gewesen wäre. Pech xD

>>Damit sein Land gemeinsam mit Teana wieder erblühen würde. << Jahaa xD Was ja so wunderbar klappt! Echt super Plan, läuft nur nich so wie es sich das vorstellt. xD Armer Pharao!

Ich find den Titel von dem Kapitel übrigens richtig geil.. Oô


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