Steps in the wrong way
Sie torkelte die letzte Straße aufwärts. Nur noch ein paar Schritte trennten sie von ihrem zu Hause. Ihrem Bett, mit der Bassetti-wäsche. Dem Klo, was für sie nun von einer ungeheueren Bedeutung war. Lange konnte sie ihren nächsten Brechreiz nicht mehr anhalten.
Etwa ein Drittel ihres Mageninhalts hatte sie entweder in Sandys Wohnung oder auf diversen Rasenflächen verteilt.
Jetzt wollte sie nur noch auf ihr Klo und alles raus lassen.
Es war kurz vor zwei Uhr morgens. Folglich lag tiefste Nacht über der Stadt und vergrub alles in Dunkelheit. Spendete den armen Seelen Schutz vor dem nächsten Fall. Verbarg so manche zwielichtige Gestalt. Eine Mutter für jedermann.
Mit zittriger Hand steckte sie den Schlüssel ins Schloss, versuchte verzweifelt so leise wie möglich zu sein. Doch ihr Magen begann von neuem zu rebellieren. Sie hätte doch nicht alles durch einander trinken sollen. Überstürzt stolperte sie ins Haus, rannte die Treppe hoch.
~ .. dummes Kind, ganz dummes Kind .. ~
Blindlings brach sie vor der Toilettenschüssel zusammen und übergab sich. In der Hast hatte nicht einmal Licht gemacht und dabei das Chanelparfum ihrer Mutter vom Marmorwaschbecken gestoßen. Es krachte zu Boden und zersplitterte. Anna bekam es nur mit halbem Ohr mit.
Einen Moment später waren eilige Schritte zu vernehmen. Plötzlich ging das Licht an. Das würgende Mädchen wurde geblendet. Sie brauchte einen Moment um zu verstehen.
" Anna! Um Gottes Willen. Was..?"
Ihre Mutter stand im Morgenmantel in der Tür und blickte verwirrt ihre Tochter an. Erst hatte sie gedacht, er wär ein Einbrecher gewesen. Doch schon bald war der Frau klar geworden, dass es nur Anna sein konnte.
"Was fällt dir ein, um zwei Uhr nachts nach Hause zu kommen? Geht es bei dir noch mit rechten Dingen zu?!" Sie stöhnte empört. Man konnte erkennen, dass es ihr gehörig gegen den Strich ging. Mit dem Fuß stieß sie gegen den zerbrochenen Flakon des Chanel Nr. 5. Die Wut stand ihr ins Gesicht geschrieben. "Das bedeutet Hausarrest! Zwei Wochen und ich will nichts hören!!" sagte sie forsch.
Anna stemmte sich hoch, hängte sich über das Waschbecken und spülte ihren Mund erst mal aus. Als sie wieder halbwegs atmen konnte, erwiderte sie kühl: " Ich hatte nicht vor etwas zu sagen. ..Aber erst mal hallo. Ich ..im Gegensatz zu dir, sage ..wenigstens noch Guten Abend."
"Wag es dir, noch frech zu werden. Was soll das überhaupt?"
Die Jugendliche begann zu grinsen, der Alkohol tat immer noch seine Wirkung. " Was das soll? Nach was sieht es den aus? Ich kotze in das Klo, Mum. Deine Anna hat sich vollgesoffen. So was soll es geben." Ihre Mutter funkelte gefährlich mit den Augen. Sie war kurz davor, die Nerven zu verlieren.
Einen Augenblick lang, hatte sie vor einfach zu gehen, doch etwas hielt sie auf.
".. Hast du etwa Drogen geraucht?!!" fragte sie schrill. Der Geruch ihrer Tochter war ihr in die Nase gestiegen. "Du meinst kiffen?" erwiderte die 17-jährige belustigt. " Was ist, wenn es so wäre .. ?" Eine schallende Ohrfeige zerriss die Nacht. Sie stellte klar, wo man stand, in der Hierarchie.
Das Klackern von Absätzen holte Anna aus ihrem unruhigen Schlaf. Obwohl - als solcher war er kaum zu bezeichnen. Ihr verstimmter Magen hatte die ganze verbliebe Nacht Terror gemacht und sich nur widerwillig beruhigen können. Das höllische Kopfschmerzen lautstark selbst den Puls übertönten, hatte sich auch kein bisschen positiv ausgewirkt. Stöhnend drehte sich die 17-jährige im Bett um, vergrub ihren Kopf unter dem zerknäulten Kissen. Das hatte sie jetzt davon.
Anna konnte es sich schon bildlich vorstellen, wie ihre werte Frau-Mutter vor ihrem Zimmer herumstolzierte. Von einer Ecke zur anderen huschte und das wohlbemerkt ohne jeden Grund. Die Dame des Hauses wollte nur ihre Tochter nerven. Ihr deutlich vor Augen führen, was sie von ihr hielt. Warum, gottverdammt, hatte sie gestern nicht einfach ihre Mutter vollgekotzt?
Das Mädchen merkte selbst, dass ihr Unmut gegenüber ihrer Mutter von Tag zu Tag schlimmer wurde. Und nichts schien diesen Prozess aufzuhalten. Im Grunde, verspürte die Jugendliche auch nicht den geringsten Wunsch, etwas dagegen zu tun. > Sie soll sich gefälligst nicht so aufregen. Ich bin 17. Das ist mein Leben. Da mache ich, was mir in den Kram passt! < Das berühmte Gefühl, sich im recht zu fühlen.
Eine Weile lag sie einfach nur da, schwelgte in ihren Gedanken, auch wenn dies durch den dröhnenden Schädel etwas hinderlich erschien. Sie versuchte sich an gestern zu erinnern. Doch ihre Erinnerungen waren mehr als bruchhaft. Filmriss. Der Alkohol hatte wirklich wahre Arbeit geleistet. Aber eigentlich wollte sie es so. Sie war mit der Absicht zur Party gegangen sich zu betrinken. Mal kurz abschalten. Bestimmt hatte sie allerhand Scheiße gebaut, wenn man nur an das Gekotzte denke. Und Ana konnte sich nicht genau besinnen, was nach dem Stripppoker passiert war. Sie hatte einige Befürchtungen bezüglich dieser Feststellung.
Ein Seufzen entwich ihrer Kehle. Es nützte nichts - sie musste aufstehen. Sonst würde gehasste Frau nie Ruhe geben.
Nur unter größter Bemühung konnte sie das Rührei runterschlucken. Die Jugendliche konnte erahnen, wie ihr Körper auf das hier reagieren würde. Sie sah sich schon, wieder über der Schüssel hängen. "Sie sollten etwas essen, Anna. Das Ei wird kalt. Außerdem sind sie schon dünn genug. Die Leuten mutmaßen schon, dass sie magersüchtig sind" sagte Evelyn streng. Anna lies lustlos die Gabel auf ihren Teller fallen. "Sollen sie doch reden. Dann macht sich wenigstens einer um mich Gedanken." Sie nippte am O-Saft. Er war heute etwas bitter. Evelyn stemmte entrüstet die Arme in die Hüfte. Mit dem Kind zu reden war sinnlos. Dies hatte sie in letzter Zeit oft merken müssen.
Die Tür ging auf, Annas Mutter kam herein stolziert. In einer Hand hielt sie ein paar Briefumschläge, in der anderen der goldene Brieföffner. Sie setzte sich an den Tisch und begann den ersten Umschlag aufzuschlitzen. "Evelyn, der Gärtner hat heute eine neue Bestellung Magnolien bekommen. Können sie zu ihm gehen und sagen, wo sie hingesetzt werden sollen?" "Selbstverständlich." "Danke" sagte die Frau kurz angebunden. Sie wirkte müde. Die Krähenfüße um ihre Augen waren bald deutlich zuerkennen.
Die beiden Frauen saßen sich gegenüber. Tochter und Mutter. Sie wussten beide, was der andere dachte. Stille. Ruhe vor dem Sturm. "Du hast mir gestern nicht auf meine Frage geantwortet" ertönte es sachlich. Anna hatte darauf gewartet. Sie wusste, dass ihre Mutter zuerst reagieren würde. Für einen Augenblick belies es die 17-jährige bei der Stille. Lies die Frage wirken. "Dir ist klar, was du mir unterstellst, Mutter?" Anna betonte jede Silbe des letzten Wortes. Frau Valsberg schaute ihre Tochter nicht an. Stattdessen konzentrierte sie sich verbissen auf die Briefe. "Du traust es mir also zu, was? Wie du es damals Jonas zugetraut hast -!" "Rede nicht von deinem Bruder!! Ich habe dir immer gesagt, dass dieser Name Tabu ist!!!!!" Sie keuchte. Ihre Hände zitterten. Die Wut war wieder hochgekocht.
Anna schüttelte verbittert den Kopf. "Was ist nur aus euch geworden? Merkt ihr nicht, dass das alles uns zerstört?! Wir waren mal eine Familie! Eine Familie, Mutter!!" "Sei still !" erwiderte die Frau bestimmt. Sie hatte mit der flachen Hand auf den Tisch gehauen. Ihre Tochter sah sie erstaunt an. "Ja. Das ist das einzige was du noch kannst! Auf den Tisch hauen und rum schreien. Ich frage mich, ob es dir überhaupt etwas bedeutet. Ob du was gefühlt hast, als du deinen Sohn vor die Tür geschmissen hast! Ich frage mich, ob du überhaupt etwas empfindest, wie es nur eine wahre Mutter kann!!! Deine Kinder sind die doch vollkommen egal!!!"
rief sie verletzt. " Sei endlich still!!!!" schrie sie. Ihr wutverzerrtes Gesicht blickte Anna an.
"Was erlaubst du dir eigentlich? Es steht hier außer Frage, was ich tue!! Du bist es, welche die Regeln des Hauses bricht! Dein Bruder hat dir schon vollkommen den Kopf verdreht! Ich will nie wieder etwas über ihn aus deinem Mund hören. Hast du verstanden?!" keifte sie boshaft. "In diesem Haus gibt es keine Jonas mehr!!"
Das Glas Orangensaft knallte auf den Tisch zurück. Abrupt erhob sich Anna und warf ihre Serviette vor ihre Mutter. Was sie im Moment fühlte konnte sie in kein einzelnes Wort fassen. Sie war verletzt, empört, wütend. "Das werde ich dir NIE verzeihen!! Sieh selbst, was du davon hast!" erwiderte sie kalt, blickte der Person ihr gegenüber in die Augen, mit jedem Funken Hass, den sie aufbringen konnte. "Du bist zu weit gegangen."
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Er hockte seit etwa einer Stunde vor seinen Aufzeichnung. Las sie durch, korrigierte kleine Mängel oder versuchte sich den Stoff zu verdeutlichen. Doch irgendwie ging heute nichts in seinen Kopf rein. Es war, als hätte man ihm sein Gehirn blockiert. Er setzte die Brille ab und rieb sich die Augen, da sie langsam schon wehtaten. Die Müdigkeit überfiel ihn allmählich.
Er konnte es sich selbst nicht erklären. Warum musste er dauernd an sie denken. Natürlich war es selbstverständlich, dass er mal an sie dachte. Aber heute war sein Kopf nur mit ihr vollgestopft. Sein Blick wanderte zum Kalender. Vielleicht lag es daran, dass es nun fast 3 Jahre her war. Möglicherweise war das der Grund. Möglicherweise. Er schüttelte den Kopf.
Den anderen war auch schon sein Verhalten aufgefallen. "Jo. Hey Jo? Bist du noch auf der Erde?" hatte sein Studienkollege heute Mittag gefragt. Er hatte nur verwundert aufgeblickt. "Sag bloß, du denkst immer noch an Mary!? Ich dachte, das wäre endlich vorbei." Er hatte gegrinst und erwidert. "Nein. Ich habe nichts an Mary gedacht. Aber danke der Nachfrage."
Er hatte nicht gesagt, was ihn beschäftigte. Solche Dinge behielt der Student lieber für sich. Man musste seine Freunde ja nicht mit so was belasten. Er träumte schon von ihr - es unbeunruhigte ihn. War etwas passiert ,zu Hause'? Vielleicht sollte er mal wieder anrufen... vielleicht.
Aber erst ging die Arbeit vor.
~ .. versuche nicht, dir selbst von etwas zu erzählen, von dessen Wahrheit du nicht überzeugt bist .. ~
.. ich hatte immer gedacht, dass ich den Preis bezahlen konnte, doch es dünkt mir bald anders ..