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Vierter Teil: Wir leben!

Fortsetzung von "Dkmnudhdm", "GiKuS" und "DLdW"
von

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Engpass

Als Joey durch das gleichmäßige Piepen des Weckers träge die Augen öffnete, fühlte er sich erschöpft und der Gedanke, nun aufzustehen und zur Schule zu gehen, missfiel ihm, wie noch nie zuvor. Müde blinzelte er unter dem trüben Herbstlicht, welches durch das Fenster zu ihm hereinfiel und begann sich zu regen, während der Wecker nach wenigen Momenten verstummte und dem Raum die alte Ruhe zurückgab.

Zugegeben, er benötigte eine lange Zeit, bis er das bequeme Bett wirklich verließ, sich gegen den stürmischen Morgengruß Kurais wehrte und schlaksig auf den Flur hinaustrat.

Hoffentlich hatte Seto auch geschlafen und sich etwas erholt.

Er kratzte sich den Bauch, gähnte herzhaft und hatte vor, ihn zu wecken. Als er jedoch im Begriff war, die Treppe hinter sich zu lassen, vernahm er Geräusche, die unzweifelhaft auf der Küche drangen. Dort schien schon jemand zu werkeln und ihm gefiel der Gedanke, dass Kaiba die halbe Nacht dort verbracht hatte, gar nicht. Nun konnte er sich wenigstens den Weg zum Schlafzimmer sparen und folgte Kurai nach unten, wo keine unangenehme Überraschung auf ihn wartete. Eigentlich seltsam, da Joey seit einiger Zeit nichts anderes gewohnt war. Kaiba sich hatte nur wenige Minuten vor Joey aus dem Bett gequält und wirkte dennoch etwas zusammengesunken, ebenso schweigsam, während er an der Kaffeemaschine rüttelte.

Und je mehr Joey die Schlaftrunkenheit loswurde, desto weniger freute er sich auf den Tag, der ihn erwartete, scheinbar hämisch lachend und alles andere als gnädig. Ja, er hatte Einiges zu tun und ebenso waren sie nun wohl ausgeruht genug, um die Streitigkeiten über gestrige Themen fortzusetzen.
 

Bald und pünktlich verließen sie das Haus. Kaibas Gesicht hatte nicht wirklich viel an gesunder Farbe zurückbekommen. Etwas müde und gähnend suchte er in den Taschen seines Mantels nach dem Autoschlüssel, während sich Joey von Kurai verabschiedete. Liebevoll kraulte er den Hund hinter den Ohren, bevor er die große Tür vor ihm schloss und zu Kaiba schlenderte, der nun fündig wurde. Nur flüchtig trafen sich ihre Blicke, bevor sie zu dem Wagen trotteten.

„Du kamst bestimmt auch nicht dazu, irgendwelche Hausaufgaben zu machen“, seufzte Joey, bevor er die Beifahrertür öffnete und einstieg.

Sie beließen es bei simplen Themen… bei einfachen Fragen, die nichts heraufbeschworen. Wie es ihnen ging, was sie frühstücken wollten… über vielmehr hatten sie sich noch nicht ausgetauscht und vermutlich war es auch gut so. Der Stress konnte getrost warten, bis Beide wach genug waren, um ihn auch zu vertragen.

Kaiba hatte es sich bereits bequem gemacht. Sein Gesicht gab eine leise Überforderung preis, als er den Schlüssel zum Zündschloss hob.

„Wohl kaum.“

„Ob die unsere Entschuldigungen annehmen…?“ Joey lehnte sich zurück und blähte die Wangen auf. Ein kurzer, durchaus kritischer Blick traf ihn.

„Wohl war… eines der größten Probleme, die wir gerade haben, Joseph.“

Der Blonde rümpfte die Nase und lugte zu ihm. Kopfschüttelnd startete Kaiba den Motor und so begann die Fahrt zur Schule.

>Er wird jedenfalls eins haben, wenn herauskommt, wie er sich bei Charlie geirrt hat<, dachte sich Joey trotzig, während er einen lustlosen Blick in seine Schultasche warf und die vorbei gleitenden Häuser sowie Passanten gekonnt mit Nichtbeachtung strafte. Abermals linst er zu seinem Nebenmann und dieser hielt den Wagen vor einer Ampel. Und während er sich eine Zigarette ansteckte, beobachtete Joey die Leute, die vor ihnen die Straße überquerten. Geschäftsmänner, die angestrengt miteinander diskutierten, Mütter, die ihre Kinder zum Kindergarten brachten… ein wahres Stimmengewirr und Joey ließ sich müde tiefer rutschen und streckte die Beine von sich. Neben ihm setzte sich das Fenster in Bewegung und frische Luft zog ihm entgegen. Er blinzelte unter einer kühlen Brise und schloss die Augen, um noch etwas die Ruhe zu genießen und Kraft zu tanken. Ein dünner Rauchfaden zog an ihm vorbei und Kaibas Finger bewegten sich unruhig am Lenkrad, die blauen Augen durchforsteten ziellos die Gegend und verrieten, dass er sich noch immer mit vielen Grübeleien herumschlug.

„Hey…“, vernahm Joey beiläufig die Stimme einer jungen Frau. „Schau mal.“

„Ja“, erhob sich eine andere. „Das ist er doch, oder nicht?“

Flüchtig warf Kaiba einen Blick zur Ampel, senkte die Zigarette zum Aschenbecher und befeuchtete die Lippen mit der Zunge.

„Ja, wirklich… meine Güte.“

Träge öffnete Joey die Augen und hielt nach der Geräuschquelle Ausschau. Er drehte den Kopf zum Fenster und erblickte zwei junge Frauen, die in sicherer Entfernung an der Straße standen und ihn anstarrten, während sie hinter vorgehaltener Hand und recht ehrfürchtig miteinander flüsterten. Irritiert hob Joey die Augenbrauen, spähte zu Kaiba und bemerkte doch schnell, dass wirklich er der Mittelpunkt der Beobachtung darstellte.

>Was denn…?< Er verzog die Miene und die beiden Frauen tauschten noch eine kurze Tuschelei aus, winkten ihm schüchtern und gingen ihrer Wege. Wobei sie sich dauernd umdrehten und kicherten. Verstört sah Joey ihnen nach, wandte sich nach vorn und fing den Blick eines jungen Studenten ein, der unnormal lange an ihm haftete. Der Mann verlangsamte sogar seine Schritte, mit denen er die Straße überquerte, hob die Augenbrauen und trottete weiter. Und wieder… er drehte sich um. Sprachlos öffnete Joey den Mund, schloss ihn und drehte sich zu Kaiba, der den Wagen nun wieder in Bewegung setzte.

„Seto?“

„Mm.“ Abwesend hingen Kaibas Augen auf der Straße und der Blonde rieb sich die Wange.

„Hab ich irgendetwas im Gesicht? Ich meine, klebt da was oder hat sich über Nacht eine Missbildung entwickelt?“

Skeptisch lugte Kaiba zu ihm, schüttelte dann jedoch den Kopf und konzentrierte sich wieder auf das Fahren. Und Joey atmete tief durch, verzog das Gesicht und stützte den Ellbogen auf die schmale Fensterbank.

Und immer wieder… auf der Fahrt und bei jedem Stillstand spürte und sah er eine Aufmerksamkeit, wie er sie nicht gewohnt war. Bald war es ihm unheimlich und als sie in der Nähe der Schule hielten, hielt er das Gesicht hinter der Hand verborgen. Seufzend stellte Kaiba den Motor ab und erhaschte Joeys Verhalten aus den Augenwinkeln.

„Alles in Ordnung?“, fragte er und öffnete die Tür.

„Keine Ahnung.“ Joey verdrehte nur die Augen und stieg ebenfalls aus. Wenige Augenblicke später hingen die Schultaschen über ihren Schultern und der letzte Weg zur Schule wurde bewältigt. Unauffällig und trotzig wischte sich Joey immer wieder über das Gesicht. Es hörte nicht auf!

Sogar die Schüler widmeten ihm lange Beachtung und immer wieder fing er Wortfetzen auf. Naserümpfend passierte er neben Kaiba das Schultor und dann wurde es ihm zu bunt. Argwöhnische Blicke in alle Richtungen werfend, zupfte er an Kaibas Uniform.

„Was“, murmelte dieser und wirkte immer noch nicht, als befände er vollständig in der Realität.

„Merkst du das?“ Joey drehte sich einer jungen Schülerin nach, die ihn mit annähernd entsetzter Miene nachstarrte. „Alle glotzen mich an, als hätte ich eine fußballgroße Warze auf der Stirn.“

„Ach?“ Diese Nachricht schien Kaiba zu langweilen. Ebenso glaubte er es nicht und so zuckte er nur mit den Schultern. Er hatte wirklich nichts mitbekommen. „Eine Warze ist da jedenfalls nicht.“

„Aber irgendetwas anderes“, murrte der Blonde und betrat den Vorraum. Und seine Nervosität kannte keine Grenzen, als er die Schuhe wechselte und der Mittelpunkt des Zimmers war.

Überall waren sie…

Blicke, Worte…

Während sich Kaiba gemütlich aus den Stiefeln befreite und aber auch gar nichts zu ihm durchdrang, war Joey nahe der völligen Verwirrung. Bald sah er jedem nach, erwiderte jeden Blick und hob erwartungsvoll die Arme, als ein Parallelklässler vor ihm stehen blieb und starrte.

„Was denn!“

Und durch den rauen Ton abgeschreckt, schüttelte der Junge nur den Kopf und machte, dass er weg kam. Träge schob Kaiba die Stiefel in den Spind, schlüpfte in die Hauspantoffeln und schulterte die Tasche neu. Und wieder zerrte Joey an ihm, als sie das Schulhaus betraten.

„Seto…?“

Unscheinbar verdrehte Kaiba die Augen.

„Du hast nicht zufällig einen großen Müllsack dabei, den ich mir kurz überstülpen könnte…?“

Vor einer Treppe blieb Kaiba stehen und schloss sich den vielen Starrenden an.

„Was ist mit dir los?“, erkundigte er sich kritisch und verzog die Miene.

„Nicht stehen bleiben.“ Hektisch gestikulierte Joey mit den Händen und schob den Brünetten die Stufen hinauf. „Ich glaube, ich werde hier gleich verrückt.“

„Du bist es schon.“

„Seto, das ist kein Spaß.“ Joey fand sich neben ihm ein. „Schau.“ Und er wies mit einem Nicken auf eine Gruppe von Schülern, die vor ihrem Klassenzimmer warteten und sich mit großen Augen zu ihnen umdrehten. Sofort waren die Gespräche beendet und endlich wurde auch Kaiba auf die Tatsache aufmerksam. Verwundert spähte er von der Gruppe zu Joey und abermals zur Gruppe, als sie an dieser vorbeizogen.

„Jeder starrt mich an“, brummte Joey zwischen den zusammengebissenen Zähnen und Kaiba musterte ihn, als wolle er sich davon überzeugen, dass es die Warze wirklich nicht gab. Und auch nichts anderes, das so auffällig war. Stirnrunzelnd drehte er sich um und erspähte einige Schüler, die die Köpfe aus den Unterrichtsräumen streckten, um ihnen nachzusehen.

>Was zur Hölle…<

„Joey!“, ertönte plötzlich ein Ruf und als sich beide umsahen, erkannten sie Duke, der mit zielstrebigen Schritten auf sie zusteuerte.

„Ah.“ Zur lockeren Begrüßung hob Joey die Hand, doch Duke wirkte weniger entspannt. In seiner Hand lag eine zusammengerollte Zeitung, die er hob, als er sie erreichte. Und mit einem gezielten Schlag traf sie Joeys Schulter.

„Sag mal…“, der Schwarzhaarige holte tief Luft, „… bist du des Wahnsinns?“

Seine Stimme klang vorwurfsvoll und genervt. Kaiba hob die Augenbrauen und der Blonde ließ unter einem lauten Stöhnen die Schultern sinken.

„Nicht auch noch du. Alle anderen benehmen sich schon komisch genug.“

„Verübelst du es ihnen?“ Duke verengte die Augen und gestikulierte mit der Zeitung. „Was erwartest du denn! Hast du eigentlich nie die Nase voll? Musst du dich immer wieder schreiend in Gefahren schmeißen und dein blödes Leben riskieren?!“

Seine Stimme schwoll an und als Kaiba die Gegend unter die Lupe nahm, sah er, dass sich die Anzahl der Schaulustigen verdreifacht hatte. Auch Joey nahm diese Tatsache wahr und wusste nicht mehr, was er denken sollte.

„Was…?“

„Wie ‚was’!“ Duke stemmte die Hände in die Hüften. „Wir haben dich gestern gesucht! Aber der Joey war weder auf der Arbeit, noch über sein Handy zu erreichen! Ich Idiot sage natürlich, dass es nicht nötig ist, sich Sorgen zu machen!“ Er plapperte wie ein Wasserfall und Joeys Miene strahlte pure Verwirrung aus. „Und dann so etwas! Findest du das witzig? Und dann noch der Artikel! Hast du es nicht für nötig gehalten, uns das schonend beizubring…“

„Artikel…?“, ächzte Joey und Duke schloss den Mund. Nun war Joey nicht der einzig Irritierte und Kaibas Blick fiel auf die Zeitung, die nun sinken gelassen wurde.

„Natürlich der Artikel“, stöhnte Duke nach wenigen Momenten und hob er die Zeitung. „Tu nicht so, als wüsstest du nichts davon!“ Starr richteten sich die braunen Augen auf das Papier. „Verdammt, seit wann ist es denn deine Angewohnheit, das so herauszuposaunen? Klar, ist bestimmt toll, mal der Held zu sein aber…“

„Duke!“ Joey verdrehte die Augen. „Würdest du mir vielleicht einfach mal diese verdammte Zeitung geben?“

„Da!“ Und trotzig wurde sie ihm die Arme gedrückt. Stöhnend nahm Joey sie an sich, räusperte sich leise und lugte abermals zu den glotzenden Schülern. Dann schlug er die Zeitung auf, hob die Titelseite und starrte sie an. Kaiba lehnte sich etwas zu ihm. Und gleichzeitig weiteten sich ihre Augen voller Ungläubigkeit. Sprachlos öffnete Joey den Mund, sein Gesicht verlor an Farbe und Kaiba trat näher, um auf den besagten und riesigen Artikel zu starren.

‘Held des Tages - Joseph Wheeler! Wie er 47 Geiseln das Leben rettete und schwer bewaffnete, kaltblütige Bankräuber im Alleingang zur Flucht zwang!’

„Was…?“ Annähernd lautlos kam das Wort über Joeys Lippen und Kaiba schluckte schwer, als er sich in die Schrift vertiefte.

‚Mit unglaublichem Mut… riskierte das eigene Leben selbstlos… schützte die Geiseln vor der Grausamkeit der Bankräuber… überlebte schwer verletzt…’

„D-das…“, Joey suchte nach Worten. Langsam klammerten sich seine Finger in das Papier und nach einem hektischen Grübeln traf ihn die Erkenntnis wie ein schmerzhafter Schlag.

>Der Reporter, der unter den Geiseln war?!<

Er verzog die Miene, schüttelte den Kopf und rang nach Atem. Duke musterte ihn finster und der Blonde schüttelte den Kopf ausdrücklicher.

„D-das ist Schwachsinn!“, protestierte er entsetzt und ließ ruppig die Zeitung sinken, wo sie ihm sofort von Kaiba aus der Hand geklaut wurde. Akribisch vertiefte sich der Brünette abermals in den Artikel und Joey starrte keuchend zu den Schaulustigen.

„Das stimmt gar nicht! Überhaupt nicht!“

„Du warst also nicht in einen Banküberfall verwickelt?“ Duke kaufte es ihm nicht ab und Joey hob die Hände.

„Doch… ja, doch, war ich!“ Er spuckte einen leisen Fluch und fuhr sich hektisch durch das Haar. „Aber das ist völlig übertrieben. Ich habe nichts anderes gemacht, als die Typen hinzuhalten!“

‚Selbstlos warf er sich vor eine Geisel und fing die Kugel ab, die für diese bestimmt war!’ Kaiba las weiter. ‚Sie durchschlug seine Schulter und trotz der Schmerzen kämpfte er weiter und…’

Skeptisch nahm er Joeys Schulter unter die Lupe. Aufgebracht gestikulierte der Blonde mit den Armen.

„Ah! Dieser verdammte…“, er rieb sich den Mund, drehte sich zur Seite und nur ein kurzer Blick in die Zeitung und auf das Bild genügte, um ihn zur alten Rage zurückzubringen. „Seit wann glaubst du denn das, was in der Zeitung steht!“, wandte er sich an Duke. „Wenn du wissen willst, wie es wirklich war, dann frag gefälligst mich und lies nicht diesen Schund!“

Und endlich schien Duke ihm etwas Glauben zu schenken. Sein Gesicht entspannte sich etwas und als Joey weiterfluchte, hob er beschwichtigend die Hände.

„H-hey… okay.“

„Man!“

„Du hast also nicht Kopf und Kragen riskiert und die Geiselnehmer provoziert?“

„Nein!“, brach es sofort aus Joey heraus, doch ebenso schnell verhedderte er sich wieder. „Ja, gut, ich habe sie etwas gepiesackt aber ich…“

Kaiba rümpfte die Nase.

‚Mit unglaublicher Gerissenheit durchschaute er die Pläne der Bankräuber und drängte diese in die Enge. Er bewies außerordentliches Können und bald wirkte es, als hätten die Geiselnehmer mehr Respekt vor ihm, als vor…’

„Hey!“ Joey reichte es. Mit verbitterter Miene trat er an Duke heran. „Ich erkläre es dir später und wahrheitsgetreu. Ich hab die Schnauze voll.“ Und er schickte den Gaffenden einen finsteren Blick. Sofort wandten sich einige von ihnen ab. Es wirkte beinahe, als hätten sie Angst.

‚… gelangte durch eine halsbrecherische Aktion an eine Waffe… schlug Geiselnehmer nieder… bedrohte sie mit eigener Waffe…’ Kaiba hob die Zeitung näher zum Gesicht. ‚… verschwand spurlos, nachdem gestürmt wurde. Wo ist der Bankheld?! Wie edelmütig kann ein Mensch sein, um sich anschließend nicht einmal einem Interview und dem Dank der Geiseln zu stellen?!’

Er atmete tief ein, ließ den Rest des Artikels unbeachtet und betrachtete sich das Bild. Dort saß ein Blonder auf einer Trage und wandte sich einem Arzt zu. Und der Text, der die Abbildung begleitete.

‚Wehrte sich gegen ärztliche Maßnahmen und bestand darauf, dass die anderen Geiseln vorgezogen werden.’

>Und das mit einer Kugel in der Schulter…<, dachte sich Kaiba beeindruckt und reichte die Zeitung an den Schwarzhaarigen zurück. Dieser nickte einsichtig, stöhnte zermürbt und wandte sich ab, um zu seinem Klassenzimmer zurückzutrotten.

„Das ist mir eh alles zu hoch…“, hörten sie ihn noch murren. Ächzend stemmte Joey die Hände in die Hüften, presste die Lippen aufeinander und war sehr schnell nicht mehr damit einverstanden, angestarrt zu werden, als stünde er im Schaufenster. Einen leisen Fluch knurrend, zerrte er wieder an Kaibas Ärmel und dieser folgte ihm nach einem knappen Blick zu den Schaulustigen. Verbittert starrte Joey auf den Boden, als sie sich ihrem Klassenzimmer näherten und nach kurzen wirschen Überlegungen wandte er sich an Kaiba.

„Sag mal…“, raunte er, „… darf der Typ das? So einen Schwachsinn über mich verfassen, meine ich.“

Kaiba verschränkte die Arme vor dem Bauch.

„Kann ich den irgendwie anzeigen…?“ Joey kratzte sich am Kopf. „Keine Ahnung… vielleicht wegen…“

„Übler Nachrede?“ Kaiba linste anstellig zu ihm. „Tut mir leid, dir das sagen zu müssen aber da sehe ich keine Möglichkeit. Immerhin schaukelt er dich hoch und hängt dir keine Verbrechen an.“

„Aber muss man die Leute nicht fragen, bevor man etwas über sie schreibt?“ Joey wollte es nicht auf sich sitzen lassen. „Ich habe weder Lust darauf, irgendetwas über mich zu lesen noch, als Held dargestellt zu werden. Weil ich das schlicht und ergreifend nicht bin. Und wie jeder weiß, sind die Typen mitsamt der Beute entkommen… also kein besonders tolle Ende, findest du nicht?“

Seite an Seite betraten sie das Klassenzimmer, blieben in das Gespräch vertieft jedoch stehen.

„Ich an deiner Stelle würde dem keine Beachtung schenken“, gab Kaiba seine Meinung preis und Joey juckte sich an der Nase. „Natürlich wirst du erst einmal den Platz im Rampenlicht besetzen aber nach zwei oder drei Tagen hat das wieder jeder vergessen.“

„Denkst du, ja?“ Der Blonde blähte die Wangen auf und versuchte das Gestarre der Klassenkameraden nicht zu beachten.

„Es ist so gut, wie sicher.“ Kaiba ging noch ein paar Schritte, bis er seinen Platz erreichte. Murrend stellte er die Schultasche auf dem Tisch ab. „Ich habe selbst schon Erfahrungen damit gemacht.“

„Heeey.“ Skeptisch verengte Joey die Augen. „Der Artikel über deinen Tod hat sich länger gehalten und war dann wieder in aller Munde, als du wieder draußen herumgelaufen bist.“

„Was für Vergleiche.“ Kopfschüttelnd ließ sich Kaiba nieder und streckte die Beine von sich. Joey stemmte sich auf den Tisch und beugte sich zu ihm.

„Aber ich kann doch mit dem Fritzen reden und ihn bitten, solche blöden Artikel zu unterlassen?“

„Können tust du viel.“ Kaiba begann in seiner Tasche zu kramen. „Nur ist die Gattung der Reporter weniger interessiert an deiner Meinung.“

„Ahhh…“, stöhnend richtete sich Joey auf. „Gut, gut…“

Somit hob er die Hand und trottete zu seinem Platz. Ein Klassenkamerad wich ihm übertrieben aus, als er auf seinen Tisch zusteuerte und Joey fühlte sich nach einem lauten Aufschrei. Konnten die ihn nicht zumindest unauffällig anstarren?

„Joey!“

Der Blonde verdrehte leicht die Augen, warf die Tasche auf den Tisch und zog sich den Stuhl mit dem Fuß zurück. Mit besorgter Miene kam Yugi zu ihm gestürzt, Tea und Tristan im Schlepptau.

„Joey, geht es dir gut?!“ Keuchend blieb Yugi stehen und begutachtete ihn von Kopf bis Fuß.

Tea presste sich beide Hände auf die Brust und Tristan hatte damit zu kämpfen, nicht genauso zu reagieren, wie Duke.

„Ja, geht schon.“ Joey hielt seine Stimme nicht zurück. Sie erhob sich laut. „Ich hatte gestern zwar noch eine Kugel in der Schulter, die mein ganzes Schulterblatt zertrümmert hat, aber weil ich so super mutig und cool bin, macht mir das gar nichts! Ha!“ Daraufhin lachte er kurz und lustlos, wedelte mit dem Arm und duckte sich knurrend zu seiner Tasche. Und während die Drei verwirrte Blicke tauschten, betrat die Klassenlehrerin das Zimmer. Auch ihre Augen suchten sofort nach Joey und sie studierte ihn kurz, bevor sie sich an ihr Pult begab. Auch zu Kaiba sah sie, doch dieser starrte wie verbohrt in seinen Terminplan und bewegte die Lippen zu leisen Grübeleien. Auch ihre Mimik wies auf eine stille Besorgnis hin und immer wieder nahm sie Joey in Augenschein, während sie ihre Bücher hervorholte. Doch der Blonde sah gar nicht danach aus, als hätte er eine Operation hinter sich. Er gestikulierte mit den Händen, schnitt Grimassen und quasselte auf Yugi, Tea und Tristan ein, die nur stockend nickten. Bald warf sie einen Blick auf ihre Uhr.

„So, bitte auf eure Plätze. Der Unterricht beginnt.“

„Nach der Stunde…“, erklärte Joey abschließend und zwang sich zu einem beruhigenden Grinsen. „Macht euch keinen Kopf… alles in Ordnung.“

„Okay.“ Tea nickte etwas unbeholfen und so strömten die Drei auseinander und trugen zum allgemeinen disziplinierten Bild bei. Tief durchatmend lehnte sich Joey zurück und die Lehrerin begann wieder mit einer organisatorischen Rede, der er nebenbei lauschte. In seinem Inneren brodelte es… dieser Schock… er hätte sich nie träumen lassen, einmal die Titelseite von Domino’s größter Zeitung zu zieren.

„Also haben wir bis zu den Abschlussprüfungen noch knapp einen Monat.“ Entspannt schrieb die Lehrerin die genauen Termine an. Wieder einmal, damit es niemand vergaß. Und jeder wünschte sich, es zu können und war nicht dazu imstande, da sie das Datum wie ein höhnisch kicherndes Schreckgespenst verfolgte. Auch Joey starrte missgelaunt an die Tafel.

„Ich hoffe für euch, dass ihr schon alle fleißig am Lernen seid.“ Und die Lehrerin wandte sich zur Klasse, die mit einem unentschlossenen Raunen und Brummen antwortete. „Aha.“ Sie runzelte die Stirn. „Damit ihr dazu genug Zeit habt und nicht abgelenkt werdet, wurde die Klassenfahrt nach Deutschland ja an den Anfang des Schuljahres verlegt und…“

Joey blähte die Wangen auf.

Ach ja, Thüringen… es war wirklich traumhaft gewesen. Und er senkte den Kopf und piepelte an dem Hefter. Kaiba biss sich auf die Unterlippe, noch immer in den Terminplan blätternd.

>Hoffentlich ist der Haftbefehl für Bankroft schnell da! Wenn sich die Polizei noch mehr Zeit lässt, dann wird er längst etwas gewittert haben und über alle Berge sein!< Er fuhr sich durch den Schopf, blätterte weiter. >Ich will meine verfluchten Unterlagen wiederseh…<

„Herr Kaiba?“ Plötzlich stand die Lehrerin vor ihm und der Angesprochene blickte auf. Seufzend hob die Lehrerin die Kreide. „Ich weiß, dass Sie sich weniger Sorgen um die Prüfungen machen müssen aber trotzdem bitte ich Sie, etwas aufmerksamer zu sein.“

„Mm.“ Und trotzig wurde der Planer bei Seite gelegt.
 

Gemütlichen Schrittes ließ Jason einen kleinen Beistelltisch hinter sich, zog sich den Morgenmantel zu Recht und fuhr sich durch das Haar, als er vor dem großen Fenster stehen blieb, auf das prunkvolle Anwesen seines Vaters hinabblickte.

Er hatte lange geschlafen, bis in die späten Morgenstunden und während er noch auf einem Croisson kaute, wendeten sich seinen Gedanken Dingen bereits zu, die er heute zu tun hatte. Und er war zufrieden. Weich schmiegte sich der Teppich an seine nackten Füße, friedlich tickte neben ihm die große Wanduhr und weißer Dampf stieg von dem frisch gebrühten Kaffee auf.

Es war ein Tag, wie er ihn liebte. Großzügig sandte die Sonne matte Strahlen durch das Fenster und brachte ihn zu einem fortwährenden Schmunzeln.

Wie wunderbar begann so einer neuer Tag mit der Gewissheit eines Erfolges.

Mit dem Wissen, dass erbeutetes Geld an einem bestimmten lagerte. Allein ihm zugänglich und bestens bewacht.

Mit dem Wissen, einen Plan ausgearbeitet zu haben, der funktionierte. Seine Leitung, sein Befehl, der ein Resultat mit sich brachte, das ihn stolz machte.

So war auch sein Teil der Abmachung erfüllt. Alles, was er sich vorgenommen hatte, um den eigenen Plan in die Tat umzusetzen… mit der unwissenden Mithilfe des Bruders, der in diesen Momenten die Schulbank drückte. Und mit ihm, diese süße Ahnungslosigkeit, unter der sich Jason nun behaglich streckte.

Es schien zu glücken.

Trotz der Außerplanmäßigkeiten, die ihm für kurze Zeit die Kontrolle entrissen. Das Verhalten des Blonden war riskant gewesen. Nicht nur für ihn selbst, für sie alle und spätestens, nachdem er darüber geschlafen und neue Nerven getankt hatte, war der Gedanke, dass der Blonde den Fängen seiner Männer entgangen war, weitaus weniger schmerzhaft.

Wie hatte er noch getobt, wie hatte er geflucht und sich gewünscht, die Polizei hätte nur wenige, weitere Momente gewartet. Ein späteres Eingreifen, dass seinen Männern die Möglichkeit gab, ihn rundum zufrieden zu stellen.

Doch nun…. Ja, nun war es in Ordnung und er sah diesen freien Weg vor sich. Ein Pfad zum Ziel ohne Hürden und Stolpersteine. Er musste nur noch einen Fuß vor den anderen setzen.

Ein Gähnen stieg in ihm auf und entspannt gab er sich ihm hin, kehrte dem Fenster den Rücken und schlenderte zu dem Frühstückstisch zurück. Er mochte es, hier in seinem Raum zu essen. Völlig ungestört in seinen Gedanken, die mit jedem Schritt seiner Vorstellungen entzückender wurden. So ließ er sich wieder nieder, streckte die Beine von sich und tastete beiläufig mit den Zehen nach seinen Morgenpantoffeln.

Wie lange noch?

Seine Augen drifteten zur Uhr, während er den Kaffee an sich nahm.

Nicht viel mehr als fünf Stunden, bis Charlie aus der Schule zurückkehrte und sie endlich Gelegenheit finden würden, den nächsten Schritt einzuleiten.

Sich etwas Eigenes aufzubauen, die Rollen zu verteilen… jeder auf seinen eigenen Vorteil aus.

Unter einem tiefen Atemzug hob er die Tasse zum Mund und nippte an dem Getränk.
 

Der Schultag wurde für Kaiba und Joey nicht leichter.

Für keinen von Beiden. Joey rang damit, weniger auf das Umfeld zu achten und zu tun, als ginge es nicht um ihn und in Kaiba rauften sich die Gedanken wie kleine Knaben, jeder mit anderen Ängsten und Ansichten.

Wie würde es ausgehen…?

Bekäme er jedes Blatt zurück? Eine jede, wichtige Notiz?

Es ließ ihm keine Ruhe und so wären die Beiden auch aufgefallen, gäbe es keine Zeitungsartikel. Schweigsam und mit düstren Mienen trotteten sie von einem Klassenzimmer zum nächsten, während Yugi, Tea und Tristan sich des Lebens erfreuten, Duke an seinen Kaugummis piepelte und Bakura in einem Buch blätterte. In der Hofpause gab sich Joey einer langen Rede hin, mit welcher er seine Freunde mit der Wahrheit konfrontierte und infolgedessen beruhigen konnte. Keine Kugel im Schulterblatt, keine wilden Schlägereien… nur die Tatsache, dass es dennoch eine kleine, verirrte Kugel gab, wurde ausgelassen. Der Verband an seinem Arm hielt sich gekonnt unter der Uniform versteckt und die Verletzung machte nur mit einem leichten Stechen auf sich aufmerksam, wenn er den Arm zu unvorsichtig bewegte. So war auch Duke bald wieder der unbesorgte, ruhige Typ und der Rest der Clique fand wieder zum normalen Gesprächsstoff zurück. Bakura hingegen, fiel einmal mehr durch atemberaubendes Desinteresse auf, das er preisgab, während Joey erzählte und berichtete. Da vertiefte er sich lieber in das Buch und regte sich nur, um sich am Kopf zu kratzen. In der Mittagspause stand Kaiba kurz telefonierend im Flur, setzte sich mit Bikkys Eltern in Kontakt und verabredete mit ihnen, wann Mokuba nach Hause gebracht werden sollte. Nach diesen Tagen freute er sich auf seinen Bruder, gruselte sich jedoch ebenso vor dessen Energie und davor, ihr möglicherweise nicht gewachsen zu sein. Erst, wenn all das vorbei war…

„In Ordnung, auf Wiederhören.“ Somit ließ er das Handy sinken und löste sich von der Wand, an der er soeben noch gelehnt hatte. Das Handy verschwand wieder in der Hosentasche und so verschränkte er die Arme und schlenderte zu dem großen Fenster am Ende des Ganges. Seine Pupillen durchschweiften die Gegend und auch, als er sein Ziel erreichte, fand er kein großes Interesse an der Außenwelt. Bald bearbeitete er die Fingernägel mit den Zähnen, lehnte sich gegen das Fensterbrett und atmete tief durch.

Gedankenfetzen glitten wir graue Nebelschwaden durch seinen Kopf, ließen sich weder greifen noch erklären. Erinnerungen, Ängste und Grübeleien vereinten sich zu einem einzigen, undurchschaubaren Wirrwarr, mit welchem er sich herumschlug. Und noch immer kein Schlaf. Matt ließ er die Hand sinken, kehrte dem Fensterbrett den Rücken zu und lehnte sich mit dem Steiß an.

>Das ist zum Verrücktwerden<, fasste er sein Leiden in präzise Gedanken und schüttelte über die eigene Hilflosigkeit erzürnt den Kopf.

Und gerade dachte er daran, ein wenig zu fluchen, da riss ihn ein leises Rumpeln aus der Absenz. Nicht weit entfernt stand Bakura in der nähe einer Tür und starrte resigniert auf den Berg von Büchern, den er soeben noch in den Händen gehalten hatte. Nun lag er zerstreut auf dem Boden und der junge Mann seufzte, bevor er in die Knie ging und mit unglaublicher Ruhe die Bücher einsammelte. Kaiba zögerte nicht lange, bevor er sich auf den Weg zu ihm machte.

Und ohne auf Bakuras Reaktion zu achten, kniete er sich zu ihm und griff nach einem schweren Buch. Bakura hatte kurz in seinen Bewegungen inne gehalten, starrte den unerwarteten Helfer leicht entrüstet an und wandte den Blick ab, als Kaiba zu ihm aufblickte.

„Wo sollen die hin?“

„Mm.“ Bakura räusperte sich und baute einen Stapel aus den Schmökern. „Zurück in die Bibliothek.“

Kaiba runzelte die Stirn.

„Und da schicken die einen Einzigen?“, murrte er.

„Ich hätte das bestimmt geschafft“, antwortete Bakura auf seine leise und recht verhaltene Art. „Irgendwie.“

„Ja, irgendwie.“ Kaiba schüttelte den Kopf. „Ich nehme dir die Hälfte ab.“

Und wieder schien es, als wäre Bakura ungemein überrascht. Seine Hand verharrte kurz reglos, bevor sie sich auf ein Buch legte. Doch dann nickte er schweigend und kurz darauf kamen sie zurück auf die Beine und das mit einer Last, die auszuhalten war. Kaiba balancierte kurz seinen Stapel aus, stützte das obere Buch mit dem Kinn und schlenderte los. Bakura folgte ihm schweigend. Und beinahe permanent wurde er angestarrt. Bald blähte Bakura die Wangen auf, presste die Lippen aufeinander und starrte auf den Boden. Unterdessen gelang es Kaiba, den Titel eines der Bücher zu erkennen…

„Lest ihr das gerade?“ … und wandte sich ohne zu Zögern an den Jüngeren. Dieser sah ihn mit großen Augen an, bewegte kurz still die Lippen und nickte letztendlich.

„Mm.“ Somit wandte sich Kaiba nach vorn und festigte seinen Griff. Ein weiteres Mal wollte er diese Bücher nicht aufsammeln.
 

Mit einem Mal erhob sich das Läuten der Türglocke, erhob sich am Eingangsbereich im Foyer und füllte kurz darauf das immense Treppenhaus der Bankroft-Villa aus. Es drang hinauf bis in die obersten Etagen, ertönte lang und verstummte, als sich ein Finger von dem Druckknopf löste.

Die alte Stille kehrte zurück, das monotone Ticken einer großen Wanduhr, weit entfernte Schritte und nur wenige Momenten vergingen, bis eine junge Angestellte durch einen offenen Durchgang eilte. Hastig bewegte sie ein Tuch zwischen den Händen, hatte alles stehen und liegen gelassen und bemühte sich, die letzten Beweise der Putzarbeiten von ihrer säuberlichen Robe zu entfernen. Sie wischte, klopfte, richtete sich das Haar und räusperte sich konzentriert, bevor sie große Eingangstür öffnete und Haltung annahm.

Kühl zog ihr die Herbstluft entgegen, als sie den Flügel weit öffnete und unbekannte Gesichter erblickte. Ein älterer Mann in braunem Zwirn stand ihr gegenüber und unweigerlich drifteten die Augen der jungen Frau an ihm vorbei, richteten sich auf drei uniformierte Polizisten, die sich hinter ihrem Vorgesetzten hielten.

„Sie wünschen?“, brachte sie überrascht hervor und längst hatte auch der Chef-Inspektor an ihr vorbei und in das Innere der Villa gespäht. Prüfend, aufmerksam, bevor er eine schwarze Mappe hob.

„Ich muss Herrn Bankroft sprechen“, erwiderte er mit seiner rauen Stimme und unentschlossen löste die junge Angestellte die Hand von der goldenen Klinke. „Unverzüglich. Ist er Zuhause?“

„Ja.“ Stockend nickte sie und deutlich war ihr anzusehen, wie sie kurz ihre Gedanken ordnete, bevor sie zurück und zur Seite trat. Sie gab den Polizisten den Weg frei, wies in das prächtige Foyer des Hauses. „Bitte treten Sie doch ein.“

Ohne zu zögern setzten sich die Vier in Bewegung und keine lange Zeit verging, bis man die Tür hinter ihnen schloss, aufgeregt an ihnen vorbeizog.

„Bitte warten Sie hier“, bat die junge Frau noch aufgeregt, bevor sie sich abwandte und schnellen Schrittes in einem schmalen Gang verschwand, der an dem Foyer anknüpfte. Flink pochten ihre Absätze über den marmornen Boden, bis eine Tür klackte und die Polizisten in völliger Stille zurückblieben.

Die Finger auf der Mappe bewegend, blickte sich der Cheaf-Inspektor um, wandte sich nach beiden Seiten und schickte auch de Polizisten knappe Blicke, die diese verstehend erwiderten.

Wichtige Angelegenheiten hatten sie hierher geführt und jede Minute, die sie hier standen, erschien ihnen, wie eine Minute zuviel. Trügerisch friedlich umgab sie die saubere Umgebung, gedämpft drang auch das Ticken der Uhr zu ihnen und endlich auch das erneute Klicken einer Tür. Unweigerlich wandten sie sich zur Seite und wurden nicht mehr lange warten gelassen.

Es war Herr Bankroft höchstpersönlich, der in dem Flur erschien. Gekleidet in einen Morgenmantel, soeben bei seinem Frühstück unterbrochen worden war und dementsprechend dreinblickte. In großen, stolzen Schritten bewegte er sich auf die Beamten zu, musterte und fixierte sie vom ersten Augenblick an argwöhnisch und unzufrieden.

Eine schmale Lesebrille saß auf seiner knolligen Nase, während sein Nacken von einem weichen, weißen Handtuch gewärmt wurde und seine Füße in bequemen Pantoffeln steckten. Schweigend erwiderte der Inspektor diese Aufmerksamkeit und drückend wirkte auch die anhaltende Stille, bis Bankroft vor ihnen zum Stehen kam. Von einem Gesicht blickte er zum anderen, tastete nach dem Handtuch und runzelte die Stirn.

„Was kann ich für Sie tun?“ So früh gestört zu werden, hielt ihn selbst von der Begrüßung ab, doch die Polizisten störten sich herzlich wenig daran. Unbeeindruckt bewahrten Sie Haltung, während ihr Vorgesetzter an seinem Zwirn rückte.

„Verzeihen Sie die frühe Störung“, hob er an und spätestens sein Tonfall verriet, dass es sich bei diesen Worten um einen routinierten Spruch ohne jeglichen Hintergrund handelte. Fortwährend wurde er von den schmalen Augen Bankrofts gemustert und kaum achteten sie auf das Klicken der Tür, das aus der ersten Etage des Treppenhauses zu ihnen drang. „Es handelt sich um Ihren Sohn.“ Und während der Hauch eines misstrauischen Zuckens durch Bankrofts Gesicht driftete, öffnete der Inspektor die Mappe. Mir geübtem Griff wurde eine Schlaufe gelöst und dem reichen, korpulenten Mann ein Schreiben vorgehalten. Sofort erfassten die grauen Augen des Mannes das Siegel, die Paragraphen, die Unterschrift von höchster, gerichtlicher Ebene… und stumm öffneten sich seine schmalen Lippen.

Eine Reaktion, für die sich der Inspektor sehr interessierte. Aufmerksam verfolgte er diese Verblüffung, gleichzeitig jedoch auch, wie die erste Befürchtung aus der Miene seines Gegenübers wich, als er den betreffenden Namen las. Geduldig hielt der Inspektor das Schreiben erhoben.

„Gegen Ihren Sohn, Charles Bankroft, liegt dieser Haftbefehl vor“, kommentierte er das Schriftstück und endlich fanden die Augen des Vaters zu ihm zurück. Bequem ließ er die Mappe sinken und erwiderte den abschätzenden Blick des Mannes unbeteiligt. „Sollte sich besagte Person in diesem Gebäude finden, sind Sie dazu verpflichtet, ihn uns unverzüglich auszuliefern.“

Kaum war das letzte Wort über seine Lippen gekommen, fand er Ablenkung in einer Bewegung auf der Treppe. Ein junger Mann war dort erschienen. Ebenfalls gekleidet in einen Morgenmantel, studierte er die Situation überrascht, während er die Stufen hinab stieg.

„Vater?“ Irritiert spähte er zu dem Mann, der in einer langsamen Bewegung die Arme vor dem Bauch verschränkte. „Was geht hier vor?“

Neugierig trat er so näher und auch an ihm hafteten die Augen des Inspektors intensiv. Von Kopf bis Fuß wurde er gemustert und letzten Endes blieb es bei einem leisen Murren Bankrofts.

„Er ist nicht da.“

Sofort verlor der Inspektor das Interesse an Jason und während dieser die kleine Gruppe erreichte, wurde die Mappe geschlossen. Eine zu erwartende Antwort. Einfach war es nie und während Jason annähernd aufgewühlt von einem Gesicht zum anderen spähte, reichte der Inspektor die Mappe an einen seiner Kollegen.

„Und wo ist er?“, erkundigte er sich nebenbei und Jason kam nicht um ein hastiges Schlucken. „Ich bin darauf aus, die Verhaftung so schnell wie möglich durchzuführen.“

In ihm flimmerte eine Befürchtung, die er sich keinesfalls ansehen lassen wollte… ein deutliches Schuldbewusstsein, das sein Herz in der Anwesenheit der Ordnungshüter rasen ließ.

Aber sie waren nicht wegen ihm hier…

Mithilfe eines tiefen Atemzuges gelang es ihm, sich äußerlich zu beruhigen. Er war kein Mensch, der in jeder Situation einen kühlen Kopf bewahrte und kurz spähte er zu dieser Mappe. Das kurze Schweigen brachte genug Gelegenheiten, sich flüchtige Gedanken zu machen und so analysierte der Inspektor vor allem das Verhalten Bankrofts genau.

Erkundigte er sich nicht, was seinem Sohn zur Last gelegt wurde?

Interessierte es ihn nicht?

„Geht es um Charlie?“, erkundigte sich Jason in diesem Moment und er beließ es bei einem knappen Nicken, weiterhin auf die Antwort beharrend.

„Wissen Sie es?“, hakte er also nach und Herr Bankroft wirkte in diesen Augenblicken vielmehr als ein Mensch, der sich mit einer nervtötenden Zeitverschwendung abzugeben hatte, als ein Vater, dessen Sohn kurz vor einer Verhaftung stand. Wieder gab er sich nur einem Brummen hin, tastete nach dem Handtuch und schien unterdessen trotzdem tief in Gedanken versunken.

„Er befindet sich in der Schule“, murrte er und wieder starrte Jason zu dieser Mappe, sah sich überfordert mit diesen Tatsachen.

„Welche Schule?“

Wie konnte ein Verdacht auf seinen Bruder fallen, wenn dieser so überzeugt von seinen Plänen und sich selbst so sicher war?

Gerade er strukturierte sein Handeln doch so durchdacht, dass es nicht dazu kommen könnte.

Zu dem, was sich hier und jetzt abspielte.

Man bezichtigte ihn einer Straftat?

Wieder schluckte er trocken und schwer, spürte einen kalten Schauer, als er bemerkte, wie aufmerksam einer der Polizisten ihn ansah.

Was hatte das zu bedeuten?

Sofort wandte er sich etwas ab, fixierte sich auf seinen Vater, der murrend die Antwort erbrachte und den Inspektor somit zufrieden stellte. Nickend versenkte er die Hände in den Hosentaschen und die Tatsache, dass er selbst nach dieser Information noch stehenblieb, ließ ihm bange werden.

Verbissen hielt sich Jason aufrecht, gab sich so unwissend, wie es ein Mensch mit seinem Wissen schaffen konnte.

„Erlauben Sie uns, uns in den Räumen Ihres Sohnes umzuschauen?“, folgte so die nächste Frage des Inspektors und fast hätte Jason nach Luft geschnappt. Wie ein Fisch auf dem Trockenen, unangenehm überrascht und aufgescheucht. Von dem Inspektor spähte er zu seinem Vater, sah dessen finstere Miene und spreizte die Hände, die sich in den langen Ärmeln des Morgenmantels verbargen.

„Ohne einen Durchsuchungsbefehl werden Sie nicht in meinem Haus herumschnüffeln.“ Deutlich gereizt erbrachte sein Vater die erhoffte Antwort und der Inspektor machte sich nicht viel daraus.

„Der Durchsuchungsbefehl ist bereits ausgestellt“, murmelte er nur und schickte Jason einen seltsamen, knappen Blick. „Sobald er beglaubigt wurde, sind wir wieder hier.“

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“ Ein leises Brummen folgte auf diese Worte. Bankroft fühlte sich alles andere, als wohl… gänzlich abgeneigt in der Gesellschaft der Beamten und seit wenigen Momenten nur noch darauf aus, sie aus seinem Haus zu jagen. „Haben Sie sonst noch etwas auf dem Herzen?“, erkundigte er sich also barsch. „Ich will frühstücken.“

Was für eine Erleichterung… auch, wenn es eine Fragwürdige war, atmete Jason doch tief ein und konnte sich den Worten seines Vaters nur anschließen.

Sie sollten gehen, jetzt und sofort!

Er brauchte Zeit, um all das zu überdenken!

… und wieder fanden die Augen des Inspektors zu ihm, ließen ihn innerlich erstarren.

„Jason Bankroft?“

Sofort verfolgte dessen Vater das neue Interesse des Beamten. Ja, mit einem Mal schien er aus seiner abweisenden, gleichgültigen Hülle zu schlüpfen und sah seinen älteren Sohn stockend nicken.

„Auch Sie werden einer Straftat bezichtigt.“

„Was…?“ Nur leise antwortete Jason, glaubwürdig entsetzt und letztendlich war er es auch. Sein Vater runzelte die Stirn.

„Da es sich bei der einen Aussage, die sich gegen Sie richtet, jedoch nur um eine Vermutung handelt, liegt gegen Sie noch kein Haftbefehl vor. Wir sind aber auf der Suche nach handfesten Beweisen.“

„Was denn für eine Straftat?“ Aufgebracht starrte Jason von dem Inspektor zu seinem Vater, näherte sich diesem um einen unbewussten Schritt und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, worum es geht.“

„Erklären Sie sich!“ Scharf mischte sich nun auch Herr Bankroft ein und sofort nickte sein Sohn zustimmend, näherte sich dem Schutz des Vaters weiterhin, während der Inspektor finster taxiert wurde. „Sie erscheinen hier mit unerhörten Behauptungen!“

>Oh Gott…!< Unweigerlich spürte Jason das dumpfe Pochen seines Herzens… fühlte selbst das Pochen seines Pulses und jede Faser seines Körpers, als sich seine aufgebrachten Gedanken auf diese eine Aussage richteten, die gegen ihn stand. >Wer?!<, fragte er sich und tat es letztendlich nur kurz.

Nur wenige, weitere Sekunden…!

Wäre er allein, wäre die Wut unaufhaltsam aus ihm herausgebrochen, hätte ihn schreien und wüten lassen. Doch hier stand er nur bei seinem Vater, mit bleicher Miene und verkrampft in sich verschlossen.

Nur wenige, weitere Sekunden hätten seine Männer am gestrigen Tag in der Bank gebraucht, um ihm das zu ersparen!!

Er hatte sich wirklich an die Polizei gewendet!

Natürlich…!

Vermutlich hatte er das Überleben des Blonden unterschätzt und langsam ballten sich seine Hände zu Fäusten. Der Inspektor wandte sich direkt an ihn.

„Sie werden verdächtigt, an dem Banküberfall, der sich gestern ereignete, beteiligt gewesen zu sein.“

„Was?!“, brach es entsetzt aus Jason heraus und fast zuckte er zusammen, als sein Vater in ein plötzliches, humorloses Lachen ausbrach. Laut erschallte es in dem Treppenhaus.

„Mein Sohn?!“, rief er ungläubig und hielt sich den Bauch; unbeeindruckt hob der Inspektor die Brauen. „Schauen Sie sich doch um!“ Und er hob die Arme und präsentierte sein Reich. „Sieht mein Sohn aus, als würde es ihm an Geld fehlen?!“

„Wie ich bereits sagte“, fast fiel der Inspektor ihm ins Wort, „liegen bisher keine Beweise vor. Aber spätestens, wenn wir die flüchtigen Bankräuber fassen, werden wir mehr wissen.“

Amüsiert schüttelte Herr Bankroft den Kopf, verhöhnte die Verdächtigungen der Polizei offensichtlich, während sich sein Sohn starr bei ihm hielt, die Lippen aufeinander presste und sich nichts anderes wünschte, als dass die Beamten augenblicklich verschwanden. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und setzte beinahe aus, als sich der Inspektor abermals an ihn wandte.

„Wir müssen Sie auffordern, die Stadt nicht zu verlassen, bis diese Angelegenheit geklärt ist. Bleiben Sie erreichbar.“

Stockend nickte er.
 

Vorsichtig nahmen Kaiba und Bakura die Treppe in Angriff.

Der Weg war nicht lang und sie waren kurz davor, das Ziel zu erreichen, als eine leise Melodie ertönte. Sofort horchte auch Bakura auf und verfolgte, wie Kaiba sofort in die Knie ging, den Stapel ablud und das Handy zückte. Es schien, als habe er nur auf einen Anruf gewartet und mit einer kurzen Handbewegung bat er Bakura um Geduld, bevor er das Handy zum Ohr hob, neben den Büchern hocken blieb.

„Ja.“

Bakura hob die Augenbrauen, blieb neben ihm stehen und entschied sich dann doch dazu, die Bücher auch erst einmal abzulegen. Ihr Gewicht war nicht zu unterschätzen.

„Herr Kaiba.“ Nach einem letzten Blick zu der Villa der Bankrofts, schob sich der Inspektor in den Streifenwagen. Um ihn herum klackten die Türen, als es ihm die anderen Beamten gleichtaten und beiläufig tastete er nach dem Zündschlüssel. „Aufgrund der umfassenden Aussage Soriamas wurde bereits heute früh der Haftbefehl für Charles Bankroft ausgestellt.“

„Haben Sie ihn schon verhaftet?“ erkundigte sich Kaiba sofort nachdrücklich, doch die nächsten Momente, in denen er in das Handy lauschte, brachten ihn zu einem zermürbten Ächzen.

„Wir haben bei ihm Zuhause mit der Suche begonnen, ihn aber nicht angetroffen.“ Somit startete der Inspektor den Motor und Kaiba rieb sich das Gesicht. „Er soll sich in der Schule aufhalten und wir machen uns jetzt unverzüglich auf den Weg dorthin.“

„Tun Sie das.“ Stirnrunzelnd stemmte Kaiba den Ellbogen auf den Bücherstapel. Bakura legte den Kopf schief und stupste seinen Stapel mit dem Fuß an. Neben ihm wurde schweigend zugehört.

„Jason Bankroft werden wir uns leider erst zuwenden können, wenn wir die Bankräuber ergriffen und verhört haben“, drang die Stimme des Inspektors an Kaibas Ohr und langsam rieb sich dieser das Gesicht. „Eine Vielzahl meiner Beamten sind bereits bei Recherchen und auf der Suche nach den Männern.“

„Was interessiert mich Jason Bankroft?“, warf Kaiba verständnislos ein. „Er ist nicht derjenige, der Unterlagen besitzt, die in meinen Tresor gehören! Kümmern Sie sich einfach darum, den Jungen zu finden und darum, dass ich mein Eigentum zurückbekomme!“

„Was denken Sie, tun wir hier?“, erkundigte sich der Inspektor murrend, verwarf die Worte jedoch mit einer knappen Kopfbewegung. Kurz darauf fuhr er fort, begann von seinen neuesten Eindrücken zu erzählen, wenige Gedankengänge und Vermutungen preiszugeben und konzentriert nahm Kaiba jedes seiner Worte in sich auf, umklammerte das Handy und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen. Konzentriert und ziellos durchstreiften die blauen Pupillen die Umgebung und lange schwieg er, nickte vereinzelte Male und presste die Lippen aufeinander.

„So weit dazu“, schloss der Inspektor bald ab. „Ganz gleich, wie erfolgreich wir in der Schule Bankrofts sein werden, es ist nötig, dass Sie heute noch einmal in das Präsidium kommen, damit Ihre Aussage ausführlich aufgenommen werden kann.“

„Heute…“, flüsterte Kaiba und runzelte die Stirn. „In drei Stunden könnte ich bei Ihnen sein.“

„In drei Stunden erwarte ich Sie“, bestätigte der Inspektor und im Hintergrund erhob sich das permanente Rauschen des Motors. „Bevor ich Sie angerufen habe, habe ich versucht, Herrn Wheeler zu erreichen.“

„Darum kümmere ich mich.“ Kaiba kam auf die Beine und streckte den Rücken durch. „Ich bringe ihn mit.“

„In Ordnung.“

„Auf Wiederhören.“

„Wiederhören.“

Somit ließ Kaiba das Handy sinken und in der Hosentasche verschwinden. Unentschlossen sah Bakura ihn an, doch Kaiba bückte sich nur wieder nach den Büchern.
 

Langsam ließ sich Herr Bankroft nieder. Auf dem Stuhl und an dem Tisch, von dem man ihn fortgezogen hatte. Er genoss das Polster, rückte sich zurecht und während Jason leise die Tür des Raumes hinter sich schloss, stierte er gereizt zu dem in der Zwischenzeit kalten Kaffee, lehnte sich stöhnend zurück und blickte auf.

In zögerlichen Schritten löste sich Jason von der Tür, näherte sich ihm durchaus unentschlossen, doch letztlich blieb die Musterung nur kurz und der Zorn des älteren Mannes lenkte sich ausschließlich auf die Polizisten.

„Was die sich einbilden…“, murrte er und griff nach einer Obstschale. Neben einem Sessel hielt Jason inne, suchte sich seinen Halt an der Armlehne und schwieg. „Diese unnützen Einfaltspinsel.“ Barsch pflückte er sich eine Weintraube, bewegte sie zwischen den Fingern. „Was sich dein Bruder für Probleme macht, interessiert mich nicht, solange es nicht meine werden. Aber dich zu verdächtigen… in einem solchen Fall.“ Ein breites Grinsen zog an den Lippen des Mannes und unsicher schloss sich Jason dieser Geste an.

Er wurde nicht gefragt. Man erwartete nicht von ihm, Rechenschaft abzulegen.

So absurd, was?

Und trotzdem zeugte seine Haltung mehr und mehr von einer unterdrückten Unruhe.

Auch, wenn Charlies den Hausherren nicht belangten, bei ihm war es wohl anders und er spähte zu der Wanduhr, während es sich sein Vater schmecken ließ, den Kopf schüttelte, immer wieder belustigt aufstieß.

„Mach dir keine Gedanken, mein Sohn.“ Die nächste Traube wurde sinken gelassen und mit überlegener Sicherheit nahm der Mann diesen in Augenschein. „Der Gestank deines Bruders wird nie an dir haften. Die Polizei ist nur zu unfähig, weshalb sie auf ‚Teufel, komm raus’ nach Verdächtigen sucht. Sie werden niemals Hand an dich legen, dafür sorge ich.“

Jason hatte sich also nicht zu sorgen.

Er stand unter dem Schutz des Mannes, gegen den er vorging und war Charlie in dieser Angelegenheit um einen Schritt voraus, den man nicht aufholen konnte. Trotzdem blieb es nur ein flüchtiger Moment der Sicherheit und wieder spähte Jason zur Uhr, regte die Finger an dem Polster des Sessels und rang sich zu einem Grinsen durch, das dem Hohn des Vaters beinahe gewachsen war.

„Ich lasse mich nicht beschuldigen, wenn ich nichts getan habe“, fügte er hinzu und erhielt, wie könnte es auch anders sein, ein anerkennendes Nicken.

Natürlich verdächtigte sein Vater ihn nicht.

Nicht sein eigen Fleisch und Blut.
 

Er versuchte sich nicht lange bei seinem Vater aufzuhalten, schloss sich dessen Bemerkungen eifrig an, wurde unruhiger und nervöser mit jeder Bewegung des Sekundenzeigers und spätestens, als er bemerkte, dass sein Vater seine Anwesenheit während des Frühstückes erwartete, erhob er einen unauffälligen Einspruch.

Die Sache wäre nicht von Bedeutung…

Es gäbe keine Beweise, die man finden könnte und auch, wenn es alles andere, als der Wahrheit entsprach, er arbeitete erfolgreich darauf hin, diese Angelegenheit als ‚unwichtig’ darzustellen, nicht bedeutsam genug, dass er sein eigenes Frühstück verpasste und letztendlich war es nicht schwer, dafür zu sorgen, dass er den Raum des Vaters in Einvernehmen und dessen Zufriedenheit verlassen konnte.

„Ich leiste dir Gesellschaft, sobald ich mein Frühstück zu mir genommen habe“, meinte er noch ergeben, als er sich durch den Türspalt schob, hinaus in das Treppenhaus und den Flügel in das Schloss zurückklicken ließ. Rasch die Klinke bewegt und sobald diese hölzerne Barriere ihn von dem Vater trennte, wandte er sich ab, geradewegs den Treppen zu, die er in eiligen Schritten in Angriff nahm, hastig auf dem Rückweg in sein Zimmer.
 

„Was?“ Joey starrte Kaiba mit großen Augen an, als sich dieser nach vorn neigte und die Ellbogen auf seinen Tisch stemmte. Mit einem nachdrücklichen Nicken untermauerte er seine Worte und Joey begann ziellos an seinen Heftern zu rücken. Seine Miene zuckte voller Gram und nachdem er an der Kante einer Mappe gezerrt hatte, verdrehte er die Augen.

„Seto…“, ächzte er und ließ endlich von seinen Schulutensilien ab. „Das ist doch alles Mist. Ich habe heute vor, meine Stelle im Lawell zu retten und wenn ich dort nicht sofort nach der Schule aufkreuze, kann ich das vergessen.“

Naserümpfend ließ Kaiba den Kopf sinken und Joey rutschte im Stuhl tiefer.

„Es wird wohl genügen, wenn sie die Bankräuber endlich kriegen und ausquetschen. Ich habe schon gesagt, was ich weiß und da ich sowieso keine Beweise habe, ist das nicht wirklich dringend“, brummte er und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wieso stelle ich mir eigentlich noch Pläne auf, wenn ich die so oder so nicht einhalten kann?“ Er wirkte frustriert und Kaiba richtete sich unter einem tiefen Atemzug auf. Gerade eines der wichtigsten Vorhaben dieses Tages durfte er nicht fallen lassen. „Danach wollte ich vielleicht wieder in die Kaiba-Corp. und anschließend habe ich zu büffeln. Wie soll ich das unter einen Hut kriegen, wenn…“

„Joseph.“

„… dauernd Umwege machen muss? Und wenn, was soll ich denn sagen? Viel weiß ich doch auch nicht und ganz bestimmt…“

„Joseph.“ Kaiba starrte ihn an und endlich verstummte der Blonde.

„Was.“

Flüchtig sah Kaiba sich um, räusperte sich und beugte sich abermals zu ihm vor. Griesgrämig sah Joey ihn an.

„Der Inspektor meinte, es wäre vielleicht nicht das, wonach es aussieht. Seine Vermutungen gehen in die Richtung, dass beide Bankrofts wirklich zusammen gearbeitet haben und auch ich bin der festen Überzeugung.“

Und noch ehe er ausgesprochen hatte, verdunkelte sich Joeys Miene und unter einem leisen Brummen richtete er sich im Stuhl auf, lehnte sich zu Kaiba, um diesen scharf zu taxieren.

„Ihr mit euren Vermutungen. Weißt du, was ich vermute? Dass ihr euch alle irgendwie und mächtig verrannt habt.“

Augenblicklich schien Kaiba zu erahnen, worum es sich handelte. Er stieß ein lautes Ächzen aus; hinter Joey kämpfte Tristan mit einem zerzausten Hefter und Yugi rutschte von seinem Stuhl. Missmutig verfolgte Joey Kaibas Reaktion und biss sich auf die Unterlippe.

„Es ist wirklich mies, was dir und deiner Firma passiert ist“, hob er an und neben ihm blieb ein lächelnder Yugi stehen.

„Hallo Joey.“

„Jetzt nicht“, wurde er abgewimmelt und Kaiba runzelte die Stirn, während er die braunen Augen musterte, die sich keinen Augenblick von ihm lösten. Irritiert drehte sich Yugi um und ging. „Aber irgendwie sieht es mir ganz danach aus, als würdest du nur nach einem Schuldigen suchen.“

„Ah.“ Kaiba Stimme erreichte den Blonden lediglich als genervtes Flüstern. „Jetzt kommt also das, was wir seit gestern Abend für uns behalten hast.“

„Ja, und?“ Joey hob die Augenbrauen, hinter Kaiba betrat ein Lehrer das Zimmer. „Ich sage nur, worin ich mir sicher bin.“

„Was du denkst“, verbesserte Kaiba rüde und Joey presste die Lippen aufeinander.

„Kaiba“, meinte er nach einem tiefen Luftholen. „Ich glaube, bei diesem Thema kommen wir nicht weiter, auch wenn wir uns auf den Kopf stellen.“

Ächzend verschränkte Kaiba die Arme vor dem Bauch und Joey gab sich von nun an desinteressiert und unbeteiligt. Naserümpfend kam er auf seine Hefter zurück und rückte an ihnen.

„Wenn du deine Beweise brauchst, um mir zu glauben, dann warten wir eben auf die blöden Beweise.“

„Es geht mir gerade nicht um irgendwelche blöden Beweise“, erwiderte Kaiba, der weitaus weniger ruhig wirkte. Nach einem tiefen Atemzug stemmte er abermals die Hände auf Joeys Tisch und starrte diesen an. „Es geht mir um deine Sichtweisen, in denen du dir alles so zurechtlegst, wie es dir in den Kram passt!“

„Und weißt du, worum es mir geht?“ Augenrollend sah zu Joey ihm auf. „Du bist so verdammt kühl und auf deine Ziele konzentriert, dass es dir grob gesagt scheißegal ist, wie ich fühle und was mir mein Instinkt sagt! Wieso auch nur ein Wort von dem Idioten glauben, obwohl er Charlie kennt und ich nicht?“ Er schnitt eine Grimasse, zuckte mit den Schultern. „Beweise, Beweise… verdammt, könntest du dich nicht wenigstens etwas danach richten und nicht wie ein Irrer auf deinem Standpunkt verharren, sondern auch etwas anderes in Erwägung ziehen?“

Die leise Melodie ertönte im Hintergrund, tuschelnd kehrten die Schüler zu ihren Plätzen zurück.

„Ah.“ Kaibas Miene verdunkelte sich erbost, während Joey bitter zur Seite linste. „Das sagt jemand, der sich nur den Instinkt als Standpunkt wählt und auch wie ein Verrückter darauf sitzen bleibt? Was bringen dir deine Instinkte, wenn sie durch die Beweise zunichte gemacht werden!“

„Hör zu!“, schnaubte Joey und allmählich waren es nur noch ihre Stimmen, die sich erhoben, während der Lehrer vor der Tafel stand und sie anstarrte. „Es steht noch keinesfalls fest, wie es ausgeht! Und ich an deiner Stelle, wäre mir nicht zu sicher, sonst tut es umso mehr weh, wenn herauskommt, dass Charlie nichts, aber auch gar nichts damit zu tun hat!“

Als würde Kaiba unter Schmerzen leiden, biss er die Zähne zusammen, schloss die Augen und ballte die Hände zu Fäusten. Nun herrschte völlige Stille in dem Zimmer, bis der Brünette ein rüdes Brummen ausstieß.

„Du bist so verdammt…“

„Ja?“ Joey hob die Augenbrauen.

„… engstirnig!“ Kaiba presste die Lippen aufeinander und der Lehrer legte den Kopf schief, während die gesamte Aufmerksamkeit auf den Beiden haftete.

„Na, das ist ja toll!“ Joey verengte die Augen. „Weißt du was? Behalt du deine Engstirnigkeit und ich meine! Dann sind wir beide glücklich und du kannst mir das gerne noch einmal sagen, wenn deine blöden Beweise den Bach runtergehen!“

„Meine Herren?“ Der Lehrer räusperte sich.

„Weshalb diskutiere ich eigentlich mit dir!“ Kaiba schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich weiß, was ich gehört habe! Ich kenne meine verdammten Beweise und du…“

„Lass es sein.“ Joey winkte ab.

„… hast nichts von alledem mitbekommen!“

„Lass es sein!“, wiederholte der Blonde giftig.

„Meine Herren!“, erhob sich die Stimme des Lehrers abermals.

„Was denn!“, schenkte Joey dem Mann endlich Aufmerksamkeit. Stöhnend lehnte er sich hinter Kaiba hervor, fixierte den Störenfried giftig und erstarrte in seinen Bewegungen, als es der Lehrer war. Mit finsterer Miene starrte dieser ihn an und Kaiba presste die Lippen aufeinander.
 

Ein schallendes Lachen erhob sich in den Reihen der schwarzen Uniformen. Vertieft in die bequeme und lange Mittagspause saßen die Schüler der Privatschule beieinander, auf den Stühlen, den Bänken und den breiten Fensterbrettern, die sich vor den hohen, kunstvollen Fensterfronten erstreckten.

Eine heitere Stimmung herrschte, sobald der Lehrer den säuberlichen, großen Raum verlassen hatte und seit einigen Minuten raschelten nun die Verpackungen der Lunchpakete, begleitet von den Stimmen der jungen Menschen, die heiter durcheinander quasselten.

Junge Frauen verbargen die Münder hinter den Händen, während sie kicherten, in großer Gruppe beieinander saßen und sich weniger an den groben Themen der männlichen Mitschüler befassten. Die Kohlensäure knisterte in den unzähligen Flaschen, durstige Münder setzten sich an die Hälse und in großen Schlucken wurde getrunken.

Die Stunden waren anstrengend… es war wie an jedem Tag, an dem man die Pausen dringend nötig hatte und selbst das graue Herbstwetter vor den Fenstern nahm keinen Einfluss auf das Grinsen und das ausgelassene Gefeixe.

„Auf jeden Fall“, hob einer der jungen Männer lachend an und aufmerksam neigten sich andere nach vorn, der Erzählung aufmerksam folgend. „Er hat sich gewundert, wo die ganzen Bücher abgeblieben sind, während sein Kollege sie durch das halbe Gebäude geschleppt hat.“

„Haben die schon einmal was von Organisation gehört?“, maulte ein Schüler Kopfschütteln und kurz lebte das laute Lachen der benachbarten Mädchengruppe auf.

„Keine Ahnung.“

„Irgendwie nicht, oder? Sonst könnte das wohl kaum passieren!“

„Wo sind die Bücher am Ende geblieben?“, folgte sofort die nächste Frage und der Erzähler zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, ich habe es auch nur gehört.“

Wild durcheinander ging es so weiter und nur beiläufig reckte einer der Jungs den Kopf, sah sich um Klassenzimmer um.

„Wo ist eigentlich Ace abgeblieben?“

„Er hat etwas mit dem Geschichtslehrer zu besprechen“, meldete sich unweigerlich sein Nebenmann zu Wort. Jemand, der über den Verbleib des jungen Mannes meistens am besten Bescheid wusste. Bequem rutschte Charlie tiefer in den Stuhl, bewegte die Schuhsohlen an der Tischkante und gab sich einem innigen Gähnen hin.

„Wegen der Arbeit?“

„Nein, nein.“ Der junge Mann schüttelte sich, als wolle er so die Müdigkeit loswerden. Wild fielen die abstehenden Strähnen in sein Gesicht, als er sich wieder sinken ließ, behaglich schmatzte und den Gesprächen der Klassenkameraden kurz keine Beachtung mehr schenkte. Ein keckes Grinsen zeichnete sich auf den gepflegten Lippen des jungen Mannes ab. „Er versucht, an ein Referat heranzukommen.“

„Der bekommt aber auch nie genug.“ Sein Gesprächspartner ächzte und unter einem leichten Nicken begann sich Charlie plötzlich zur regen. Geschwind rutschten seine Füße von der Tischkante und während sein Nebenmann die Augen verdrehte, betastete er seine Hosentaschen. „Hat ihn das B in der letzten Klausur so runtergezogen?“

„Du kennst ihn doch.“ Schon zog Charlie sein Handy hervor, ein knapper Blick traf das Display und mit einer flinken Bewegung kam er auf die Beine. „Entschuldigt ihr mich kurz?“

„Klar.“ Grinsend wurde ihm gewunken und beiläufig nahm er den Anruf entgegen, schob sich vorbei an der Mädchengruppe, durch die Bänke und gen Tür. Er hatte es eilig, kehrte der Klasse den Rücken und hob das Handy zum Ohr.

„Was willst du?“ Ein widerspenstiges Zucken ging durch seine Mimik, als er in den Flur hinaustrat, eine herannahende Gruppe erspähte und sich sofort abwandte.

„Was ich will?“ Ungläubig erhob sich die überhebliche Stimme seines Bruders in der Leitung. Jason wirkte, als könne er sich nicht zwischen Nervosität und Schadenfreude entscheiden. „Weißt du, was ich wollte, als gerade vier Polizisten mit einem Haftbefehl vor unserer Tür standen?“

Ein perplexes Blinzeln brach aus Charlie hervor, als er die Schritte verlangsamte. Einen Fuß setzte er noch nach vorn, bevor er die Lippen mit der Zunge befeuchtete und die Miene verzog.

„Was für ein Haftbefehl?“, erkundigte er sich irritiert, überzeugte sich kurz davon, dass niemand ihn hörte. In beide Richtungen spähte er, bevor er in jeder Bewegung innehielt. Aufgebracht zog ihm Jasons Stimme entgegen, wilde Erklärungen, dass sich dieser Haftbefehl viel eher gegen ihn richtete und in völliger Bestürzung war Charlie nicht dazu fähig, auch nur eines seiner Worte ernst zunehmen. Sicher blieb er auf den Beinen, fast noch entspannt hielt die Hand das Handy und sein Gesicht zuckte zu einer knappen Grimasse.

„Versuch nicht, mich zum Narren zu halten.“ Verächtlich schüttelte er den Kopf. „Die Polizei kann unmöglich etwas wissen, geschweige denn, Beweise besitzen!“

„Sag das dem Inspektor, der unserem Vater das Schreiben gezeigt hat!“ Sofort erhob sich Jasons Stimme gereizt. „Die waren zu viert hier! Wenn unser lieber Vater nicht so gereizt gewesen wäre, hätten die sogar deine Räume durchsucht!“ Wieder stockte Charlie in seinen Bewegungen. „Toll hast du das gemacht! Das kommt von deinem egozentrischen Gerede, kleine Plage! Du hast Mist gebaut und wage es dir, mich in diesen Mist mit reinzuziehen!“

Sofort hob Charlie zu einer Antwort an. Seine Lippen bewegten sich augenblicklich, doch es blieb bei einem stillen Aufblicken. Perplex starrte er zu einer kleinen Gruppe von Schülern, schürzte die Lippen und wendete das Telefon zum anderen Ohr. Hastig.

„Was haben sie gesagt?“, zischte er ebenso eilig, drehte sich um und rieb sich den Hals.

Es schien, als begann er zu realisieren, zu begreifen, dass seine lang gehegte Ruhe eine Trügerische war.

Hatte Kaiba mehr getan, als zu verzweifeln?

Was hatte er getan?!

„Wie sind sie auf mich gekommen!“, verlangte er fauchend zu wissen und in der Leitung erhob sich ein lautes Stöhnen.

„Das fragst du mich? Denk selbst darüber nach! Denk drüber nach, wie sie an Beweise gekommen sind, die dich zweifellos zum Schuldigen machen!“

„Das ist Unmöglich!“, zischte Charlie auf und als sich vereinzelte Augenpaare auf ihn richteten, drehte er sich erneut, ging einen eiligen Schritt, rieb sich den Nacken. Finstere Verbitterung zuckte in seinen Augenwinkeln. „Es kann keine Beweise geben!“

„Ist mir scheißegal!“ Jason verlor seine ohnehin mangelhafte Geduld. „In diesem Moment ist die Polizei auf jeden Fall auf dem Weg zu dir, also lass dir etwas einfallen!!“

Gellend schrie er ihn an und mit einem Mal verlor Charlies Gesicht an Farbe. Bebend weiteten sich seine Augen und wie aufgeschreckt blickte er um sich und löste das Handy vom Ohr.
 

„Du redest einen Blödsinn.“ Stöhnend ließ sich der junge Mann auf die Schulbank sitzen, während der Rest der Gruppe in lautes Ächzen ausbrach.

„Das kann nicht sein“, pflichtete ein Anderer bei. „Er hatte die Ausarbeitung doch völlig verpasst!“

„Woher soll ich das wissen?“ Der Angesprochene gestikulierte wild mit den Händen. „Vielleicht hat er sie einfach von einem anderen kopiert?“

„Also von mir nicht.“ Sein Nachbar zerrte an dem schwarzen Stoff der Uniform, nicht weit entfernt erhob sich das heitere Lachen der Mädchen. „Wir wissen doch alle, dass der einfach nur faul ist! Wer würde dem denn helfen wollen?“

Eine leichte Brise erfasste die Gruppe, eilig flüchtete sich eine schwarze Uniform an ihnen vorbei und nur kurz sahen sie dem jungen Mann nach, der sich zu seinem Platz durchkämpfte.

„Was soll’s“, wurde kurz darauf geseufzt. „Wie der das immer hinkriegt, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, das würde ich wirklich gern wi…“

„Charlie?“ Irritiert fiel ein Mitschüler ihm ins Wort. Mit großen Augen starrte er zur Seite und augenblicklich begann sich die ganze Gruppe zu bewegen, verfolgte, wie ein Rucksack vom Haken gerissen und zugezerrt wurde. Unbeachtet blieben die Bücher auf der Schulbank liegen und kaum hatte sich der junge Mann den Rucksack über die Schulter geworfen, wurde auch die Jacke vom Stuhl gezerrt.

Verwundert lehnte sich die Gruppe auseinander. Münder öffneten sich, Stirnen wurden gerunzelt und ohne den Mitschülern einen Blick zu schicken, hastete Charlie schon wieder an ihnen vorbei. Gehetzt waren seine Schritte, quietschend schlitterte ein Stuhl zur Seite, der ihm im Weg war und als würde dem jungen Mann eine plötzliche Bedrohung im Nacken sitzen, begann er zu laufen. Schnell und gewandt bewegte er sich, pirschte sich durch die Bänke, begann zu rennen und hetzte aus dem Klassenzimmer. Unhaltbar rutschte er in den Flur hinaus, rang nach Gleichgewicht, stieß sich ab und perplex lauschten die Schüler den hastigen Schritten, die laut im Flur erschallten und unglaublich rasch an Lautstärke verloren.
 

Schweigend stopfte Joey den Mopp in den Eimer, rümpfte die Nase und stützte sich auf den dünnen Stock, während Kaiba mit verschränkten Armen an der gegenüberliegenden Wand lehnte und bitter zu dem Fenster starrte. Seit sie nun hier draußen standen und die Strafarbeit über sich ergehen ließen, herrschte Stille zwischen ihnen. Nur das leise Platschen ertönte, als der Mopp das Wasser wieder verließ und barsch auf dem Boden abgesetzt wurde. Doch der Blonde wirkte nachdenklich, als er ihn lustlos auf dem Boden bewegte, das Wasser von ihm tröpfeln ließ und den Eimer dann näher in Augenschein nahm.

Unter einem tiefen Atemzug hoben und senkten sich Kaibas Schultern und mit einem leisen Stöhnen ließ er die Arme sinken und ging in die Knie, um nun auf die Wand zu starren. Abermals rümpfte Joey die Nase und Kaiba stemmte das Kinn in die Handfläche, als der Eimer umgestoßen wurde und sich das Wasser abermals auf dem Flur verteilte. Träge begann Joey dann seine Runden zu trotten und das Wasser breit zu schmieren. Seine Augen hielten sich von Kaiba fern und auch dessen Augen streiften ihn nicht. Grübelnd begann Joey seine Unterlippe zu bearbeiten, machte kehrt und zog den Mopp hinter sich her. Hinter der Tür vernahm er währenddessen die Geräusche des Unterrichtes. Er schickte ihr einen flüchtigen Blick, blieb dann stehen und stützte sich auf den Stock. Kaiba blähte die Wangen auf, seine Finger begannen sich ziellos zu bewegen und letztendlich gähnte er herzhaft, rieb sich das Gesicht und schloss die Augen. Joey presste unterdessen die Lippen aufeinander, senkte den Kopf und lugte zu dem Brünetten, der die Lider erschöpft gesenkt hielt. Sinnierend musterte er ihn erneut und kurz darauf gaben seine Hände den Stock frei. Kaiba öffnete nicht einmal die Augen, als der Mopp auf dem Boden landete. Nur seine Lider zuckten kurz, als Joeys Schritte ertönten. Wieder atmete Kaiba tief durch, runzelte die Stirn und bearbeitete seine Zähne mit der Zunge. Kurz regte er sich auch in seiner Haltung, öffnete die Augen und erstarrte. Vor ihm hockte Joey und stierte ihn an. Erwartungsvoll erwiderte Kaiba seinen Blick und dennoch hielt Joey das Schweigen noch länger aufrecht. Seine Mimik wirkte flüchtig, als wäre sie so mürrisch wie zuvor, dann jedoch zog er die Nase hoch, unterbrach den Blickkontakt und setzte sich unter einem dumpfen Stöhnen direkt vor ihn. Kaiba hob die Augenbrauen und der Blonde fuhr sich durch das Haar, bevor er ein undefinierbares Brummen loswurde und ziellos an seiner Hose rupfte.

„Ich will nicht, dass Charlie es war“, murmelte er und Kaiba schürzte die Lippen.

„Ist mir gar nicht aufgefallen.“

„Verd… darum geht es nicht.“ Seufzend rieb sich Joey den Nacken. „Es will nicht in meinen Kopf… deshalb war ich blöd zu dir.“

Kaiba blähte die Wangen auf und seine Augen drifteten zur Seite.

„Charlie ist…“, fuhr Joey fort, „… der lebensfroheste Mensch, dem ich je begegnet bin. Er wirkt, als hätte er keine Probleme, verstehst du?“

Kaiba schwieg und Joey verschränkte die Arme vor dem Bauch.

„Natürlich weiß ich, dass es keinen Menschen gibt, der keine Probleme hat. Das ist unnatürlich und unmöglich. Aber sein Verhalten wirkt trotzdem so ehrlich, dass er der Letzte wäre, den ich für so etwas in Betracht ziehen würde. Und deshalb…“, er suchte Kaibas Augen annähernd flehend, „… akzeptiere ich es nicht. Es fällt mir schwer und ich weiß nicht, was ich denken soll, wenn es stimmt.“

Kaiba entließ einen hörbaren Atemzug und mit trägen Bewegungen ließ er sich zu Boden sinken und lehnte sich an die Wand. Joeys Finger bearbeiteten unterdessen den Boden.

„Glaubst du, dass man sich so in Menschen irren kann…?“

„Ich…“, hob Kaiba endlich zu einer Antwort an und sofort fanden Joeys Augen zu ihm zurück. Abwesend starrte der Brünette an ihm vorbei, presste letztendlich jedoch nur die Lippen zusammen und schüttelte weiterhin stumm den Kopf.

„Seto… es tut mir leid. Lass uns den Streit vergessen. Wir haben größere Sorgen.“

Doch es wirkte, als würde Kaiba überhaupt nicht darauf eingehen, als er die Augen verdrehte und den Hinterkopf an die Wand lehnte, um zur Decke aufzustarren.

„Es…“, kam ein leises Flüstern über seine Lippen, „… widert mich an.“

„Was denn?“ Joey hob die Augenbrauen und der Brünette legte die Ellbogen über die Knie, bevor er fortfuhr.

„Das alles.“

„Die Probleme in der Firma?“

„Ebenso alles, was damit zu tun hat.“ Kaiba blinzelte träge. „Ich habe seit drei Nächten nicht mehr geschlafen, gestern schlecht. Ich fühle mich wie gerädert und ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Ehrlich.“ Er weitete die Augen und Joey nickte verständnisvoll. „Ich habe keine Ahnung und mein Verstand arbeitet gerade noch gut genug, um sich an Beweise zu halten. Erwarte keine tiefsinnigen Grübeleien von mir.“

„Weißt du“, erwiderte Joey daraufhin und holte tief Luft. „Wir werden bald Gewissheit haben, Seto. Schon bald.“ Und er nickte, scheinbar mehr für sich selbst. „Egal, wie es ausgehen wird, wir werden bald sagen können, wie es wirklich ist.“

Kaiba blähte die Wangen auf und Joey wirkte mit jedem Augenblick nachdenklicher,

„Ich werde von nun an versuchen, etwas neutraler zu sein und… ich werde tun, was ich tun kann.“ Er sah sein Gegenüber direkt an. „Und du musst dir bald keine Sorgen mehr machen.“

„Mm.“ Kaiba lehnte den Hinterkopf gegen die Wand und schloss die Augen. „Das wünsche ich mir auch.“

>Heute Abend wird dieser Zeitpunkt vielleicht schon gekommen sein. Ich werde mich darum kümmern.<
 

~*to be continued*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2011-01-02T12:54:13+00:00 02.01.2011 13:54
Wenn das mal nich dramatik is. O.o du verstrehst echt was davon.
Von: abgemeldet
2010-04-22T10:06:12+00:00 22.04.2010 12:06
Oje oje oje oje!! Charlie ist auf der Flucht! Joey arbeitet gegen Kaiba und der ist immernoch total fertig im Kopf! Hoffentlich wird Jason ganz schnell eingeknastet und Charlie gefunden und seiner gerechten Strafe zugefügt wrden! Obwohl ich ihn über alles mag! >:O
Von: abgemeldet
2009-03-03T06:13:26+00:00 03.03.2009 07:13
also, jetzt fange ich auch mal an kommis zu schreiben
ich habe bis jetzt nur den fünften teil deiner geschichte gelsen, mal sehen in welcher reihenfolge ich jetzt der rest lese...
unglaublich gut, das sollte ich zu anfang vieleicht gleich mal sagen :) könnte auch in einem buch abgedruckt bei irgendeinem großen verlag erschienen sein
und natürlich spannend bis zu letzten minute, ich finde du kannst situationen immer total anschaulich und als wenn sie real wären beschreiben, allerdings manchmal auch etwas verwirrend...
was mich aber schon die ganze zeit wunderet, warum schlafen seto und joey nicht in einem bett?
wo wir schon mal bei joey sind, es gefällt mir super gut wie du ihn charaterisierst und bei steo ebenso ;)
so ich denke ich habe jetzt erstmal genug geschrieben, das ist glaube ich mein längstes kommi^^
aber eine frage noch, planst du in absehbarer zeit weiterzuschreiben?
liebe grüße und weiter so
ich freue mich schon auf deine anderen geschichten


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