Driving slow on Sunday morning
Es war ein ungewöhnlich heißer Sommer und besonders hier, mitten in Australien, brannte die Sonne jedem den letzten Rest Verstand aus dem Kopf. Nur so war es zu erklären, dass Jack Thomas Prick an diesem Sonntag im stickigen, aufgeheizten Wagen mitfuhr, anstatt entspannt zuhause in seinem mit Klimaanlage versehenem Zimmer zu liegen und ein Buch zu lesen.
Seufzend blickte er aus dem Fenster.
Die Luft über der roten Erde flimmerte und die wenigen Tiere, die über den glühenden Sand huschten, waren bald schon wieder verschwunden.
Und das alles nur wegen einem Typen, der den seltsamen Nachnamen Alksateri trug...
Kurzerhand beschloss der dunkelhaarige junge Mann, nie wieder an einem Austauschprogramm teilzunehmen.
Obwohl, eventuell war es ja in Finnland kälter...
Egal, entschied Jack, der gerade von einem großen Glas, voll mit gekühltem Eistee und einem riesigen Stück Apfelstrudel träumte und blickte weiterhin durch die schon beschlagene Scheibe hinaus. Jetzt musste er seine ganze Zeit auf diesen Finnen aufwenden- wer hatte eigentlich diese hirnrissige Idee gehabt?
Wer auch immer es gewesen war, der Australier wünschte ihn gerade zum Mond, denn obwohl er ohne diesen Austausch sicher um einige interessante Erlebnisse ärmer gewesen wäre, würde er doch nun einfach faulenzen können und müsste nicht zum sicherlich glühend heißen Flughafen fahren...
"Darling, was schaust du so seltsam? Macht dir die Hitze zu schaffen?"
Die hübsche, rothaarige Frau, die zufällig seine Mutter war, drehte sich fragend zu ihm um und schaute ihn über den Rand ihrer schwarzen Sonnenbrille aus hellblauen Augen an.
Wieder einmal fuhr es Jack durch den Kopf, wie verboten braun seine Mutter war - nicht einmal er schaffte diesen Hautton, der aber, wenn man ehrlich war, gar nicht schlecht aussah.
"Nein Mum, ich schwitze aus reinem Vergnügen - und schau gefälligst wieder auf die Fahrbahn, sonst baust du noch einen Unfall!"
Die noch recht junge Frau lachte laut auf und warf ihre Locken schwungvoll zurück.
"Junge, es sind noch neunzig Meilen bis Perth! Mit wem zum Teufel soll ich denn einen Unfall bauen? Ich wäre froh, wenn da mal etwas Gegenverkehr käme!"
Obwohl der australische Teenager sich, wie alle Jugendlichen dieser Welt, dagegen sträubte, seiner Mutter recht zu geben, musste er es diesmal tun - Australien war so groß, dass man tagelang fahren konnte, ohne auch nur einem Menschen zu begegnen und wem das Benzin ausging, der hatte wirklich mehr als nur Pech.
Tankstellen waren an den langen, schnurgeraden und schier endlosen Straßen rar gesät.
"Trotzdem, pass auf..."
Aus reinem Trotz wollte er dennoch Recht behalten und die erstickende Hitze, die im Geländewagen herrschte, hob seine Stimmung auch nicht unbedingt.
Seine Mutter verstand ihn, kurbelte das Fenster auf und gab Gas, hoffend, dass dieser Austauschschüler ihren Sohn für all die Strapazen entlohnen würde.
Ansonsten...
Ein wenig Disziplin tat diesem Wildfang auch nicht schlecht und es war eine gute Übung, ihn einen Tag lang in diesem Wagen hin - und herzukutschieren.
Gut gelaunt trat sie noch heftiger auf´s Gas und begann zu singen:
"You with the sad eyes
Don't be discouraged
Oh I realize
It's hard to take courage
In a world full of people
You can lose sight of it all
And the darkness inside you
Can make you feel so small
But I see your true colors
Shining through
I see your true colors
And that's why I love you
So don't be afraid to let them show
Your true colors
True colors are beautiful,
Like a rainbow"
"Nicht schon wieder...", stöhnte Jack und vergrub den Kopf in ein paar Klamotten, die auf dem Rücksitz lagen.
Sunday morning rain is falling
Steal some covers share some skin
Clouds are shrouding us in moments unforgettable
You twist to fit the mold that I am in
But things just get so crazy living life gets hard to do
Seufzend lehnte sich Esa Alksateri zurück, schaltete den CD-Player aus und schloss krampfhaft die Augen - er wusste schon, warum er das Fliegen an sich liebte, aber sowohl Start als auch Landung auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Er war im Übrigen überzeugt davon, dass, wenn er mal sterben würde, dies gewiss durch einen Pilotenfehler in einer dieser zwei Flugphasen geschehen würde. Das hielt ihn aber nicht im geringsten davon ab, sich immer wieder dieser tödlichen Gefahr auszusetzen - er liebte die Zeit über den Wolken.
Doch momentan war er kurz davor, mit mehr als hundertdreißig Meilen pro Stunde auf dem harten Asphalt aufzuschlagen und hatte dadurch bedingt, völlig zu Recht wie er fand, ein stark mulmiges Gefühl in der Magengegend.
Wie wild lutschte er an seinem Hustenbonbon herum - eine Flugzeugsucht, die bei ihm immer für frischen Atem sorgte.
Mit Angstschweiß auf der Stirn und einem unhörbaren Schrei auf den Lippen beobachtete er, wie sich die Landebahn unaufhörlich in gleichbleibender Geschwindigkeit näherte, schon bedrohlich nahe gekommen war und ihm nach dem Leben trachtete.
Hüpfend setzten sie auf und wurden gleich wieder zurück in die Luft katapultiert.
Esa war klar, dass dieser Flughafen sie nicht haben wollte, und nur der Gedanke daran, dass er Australien endlich sehen würde, verhinderte, dass er hysterisch zu kreischen begann.
Schließlich kamen sie mit einen entsetzlichen Quietschen zum Stillstand und der junge Finne wartete noch einige Minuten, ob vielleicht irgendwo ein Feuer ausgebrochen war.
Da dem nicht so war, stieg er vorsichtig aus und blickte sich suchend um.
Wer von denen sah aus, als würde er Jack Thomas Prick heißen?
Wie zum Teufel sah so einer eigentlich aus?
Er war recht sportlich, soweit konnte er sich erinnern, aber davon gab es hier in der Ankunftshalle einige...
Seufzend stellte Esa sich an das Fließband und wartete auf seine Koffer und obwohl er das Gefühl hatte, dass alles schieflaufen würde, freute er sich langsam auf dieses Land.
Bestimmt würde es ihm helfen, sein Englisch zu verbessern und die Menschen hier sollten auch sehr offen, humorvoll und nett sein, zumindest war es das, was er gehört hatte.
Und wieso sollte gerade sein Australier Probleme machen?
Ein finnisches Volkslied pfeifend schnappte er sich das erste seiner Gepäckstücke und hievte es neben sich auf den Boden.
Rechts hinter ihm stand ein junges Ehepaar, das sich laut stritt - ihren Worten zu urteilen, hatte sie ihre Flitterwochen in Ägypten verbringen wollen und war nun dementsprechen enttäuscht.
Etwas weiter am Band war eine iranische Familie, die bestimmt aus mehr als fünfzehn Mitgliedern bestand und wild diskutierend einige verwunderte Blicke auf sich zog.
Sie gefiel Esa.
Mal jemand, dem es egal war, was andere dachten...
Um ein Haar hätte er seinen zweiten Koffer verpasst, schaffte es aber gerade noch, ihn mit der tatkräftigen Unterstützung eines alten, irgendwie zerbrechlich wirkenden Mannes herabzuheben.
Ein kurzes "Danke", ein freundliches, hilfsbereites Lächeln und der junge Mann stand wieder alleine da und wartete auf den Rest.
Viel war es ja Gott sei Dank nicht mehr, aber so langsam fragte er sich, wo sein Austauschpartner blieb.
Man erwartete doch wohl hoffentlich nicht, dass er die weit mehr als hundert Meilen lief, oder?
Obwohl das eine absurde Idee war, schien Esa momentan nichts unmöglich, vielleicht, weil er, inzwischen mit drei Koffern und einer Tasche beladen, alleine auf dem riesigen Flughafen in Perth stand und niemand in Sicht war...
Kurzerhand nahm er sein Schicksal selbst in die Hand, besorgte sich einen Kofferwagen, bugsierte sich und sein Gepäck in ein kleines Flughafencafé und bestellte sich, trotz der unglaublichen Preise, einen Thunfischsalat und Cappucchino.
Eine gewiss gewöhnungsbedürftige Mischung, die ihm, aller Normalitäten zum Trotz, vorzüglich schmeckte.
Nach diesem kleinen Mittagessen saß er unentschlossen herum und sah sich um, ob zufällig ein Jack Thomas Prick vorbeilief.
Gleichzeitig fragte er sich erneut, ob diese Sorte Australier irgendwie besonders gekennzeichnet war, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.
Dann kam ihm der rettende Gedanke.
Triumphierend zog er einen Block aus seinem Handgepäck und schrieb in großen, sauberen Buchstaben seinen Namen darauf.
Zufrieden betrachtete er sein Kunstwerk, zeichnete noch schnell eine kleine, niedliche Blume an den Rand des provisorischen Schilds und stellte es gut sichtbar neben sich auf.
So, jetzt würde ihn sein Australier sicher finden...
Gelangweilt lehnte er sich zurück, fuhr sich durch das blonde Haar und schloss die Augen, bevor er blind nach seinem Discman tastete und ihn anstellte.
That may be all I need
In darkness she is all I see
Come and rest your bones with me
Driving slow on Sunday morning
And I never want to leave
Schon die ersten Töne sorgten dafür, dass er sich, sein Gepäck gut gesichert, entspannte und ein wenig döste.
Als er dann aber nach zwei Stunden, immer noch alleine, wieder aufwachte, war alle Gelassenheit innerhalb von Sekunden wie weggeblasen.