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Dunkle Nächte

Wenn das Schicksal zuschlägt...
von

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Geständnisse

Kapitel 9

Geständnisse
 

Das Licht war längst durch die Vorhänge gedrungen und erhellte den Raum in warmen Farben. Das ganze Zimmer strahlte mit der neuen Ordnung in einer ungewohnten Ausgeglichenheit und ließ eine gewisse Ruhe in allem entstehen. Der kleine Käfig stand auf einem niedrigen Tisch vor dem Fenster und so war seine Bewohnerin schon früh von der Sonne geweckt worden. Nun blickten ihre schwarzen Knopfaugen ungeduldig zu den beiden noch Schlafenden und das erste Piepsen entfloh ihrer kleinen Kehle. Es war ein langgezogenes Geräusch, gleich einem hohen Kreischen und zerriss gnadenlos die Stille des Zimmers.

Doch noch schien niemand das Herz erweichende Geräusch gehört zu haben, noch einmal erhob sich das helle Piepen und ein schriller Schrei entfloh dem winzigen, cremefarbigen Fellknäuel. Nun wurde auch die erste Reaktion auf das Quengeln hörbar. Ein leises Grummeln schwirrte durch die Luft und ein Rascheln der Bettdecke untermalte den Ton.

Erfreut beobachteten die schwarzen Knopfaugen, wie Bewegung unter der Bettdecke entstand, sie sich zu heben begann und plötzlich ein blonder Schopf zum Vorschein kam. Auf ihr drittes, nun erheblich leiseres Quicken nuschelte vom Bett her nur eine tiefe Stimme ein paar unverständliche Worte, die schnell wieder in sich selbst untergingen.
 

Die honigfarbenen Augen des Blonden blinzelten, noch verschwommen sahen sie Bilder aus Farbe und Formen, die keinen Sinn ergaben und so kniff er sie noch einmal zusammen. Er wollte doch gar nicht wach werden. Wer war nur auf diese außerordentlich dumme Idee gekommen, hier so einen Krach zu veranstalten? Genüsslich gähnend sackte er zurück auf das große Kissen, die geschlossenen Lider verhinderten nicht das gedämpfte Farbenspiel in der Finsternis und so zog er schließlich seine Hände aus dem Gewühl aus Stoff und rieb sich über die Augen. Warte mal, wo war er eigentlich?

Vorsichtig blinzelte er erneut und hob den Kopf an. Licht blendete ihn, sodass er noch einmal seine Augen zusammen kniff und einige Herzschläge Zeit brauchte, um sich daran zu gewöhnen. Erst dann konnte er erkennen, dass er weder in seinem Zimmer, noch in dem rotschwarzen Gästezimmer der Kaibas war. Mit einem Lächeln und einem erneuten Gähnen ließ er sich noch einmal in die weichen Stoffe sinken. Ja, sie hatten gestern wirklich gut aufgeräumt. Das Zimmer wirkte jetzt viel schöner als vorher und vor allem, kinder- und hamsterfreundlicher.
 

Doch ganz anscheinend hatte Lalapee nicht vor, den 19 Jährigen wieder einschlafen zu lassen. Boshaft erzürnt begann sie in ihrem Käfig herumzurennen und lauthals zu quicken. Wie hysterisch hopste sie auf das kleine Häuschen und sprang Richtung Gitter. Dabei fixierten die kleinen Äugelein das Bett und ihre Stimme schien sich mehrfach zu überschlagen.

Mit einem Ruck saß Joey senkrecht im Bett. Was war denn nun passiert? Erschrocken starrte er zu der Hamsterdame, die schlagartig schwieg. Wie? War das etwa ein Weckversuch gewesen? Wollte ihn dieses kleine Ding da etwa nicht schlafen lassen? Seufzend fuhr sich Joey mit einer Hand durch die verstrubbelten Haare, gähnte noch einmal ausgiebig und schlug die Decke zurück. „Ist ja gut, ich bin ja wach...“, nuschelte er vor sich hin.

Was war das nur für ein Hamster? Er wusste ja, dass sie einer Chemielehrerin gehört haben sollte und ein Schulkamerad die Kleine aus dem Fenster schmeißen wollte. Verschlafen beobachtete er das kleine Fellbündel, dessen schwarze Knopfaugen ihrerseits auf ihm ruhten. Nun schien sie zufrieden.
 

Noch immer nur halb wach streckte sich der 19 Jährige, spürte den stechenden Schmerz erst zu spät, der durch seinen Brustkorb raste und ihn erschrocken zusammen fahren ließ. Na toll, dass hatte er ganz vergessen. Verwirrt und mit zerknirschtem Blick drehte er sich leicht um, seine rechte Hand fest auf die Stelle gepresst, die eben noch so geschmerzt hatte. Und was war mit Mokuba, wollte der Knirps denn gar nicht mehr aufstehen?

Doch als er den 17 Jährigen „fand“, löste sich sein Unmut in Wohlgefallen auf und ein spöttisches Lächeln huschte zufrieden über seine Lippen. Nichts weiter als ein schwarzer Haarschopf schaute aus der Decke hervor, die eng um den kleinen Körper geschlungen war. Mokuba hatte die Beine angezogen und sich auf die linke Seite gerollt. Einige Haarsträhnen klebten auf seiner Stirn, die Wangen rot glühend und tief die Luft einziehend. So in die Decken eingemummelt war es mit der Sauerstoffzufuhr und dem Wärmeausgleich nicht ganz so einfach und ein leichter Schweißfilm hatte sich auf das zwar ruhige, aber dennoch etwas angespannte Gesicht gelegt. Die Hände waren unter dem Stoff verschwunden, hatten die Decke fest zusammen gezogen und waren unter dem Kinn in der Halsbeuge versteckt.
 

Kopfschüttelnd setzte er sich auf die Bettkante und warf noch einen Blick rüber zu dem kleinen Fellknäuel, das zufrieden an einigen Körnern knabberte. Na toll, und jetzt? Er gähnte noch einmal und fuhr sich unbewusst mit der rechten durch die wirren Haare. Er konnte ja schlecht durch das Haus wandern, auf der vergeblichen Suche eine Küche zu finden. Warte, wie war das. Er musste zuerst einmal in die große Eingangshalle finden. Von dort den Gang zur linken, nein, den rechten. Müde kniff er die Augen zusammen und fuhr sich mit den Händen erneut durch die Haare. Es war links, ja, die dritte Tür. Aber zuerst musste er links den Gang, nein, warte, halt. Resigniert erhob er sich vom Bett und streckte die Arme weit über den Kopf aus. So würde er nicht weiter kommen. Sein Blick suchte im Zimmer nach einer Uhr, die er schließlich auf dem kleinen Tisch neben dem Bett fand. Es war schon fast 10, so lange hatte er schon lange nicht mehr geschlafen, außer gestern, aber da konnte er sich nicht mehr an die genaue Zeit erinnern. „Mokuba, willst du nicht langsam mal wach werden. Ich verlaufe mich doch nur wieder maßlos in diesem Haus, also, hm, du könntest mir mal das Leben retten und mir den Weg zur Küche zeigen.“

Der Kleine hörte es eh nicht, viel zu leise und im Grunde eh nur für sich selbst waren diese Worte gesprochen.
 

Schlaftrunkend zog er sich den roten Pullover über, er sollte wirklich duschen gehen. Doch er hatte nichts mehr zum Wechseln. Er wusste nicht einmal, wo sein weißes Hemd geblieben war. Anscheinend hatte es den Angriff von Tala nicht überstanden und war so ausgemustert worden. Als er halbwegs wieder vernünftig gekleidet war, machte er sich mit einem Gähnen auf den ungewissen Weg in die Küche.
 

Wie zu erwarten hatte er sich heillos verlaufen. Sein Blick fiel auf die unzähligen Türen, von denen er sich immer noch fragte, was hinter ihnen zu finden war. Er spürte zwar eine gewisse Wut in sich, doch noch immer steckte die Müdigkeit zu sehr in seinen Knochen.

Doch im nächsten Augenblick war nur der Schrecken in seinen Gedanken. Eine der Türen hatte sich blitzschnell geöffnet und wäre er nicht mit einem Fuß zurück gewichen, hätte er jetzt eine blutende Nase. „Was soll das?“ Kam eher empört als wütend von ihm.

Zwei eisblaue Augen blickten unverständlich um die Tür herum und langsam betrachteten sie den jungen Störenfried von oben bis unten. „Die Frage ist eher, was du hier zu suchen hast?“ Noch immer lag die Feuchtigkeit des Duschens in den kurzen brünetten Haaren. Der junge Mann hatte eine schwarze Hose und einen dunkelblauen Rollkragenpollover an. Der breite Gürtel war mit einer silbernen, schmucklosen Schnalle versehen. „Ich…“ kam verwirrt von dem Blonden, dem dann doch die Worte fehlten. „Du solltest dringend duschen gehen, Wheeler. Was machst du eigentlich hier, suchst du mal wieder die Küche?“ Die Feindseligkeit in seiner Stimme war sehr viel geringer, als er es geplant hatte. Müde fuhr er sich mit der linken Hand durch die Haare.
 

Joey konnte sich kaum fangen. Er war immer noch müde und sein Gegenüber sah ebenfalls nicht mehr ausgeschlafen aus. Während er sich so beschämt am Kopf kratzte nuschelte er nur in sich hinein. „Ich habe leider weder eine Dusche, noch etwas zum Wechseln.“

Erstaunlicherweise gab es dieses Mal keinen bösen Kommentar, die blauen Augen hatten nur einen seltsamen Schimmer. „Da du ja eh schon einen meiner alten Pullover trägst, kannst du ruhig noch einen haben. Komm rein.“ Joey war nun noch verwirrter und doch folgte er der Bewegung wie ein treuer Hund seinem Herrchen. Zögerlich trat er um die Tür herum und als er in das Zimmer seines Feindes und neuem Arbeitgeber kam, blieb er vor Ehrfurcht wie angewurzelt stehen. Sein Blick glitt über den gewaltigen Kleiderschrank auf der linken Seite, das riesige Fenster ihm quer gegenüber, neben dem sich ein großes, ja beinahe gigantisches Bett anreite und schließlich die verschlossene Tür auf der rechten Seite. Das nannte er einmal ein imposantes Zimmer. Als letzes stand da noch ein kleiner Schreibtisch neben ihm in der rechten Ecke. Das große Bild neben der verschlossenen Tür war ihm natürlich auch ins Auge gefallen.
 

„Was ist los? Hast du noch nie ein Zimmer gesehen?“ Die blauen Augen bohrten sich schon aus der Ferne in die seinen und er spürte einen Schauer über seinen Rücken laufen. Schnell schüttelte er den Kopf. „Natürlich habe ich schon ein Zimmer gesehen, aber noch nie so eins.“ Er machte eine große ausladende Bewegung mit beiden Armen. „Ich habe noch nie ein Zimmer gesehen, dass so groß und schlicht ist und trotzdem so unglaublich aussieht. Allein die Farbkombination mit dem dunklen Blau und den Silber ist schon atemberaubend, aber die schwarzen Akzente mit dem Mobiliar.“ Er vergaß, wem er das alles erzählte und machte ein paar Schritte auf das aus schwarzem Ebenholz gefertigte Bett zu. „Und diese Verarbeitung erst. Ich glaube es kaum.“

Seto betrachtete mit großen Augen wie Joey unter dem Bett verschwand und einen Bewunderungsausruf nach dem anderen von sich gab. Als der Wuschelkopf wieder zum Vorschein kam, die Wangen rot glühend, sah Seto seit langem die honigfarbenen Augen einmal wieder leuchten, als wären Weihnachten und Ostern auf einen Tag gefallen. „Wer auch immer dieses Bett gefertigt hat, es ist ein Prachtstück. Ich habe selten so etwas Gutes gesehen. Ich würde fast sagen, dass das hier eine Arbeit von meinem Meister Kanei-sempai ist.“ Der Blonde strahlte förmlich, während er wieder unter dem Bett hervor krabbelte. „Du solltest aber immer daran denken, das Holz ordentlich zu pflegen. Vor allem ist es ein älteres Stück und trocknet langsam aus.“ Er saß mittlerweile im Schneidersitz neben dem Bett und strich mit der rechten Hand zärtlich über das Holz des Pfostens. „Du solltest es zuerst einmal gut einfetten und noch circa 48 Stunden noch einmal nach polieren. Wenn du damit fertig bist, ist es sehr ratsam eine Schüssel Wasser unter das Bett zu stellen, damit dass Holz nicht weiter austrocknet. Wäre echt schade um so eine gute Arbeit.“
 

Seto stand einfach nur da, er hatte schnell die Sachen in seinem äußerst penibel geordneten Schrank gefunden und hielt sie nun in der Hand. Mit Bewunderung und Verwirrung war er den Taten und Worten der Jüngeren gefolgt, der noch immer verträumt auf das Bett blickte. Mit einem leichten Räuspern holte er diesen wieder in das Hier und Jetzt zurück. „Du hast ganz anscheinend den richtigen Beruf gefunden.“ Es war ein stilles Lächeln, das sich auf seine schmalen Lippen verirrte als der Blonde puterrot anzulaufen begann. Er stammelte etwas vor sich hin und verbeugte sich dann tief vor dem Brünetten. „Ich wollte nicht unhöflich sein. Es tut mir leid.“

Doch Seto schüttelte nur den Kopf und sein Lächeln wurde ein klein wenig breiter. „Du bist wirklich einzigartig auf dieser Welt.“ Joey hob den Kopf und schaute ihn verwundert an. Die honigbrauen Augen spiegelten die Verständnislosigkeit wieder. „Normalerweise bekomme ich nur zu hören, wieso dieses Zimmer so schlicht ist. So viel Bewunderung habe ich wirklich noch nie gehört.“
 

Joey saß da, kratze sich verlegen an der Nase und schaute von unten leicht verlegen zu ihm auf. „Also, wenn ich einmal eine Vermutung anstellen darf, sind die anderen Aussagen wahrscheinlich eher von Damen, die mehr Geld und gutes Aussehen haben, als Interesse für die Gestaltung eines Zimmers. Wahrscheinlich wird ihnen auch grundsätzlich die Ahnung von der Holzverarbeitung fehlen.“

Das Lächeln verschwand von den Lippen des Brünetten und er blickte kurz überlegend aus dem Fenster. Der Jüngere hatte schon mit einem Protest, einer bösen Bemerkung, im Schlimmsten Falle sogar mit einer Tracht Prügel gerechnet, doch nichts dergleichen kam. Mit ernster Stimme nickte der Brünette nur und sagte. „Ja, da muss ich dir Recht geben. Solche Gespielen sind aber in meinen Kreisen auch nicht zu finden.“

Joey fiel den Unterkiefer herunter und seine Augen wurden groß. Das heute Morgen irgendetwas anders war als sonst, fiel ja gleich auf, aber so??? Perplex starrte er den jungen Mann an, der nun seinerseits verwirrt drein blickte. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Joey schüttelte nur den Kopf. „Nein, wahrscheinlich schlafe ich nur noch und das alles passiert gar nicht.“ Er schüttelte den Kopf und stand langsam auf. Als er dann einem völlig verwirrten Seto Kaiba in die Augen blickte, seufzte er nur und ließ die Schultern hängen. „Du hast nichts Falsches gesagt. Anscheinend sind wir beide noch sehr müde. Du siehst auch nicht gerade aus, als hättest du viel Schlaf gehabt.“
 

Es war sehr lange her, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Mit einem verlegenen Blick drückte er dem Blonden einfach das sauber gefaltete Kleinod in die Hand und schob ihn dann Richtung Tür. „Geh duschen und werde wieder wach!“ Die Stimme hatte etwas Schneidendes bekommen und bevor Joey noch wusste, was mit ihm geschah, hatte der Brünette die Tür schon geöffnet, ihn hindurch gestoßen und mit einem leichten Knall wieder geschlossen. Nun stand er da, wie ein vor die Tür geschickter Hund, mit hängenden Schultern und starrte in den Spiegel. Dieser hing ihm direkt gegenüber und der junge Mann, der ihn daraus anblickte, hatte etwas Jämmerliches. Wie geistesabwesend legte er die frische Wäsche auf den Toilettendeckel und begann sich auszuziehen. Er ließ die Sachen einfach fallen und noch immer abwesend trat er unter die Dusche. Es war so ein seltsames Gefühl, dass sich von seinem Magen her ausbreitete und bis hinauf zu seinem Herzen krabbelte. Als das warme Wasser über seine Schultern lief, schloss er die Augen und lauschte nur noch dem Geräusch des Wasserstromes. Irgendetwas passierte hier. Es schien wie das donnernde Dröhnen der Schicksalsräder, die sich mit unendlicher Geduld zu drehen begannen. Eine unbestimmte Angst ergriff ihn. Was passierte hier? War das eben wirklich der Seto Kaiba, den er kannte?
 

Mit klopfendem Herzen lehnte er sich gegen die Badezimmertür und drückte beide Handballen gegen die Stirn. Was sollte das alles nur werden? Was für ein verdammter Tag! Noch immer schmerzte sein Kopf von den abendlichen Flaschen. Er hatte gestern ganz sicher mehr getrunken, als ihm jetzt lieb war. Mit belegtem Blick ging er auf den kleinen Schreibtisch zu und zog eine soweit sehr gut versteckte Flasche Cognac heraus. Das leere Glas auf dem Tisch war gar nicht groß aufgefallen. Oh Gott, wie dumm konnte ein einzelner Sekretär eigentlich sein? Er schenkte das bauchige Glas bis zur äußerten Kannte voll und leerte es mit einem einzigen Zug. Wütend stellte er das Glas wieder auf den Schreibtisch und schlug mit der linken Hand auf die hölzerne Fläche. Was für ein Verlust!

Es ging hier immerhin nicht um ein paar Dollar, nein es war ein wirklich stattlicher Betrag. Eine schreckliche Wut kam in ihm auf und mit einem Knurren drehte er sich wieder um. Er wollte am liebsten Schreien, aber was half ihm das schon? Der Auftrag war geplatzt und all seine Wut konnte daran nichts verhindern. Leicht resigniert schenkte er sich noch einmal nach und trat an das große Fenster heran. Wie wunderbar, er begann den Sonntagmorgen mit zwei viel zu vollen Gläsern Cognac. Der Krater von gestern war noch nicht ganz verloren und schon gab er dem ganzen noch einen drauf. Wenn es um das Thema jämmerlich ging, hatte er es heute wirklich geschafft sich selbst zu übertrumpfen. Mit einem grimmigen Knurren nahm er einen weiteren großen Schluck und ließ das Glas dann wieder sinken. Er starrte aus dem Fenster ohne wirklich zu begreifen, wie der Wind die ausgetrockneten Blätter durch die Luft wirbelte. Nichts von dem vor ihm kam zu ihm hindurch.
 

Erst ein Räuspern holte ihn aus seinen Gedanken zurück und ließ ihn aufblicken. Joey stand in der Tür, die Haare immer noch leicht feucht und mit fragenden Augen. Mit einer schnellen Handbewegung sagte der Brünette nur. „Deine alten Sachen kannst du ruhig in die Wäschetruhe im Bad legen. Sie werden sicher bis heute Nachmittag sauber sein.“ Er starrte wieder aus dem Fenster, bis er das Schließen der Tür hörte. Mit einem Seufzen erklang plötzlich Joeys Stimme. „Du trinkst nicht wirklich morgens Cognac oder?“ Er hatte die Flasche vom Schreibtisch genommen und auf das Etikett einen verwunderten Blick geworfen.

Er bekam keine Antwort und so stellte er diese wieder auf ihren Platz. Mit zögerlichen Schritten ging er durch das Zimmer, umrundete das Bett und blieb kurz hinter dem jungen Mann stehen. Er schaute über dessen Schulter und schwieg eine ganze Weile; auf eine Antwort wartend. Doch die ungemütliche Stille im Raum blieb bestehen und der Blauäugige unterbrach sie höchstens durch einen weiteren Schluck aus dem bauchigen Glas.
 

„Was ist los? Ein so finsterer Blick ins Nichts und Alkohol zum Frühstück deuten nicht gerade auf einen erfolgreichen Geschäftsabschluss hin.“ Doch wieder gab es nur Schweigen, keine weitere Reaktion. Allein das fast leere Glas ließ er sinken, den Blick ohne Unterlass in die Ferne gerichtet. Joey wusste nicht, wie lange sie da schon standen. Die Zeit schien wie ein zäher Strom über dem Haus zu liegen und kaum zu vergehen. Ein Knurren entkam seinem Magen und ein leichter Schmerz zog sich über seinen Bauch. Auch die Wunde an der Wange war nach dem Duschen ausgetrocknet und jede Bewegung ließ einen unangenehmen Schmerz durch das Fleisch ziehen.

Langsam hatte sich der Brünette zu ihm umgedreht und ließ seinen Blick über ihn wandern. Ein sachtes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er stellte das noch mit einem guten Schluck gefüllte Glas auf den kleinen Schrank neben dem Bett. „Wir sollten in die Küche gehen, du scheint wirklich Hunger zu haben.“ Mit diesen Worten ging er an ihm vorbei und hielt ihm noch einmal die Tür auf, um diese sicher hinter ihm zu schließen.
 

Auf dem ganzen Weg bis zur Küche schwieg er wieder. Joey hatte schon den Verdacht, der Brünette hätte seine Sprache verloren, doch als sie den weißgekachelten Raum betraten, kam unerwartet noch ein Satz von ihm. „Trinkst du den Kaffee mit Milch?“ Joey schaute verwirrt auf und setzte sich an den schon gedeckten Tisch. „Ähm, ja, und einem kleinen Löffel Zucker.“ Ergänzte er zögerlich und bekam dafür einen bösen Seitenblick.

„Wir reden hier von Kaffee und nicht von Plörre. Trink doch gleich Kakao.“ Die tiefe Stimme hatte an diesem Morgen etwas sehr Raues und mit einem Kopfschütteln machte sich der Firmenbesitzer an seine Arbeit. Joeys honigbraune Augen schauten ihm dabei genau zu und er legte die Hand vorsichtig auf seinen schmerzenden Bauch. Anscheinend hatte jemand den Tisch schon von vorne herein gedeckt und mit vier Personen gerechnet.
 

Es war wieder ein langes Schweigen in dem nur die Kaffeemaschine ihren Dienst tat und dieses leise unterbrach. Als Seto ihm dann den heißen Becher neben den Teller stellte, fixierten die kalten blauen Augen den Jungen vor sich. Ohne noch einmal zu fragen hob er dessen Hand an und zog dann den Pullover nach oben. Empört schrie Joey auf und versuchte vergeblich den wollenen Stoff wieder über seinen Bauch zu ziehen. „Was soll das?“ Fragte er mit wütender Stimme und hatte innerlich ein wenig Angst vor einer Wiederholung der gestern Ereignisse. „Bist du wirklich so betrunken?“ Er befreite seine Hand aus dem leichten Griff und zog den Stoff wieder über seinen Bauch. Die blauen Augen schauten ungerührt auf und langsam hob sich die rechte Augenbraue fragend. „Ich?“ Er richtete sich wieder auf und schüttelte den Kopf. „Wer ist es denn, der hier so durch die Gegend läuft? Wenn du deine Wunden nach dem Duschen nicht wieder ordentlich verbindest, kann es im schlimmsten Fall zu einer Blutvergiftung oder einer schlimmen Entzündung kommen.“ Er schüttelte noch einmal den Kopf und im nächsten Augenblick drehte sich der Blauäugige um. „Hör zu, du kümmerst dich um den Frühstückstisch und ich hohle dir etwas zum Verbinden. Verstanden?“

Joey nickte und blieb sitzen, bis der Brünette die Küche verlassen hatte. Was meinte er eigentlich mit ‚sich um den Frühstückstisch kümmern‘? Es war doch schon alles da, oder? Sein Blick schweifte über den Tisch und da fiel es ihm auf. Es fehlte alles, was gekühlt werden musste und so machte er sich auf, den passenden Kühlschrank zu suchen. Bei jeder Bewegung schmerzte die Wunde an seinem Bauch etwas mehr.
 

Die blauen Augen hatten einen eiskalten Blick, als sie den Blonden fixierten. Joey spürte förmlich, wie er um einige Zentimeter in seinem Stuhl zusammen sank, doch der Schmerz in seinem Bauch war zu stark. Blut sickerte durch die Finger, die er auf die Wunde presste. Der Pullover lag auf dem Tisch und so war der Oberkörper des Jungen frei.

Die kalten Augen blickten herablassend und schneidend scharf war seine Stimme. „Das hast du jetzt davon. Wie ein kleines dummes Kind!“ Er ging auf den Tisch zu und stellte den kleinen Verbandskasten ab. Joey zog den Kopf noch ein bisschen mehr ein und beobachtete verschüchtert, wie sich der Ältere umdrehte und von einem der Regale einige Tücher herunter nahm. Als er wieder vor dem Blonden stand, gab er nur kurz von sich, dass dieser die Hände heben sollte. Vorsichtig säuberte er die Wunde und doch musste sich der Jüngere auf die Unterlippe beißen. Ein böser Schmerz zog durch seinen Bauch und ohne es verhindern zu können, zog er diesen ein.

Seto hatte nur eine Augenbraue gehoben und wartete schon beinahe auf den darauf folgenden Aufschrei. Nachdem er die Wunde soweit versorgt hatte, gab er wieder nur einen kurzen, Befehl von sich. „Aufstehen!“ Mit einem Schlucken folgte der Kleinere und noch einmal hielt er die Luft an, als er weichen Stoff auf der offenen Wunde spürte. Schnell wurde der enge Verband angelegt und tief blaue Augen funkelten ihn an. „Geh dir die Hände waschen, bevor du hier noch alles dreckig machst." Mit einem Kopfnicken schlich er hinüber zu einem der Waschbecken und nachdem er gehorsam seine Aufgabe erfüllt hatte, bemerkte er, dass er nicht alleine dort stand.
 

Seto hatte sich zuerst noch mit einem Tuch die Hände gereinigt und dann das restliche Verbandszeug verpackt. Danach hatte auch er sich noch einmal an das Waschbecken begeben und sich die Hände erneut gesäubert. Leise schlich sich Joey wieder in die Richtung des Kühlschrankes und holte die letzten Sachen heraus. Als er diese auf den Tisch stelle, bemerkte er ein kleines Döschen, das Seto anscheinend vergessen hatte.

„Nein, aber du musst deine Wunde auf der Wange auch verarzten. Nach dem Duschen trocknen solche Schnittwunden schnell aus und dann wird es schmerzhaft.“ Verwirrt schaute der Blonde auf und nickte. Vielleicht war sein Gegenüber doch etwas mehr betrunken. So nett war er bisher noch nie gewesen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.

Nachdem Joey auch diesen Befehl ausgeführt hatte, setzte er sich neben den Brünetten an den Tisch. Dieser nickte ihm nur zu und bedeutete ihm etwas zu essen. Schweigend verdrückte Joey so seine ersten beiden Brötchen. Bis er wieder auf sah. „Was ist mit dir? Willst du nichts essen?“ Fragte er leicht besorgt. „Ich gehe einmal davon aus, dass das Glas vorhin nicht das erste war.“ Kalte Augen trafen ihn und er zuckte leicht zusammen. „Ich weiß ja, dass… dass du nicht gerade von mir einen Vorschlag annimmst, aber Alkohol auf leeren Magen, bei deiner Figur… also,… naja…“ Joey starrte wieder auf seinen leeren Teller und schob einige der Krümel erst nach links und dann wieder zurück.
 

„Ich kann nicht.“ Er hatte es nicht besonders laut gesagt und blickt nun seinerseits in den Kaffeebecher, den er in Händen hielt. „Ich kann morgens einfach nichts essen. Das ist seit Jahren schon so.“ Joey glaubte seinen Ohren nicht zu hören. Gab der große Seto Kaiba gerade eine Schwäche zu? Nein, das konnte nicht sein oder doch? Verwundert blickte er diesen nun an und lehnte sich zurück. „Gar nichts?“ Er bekam nur ein Kopfschütteln als Antwort. Nun war es der Blonde, der zu einem bösen Seitenhieb ausholte. „So würde ich das nicht sagen, immerhin passen Kaffee und Alkohol in deinen Magen!“ Sein Blick hatte nichts gemeines, sondern eher diesen strengen, wissenden Ton.

„Willst du dich ernsthaft mit mir anlegen, Wheeler?“ Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und griff sich ein weiteres Brötchen. „Nein, ich sage nur die Wahrheit. So ist es doch!“ Er lachte kurz auf und meinte nur verschmitzt. „Ich hätte mir nie träumen lassen, mit dir in einer Küche zu sitzen und zu Frühstücken. Aber noch unwahrscheinlicher ist es, dass du zur Flasche greifst!“ Wieder wich ihm der andere aus, starrte vehement aus dem Fenster, welches auf der anderen Seite des Raumes lag. „Hej, mir glaubt eh niemand, also kannst du es mir auch erzählen. Was ist passiert?“

Es dauerte, bis sich Seto einen großen Schluck Kaffee gönnte und endlich in die honigbraunen Augen sah. „Mein Sekretär hat vor einer Woche den Termin zur Übernahme einer Firma um drei Tage vorverlegt. Es sollte eigentlich Morgen stadtfinden. Leider kam der Vollidiot nicht auf die Idee, mir das auch mitzuteilen und so fand ich am Freitagnachmittag, nachdem er mir den Kaffee über den ganzen Tisch gekippt hatte, eine durchtränkte Notiz ganz unten unter Akten, Zetteln und Notizen, auf der mir der Termin für Freitag um 13 Uhr notiert war. Ich habe natürlich versucht, dem nachzutelephonieren, aber zu dem Zeitpunkt war alles schon gelaufen. Ein anderer Investor hatte die Firma zu 49% aufgekauft und unser Vertrag war hinfällig. Gestern Abend habe ich dann die Schadensanalyse bekommen. In den nächsten 5 Jahren hätten wir einen Zugewinn von 7 Millionen Dollar gehabt! Keinen Umsatz, nein, einen Reingewinn, da sind alle Kosten für die Umstrukturierung, die Umbauten die Verwaltung, einfach alles schon abgezogen. 7 Millionen Dollar! Und dieses Arsch hat sie im Kaffee versenkt!“
 

Joey war der Unterkiefer herunter geklappt und er schluckte nach langer Zeit. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Unfähig, sich diese Summe vorzustellen, den Wert zu begreifen, der da verloren gegangen war. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und stotternd gab er von sich. „Dann… dann war das mein… Vorgänger?“ Ein stummes Nicken war die Antwort und der Brünette nahm wieder einen Schluck Kaffee. „Als ich das gelesen habe, wollte ich den ganzen Mist einfach nur vergessen. Aber leider lassen sich Sorgen nicht ertränken.“

Nun war es an Joeys Stelle zu nicken und stumm trank er seinen Becher leer. Es dauerte, bis er seine Sprache wieder fand. „Sollte ich nachfragen, was du mit ihm gemacht hast?“ Ein seltsames Lächeln lag auf den Lippen des Brünetten. „Nun, nennen wir es einmal so, ich habe ihn gefeuert. Das entspricht so ungefähr der Wahrheit.“ Er legte den Kopf leicht schief und blickte mit diesem absurden Lächeln zu dem leicht Jüngeren, dem zum Dank ein kalter Schauer über den Rücken lief. „Das… das hört sich nicht gut an.“ Er sank leicht in seinem Stuhl zusammen. Aber vielleicht war das der richtige Zeitpunkt um…

Er schaute fragend auf und meinte dann ebenso leise. „Wann muss ich denn Morgen anfangen? Und vor allem, wer zeigt mir dann, was ich alles machen muss?“ Joey wartete voller Ungeduld, während sich der Brünette wieder erhob und zur Anrichte mit der Kaffeemaschine ging. Er schwieg, bis die schwarze Flüssigkeit dampfend in seinen Becher lief. Während er sich umdrehte und den Becher in beide Hände nahm, als wolle er sich daran wärmen, gab er knapp von sich. „Ich denke 7 Uhr sollte für dich ausreichend sein. Die Einweisung werde ich dir geben.“
 

Der Blonde nickte und knabberte in Gedanken versunken an einem weiteren trockenen Brötchen. Ob es eine gute Idee war? Er musste immer noch mit Kanei-sempai sprechen, der ihm sicher nicht einfach so frei geben würde. Er wollte es auf jeden Fall besser machen, als der Sekretär vor ihm. Ob er das konnte? Er hatte ja nicht einmal eine Idee, was er alles erledigen musste. Ob er das alles schaffte?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Fox7Chan
2021-05-11T09:33:03+00:00 11.05.2021 11:33
Hi da bin ich wieder^^

Ich mag den angetrunkenen-morgen-muffel Kaiba. Er hatte zwar schlechte Laune wegen dem Sekretär und das zurecht, aber er war Joey gegenüber nicht gemein. Ich hatte das erste mal das Gefühl, dass Kaiba Joey doch nicht hasst.
Bin gespannt wie er sich als Sekretär schlagen wird. Er besitzt bestimmt nicht alle Prioritäten die es braucht, aber wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat dann schafft er es auch.

PS: Ich hab jetzt erst realisiert, das ich alte Kapitels kommentiere. So weit bist du ja noch nicht mit der Überarbeitung in 2021. Ich werde jetzt weiterlesen und vielleicht noch weiter Kommentieren. Vielleicht komme ich ja später nochmal zurück und sag was zu den aktuelleren.

LG
Fox7Chan


Antwort von:  Traumfaengero_-
11.05.2021 15:57
Ja, ich mag diesen Seto auch sehr gerne. Vor allem gefällt es mir, dass er sich hier um unseren stürmischen Wildfang kümmert. Ich denke, es ist auch das erste Mal, dass Seto und Joey so richtig mit einander agieren und sich als Menschen gegenüber stehen.
Ach, der gute Joey wird das Schiff schon schaukeln oder? Wäre ja langweilig, wenn er gleich sang und klanglos untergehen würde. Immerhin soll die Wette ja über 3 Monate gehen.

Die neueren Kapitel sind allerdings nicht so überarbeitungswürdig. Du bist an dem Punkt angekommen, an dem ich auch immer wieder zwischendurch verbessert und verändert habe. Hier wird es auch inhaltlich nicht viel geben.

Liebe Grüße
Traumfänger
Von:  Silverdarshan
2012-03-05T22:33:10+00:00 05.03.2012 23:33
interessante story. mir gefällt dieser dunkle seto. ich hoffe, wir werden noch erleben, wie er in seinen grundfesten erschüttert wird ;)
offenbar hast du dich nach langer pause dazu durchringen können, weiterzuschreiben. das freut mich! umso mehr bin ich auf die folgenden kapitel und den ausgang dieser story gespannt!

LG Silverdarshan


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