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Mockingbird

Der Tag, an dem die Welt starb
von

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Ich renne durch Felder aus Gold

Ich renne durch Felder aus Gold
 

Ich renne durch Felder aus Gold...

Nichts kann mich jetzt mehr halten.

Die Erde nicht mehr und auch nicht die Menschen, die hilflos hinter mir zurück bleiben.

Und ich schwebe den Wolken entgegen.
 

Das Telefon ringte in monoton schrillem Piepton. Die Abfolge besaß keinerlei Melodie. Das Gerät war noch eines dieser alten Modelle. Die, die noch nicht im Internet surfen, SMS schicken und die Welt beherrschen konnten.

Ein Kind lief mit hastigen Schritten durch das Zimmer darauf zu.

Das fleckige, pickelbesetzte Gesicht zeugte von seinem pubertierenden Alter.

Der dicke, graublaue Teppichboden dämpfte seine Schritte.

Mit einer wenig eleganten Bewegung hatten die dünnen Finger den Hörer gegriffen und der dürre Körper landete plump neben dem Telefon am Boden.

"Ja?"

"Hi, Charlie..."

"Wer spricht da?"

"Ich bin's..."

"Oh, du..."

"Ja, ich."

Schweigen.

"Warum rufst du an?"

"Hm... wer weiß das schon so genau?"

"Dann leg wieder auf."

"Nein, lieber nicht, Charlie."

"Na gut... Dann halt nicht."

Schweigen.

"Oh man, sag was, das ist doch ein R-Gespräch und ich will nicht so viel zahlen."

"Das ist kein R-Gespräch."

"Gut für mich."

Schweigen.

"Hey, du!"

"Sag mal, Charlie... Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, wie es wohl ist, zu sterben?"

"Wie? Nein! Nie! Wie kommst du darauf?"

"Nur so..."

Schweigen.

"Du?"

"Ja... immer. Jede Sekunde, ununterbrochen... mein ganzes Leben."

"Red keinen Scheiß."

"Mach ich nicht... niemals..."

"Ich leg jetzt auf."

"Nein! Warte... ich will mit dir reden..."

Seufzen.

"Na gut, dann red verflucht noch mal und erzähl keinen Mist."

Schweigen.

"Hm..."

"Komm, ich will weiter gucken!"

"Schaust du Fernseh?"

"Ja."

"Das ist Gehirnselbstverstümmelung..."

"Oh man, nerv nicht..."

"Und rauchen tust auch..."

"Das ist ja wohl meine Sache..."

"Raucher sterben früher... Und schmecken erbärmlich."

"Halt doch die Klappe. Mir reicht's..."

"Nein, Charlie! Leg nicht auf, ich bitte dich..."

"Uff, ok, ok!"

Schweigen.

"Weißt du noch, wie wir gestern zusammen zur Schule gegangen sind, Charlie? Das war lustig, oder? Als wir die alte Frau vom Supermarkt getroffen haben und sie uns zu einem Kaffee eingeladen hat."

"Nein, verflucht. Du warst gestern nicht in der Schule. Vorgestern auch nicht. Und ich gehe schon seit dem Kindergarten nicht mehr mit dir zusammen zur Schule. Du nervst."

"Das war schön damals, oder? Als wir noch zusammen hingegangen sind."

"Du hast mich immer genervt. Ich hab es gehasst mit dir zum Kindergarten zu gehen."

"Aber, Charlie... ich bin doch gern mit dir zusammen gelaufen..."

"Ich aber nicht mit dir."

Schweigen.

Ein genervtes Seufzen.

"Sag mal, du, was ist das eigentlich für ein ohrenbetäubender Lärm bei dir im Hintergrund?!"

"Das sind die Autos, Charlie."

"Stehst du an einer Straße?"

"Hm..."

"Sag schon!"

"Die Autos unter mir sind lauter."

"Hä? Unter dir? Bist du auf einer Brücke?"

"Ja."

"Was machst du da?"

"Stehen... und warten..."

"Auf was denn bitte?"

"Dass jemand kommt..."

"Hä?"

"So jemand wie du, Charlie..."

"Spinnst du?"

"Ja, schon immer... Willst du mich nicht retten, Charlie? Bitte sag, dass du mich retten willst!"

"Nein, verdammt! Und jetzt nerv nicht, leg auf! Ich hab genug! Ist nur Zeitverschwendung mit dir!"

"Aber, Charlie... du wirst mich doch retten, oder?! Du magst mich doch! Ich mag dich doch auch!"

"Ich kann dich nicht leiden, verflucht! Und das hab ich dir schon mal gesagt!"

"Charlie... aber, Charlie, ich war doch immer so nett zu dir und ich... ich will doch nur, dass du mich magst!"

"Hau doch ab! Du bist ein verdammter Loser und auch noch verrückt! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, und das hab ich dir damals schon gesagt..."

"Aber Charlie, Charlie, ich..."

"Hau ab!"

"Charlie..."

Schweigen.

"Oh man, dieser Krach ist ja ohrenbetäubend, du!"

"Das sind die Laster, Charlie. Die hast du doch immer gemocht... die Viertonner."

"Ist mir egal..."

"Da ist man schnell tot, wenn die einen erwischen nicht, Charlie?"

"Kann sein."

"Das ist sicher schön, nicht? Der Wind auf dem Gesicht..."

"Ich leg jetzt auf..."

"...die Kälte... die Leere... und nichts mehr hören..."

"Sei still! Du redest schon wieder Mist!"

"...und den Aufschlag danach spürst man gar nicht mehr, weil man auf dem Weg längst taub geworden ist, wie ein Stück Holz..."

"Hey..."

"...und die schöne Stille. Niemand kann einem mehr was tun..."

"Hey!"

"Und dann... das Nichts..."

"Hey!!"

"He, Charlie... ich hab dich immer gemocht..."

"HEY!!"

Funkstille...

Das bebende Handy bleibt zwischen Dosen und Steinen liegen... Und die Stimme hallt immer noch in der Stille, als die Person, die es hören sollte, längst verschwunden ist...

Den Weg, den alle Vögel nehmen...
 

Erst ist da nur Kälte... aber je brausender der Wind meinen Körper umschließt, desto stiller wird es in meinem Kopf und Kälte wandelt sich in einen wunderbaren, sanften Föhn.

Es ist ein warmes, weiches Bett und es empfängt mich wie eine Mutter.

Und golden... golden strahlt es unter mir.

Helles Licht... dort ist nur Licht...

Der Aufschlag ist nur ein fernes Geschehen, auch als der überlebensgroße Wagen meinen Körper erfasst.

Mein Geist ist längst daraus verschwunden und ist nun frei.

Der Wind zerstäubt ihn in alle Himmelsrichtungen und ich renne...

ich renne immer schnell und renne durch ein goldenes Feld...
 

Renne durch Felder aus Gold...
 

~ENDE~



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