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My point of view

oder: Der Unverstandene
von

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My point of view

Wieder dieser beherzte Schlag auf die Schulter, der mich aus meinem schlafenden Zustand reißt. Dazu wie immer das grinsende Gesicht vom Inspektor, der mich in höchsten Tönen lobt. Was soll ich da tun, außer meine Standartantwort geben?

"Haha, gekonnt ist eben gekonnt! Ich hatte ja schon von Anfang an so eine Vermutung, aber jetzt erst hatte ich das Puzzle zusammen."

Puzzle, pah! Wer der Mörder ist, erfahre ich erst jetzt, als sie Frau Sugimora abführen. Habe ich mal wieder einen Fall gelöst, ohne dabei bei mir gewesen zu sein? Scheint so, das Ziehen im Nacken verrät es mir.

Ich erhebe mich aus dem Ledersessel, gähne und reibe mir den Kopf. Es ist wirklich zum Aus-der-Haut-Fahren! Nur einmal möchte ich aufwachen und mich an meine Schlussfolgerungen erinnern können! Meine Tochter kommt zu mir und strahlt stolz. Ich mag diesen Anblick, denn meist bin ich ihr peinlich. Verständlich, ich bin mir sogar hin und wieder selbst peinlich.

"Paps, großartig, wie du den Fall gelöst hast!", sagt sie und ihre Worte gehen mir wir Öl runter.

"Natürlich, Mausebein." Ich lache. Eine wirklich dämliche und auch dümmliche Angewohnheit.

Rotzlöffel Nummer Eins sieht mich amüsiert an, doch es ist nicht der fröhliche Gesichtsausdruck eines Kindes. Ab und zu zweifle ich wirklich an mir. Dieser Junge ist an einem Tag so normal und am nächsten schnüffelt er an Tatorten rum und redet, als hätte er wirklich Ahnung von Verbrechen. Das erinnert mich an diesen Shinichi und auch Ran scheint es so zu gehen, wenn ich sie manchmal dabei beobachte, wie sie das Kind anstarrt. Mit mir redet sie über so was nicht. Vielleicht ist das halt bei Teenagern so, vielleicht denkt sie aber auch einfach nur, ich würde sie nicht verstehen. Aber hatte nicht jeder von uns schon mal verletzte Gefühle oder ein gebrochenes Herz? Es erfüllt mich mit einer gewissen Trauer, dass sie mir in dieser Beziehung kein Vertrauen schenkt. Falls sie mir überhaupt was zutraut.

Wir verlassen die Villa und ich rufe uns ein Taxi. Ran und der Hosenscheißer springen auf die Rückbank und ich nehme auf dem Fahrersitz Platz. Der Taxifahrer schaut mich an und erkennt mich sofort. Eigentlich habe ich im Moment keine Lust, darauf angesprochen zu werden, aber ich ziehe das Spiel durch. Er fragt mich, ob ich es auch wirklich sei, ich antworte nicht wenig stolz und ein Wort gibt das nächste, bis das Taxi vor dem Büro zum Stehen kommt.

Ich bezahle und wir gehen nach oben in die Wohnung. Conan vergräbt sich sofort in einem Manga und setzt sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Doch der Kleine ist mir erst mal egal, da Ran wetternd die leeren Bierdosen vom Tisch räumt. Dieses Temperament hat sie von Eri, ganz eindeutig. Hat sie überhaupt etwas von mir? Ich weiß nicht, eigentlich sehe ich immer nur Züge an ihr, die sie von ihrer Mutter geerbt hat.

Eri - das ist noch so eine Geschichte. Redet man nicht immer vom "Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt"? Tja, aber bis es so voll ist, dass es überhaupt überlaufen kann, bedarf es schon an einiger Arbeit. Ich schätze mal, Eri und ich haben damals das Fass mit Hilfe von Fingerhüten gefüllt. Kleine Sachen, aber dafür umso mehr davon. Vor jedem Gericht dieser Welt würde ich als Hauptschuldiger den Prozess verlieren. Verrückt, dass manche Leute nie aus ihren Fehlern lernen. Dieses Talent, die falschen Dinge im falschen Moment zu sagen, habe ich nämlich immer noch. Und wenn ich mal was richtig mache, schaffe ich es, das später wieder zu verbocken.

Ran schaltet den Fernseher ein und zappt so lange durch die Kanäle, bis sie etwas Ansprechendes gefunden hat. Einen Krimi. Sie behauptet immer felsenfest, dass sie schon ewig gerne Krimis schaut, doch ich weiß es natürlich besser. Das hat doch angefangen, kurz nachdem Kudo Junior abgehauen ist. Nun legt auch Conan den Manga weg und richtet seine Augen auf die Mattscheibe. Ich persönlich habe für heute genug von Morden und gehe in die Küche, um mir ein schön kühles Bierchen - naja ein paar schön kühle Bierchen - aus dem Kühlschrank zu holen. Auf halbem Weg höre ich das Klingeln von der Wohnungstür. Ein Klient? Ich ändere also meinen Kurs und öffne dem Besucher.

Da steht er nun also: Mein Traum, der mich wohl so manche Nacht gekostet hat, schon seit ich noch auf die Schule ging. Aber wie schnell aus Träumen doch Alpträume werden können!

Sie fixiert mich mit ihrem ernsten Blick, mustert mein leicht müdes Gesicht, bleibt am zerknitterten Hemd kleben. Garantiert denkt sie jetzt, ich hätte gesoffen.

Wir begrüßen uns nicht, sie legt sofort ganz sachlich mit ihrem Anliegen los: "Ran hat vor zwei Tagen einen Pullover bei mir vergessen, den ich jetzt zurück bringen will."

Ich drehe mich um und schreie ins Wohnzimmer: "Ran, deine Mutter will dich sprechen!"

Keine Antwort. Inzwischen kenne ich meine Tochter gut genug, um zu wissen, dass sie mich absichtlich überhört hat. Auch ein zweites Rufen würde nichts bringen.

"Na, dann gib den Pullover mir", murmle ich und nehme die Papiertüte mit dem Kleidungsstück entgegen, wobei sich Eris Hand und meine kurz berühren. Es ist ziemlich schmerzhaft nach dreiundzwanzig Jahren immer noch diesen gewissen Funken zu spüren. Aber ich zeige keine Regung und sie auch nicht. Alles wie gehabt.

"Hab gehört, dein letzter Klient ist in den Knast gewandert." Habe ich schon erwähnt, dass ich ein außerordentliches Talent dafür habe, die falschen Dinge im falschen Moment zu sagen?

Ihr Blick verfinstert sich und sie antwortet kalt: "Er war schuldig, da konnte ich ihm nicht helfen."

Toll, so viel zum Smalltalk. Eigentlich kann ich ja ganz glücklich sein, dass sie mir nicht gleich die Augen ausgekratzt hat. Aber auf Wortgefechte ist wohl heute keiner von uns beiden aufgelegt.

Nun stehe ich hier wie so ein rotes Ampelmännchen und starre sie an. Immerhin kommt es ja nicht oft vor, dass ich sie zu Gesicht bekomme. Es wäre einfacher, wenn es anders wäre. Wenn ich sie nie oder ständig sehen würde. Dem Ganzen steht allerdings Ran im Weg, die keiner von uns beiden aufgeben kann und will. Ich wünsche mir, in Eris Gedanken gucken zu können, aber so etwas ist natürlich unmöglich. Manchmal verstehen wir uns noch überraschend gut und ich fühle mich so, als wären wir noch zwanzig. Jetzt allerdings fühle ich mich alt und jämmerlich noch dazu.

"Wie läuft es bei dir?", bricht sie das Schweigen.

"Ich hatte erst heute wieder einen Mordfall." Zum ersten Mal an diesem Tag verstelle ich nicht meinen Tonfall. Ich klinge erschöpft, müde und ein bisschen hilflos.

Jetzt sieht Eri mich um einiges wärmer an als zuvor. Eine winzige Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck für den objektiven Betrachter, eine willkommene Geste für mich.

Ran fragt mich manchmal, wie denn unsere Beziehung so war, und ich antworte, dass ich mich kaum daran erinnern könne. Das ist eine Lüge, ich könnte tausende von Dingen haarklein wiedergeben. Aber diese Erinnerungen gehören mir und auch Eri, sofern sie noch viele besitzt.

Eigentlich ziemlich bedauernswert, wie wir uns wie zwei getretene Hunde angucken. Keiner weiß, was er sagen soll. Ja, was denn auch? ,Hallo, wie geht's dir?' Schließlich öffnet sie den Mund, sagt die Worte, vor denen ich mich etwas fürchte.

"Ich muss jetzt wieder gehen." Mitten im Satz wird ihre Stimme härter und ihr Selbstschutzmechanismus stellt sich ein. So etwas habe ich auch, nur nennt sich das in meinem Falle Alkohol.

"Ja", antworte ich mechanisch. "Man sieht sich sicher."

Sie nickt, dreht sich um, geht. Ob sie meinen Blick im Rücken spürt? Sicher, deswegen beschleunigt sie ihre Schritte.

Ich schließe die Tür und gehe zurück in das Wohnzimmer. Dort überreiche ich Ran wortlos die Papiertüte und setze mich auf das Sofa.

Die Gewissheit überkommt mich, dass meine Tochter eines Tages unter Tränen vor mir stehen und mich um Rat fragen wird. Und ich weiß ebenso, dass ich sie anlügen werde. Dass ich sagen werde, dass die Zeit alle Wunden heilt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Roe
2009-11-30T20:10:09+00:00 30.11.2009 21:10
Ein Wort: GENIAL! (Auch wenn das 3 Jahre nach der Veröffentlichung kommt...)
Von:  KilmaMora
2005-03-23T22:22:18+00:00 23.03.2005 23:22
O.O Genial! MAl eine ganz andere Sichtweise! NEu, erfirschend und super rübergebracht ^^. DAs einzigste, was mich ein wenig stört ist, dass sich Kogoro im Taxiauf den Fahrersitz gesetzt hat...
Und manchmal bekommt man ja wirklich einen Hinweis darauf, dass hinter Kogoro mehr steckt. Zwar selten, aber so etwas ist durchaus möglich.
Also, gut gemacht, Kompliment!


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