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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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Mamoru war ja eigentlich der Ansicht, die Tatsache, dass er seinen besten Freund verloren und dafür einen überdimensionalen Muskelkater mitsamt tierischen Kopfschmerzen bekommen hatte, sei Strafe genug. Seine Tante Kioku sah das allerdings anders.

Ganz anders.

Zunächst hielt sie ihm stundenlang eine Strafpredigt. Darin kamen Sätze vor wie:

"So etwas hätte ich ja nie von Dir gedacht!"

"Das war unverantwortlich!"

"Was denkst Du Dir eigentlich dabei?"

und

"Ich hätte größte Lust, die alte Sitte wieder einzuführen, nach der man den Kindern noch den Hosenboden versohlen durfte!"

Und so weiter.

Als das alles also endlich überstanden war, brummte sie ihm noch einige saftige Strafen auf. Doch die alle hier und jetzt aufzuzählen würde die Grenzen von Raum und Zeit um ein Vielfaches sprengen.

Das einzig Gute war, dass Seigi nicht auch noch auf Mamoru herumtrampelte. Er hielt Kiokus Maßnahmen bei Weitem für ausreichend. Mamoru war ihm auch auf Ewig dankbar für seinen ruhigen Charakter und sein Verständnis.

"Wir sind ja alle Mal jung gewesen", hatte Seigi zwinkernd geflüstert, als Kioku immer noch vor sich hin schimpfend in der Küche verschwunden war.

Dieses Trauerspiel also hatte vor etwa einer halben Stunde sein Ende genommen. Seitdem stand Mamoru immer wieder seufzend in der Küche vor der Spüle, machte den Abwasch und wurde dabei von Kioku im Auge behalten wie ein Schwerverbrecher, damit er nur ja nicht auch nur auf die Idee kommen konnte, eine Pause zu machen oder ähnlich absurden Blödsinn zu veranstalten. Ganz so, als könne man ihm mit einem Male alles zutrauen!

"Meinst Du nicht auch, es reicht langsam?", quengelte Mamoru. Sein Kopf dröhnte wie unter unaufhörlichen Paukenschlägen und der Muskelkater fraß sich schmerzhaft über den Rücken, sämtliche Glieder entlang bis in die hintersten Ecken seines Körpers.

"Nein!", antwortete ihm seine Tante in herrischem Ton.

"Aber ich bin müde, und mir tut alles weh!", jammerte er vor sich hin.

"Soll das ein Scherz sein?", donnerte Kioku. "Du hast kaum angefangen! Wenn Du hier fertig bist, wirst Du die Fenster putzen, Dich um die Wäsche kümmern, Dein Zimmer aufräumen und den Balkon fegen! Und für heute Nachmittag hab ich mir was ganz Besonderes für Dich überlegt. Eine kleine Überraschung, sozusagen."

"Ich hasse Überraschungen", grummelte er.

"Diese wirst Du ganz besonders hassen, mein Lieber. Ich habe mit einem alten Bekannten gesprochen. Du kannst in seinem Restaurant arbeiten, heute geht's schon los. Du solltest also nachher noch duschen."

"WIE BITTE???", rief er entsetzt aus. "Ich soll was tun?"

"Du hast schon richtig gehört", meinte Kioku spitz. "Und von dem bisschen Geld, das Du da verdienst, kannst Du für Motoki ein kleines Geschenk als Entschuldigung besorgen. Und nicht zu klein, verstanden? Ich weiß genau, was Du verdienen wirst, also versuch nicht, mich zu verarschen."

"Wär es nicht einfacher", wiedersprach Mamoru kleinlaut, "wenn ich einfach mein Taschengeld wiederbekäme und ihm davon was kaufen würde?"

Das boshafte Funkeln in Kiokus Augen war Antwort genug.

"Na gut, na gut", willigte er ein. "Aber verrat mir mal, wann ich meine Hausaufgaben erledigen soll!"

"Morgen", antwortete Kioku kurz angebunden. "Dann ist Sonntag. Wenn Du dann das Badezimmer geputzt, das Auto gewaschen, die Wäsche gebügelt und hier überall aufgeräumt hast, dann darfst Du Deine Schulaufgaben erledigen."

"Das ist Tyrannei", stellte er übellaunig fest.

"Maul nicht! Du wirst sogar Deine Socken alphabetisch ordnen, wenn ich es Dir sage!"

"Deine Foltermethoden sind nicht von schlechten Eltern", murrte er.

"Das will ich meinen", sagte Kioku zufrieden. "Und jetzt arbeite gefälligst weiter!"

Genau das tat er dann auch tatsächlich - allerdings nicht ohne mit dem Nörgeln aufzuhören.

"Findest Du das alles hier gerechtfertigt? Ich meine, was um Himmels Willen hab ich Schreckliches verbrochen, dass ich nun durch diese Hölle gehen muss?"

"Das will ich Dir gerne sagen, Freundchen", belehrte ihn seine Tante. "Erstens: Du darfst in Deinem Alter noch keinen Alkohol trinken. Ich hab die Aufsichtspflicht über Dich und ich kann den netten Herren dieses Ladens nur dankbar sein, dass sie nicht die Polizei eingeschaltet haben. Zweitens: Du machst Dich einfach an dieses Mädchen ran, obwohl Du ganz genau weißt, dass sie mit Deinem besten Freund zusammen ist! Das ist nicht sehr gentleman-like!..."

"Ich persönlich find ja, das geht Dich gar nichts an", unterbrach Mamoru sie.

"Es geht hier ums Prinzip", erklärte Kioku. "Du solltest Respekt, Selbstbeherrschung, Mitgefühl, Ehre und Loyalität lernen. Motoki und Du, ihr habt schon als kleine Steppkes miteinander gespielt; und da solltest Du ihm nicht wegen jedem dahergelaufenen Weibsbild in den Rücken fallen. Und als ob das nicht schon genügen würde, hast Du Dir auch noch eine Schlägerei mit Motoki geliefert! Ich bin somit übrigens am dritten Punkt angelangt. Hast Du dir eigentlich mal angesehen, was Du mit dem armen Jungen gemacht hast? Der hat so dermaßen übelst gesaftet, dass keine noch so kleine Stechmücke mehr irgendwas hätte aus ihm raussaugen können! Total ausgepumpt!"

"Du übertreibst", redete er erneut dazwischen. "Er lebt noch. Außerdem haben wir uns doch schon oft in der Wolle gehabt. So machen wir das nun mal unter uns aus!"

Kioku seufzte übertrieben. "Es ist ein Unterschied", so erläuterte sie, "ob ihr ne kleine, harmlose Keilerei habt, wo der eine nen Kratzer hat und der andere ein blaues Auge, oder ob ihr euch gegenseitig die Schädel einschlagt! Ich hab mich zu Tode erschrocken, als ich Dich gesehen hab; so blutüberströmt!"

"Ja, ganz genau", brauste Mamoru auf. Er hatte es so langsam satt, nur niedergemetzelt zu werden. "Ich hab auch ganz schön was abbekommen. Motoki hat nämlich auch keine Zurückhaltung mehr gekannt!"

"Und ich kann's ihm nicht mal verdenken!", schnauzte Kioku.

"Ach, lass mich doch in Ruhe!", herrschte Mamoru sie an. Er war dabei eine Spur lauter als er eigentlich beabsichtigt hatte.

Kioku stand nur stumm neben ihm und funkelte ihn böse an. Entnervt griff er nach dem Abtrockentuch, wischte sich daran seine Hände ab und fuhr sich dann durchs Gesicht. Es war heiß und dunkelrot vor Zorn. Sein Herz jagte in seiner Brust so schnell, dass es wehtat. Aber da war noch etwas anderes Schmerzhaftes, irgendwo in ihm, tief in seiner Seele. Er fühlte sich hilflos, so verlassen und unverstanden. Es war nun mal passiert, na und? Man kann die Vergangenheit nicht ändern. Und diesem Wichtigtuer Motoki musste eh mal jemand die Meinung sagen! Der hatte es dringend nötig gehabt, dass ihm mal jemand die Grenzen aufgezeigt hat.

...Und wer zeigte jetzt Mamoru die Grenzen?

Er warf seiner Tante einen traurigen Blick zu. Die Situation war die gleiche wie am Abend zuvor. Aber die Mittel, mit denen gekämpft wurde, waren anders. Körperlich weniger schmerzhaft, dafür aber mental sehr viel tiefgehender und eindringlicher. Kampf der Worte, Kampf der Gefühle.

Ein Kampf, den Mamoru nicht gewinnen konnte, solange er nicht einsah, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte.

Er schluckte heftig.

"Tante Kioku?" Seine Stimme war ganz leise geworden; irgendwie zart und vorsichtig. "Es tut mir Leid. Ich wollte Dich nicht so anbrüllen. Wirklich! Bitte verzeih mir."

Er sah betreten zu Boden. Nichts rührte sich, und eine schier greifbare Stille breitete sich im Raum aus. Und dann nahm Kioku ihren Neffen endlich liebevoll in den Arm.

"Das weiß ich doch, mein Kurzer."

Kurzer. Endlich nannte sie ihn wieder bei seinem Kosenamen. Dankbar lächelnd erwiderte er die Umarmung.

"Ich hab Scheiße gebaut", stellte er flüsternd fest.

Kioku nickte. "Ja, das hast Du."

"Eigentlich hat Motoki mir doch gar nichts Böses getan!"

"So ist es."

"Ich hab ihm Unrecht getan. Und dann verrate ich ihn auch noch auf so derbe Weise."

"Endlich hast Du es begriffen!", freute sich Kioku.

"Ja, das habe ich!", antwortete er mit einem Nicken. "Tante Kioku?"

"Ja?"

"Sag mal..."

"Was ist denn?"

"Jetzt, wo ich ja Einsicht gezeigt habe, ... könntest Du ... das Strafmaß ... nicht ein wenig mildern? Sagen wir ... so ... um hundert Prozent?"

Missbilligend hob Kioku die rechte Augenbraue etwas an. "Ganz gewiss nicht", bestimmte sie. "Das alles hier soll ja einen Lerneffekt haben. Ich gebe Dir mein Wort: Du wirst das alles hier niemals wieder vergessen, auch in fernster Zukunft nicht!"

"Sowieso nicht", brummte Mamoru. "Aber mir deswegen gleich solche grässlichen Qualen aufzubrummen..."

"Grässliche Qualen?" Kioku lachte ironisch auf. "Redest Du vom Haushalt? Diese Qualen mach ich seit Jahren tagtäglich durch!"

"Is ja gut, sehe ich ja ein", murmelte er und verschränkte die Arme vor der Brust. "Aber dann auch noch im Restaurant arbeiten gehen ... find ich etwas übertrieben."

Aufmunternd klopfte sie ihm auf die Schulter. "Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter! Ich denke, es kann Dir so oder so nicht schaden, wenn Du das Berufsleben mal kennen lernst und feststellst, was es bedeutet, sich sein Geld hart zu verdienen."

Darauf brummelte er:

"Ich mag das Wort <hart> nicht in diesem Zusammenhang. Das jagt mir eiskalte Schauer den Rücken runter." Dann wandte er sich dem Spülbecken wieder zu.
 

Sanft strich der Wind durch die Bäume und ließ ihre Blätter rascheln. Papierchen flogen durch die Luft und wurden in ungewisse Ferne geweht. Einige Autos fuhren noch durch die nächtlichen Straßen der Stadt Tokyo. Ein wirklich friedliches Bild.

Seufzend schloss Mamoru das Fenster. Er war todmüde. Stunde um Stunde - er wusste nicht mehr zu sagen, wie viele es genau gewesen waren - hatte er geschuftet wie ein Irrer. Ihm als ungelernte Arbeitskraft konnte man natürlich nicht das ganze Spektrum des Berufes auferlegen, aber dennoch hatte es mehr als genug zu tun gegeben. Geschirr abräumen und spülen, hier und da die Tische abwaschen, dann und wann kleinere Bestellungen liefern und einen guten Appetit wünschen, und so weiter. Und das klingt sehr viel harmloser, als es ist!

Mamoru zog seinen blauen Schlafanzug an und ließ sich auf sein Bett fallen. Er hatte kaum die Kraft, sich die Bettdecke überzuziehen. Und binnen kürzester Zeit war er eingeschlafen.

Was er dort in seinem Traum sah, glich wahrlich den kühnsten Vorstellungen vom Paradies! Große, majestätische Vögel mit schillerndem, buntem Gefieder zogen am Himmel entlang, einige stattliche Pferde mit glänzendem Fell grasten friedlich auf einer Weide und Wolfswelpen spielten ganz in der Nähe miteinander.

Staunend drehte sich Mamoru ein paar Mal um die eigene Achse, um auch wirklich alles genau beobachten zu können. Die Weide war gigantisch groß und in weiter Ferne sah man den Waldesrand in jeder Himmelsrichtung. Noch viel weiter weg hoben sich mächtige Berge vom Horizont ab. Alles wirkte so unendlich unermesslich, dass man meinen könnte, die Erde habe mit einem Mal einen viel größeren Radius. Oder diese Welt sei gar nicht die Erde.

Mamoru fühlte ein leichtes Stupsen an seiner Schulter und drehte sich um, zu dem wohl schönsten Pferd, das er in seinem ganzen Leben jemals gesehen hatte. Die orangefarbenen Augen blickten ihn freundlich an und eine gewisse Intelligenz lag in diesem Blick; gerade so, als wolle dieses weiße Pferd mitten in Mamorus Seele sehen. Es schnaubte freudig, kam noch einen Schritt näher und rieb seine warme Schnauze an Mamorus Brust. Kichernd legte dieser seine Hand auf das Maul des Pferdes und streichelte ihm sanft über die weiche Nase, dann hoch bis zur Stirn und dann durch die feinen Haare der eisblauen Mähne. Das Pferd trat einen Schritt zurück und sah Mamoru einige Herzschläge lang an. Dann wieherte es und machte eine Kopfbewegung, die sehr stark an das menschliche Nicken erinnerte. Es wandte den Kopf nach hinten und nickte auf seinen Rücken, dann sah es Mamoru erwartungsvoll an.

"Besser nicht", meinte Mamoru verlegen. "Ich kann nicht reiten, weißt Du? Ich will Dir nicht wehtun."

Das Pferd machte so was wie ein Kopfschütteln, wies erneut mit seiner Nase auf seinen Rücken und schnaubte leise.

"Du willst es ja nicht anders", murmelte Mamoru, trat neben das Pferd, hielt sich am untersten Büschel der langen, leicht gewellten Mähne fest, nahm Schwung und segelte regelrecht auf den Rücken dieses wunderbaren Geschöpfs.

Nach einem erneuten Schnauben setzte sich der Hengst in Bewegung. Er verfiel schon bald in einen schnellen Galopp, der Wind peitschte nur so am Tier und seinem Reiter vorbei. Die Hufe trommelten laut auf dem Boden, Staub schoss hinter den beiden empor. Für Mamoru war es ein wahnsinniges Gefühl der Freiheit und der Freude. Er genoss es, die gewaltigen Muskeln des schneeweißen Pferdes unter sich zu spüren und seine Wildheit zu erleben.

So schnell dieses Pferd auch rannte und so laut seine Hufe auch über den Boden donnerten, den Waldrand schienen die beiden einfach nicht zu erreichen. Fast, als wichen die Bäume im gleichen Tempo zurück. Als Mamoru genau das klar wurde, sah er ein kurzes Aufblitzen. Dann einen hellen, goldenen Lichtstrahl. Und dann erschien ein wunderschönes, langes, goldenes Horn auf der Stirn des Tieres. Dieses Horn schillerte und strahlte wie wohl kein andres Licht auf der Welt. Und als ob das noch nicht genug wäre wuchsen dem Pferd in sekundenschnelle zwei riesige Schwanenflügel aus den Schultern!

Der weiße Hengst erhob sich mit einigen kräftigen Flügelschlägen in die Luft und der Bann, der den Wald immer weiter zurückweichen lassen hatte, schien mit einem Male gebrochen zu sein. Nur Sekunden nach dieser atemberaubenden Verwandlung schwebte Mamoru auf dem Rücken des zauberhaften Wesens über Bäume und Lichtungen, immer weiter, einen sanft ansteigenden Hügel hinauf.

Bis der Wald abrupt an einer Steilwand aufhörte, ganz so, als sei die Welt zu Ende und eine neue würde hier beginnen. Die Aussicht war atemberaubend! Die Steilwand selbst schien etliche hundert Meter lotrecht in die Tiefe zu gehen. Von ihrem Fußende an erstreckte sich eine gewaltige Wiese über einen einzigen, gigantischen Hügel, bis hin zu den kolossalen Bergen, die den Horizont bildeten. Doch diese Wiese war bei weitem nicht leer. Genau in der Mitte erstreckte sich eine gewaltige Palastanlage, überragt von einem hohen Turm, auf dessen Kuppel ein riesiger Sichelmond angebracht war, dessen Spitzen sich nach oben wölbten. Der Palast war wunderschön. Er bestand aus sanft schimmerndem Marmor, überall waren wunderschöne Verzierungen, Symbole, Monde und vor allem Sträucher mit roten Rosen. Zwar gab es auch andere Blumenbeete mit vielen verschiedenen Blumenarten, aber die Rose war bei weitem die häufigste Pflanze. Sie rankte sich um Pfosten und Pfeiler, an Säulen entlang und die Häuserwände des Palastes hoch.

Je näher das weiße Pferd an die Bauten heranflog, umso mehr Details konnte Mamoru erkennen. Die Pracht dieses Schlosses war einfach unbeschreiblich. Alles war in gold, weiß und blassrosa gehalten. Springbrunnen und niedrige Wasserbecken perfektionierten das Bild des Wohlstandes und des Glücks.

Doch irgendwas fehlte hier.

Weit und breit war nicht eine Menschenseele zu sehen. Die Palastanlage wirkte leer und irgendwie ... tot. Als würden alle tief und fest schlafen. Nicht einmal Tiere waren hier. Erst jetzt fiel Mamoru auch die beinahe schon greifbare Stille auf, die sich über die Gebäude gelegt hatte. Es war fast, als würden alle Geräusche aufgesogen. Und die Rosenbüsche, die überall rankten und gediehen erinnerten umso mehr an das Märchen von Dornröschen, die zusammen mit allen Bewohnern ihres Schlosses hundert Jahre lang geschlafen hatte.

Das weiße Pferd landete auf einer breiten, weißen Straße, die von Säulen gesäumt und von Wasserbecken flankiert wurde und genau auf den großen Hauptturm mit dem Sichelmond auf der Kuppel zulief. Es schritt noch einige Meter auf den Turm zu und gebot Mamoru dann mit einem Kopfnicken, von seinem Rücken zu steigen. Er kam der stummen Bitte nach und sah sich staunend um. Irgendetwas schien ihn wie magisch die Straße weiter entlang genau auf den Turm hin zu ziehen. Fast schon willenlos setzte er einen Fuß vor den andren. Als er sich einmal umsah, war das Pferd verschwunden. In Luft aufgelöst. Wie die anderen Bewohner des Palastes.

Mamoru schritt weiter. Wie magisch öffneten sich ihm die gigantischen Tore des Turmes und schwangen absolut lautlos auf. Mamoru betrat den Turm und fand sich in einem düsteren Raum wieder. Schon von dem Augenblick an, in dem er den Palast von weit oben gesehen hatte, war ihm das alles hier so eigenartig vertraut vorgekommen. Doch dieser Eindruck steigerte sich nun ins Unermessliche. Es war, als kehre man nach langen Jahren der Einsamkeit wieder zurück nach Hause.

Mamoru ging mutig immer weiter in die Dunkelheit hinein. Obwohl er die Ausmaße nicht erkennen, nicht einmal erahnen konnte, war ihm, als sei allein dieser Raum viel, viel größer als die ganze Welt da draußen. Irgendwie war das purer Unsinn. Und doch war es hier irgendwie möglich.

Er fuhr herum, als er hinter sich eine sanfte, weibliche Stimme hörte. "Ich habe schon auf Dich gewartet."

Mamoru lächelte. Das Licht, das durch das große Tor hereinflutete, ließ die Frau nur wie ein nachtschwarzer Schemen aussehen. Dennoch erkannte er sie.

"Und ich habe irgendwie gewusst, Dich hier vorzufinden", gestand er. "Ich soll den Silberkristall finden, nicht wahr?"

Die schemenhafte Gestalt nickte. "Ja. Aber das ist bei weitem nicht Deine einzige Aufgabe. Du musst wieder erwachen und Deine ganze Macht entfalten."

Mamoru kicherte. Er wusste selbst nicht, warum er ausgerechnet jetzt kichern musste; wahrscheinlich, weil dieses Erlebnis hier absolut absurd war, ebenso wie die Forderungen dieser Fremden. "Verrätst Du mir auch, wie ich das anstellen soll?", fragte er. "Seit Jahren ... seit Jahren sagst Du mir Nacht für Nacht nichts anderes. Finde den Heiligen Silberkristall. Mach einfach mal, wird schon schief gehen, gell? Ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich habe alles versucht! Zum Teufel, es gibt doch absolut nichts, was ich unversucht gelassen hätte! Und von Dir höre ich auch nur die alte Leier, anstatt dass Du mir mal in irgend einer Form helfen würdest! Wie wär's, mach Deinen Dreck doch mal selber, statt nur Forderungen zu stellen!" Er war immer lauter geworden und hatte zum Schluss schon fast geschrieen. Und jetzt, wo er sich so sehr in Rage geredet hatte, keuchte er nach Luft und steigerte seinen Zorn umso mehr, als er bemerkte, wie ruhig sein Gegenüber bei seinen Worten blieb.

"Ich verstehe Deine Erregung", antwortete sie, im selben sanften Ton, in dem sie immer sprach. "Aber ich hoffe Du weißt, wie wichtig Deine Mission ist!"

Mamoru schnaubte verächtlich, hörte aber dennoch still zu, was sie ihm noch zu sagen hatte:

"Und Du hast mein Wort drauf: Du wirst für Deine Mühen reich belohnt werden. Aber Du musst Dich noch ein wenig gedulden. Sieh hinauf."

Mamoru gehorchte - und erstarrte. Er wollte irgendwas sagen, ganz gleich was, aber er brachte vor Staunen keinen Ton raus, als er dorthin sah, wo eigentlich die Decke des Raumes sein sollte. Hell und sanft strahlten dort die Sterne des Universums, die Milchstraße zog sich als ein sanft schimmerndes Band am Himmel entlang, die Planeten des Sonnensystems schienen heller und näher zu sein als sonst, und dort, wo man das silberne Rund des Mondes erwarten würde, strahlte die Erde in ihrem ganzen Glanz. Der Anblick dieser lebenden, leuchtenden Kugel mit dem Blau der Ozeane, dem Grün der Wälder, dem Orange der Wüsten und dem Weiß der Wolken und des Eises war absolut atemberaubend.

"Die Sterne stehen günstig", stellte die schattenhafte Person fest. Mamoru hatte sie vor lauter Staunen völlig vergessen.

"Was meinst Du damit?", erkundigte er sich flüsternd, während er ungläubig nach oben starrte, bis ihm der Nacken wehtat.

"Der Zeitpunkt Deines Erwachens rückt immer näher", erklärte sie. "Und alles, was Du da oben siehst, wird schon bald Dir gehören."

"Guter Witz. Find ich echt klasse."

"Du kannst Dich Deinem Schicksal nicht entziehen, Herr der Erde."

Schon wieder dieser Titel. Was sollte das alles?

"Und wenn ich's doch tu?"

Doch da war der Turm um ihn herum schon verschwunden, ebenso wie die schwarze Gestalt. Er war wieder in seinem Zimmer, lag in seinem Bett und schaute sich verwirrt um. Sein Kopf hing zur Bettkante runter. Kein Wunder tat ihm der Nacken so weh. Seufzend und keuchend arbeitete er sich wieder in sein Bett hinein.

Er gähnte lange, streckte sich und warf dann einen Blick auf seine Armbanduhr. Er könnte mal langsam aufstehen.

Noch während er sich anzog dachte er über diese letzte Nacht nach. Im Nachhinein betrachtet war das doch wirklich ein sehr angenehmer Traum gewesen. Aber was für einer!...

Ein weißes Pferd mit einem Horn und Flügeln! Mamoru lächelte amüsiert in sich hinein. Was für absurde Sachen man doch manchmal träumte! Doch ihm verging das Lachen schnell, als er daran dachte, was für Teufeleien Kioku wohl heute für ihn parat hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2005-06-30T15:18:19+00:00 30.06.2005 17:18
Wow,
also zuerst hat Mamoru diese Strafen von Kioku wirklich verdient! Sie war noch viel zu mild! ^^

Und endlich hatte Mamoru wider mal einen Traum, habe das schon vermißt und was für einen, ich bin baff, wirklich. Gut wie du Pegasus mit hinein gebracht hast. Dieser Traum hat ja viele Fragen aufgeworfen. War diese Schemenhafte gestalt nun Prinzessin Serenity oder doch ihre Mutter? Stand Mamoru nun in Elysion in seinem alten Palast oder doch im Mondpalast, nach deiner Beschreibung, die dir wirklich gut gelungen ist, tendiere ich ja zum letzteren!^^

Hach, du hast mich wirklich neugierig gemacht. Mamorus Erwachen ist nicht mehr weit entfernt, oh ich bin ja schon riesig neugierig darauf! Hoffentlich wird Mamoru sich seiner Verantwortung bals bewusst, schreib schnell weiter! Ich kann es kaum erwarten weiter zu lesen.

Also ein geniales Kapitel mal wieder, du schaffst es tatsächlich mich wieder aufs neue zu überrschen und die Handlung immer spannender zu machen! ^^

LG *g*^^


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