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Liebe, Leid und Leben

Mamorus Jugend
von

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<Was zum Teufel ist der Silberkristall?>, fragte sich Mamoru schon zum wiederholten Male an diesem Tag. Sollte man wirklich auf das blöde Geschwätz eines Traumes Wert legen? Aber andererseits handelte es sich dabei um einen ständig wiederkehrenden Traum. Das musste doch was zu bedeuten haben. Oder?

Per Definition Sigmund Freuds ist ein Traum nichts weiter als zu verarbeitende Körperreize, Tageserlebnisse, Kindheitserinnerungen, Wünsche und Konflikte. Eigentlich, so Mamorus persönliche Meinung, ist man nicht dazu in der Lage, etwas zu träumen, dass man nicht aus der Realität kennt. Und Mamoru kannte auf jeden Fall keinen Silberkristall, der in der Lage war, verlorene Erinnerungen zurück zu bringen. Nicht mal Fantasy-Romane kannten so einen Blödsinn!

<Es wird sich alles aufklären, sobald ich ihn gefunden habe.>

Mamoru schüttelte leicht den Kopf. Dieser Gedanke setzte automatisch voraus, dass es den Silberkristall faktisch gab! Wenn es zumindest einen Beweis gäbe; eine Spur, einen Zeitungsartikel, irgendwas! Doch da war nichts. Mamoru hatte schon viel Zeit in der Bibliothek verbracht. Hatte Bücher über Edelsteine gelesen, hatte sich Fachliteratur über Kristalle angeeignet, war sogar mal resigniert in die Märchenabteilung gelaufen - nichts! Absolut nichts!

<Wieso tu ich mir das eigentlich an? Es macht meine Eltern auch nicht mehr lebendig. Wenn es diesen verdammten Kristall wirklich gibt, was soll's? Er kann mir womöglich tatsächlich meine Erinnerung geben. Und was mache ich dann damit? In den sechs Jahren vor meinem Unfall wird doch nicht so viel Spannendes gewesen sein.

...Und wenn doch?>

Mamoru blieb unvermittelt stehen und starrte in den Schnee vor sich.

<Was, wenn ich etwas weiß? Etwas Wichtiges? Womöglich habe ich als kleiner Junge ein Verbrechen beobachtet, und dieser Unfall ist nur geschehen, weil man mich loswerden wollte? Wer weiß, vielleicht war das gar kein Unfall?>

Die Welt vor seinem Blick verschwamm, als sich seine Augen mit Tränen füllten. Es hätte vielleicht irgend eine Möglichkeit gegeben, seine Eltern zu retten. Irgend eine!

<Ob es tatsächlich so war oder nicht, kann ich erst wissen, wenn ich den Silberkristall finde!>

Mamoru zog sich einen Handschuh aus und wischte sich die Tränen aus den Augen. Er war wieder fest entschlossen, den Kristall zu suchen und zu finden. Koste es, was es wolle!

Sein Leben lang, oder viel mehr, sein bewusstes Leben lang kämpfte er mit sich selbst, rang mit sich um die Entscheidung, was zu tun sei. Entweder, er würde den Kristall finden, oder... auf ewig weiter mit sich selber kämpfen.

Er zog sich den Handschuh wieder an und lief mit knurrendem Magen weiter. Immerhin war das Frühstück nicht allzu sonderlich reichhaltig gewesen, und Motokis Reisbällchen hatten auch nicht sehr viel geholfen. Außerdem war schon später Nachmittag. So stapfte Mamoru weiter durch den Schnee, erneut in seine Gedanken versunken.

"Ich sag Dir Bescheid, wenn ein Laternenpfahl kommt", erklang plötzlich Motokis Stimme neben Mamorus Ohr. Erschrocken wandte sich dieser um, stolperte prompt über einen kleinen Schneehügel, verlor das Gleichgewicht und plumpste hin. Kopfschüttelnd stand der blonde Freund über ihm und sagte: "Langsam glaube ich, Du bist doch nicht mehr zu retten. Na, hopp! Steh auf!" Er reichte Mamoru seine Hand hin. Doch dieser schlug das Angebot aus und raffte sich aus eigener Kraft hoch. "Was willst Du?"

"Ich dachte nur, ich sollte Deinen Kopf vor Beulen bewahren", grinste Motoki. "Da sind sowieso schon ziemlich viele Hügelchen drauf, findest Du nicht?"

"Warum musst Du nur immer so verflucht ehrlich sein?", regte sich Mamoru auf, als er sich erneut Schnee aus den Klamotten klopfte.

Darauf zuckte Motoki bloß mit den Schultern. "So bin ich eben."

Sie liefen nebeneinander auf dem Gehweg entlang.

"Pffft, Hügelchen...", fing Mamoru wieder an, "Ich hab vielleicht Pickel, aber dafür wirst Du früher Falten haben als ich."

"Na und?", lachte Motoki, "ich als Mann darf so was!"

"Wo siehst Du hier einen Mann, Knabe?", grinste Mamoru.

"Und das aus Deinem Munde?", feixte Motoki zurück, "bezeichnest Du Dich etwa als Weib?"

"Ich hasse Dich immer noch, Furuhata", brummelte Mamoru vor sich hin.

"Tut mir ja Leid, aber da hast Du Dich wirklich selbst reingeritten", antwortete Motoki vergnügt.
 

"Willst Du mit zu mir?", fragte er nach einer Weile. "Meine Eltern haben einige neue Automaten in der Spielhalle. Da ist auch ein Action-Videospiel dabei, das macht riesen Spaß!"

Darauf schüttelte Mamoru den Kopf. "Heute mal nicht. Ich muss dringend nach Hause."

"Warum so eilig? Gibt es irgendwas Besonderes?", wollte Motoki wissen.

"Muss mein Zimmer aufräumen", nuschelte Mamoru vor sich hin.

"Wie?", rief Motoki aus, "Du putzt freiwillig? Ausgerechnet Du? Dass ich nicht lache!"

Mamoru zuckte missmutig mit den Schultern. "Was soll ich denn machen? Ich muss meiner Tante und meinem Onkel unbedingt beweisen, dass ich selbstständig sein kann. Sonst werde ich in hundert Jahren noch bei ihnen leben! Ich hab einfach keinen Bock mehr darauf, andauernd von meiner Tante hören zu müssen, wie groß und gefährlich diese Welt ist."

Motoki nickte verständnisvoll und hakte sich bei Mamoru unter. "Ok, kein Problem, ich helfe Dir."

"Das würdest Du tun?", sagte Mamoru und sah seinem besten Freund aus großen Augen an, "aber... ich muss es allein schaffen. Sonst zählt es nicht."

"Kein Problem", grinste Motoki, "wir machen Arbeitsteilung daraus: Du arbeitest, ich teile. Besser: ich teile ein. Ich sage Dir, was Du tun sollst und so. Das mach ich doch gerne für Dich, brauchst Dich nicht zu bedanken."

Offenen Mundes starrte Mamoru ihn an. "Mistkerl", brummelte er.

"Was sagst Du?", bemerkte Motoki übertrieben theatralisch, "und das zu mir? Deinem besten Freund auf Erden? Deinem einzigen Freund? Ich bin empört!"

Spielerisch schubste Mamoru seinen einzigen Freund auf Erden in den Schnee. Als sich dieser wieder aufrichten wollte, hatte Mamoru längst den Schulranzen hingeworfen, nahm nun Anlauf und sprang auf Motoki. Eine wilde Keilerei hatte begonnen.
 

Vergnügt lachend kamen beide in der Wohnung der Familie Chiba an. Mamoru hatte eine aufgesprungene Lippe, und Motoki blutete etwas aus einem Kratzer über dem linken Auge und würde wohl am nächsten Tag ein paar blaue Flecke haben, aber Derartiges waren die Kerle schon gewohnt. Das geschah ständig. Auf dem Heimweg hatte man sich mit Taschentüchern ausgeholfen und diverse Schrammen mit Schnee gekühlt. Mehr war nicht nötig.

"Willst Du was zu trinken?", bot Mamoru seinem Gast an.

"Cola", antwortete dieser und verschwand bereits in Mamorus Zimmer. Er kannte diese Wohnung fast schon besser als das eigene Zuhause. Seit Jahren schon waren er und Mamoru die dicksten Freunde.

Mamoru brachte eine Flasche Cola und zwei Gläser heran, letztere füllte er direkt mit der süßen braunen Flüssigkeit. Sie stießen an.

"Auf die Freundschaft!", meinte Mamoru.

"Und darauf, dass diese Schlägereien nie ein Ende haben mögen!", bestätigte Motoki und nippte an seinem Getränk. Beide grinsten.

"Wo ist eigentlich Deine Tante?", fragte Motoki beiläufig zwischen zwei Schlucken.

"Keine Ahnung", meinte Mamoru, "vielleicht einkaufen? Aber es ist immerhin die Chance für mich. So kann ich eine Überraschung draus machen. Aber zuallererst...", er lächelte entschuldigend, "will ich was essen. Ich hab einen Bärenhunger. Du auch?"

Motoki nickte freudig grinsend. "Voller Magen und leerer Kopf - was braucht man mehr zum Arbeiten?"

"Muskeln", antwortete Mamoru lachend und verschwand mit Motoki in der Küche, wo sich die beiden Sandwiches zubereiteten.
 

Anstatt Arbeitsteilung nach Motokis Spezialdefinition zu betreiben, hielten sich die beiden schlussendlich doch lieber an die herkömmliche Bedeutung des Begriffes. Anfangs hatte Mamoru zwar immer noch darauf bestanden, es alleine schaffen zu müssen, aber darauf hatte Motoki geantwortet: "Warum? Wir könnten doch auch in eine WG ziehen, oder? So langsam geht mir meine kleine Schwester nämlich auch auf den Senkel. Dann halte ich es doch lieber mit Dir aus. Und dann machen wir doch auch alles zusammen, oder etwa nicht?"

Mamoru gefiel diese Idee. Er wusste, wie nervig seine kleine Schwester Unazuki sein konnte. Sie war immerhin erst zwölf, ein grausiges Alter. Klar, dass Motoki da gerne ausreißen wollte. Und wenn er tatsächlich mit Motoki zusammenziehen konnte, erhöhte sich damit die Chance, tatsächlich wegziehen zu dürfen; wer weiß, ob er überhaupt die Erlaubnis bekommen würde, eine Wohnung allein bewohnen zu dürfen? Obendrein, mit niemandem auf der Welt als Motoki hätte er eine Wohnung lieber geteilt. Außer vielleicht, wenn er doch Hikari eines Tages rumkriegen konnte...

So sah der Plan aus: Mamoru wollte sich zuerst um sein eigenes Zimmer, danach um das Bad kümmern. Währenddessen sollte Motoki die Küche säubern und das Wohnzimmer aufräumen. Dann wollten sie gemeinsam die Wäsche machen; Mamoru sollte am Bügeleisen arbeiten, und Motoki sollte die Wäsche zusammenlegen.

"Das ist ein Klacks! In einer Stunde sind wir damit locker fertig!", so waren sie sich einig.

Denkste!

Nach gut zwei Stunden war kaum die Hälfte dessen, was sie sich vorgenommen hatten, geschafft. Dennoch waren alle beide völlig groggy. Schwitzend und schwer atmend saßen sie im Wohnzimmer und schworen, nie wieder irgend eine Form von Unordnung herbeizuführen. Gerade da kam Kioku nach Hause.

"Mamoru? Bist Du da? Entschuldige bitte, ich hab eine alte Bekannte getroffen und mich rettungslos vertratscht. Ich mach Dir gleich was zu essen, Okay?"

Erst da kam sie im Wohnzimmer an.

Das erste, das sie bemerkte: "Oh, Motoki! Du auch hier?"

Das zweite: "Mamoru, hast Du hier aufgeräumt???"

Die beiden Jungs strahlten von einem Ohr zum andren.

"Ich will ja nicht angeben", meinte Mamoru, und es klang nicht annährend so beiläufig, wie es geplant war, "aber schau Dir mal mein Zimmer an!"

"Ich will genauso wenig angeben", setzte Motoki dazu, "aber die Küche kannst Du Dir auch anschauen, Kioku!"

Tante Kioku stand erst mal regungslos da. Dann kam sie auf Mamoru zugestürmt und legte ihre Hand auf seine Stirn mit den Worten: "Nein, Fieber scheinst Du nicht zu haben... Hast Du irgendwelche Drogen genommen? Ich hab Dir gesagt, Kurzer: kauf kein weißes Zeug in kleinen Tüten, dass Dir irgend ein Kerl auf offener Straße andreht! Die Welt dort draußen ist groß und gefährlich!"

Motoki amüsierte sich königlich, während Mamoru nur mit den Augen rollte und mit knallrotem Gesicht nuschelte: "Mensch, Tante Kioku! Lass das doch jetzt! Ausgerechnet, wenn Motoki da ist. Du blamierst mich."

Darauf lachte Kioku erst mal lauthals und herzte ihren Neffen. "Ich weiß, ich weiß. Image und Coolness sind das wichtigste für Leute in Deinem Alter. Ich danke Euch beiden auch von ganzem Herzen für Eure Bemühungen. Wie wär's, wenn ich Euch jetzt erst mal was Leckeres koche? Habt Ihr Hunger?"

Lautes Gejohle antwortete. Sämtliche durch die Sandwiches angefutterten Kräfte waren längst verbraucht, und Kerle in diesem Entwicklungsstadium brauchten viel Nachschub.

"Mir tut nur Leid", meinte Motoki mit traurigem Blick, als er Kioku in der Küche verschwinden sah, "dass mein Werk nicht etwas länger hält. Kaum bin ich fertig, da wird schon wieder dreckig gemacht. Es ist eine Schande."

Kioku, die das noch gehört hatte, streckte noch mal kurz den Kopf zur Tür raus und antwortete mit einem Zwinkern: "Ja, nicht wahr? Und mit diesem Fass ohne Boden schlage ich mich schon seit Jahren rum. Aber Du siehst doch hoffentlich ein, Motoki, dass es auf jeden Fall nötig ist, alles reinlich zu halten, oder?"

Motoki winkte ab und nickte nur noch erschöpft. "Was auch immer!"
 

Kioku, die eine hervorragende Köchin war, zauberte ein köstliches Sukiyaki auf den Tisch. Vergnügt sah sie dabei zu, wie sich die beiden Jugendlichen die Bäuche voll schlugen. Als sich Motoki schlussendlich zufrieden zurücklehnte, betrachtete Kioku ihn eingehend.

"Was ist mit Deinem Auge passiert?", wollte sie wissen.

"Dasselbe, was mit Mamorus Lippe passiert ist", antwortete dieser grinsend.

Kioku griff nach dem Kinn ihres Neffen und wurde schneeweiß im Gesicht.

"Um Himmels Willen, Kurzer! Wie hast Du denn das geschafft?"

"Er ist dummerweise in meine Faust gelaufen", antwortete Motoki an seiner statt.

"Halt die Klappe", meinte Mamoru mit vollem Mund.

"Was soll ich?", fragte Motoki herausfordernd, wobei er das Kinn reckte und die Fäuste hob, "hast Du noch nicht genug? Komm ruhig her, Du!"

"Nein, lieber nicht", meinte Mamoru und schob sich noch was in den Mund. "Onkel Seigi sagt, ich soll nicht mehr so viele Blutlachen in der Wohnung hinterlassen. Außerdem ist unser Keller sowieso schon voll von Leichen. Gell, Tante Kioku? Wir sollten bald mal wieder ausmisten."

"Schon wieder?", spielte Kioku das Spielchen mit, "Du übertreibst aber auch immer. Wie oft hab ich Dir schon gesagt, dass Du das lassen sollst! Geh endlich mal zum Mafiaboss um die Ecke und sag ihm langsam mal, was aus seinen Leuten geworden ist. Er macht sich bestimmt schon Sorgen."

"Och, nö! Nicht jetzt. Ich geh morgen."

"Das sagst Du schon seit einer Ewigkeit."

Amüsiert verfolgte Motoki dieses Spielchen. So was kannte er von Zuhause nicht. Seine Eltern waren da eher fantasielos.

"Wie auch immer", beendete Mamoru die Reise ins Land der Fantasie, "wir danken wie besessen für dieses tolle Fressen. Wir verziehen uns in mein Zimmer. Mach's gut."

"Einen Moment noch, junger Mann!" Sie wollte eigentlich herrisch klingen, aber das ging in einem Schmunzeln unter. "Wer essen kann, der kann auch abwaschen. Du willst ja eigenständig sein, oder irre ich mich da?"

Zögerlich drehte sich Mamoru zu seiner Tante um und meinte kleinlaut: "Wenn ich eigenständig bin, kann ich mir ja auch selber aussuchen, wann ich abwasche, oder?"

"Falsche Antwort, Kleiner." Kioku schüttelte den Kopf. Mit ausgestrecktem Arm wies sie auf das Spülbecken. "Hopp! Los geht's!"

Resigniert ließ Mamoru den Kopf sinken. "Du bist gemein."

"Die ganze Welt da draußen ist gemein, groß und gefährlich. Daran kann ich auch nichts ändern", antwortete Kioku und drückte ihm die Teller in die Hände. Mit einem Seufzer krempelte er die Ärmel seines Hemdes hoch. Für derartige Arbeit war die Schuluniform eigentlich nicht gedacht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Bunny_T
2005-02-15T18:19:02+00:00 15.02.2005 19:19
So kennt man Mamoru ja gar nicht. Find ich aber witzig! ^^ Besonders wie er und Motoki miteinander umgehen! Wer soll denn eigentlich diese Hikari sein???
Schreib ganz schnell weiter!

HDL
Bunny_T
Von: abgemeldet
2005-02-09T23:50:35+00:00 10.02.2005 00:50
^_________^ Einfach Supi, Supi, Supi! War Mamoru also auch mal unordentlich, wer hätte das gedacht. Das du den Silberkristall mit einbringst finde ich weiterhin richtig gut. An einigen stellen musste ich richtig lachen. Hach deine geschichte gefällt mir einfach und ich hoffe das du schnell weiter schreiben wirst, bin schon neugierig wie es weiter gehen wird!!


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