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Schritte

von

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Abschied

Schritte - Abschied
 

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Zu Anfang eine Entschuldigung. Ein Blick, der um Vergebung bittet. Meine Sünden können nicht gesühnt werden. Meine Schuld ist ewig. Höre mir ein letztes Mal zu, und ich werde dir ein letztes Mal eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte voller Freude, eine Geschichte voller Trauer. Eine Geschichte des Lebens. Vielleicht sogar meines Lebens. Wer weiß? Derjenige, der am Ende des langen Tages über mich richten wird.

War ich ein guter Mensch? Ein schlechter? Finde ich letztendlich doch noch irgendwann meinen Frieden? Wie sehr ich mch doch danach sehne! Frieden, Ruhe. Ein Schlaf, dessen sanfte Wogen nicht von Gefühlen der Angst, der Angst vorm strahlenden Morgenrot gestört wird.

Höre jedes einzelne Wort. Lausche. Lausche und konzentriere dich, versuche zu verstehen, was ich dir sagen möchte. Wer weiß... Vielleicht hörst du ab und zu meinen Herzschlag. Halte mich nicht für einen Narren. Jeder Mensch ist ein Narr, und in diesen Minuten, in gerade diesem Augenblick, in dem du meine Worte vernimmst, bin ich menschlicher als je zu vor. Verletzbarer. Denn mit jedem Buchstaben, den deine Augen verfolgen, durchlebe ich die widersprüchlisten Gefühle. Höre ein letztes Mal, fühle. Und möglicherweise kannst du meinen Herzschlag auch spüren.

Das erste Mal als ich dich sah... Wie soll ich sagen? Du hast mich einfach umgehauen. Ich muss lachen, tut mir Leid. Das kannst du zwar nicht hören, aber ich denke, man könnte sagen, dass es ein Lachen voller schöner Erinnerungen und voller Farbe ist, mit eben jener nostalgischen Note, die man auch in den Erzählungen alter Männer hören kann. Stelle es dir vor! Stelle es dir wirklich einmal bildlich vor! Da auf der Straße, nur eine Ecke weiter stehen zwei alte Campingstühle an der Grenze zweier Häuser. Auch ein kleiner Campingtisch steht davor. Niedrig, dennoch zweckdienlich. Die Sonne geht auf... Siehst du die Farben?! Einer dieser Bilderbuchmorgende. Zuerst sieht man, wie das dunkle, satte Blau in ein blasses Gelb übergeht. Sonnenblumengelb und schließlich - Feuerrot! Und dann das glorreiche Finale des täglichen Spieles, wenn das Licht aus der Nacht, dem Schatten geboren wird. Ein goldener Streifen bricht über den Horizont, zeichnet feine Linien. Natürlich weiß man, dass es ungesund ist, in die Sonne zu blicken... Aber wer kann einem denn schon bei dieser Pracht aus lichtem Gold einen Vorwurf machen? Und dann gehen gleichzeitig zwei Türen auf. Alte, ledrig wirkende Hände legen weiche, wild und bunt gemusterte Sitzkissen auf kalte Plastiksitzflächen. Stühle werden ohne ein Wort zurechtgerückt. Passanten, Fahrräder, Autos, Kinderwagen, verliebte Pärchen, eine Trauergesellschaft. Alte, schon etwas trübe Augen verfolgen jeden Tag das Geschehen auf den Straßen. Die zusammengefaltete Zeitung auf dem Schoß wird nicht einmal angerührt. Viel zu beschäftigt ist man damit, das Leben zu beobachten. Das Leben in all seinen Facetten.

Kannst du dir das vorstellen? Kannst du dir vorstellen, wie ich in einem dieser Stühle sitze und auch all die Menschen sehe? Uns beide sehe, wie ein dicker Panda mich vor dich schiebt. Genauso, wie ein Kellner dir einen Teller mit schlecht gewürzter Soße und deinem bestellten Steak medium anstatt "gut durch", so, wie du dir das eigentlich vorgstellt hast, vorschiebt. Ist dir das eigentlich schon einmal aufgefallen? Man kriegt nie das, was man wirklich will. Und damit meine ich nicht nur solch vergleichsweise banale Dinge wie Steaks. Wirklich wichtige Dinge. Weißt du, was ich wirklich wollte?

Ich glaube, ich schweife ab... Möchtest du es trotzdem wissen? So seltsam es auch ist, sich das selbst so offen und ehrlich einzugestehen, ich möchte, dass du es wissen willst. Es wäre so schön, einmal in meinem Leben zu sehen, wie du mich mit dem selben erwartungsvollen Blick ansiehst, mit dem du auch die Versuchsmodelle im Physikunterricht anstarrst.

Das einzige, glaube ich, was ich jemals wirklich wollte, das warst du. Als ich dich sah, muss es um mein Herz geschehen gewesen sein. Zugegeben, mein Verstand war etwas langsamer. Ja, diese Aussage kommt dir sicherlich bekannt vor, nicht wahr? Schon wieder gelingt es mir nicht, dieses abscheuliche Lächeln von meinem Gesicht zu verbannen. Ich kann einfach nicht anders als Lächeln, wenn ich an dich denke. Ist auch das eine Sünde? Ist Träumen eine Sünde? Wenn, dann brauche ich mich nicht mehr zu wundern, wie das endgültige Urteil am Ende des Tages lauten wird. Ewige Flammen, ewige Qualen - nur wegen dir. Nur, weil du mir wieder einen Grund zum Lächeln, zum Träumen gegeben hast. Bist du der Engel, der zur Sünde verführt? Ja, so muss es sein. Nichts anderes ist möglich.

Schon wieder schweife ich ab... Eine jener Gewohnheiten, die man sich einfach nicht mehr abgewöhnen kann. Sicherlich wärst du schon mehr als einmal beinahe der Versuchung unterlegen, diesen unsinnigen Brief aus der Hand zu legen. Das du bis hierhin gelesen hast, überrascht mich ehrlich gesagt. Das zeigt entweder eiserne Disziplin oder kindliche Neugier. Keine Angst, das war kein weiterer meiner kläglichen Versuche, dich zu beleidigen. Weißt du eigentlich, wie schwer es ist, jemanden so sehr zu "hassen", den man doch mehr liebt und wert hält als das eigene Leben? Wie oft zerreißt es mich innerlich, dir nicht sagen zu dürfen, wie ich fühle. Solche Dinge sind Schwächen, hat mein alter Vater immer gesagt. Gefühle zu zeigen, das sei Schwäche. Aber soll ich dir mal was sagen? Es ist sehr viel schwieriger, mutig zu sein, und diesen hartnäckigen Gefühlen die wohl verdiente Existenzberechtigung zuzugestehen.

Auch jetzt kann ich nicht das hinschreiben, was ich möchte. Ist es nicht lustig? Ist es nicht traurig? Es ist so schwer... Möchtest du ein Spiel spielen? Ich deute dir Dinge, mein Herz, meine Gedanken an, und du darfst erraten, was für eigenartige Welten du im Glanz der bunten Seifenblasen siehst. Aber du bist nicht gut im Raten, glaube ich. So intelligent du auch bist, du verstehst nie das, was ich dir mit all jenen vielen kleinen Gesten sagen will.

Ich habe deine Kekse gegessen, obwohl ich mir meines unumgänglichen, nahenden Todes bewusst war. Dein Schoko-Valentinsherz habe ich zwar nicht gegessen, aber ich habe es auch nicht weggeschmissen. Ich habe es immer dort versteckt, wo ich ganz genau wusste, mein alter Vater würde es nicht finden. Wo du es nicht finden konntest. Ja, sieh doch den Brief bitte nicht so fragend an! Die Worte und Buchstaben werden sich in den nächsten fünf Minuten nicht ändern und einen vollkommen anderen Sinn ergeben. Nein, hier ist keine Beleidigung versteckt und ja, daran, an diese winzige Köstlichkeit, erinnere ich mich noch. Ich erinnere mich an jede kleine Einzelheit, jedes Detail jedes Momentes, den ich mit dir verbringen durfte. Ich weiß von all deinen Tränen, von all deinen Blicken.

Glaube mir, ich war nie glücklicher als in jenem Moment, in dem du mich fragstest, ob wir "miteinander gehen" wollten. Natürlich wusste ich, dass du nicht so für mich empfandest, wie ich für dich. Natürlich war es mir bewusst, dass du all das nicht wolltest. Du wolltest nur einen Freund vorweisen können, damit du vor all deinen kleinen Freundinnen nicht so uncool darstehst. Ja, ich wusste all das. Und obwohl du nichts von meinen wahren Empfindungen dir gegenüber je etwas ahntest und mich so sehr wie kein anderer Mensch jemals zuvor verletzt hast, so war es mir doch gleich. Endlich durfte ich dich so ansehen, wie ich es wollte. Voller Zuneigung. Aber du hast es nie gesehen. Denn du hast nicht hingesehen.

Nichts habe ich gesagt, als du begonnen hattest, dich zu verändern. Als deine Wimpern dunkler wurden, als deine Augendeckel in den verschiedensten Farben des Regenbogens leuchteten und deine Lippen dunkel glänzten. Ich sah dir einfach zu, wie du nervös jeden Morgen vor dem Spiegel standest und jede einzelne Strähne deines schönen Haares in die korrekte Position legtest. Nichts habe ich gesagt, als deine Hemden immer offenherziger und enger, und deine Röcke immer kürzer und kürzer wurden. Ich genoss es einfach, deine offensichtliche Freude aufgrund all dieser oberflächlichen Aufmerksamkeit zu beobachten.

Aber nun ist es Zeit für mich, etwas zu sagen. Denn wie gesagt, das hier wird vielleicht meine letzte Chance sein. Nicht nur ist das hier mein Lebewohl an dich. Sondern wirklich die letzte Möglichkeit, meine letzte Möglichkeit. Du hast mich so sehr verletzt. Mein Herz ist gebrochen, und durch diesen dichten Tränenschleier vor meinen Augen kann ich nichts mehr sehen. Und doch liebt der Teil von mir, der noch lebt, dich immer noch. Ja, sieh dir diesen Satz ruhig noch einmal an. Und noch einmal. Auch er ändert sich selbst beim dritten Male nicht. Ja, ich Ranma Saotome liebe dich, Akane Tendo. Vergiss es bitte nicht. War es das, was ich dir sagen wollte? Ich glaube schon. Eine leichte Nervosität, nein, eine ausgewachsene Panik ergreift mich. Die Zeit läuft mir davon. Bald geht schon die Sonne auf, und bis dahin muss ich längst aus Tokyo verschwunden sein. Zuerst wusste ich nicht, wie ich den Brief anfangen sollte. Was sagt man denn schon in einem Abschiedsbrief? Und nun ist da so vieles, das ich dir noch sagen möchte. So vieles. Immer noch nicht kann ich den Entschluss glauben, den ich getroffen habe. Dich nie wieder zu sehen, nie wieder deine Stimme zu hören. So surreal wirkt jede dieser Vorstellungen. Aber dort steht mein gepackter Rucksack, und dort höre ich schon fast, wie das Geräusch meiner wehmütigen Schritte in den Gassen Tokyos verhallt. Was soll ich dir noch sagen? Das ist meine letzte Gelegenheit. Wir werden uns wohl nie wieder sehen. Erinnere dich doch mir zuliebe an den Moment, in dem du mich zuletzt gesehen hast. Ich versuchte, dich anzulächeln, aber ich konnte nicht, da ich gleichzeitig versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Das war heute Morgen beim Frühstück, als du gekonnt versuchtest, mich zu ignorieren. Den Rest des Tages warst du mit deiner Clique unterwegs.

Aber weißt du was? Ich habe mir heute Nacht, als du schon schliefst, ein Bild gemacht, welches ich mir noch auf meinem Sterbebett mit einem wohligen, sonnigen Lächeln vorstellen werde. Die 18-jährige Akane Tendo, ungeschminkt, schlafend. Ein Stofftier in den Armen und dieses selige Lächeln eines Engels auf ihrem Gesicht.
 

Lebe wohl, Akane. Vermisse mich wenigstens ein bisschen, ja? Ich glaube, nun kann ich endlich meinen Frieden finden. Ich habe dir alles gesagt, was wirklich wichtig ist. Ich liebe dich. Jetzt, wo ich es endlich offen sagen kann, will ich es laut in die Nacht hinausschreien: Ich liebe dich!

Dein Ranma
 

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Ihre Hände zitterten. Tränen, vermischt mit gelöstem Maskara verwischten die Tinte auf den raschelnden Seiten, die einst sauber zusammengeheftet in einem unschuldig weißen Umschlag gesteckt hatten. Nun lagen sie zerstreut, von bitteren Tränen befleckt auf dem Boden eines kleinen Zimmers in Nerima, Tokyo.
 


 

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Tja, was soll ich noch dazu sagen? Das hier ist all jenen gewidmet, die ich traurig gemacht und enttäuscht habe. Nie war es meine Absicht, und doch kann ich nichts davon ungeschehen machen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2004-12-23T22:20:14+00:00 23.12.2004 23:20
ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll... auch diese ff ist einfach wunderschön
Von:  misanthropical
2004-11-05T01:44:51+00:00 05.11.2004 02:44
fantastisch...
Von:  Deepdream
2004-09-25T19:10:39+00:00 25.09.2004 21:10
Du bist eine der wenigen Autoren, welche es doch tatsächlich schaffen Gefühle zu schildern und real auf die Charaktere zu übertragen.
Als ich den Brief las, hätten sich beinahe Tränen aus meinen Augenwinkeln befreit, um ihre Reise gen Boden anzutreten.

Ich hoffe, dass du dich bald mal wieder mit einer ENS meldest.

Auf bald,

bye,

Deepdream (mein Nickname wird nur in den ENS-Botschaften angewendet, oki? :P)

P.S.: Ich möchte fast vermuten, dass du deine Emotionen, anhand der Identifizierung mit einer der Charaktere, niedergeschrieben hast, oder?
Von: abgemeldet
2004-09-25T16:49:06+00:00 25.09.2004 18:49
Du bist endlich wieder da ;_;
Ich hab dich vermisst!
Wo warst du denn?

Zur Geschichte, deinem Stil bist du treu geblieben...
traurig-schön.
Aber versink nicht allzu sehr ;)

Wiedermal etwas zum Nachdenken...
Ich denke mal, dass es hierzu keine Fortstzung geben wird, nicht wahr?
Auf jedenfall bin ich froh, dass du wieder da bist!
Und hoffe, dass diese Überschrift (Kapitel) nichts mit dir zu tun hat!
Vielleicht kommst du ja jetzt mal dazu, dein Bild von mir zu kommentieren ^^
bis dann
*knuddel*
Vanicri ^^


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