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Tori-chan

entschärfte Version von "sei no tori"
von

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6. Kapitel

6.Kapitel
 

Mina lag auf dem Sofa und träumte ein wenig während Toshi in der Küche das Frühstück vorbereitete. Eigentlich war es dafür schon fast zu spät. Der Zeiger der Uhr rückte gerade auf halb 12, was die beiden aber nicht wirklich interessierte. Was ist schon Zeit für 2 Verliebte?

"Mist! Wir haben ja gar keine Milch mehr. Mama muss wohl vergessen haben, welche zu kaufen."

"Ich geh schnell eine Packung holen, ja?"

"Tori-chan, das musst du wirklich nicht."

- Doch zu spät. Mina hatte sich schon ein wenig Kleingeld und seinen Schlüssel geschnappt und war gerade dabei sich anzuziehen.

"He, ich hab gesagt, du brauchst nicht extra loszugehen. Draußen ist es viel zu kalt und wir kommen auch ohne Milch aus."

"Quatsch! Ich bin doch gleich wieder da. Deck du den Tisch und eh du dich versiehst bin ich schon zurück."

Schnell drückte sie Toshi einen Kuss auf den Mund und verschwand. Toshi ließ sie einfach stehen.

"Unmöglich..." murmelte er grinsend.
 

Es war wirklich sehr kalt und der Schnee lag scheinbar meterhoch.

/Zum Glück schneit es nicht auch noch.../

Doch da hatte sie sich zu früh gefreut! Grazil tänzelte eine Schneeflocke vor ihr her und landete schließlich auf ihrer Nase.

"Auch das noch..."

Der 10-minütige Weg zum nächsten Supermarkt schien endlos!

Gerade ging sie an einer schmalen Gasse vorbei, als sie urplötzlich am Arm gepackt und vom Weg gezogen wurde. Eine eiskalte Hand auf ihrem Mund hinderte sie am schreien.

"Halt ja die Fresse, sonst kannst du was erleben!"

Es war Tina! Im Dunkel hinter ihr meinte Mina die anderen zu erkennen. Mina spürte kühles Metall an ihrem Hals.

/Ein Messer? Verdammt!/

"Mach keine Zicken und komm schön mit, klar?!"

Eine Wahl hatte sie ja nicht. Sie kannte Tina lang genug um zu wissen, dass sie keine Skrupel hatte. Widerwillig ließ sie sich mitschleifen.

Auf einmal wurde sie durch eine Tür geschubst und landete im Dunkeln. Erst als jemand das Licht anschaltete, erkannte Mina wo sie war. Es sah wie eine alte, ausgediente Lagerhalle aus. Die Wände waren voll mit Graffiti und in der Ecke stand ein verdrecktes Sofa. Das musste der Clubraum von Tinas Bande sein mit dem sie in der Schule immer angaben.

Mina hatte sich gerade eben aufgerafft, als plötzlich alle im Kreis um sie herum standen. Diese Situation kannte sie schon aus der Schule. Sie kreisten einen ein damit man nicht abhauen konnte. Aber dieses Mal hatte Tina ein Taschenmesser in der Hand und das gefiel Mina überhaupt nicht.

/Wer kommt nur auf die Idee einer Vollirren ein Messer in die Hand zu geben???/

"So Fidschi-Sau, hast du uns vielleicht irgendwas zu sagen?"

Bei dem scheinheiligen Ton in Tinas Stimme wurde Mina ziemlich unwohl.

"Ich wüsste nicht was."

Es sollte selbstbewusst klingen, aber es war eher ein Piepsen.

"Weißt du, unsere Freundin Joi war gestern im Kino...Horrorfilme..."

Mina stockte der Atem.

/Die weiß doch nicht etwa../

Tina unterbrach ihre Gedanken.

"Du warst ja auch dort. Mit deinem Brüderchen, nich´ wahr?"

Mina schwieg. Tina packte sie hart am Kinn.

"Ich will ´ne Antwort!"

Mina wimmerte vor Schmerz. Jeder Versuch sich aus Tinas Eisengriff zu entwinden war aussichtslos.

"Ja...ich war dort..."

"Na bitte, geht doch."

Sie tätschelte Minas Wange bevor sie ausholte und sie niederschlug. Blut tropfte aus ihrem Mundwinkel. Tina war für ein Mädchen ziemlich stark. Doch das war nicht so sehr verwunderlich, wenn man wusste, dass sie jede Woche mit ihrem Freund zum Bodybuilding ging.

Schnell wurde Mina am Kragen wieder hochgezogen.

"Weißt du noch, dass ich dir gesagt hab, dass ich nichts mehr hasse, als Heulsusen? Ich hab meine Meinung geändert. Ich hasse nix mehr als solche Perverse, wie dich!"

Ein Schlag in die Magengrube folgte, aber noch immer hielt Tina sie fest.

"Wie abartig bist du eigentlich??? Knutschst mit deinem eigenen Bruder rum!"

Mina schwieg beharrlich. Sie glaubte nicht, dass die Tatsache, dass Toshi und sie "nur" Halbgeschwister waren Tinas Meinung grundsätzlich geändert hätte...

"So was wie dich woll´n wir in Werder nich´ ham."

Tina ließ sie auf den Boden fallen. Schläge und Tritte kamen von allen Seiten.

"Genug!" brüllte Tina endlich. "Jetzt will ich die Sau bluten seh´n!"

Schweigend traten die anderen von der am Boden liegenden Verletzten weg.

/Bluten???/

Panik stieg in Mina auf. Schnell versuchte sie auf die Beine zu kommen, als Tina mit dem Taschenmesser in der Hand auf sie zukam.

"Woll´n wir doch mal seh´n wieviel du abhältst."

Ein irres Grinsen legte sich auf ihr Gesicht. Immer wieder stieß sie mit dem Messer in Minas Richtung. Diese wich schrittweise nach hinten. Plötzlich berührte sie versehentlich Johanna, die mit den anderen einen Kreis um die beiden gebildet hatte. Dann schien alles gleichzeitig zu geschehen. Verwirrt drehte sich Mina zu Joi um und wurde von ihr unsanft weggestoßen. Tina stieß gerade wieder mit dem Messer zu - doch dieses mal nicht in die Luft. Die Klinge bohrte sich tief in Minas Rücken. Keuchend brach das Mädchen zusammen.

"Scheiße!"

Kreidebleich stand Tina vor Mina.

"Verdammt! Was mach´n wir jetzt? Ey, die krepiert uns hier doch! Ich will nich´ in ´n Knast!"

"Beruhig´ dich, Tina! Los, schaffen wir die hier raus, bevor die uns noch die Bude versaut."

"Joi! Die STIRBT!!!"

"Na und? Soll sie draußen sterben. Der is´ sowieso nich´ mehr zu helfen. Pack´ mal mit an!"

Gemeinsam schleppten sie die Blutenden zurück zu der Stelle, wo sie sie abgefangen hatten. Danach machten sie sich so schnell es ging aus dem Staub.
 

Mina bekam kaum noch etwas von all dem mit.

Der Schmerz benebelte ihre Sinne und sie glaubte zu schweben.

Die Dunkelheit wich dem Licht und die Kälte der Wärme.

/Toshi....wo bist du...?/

Eine dunkle Gestalt tauchte vor ihr auf. Dann wurde alles schwarz...
 

Toshi sah nervös auf die Uhr.

/Sie ist nun schon über eine Stunde weg. So lange kann das doch nicht dauern.../

Immer wieder lief er zwischen der Tür und dem Telefon hin und her. Der Tisch war schon längst gedeckt und der Tee war auch schon wieder kalt.

/Wo bleibst du nur, Tori-chan?/

Das Telefon klingelte. Eilig nahm er ab, ließ dabei fast den Hörer fallen.

"Hallo? Hier bei Norika."

"Guten Tag. Kennen sie eine gewisse...äh...Minako?"

"Ja, das ist meine kleine Schwester. Was ist mit ihr?"

"Sie wurde vor 10 Minuten bei uns im St. Peters Hospital eingeliefert."

"Oh Gott. Was ist nur passiert?"

Toshi war leichenblass.

"Sie hat eine Stichverletzung im Rücken...leider in Herznähe. Sie wird gerade operiert."

Toshi hielt sich an der Kommode fest um nicht wegzukippen. Sein Körper schien völlig kraftlos.

"Ich komme sofort hin. Wiederhören."

Tuuuut!

Er knallte den Hörer auf die Gabel und stürmte los, schnappte sich seine Motorradschlüssel und seinen Mantel und rannte aus dem Haus. Natürlich war es draußen glatt, aber auf den Bus zu warten, hätte viel zu lange gedauert. Um sich selbst hatte er keine Angst. All seine Gedanken waren bei Mina.
 

Keine 15 Minuten später war er am Krankenhaus angelangt. Auf dem Weg wäre er zweimal fast gestürzt und einmal sogar fast mit einem Lkw zusammengefahren. Ziemlich achtlos ließ er sein Motorrad liegen und hastete in das Gebäude.

"Mein Name ist Satoshi Norika. Meine kleine Schwester wurde hier eingeliefert."

"Sie wird noch operiert."

"Ist es sehr schlimm?"

"Das kann ich ihnen leider nicht sagen, aber gleich müsste einer der behandelnden Ärzte vorbeikommen. Bitte warten sie solange."

Mit diesem Satz wurde Toshi von der Schwester abgespeist. Sie hatte ja schließlich noch andere Sachen zu erledigen. Toshi war viel zu nervös um sich irgendwo hinzusetzen, also lief er den Gang entlang und suchte den Arzt, von dem die Schwester gesprochen hatte.

Endlich kam einer dieser Weißkittel. Er sprach kurz mit der Schwester am Empfang und ging dann direkt auf Toshi zu.

"Guten Tag. Ich bin Dr. Schmidt. Und sie sind Minakos großer Bruder, richtig?"

Wortlos nickte er.

"Wie geht es Mina?" fragte er leise.

Seine Stimme zitterte.

"Sie hat großes Glück gehabt. Ein Anwohner hat sie gefunden und den Krankenwagen gerufen. Hätte sie noch lange dort gelegen, hätten wir nichts mehr für sie tun können. Sie hat eine sehr tiefe Stichverletzung im Rücken, nur wenige Zentimeter neben dem Herzen. Der Blutverlust war sehr hoch, deshalb schläft sie jetzt noch. Aber keine Sorge, sie ist auf jeden Fall über den Berg."

Erleichtert atmete Toshi auf.

"Kann ich zu ihr?"

"Ja, natürlich.....äh, einen Moment bitte! Ich bräuchte noch die Telefonnummer unter der ich ihre Eltern erreichen kann."

"Sie sind übers Wochenende zu Bekannten gefahren. Ich kann ihnen nur die Handynummer meines Vaters geben."

Er suchte in seinen Taschen nach seinem kleinen Telefonbuch, das er immer mit sich rumschleppte, entnahm ihm einen Zettel mit der Nummer und übergab ihm Dr. Schmidt.

"Gut. Die Schwester wird gleich versuchen sie zu erreichen."

Dann drehte sich der Arzt um und brachte den Zettel der Schwester. Anschließend kam er wieder zu Toshi zurück.

"Ich bringe sie dann mal zu ihrer Schwester."
 

Monotones Piepen drang an Minas Ohr. Als sie die Augen öffnete, schien zuerst alles um sie herum dunkel. Nach einer kleinen Weile realisierte sie, dass sie wohl im Krankenhaus war. Das Zimmer und die Geräte ließen keinen anderen Schluss zu.

/Was ist nur passiert..?/

Noch immer war Mina ziemlich benebelt, doch sie versuchte aufzustehen. Ein furchtbarer Schmerz im Rücken ließ sie keuchend wieder zurücksinken.

"Bleib liegen! Du bist schwer verletzt und solltest dich ausruhen."

/Diese Stimme.../

"Toshi?"

Sie hörte ihre eigene Stimme, sie klang fremdartig rau.

"Ja, ich bin hier. Du hast sehr lange geschlafen. Wie fühlst du dich?"

"Es geht. Wie lang hab ich denn geschlafen? Und was mach ich überhaupt hier?"

"Weißt du das denn nicht mehr?"

"Nein...nicht genau."

"Man hat dich mit einer tiefen Stichwunde auf der Straße gefunden und dich hierher ins Krankenhaus gebracht. Du wurdest operiert und hast dann 8 Stunden geschlafen."

Mina hörte sich alles genau an. Langsam kam ihre Erinnerung zurück.

"Ja...jetzt weiß ich es wieder. Tina und ihre Kumpels haben mich auf dem Weg zum Supermarkt abgefangen...oh Gott! Toshi!"

Blitzschnell richtete sie sich auf, den Schmerz missachtend, und sah Toshi mit geweiteten Augen an.

"Toshi, sie wissen das wir zusammen sind! Was ist, wenn sie es irgend jemandem erzählen und Kaasan und Papa es erfahren?"

"Beruhige dich. Die sollten mal lieber die Klappe halten, nach all dem, was sie dir angetan haben."

Mit sanfter Gewalt drückte er die Kleine zurück in die weichen Kissen.

"Es kommt alles in Ordnung. Das verspreche ich dir."

Natürlich wusste er, dass wenn auch nur ein falsches Wort zu seinen Eltern gelangen würde, gäbe es fürchterlichen Ärger, aber damit wollte er Mina nicht auch noch beunruhigen. Zärtlich streichelte er ihre Hand.

"Ich bin froh, dass es dir gut geht. Ich hatte furchtbare Angst dich zu verlieren..."

Mina blickte ihm in die Augen und sah etwas darin glitzern. Tränen.

Toshi war mit dem Gedanken konfrontiert worden, was wäre, wenn Mina etwas zustoßen und er sie verlieren würde. Ein unerträglicher Gedanke. Nie könnte er ohne sie leben. Keinen Tag könnte er überstehen ohne sie zu

sehen, zu berühren oder ihr Lachen zu hören.

Vorsichtig beugte er sich zu ihr herunter, sehr darauf bedacht ihr nicht wehzutun. Ihre Lippen berührten sich, als wäre es eine Ewigkeit her. Jeder wollte die Nähe des anderen spüren, brauchte diese Wärme, diesen Moment des vollkommenen Glücks...

"Satoshi! Minako!"

Die beiden Kinder zuckten zusammen. In der Tür standen Toshis Eltern!

"Mama. Papa..."

Leise kam es über Toshis blasse Lippen.

"Ich kann es nicht glauben!!!" donnerte sein Vater los.

"Wir lassen euch 2 Tage alleine und DU? DU nutzt das schamlos aus um Mina zu verführen??? Deine...deine eigene SCHWESTER?"

"Papa, ich..."

"Ich will NICHTS hören, rein GAR NICHTS! Ich habe bisher alles toleriert, aber DAS geht definitiv zu weit! Eine 14-Jährige zu verführen! Satoshi!"

"Papa, Toshi hat mich nicht..." stammelte Mina.

Sie war vollkommen verzweifelt, aber der Vater hörte ihr überhaupt nicht zu.

"Wie lange geht das schon?"

"..."

"Hä? Wie lange???"

Er packte seinen Sohn hart am Arm und zog ihn hoch. Er bekam trotzdem keine Antwort. Toshi schaute nur zu Boden.

BAMM!

Die Ohrfeige saß!

"Wenn Mina nicht verletzt und wir hier nicht in einem Krankenhaus wären, würde ich dich schon zum reden bringen!"

Jetzt war seine Stimme bedrohlich leise. Nur Toshi konnte ihn noch verstehen. So hatte er seinen Vater noch nie erlebt. Er gab ihm keine Chance alles zu erklären. Toshis Blick fiel auf Mina. Die Kleine saß zitternd auf ihrem Bett und starrte ihn an. Natürlich hatten sie gewusst, dass es Ärger geben würde, doch mit so etwas hatten sie nicht gerechnet.

"Kaasan, bitte lass mich doch alles erklären..."

Mit tränenerstickter Stimme wand sie sich an Frau Norika, die die ganze Zeit wortlos in der Ecke gestanden hatte.

"Nein, Tori-chan! Es gibt nichts zu erklären!"

Mina hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme. Sie war von ihren Kindern sehr enttäuscht.

"Ich muss sie bitten, die Patientin nicht so aufzuregen. Sie braucht dringend Ruhe und Schlaf."

Dr. Schmidt hatte den Lärm gehört und war gekommen um Herrn Norika zur Räson zu rufen.

"In Ordnung Herr Doktor. Wir gehen ja schon."

Toshis Arm immer noch fest im Griff, verließ er ohne jedes weiter Wort das Krankenzimmer. Toshi ließ sich willenlos hinterher schleifen, den Blick zu Boden gerichtet.

"Wir besuchen dich morgen noch mal." sagte Frau Norika zu Mina - monoton und ohne jedes Gefühl.

Mina blieb allein in dem halbdunklen Raum zurück. Erst nach ein paar Minuten verstand sie, was hier gerade geschehen war. Alles war aus. ALLES! Sie würden bestimmt dafür sorgen, dass Toshi und sie sich nie wieder zu nahe kommen würden. Verzweiflung stieg in ihr auf . Sie schluchzte trocken und ließ sich ins Kissen sinken. Tränen bahnten sich ihren Weg über ihre blassen Wangen.

/Warum habt ihr mir nicht wenigstens eine Minute zugehört? Warum.../

Ihre Gedanken verloren sich. Traurigkeit erfüllte ihr ganzes Herz.
 

"Guten Morgen!"

Mina hörte, wie jemand die Jalousie hochzog. Warme Sonnenstrahlen berührten ihre Haut.

Für Mina war alles kalt. Langsam öffnete sie die Augen.

"Na? Gut geschlafen?"

/Wie denn?/

Die halbe Nacht lang hatte sie geweint und dann nur ein paar Stunden geschlafen. Aber das Schlimmste war am Morgen ganz allein in diesem kalten Raum aufzuwachen. Allein. Ohne Toshi.

"Ah! Heute ist ein wunderschöner Morgen und die Sonne scheint! Das wird bestimmt ein toller Tag, nicht wahr?"

Langsam, aber sicher ging ihr diese furchtbare gute Laune, die die Krankenschwester verbreitete ganz gewaltig auf die Nerven.

"Möchtest du ein leckeres Frühstück?"

"Nein! Lassen sie mich einfach in Ruhe, ja?"

Okay, es klang vielleicht wirklich nicht sehr freundlich, aber Mina wollte nur einfach nur allein sein und auf gar keinen Fall weiter diese Frau im Zimmer haben.

"In einer halben Stunde komme ich noch mal vorbei um die Betten zu machen."

Mit einem eingeschnappten Gesichtsausdruck rauschte sie davon.

/Endlich Ruhe.../

Minas Herz schien nichts mehr zu spüren. Seit gestern hatte sie das Gefühl, eine eiskalte Hand hätte sich um es gelegt und würde ganz langsam zudrücken. Sie wollte nicht, dass sie sie heute besuchen würden. Sie hatte richtig Angst davor. Toshi würde doch sowieso nicht mitkommen.
 

15 Uhr. Die Besuchszeit hatte gerade eben erst begonnen als sich die Tür öffnete.

/Jetzt schon ?/ dachte sie ängstlich. Doch der Besuch war ein anderer. Es war Niko.

"Hey! Was machst du denn hier? Woher weißt du, dass ich hier bin?"

Sie war doch ziemlich froh ihn zu sehen.

"Ich hab bei dir zu Hause angerufen."

Mina stutzte. Irgendwas war anders an Niko. Er sah sehr ernst aus.

"Was ist los?"

"Das fragst du noch?"

Fragend sah sie ihn an.

/Was meint er bloß?/

"Ich hätte dich echt nie für so krank gehalten."

/Was???/

"Er ist zwar nicht dein leiblicher Bruder, aber ihr seid immerhin Halbgeschwister!"

Traurig sah sie zu Boden.

"Woher weißt du das?"

"Herr Norika hat es mir erzählt."

"Ach. Will er das jetzt jedem in der Stadt erzählen?"

"Das tut nichts zur Sache. Ich bin echt enttäuscht von dir! Wie weit seid ihr gegangen, hä? Habt ihr vielleicht sogar miteinander geschlafen?"

"Ich wüsste nicht, was dich das angeht!"

Wut stieg in Mina auf. Nikos eiskalte Art ließ sie fast ausrasten.

"Ist ja auch egal.... Das alles ist doch pervers! Mina-chan, du bist 14!"

"Na und? Vielleicht würdest du dir erst mal die Mühe machen und mir zuhören, bevor du dein Urteil fällst. Aber so ist es natürlich viel einfacher!"

Sie bemerkte gar nicht, dass sie schrie. Doch das alles machte sie furchtbar wütend. Niemand hörte ihr zu.

"Okay. Dann erklär´s mir."

Überrascht sah sie ihn an, dann senkte sie den Blick. Leise begann sie zu sprechen.

"Ich hab mich verliebt, Niko. Wirklich verliebt! Ich weiß, dass das nicht geht und ich wusste auch, dass es Ärger geben würde, wenn alles rauskommt, aber das war mir egal...ich kann doch auch nichts dafür. Warst du schon mal richtig verliebt? Dann müsstest du mich verstehen."

Doch Niko schüttelte den Kopf.

"Ich kann und will dich nicht verstehen! Für mich bist du gestorben! Gott....und so eine hab ich wirklich geküsst! Ich muss doch total dämlich sein!"

"Niko.."

"Nein! Vergiss es! Komm mir in Zukunft bloß nicht zu nahe!"

Laut knallte die Tür hinter ihm zu. Mina saß wie vom Blitz getroffen in ihrem Bett. Nikos Worte taten weh, besonders, weil er geweint hatte. Er hatte sich in sie verliebt und sie hatte es nicht gemerkt. Irgendwie tat er ihr trotzdem leid.

Langsam ließ sie sich zurück in die Kissen sinken.

/Nun hab ich wirklich ALLES verloren...Niko wird nie mehr mit mir sprechen, Kaasan und Papa verstehen mich auch nicht...sie hören mir ja nicht mal zu...und Toshi.../

Bei dem Gedanken an Toshi kamen ihr wieder Tränen.

/Toshi werde ich nie wieder nah sein können...Warum bin ich überhaupt noch hier...?/

Von schweren Schluchzern geschüttelt, drückte Mina ihr Gesicht in ihre Hände.

Nein, sie bereute keine Sekunde, die sie mit Toshi verbracht hatte. Doch nun hatte sie das Gefühl ohne Toshis Wärme, seine Berührungen, seine Zärtlichkeit, einfach nicht weiterleben zu können.

Erneut öffnete sich die quietschende Tür zu seinem Krankenzimmer.

/Nein! Ich will sie jetzt nicht sehen!/

Weiche Hände berührten plötzlich ihre Wange. Erschrocken blickte sie auf.

"...Toshi!"

Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Glücklich fiel sie dem 16-Jährigen um den Hals.

"Schön dich wiederzusehen...ich bin ja so froh..."

Sanft streichelte er der Kleinen über das schwarze glatte Haar.

"Was ist los? Du schaust so ernst..."

Toshis Gesicht zeigte große Traurigkeit.

"Haben Papa und Kaasan etwas gesagt?"

"Sie...sie haben mir gesagt, dass es besser ist, wenn ich in ein Jugendwohnheim ziehen würde. Papa hat sogar schon bei einem angerufen..."

Mina schluckte. Das konnte doch nicht wahr sein.

"W-wo liegt es denn?"

"Berlin. Charlottenburg."

Mina riss die Augen auf. Wollten seine Eltern ihn wirklich ans andere Ende der Stadt schicken?

"...außerdem...haben sie mir verboten dich noch je wieder zu sehen. Sie haben gesagt, dass ich für sie gestorben bin..."

/Genau wie ich für Niko./

"Aber...aber das können sie doch nicht einfach so machen. Das können sie nicht!"

"Doch, das können sie. Zur Not wollen sie sogar rechtliche Schritte gegen mich einleiten...Ich...bin nur hier...um...mich ...zu verabschieden..."

Nun standen auch Toshi die Tränen in den Augen.

/Das kann nicht wahr sein! Soll jetzt etwa wirklich alles vorbei sein?/

Weinend fiel sie Toshi um den Hals.

"Ich will nicht, dass du gehst. Bitte bleib bei mir..."

"Tori-chan...ich möchte ja auch hier bleiben, aber ich darf nicht..."

Er bettete sein Gesicht an Minas Schulter um sein Schluchzen zu unterdrücken.

Plötzlich wurden sie von einem Räuspern unterbrochen.

"Ä-hem, Entschuldigung. Die Patientin muss zu einer Kontrolluntersuchung."

Schon wieder diese nervige Schwester von heute morgen.

"Ich wird dann mal gehen..."

"Nein!"

Sie hielt ihn am Ärmel fest.

"Bitte warte hier. Es dauert bestimmt nicht lange."

"Es geht nicht, Mina. Wenn Mama und Papa mich hier erwischen kriegen wir beide einen riesigen Ärger..."

Er seufzte. In seiner Stimme konnte man deutlich die sich androhenden Tränen heraushören.

"Ich werde dich nie vergessen."

"Ich dich auch nicht..."

"Ich liebe dich, Tori-chan."

Mina wollte antworten, doch ein riesiger Kloß in ihrem Hals hinderte sie am Sprechen.

"Machs gut."

Toshi wollte gehen, doch Mina zog ihn zurück und drückte sich fest an ihn. Ein letzter Kuss...Voll von Leidenschaft und Zärtlichkeit...all dem, was nun für sie verloren war...
 

Mina sah von dem Fenster des Behandlungsraumes aus, wie Toshi auf seinem Motorrad davonfuhr. Die Tränen, die nie endend wollend über ihre Wangen strömten bemerkte sie nicht mehr. Genauso wenig wie sie dem Arzt zuhörte, der mit lausigen Kommentaren versuchte sie aufzuheitern. Was wusste der denn schon...?
 

Kälte...

Noch nie hatte sie es so empfunden. Aber Mina war auch noch nie so einsam gewesen.

Nun war ihr schlimmster Alptraum wahr geworden.

Allein...

/Was soll ich denn noch hier?/
 

Nach 15 Minuten saß Mina wieder auf seinem Krankenbett. Ihre Eltern hatten ihn nicht besucht.

/Ist vielleicht auch besser so.../

Langsam zog sie unter dem Kopfkissen ein Skalpell hervor. Diese Ärzte hier waren echt dämlich. Die kriegten es noch nicht einmal mit, wenn so etwas fehlte. Aber wollte sie das wirklich tun?

/Dann hat alles ein Ende./

Und was würde aus Toshi werden?

/Ich sehe ihn sowieso nie mehr wieder.../

Bei diesem Gedanken begannen ihre Augen wieder zu brennen, obwohl sie gar keine Tränen mehr übrig hatte. Zitternd setzte sie die scharfe Klinge an ihre Brust. Mitten ins Herz. Die Stelle töten, die ihre Schmerzen verursachte. Die Tür quietschte und Mina schrak hoch. Im Türrahmen stand Toshi!

/Das ist nicht wahr! Das kann nur ein Traum sein!/

"Tori-chan!!! Was tust du da? Bist du verrückt geworden??!!!"

Er wollte auf sie zugehen um ihr das Skalpell abzunehmen.

"Halt! Bleib stehen!"

Toshi stoppte in seiner Bewegung.

"Mina...bitte tu das nicht..."

Leise und eindringlich redete er auf die Kleine ein.

"Warum? Es gibt für mich keinen Grund mehr weiterzuleben..."

"Doch den gibt es! Es gibt tausend Gründe am Leben zu bleiben. Du bist doch erst 14. Du hast Freunde, Mama und Papa. Du hast doch dein ganzes Leben noch vor dir! Bitte...gib mir das Skalpell."

Toshi streckte ihr die Hand entgegen. Doch Mina schüttelte nur leicht den Kopf.

"Was ist denn mein Leben noch? Niko hasst mich, genau wie Kaasan und Papa. Und du gehst auch weg...tut mir leid, Toshi..."

"MINA! NEIN!!!"

Zu spät... Tief drang die Klinge in den zierlichen Körper ein. Keuchend klappte Mina zusammen.

"MINA! Verdammt!"

Toshi rannte zur Tür und schrie auf den Gang hinaus.

"Schwester! Doktor! Verflucht! Sie verblutet!"

Schnell rannten ein paar Schwestern über den Gang auf der Suche nach einem Arzt. Toshi hastete zurück in Minas Zimmer. Die weiße Bettdecke war rot von Blut. Hastig ließ sich Toshi neben dem Bett auf die Knie fallen.

"Tori-chan! Bitte halt durch! Bitte!"

Heiße Tränen rollten über seine Wangen.

"To...Toshi..."

Rau erklang Minas Stimme an seinem Ohr.

"Mina? Bitte bleib ruhig liegen, der Arzt..."

"Nein...zu spät...genau wie für uns...vielleicht in einem anderen Leben...Ai shiteru..."

Mit ihrer verbliebenen Kraft richtete sich Mina ein wenig auf und küsste Toshi sanft auf den Mund. Dann lehnte sie den Kopf an die Schulter des Blonden. Toshi spürte ganz deutlich wie Tränen sein Hemd dort durchdrangen bevor die Bewegungen der Kleinen erstarben.

Wie eine Feder, die zu Boden fällt. So sanft streifte Minas letzter Atem seinen Hals...

Schluchzend zog er sie an sich... Jetzt war wirklich alles aus.

Die Ärzte brachten ihn wenige Momente später raus.

Die Nachricht, die sie ihm mitteilten war klar und eindeutig. Stich direkt ins Herz. Herzversagen. Exitus.



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