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Je kälter der Winter,...

...desto näher der Frühling.
von

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Ein verkorkster Tag

Ein verkorkster Tag
 

Ein erneutes Klingeln riss Kerry aus dem verdienten Schlaf. Mit einem Ruck war sie wach und packte das Kissen von ihrem Kopf um es wiederum durch das Zimmer auf die Tonquelle zu feuern, da bemerkte sie, dass es ihr Wecker war, der ungeduldig zu piepsen begonnen hatte. Wie eine Rakete schoss sie aus dem weichen Bett hoch und warf einen Blick auf die Uhr. Tatsache, es war 6 Uhr morgens. Um 8 Uhr musste sie an der Musikschule sein, also noch ausreichend Zeit. Für gewöhnlich war sie morgens recht frisch und munter, aber dieser gestrige Tag hatte sie wirklich geschlaucht. Da half nur noch eine kalte Dusche, dachte sie sich und wälzte sich von ihrem Bett. Noch immer voll bekleidet kramte sie sich ein paar frische Sachen zum Anziehen aus dem Schrank und tapste verschlafen und sich die Augen reibend durch den Flur ins angrenzende Badezimmer.
 

Jason der Langschläfer würde sicher noch nicht wach sein, wie immer, dabei versprach er jeden Tag, dass er mit ihr aufstehen würde. Pah, Männer, dabei musste er noch eine Stunde früher auf der Arbeit sein. Grinsend schlurfte sie noch einmal zurück in den Flur und ging zu Jasons Zimmertür, gegen die sie dann ein paar Mal lautstark hämmerte. "Das Bad ist jetzt beseheeetzt!", schrie sie und verschwand dann schleunigst im Bad und gab sich dort ihrem Lachkrampf hin. Abschließen brauchte sie nicht, Jason war viel zu anständig, ja fast schon wie ein Bruder, um ihr hierher zu folgen, außerdem wäre er der letzte, der sich für irgendetwas auch nur im Spaß rächen würde.
 

Sofort als die ersten Tropfen des kalten Wassers ihre müde Haut berührten fühlte sich Kerry etwas besser. Sie schüttelte ihren Kopf unter dem angenehmen Nass und fühlte sich gleich wie ein neuer Mensch. Nach der Dusche streifte sie sich die schwarzen Hot Pants über, zog das hellblaue Shirt mit dem Engel und dem Heiligenschein und der Aufschrift ,Angel Inside' an und schlüpfte dann in ihre bequemen Turnschuhe. Sie liebte solche provokativen Aufdrucke auf ihren Shirts. In Gedanken schon bei den lächerlichen Blicken der anderen Leute, wenn sie an ihnen vorbeijoggte, huschte sie aus dem Bad und tänzelte in die Küche hinüber um für sie beide Frühstück zu machen. Eine Viertelstunde später betrat Jason zufällig gerade dann das Zimmer, als der Kaffee fertig war und der Toast aus dem Toaster sprang. Kerry war schon nirgends mehr zu sehen. "Kerry?", rief er fragend, während er sich an den Tisch setzte und zu einer Scheibe Toast griff. Kerrys Rotschopf tauchte kurz neben der Zimmertür auf und sie murmelte nur lächelnd: "Bin weg, bis später." Und war schon wieder verschwunden, was von ihr blieb, war das Knallen der Haustür, als sie diese hinter sich zuzog.

Gut gelaunt begann sie ihre übliche Runde quer durch die Stadt zu drehen. Obwohl sie erst eine Woche hier war, wagte sie es doch jeden Morgen eine andere Strecke zu wählen und lief bei ihrem miesen Orientierungssinn jedes Mal Gefahr sich zu verlaufen. Doch auch dieses Mal schaffte sie es rechtzeitig zurück zu kommen und öffnete um 7:15 Uhr die Haustür erneut. Bevor sie jedoch die Tür hinter sich zuziehen konnte, hielt eine Männerstimme sie auf: "Warten sie, sie können ihre Post gleich mitnehmen.", rief ein atemloser Postbote, der keuchend auf die Tür zuhielt. Dankbar lächelnd machte Kerry die Tür wieder ein Stück auf. "Keine Hast, ich laufe ihnen nicht weg.", konterte sie und ein fröhliches Lächeln umspielte ihre Lippen, was sie einfach herzzerreißend charmant aussehen ließ. Er reichte ihr grinsend drei Briefe und verschwand dann geschäftig um die nächste Straßenbiegung. Kerry blätterte die Post gleich durch, während sie ins Wohnzimmer schlenderte.
 

Brief Nr.1 landete auf dem Wohnzimmertisch, Nr.2 verfehlte Jasons Aquarium nur um Haaresbreite und blieb am Fenster im Vorhang hängen, doch bei Zustellung Nr.3 stocke Kerry. Ihre Hände krallten sich förmlich in die Seiten des öffentlichen Schriebs und ihr eben noch so gut gelaunter Blick verdunkelte sich. Der Absender allein brachte sie zum frösteln: Seto Kaiba, KC. Wie eine heiße Kartoffel ließ sie den verpackten Schrieb plötzlich fallen und wieder einmal wünschte sie sich einen Sandsack daheim zu haben. Statt ihrer Wut Luft zu machen, schluckte sie diese schwer hinunter und ließ sich auf den nahen Sessel fallen. Noch immer den Brief fixierend murmelte sie Morddrohungen vor sich hin: "Entweder er bringt mich gleich um, oder ich komme ihm zuvor. Ich sollte mir eine Schrotflinte besorgen, nein natürlich viel zu auffällig. Ein Küchenmesser muss reichen." Grinsend ließ sie sich zurück fallen und schlug sich ein Kissen vor ihr Gesicht. "Na komm schon Kerry, eine Briefbombe wird's nun auch nicht sein, du kleiner Feigling.", murmelte sie in das weiche Polster hinein, so dass sie wohl niemand verstanden hätte, selbst wenn jemand da gewesen wäre. Mit einem Ruck hatte sie sich wieder aufgerichtet und fixierte erneut den Brief. "Ok, dann wollen wir mal.", machte sie sich selbst Mut, wobei sie sich darüber ärgerte dies nötig zu haben. Sie bückte sich und griff wieder nach dem Schreiben. Nach einem weiteren Luftholen öffnete sie mit einem ,Ratsch' den Umschlag und griff nach der vermeintlichen Hiobsbotschaft.

Während sie den Brief nun mit einer Hand auffaltete, stand sie auf und streifte sich die Turnschuhe, ab wobei sie auf einem Bein hüpfend versuchte den Brief zu lesen. "Wow die Anrede ist ja mal freundlich. Wo ist das ,sehr geehrte Frau O'Hara'?", spöttelte sie über den ersten Satz, den sie bisher hatte entziffern können. Nun hatte sie es endlich geschafft ihre Schuhe auszuziehen und trug diese in ihr Zimmer, während sie sich nun schon bis zur Zeile drei vorgearbeitet hatte. "Blabla... und ich dachte Kaiba sei kein Mann der großen Worte.", kommentierte sie weiter das Gelesene. "Ach ich kleines Dummerchen,", äffte sie Kaibas Tonfall vom Vortag nach. "Natürlich schreib der große Seto Kaiba einer ,Kleinen' wie mir nicht persönlich einen Brief. Ist doch die Aufgabe irgendeiner Tippse.", meinte sie gerade grinsend, als sie ihr Zimmer betrat und die Schuhe ordentlich wegstellte. Nun legte sie den Brief übertrieben lässig auf das Bett und zog sich das Shirt über den Kopf um zum Schrank zu gehen und sich eine taillierte Bluse herauszusuchen, die allerdings nicht in bravem weiß gehalten war, sondern blau-weiß kariert war. Mist, eigentlich hätte sie sich die Dusche für jetzt aufheben sollen, wie immer, aber nach dieser Nacht hätte sie nicht ungeduscht aus dem Haus gekonnt. Kopfschüttelnd schlüpfte sie in die Bluse und verschob das Zuknöpfen auf später, während sie eine schwarze Schlaghose aus einem anderen Fach zog. Zurück bei ihrem Bett ließ sie sich darauf fallen, direkt neben den Brief und warf ab und an einen schiefen Blick auf den Brief, während sie sich in die Hose zwängte, was im sitzen überaus unpraktisch ging. Schließlich schaffte sie es endlich und stellte sich wieder auf. Nun endlich konnte sie ohne jegliche Ablenkung weiterlesen und sich dabei die Bluse zuknöpfen. Sie fing beim zweiten Knopf von oben an und schaffte gerade mal zwei Weitere, als sie plötzlich inne hielt.
 

"Bitte was?", schoss es ihr in den Kopf. "Ein Termin bei unserem allseits beliebten Setochen? Wegen nicht vorhandener Versicherung." Pah, das hätte sie ihm gestern schon sagen können, da musste er sie doch nicht gleich zu sich zitieren und das auch noch in diesem Befehlston, den man, das Bild Seto Kaibas im Hinterkopf behaltend, unschwer in die Zeilen hineininterpretieren konnte. Super, der denkt sich auch, er hätte ein neues Opfer gefunden, dass er ein wenig herumschubsen und fertig machen kann, lief es in ihrem Kopf ab.

"Woher hat der Mistkerl eigentlich meine Adresse?", frage sie sich plötzlich sichtlich überrascht. "Na das kann ich ihn ja nachher fragen.", hörte sie ihre eigene Stimme in ihrem Kopf und war kurz davor den Brief in tausend kleine Fetzen zu zerreißen. "Hervorragend, herzlichen Glückwunsch Seto Kaiba, sie haben mir nun schon den zweiten schönen Tag in meinem jungen Leben versaut.", war ihr letzter Gedanke, als sie das Stück Papier in die Tasche stopfte und aus dem Haus marschierte. Oh du meine Güte. Die Tür fiel ins Schloss. Hatte die Uhr über dem Eingang gerade etwa 7:45 Uhr angezeigt? Na das pünktlich zur Arbeit kommen zu Fuß konnte sie dann auch noch abhaken.
 

Fast eine halbe Stunde zu spät erreichte Kerry die Musikschule und das am dritten Arbeitstag. Die Standpauke war enorm, enorm langweilig und stressig, aber zugegebenermaßen verdient. Aber was sollte man auch mit einem schon von vorneherein so verkorksten Tag noch anfangen. Allerdings konnte man es auch positiv sehen, dachte sich Kerry, schlimmer kann es ja nun kaum noch werden. Doch irgendwie war heute wirklich der Wurm drin und jeder Schüler, sei es im Gesang oder auf dem Klavier oder bei der Oboe, jeder hatte heute irgendwie einen schlechten Tag, hatte nicht geübt, konnte sie von vorneherein nicht leiden, oder spann plötzlich völlig. Zum Glück arbeitete sie nur bis zum Nachmittag und hatte so vor dem unheilverkündenden Meeting mit Herrn Kaiba noch ein wenig Zeit und so beschloss Kerry zur Werkstatt zu gehen und sich nach dem Verbleib ihres Motorrades zu erkundigen. Allerdings hob die Nachricht, dass es nicht vor übermorgen fertig würde, nicht gerade ihre Stimmung und so machte sie einen letzten Abstecher in ein Café um sich ein kleines Eis zu erlauben. Genussvoll arbeitete sie sich von den heißen Kirschen über deren Saft bis zum Vanilleeis vor und vergaß dabei völlig die Zeit. So war es kein Wunder, als sie urplötzlich aufsprang und die Kellnerin mit einem hektischen: "Ich möchte zahlen, aber ein bisschen schneller als Sonntags!" herbeizitierte. Als diese sie nur wütend anfunkelte und keine Regung in ihre Richtung machte, sprang Kerry auf warf dabei ihren Stuhl rückwärts um und stapfte auf die in diesem Moment als Zicke abgestempelte Frau, zu. Mit einer unsanften Bewegung klatschte die Rothaarige der eindeutig Jüngeren einen Schein in die Hand und spurtete mit einem säuerlichen: "Der Rest ist nicht für Sie!" davon.
 

Nun hatte Kerry die Wahl des kleineren Übels: Entweder etwas zu spät kommen, oder pünktlich sein und völlig verschwitzt vor einem perfekt getrimmten Geschäftsmann auftauchen. Schließlich entschied sie sich für Ersteres, da sie sich in dieser Situation sicher besser fühlen würde, wenn auch nicht gerade viel besser. Schließlich erreichte sie gar nicht allzu abgehetzt erneut das riesige Firmengebäude der KC. Irgendwie kam es ihr noch größer als am vorigen Tag vor und sie ärgerte sich selbst darüber, dass ihr plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken lief und sie sich unvermittelt schütteln musste. Bevor sie einen weiteren Schritt tun konnte, musste sie noch dreimal tief ein- und ausatmen um dann aber immerhin mit sicheren Schritten auf die zweiflüglige Glastür zuzuschreiten. Doch zu früh gefreut, das alles sollte gar nicht so einfach werden, denn schon als sie sich auf fünf Meter dem Gebäude genähert hatte wurde sie von einem Schrank von einem Mann angehalten. Der schwarze Anzug, die ebenso dunkle Sonnenbrille und der ,Ohrstöpsel' gaben dem Kerl noch ein bedrohlicheres Aussehen und erinnerte sie nur ganz nebenbei an MIB. Bei dem Gedanken hätte sie beinahe gegrinst, aber eigentlich war ihr gar nicht danach zumute, denn dieser Mann war nicht nur riesig, sondern auch recht breit gebaut. An seiner geistigen Stärke zweifelte sie jedoch, womit sie sich selbst wieder etwas beruhigte und auf seine barsche Frage, was sie hier wolle höflich antworten konnte: "Ich wurde zu einem Treffen eingeladen." Der MIB-Verschnitt zog mit einer abgehackten Bewegung die Brille von der Nase und steckte sie sich in seine Jacketttasche, was wohl cool wirken sollte. Sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch keineswegs Coolness, sondern einfach nur Misstrauen und offene Feindseligkeit. Entweder man sah ihr heute an, dass sie genervt war, oder irgendwie hatte heute jeder eine Abneigung gegen sie. Die dritte Möglichkeit wäre natürlich, dass dieser Typ jedes weibliche Wesen oder jede Person unter 1,70 m so misstrauisch und herablassend beäugte. "Sie haben dann auch sicher eine offizielle Einladung?", fragte der Mann siegessicher und scheinbar schon voller Vorfreude, das ,aufmüpfige Kind' ganz abweisen zu können. Kerry war heilfroh diesen blöden Schrieb eingesteckt zu haben und nun schlich sich ein süffisantes Lächeln auf ihre Lippen, dass beinahe schon frivol wirkte. Sie griff nach ihrer Tasche und zog den leicht zerknitterten Brief heraus und konnte es zu ihrem Ärger nicht vermeiden, dass ihre Hand leicht zitterte, als der Hüne ihr das Stück Papier abnahm. In seinen riesigen Händen wirkte es wie eine zarte Feder, die jeden Moment von diesen Pranken zerquetscht werden würde. Wortlos gab er ihr den Zettel zurück und winkte sie zur Tür durch, welche sie ruckartig aufriss und auch schon in er Lobby stand.
 

Erstaunlich wenige Leute wimmelten hier herum, was bei den Sicherungsmaßnahmen allerdings kein Wunder war. Zielstrebig und nach außen hin viel selbstbewusster als ihr eigentlich zumute war ging Kerry auf die Rezeption zu und sprach die Frau mittleren Alters, die dort saß spontan an: "Würden Sie mir bitte sagen, wie ich zu Seto Kaibas Büro komme?" Beinahe war die Rothaarige schon über ihre eigenen Worte schockiert. Hatte sie wirklich dermaßen Respekt vor diesem ganzen Pomp, dass sie schon in abartig geheuchelte Höflichkeitsfloskeln verfiel? Andererseits, diese Frau hatte ihr nichts getan, noch nicht, also kein Grund zur Unhöflichkeit. Abwartend sah sie die Frau an, die sich erst nach Beendigung von Kerrys Satz zu ihr herumdrehte. Schnippisch fragte sie: "Aus welchem Grund möchten Sie zu Mr. Kaiba?" "Von Möchten kann nicht gerade die Rede sein, aber wenn Sie es unbedingt wissen wollen,", antwortete Kerry im selben Tonfall. Wenn es darum ging andere Leute mit ihrer eigenen Art und ihrem Tonfall bloß zu stellen, war Kerry die perfekte Imitatorin. Während sie noch sprach zückte sie erneut dieses anscheinend doch nicht ganz unwichtige Papier und hielt es der braunhaarigen Frau vor die Nase. "deswegen.", vervollständigte sie ihren Satz und wartete auf eine Reaktion.
 

Diese folgte auch sogleich, denn ohne weiteren Kommentar riss die Frau ihr die Vorladung aus der Hand, legte sie auf einen Aktenstapel und widmete sich schon wieder ihrer Arbeit. Kerry wollte schon ein eindeutiges Räuspern von sich geben, als die Dame: "Nehmen Sie einen Aufzug, zehnter Stock." von sich gab und nicht einmal mehr aufblickte. Na fantastisch, anscheinend gab sich Kaiba alle Mühe nur Personal einzustellen, von dem man schon im voraus das Gefühl bekam, ein Stück Dreck zu sein. Noch ein Stück von den Grenzen ihrer Selbstbeherrschung entfernt stiefelte Kerry nun also auf den Aufzug zu, wobei sie von den zwei Wachposten, die daneben standen kritisch beäugt wurde. Allerdings hielten die sie nicht auf, nachdem sie einen für Kerry unsichtbaren Blickaustausch mit der Frau an der Rezeption geführt hatten und ließen die rothaarige junge Erwachsene in den Aufzug steigen. Als sich die massiven Stahltüren zischend hinter ihr schlossen hatten überkam sie wieder dieser kalte Schauer, aber diesmal beschränkte sich dieser nicht nur auf ihren Rücken, sondern ging durch Mark und Bein.
 

Am liebsten hätte Kerry ihren Kopf gegen die Betonwand geschlagen um ihn etwas klar zu bekommen, aber es war nicht ganz sicher, ob sie das gewünschte Ergebnis erzielen würde, also ließ sie es vorerst bleiben und blickte auf ihr Handy. 17:05 Uhr. Na allzu schlimm war es nicht, wobei man den Perfektionismus, den dieser Mann evtl. hatte, noch mit einberechnen musste. Würde er ihr für 5-10 Minuten nur den Kopf abreißen oder sie danach auch noch verstümmeln? Schnell drückte sie zaghaft auf den Knopf mit der ,10' darauf, welcher daraufhin gleich zu blinken begann. Mit scheinbar schleppender Langsamkeit kroch der Aufzug nun Stockwerk um Stockwerk nach oben und schien nicht vorwärts kommen zu wollen. Jedenfalls erschien es Kerry so, die sich vornahm etwas diplomatischer als gewöhnlich zu sein, trotz aller Kälte freundlich bleiben wollte und schließlich alle guten Vorsätze wieder in den Wind schlug. Sie würde sie selbst sein und Basta, wäre ja was ganz Neues, wenn sie wegen so einem Emporkömmling auf einmal nur wegen seiner Kohle katzbuckeln würde. Wenn überhaupt, dann wegen seinen tiefblauen Augen, aber die waren für ihren Geschmack zu kalt, überhaupt schien dieser Kerl ja eine Art wandelnder Eisblock zu sein. Sie hatte ja schon viele Typen erlebt, Machos und jähzornige Hornochsen, aber noch nie jemand, der so verflucht selbstbeherrscht war und das war der Knackpunkt. Irgendwie hatte sie es drauf wirklich jeden aus der Reserve zu locken, wenn sie es darauf anlegte, was sie nur tat, wenn man sie herausforderte, aber dieser Seto Kaiba hatte den Spieß umgedreht und sie war diejenige, die die Fassung verloren hatte. Das ärgerte sie über die Maße und allein das machte Seto Kaiba zu einem Feind. Soweit wollte sie dann doch nicht gehen und korrigierte ihre Gedanken: Er war eine Herausforderung, aber eine, vor der sie leider Gottes plötzlich auch noch Angst bekam, denn je größer die Zahlen wurden, die der Fahrstuhl passierte, desto zögerlicher und nervöser wurde sie. Sie wollte auf keinen Fall noch eine Runde verlieren, auch wenn diesem Geschäftsfanatiker anscheinend gar nicht klar war, was das alles für sie bedeutete. Für ihn war das Ganze ein lästiges Geldeintreiben von irgendeinem armen Schlucker, der ihn nicht weiter interessierte. Nun, wenn es ihm nur um das Geld ging, dann würde sie ihn ebenfalls enttäuschen. So leicht gab sie nicht auf, was ihr Sturkopf einfach nicht zulassen würde und so etwas wie Stolz besaß sie nun ansatzweise auch noch. "Ruhig Blut, wollen wir doch erst einmal sehen, was er eigentlich will.", versuchte sie sich selbst zu beruhigen.
 

Na toll, nun bildeten sich auch noch Schweißperlen auf ihrer Stirn. Eiligst wischte sie die mit dem Handrücken weg und griff gerade in ihre Handtasche um ein Taschentuch herauszuholen um sich damit die Hand abzuwischen, da blieb der Fahrstuhl stehen und die Türen wichen zischend auf der ihnen gedachten Fuge zurück und gaben den Blick auf ein offensichtliches Vorzimmer von Seto Kaibas Büro, frei. Kerry hielt in ihrer angefangen Bewegung inne und zog dann die Hand zurück um den Raum vorsichtig zu betreten. Erleichtert stellte sie fest, dass niemand hier zu sein schien und machte noch ein paar Schritte weiter, als plötzlich ein fröhliches "Halloho!" von der Seite erklang. Kerry unterdrückte ein Zusammenzucken und riss etwas ruckartig ihren Kopf herum und blickte in die fröhlich glitzernden Augen Mokubas, der gerade von einem Sofa aufgesprungen war und dabei eine Zeitschrift zur Seite schleuderte. Fröhlich kam er auf die Besucherin, die eine willkommene Abwechslung darstellte, zugehüpft und reichte ihr die Hand. "Du bist Kerry, nicht wahr? Stimmt, gestern der Unfall mit der Limo und der ganze Kram.", plauderte der Junge gleich drauf los und Kerry musste sich beherrschen um nicht puterrot anzulaufen und gleichzeitig loszulachen. "Ja genau, die mit dem Unfall, mit dem nicht-selbst-verschuldeten-Unfall, wohlbemerkt.", erwiderte sie, sich langsam wieder entspannend. "Und du bist Kaibas kleiner Bruder, Mokuba, stimmt's?" Der dunkelhaarige Junge nickte eifrig. "Und was machst du hier?", fragte er neugierig weiter, während er Kerry mit sich auf das Sofa zurückzog. "Nun dein Bruder hat mich wegen der Sache gestern hierher vorgeladen. Ich habe noch keine Versicherung für mein Motorrad, weißt du, dazu hatte ich noch keine Gelegenheit.", gab sie etwas widerwillig zurück und musste bei dem leuchtenden Gesicht Mokubas, der anscheinend jede Information sofort aufsaugte wie ein Schwamm, unvermittelt schmunzeln, während sie sich in die angenehm weichen Kissen des Luxussofas fallen ließ. "Wieso denn nicht?", bohrte er weiter und mit einem Seufzer erwiderte Kerry langsam: "Weil ich erst vor knapp einer Woche hierher gezogen bin." Damit schien die Sache für sie beendet, Mokuba musste ja nicht gleich alles wissen. "Eeeecht? Und wo kommst du eigentlich her?", hakte er einfach nach, doch Kerry wurde eine Antwort erspart.
 

Gerade in dem Moment öffnete sich die Tür zu Kaibas Büro und eine hochgewachsene Blondine mit irrsinnig langen Beinen, die sie natürlich mit dem kurzen Rock äußerst vorteilhaft zur Geltung brachte, trat heraus. Auf ihren Lippen haftete ein irgendwie stupide und starr anmutendes Lächeln, als hätte sie zu lange so gegrinst und könnte ihre Mimik nun nicht mehr verändern. Kerry sprang auf. Irgendwie wäre ihr es jetzt doch lieber gewesen mit Mokuba Small Talk zu halten, doch das war dann wohl jetzt nicht mehr möglich, denn schon hatte die offensichtliche Sekretärin die kleinere Frau fixiert und durchbohrte sie förmlich mit ihren wässrig blauen Augen. Dieser Blick war ganz und gar nicht kalt, sondern einfach nur Argwohn und ein Ansatz von Feindseligkeit waren darin zu lesen, was im krassen Gegensatz zu ihren noch immer zu diesem festgefrorenen Lächeln verzogenen Lippen stand. Einerseits fühlte sich Kerry ertappt, andererseits hätte sie am liebsten losgelacht bei dem Anblick der Frau. Eigentlich war sie nicht unattraktiv, doch dieses Grinsen und diese irgendwie naiven Blicke. Sie sah in Kerry sofort nichts anderes als eine potenzielle Konkurrenz, worin sie mit ihr konkurrieren sollte, wusste Kerry allerdings selber nicht, also ging sie mit einem angedeuteten Lächeln, dass aber eher schwach ausfiel auf die Frau zu, die sich gerade auf der Tischkante niederließ und natürlich völlig zufällig die Beine überschlug, so dass der ohnehin kurze Rock noch ein Stück höher rutschte. "Kann ich etwas für Sie tun?", fragte sie mit einer klaren Fiepsstimme, die so barbiehaft klang, dass Kerry, wenn sie gesessen hätte, sicher sofort vor Lachen vom Stuhl gefallen wäre.
 

So aber weitete sich ihr Lächeln nur zu einem unterdrückten Grinsen, bevor sie erwiderte: "Ich habe einen Termin mit Herrn Kaiba um, ähm, 17 Uhr, was vor etwa 15 Minuten war." Natürlich brauchte sie nicht zu erwähnen, dass sie eigentlich 10 Minuten zu spät gekommen war, das wusste niemand außer Mokuba, der schon wieder mit irgendwas anderem beschäftigt war. "Ah, ich sehe schon,", zwitscherte die Sekretärin auch schon los, als sie auf einen Terminplan schaute. "die mutwillige Sachbeschädigung ohne Versicherung." Kerry musste sich zusammenreißen der blöden Zicke nicht sofort eine schallende Ohrfeige zu verpassen und setzte nun ein ebenso übertrieben zuckersüßes Lächeln auf und drehte ihre Stimmlage ein paar Töne höher um dann mit vor Sarkasmus triefender Stimme zu antworten: "Du meine Güte, das haben Sie aber schnell erkannt. Nun ja, es trifft ja irgendwie auch auf Sie zu." "Wie bitte?", kam die empörte Reaktion von der Frau, unter deren Make-up ein leichter Rotschimmer zu erkennen war. Kerry hätte nur zu gern ein: "Schauen sie in den Spiegel dann wissen sie was ich meine." zurückgegeben, behielt jedoch ihr zuckriges Lächeln bei und wandte sich der metallschwarzen Tür zu, die wohl zu Kaibas Büro führte. Diese Frau hatte anscheinend den ausgereiften IQ einer Kassenzahnbürste, kam Kerry zum Schluss ihrer Analyse über diese Frau.
 

Kurz vor der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. Das Lächeln war nun nicht mehr ganz so ausgeprägt, denn nun würde es wieder ernst werden und auch die Stimme klang wieder normal als sie halbwegs freundlich bat: "Würden sie mich bitte anmelden, ihr Chef wartet sicher nicht gern." Den nun deutlich feindseligen Blick noch immer auf Kerry haftend drückte sie auf ihrer Sprechanlage auf einen Knopf und sagte mit ihrer Quietsch Stimme: "Mr. Kaiba, ihr 17 Uhr Termin ist eingetroffen, soll ich sie hereinschicken?" Die Antwort konnte Kerry nicht hören, aber die Sekretärin winkte sie weiter und ihr Lächeln war zwar noch immer auf ihren Lippen, doch etwas Schadenfrohes schien sich in den Ausdruck gemischt zu haben. Langsam legte Kerry O'Hara eine Hand auf den Türgriff und bemerkte mit Schrecken, dass sie zitterte. Entschlossen sog sie einmal kurz die Luft ein und drückte dann die schwere Tür nach innen. Sie machte zwei zögerliche Schritte nach vorne und wollte sich gerade schnell wieder umdrehen um die Tür hinter sich zu schließen, als sie hinter sich das grinsende Blondchen gewahrte, die mit deutlicher Schadenfreude die Tür hinter ihr zuzog. Wohl oder übel drehte sich Kerry also wieder in die andere Richtung, machte parallel noch drei Schritte und stand dann mit leicht gesenktem Blick direkt vor Seto Kaibas Schreibtisch.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2004-05-22T19:32:28+00:00 22.05.2004 21:32
Du hast was geschrieben, was ich mir unbeding merken muss. Der ausgereifte IQ einer Kassenzahnbürste. Echt hammer geil. Wie bist du darauf gekommen?? Muss ich mir unbedingt merken. Ach und noch zum Rest. Nicht schlecht, obwohl ich ihre Erlebnisse bei der Arbeit nich so genau beschrieben hätte, aber das ist jedem selbst überlassen.

Bye Cat
Von:  Wingsy
2004-05-22T11:38:49+00:00 22.05.2004 13:38
hi^^
toll schreib schnell weiter
was wohl jetzt mit Kerry passiert? ^^
und seto kommt doch im nächsten kap wieder vor?
bye

An-san
Von: abgemeldet
2004-05-22T09:24:20+00:00 22.05.2004 11:24
Hi!
Geiles Kapi! Finde dein Schreibstill einfach toll!
Musst ganz schnell weiter schreiben!!

Bid dann
Katze-san
Von:  DarkEye
2004-05-21T19:22:32+00:00 21.05.2004 21:22
weiter weiter weiter weiter weiter weiter!!

gibt es sonst noch was zu sagen????
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MFG LARA


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