BRICH DIE ZEIGER
Ich hasse dich! Oh, wie ich dich hasse! Ich hasse wer du bist, was du bist. Ich hasse wie du mich ansiehst, mit deinen schönen traurigen Augen. Ich will sie herausreißen aus ihren Höhlen, damit du mich nie mehr ansehen, so ansehen kannst.
Deine Porzellanhaut, ich will sie zerschlitzen dass das blut darauf verschmiert. Dein strahlendes Haar, ich will es dir am Liebsten ausreißen. Dein süßes Lächeln will ich in Schmerz und Leid verzerren, deinen Elfenbeinkörper zerschlagen. Dich zerbrechen. Knietief in deinen Eingeweiden stehen. In deinem Blut waten. Deine Knochen zersplittern. Dein Gehirn über die Wände verschmieren. Du bist selbst schuld. Was bist du auch so schön? Ich will dir alles nehmen, alles was du hast. Alles was du liebst, alles wofür du lebst. Ich lasse nichts übrig. Der Tod ist nicht gut genug für dich. Stirb noch nicht. Ich brauche deine Schwäche. Du machst mich schwach. Ich hasse es schwach zu sein. Knie vor mir. Wimmere. Fleh. Aber sieh mich nicht so an mit deinen großen traurigen Augen, in denen soviel Wahrheit steht. Ich schäme mich. Ich möchte mich entschuldigen. Wofür? Ich hasse dich. Du erniedrigst mich in deiner Unschuld. Ich möchte dich zertreten. Selbst schuld. Was bist du auch so schön? Was bist du auch so perfekt? Ich kann dich nicht mehr sehen. Ich will spucken in dein makelloses Gesicht. Deine Haut aus Porzellan in Fetzen von deinem süßen Fleisch reißen. Dein Blut trinken, es von deinem lieblichen Leib lecken.
Ich bete dich an.
Bete mich an.
Ich liebe dich.
Liebe mich.
Vergöttere mich. Knie vor mir. Küss den Staub unter meinen Schuhen. Du widerst mich an. Selbst noch als ich mich in deinen strahlenden Augen verliere. Soviel Unschuld, trotz deiner Jahre. Du bist älter als ich, und dennoch liegt der Schatten der Welt nicht auf deinem Herzen. Du bist benutzt worden, geschlagen worden, gefangen, gebunden, gefoltert. Dein Körper, deine Seele. Du bist älter als ich, doch du bist nicht weise, trotz deiner Jahre. Du bist viel mehr als das. Gebrochen, das Licht liegt in jeder deiner Scherben. Zerfetzt, es liegt in jeder deiner Narben. Zerrissen, gleißend.
Wie viele Seiten hat ein Gesicht?
Du gibst mir Fragen auf, doch in dir sind keine. Du hast das Fragen überwunden.
Ich neide es dir. Vollkommen, das bist du. Vollkommen zerbrochen. Vollkommen unschuldig. Sieh mich nicht so an mit deinen Splitteraugen. Du durchbohrst mein Herz. Ich hasse dich. Was tust du mir so weh? Wieder Fragen.
In der Ferne höre ich einen Schrei.
Es ist mein eigener.
Besitzen. Ich kralle mich an dir fest. Widerhaken in deinem Fleisch. Du sollst mir gehören. Deine Seele besitze ich bereits, du weißt es nur noch nicht. Dein Körper wird folgen. Eine namenlose Gier. Falle hinterrücks in meine Arme. Ich will dein Gesicht nicht sehen. Sei grausam zu mir damit ich es dir begleichen kann. Ich werde dich bestrafen müssen. Was tust du nur mit mir? Diese weißen Hände in meinem Gesicht. Kälte auf meiner Haut. Schließ deine Augen. Schließ die Augen und schlaf. Aber lächle nicht. Ich will dich weinen sehen. Träume Entsetzliches, Entsetzliches wird folgen. Wenn du aufwachst, werde ich dich strafen. Für alles was du mir angetan hast. Fürchte mich. Du wist keine Ruhe mehr finden, nie mehr, denn wohin du auch gehst, dort warten meine Zeichen schon auf dich. Du wirst diesen Raum nie mehr verlassen. Mach es dir bequem. Es ist dein Raum. Seine Wände sind mit deinem Blut gestrichen.
Eine bodenlose Nacht. Kein Halten mehr. Falle. Falle in die Düsternis. Ich will dich nicht mehr sehen. Wie viele Seiten hat eine Münze? Verbirg dich in ihren Schatten. Geh mir aus den Augen. Verschwinde. Ich kralle mich an dir fest. Sterbendes Tier. Wer von uns? Ein Stöhnen, süßer als ein Atemzug. Doch nicht mehr nur das deine. Bleicher Mond, Gift in seinen Venen. Rot wie dein zerschmettertes Herz. Bleich und rot und tot wie der Himmel dieser Nächte. Halt die Uhren an. Brich die Zeiger. Zeit trieft aus ihren losen Rädern. Sinnlos, nutzlos, keine fragen mehr. Halt die Uhren an. Zeugenlos will ich dich schlachten.
Eine Spur auf deinem blassen Leib. Dies ist mein Zeichen, hier bin ich gewesen. Runen einer Zeit, die es nie gegeben hat. Verliere dich. Verliere mich. Zeitzeugen. Zeitlos.
Ist es nicht bezeichnend dass es für uns keinen Anfang gibt? Unser Moment ist das Ende. Abschied? Nein. Lösung. Auflösung. Erlösung? Nein. Ende. Kante, Abgrund, Grenze. Wir, Grenzgänger. Ende. Kein Anfang für uns. Nur ein Ende, ein bitterer Geschmack auf der Zunge, wie von einem schleichenden Gift. Lieg still. Schließ die Augen. Schlafen. Entschlafen. Es wird bald beginnen. Schleichendes Gift. Warten; es liegt nicht in unserer Hand. Warten auf den Schmerz. Bitterer Geschmack auf der Zunge der Welt. Ein Organismus. Halt die Uhren an. Zeugenlos will ich diese Welt schlachten.
Für uns gibt es nur das ende. Hier werden wir uns begegnen. Dort wo das Meer zuende ist. Dort wo der Himmel versinkt. Zwielicht, Grenzgänger, kein Ort. Brich die Zeiger. Brich den Blick. Ich bin das Warten leid. Leid. Süßes Leid. Rinnt über deine Wangen, rinnt über deine Schenkel. Setz deine Schritte achtsam, brich nicht das dünne Holz. Ich könnte dich hören. Flieh rasch, flieh leise, flieh im Schutze der Dämmerung. Bei Morgengrauen hast du den Pass erreicht. Doch der Tag wird nicht kommen. Schließ die Augen, öffne deine Hände. Träume nicht mehr. Ich will dich brechen sehen; sieh mich an. Sieh mich an und weine nicht. Puppen können nicht weinen. Und du bist nur die Schönste unter ihnen.
