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Love against all Reason

Liebe gegen jede Vernunft
von
Koautoren:  Linchen-86  Khaleesi26

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben, danke für eure ganzen Kommentare und dass ihr so fleißig mitlest. Wir kommen momentan noch nicht dazu, alle zu beantworten, holen das aber bald nach :) Komplett anzeigen

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Tai
 

Ich komme mir vor wie der letzte Versager.

Diese Physiotherapie ist die absolute Hölle. Wie kann mein Körper mich nur so im Stich lassen?

Ich kann mich immer noch nicht an den Unfall erinnern. Alle sagen mir, dass ich sieben Meter in die Tiefe gestürzt bin. Dass ich das überlebt habe, grenzt an ein Wunder. Wenn ich allerdings jetzt Jahre damit zubringen muss, zu üben, wie man den kleinen Finger bewegt, dann würde ich mir lieber wünschen, draufgegangen zu sein.

„Sie machen das sehr gut, Taichi.“

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, während mir der Schweiß die Schläfe entlangläuft. Inzwischen sind drei Tage vergangen, seitdem ich aufgewacht bin und heute sitze ich das erste Mal aufrecht auf meiner Bettkante und übe – oh Wunder – wie man eine Faust macht. Unfassbar!

„Immer mit der Ruhe. Wir haben Zeit“, sagt meine Physiotherapeutin, während sie mir auf einem Stuhl gegenübersitzt und jede Übung mit mir mitmacht, damit ich im Tempo bleibe. Wir haben beide so etwas wie Knete in der Hand und drücken in regelmäßigen Abständen kräftig zu.

Es ist die reinste Tortur. Den Arm kann ich immer noch nicht heben und meine Finger schmerzen bei jeder Bewegung.

„Ich denke, das reicht für heute“, sagt sie schließlich und beendet die Übung, aber ich sehe sie nur enttäuscht an. „Das ist alles?“

„Wir haben erst vor zwei Tagen angefangen. Sie sollten es nicht gleich übertreiben.“

Sie tut gerade so, als wäre ich einen Marathon gelaufen, dabei habe ich nur eine verfickte Knete mit meiner Hand gedrückt.

„Wenn Sie möchten, können Sie später allein mit der Übung fortfahren. Ich lasse Ihnen die Knete da. Erst mal kümmern wir uns um Ihre Hände und Ihre Arme, danach ist der Oberkörper dran, sobald sie sich fit genug dafür fühlen. Und wenn ihr gebrochenes Bein verheilt ist, werden wir das Gehen üben. Vielleicht können wir vorher schon ein wenig mit Krücken arbeiten, je nachdem, wie ihr Heilungsprozess voranschreitet. Das sehen wir dann. Wichtig ist, dass Sie sich nicht unter Druck setzen. Ich weiß, es sieht nicht viel aus, aber dass Sie die Knete heute drücken konnten, ist ein großer Erfolg.“

Ein großer Erfolg. Dass ich nicht lache. Ein Dreijähriger könnte das besser als ich.

Sie packt Ihre Tasche und verbeugt sich zum Abschied. „Wir sehen uns morgen wieder.“

Nachdem Sie den Raum verlässt, rutsche ich zurück auf die Matratze und lasse mich frustriert nach hinten sinken. Ich bin echt nicht der Typ für so was. Ich war immer topfit. Und ja, ich weiß, ich kann froh sein, dass ich noch lebe – das sagen mir alle – aber es fällt mir so unfassbar schwer, Hilfe anzunehmen. Ich meine, ich kann nicht mal alleine essen.

Es klopft an meiner Zimmertür und die brünette Unbekannte steckt ihren Kopf rein.

„Hallo, darf ich reinkommen?“

Ich nicke nur, auch wenn das total egal ist, denn sie kommt sowieso jeden Tag her.

Mimi tritt an mein Bett und lächelt mich an. Das tut sie immer. Und ich habe keine Ahnung, wieso. Bisher hab ich auch immer noch nicht herausgefunden, in welcher Beziehung wir zueinanderstehen. Sind wir Freunde? Wohl eher nicht, so, wie sie mich nach meinem Aufwachen überfallen hat und küssen wollte. Wie lange kennen wir uns schon? Woher kennt sie die anderen? Und wieso erzählt mir keiner etwas über sie?

Wie auch immer. Ich frage sie nicht danach. Hin und wieder erzählt sie mir von Dingen, die wir angeblich zusammen erlebt haben, aber ich erinnere mich nicht daran. Ich erinnere mich an gar nichts. Das alles ist so scheiße frustrierend.

„Wie geht es dir heute? Ich habe dir wieder Suppe mitgebracht“, verkündet sie und hält eine weiße Tüte in die Höhe. Auch wenn ich diese Geste zu schätzen weiß, so schaffe ich es nicht, mich darüber zu freuen.

„Keinen Hunger“, grummle ich nur und schaue woanders hin, während sie schon anfängt, die Suppe auszupacken. Das macht sie irgendwie ständig – sie bringt mir Essen mit. Und dann besteht sie darauf, mich zu füttern, weil ich es ja nicht selbst kann. Wie erbärmlich.

„Ach, Tai“, sagt sie nur und macht unbeirrt weiter. „Du musst essen, wenn du wieder zu Kräften kommen willst. Und ich weiß, dass du die Suppe von Davis sehr magst.“

Da hat sie recht.

Die Suppe ist nicht das Problem.

„Komm schon“, versucht sie weiter auf mich einzureden, öffnet den Deckel der Suppe und nimmt mit zwei Stäbchen die Nudeln auf. Echt jetzt, wenn sie noch einmal versucht, mich wie ein kleines Baby zu füttern, drehe ich durch.

„Ich habe gesagt, ich will nicht“, erwidere ich nur und drehe den Kopf weg.

Mimi seufzt und lässt die Stäbchen sinken. „Du bist wirklich stur.“

„Und du nervst.“

Als sie nichts darauf erwidert, schaue ich sie wieder an und erkenne, dass sie diese Bemerkung gerade verletzt hat. Eine Mischung aus Entsetzen und Traurigkeit legt sich auf ihr Gesicht und prompt tut es mir leid, dass ich so grob zu ihr bin.

Sie kommt jeden Tag her, fragt, wie es mir geht, macht sich Sorgen und will anscheinend nur mein Bestes und ich?

Ich verhalte mich wie ein Arsch und schnauze sie an. Großartig.

„Entschuldige“, sage ich deshalb, doch sie schüttelt nur den Kopf und zwingt sich zu einem Lächeln.

„Schon okay.“

Schon okay? Ist das ihr Ernst? „Ist es dir egal, wie ich dich behandle?“ Immerhin war ich bisher nicht sonderlich nett zu ihr. Aber das liegt nicht an ihr. Ich meine, ja, sie ist aufdringlich und redet unfassbar viel und manchmal geht sie mir damit echt auf die Nerven. Trotzdem glaube ich, dass ich das Problem bin, nicht sie.

„Ich habe viel Verständnis für deine Situation. Ich bin einfach nur froh, dass du wieder da bist. Von daher, ja, das ist mir gerade egal. Hauptsache du bist bei mir.“

Bei mir.

Sie sagt solche Sachen ständig so, als wäre das ganz normal. Als würde ich zu ihr gehören oder so.

Fragend sehe ich sie an. Sehe in ihr hübsches Gesicht, welches ich seit Tagen immer wieder betrachte und mich dabei frage, wie ich so ein Gesicht nur vergessen kann. „Ich habe keine Ahnung, warum du das alles tust.“ Ich bin einfach so verwirrt. Es ist, als hätten alle einen Film gesehen und ich habe die Vorstellung verpasst.

Sie hat sogar Blut für mich gespendet, zwei mal, war jeden Tag an meinem Krankenbett, hat um mich geweint. Warum das alles?

„Weil ich … weil ich dich …“

„Aber ich kenne dich doch überhaupt nicht“, entfährt es mir, weil ich einfach so wütend über diese Situation bin. Da steht diese wunderschöne Frau vor mir, zu der ich offensichtlich eine Verbindung spüren sollte, aber da ist nichts. Keine einzige Erinnerung. Wie kann das sein?

Ich schaue sie an. Dieser Satz hat sie mitten ins Herz getroffen. Auch wenn sie versucht, es zu verbergen, erkenne ich den Schmerz hinter ihren hübschen Augen. Diese Augen … wo habe ich sie schon mal gesehen? Habe ich sie schon mal gesehen?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß es einfach nicht.

Und ich weiß auch nicht, was ich noch sagen soll. Mimi hingegen lässt den Kopf traurig sinken und sieht zu Boden. Es tut mir weh, dass ich sie mit meinen Worten verletzt habe und am liebsten würde ich sie zurücknehmen, aber ich kann nicht. Ich weiß nicht, warum sie hier ist. Ich weiß nicht, warum sie so liebevoll mit mir umgeht. Ich weiß nicht einmal, wo sie herkommt oder warum sie sich für mich interessiert.

„Ich … ich habe ganz vergessen, dass ich noch was erledigen muss. Ich komme später wieder“, sagt sie plötzlich und verbeugt sich vor mir. Ihre langen Haare fallen ihr dabei ins Gesicht und verschleiern die Tränen, die sie vor mir zu verbergen versucht. Aber ich sehe sie trotzdem und für einen Moment zieht sich mein Herz zusammen.

Sie dreht sich um und geht und ich weiß, dass es wegen mir ist, wegen dem, was ich gesagt habe.

Ich bin so ein Idiot. Am liebsten würde ich jetzt eine Faust machen und auf den Nachttisch schlagen – aber das kann ich ja nicht. Ich Versager.
 

Mimi
 

Ich kann nicht aufhören zu weinen. Ist mir auch egal, dass mir alle Leute hinterherschauen, als ich aus dem Bus steige. Ich bin einfach nach Hause gefahren. Oder besser gesagt, zu Tais Wohnung. Ist ja wohl eine Frage der Zeit, bis er mich rausschmeißt.

Es ist so ungerecht, es ist alles so verdammt ungerecht!

Wie lange haben wir gekämpft, um zusammen sein zu dürfen?

Wie oft waren wir verzweifelt und wussten nicht, ob wir es schaffen?

Durch wie viele Höllen bin ich gegangen, um endlich frei und bei ihm zu sein?

Und jetzt?

Alles Schall und Rauch.

Alles vergessen.

Einfach so.

Ich kann nicht beschreiben, was das für ein Gefühl ist. Ich war schon oft verzweifelt oder hatte keine Hoffnung mehr, vor allem in den letzten Monaten. Aber das toppt wirklich alles. Ich fühle mich so hilflos.

Tai zu sehen, wie er im Koma liegt, war schon schlimm genug. Aber jetzt? Dieser leere, fragende Blick, wenn er mich ansieht, weil er mich einfach nicht erkennt. Das ist schlimmer als jeder Albtraum.

Er hat sie vergessen – unsere Liebe.

Weinend komme ich oben an der Wohnungstür an und will sie gerade öffnen, als mir vom Hausflur lautes Gelächter entgegen schallt. Zwei Leute kommen lachend um die Ecke gebogen, sie halten Händchen, werfen sich verliebte Blicke zu. Es sind Sally und Davis.

„Oh man, du bist echt unmöglich“, lacht Sally.

Davis knufft ihr in die Wange. „Wieso? Nur, weil ich dich damit aufziehe, dass du in der Geisterbahn geschrien hast, wie ein kleines Baby?“

„Ha ha!“, entgegnet Sally nur, da wird sie auch schon von Davis gepackt und herumgewirbelt. Sie stößt einen kurzen Schrei aus, ehe er sie küsst.

Okay. Jetzt muss ich noch mehr heulen.

Und ich heule so richtig los. Nicht leise, nicht heimlich, nein, richtig laut.

Erst jetzt werden die beiden auf mich aufmerksam.

„Mimi?“ Sally lässt von ihrer Eroberung ab und kommt zu mir geeilt. „Was ist denn nur passiert? Ist was mit Tai?“

Ich sehe sie hilflos an. „Keine Ahnung“, schluchze ich und reibe mir verzweifelt über die Augen. „Wenn du damit meinst, dass er mich einfach vergessen hat, dann ja.“

„Ach Mimi, er hat dich doch nicht vergessen. Er kann sich nur gerade nicht an dich erinnern.“

„Ist doch das Gleiche.“ Sollte mich das etwa aufmuntern?

„Oh man“, sagt Sally und zieht mich am Arm in die Wohnung. Davis folgt uns.

Sally schiebt mich zur Couch und drückt mich an den Schultern nach unten, damit ich mich setze. Dann hockt sie sich vor mich und sieht mich an.

„Was hat er denn genau gesagt? Davis? Taschentuch!“

Von hinten reicht Davis mir eins und ich schnaube mich aus. Na toll, jetzt muss ich auch noch an die erste Begegnung mit Tai denken, als ich mir vor allen die Nase geputzt habe. Selbst das hat er vergessen.

„Ich war drauf und dran, ihm zu sagen, dass ich ihn liebe. Aber er hat gesagt, er kennt mich überhaupt nicht.“

„Autsch“, kommt es von Davis. Selbst er verzieht das Gesicht. „Das tut weh.“

„Ja, tut es“, jammere ich und schniefe gleich noch mal ins Taschentuch, während Sally nur den Kopf schüttelt.

„Mimi, Mimi, Mimi. Nein, das kannst du doch nicht machen. Nicht so. Das ist typisch für dich, immer mit dem Kopf durch die Wand. Ist doch klar, dass ihn deine tiefen Gefühle erst mal abschrecken. Er hat eine Amnesie. Du weißt, was das bedeutet, oder?“

„Ja“, sage ich weinend. „Dass er mich nicht mehr liebt.“

Sally seufzt. „Natürlich liebt er dich noch. Er kann sich nur nicht daran erinnern. Jedenfalls im Moment nicht. Schon klar, dass du ihm nicht einfach die ganze Geschichte erzählen kannst und schwupp ist alles wieder da. Das würde ihn nur überfordern. Ich denke, das beste ist, wenn du ihn das Tempo bestimmen lässt.“

Ich schluchze immer noch, aber ich versuche, Sally zu folgen. „Wie meinst du das?“

Sally legt eine Hand auf mein Knie und schenkt mir ein zuversichtliches Lächeln. „Als erstes hör mal auf, ihn zu bedrängen und Suppe in ihn reinkriegen zu wollen.“

„Aber er muss doch zu Kräften kommen.“

Sally nickt eifrig. „Ja, schon klar, aber hast du auch mal daran gedacht, dass er sich damit nicht wohl fühlt und ihm das alles zu viel ist? Einfach alles meine ich.“

Na ja, natürlich habe ich versucht mir vorzustellen, wie überwältigend das alles für Tai sein muss. Allerdings war ich so sehr damit beschäftigt, ihm meine Liebe zu beweisen, dass ich mehr darauf und weniger auf seine Bedürfnisse fixiert war. Vielleicht hat Sally recht und ich erdrücke ihn mit meiner Fürsorge.

„Kann schon sein“, gebe ich zu und Sally nickt wieder.

„Er wird sich schon noch an dich und eure gemeinsame Zeit erinnern, Mimi. Ganz sicher. Und die Gefühle sind auch nicht weg. Aber gib ihm etwas Zeit. Und lass ihn das Tempo bestimmen.“

Ich falte meine Hände im Schoß und denke nach. Während Sally geredet hat, habe ich aufgehört zu weinen, denn es ergibt alles Sinn, was sie sagt.

Ich habe ihn ziemlich überfallen. Natürlich weiß er nicht, wie er sich mir gegenüber verhalten soll. Keine Ahnung, was ich mir davon erhofft habe, aber ich dachte, wenn ich nur oft genug bei ihm bin und ihm zeige, wie viel er mir bedeutet, dass er sich dann einfach wieder erinnern muss.

Dass man so etwa unmöglich erzwingen oder beschleunigen kann, wird mir nun auch klar.

„Und du meinst, er liebt mich immer noch?“, frage ich meine beste Freundin.

Sally lächelt. „Ganz bestimmt sogar. Und wenn nicht, dann wird er sich eben neu in dich verlieben.“

Ich muss schmunzeln. Klingt irgendwie romantisch.

„Hört sich für mich alles logisch an“, meint Davis mit verschränkten Armen. „Gott, meine Freundin ist so was von schlau.“ Er wirft Sally einen vielsagenden Blick zu, doch diese verdreht nur lachend die Augen.

Diese beiden … irgendwie beneide ich sie ja.

„Kannst du mir vielleicht noch mal was zum Anziehen leihen?“, frage ich Sally. Sie steht auf und geht zu ihrem Koffer.

„Ich kann dir auch Geld leihen. Dann kannst du dir deine eigenen Klamotten kaufen.“

Leider liegen alle meine Sachen noch immer in der Villa. Ich habe es bis heute nicht gewagt, sie zu holen. Und Geld habe ich im Moment nicht.

„Ist schon gut“, entgegne ich. „Ich werde mir einen Job suchen. Irgendwann muss ich ja wieder arbeiten, jetzt, wo ich nicht mehr reich bin.“

„Wie du meinst, aber bedien dich vorher ruhig an meinen Sachen“, sagt Sally. Ich gehe direkt zu ihr und wir schauen, welche ihrer Teile mir am besten stehen würden. Ich hoffe, es ist etwas dabei, dass Tai so richtig umhaut. Wenn er mich schon nicht mehr liebt, dann soll er mich wenigstens scharf finden.
 

Tai
 

Meeresrauschen.

Ich höre die Wellen aufschlagen. Meine Füße stecken im Sand und ich spüre Wärme auf meiner Haut. Ich hebe den Kopf.

Da ist sie schon wieder. Ich erinnere mich an sie. Ich kenne sie aus meinen Träumen, die hübsche Frau im weißen Kleid. Ihr hellbraunes Haar weht im Wind und die Sonne küsst ihre Haut. Sie sieht so glücklich aus.

Ich trete näher, jetzt läuft sie nicht mehr vor mir weg. Sie bleibt einfach stehen und lässt sich von mir umarmen.

Ein wohliges Gefühl breitet sich in mir aus, als sie ihren Kopf gegen meine Brust legt. So ein Gefühl, das einem sagt: es ist alles gut.

Sie flüstert meinen Namen.

Wer ist sie? Woher kenne ich sie? Ich lehne meinen Kopf auf ihren und atme ihren Duft ein.

„Du riechst gut.“

Sie kichert. Dann flüstert sie wieder: „Tai.“

Ich schließe die Augen und genieße ihre Nähe.

Bei ihr fühle ich mich sicher.

Bei ihr ist alles gut.
 

Doch als ich die Augen wieder aufschlage, ist das Meer verschwunden. Stattdessen laufe ich durch einen Wald.

Ich sehe mich um. So viele Bäume. Und da …

Da ist sie wieder.

Sie steht an einem Wasserfall und deutet mir an, zu ihr zu kommen. Ich klettere über einen Stein zu ihr und als ich vor ihr stehe, zieht sie mich an sich.

Es geht alles so schnell.

Ein Wimpernschlag.

Der Wald ist verschwunden.

Aber sie steht immer noch vor mir. Ihre Hände ruhen auf meinen Armen und meine an ihrer Taille.

Musik setzt ein.

Wir beginnen zu tanzen. Einen Walzer? Keine Ahnung, wieso, aber es fühlt sich ganz natürlich an. Ihre Augen verzaubern mich und ihr Lächeln geht mir unter die Haut.

Mein Herz beginnt wie wild zu klopfen, als ich plötzlich alleine tanze.

Sie ist verschwunden.

Suchend sehe ich mich nach ihr um.

Wo ist sie hin? Ohne sie will ich hier nicht sein.

Da!

Ich entdecke sie in einiger Entfernung. Sie trägt ein wunderschönes Ballkleid, aber ihr Gesicht ist schmerzverzerrt. Sie weint.

Ich will sofort zu ihr, aber meine Beine bewegen sich nicht. Ich bin wie festgefroren.

Jemand legt einen Arm um ihre Schultern. Es ist Joe, ich erkenne ihn. Was tut er da?

Er tröstet sie, oder versucht es zumindest. Aber ihre traurigen Augen haften nur an mir.

Sie entfernen sich von mir und ich verspüre den starken Drang sie beschützen zu müssen.

„Geh nicht“, rufe ich ihr nach, strecke die Hand nach ihr aus. Aber sie ist fort. Ich habe es nicht geschafft, sie zu beschützen.

Warum fühle ich mich plötzlich so leer, so verloren? Es schnürt mir die Kehle zu und ich bekomme keine Luft. Es ist, als würde jemand seine eiskalten Finger um meinen Hals legen und erbarmungslos zudrücken.

Gerade, als ich denke, ich ersticke, tut sich der Boden unter meinen Füßen auf und ich falle in die Tiefe.
 

Ich schnappe nach Luft, als ich endlich die Augen aufschlage. Draußen ist es immer noch taghell. Ich muss wohl eingeschlafen sein.

Scheiße, was war das für ein verrückter Traum?

Und warum war da … Mimi?

Ja, jetzt erkenne ich sie endlich. Sie ist es. Sie ist die Frau aus meinen Träumen. Sie war die ganze Zeit bei mir, in meinem Kopf.

Aber warum? Was hat das alles zu bedeuten?

Diese Träume waren bisher alle so verworren, dass ich sie einfach nicht deuten kann. Ich weiß nur, dass es etwas zu bedeuten hat.

Ich bin mir sicher. Mimi ist mir nicht ohne Grund immer und immer wieder in meinen Träumen erschienen.

Wir waren uns so nah. Alles hat sich so vertraut und natürlich angefühlt. Und doch fühlt sich die Realität so fremd an. Ich habe einfach keine Erinnerung an … Ja, woran eigentlich?

Dass ich sie liebe?

Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Müsste dann mein Körper nicht irgendwie auf sie reagieren?

Kann man Liebe so einfach vergessen?

Ich möchte mir mit der Hand durch die Haare fahren und habe für den Bruchteil einer Sekunde vergessen, dass ich das ja nicht kann, weil ich meinen Arm nicht heben kann. Verdammt.

Ich würde wirklich zu gerne wissen, was mein Kopf versucht, mir zu sagen.
 

Es klopft an meine Tür und gleich darauf kommt Joe herein, gefolgt von … Kaori? Was macht sie denn hier? Ich neige den Kopf und schaue erwartungsvoll zur Tür, ob Jim noch hinterher kommt, aber nein. Sie ist ohne ihn und mit Joe gekommen. Muss ich das verstehen?

„Hallo Tai, wie geht es dir heute?“, fragt Joe, während er in meiner Krankenakte blättert. Ich ziehe jedoch einfach nur eine Augenbraue skeptisch nach oben und beäuge die beiden kritisch.

„Was machst du denn hier?“, frage ich. Sie hat mich zwei Jahre lang gemieden und jetzt kommt sie mich besuchen? Kaori räuspert sich. „Wollte mal sehen, ob du mich noch erkennst.“ Dann lacht sie gequält auf. „Aber sieht wohl so aus.“

Wie bitte? Hatte sie etwa die Hoffnung, ich hätte sie vergessen?

„Ich habe dir etwas mitgebracht“, redet Joe einfach dazwischen, als hätten wir gar nichts gesagt und tritt zu mir ans Bett. Er hält so ein komisches Teil in die Höhe. „Das ist ein Langzeit-Elektrokardiogramm.“

„Ein was?“

„Ein EKG“, vereinfacht Joe seinen Satz. „Es wird innerhalb der nächsten 24 Stunden deine Herzströme messen und aufzeichnen. Damit können wir feststellen, ob du zum Beispiel Herzrhythmusstörungen, Herzrasen oder Schwindel hast. Es wird uns Aufschluss darüber geben, in wie weit du dich von deinem Koma schon erholt hast. Im Grunde eine reine Vorsichtsmaßnahme, nichts Wildes.“

Ich nicke, während Joe näher tritt und auf meine Brust zeigt. „Darf ich?“

Wieder nicke ich, also zieht er mein Shirt hoch, klebt 4 Elektroden auf meinen Brustkorb und hängt dann das Aufzeichnungsgerät an meine Pyjamahose.

„Das war’s schon“, sagt er und lässt mein Shirt wieder nach unten gleiten.

„Danke“, sage ich und er wendet sich sofort wieder ab. Er sieht mich kaum an. Seit er den Raum betreten hat, hat er mir nicht ein Mal in die Augen gesehen.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirkst so angespannt?“, frage ich frei heraus, aber selbst jetzt sieht er mich nicht an. Stattdessen macht er Notizen in meine Akte.

„Alles bestens“, erwidert er nur, während er schreibt. Ich sehe zu Kaori, aber auch sie tut so, als wäre der Fußboden interessanter.

„Ich muss auch gleich weiter“, meint Joe und klappt die Akte zu. „Habe noch Patienten.“

Ich nicke. „Okay.“

Joe geht zur Tür. „Oh, und achte bitte darauf, dass du mit deinem Handy nicht zu nah an das EKG-Gerät kommst. Das Magnetfeld würde die Aufzeichnung beeinträchtigen.“

„Keine Sorge, das wird nicht passieren, weil ich nämlich meinen Pin vergessen habe.“

„Du hast deinen Pin vergessen?“, fragt Kaori verwundert.

„Ja, ich kann mich einfach nicht daran erinnern.“

„Das wird dir schon wieder einfallen“, wirft Joe ein. Diesmal sieht er mich an. Ausdruckslos. Keine Ahnung, was er gerade denkt. Da kommt mir dieser Traum von eben wieder in den Sinn … Joe kam auch darin vor.

„Kannst du mir auch sagen, wann das sein wird?“, frage ich.

Joe zuckt mit den Schultern. „Das kann niemand.“

„Schade. Ich würde mich wirklich gerne wieder an alles erinnern. Dass diese Frau, Mimi meine ich, so tut, als würden wir uns gut kennen, ist mir unangenehm, weil ich mich überhaupt nicht an sie erinnern kann. In welchem Verhältnis stehst du eigentlich zu ihr? Du kennst sie doch auch, oder?“

Etwas flackert in Joes Augen auf. Ich kann es nicht deuten, aber die Art und Weise, wie er mich gerade ansieht, verrät mir, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe.

Aber warum nur? Joe zögert.

„Es wäre besser, wenn wir jetzt nicht über sie sprechen und wenn du dich von selbst wieder an das erinnern würdest, was passiert ist.“

Was passiert ist? Was, zum Teufel, meint er damit?

Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, dreht er sich um und geht. „Ich habe noch Patienten. Bis später, Tai.“

Irritiert schaue ich zur Tür, durch die er grad gegangen ist und frage mich ernsthaft, was hier abgeht. Warum ist er so komisch? Und warum steht Kaori immer noch an meinem Bett?

„Kann ich dir irgendwas bringen? Ein Wasser vielleicht? Oder etwas Süßes?“

Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung und schaue sie fragend an. Was soll dieser Zirkus?

„Seit wann sind wir wieder Freunde?“ Die Frage meine ich ganz im Ernst. Sonst sind wir doch auch ziemlich gut darin, uns zu ignorieren und jetzt das?

„Ähm“, macht Kaori nur und legt den Kopf schief, als müsste sie erst mal über diese Frage nachdenken. Schon klar, dass sie wahrscheinlich gar nicht weiß, wie man Freunde definiert.

„Ich weiß nicht, ob wir Freunde sind“, gibt sie schließlich ehrlich zu. „Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg dahin.“

Okay. Wie lange lag ich noch mal im Koma?

„Du siehst mich an, als würde ich Schwachsinn reden“, lacht Kaori trocken auf.

„Kannst du’s mir verübeln?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nein. Natürlich nicht. Vor deinem Unfall hatten wir ein Gespräch. Daran erinnerst du dich offensichtlich auch nicht mehr. Wir haben uns ausgesprochen und ich habe mich bei dir für mein Verhalten entschuldigt. Du hast die Entschuldigung angenommen.“

So? Habe ich das? Na, ich muss ja sehr versöhnlich drauf gewesen sein.

„Dann ist ja gut“, sage ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll.

Kaori nickt zufrieden. „Ja.“

Dann legt sich Stille zwischen uns. Eine unangenehme, peinliche Stille. Keiner weiß so recht, was er sagen soll. Das, was Mimi zu viel quasselt, redet Kaori eindeutig zu wenig.

„Du sagtest, du kannst dich nicht mehr an deine Handy Pin erinnern. Hast du keine Touch ID oder Face ID?“

Ich schiele zu meinem Handy, welches auf meinem Nachttisch liegt. „Nein, ist offensichtlich ausgestellt. Und bei der PIN hab ich schon alles versucht. Meinen Geburtstag, Karis Geburtstag, Mamas Geburtstag. Ich habe sogar den Geburtstag meines ersten Haustieres eingegeben – es war ein Hamster. Nichts. Alles falsch.“

Das ist echt frustrierend. Dieses Teil könnte mir wahrscheinlich Aufschluss darüber geben, was in den letzten Monaten in meinem Leben so abging. Die Antworten liegen vermutlich zum Greifen nahe und ich komme trotzdem nicht ran.

„Hmm“, macht Kaori und überlegt wieder. „Hast du es mit Mimis Geburtstag versucht?“

Mimi.

Warum schon wieder Mimi?

Ist diese Mimi der Schlüssel zu allem?

„Nein und den weiß ich auch nicht.“

„Ich auch nicht. Aber du könntest sie fragen.“

„Ja, vielleicht.“

Nachdenklich starre ich meine Bettdecke an. Das alles zieht mich unfassbar runter. Dass ich eine Amnesie habe, ist fast noch schlimmer, als halb gelähmt zu sein.

„Kannst du mir etwas über Mimi erzählen?“, frage ich Kaori beiläufig, diese jedoch seufzt nur.

„Es wäre besser, wenn du dich von selbst daran erinnerst. Joe hat das auch gesagt.“

„Richtig.“ Trotzdem bin ich es so, so leid.

In meinem Kopf herrscht ein riesiges Chaos. Wie ein großes Puzzle und ich kriege die Teile einfach nicht zusammen.

„Das wird schon wieder, Tai. Du brauchst nur Geduld.“

Geduld, Geduld. Wie viel Geduld soll ich denn aufbringen?

Als ich nichts sage, sondern stattdessen nur ein unzufriedenes Brummen von mir gebe, schmunzelt Kaori.

„Du bist viel zu streng mit dir. Und auch mit allen anderen. Alle meinen es nur gut und wollen dir helfen.“

„Ich habe es einfach so satt, dass mich alle wie ein kleines Baby behandeln und ich einfach nichts dagegen tun kann. Wie würdest du dich fühlen, wenn du vorher von Häusern gesprungen wärst und du jetzt nicht mal ein Glas in den Händen halten könntest?“

Ganz ehrlich, es ist erst drei Tage her, seit ich aus dem Koma erwacht bin, und trotzdem weiß ich nicht, wie ich diesen Zustand noch länger ertragen soll. „Ich will einfach mein altes Leben zurück.“

Kaori kommt einen Schritt näher und setzt sich auf die Kante meines Bettes. Sie sieht mich eindringlich an.

„Und das wirst du auch bekommen, zusammen mit Mimi.“

Ein trauriges Lächeln huscht über meine Lippen. „Keine Ahnung, was du damit meinst, aber sie hat schon verdammt viel Geduld mit mir bewiesen. Trotzdem schaffe ich es nicht, sie an mich ranzulassen, oder von ihr Hilfe anzunehmen.“

Kaori legt den Kopf schief und schenkt mir ein zuversichtliches Lächeln. „Dann solltest du das vielleicht ändern, vielleicht kommt dann auch deine Erinnerung schneller zurück.“ Sie steht von meiner Matratze auf und legt eine Hand auf ihren Bauch. „Ich muss mich jetzt verabschieden. Ich habe noch einige Sachen zu packen, bevor ich bei Joe ausziehe.“

Überrascht hebe ich den Kopf. „Du wohnst bei Joe?“ Wow, ich muss wirklich einiges verpasst haben.

Sie winkt mit einer Hand ab, die andere lässt sie auf ihrem Bauch ruhen. „Lange Geschichte.“

Erst jetzt fällt mir auf, dass sich unter ihrer Bluse eine kleine Wölbung abzeichnet.

„Kaori, hast du zugenommen?“, frage ich unsicher und erwarte schon, dass sie mir für diese dreiste Frage gleich eine runter haut. Doch stattdessen grinst sie nur.

„So was in der Art.“

Natürlich weiß ich, was das bedeutet. Sie ist schwanger. Und das erste Mal seit Tagen fühle so etwas wie Freude. Ich lächle. „Wie schön für dich“, sage ich und meine es genau so. Ich hege keinen Groll mehr gegen Kaori oder wegen dem, was damals mit uns passiert ist. Nein, im Gegenteil. Unser kurzes Gespräch eben … Es fühlt sich tatsächlich so an, als wäre ich endlich vollkommen im Reinen mit der ganzen Sache. Auch wenn ich nicht weiß, woher dieses Gefühl kommt und ich mich auch nicht daran erinnern kann, dass wir uns ausgesprochen haben.

Wahrscheinlich werde ich das in nächster Zeit öfter haben – ein Gefühl – und keine Ahnung, woher es kommt.

„Ehrlich, herzlichen Glückwunsch.“

„Danke. Ich hoffe, es wird ein Mädchen.“ Ihre Lippen verziehen sich zu einem richtig frechen Grinsen. Auch das ist neu, steht ihr aber.

Sie geht zur Tür und dreht sich noch mal um. „Mach’s gut, Tai. Und bitte sei nicht so streng mit Mimi. Glaub mir, sie würde wirklich alles für dich tun. Und es ist auch keine Schwäche, Hilfe anzunehmen.“

Ich nicke und versuche, ihre Worte zu verinnerlichen. Vielleicht schaffe ich es ja, Mimi ein bisschen entgegenzukommen, wenn ich sie das nächste Mal sehe.
 

Mimi
 

Ich atme noch mal tief durch und versuche mir Sallys Worte ins Gedächtnis zu rufen, als ich am Abend vor Tais Zimmertür stehe.

Bedräng ihn nicht.

Lass ihn das Tempo vorgeben.

Er liebt dich.

Er liebt dich, er liebt dich, er liebt dich. Er weiß es nur nicht mehr.

Ich klopfe an und trete ein. Tai liegt wie immer in seinem Bett und sieht zum Fenster raus.

„Hallo“, sage ich und er dreht den Kopf in meine Richtung. Kein Lächeln. Alles beim Alten.

„Hallo.“ Na, wenigstens eine Begrüßung. Dann mustert er mich und ja, Tai, ich sehe, wie deine Augenbraue in die Höhe wandert.

Ich trage ein sommerliches, weißes Kleid, mit blauem Blumenmuster bestickt. Der Ausschnitt bringt meinen Busen gut zur Geltung und der Stoff endet über meinen Knien.

„Was ist?“, frage ich, als sein Blick schon etwas zu lange an mir hängen bleibt.

„Ach, nichts.“ Der Anflug eines Lächelns schleicht sich auf seine Lippen. Unfassbar.

„Hast du gar keine Suppe mitgebracht?“

Ich verkneife es mir, mit den Augen zu rollen und gehe zu ihm rüber.

„Nein, habe ich nicht. Diesmal möchte ich dich einfach nur besuchen.“ Ich lege meine Tasche auf dem Tisch am Fenster ab und spüre, wie Tais Augen mich verfolgen. Vermutlich gefällt ihm, was er sieht, denn auch, als ich mich wieder zu ihm umdrehe, sieht er mich immer noch an.

„Kannst du …“, beginnt er unsicher. „Kannst du mal herkommen? Ich möchte etwas testen.“

Ich zucke mit den Schultern. „Klar, was denn?“

Er deutet mir an, dass ich mich zu ihm aufs Bett setzen soll. Ich setze mich auf die Bettkante.

„Näher“, sagt er. Ich runzle die Stirn. Doch ich mache, was er möchte, nehme die Beine hoch und rutsche näher an ihn heran. Unsere Gesichter befinden sich nun auf Augenhöhe und er sieht mir tief in die Augen, ohne auch nur einen Ton zu sagen. Das irritiert mich.

„Was soll das werden?“, frage ich schließlich, als er mich einfach nur anstarrt.

„Psst“, macht er jedoch nur. Ich verstumme.

Weitere Minuten vergehen, in denen wir uns intensiv anschauen. Ich strenge mich echt an, nicht wegzusehen, aber er macht es mir nicht leicht. Dieser Blickkontakt macht mich ganz nervös.

„Kannst du mir sagen …“, setze ich erneut an, aber werde wieder nur angezischt.

Wie albern. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Gelingt mir leider nicht sonderlich gut. Ich beiße mir auf die Unterlippe, aber es geht nicht mehr – ich pruste los.

„Oh, man“, seufzt Tai. Keine Ahnung, wie er dabei immer noch so todernst sein kann.

„Okay, ich hab den Anstarrwettbewerb verloren“, lache ich und halte mir den Bauch. „Was sollte das denn, Tai?“

„Ich wollte wissen, ob ich was für dich empfinde, wenn ich dich lang genug ansehe.“

Ich verstumme auf der Stelle. „Du … ähm … und?“

Tai zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

„Mach’s noch mal“, schlage ich vor und rutsche wieder näher an ihn ran.

Tai überlegt kurz, dann sagt er: „Gut, na schön.“ Er atmet aus und sieht mir dann wieder intensiv in die Augen. Diesmal lache ich nicht. Er versucht sich an etwas zu erinnern und ich will ihm dabei helfen.

Ich nehme mir die Zeit und mustere sein Gesicht. Seine braunen Augen fixieren meine und da liegt noch immer so viel Wärme drin, dass mein Herz wie wild anfängt zu schlagen. Mein Blick wandert hinab zu seinem Mund. Diese Lippen …

„Ich kann dich auch gerne küssen, wenn du willst. Vielleicht erinnerst du dich dann“, schmunzle ich.

Ein lautes Piepen ertönt. Tai und ich erschrecken gleichzeitig.

„Was ist das?“, frage ich, während Tai schon mit einer Hand sein Shirt hochzieht und auf irgendein Gerät drückt, was an seiner Hose befestigt ist.

„Äh, nichts weiter.“ Das Piepen hört auf und ich runzle nur die Stirn.

„Du kannst deine Hand schon so gut bewegen?“, staune ich.

Tai nickt. „Ja, die Physiotherapie ist sehr hilfreich und da mir hier drin stinklangweilig ist, hatte ich die letzten zwei Tage viel Zeit, sie zu trainieren. Zum Glück ist es wohl nicht so schlimm wie anfangs gedacht. Auch meine Arme sollten sich schnell erholen, wenn ich am Ball bleibe.“

Ich reiße die Augen auf. „Wow, damit habe ich gar nicht gerechnet.“ Das sind wirklich gute Neuigkeiten.

„Ich auch nicht. Aber ich möchte so schnell wie möglich mein altes Leben zurückhaben.“

Mein Herz zieht sich zusammen. Wenn er von seinem alten Leben spricht … denkt er dabei auch an mich? Oder komme ich in dieser Vision nicht vor?

„Das verstehe ich“, sage ich einfach nur, weil ich ihn nicht unter Druck setzen will. Ich muss einfach fest daran glauben, dass seine Erinnerung an mich zurückkehrt.

„Danke“, erwidert Tai und sieht betrübt auf seine Bettdecke hinab. „Es fühlt sich alles immer noch so unwirklich an. Als würde ich immer noch träumen. Plötzlich ist alles anders und das ist irgendwie beängstigend.“

Ich nicke und greife nach seiner Hand. Diesmal lässt er die Berührung zu.

„Ich hatte einen Unfall, an den ich mich nicht mehr erinnere und dann wache ich auf, muss feststellen, dass mein Körper ein halbes Wrack ist, ich meinen Geburtstag verpasst habe, meine Schwester verlobt ist …“

„Oh ja, mit Takeru.“

„Ich weiß, wer Takeru ist.“

„Oh, klar weißt du das“, grinse ich verlegen und auch Tai schenkt mir ein Lächeln. Er lächelt mich tatsächlich an. Und es geschieht nicht aus Höflichkeit. Zumindest hoffe ich das.

„Wie auch immer. Man darf nicht aufgeben, richtig?“

Ich nicke. „Richtig. Fürs Aufgeben wärst du auch gar nicht der Typ.“ Ich zwinkere ihm zu und sein Lächeln wird tatsächlich noch ein bisschen breiter.

Dann greift er nach dem Handy, welches neben ihm auf der Matratze liegt. „Du scheinst mich ziemlich gut zu kennen, Mimi Tachikawa. Vielleicht kannst du mir auch dabei helfen.“

„Was willst du denn wissen?“

„Na ja, ich kann mich nicht mehr an meinen Pin erinnern und komme nicht in mein Handy rein. Dumm, oder? Ich erinnere mich nur noch an meinen alten PIN Code, aber ich muss ihn wohl geändert haben“, erklärt mir Tai.

Nachdenklich lege ich den Kopf schief. „Hast du es schon mit Geburtstagen versucht? Vielleicht deinen eigenen oder Kari’s?“

„Das habe ich schon alles durch, aber das war es nicht.“

„Hmm“, mache ich, während Tai mich ansieht.

„Wann hast du denn Geburtstag?“

Ich zeige mit dem Finger auf mich. „Ich? Am 18. Oktober.“

Er tippt mit dem Zeigefinger 1810 ein, aber auch das ist falsch.

Dann überlegt er und sagt schließlich: „Wann haben wir uns kennengelernt?“

Ich runzle die Stirn und lege einen Finger an die Lippen. „Lass mal nachdenken … das müsste der 15. Mai gewesen sein.“

Tai nickt und tippt die Zahlen ein.

1505 – der Bildschirm öffnet sich.

Ich klatsche in die Hände. „Wow, Wahnsinn! Wie dumm von mir, da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Ich bin nämlich auch nicht in deinen Laptop reingekommen, weil der Passwort geschützt war. Hier, möchtest du was trinken?“

Tai sieht überrascht zu mir auf, grinst jedoch immer noch, weil er sich gerade so darüber freut, dass er wieder in sein Handy rein kommt. „Du warst an meinem Laptop?“ Dann nimmt er einen Schluck aus der Tasse, die ich ihm reiche, diesmal ohne zu meckern.

„Ich wohne gerade bei dir. Hast du das schon vergessen?“

„Nein, habe ich nicht und ich finde es echt creepy, dass du bei mir wohnst“, entgegnet er. Ich erwidere sein freches Grinsen.

„Wenn du wüsstest, was wir in deiner Wohnung alles angestellt haben.“

Er verschluckt sich an seinem Tee.

„Na, klingelt da was?“, necke ich ihn, aber er schüttelt nur schnell den Kopf.

„Nein, gar nicht.“ Wird er gerade rot?

„Schade. Aber auch irgendwie schön für dich. Dann kannst du unser erstes Mal ja noch mal erleben. Ich bin fast ein bisschen neidisch“, seufze ich und stelle die Tasse wieder ab.

„Du … Du gehst davon aus, dass wir in der Zukunft miteinander schlafen werden?“

„Oh, nicht nur das“, sage ich, lächle ihn verträumt an und beuge mich zu ihm nach vorne. „Du wirst dich in mich verlieben, Taichi Yagami. Noch mal. Und bevor du fragst, woher ich das weiß … Ich weiß es einfach. Weil du und ich nämlich zusammengehören und ich dich nicht aufgeben werde. Egal, wie lange es dauert.“ Dann stehe ich von seinem Bett auf und hole meine Tasche, ehe ich auf sein Handy zeige. „Das da war eben der Beweis dafür, dass ich dir offensichtlich etwas bedeute. Also …“ Ich gehe zur Tür. „Da du ja meine Nummer nun wieder hast, kannst du mich jederzeit anrufen oder mir schreiben. Ruh dich noch gut aus. Ich muss jetzt gehen, bis dann.“

Tai blinzelt verwirrt. „Äh, ja … ist gut.“

Ein wenig perplex lasse ich ihn zurück, aber diesmal gehe ich mit einem ganz anderen Gefühl nach Hause.

Du wirst dich wieder an mich erinnern, Tai. Da bin ich mir ganz sicher.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ob Mimi da recht behält? ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Hallostern2014
2024-04-12T22:23:24+00:00 13.04.2024 00:23
Huhu ihr Lieben ❤️

Endlich schaffe ich es euere Kapitel zu lesen und zu kommentieren 😍

oh man ich kann Tai verstehen, aber er ist kein Versager, er muss leider alles neu lernen, aber ich weiß er wird es schaffen und auch seine Erinnerungen kommen bald wieder. Und in 3 Tagen kann man leider auch nicht alles auf einmal. Er sollte auf die Therapeutin hören, sonst wird es zu viel.

Es ist immer noch so traurig das er keine Erinnerung an seine LIebe zu Mimi hat, aber er träumt ja von ihr also sein Herz weiß noch wer Mimi ist nur sein Kopf noch nicht. Aber das wird wieder zurück kommen. Er geht zwar etwas hart mit Mimi um aber er tut es ja um keine schwäche zu zeigen. Er merkt ja das er sie mit seinem Verhalten verletzt hat, Mimi weiß ja auch das er gerade mit sich zu Kämpfen hat, deswegen ist zeigt sie ihre eigene Verzweiflung nicht. Und daas Tai lebt und wach ist zählt eh nur für Mimi. Dennoch kann ich ihre Flucht verstehen.

Arme MImi, sie tut mir so leid. Erst die verletzente Situation mit Tai und dann sieht sie ihre beste Freund verliebt mit Davis, klar sie freut sich für beide. Aber gerade das zeigt was sie im diesem Zeitpunkt verloren hat. Ich finde es so toll von den beiden wie sie Mimmi mut machen und Tai sie noch liebt. Mimi sollte die Tipps annehmen, vielleicht hilt es ja wirklich.

Sein Herz schickt sein Gehirn immer mehr zeichen das er und Mimi eine wunderschöne Zeit hatten, dass er sie liebt. Es wird bestimmt nicht mehr lange dauern dann merk er selbst wie sehr er Mimi liebt.

Na, da war wohl jemand geschockt. Klar, er kann sich nicht daran erinnern das Kaori und er sich ausgesprochen haben. Hehe ob das EKG in der Auswertung Zeigt das sein Herz sehr wohl auf Mimi reagiert? Ich glaube schon 😍
Oh man ich kann zwa Joe verstehen das er sauer ist, dennoch sollte er sich mal anderes Verhalten, Tai weiß ja schließlich es nicht warum und Joe möchte es ihn ja auch nicht sagen Oder er hätte sagen können hör zu Tai ich habe was erfahren das mich verletzt hat und du der Grund dafür bist, aber du solltest dich selbst daran erinnern und dann reden wir. Mal sehen wie Tai reagiert wenn er sich wieder erinnern kann.

Ich fand das neue Gespräch zwischen Tai und Kaori toll. Und das er Kaoris Entschuldigung angenommen hat war ja auch weil er sich in Mimi verliebt hatte und Kaori sowieso verziehen hat. Kaori gibt ihn auch wohl den richtigen Tipp damit Tai wieder an seinem Handy kann, ich denke auch das Mimi die Lösung dafür ist. Ich glaube zu Kaori ist er nur so ehrlich weil er sie nur als einfache Freundin sieht. Bei MImi konnte er es nicht weil er sie liebt und sie eigentlich nicht verletzten wollte.

Ich glaube Tai wird von stauen vom Bett fallen wenn er erfährt was schon alles passiert ist.

Hehe, Tai will es aber auch wirklich wissen. Aber verständlich, er möchte seine Gefühle für Mimi endlich auf dem Grund gehen und wissen was da wirklich ist. Ich hätte aber auch los gelacht 🤣 Ich wusste das Ding schlägt aus, MImi hätte es mit dem Kuss gleich sagen sollen 🤣😍 Aber da hat Tai den Beweis das Herz zeigt was es fühlt. Ich liebe die wieder Annährung, Mimi spricht jetzt Tai mut zu das ist super. Hehe noch ein Beweis für Tai das mit MImi mehr ist. Und MImi 🤣🤣🤣 naja warum lügen wenn es so wirklich war. Und das Versprechen erst 🤣🤣. Dann lässt sich Tai auch noch einfach alleine, aber er wird sich bestimmt melden. Denn nun kann er endlich in seinen Handy alles sehen und das es stimmt was Mimi gesagt hat.

so leider war das ja schon hier,aber zum glück habe ich ja noch ein paar Kapitel nach zuholen 😍

also bis zum nächsten Kapitel 😍

Antwort von:  Ukiyo1
14.04.2024 11:14
Hey Liebes :)

Das stimmt. Es fällt Tai eben besonders schwer, weil er vorher super sportlich war und jetzt fast gar nichts mehr kann :(
Aber das wird wieder!

Witzig, dass du das sagst, weil Tai später genau diesen Satz zu Mimi sagen wird :) sein Herz weiß die ganze Zeit über, wer sie ist, auch wenn sein Kopf sich nicht erinnert. Trotzdem macht es Mimi traurig. Sie ist wirklich tapfer.

Oh ja das tut weh. Aber Sally hat recht, mit dem, was sie sagt. Mimi muss einen Gang zurückschalten und Tai erst mal klarkommen lassen :)

Das EKG wird der eindeutige Beweis sein :D Joe ist sehr distanziert, er ist einfach zu sehr verletzt. Irgendwann wird er sich schon noch mit Tai aussprechen ;)

Tai will es wissen :D er hat zu viel von Mimi geträumt, er weiß, dass da irgendwas dran ist :D aber ich hätte auch gelacht!

Ab jetzt wird’s spannend, Tai kann wieder in sein Handy :D

Bin schon gespannt, wie du die nächsten Kapitel finden wirst. Aber ich vermute mal, du wirst sie mögen ^^

Bis dann :*
Von:  Tasha88
2024-03-23T07:52:36+00:00 23.03.2024 08:52
💖💖
Ein tolles Kapitel!
Ich bin froh, dass mimi nicht aufgibt.
Und auch, dass tai etwas offener ist 🥰
Antwort von:  Ukiyo1
31.03.2024 09:16
Vielen lieben Dank :*

Nein, Mimi gibt nicht auf, das widerspricht ihrem Naturell ;)
Ganz langsam taut auch Tai auf :D

LG :*


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