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Eren

Geheimnisse der Turanos
von

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Gehirnwäsche

„Heißt das, wir ziehen wirklich um?“, befürchtet Max im halben Flüsterton.

 

„Nein.“ Die Frau schüttelt leicht den Kopf. „Das heißt, wenn wirklich nur Eren von deinen Kräften weiß und sonst niemand, dann haben wir eine Chance hierzubleiben. Da fällt mir ein: Ajax hat ihn abgesetzt, richtig? Also weiß er auch wo wir wohnen?“

 

„Nein, also ja, Ajax hat Eren hergefahren, aber wir haben uns vorm FrostYum getroffen. Es weiß also nur Eren, wo ich wohne.“ Max ist geistig halb abwesend. Sein Verstand versucht das Puzzle irgendwie zu lösen, aber die Informationen wollen nicht ganz zusammenpassen.

 

„Okay, das ist gut. Es ist ein Risiko, aber fürs Erste tun wir so, als wäre der heutige Abend nicht passiert“, beschließt die Frau selbst nicht ganz von ihrer Entscheidung überzeugt. „Weißt du wie viel Zeit wir noch haben bis er abgeholt wird?“

 

„Keine Ahnung“, antwortet Max automatisch. In seinem Kopf wirbelt noch alles durcheinander.

 

„Dann haben wir keine Zeit zu vertrödeln. Ich werde Erens Erinnerungen so manipulieren, dass er nichts mehr von deinen Kräften weiß oder wo du wohnst. Oder dass er mich hier gesehen hat. Du musst nur darauf achten, dich ihm gegenüber auch so zu benehmen als wüsste er das alles nicht. Schon das kleinste falsche Wort würde ihm auffallen. So ist er aufgewachsen. Schaffst du das?“ Eindringlich sieht sie ihren Sohn an.

 

Max sieht alles andere als begeistert von der Idee aus. „D-Du willst ihm sein Gedächtnis löschen? Aber du hast doch gesagt, er ist nicht böse. Können wir ihn nicht einfach darum bitten, dass er niemandem von meinen Kräfte erzählen soll?“

 

„Das Risiko ist leider zur groß. Ich befürchte, Eren würde es dennoch seiner Familie verraten, wenn auch mit guten Absichten. Er wird glauben, er hilft dir, indem er deine Fähigkeiten verrät und sie dich in den Bunker bringen können“, vermutet sie.

 

„Bunker? Klingt nicht lustig“, bemerkt der Blonde und zieht im Zwiespalt die Augenbrauen zusammen während er ein weiteres Mal den Turano beäugt. Er kann nicht glauben, dass er wirklich so gefährlich sein soll. Aber warum sollte ihn seine Mutter anlügen? Sie hat ihn noch nie belogen. Manche Dinge verschwiegen, vielleicht, aber noch nie angelogen. Er seufzt schwer. „Na schön. Wenn du glaubst, es ist so am besten.“

 

„Glaub mir, Max, mir gefällt es genauso wenig, ihm seine Erinnerungen zu verändern, aber wir haben leider keine andere Wahl. Die Turanos dürfen nichts von deinen Kräften wissen. Oder von meinen. Irgendwann erklär ich dir alles, versprochen, aber jetzt ist es einfach zu gefährlich. Vertrau mir, ja?“ Mit einem flehenden Lächeln legt sie ihm eine Hand auf die Schulter.

 

Ganz schwach erwidert der Blonde das Lächeln und nickt kaum merklich. „Okay.“

 

Dankbar zieht sie die Hand zurück und dreht den Oberkörper so, dass sie mit dem linken Zeige- und Mittelfingern Erens Stirn berühren kann. „Keine Sorge, ich lösche nur so viel, wie nötig ist.“

 

Erens Augenlider zucken kurz als die Frau mit Hilfe ihrer Kräfte seine Erinnerungen anzapft. Sie spürt nicht den geringsten geistigen Widerstand, was der Ohnmacht und der Überrumpelung zu verdanken ist. Über seinem Kopf tauchen mehrere goldene Kugeln auf, die durch hauchdünne Fäden mit den Fingern auf seiner Stirn verbunden sind. Jede zeigt einen anderen Ausschnitt aus Erens Vergangenheit, manche liegen schon Monate oder gar Jahre zurück. Die meisten Bruchstücke ähneln sich: Aufnahmen verschiedener Trainingseinheiten oder auch die ein oder andere Mission. In einer Kugel kämpft Eren in der Trainingshalle gegen einen viel größeren, breiteren Mann. In einer anderen steht er mit vielleicht Neun zitternd, allein und auf die Boxershort ausgezogen mitten in einem Schneesturm irgendwo in einem Wald. Und wieder in einer anderen tötet er im Grundschulalter einen Menschen hinter einem Bowling Center.

 

„Mom, alles okay?“ Besorgt sieht der Junge ihr in die Augen. Er kann die Erinnerungskugeln nicht sehen und versteht deshalb nicht, weshalb seine Mutter plötzlich Tränen in den Augen hat.

 

„Alles gut, Schatz“, versichert sie möglichst überzeugend und blinzelt die Tränen weg.

 

Die Frau kann diese tragischen Erinnerungen nicht länger ansehen. Viele der Bruchstücke kannte sie selbst noch nicht, aber auch die, die ihr bekannt vorkommen, sind nicht leichter zu ertragen. Außerdem fühlt es sich falsch an, wie jemanden heimlich zu beobachten. Es sind private Erinnerungen, sie hat darin nichts verloren und sie haben auch nichts mit dem heutigen Halloween zu tun. Deshalb schränkt Dr. Ryu die Suche gedanklich ein. Die Bilder gehorchen aufs Wort, wechseln die Erinnerungen und zeigen nun verschiedene Momente des heutigen Tages.

 

Die erste Kugel, die ihre Aufmerksamkeit weckt, ist eine Szene bei ihr Zuhause. Eren steht unten vor der Eingangstür und sieht äußerst kritisch in den Spiegel. Dabei trägt er ein Piratenskelettkostüm, was die Frau zum Schmunzeln bringt. „Du hast Eren tatsächlich in ein Kostüm gekriegt?“

 

Zuerst verwirrt, dann stolz hebt Max das Kinn. „Jap. Es hat auch die ganze Woche gedauert. Ich hab einfach so lang damit genervt, bis er nachgegeben hat. Als er aus dem Auto ausstieg und wirklich kein Kostüm anhatte - an Halloween! - hab ich ihn einfach mit nach Hause geschleppt und in eines gesteckt.“

 

„Hätte nicht gedacht, dass ich ihn je in einem Kostüm sehe“, gluckst sie leise vor sich hin. „Okay, ich lösche den Teil zwischen FrostYum und unserer Haustür. Hast du davor schon einmal erwähnt, wo wir wohnen? Vor heute?“

 

Max legt nachdenklich die Stirn in Falten. „Ich glaub nicht. Nein.“

 

Mit der rechten Hand berührt sie die Kugel, die die beiden Jungs auf dem Weg zum Haus zeigt. Das Bild wird immer unschärfer, bekommt Lücken, flackert bis es komplett schwarz ist und sie es beiseite schiebt. Auch bei der Erinnerung, als die beiden kostümiert zur Süßes und Saurestour aufbrechen, löscht sie die ersten paar Abzweigungen.

 

„Deine Kräfte hast du erst später eingesetzt, richtig?“, erkundigt sie sich, ohne die Augen von den Bildern zu lösen.

 

„Genau“, bestätigt Max. „Wir waren schon auf dem Heimweg und wollten die Abkürzung am Friedhof vorbei nehmen, als ein paar Jugendlich unsere Beute stehlen wollten. Wir sind weggerannt und ich hab uns dummerweise in eine Sackgasse geführt.“

 

„Ah, hab sie gefunden“, teilst sie ihrem Sohn mit und legt die Hand auf die Erinnerung. „Ich lösche den Zaun und lasse euch beide ohne deinem Supersprung in Deckung gehen.“

 

Die Umrisse des Maschendrahtzauns lösen sich auf. Anstatt dass Eren von Max über den Zaun geflogen wird, wird er nun von ihm einfach hinter die Mülltonnen gezogen. Der Hintergrund des folgenden Heimwegs lässt sie komplett aus Erens Gedächtnis verschwinden. Auch das anschließende Gespräch bearbeitet sie so, dass in allen Teilen, in denen es um Max´ Fähigkeiten geht, nur Rauschen zu hören ist. Die Bilder allein, wie sie beide mit einem Berg Zucker dasitzen, ist schließlich nicht verräterisch. Wie sie nach Hause kommt allerdings schon, weshalb sie sich selbst auch komplett aus seinem Gedächtnis entfernt.

 

Und wo sie schon dabei ist, überfliegt sie auch noch kurz die Momente, in denen Max nicht dabei war. Zu ihrem Schreck hatte Eren tatsächlich ein Handy in der Hand und hat alles über Max´ Kräfte seiner Familie verraten. Bei diesen Bilder bleibt ihr Herz stehen, wie erstarrt beobachtet sie die Kugel, in der Eren nur noch auf Senden tippen muss, um ihr Geheimnis zu offenbaren und sie und Max zur Flucht zu zwingen. Aber das geschieht nicht. Eren löscht die Nachricht wieder. Das Geheimnis ist noch gehütet. Dr. Ryu fällt ein gerührter Stein vom Herzen als sie die angehaltene Luft ausstößt. Sie wusste ja schon immer, dass Eren nicht annähernd so dämonisch ist wie die anderen Turanos. Und dabei ist er der einzige, der wirklich einen Dämon in sich hat.

 

Erschöpft atmet sie tief ein und aus, nimmt ihre Finger von Erens Stirn und reibt sich kurz die Schläfen. Sie ist nicht so gut in Form mit ihren Kräften, dafür benutzt sie sie viel zu selten. „So. Das sollten alle Erinnerungen gewesen sein.“

 

„Er weiß jetzt wirklich nichts mehr von meinen Kräften oder wo wir wohnen?“, hakt Max skeptisch und beeindruckt zugleich nach.

 

„Nein. Solange du darauf achtest, was du sagst“, betont sie noch einmal und schielt auf die Uhr auf Max´ Nachttisch. „Nun gut, da wir dieses Problem jetzt gelöst haben, machen wir mit Nummer Zwei weiter.“

 

„Nummer Zwei?“ Der Blonde legt fragend den Kopf schief. Er hat aufgegeben zu versuchen das alles hier zu verstehen. Er akzeptiert es jetzt einfach und flippt später aus.

 

Seine Mutter nickt. „Ich kann Eren ja schlecht hier bei uns Zuhause aufwecken, dann hätten wir wieder das gleiche Problem. Ich fahr euch zur Eisdiele und wecke ihn dort.“

 

„Wird er sich dann nicht fragen, wie er dorthin gekommen ist?“, gibt der Grünäugige zu bedenken.

 

„Du kannst ihm ja erzählen, dass ihr nach der Süßes oder Saurestour wieder zur Eisdiele gegangen seid, weil Eren von dort abgeholt werden sollte. Und beim Warten ist er eingeschlafen“, spinnt sie sich eine mehr oder weniger plausible Erklärung zusammen. Sie weiß, dass unter normalen Umständen, Eren diese Geschichte nicht glauben würde, aber da er sicher noch immer unter den Nachwirkungen des AEUD-Serums leidet, wird er doch sicher glauben, dass es daran liegt. Darauf baut sie zumindest.

 

Zweifelnd zieht er die Augenbrauen zusammen. „Ich soll ihn anlügen? Aber das machen Freunde nicht.“ Er stockt und sieht traurig zu der Frau. „Richtig. Wir sind keine Freunde, stimmt ja. Schade, dass er sich nur mit mir angefreundet hat, um mich zu entführen.“

 

Mitfühlend sieht sie ihren Sohn an. „Tut mir leid, Schatz, ehrlich. Aber es ist sicherer für uns alle, wenn du dich von ihm fernhältst. Nur nicht zu auffällig, sonst merkt er gleich, dass was nicht stimmt.“

 

„Ja, ich verstehe“, sagt Max alles andere als glücklich.

 

~~~

 

Nachdem Dr. Ryu und Max Eren das Blut aus den Haaren gewaschen haben, das von einer Platzwunde nach der Bekanntschaft seines Kopfes mit der Ecke des Nachttisches stammt, haben sie ihn ins Auto gesetzt und sind zur Eisdiele FrostYum gefahren. Dort haben sie erst einmal eine Viertelstunde am Straßenrand geparkt und gewartet, um sicherzugehen, dass niemand der Turanos bereits auf sie lauert. Als gerade keine Leute auf der Straße vor dem mittlerweile geschlossenen Laden unterwegs waren, haben die beiden den Braunhaarigen auf einen Stuhl vor der Eisdiele geparkt, den Kopf auf die Tischplatte gebettet und es so aussehen lassen, als wäre er tatsächlich dort eingeschlafen.

 

Max lässt sich noch immer mit einem verkrampften Magen auf den Stuhl daneben nieder. „Hoffentlich geht das gut. Ich bin kein besonders guter Lügner.“

 

„Ich weiß. Streng dich einfach an, ja? Ich warte um die Ecke, falls es Probleme geben sollte. Keine Sorge, auch wenn er etwas merken sollte, was ich nicht glaube, lasse ich nicht zu, dass sie dich mitnehmen. Versprochen“, versichert sie zuversichtlich. „Bereit?“

 

Der Blonde atmet tief durch, setzt sich natürlicher hin und nickt. „Bin bereit. Aber ich will später noch mehr Infos haben, ja? Momentan herrscht in meinem Kopf ein einziger Salat.“

 

Amüsiert heben sich Dr. Ryus Mundwinkel. „Wie gesagt, je weniger du weißt, desto besser. Ich kann ja dein Gedächtnis auch manipulieren, wenn dir das lieber ist.“

 

„Nein, schon gut!“, wehrt Max sofort ab und hebt schützend die Hände über die Stirn. „Ich krieg das auch so hin.“

 

„Das glaub ich auch. Viel Glück.“ Die Frau drückt ihren Sohn mutmachend ehe sie ihre Hand auf Erens Kopf legt. „Erwache in fünf Minuten.“

 

„Du kannst Zeitfenster einstellen?“, bemerkt Max bewundernd.

 

„Ja, aber jetzt konzentriere dich lieber auf deine Geschichte. Viel Glück.“

 

Seine Mutter steigt ins Auto und biegt in die Seitenstraße ab. Sobald der Wagen außer Sicht ist, atmet Max erneut langsam ein, noch langsamer aus und versucht die nervöse Panik zu verstecken. Wenn Eren tatsächlich so gefährlich ist und sogar als Spion eingesetzt wird, was ihm immer noch äußerst schwer fällt zu glauben, dann darf er sich keinen noch so kleinen Fehler erlauben. Das zu wissen lässt das Beinzucken leider auch nicht verschwinden. Zumindest verbirgt das die Tischplatte, jetzt muss er sich nur noch überlegen, was er genau dem jungen Turano auftischen will. Bis jetzt ist ihm nichts brauchbares eingefallen. Er hat gehofft, spontan einen genialen Einfall zu haben. Bisher bleibt der aus. Und so wie es aussieht, ist seine Bedenkzeit um. Erens Augenlider zucken, seine Finger bewegen sich und er murmelt unverständliche Laute vor sich hin. Er wacht auf.



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